Das minoisch-mykenische Griechenland (3200

Transcrição

Das minoisch-mykenische Griechenland (3200
Epochen_der_Antike
Inhaltsverzeichnis
• 1 Das minoisch-mykenische Griechenland (3200-1050 v. Chr.)
♦ 1.1 Hochkulturen und Schriftentstehung
♦ 1.2 Das minoische Kreta
♦ 1.3 Das mykenische Griechenland
♦ 1.4 Der Übergang von der subminoisch-mykenischen zur
geometrischen Epoche
• 2 Die griechische Poliskultur
♦ 2.1 Die frühgriechische Dichtung
♦ 2.2 Die ?Kolonisationszeit?
♦ 2.3 Spartas politische und soziale Ordnung
♦ 2.4 Die Unterwerfung Messeniens
♦ 2.5 Athens politische Entwicklung in archaisch-klassischer Zeit
♦ 2.6 Perserkriege und Bündnispolitik
♦ 2.7 Athens Sozialordnung
♦ 2.8 Peloponnesischer Krieg
♦ 2.9 Demokratische Entwicklung im 4. Jahrhundert v. Chr.
• 3 Hellenismus
♦ 3.1 Makedonische Hegemonie
♦ 3.2 Alexanderzug
♦ 3.3 Hellenistische Königreiche
• 4 Römische Geschichte
♦ 4.1 Die römische Geschichtsschreibung: Annalistik
♦ 4.2 Stadtentwicklung
♦ 4.3 753 v. Chr. Stadtgründungsmythos und Zeitrechnung
♦ 4.4 509 v. Chr. Die Anfänge der Republik
♦ 4.5 450 v. Chr. Zwölftafelgesetzgebung
♦ 4.6 367 v. Chr. Entstehung der Nobilität
♦ 4.7 Sozialstruktur: familia und clientela
♦ 4.8 Militärische Expansion und Weltreichsbildung
♦ 4.9 Prinzipat des Augustus
Das minoisch-mykenische Griechenland (3200-1050 v.
Chr.)
Ab ca. 3000 v. Chr. bildete sich die nach dem sagenhaften König Minos benannte minoische Kultur auf
Kreta heraus. Die Kultur wird nach ihren archäologischen Zeugnissen in drei Phasen (früh-, mittel- und
spätminoisch) unterteilt und gehört ihrem Charakter nach zu den großen Hochkulturen Vorderasiens, die
durch die Entwicklung der Schrift und der Verarbeitung von Metalle gekennzeichnet ist. Aufgrund der
Verarbeitung von Kupfer und Zinn zu Bronze hat sich zur Kennzeichnung dieser Epoche auch der Begriff
?Bronzezeit? eingebürgert. Die ökonomische Basis dieser Hochkulturen blieb trotz der weiträumigen
Handelsbeziehungen, die zur Erlangung von Zinn (Afghanistan; Britannien) und Kupfer (Zypern, Anatolien)
geknüpft werden mußten, durch die Agrarwirtschaft geprägt. Neben Getreideanbau, der schon seit dem 7.
Jahrtausend für Griechenland nachgewiesen ist, bildeten Rebbau und Olivenbaumkultur die Grundlage der
griechischen und später auch römischen Landwirtschaft. Hinzu kam im 2. Jahrtausend v. Chr. die Züchtung
von Schafen für die Gewinnung von Wolle.
Das minoisch-mykenische Griechenland (3200-1050 v. Chr.)
1
Epochen_der_Antike
Hochkulturen und Schriftentstehung
Die älteste Schrift entstand um 3000 v. Chr. in Ägypten und wird nach dem griechischen Autor Clemens
Alexandrinus (um 150 n. Chr.) Hieroglyphen-Schrift (wörtlich: ?heilige Zeichen?) genannt. Die letzte
hieroglyphische Inschrift stammt aus dem Jahr 294 n. Chr. Es handelt sich eine Denkmälerschrift, die zu
Beginn des 19. Jahrhunderts von dem Franzosen Champollion entziffert wurde. Hieroglyphen bringen nicht
die Lautung des Wortes, sondern nur dessen Sinn zum Ausdruck. Aus Mesopotamien (heute: Irak) stammt
die Keilschrift, die zwischen 3000 und 600 v. Chr. benutzt wurde. Der letzte uns erhaltene Keilschrifttext
stammt aus der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. Die Keilschrift setzt sich (1) aus dem Wortzeichen (=
Ideogramm), aus (2) lautlichen Zeichen und (3) aus Determinativen zusammen. Das Wortzeichen kann in
verschiedenen Sprachen gleich geschrieben, aber jeweils anders gesprochen werden. Kombiniert wurden
diese Ideogramme mit Lautzeichen. Lautliche Zeichen stellen Silben mit Vokalen dar, entweder in der
Kombination ?Konsonant und Vokal? oder ?Konsonant, Vokal, Konsonant?. Determinative definieren das
Bedeutungsfeld, z.B. Mann, Frau, Gott, Stadt, Land, Baum, Metall etc. Ein senkrechter Keil steht für einen
männlichen Personennamen oder für ein männliches Tätigkeitsfeld, eine Vulva für einen weiblichen
Personennamen oder ein weibliches Tätigkeitsfeld, ein Stern für einen Gott. Auf Kreta war um 2000 v. Chr.
eine hieroglyphisch-piktographische Schrift in Gebrauch, die auf Siegeln zu finden ist und heute weder
phonetisch lesbar noch inhaltlich verständlich ist. In der Zeit zwischen 1650 und 1450 entstand eine neue
Schrift, die Linear A-Schrift und die daraus abgeleitete Linear B-Schrift. Unterschieden wird bei der Linear
A-Schrift zwischen Linearzeichen, zusammengesetzten Ligaturen und metrischen Zahlzeichen. Die
Linearzeichen werden unterschieden in Zeichen, die als Lautzeichen gelesen werden, und solchen, die nur
einen ideographischen Wert wiedergaben. Auch die Linear B-Schrift besteht aus Silbenzeichen,
Ideogrammen und Zahlzeichen; hinzu kommen Maß- und Gewichtseinheiten. Ideogramme beziehen sich auf
Personen, Tiere, landwirtschaftliche Produkte, Gegenstände wie Waffen und Werkzeuge. Silbenzeichen
kombinieren Vokal und Konsonant; allerdings werden silbenschließende Konsonanten nicht geschrieben;
auch sind die Silbenzeichen in Bezug auf ihre Lautwiedergabe mehrdeutig. Die Linear B-Schrift wurde in
den 1950er Jahren entziffert; für die Linear A-Schrift liegt noch keine gesicherte Lesart vor. Diese Linear
B-Schrift stand im Dienst der Buchhaltung und nicht im Dienst des gesprochenen Wortes wie die spätere
Alphabetschrift, deren Vorteil es ist, dass sie mit weniger Zeichen auskommt. Anstelle von 91 Silben wie
die Linear B-Schrift benötigte die phoinikische Alphabetschrift, die sich im arabischen und indischen Raum
verbreitete und im 8. Jahrhundert v. Chr. von Griechen übernommen wurde, nur 22 Buchstaben. Die ältesten
Zeugnisse der griechischen Alphabetschrift stammen aus Naxos, Ischia, Athen und Euboia und gehören in
die Zeit um 770/740 v. Chr. Auch die phoinikische Schrift war ursprünglich eine Konsonantenschrift, die für
alle Silben mit denselben Konsonanten, aber verschiedenen Vokalen nur ein Zeichen besaß. Die Griechen
und später auch die Phoiniker fügten Vokalzeichen hinzu, die zwischen die Konsonantenzeichen gesetzt
wurden; im Hebräischen und Aramäischen werden die Vokale durch besondere Zeichen über und unter den
Konsonanten angezeigt. Im Prinzip ermöglicht die griechische Buchstabenschrift, die sowohl Konsonant als
auch Vokal verschriftet, eine lautgetreue Wiedergabe des Gesprochenen.
Das minoische Kreta
In der mittelminoischen Phase (2000-1600) entstanden in Knossos, Phaistos, Mallia usw. größere
Gebäudekomplexe, die um einen Zentralhof angelegt wurden. Sie wurden von den Ausgräbern ursprünglich
als Paläste, heute auch als Tempelanlagen gedeutet. Sie enthielten Vorrats-, Kult- und Wohnräume sowie
Werkstätten für Ton- und Metallarbeiten. Der archäologische Befund zur spätminoischen Zeit (um 1450) läßt
eine dominierende Rolle von Knossos erkennen. Nach der mythischen Überlieferung der Griechen war der
Palast von Knossos der Aufenthaltsort des Minotauros, eines Mischwesens, halb Mensch ? halb Stier, das
von der Gemahlin des Minos, Pasiphaë, geboren wurde. Minos selbst gilt als Sohn des Göttervaters Zeus und
der phönikischen Königstochter Europa, der Zeus in der Gestalt eines Stieres nachstellte. Europa floh nach
Hochkulturen und Schriftentstehung
2
Epochen_der_Antike
Kreta und gebar dort neben Minos zwei weitere Söhne, Rhadamanthys und Sarpedon, die der Sage nach in
Phaistos und Mallia bzw. Lykien herrschten. Stierdarstellungen auf Wandmalereien und Funde von
Tieridolen in den Kulträumen der Paläste bestätigen einen Stierkult; die Verehrung des Zeus als Göttervater
ist indes eine nachminoische Entwicklung. Funde von Kultidolen sowie Abbildungen auf Fresken und
Siegel(ringen) weisen auf eine Dominanz weiblicher Gottheiten hin; auf den Linear B- Schrifttafeln halten
sich weibliche und männliche Gottheiten die Waage. Aufgrund von Darstellungen auf Siegeln und Fresken
geht die archäologische Forschung heute davon aus, daß in dem sogenannten ?Thronraum? von Knossos
Kulthandlungen vorgenommen wurden, die um die Epiphanie einer Göttin kreisten.
Das mykenische Griechenland
Ab 1600 entwickelte sich auf dem griechischen Festland die nach dem Fundort Mykene benannte
mykenische Kultur. Die Forschungsrichtung, die sich mit den schriftlichen Hinterlassenschaften dieser
Kultur beschäftigt, nennt sich Mykenologie. Kennzeichnend für die frühe Zeit ist die Anlage größerer
Grabanlagen, der Schacht- und Kuppelgräber des 17. und 16. Jahrhunderts. Die Gräber waren zum Teil mit
reichen Grabbeigaben wie Goldschmuck, Bronzewaffen, aufwendig verarbeiteten Tongefäßen und
Bronzegerät ausgestattet und dokumentieren eine deutliche soziale Differenzierung. Erst ins 13. Jahrhundert
zu datieren sind die großen ?Burganlagen" u.a. von Mykene, Tiryns und Pylos auf der Peloponnes. Einige
unterscheiden sich von den kretischen Anlagen durch die Errichtung kyklopischer Mauern (vor allem Tiryns
und Mykene). Die sowohl auf dem Festland als auch auf Kreta im 13. Jahrhundert benutzte Linear B-Schrift,
die 1952 entziffert wurde, weist auf eine starke Ähnlichkeit in der administrativen Organisation hin. Die auf
Tontafeln eingeritzten Schriftzeichen geben eine frühe Form des Griechischen wieder und bieten vor allem
Einblick in die Organisation der ?Paläste? von Knossos und Pylos (Peloponnes) sowie neuerdings Theben,
aus deren Archiven der größte Teil der bekannten Texte stammen. Die Tontafeln enthalten lange Listen von
Gegenständen, Tieren und Personen, darunter Opfergaben an die Gottheiten, Textilien, Getreiderationen,
Waffen, Streitwagen, Schafe, Hirten, Textilarbeiterinnen, Schlüsselträgerinnen und Badeingießerinnen sowie
Priester und Priesterinnen. Rekonstruiert wurde daraus eine tendenziell hierarchische Gesellschaft mit
militärischen und kultischen Funktionsträgern, an deren Spitze vermutlich eine mit dem Titel ?wa-na-ka?
(griech. ánax) bezeichnete Person stand. Eine Aufgabe lag in der Organisation einer zentralen
Vorratshaltung, wobei ein Teil der gelagerten bäuerlichen Überschüsse für die Versorgung der Handwerker
und Textilarbeiterinnen verwendet wurde, deren Erzeugnisse für die Organisation eines überregionalen
Ressourcentausches (zur Erlangung von Metallen wie Kupfer und Zinn zur Herstellung von Bronze) genutzt
worden sein wird. Auch weisen Herkunftsbezeichnungen darauf hin, daß nicht nur die einheimische
Bevölkerung zu Arbeitsdiensten und Abgaben verpflichtet waren, sondern auch Fremde aus dem
kleinasiatischen Milet oder anderen Regionen als ?Sklaven? für den ?Palast? Dienste leisteten. Über die
sozialen Verhältnisse in den Dörfern ist wenig bekannt. Aus der Inschrift von Gortyn, einer kretischen
Gesetzessammlung aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert, die zu den umfangreichsten ihrer Zeit gehört,
werden zum Teil Rückschlüsse auf die minoische Zeit gezogen. Die Inschrift enthält vor allem Aussagen zu
erb- und eherechtlichen Fragen, aus denen die Wichtigkeit verwandtschaftlicher Beziehungen und eine starke
wirtschaftliche Autonomie der kretischen Frau gegenüber ihrem Ehemann hervorgehen.
Der Übergang von der subminoisch-mykenischen zur geometrischen
Epoche
Um 1200 kam es zu einem Verfall der Palastkultur auf dem Festland (auf Kreta vermutlich schon früher).
Archäologisch faßbar ist der Niedergang in Brandzerstörungen, in der Auflassung von Siedlungen und im
Das minoische Kreta
3
Epochen_der_Antike
Verschwinden des Schriftgebrauchs. Als Ursache kommen endoge wie exogene Faktoren in Frage.
Archäologisch nachgewiesen sind Zerstörungen infolge von Erdbeben. Kriegerische Auseinandersetzungen
mit den ?Seevölkern?, die in ägyptischen Quellen erwähnt werden, können ebenfalls zu den Zerstörungen
beigetragen haben. Als endogene Faktoren gelten innergesellschaftliche Konflikte um die Verwendung von
Abgaben oder um die als drückend empfunden Verpflichtungen zu Arbeitsleistungen. Aufgrund der relativen
Fundarmut und des Fehlens von schriftlichen Zeugnissen wird die Zeit zwischen dem Ende der mykenischen
?Paläste? und der Entwicklung der griechischen Poliskultur auch als die Dunklen Jahrhunderte (?Dark
Ages?) bezeichnet. Goldfunde in dem Heroengrab von Lefkandi auf der Insel Euboia, das ins 11.
Jahrhundert datiert wird, relativieren allerdings die früher angenommene Verarmung der materiellen Kultur.
Auch deutet sich eine stärkere Orientierung der Austauschbeziehungen in Richtung der italischen Halbinsel
mit seinen reichen Eisenerzvorkommen an, so daß auch die Abkehr vom Bronzegebrauch und die
Hinwendung zum Eisengebrauch zu den Veränderungen im Herrschaftssystem beigetragen haben kann. Die
materiellen Zeugnisse zeigen vor allem Veränderungen im Bereich der Keramikproduktion, der
Metallverarbeitung und der Architektur. Eisengefäße und Geräte lösen langsam Gegenstände aus Bronze ab.
Andere Handwerksarbeiten wie die Steinschneiderei, die elaborierte Goldschmiedekunst oder
Ingenieurleistungen wie Brücken- und Dammbauten existierten dagegen nicht mehr. In der Vasenmalerei
treten an die Stelle floraler Muster nunmehr geometrische Muster. Von daher sprechen Archäologen für die
Dauer der Verbreitung dieser Stilrichtung von einer geometrischen Epoche (1000-700 v. Chr.).
Die griechische Poliskultur
In Ostgriechenland und auf der Peloponnes kam es im ersten vorchristlichen Jahrtausend zur
Herausbildungen von politischen Gebilden - (sg.) pólis bzw. (pl) ?póleis? genannt -, die im Deutschen als
?Stadtstaaten? bezeichnet werden. Die Polisbildung ist gleichbedeutend mit der Entwicklung einer
institutionalisierten Sphäre des Politischen, die sich in der Entfaltung eines dauerhaften Ämterwesens und
kontinuierlich tagender Gremien wie Volksversammlung, Rat, Volksgerichte etc. an einem zentralen Ort
manifestiert. Archäologisch faßbar ist dieser Vorgang zunächst in der Anlage von Heroengräbern und
Tempeln an Wegen und in Randzonen der Siedlungsgebiete bzw. an Kreuzungspunkten von Wegen, wo
größere Siedlungen entstanden, die sich zu kultischen und politischen Zentren einer Region entwickelten. Im
Verlauf des 6. und 5. Jahrhunderts kam es hier zum Bau von Brunnenhäusern, Versammlungsgebäuden,
Sportkampfstätten und Theaterbauten. Vom Stadtbild ausgehend konnte daher der griechische
Reiseschriftsteller Pausanias die Polis als einen Ort definieren, der mit einem Versammlungsplatz, einer
agorá, einem Theater, einem Brunnenhaus, einer Sportkampfstätte, einem gymnasion, und Amtsgebäuden
ausgestattet ist. Für die Region Attika besaß Athen seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. diese Zentralortfunktion;
in Lakonien erlangte die Stadt Sparta diese Rolle, ohne jedoch je eine bauliche Ausgestaltung wie Athen zu
erfahren. In manchen Regionen ? so in der Argolis auf der Peloponnes und im mittelgriechischen Boiotien stritten über Jahrhunderte mehrere Siedlungen um diese Rolle. Im Westen Griechenlands kam es nie zur
Herausbildung von Poleis, sondern nur zur Bildung loser (Kult-)Verbände, die éthnos (pl. éthnê) genannt
wurden. Im antiken Sprachgebrauch bezeichnet pólis jedoch nicht nur den mit diesen Bauten ausgestatteten
Zentralort, die ásty (?Burg?, ?Stadt?), sondern auch das agrarische Umland, die chôra. Organisatorisch
bestanden diese Poleis aus einzelnen Hauswesen (sg. oîkos, pl. oîkoi), aus verschiedenen Typen von
Mahlgemeinschaften sowie aus Verbänden mit militärischen Funktionen. Kennzeichnend für die
Entwicklung der athenischen Polis ist die Integration weiter Teile der Bewohner Attikas in die Prozesse der
politischen Entscheidungsfindung, die allerdings auf den Kreis der waffentragenden Männer beschränkt
blieb. Über die Ausübung von Kulthandlungen, die der Schaffung eines politischen Zusammenhalts dienten,
besaßen Frauen eine Art Kultbürgerschaft. In anderen Poleis wie z.B. in Sparta war die politische
Partizipation auf eine kleine Elite beschränkt.
Die griechische Poliskultur
4
Epochen_der_Antike
Die frühgriechische Dichtung
In die Zeit um 1200/1183 v. Chr. gehört nach antiker Datierung der Trojanische Krieg, der in den Epen
Homers besungen wurde. Es handelt sich um einen Feldzug der Griechen, in den Epen ?Achaier?, ?Danaer?
und ?Argeier? genannt, der unter der Führung von Agamemnon, des Herrschers von Mykene, gegen das an
den Dardanellen am Eingang zum Schwarzen Meer gelegene Troja erfolgte. Nach antiker Überlieferung
zielte der Feldzug auf die Wiedergewinnung der schönen Helena, die ihren Gatten Menelaos, Bruder des
Agamemnon, verlassen bzw. von dem Trojaner Paris geraubt worden war. Die Epen wurden nach einer
Phase der mündlichen Überlieferung vermutlich um 750/700 aufgezeichnet; manche Forscher vermuten eine
endgültige Verschriftlichung erst im 6. oder sogar erst im 4. Jahrhundert v. Chr. Trotz bewußter
Archaisierungstendenzen in der materiellen Kultur - bronzene Waffen, Streitwagen etc. - wird heute davon
ausgegangen, daß die Epen hauptsächlich die Lebensverhältnisse des 8. Jahrhunderts wiedergeben. Gestritten
wird in der Forschung, ob die Gesänge von einem Dichter mit dem Namen Homer verfaßt wurden, dessen
Heimat im ionischen Kleinasien lag, oder ob mehrere Dichter am Werk waren. Verbreitet wurden die Epen
zunächst durch fahrende Sänger; im 6. Jahrhundert wurde in Athen eine öffentliche Rezitation der Epen im
Rahmen der Panathenaien, des Festes zu Ehren der Stadtgöttin Athena, eingeführt. Durch die gesamte Antike
galt Homer als Vater aller Bildung. Für die Griechen galt Homer zudem als Schöpfer der Olympischen
Götterfamilie, die eine Vereinheitlichung und Zusammenfassung verschiedener Lokaltraditionen darstellt.
Den einzelnen Göttern wurden dabei bestimmte Lebensbereiche wie Krieg (Ares), Liebe (Aphrodite),
Herrschaft (Zeus), Ehe (Hera), Handwerk und Kunst (Athena) usw. zugeordnet. Vom Werden der Götterwelt
berichtet Hesiods Dichtung ?Theogonie?, die etwa zur gleichen Zeit, um 700, entstand. Während die Epen
vor allem von den kriegerischen Taten berichten, tritt in einem anderen Werk des Hesiod, seinem
Lehrgedicht Érga kaì H?mérai (Werke und Tage), die bäuerliche Arbeitswelt ins Blickfeld. Auf die Zeit der
Epen folgt das Lyrische Zeitalter mit den Werken der Sappho und der Korinna, des Alkaios, Semonides,
des Bakchylides oder des Pindar(os). Der Vortrag lyrischer Gesänge gehörte im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr.
zum Ablauf von Trinkgelagen (Symposien) sowie kultischer Feste. An den Festen traten sowohl Frauen- als
auch Männerchöre auf. Aus einem Wechselgesang von Chor und Einzelsänger anläßlich des Dionysosfestes
entwickelte sich im 5. Jahrhundert die griechische Tragödie (wörtlich: ?Bocksgesang?); als Kunst der
Musen, mousik? téchn?, lebten Gesang und Tanz als Unterrichtsfach im griechischen Erziehungswesen
weiter.
Die ?Kolonisationszeit?
Das Verbreitungsgebiet der Griechen bildete nicht nur das griechische Festland mit den ägäischen und
westionischen Inseln, sondern auch die kleinasiatische Küste mit den Städten Milet, Ephesos oder
Halikarnassos. Die Ansiedlung der Griechen an der Küste Kleinasiens, auch als Ionische Kolonisation
bezeichnet, liegt im Dunkeln, reicht aber ? nach archäologischen Funden zu urteilen ? bereits in die
mykenische Zeit zurück. Von diesen Städten ausgehend, deren Bewohner einen ionisch-aiolischen Dialekt
sprachen, erfolgte im 5. Jahrhundert die Gründung von ?Pflanzstädten? (Apoikien) an der Küste der
Schwarzen Meeres. Von den ionischen Städten ging im 6. Jahrhundert die Verbreitung der Ionischen
Naturphilosophie aus, die einen ersten Bruch mit dem bis dahin geltenden Glauben an Götter andeutet. Für
die Entstehung des Kosmos wurden nicht mehr Gottheiten, sondern natürliche Stoffe wie Wasser (Thales)
oder Feuer und Luft (Anaximander) verantwortlich gemacht. In der Philosophiegeschichte gelten die
ionischen Philosophen daher als erste ?Rationalisten?. Zu ihren Hilfsmitteln gehörten geometrische und
astronomische Berechnungen, die von den Arabern tradiert und weiterentwickelt wurden, ehe sie in der
frühen Neuzeit in den Wissensschatz europäischer Gelehrter gelangten. In das 8. Jahrhundert fällt auch der
Beginn der sogenannten westgriechischen Kolonisation. Sie ist Ausdruck einer Verstärkung der
Austauschbeziehungen zwischen Griechen und Bewohnern des westlichen Mittelmeerraumes, die ebenfalls
bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen. Die älteste Siedlung (775 Pithekussai) entstand im
Die frühgriechische Dichtung
5
Epochen_der_Antike
Einflussbereich der etruskischen Kultur in Norditalien, die seit der Entdeckung reicher Eisenerzvorkommen
auf Elba einen kulturellen Aufschwung nahm. Im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte erfolgten weitere
Ansiedlungen in Süditalien und Sizilien, die man sich trotz der Überlieferung von fixen Gründungsdaten
(735 Naxos, 723 Syrakus, 700 Tarent usw.) als einen wenig gesteuerten, langsamen Prozeß der Assimilation
und Akkulturation vorstellen muß. Im Gegensatz zu den multiethnischen Handelsniederlassungen
(Emporion), wie sie um 800 in Syrien (Al Mina) und um 610 in Ägypten (Naukratis) entstanden,
entwickelten sich die ursprünglich ebenfalls multiethnisch geprägten italischen Niederlassungen allerdings
im Laufe der Zeit zu politisch selbständige Einheiten, die den Kontakt mit den anderen griechischen Städten
über den gemeinsamen Besuch von panhellenischen Spielen (vor allem Olympia) und über die Verbindung
zum Delphischen Orakel pflegten, das seit dem 6. Jahrhundert zu einer gemeingriechischen Kultstätte
herangewachsen war. Die dort ansässige Priesterschaft griff mit der Vermittlung eines Orakelspruchs aus
dem Munde der Apollonpriesterin, der Pythia, vor allem in die späteren Kolonisationsbewegungen des 5.
Jahrhunderts lenkend ein. Aufgrund der Einflüsse auf Keramikstil oder Sprachgewohnheiten (z.B.
Übernahme semitischer Lehnwörter) spricht man für die Zeit zwischen 750 und 650 auch von einer
Orientalisierenden Periode. Zu Kristallisationspunkten der Begegnung von Griechen unterschiedlicher
Herkunft entwickelten sich im 6. Jahrhundert v. Chr. die panhellenischen Spiele, die auf der Halbinsel
Peloponnes in Olympia, Nemea und am Isthmos sowie im mittelgriechischen Delphi abgehalten wurden. Die
Spiele standen unter der Schirmherrschaft von Göttern und Heroen und umfassten neben Opfermählern zu
Ehren der Götter sportliche und musische Wettkämpfe (agónes), an denen vorwiegend Jungen und
erwachsene Männer teilnahmen. Ein Sieg brachte in der Heimatstadt politisches Prestige und Ehrenämter ein.
Für junge Mädchen wurden in Olympia zu Ehren der Göttin Hera die Heraien abgehalten, in deren
Mittelpunkt Wettläufe und die Weihung eines Gewandes für die Göttin standen. Unter den Olympischen
Siegern von Wagenrennen befinden sich aber auch einige (königliche) Frauen aus Sparta und dem
hellenistischen Alexandria. Aus der römischen Kaiserzeit sind Mädchenspiele auch in Nemea und Isthmia
inschriftlich überliefert. Gleichzeitig besaßen diese Festspielorte auch Marktfunktion und dienten als
Umschlagplatz von überregionalen Gütern, zumal Olympia und Delphi von den unteritalischen und
sizilischen Städten aus per Schiff erreichbar war. In den dort errichteten Tempeln wurden zudem politische
Vereinbarungen (?Friedensverträge?) aufbewahrt, die zwischen den einzelnen Städten getroffen worden
waren. In eigens errichteten Schatzhäusern wurden die Weihgaben an die Götter aufbewahrt, die zum Teil
aus der Kriegsbeute stammten und daher von der militärischen Kraft der einzelnen Städte Zeugnis ablegten.
Aufgrund der dort versammelten Reichtümer gerieten die Festspielorte zum Zankapfel benachbarter Städte,
die um die Oberaufsicht über die Spiele stritten. Im Streit über Olympia gewannen im 5. Jahrhundert die
Eleier die Oberhand; die ursprünglich phokische Kultsiedlung Delphi geriet unter den Einfluß des
Bündnisses der Amphiktyonen, der nördlichen Anrainer der Region Phokis, von dem die Phoker
ausgeschlossen blieben.
Spartas politische und soziale Ordnung
Archäologische Funde aus dem 9. Jh. v. Chr. im Bereich des Heiligtums der Artemis Orthia, der Schutzgöttin
der Jugend, bilden die ersten Anhaltspunkte für eine Gründung Spartas (wörtlich: ?die Gesäte?, ?die
Verstreute?) in der Eurotasebene in Lakonien. Aus mykenischer Zeit stammt die Siedlung Amyklai, die nur
wenige Kilometer südlich von Sparta liegt und am Ende des 8. Jahrhunderts von Sparta erobert wurde. Die in
offiziellen Dokumenten benutzte Selbstbezeichnung ?Lakedaimônioi? schloß auch die Bewohner anderer
Siedlungen Lakoniens ein. Bekannt ist die Bezeichnung auch aus den homerischen Epen, wo Lakedaimon
das Herrschaftsgebiet des Menelaos meint. Dieser hatte zusammen mit Helena in der Nähe Spartas ein
Heiligtum. Aus Amyklai stammt der Kult des Apollon Hyakinthos, der neben der Göttin Artemis zu den
wichtigsten Gottheiten Spartas gehörte. Die Spartaner legitimierten im 5. Jahrhundert ihre dominante Rolle
mit der Sage von der Rückkehr der Herakliden. Ihr zufolge wurde der griechische Held Herakles von dem
mykenischen König Eurystheus von der Peloponnes vertrieben. Die Söhne des Herakles kehrten jedoch
Die ?Kolonisationszeit?
6
Epochen_der_Antike
zurück und teilten nach der Eroberung einen Großteil der Peloponnes, die Argolis, Lakonien und Messenien,
unter sich auf. Die Aufteilung spiegelt die drei großen Machtblöcke der Peloponnes, wie sie in klassischer
Zeit (5. Jh.) bestanden. Das Vollbürgerrecht besaßen nur die männlichen Bewohner Spartas, die Spartiaten,
die eine Art Kriegerkaste darstellten. Gemeinsam durchliefen sie die ag?g?, ein nach Altersklassen
gegliedertes Erziehungssystem, nahmen als erwachsene Krieger an gemeinsamen Mahlzeiten (Syssitien) teil
und befanden sich im Besitz eines ererbten Landloses (klâros), das von der unfreien Bevölkerung Lakoniens,
den Heloten, bearbeitet wurde. In Kriegszeiten konnten die Heloten, die von manchen auch als Staatssklaven
bezeichnet werden, zum Dienst als Waffenträger herangezogen werden. Eine dritte Bevölkerungsgruppe
Lakoniens bildeten die Perioiken (?Umherwohnende"), die zwar Kriegsdienste leisteten, aber eigenes Land
besaßen und persönlich frei waren. Gemeinsam mit den Spartiaten trugen sie die Herkunftsbezeichnung
lakedaimónios (lakedaimonisch).
Spätestens seit dem 6. Jahrhundert bildete sich in Sparta die politische und soziale Ordnung heraus, wie sie
nach der Großen Rhetra (=?Spruch", ?Verabredung?) des mythischen Gesetzgebers Lykurg(os) überliefert
ist. Neben Gerusia (?Ältestenrat") und Apella (?Volksversammlung?) ? beides typische Institutionen
frühgriechischer Gemeinwesen ? trat in Sparta die Doppelherrschaft zweier Archagetai (?Heerführer?,
?Könige?), deren Amt erblich war. Alle drei Institutionen teilten sich bestimmte Aspekte der
Rechtsprechung. Die Geronten bestimmten über Todesurteile und Ausweisungen, die Archageten waren für
Adoptionen und Wegerechte zuständig; bei Thronstreitigkeiten fungierte die Apella als Gerichtshof. Von der
Volksversammlung wurden auch die Geronten gewählt; wählbar waren Spartiaten ab dem 60. Lebensjahr.
Das königliche Amt war mit einer Reihe von kultischen und wirtschaftlichen Privilegien ausgestattet. Dazu
gehörten Priesterämter, Ehrenplätze bei Festen, eine doppelte Portion bei den gemeinsamen Mahlzeiten, das
Recht, Gesandte zum Delphischen Orakel zu schicken, und Landbesitz im Perioikenland. Um 555 (1.
Ephorat des Chilon) kam die Institution des Ephorats hinzu, die auch auf Kreta belegt ist und die
möglicherweise auf ältere religiöse Gebräuche zurückgeht. Es handelt sich um ein Kollegium von fünf
Ephoren (?Aufsehern") ? auf Kreta hießen sie Kósmoi (?Wahrer des kósmos" = Ordnung) ?, dessen Aufgabe
darin lag, die Einhaltung des Gewohnheitsrechts zu überwachen, den Vorsitz in der Volksversammlung zu
übernehmen und die Sterne zu beobachten und zu deuten. Vor allem oblag den Ephoren die Kontrolle der
Könige, die bei militärischen Misserfolgen ihres Amtes enthoben werden konnten. ? Auf Maßnahmen des
Lykurg wurden in der Antike auch soziale Einrichtungen wie das spartanische Erziehungssystem oder die
spartanischen Heiratsformen zurückgeführt. In Sparta heirateten alle jungen Leute eines Jahrgangs zum
gleichen Zeitpunkt, wenn ihre Erziehung abgeschlossen war. Auch nach der Heirat verblieb der Mann im
Kreis seiner Altersgenossen, während die Frau als déspoina (?Herrin") des Landgutes tätig war. Erst im 4.
Jahrhundert begannen die Spartaner, sich vermehrt auf ihre Landgüter zurückzuziehen.
Die Unterwerfung Messeniens
Um 740-720 v. Chr. und erneut um 650 v. Chr. kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den
Bewohnern Messeniens im Westen der Peloponnes, die als Messenische Kriege überliefert sind, obwohl ein
Bewußtsein von einer messenischen Identität nicht vor dem 5. Jh. v. Chr. nachgewiesen werden kann. Der 1.
Messenische Krieg fand unter Führung des Spartanerkönigs Theopompos statt und hatte die Helotisierung
der messenischen Bevölkerung zur Folge. Aufgrund siedlungsarchäologischer Forschungen kann vermutet
werden, daß die dörfliche Selbstorganisation erhalten blieb, aber die bäuerlichen Überschüsse an Sparta
abgeliefert wurden. Trotz mehrerer Aufstände gelang es Sparta, die messenische Bevölkerung bis 371 in
Abhängigkeit zu halten. Die Kriegserfolge wurden in den Liedern des Tyrtaios besungen, dessen Darstellung
auch als erster Beleg für die Einführung einer neuen Kampfestechnik, der Hoplitenphalanx, gilt. Die dicht
geschlossene Reihe (=phálanx) der mit einem Schild geschützten Krieger trat nunmehr an die Stelle des
Einzelkämpfers, der bis zu diesem Zeitpunkt im Zweikampf mit dem Gegner den Ausgang der
Kampfhandlungen bestimmte. Die neue Kampfesweise setzte sich in Griechenland bis etwa 600 überall
Spartas politische und soziale Ordnung
7
Epochen_der_Antike
durch und bildete die Grundlage für politische Umgestaltungen in den einzelnen Poleis der Griechen. In
Sparta trug sie die Gemeinschaft der hómoioi (?Gleichen"), wie sich die Spartiaten nannten, die nicht nur den
Kampf, sondern auch den Alltag miteinander teilten. Mit dem Krieg gegen die arkadische Stadt Tegea
(560-550), die im 2. Messenischen Krieg auf Seiten der Messenier gestanden hatte, setzte die spartanische
Bündnispolitik ein, die schließlich in die Errichtung des Peloponnesischen Bundes mündete. Den Tegeaten
wurden weitere Hilfeleistungen für die Messenier untersagt. Der Peloponnesische Bund war ein
militärisches Schutzbündnis, das die Mitglieder in der Kriegführung an den Willen Spartas band.
Kriegerische Auseinandersetzungen mit Argos unter der Herrschaft des Spartanerkönigs Kleomenes in der
Zeit zwischen 520-490 sicherten den Spartanern für eine Generation die Neutralität von Argos in den
Auseinandersetzungen mit anderen Stadtstaaten.
Athens politische Entwicklung in archaisch-klassischer Zeit
Bis auf das Jahr 683 v. Chr. reicht die Archontenliste, auf der die zunächst auf Lebenszeit, später auf zehn
bzw. ein Jahr gewählten ?Ersten" Athens verzeichnet waren. Die Liste ist eine Rekonstruktion aus späterer
Zeit (4. Jh.). Überliefert ist ein dreiköpfiges Kollegium, bestehend aus einem Arch?n basileús, einem Arch?n
ep?nymos und einem Polémarchos, das im Laufe der Zeit um sechs Thesmotheten erweitert wurde. Alle neun
Archonten erfüllten rechtliche Funktionen. Hinzu kamen kultische und militärische Pflichten. Der Basileus,
der den alten Königstitel trug, war vor allem für die Durchführung religiöser Feste zuständig. Bei
Blutgerichtsfällen übernahm er den Vorsitz. Der Polemarch (?Anführer im Krieg") empfing auswärtige
Gesandte und hatte die militärische Oberaufsicht. Der Arch?n ep?nymos (?der, der dem Jahr den Namen
gibt"), war mit Fragen des Landbesitzes und des Erbrechts befaßt. Die Thesmotheten überwachten die
Gesetze. Die ehemaligen Archonten bildeten einen Rat, der nach dem Tagungsort auf dem Ares-Hügel
?Areopag? genannt wurde und vor allem als Gerichtshof fungierte. Die Archonten wurden aus den Phylen,
den organisatorischen Grundeinheiten, in die die männliche Bürgerschaft Athens eingeteilt war, erwählt. Ab
487 wurden sie aus einem Kreis erwählter Kandidaten erlost. Obwohl die Archontenliste die Geschichte
Athens im 7. Jahrhundert beginnen Iäßt, reicht die tatsächliche Siedlungsgeschichte der Stadt nach
archäologischen Zeugnissen vor allem auf der Akropolis bis weit in die mykenische Zeit zurück. Die
Einführung des Archontenamtes markiert von daher nur die Anfänge einer neuen politischen
Organisationsform, der Polis. Entgegen den Spartanern betrachteten sich die Athener als autochthon, d.h. aus
der attischen Erde geboren. Der mythischen Überlieferung zufolge stammten sie von dem
schlangengestaltigen Erichthonios ab, einem Zögling der Stadtgöttin Athena. Beide besaßen auf der
Akropolis ein Heiligtum.
Drakons Gesetze aus der Zeit um 621/4 v. Chr. stehen am Anfang einer schriftlichen Kodifizierung des
Rechts in Athen. Über den Inhalt ist ? abgesehen von ihrer sprichwörtlichen Härte ? kaum etwas bekannt. Sie
regelten die Blutgerichtsbarkeit. Die Darstellung über das Wirken Drakons gehört in den Zusammenhang
mythischer Überlieferungen über die Festsetzung von Rechtsnormen durch große Gesetzgeber, wie wir sie
auch aus Sparta (Lykurg) kennen. Ein kohärentes System, eine Kodifikation aller bestehenden Rechtsregeln
impliziert diese Verschriftlichung des Rechts nicht. Gesetze behandelten stets nur Einzelaspekte des
Erbrechts, des Strafrechts oder des Vertragsrechts. Auch wurde oft nicht die Regel behandelt, sondern der
Verstoß und die Ahndung. Die Fixierung des Rechts ist die Folge der Zentrumsbildung und geht einher mit
einer Entpersonalisierung, Verstetigung, Zentralisierung und Institutionalisierung von Macht. Autor von
Gesetzen sind stets abstrakte Organe: Rats- und Beschlussorgane, die feste Verfahrensregeln entwickeln. Die
Verschriftlichung der Gesetze diente weniger der Rechtssicherheit als vielmehr der Zurschaustellung der
Autorität der Polis. Erst am Ende des Vorgangs der Verschriftlichung von Recht wird der idealtypische
Gesetzgeber ?erfunden?, der Nomothet, dem alle schriftlich fixierten Gesetze zugeschrieben werden. Diese
Rolle nimmt in Athen Solon ein.
Die Unterwerfung Messeniens
8
Epochen_der_Antike
Die gesetzgeberischen Maßnahmen um die Wende des 6. Jahrhunderts v. Chr., die als Solonische Reformen
überliefert sind, galten in den Augen der Philosophen des 4. Jahrhunderts als Beginn der demokratischen
Entwicklung. Solons Reformen betrafen die Aufhebung der Schuldknechtschaft, die Einführung des
timokratischen Prinzips (d.h. die Staffelung politischer Rechte nach Vermögensklassen) und die Einrichtung
eines weiteren Rates, der Boulê, die aus vierhundert Mitgliedern bestand. Ähnlich wie Lykurg wurden auch
Solon einige Eingriffe in soziale Belange wie das Ehe- und Erbrecht zugeschrieben, so z.B. die
Einschränkung von Brautgeschenken oder von Grabaufwand. In diesen Zusammenhang gehört auch die
Einführung der graph?, d.h. der Erhebung einer Klage für einen anderen z.B. im Fall von Ehebruch oder
Vergewaltigung. Verhandelt wurden diese Fälle vor der Heliaia (Gerichtshof), die als Gegengewicht zum
Areopag gebildet wurde und vermutlich aus Mitgliedern der Volksversammlung bestand. Die Gesetze waren
auf den Seitenflächen hölzerner Vierkantpfeiler aufgeschrieben, die später durch Abschriften auf Papyrus
ersetzt wurden, aus denen zahlreiche antike Historiker zitiert haben. Allerdings ist umstritten, wann die
einzelnen ?Gesetze? tatsächlich eingeführt wurden. Ein Großteil der Gesetze wird heute ins 5. Jh. v. Chr.
datiert und in Verbindung mit den Reformen des Ephialtes gebracht. Kommentiert wurden die Maßnahmen
von Solon selbst, dessen Gedichte um den Gegensatz von Eunomia (?gute Ordnung") und Dysnomia
(?schlechte Ordnung") kreisen.
561-510 v. Chr. Tyrannis der Peisistratiden Der Polisbildungsprozeß geht einher mit Konflikten regionaler
Anführer um Prestige und Macht, der im 7. und 6. Jahrhundert in zahlreichen Poleis in die Errichtung einer
dauerhafte Vormachtstellung (Tyrannis) mündete. Dies gelang unter Rückgriff auf auswärtige
Bündnispartner, die mittels Heiratsallianzen und Gastfreundschaftsbeziehungen gewonnen wurden.
Berühmte Tyrannen waren Pariandros von Korinth, Peisistratos und seine Söhne in Athen und Polykrates
von Samos. Im Rückgriff auf die homerische Herrschaftspraxis der Freigebigkeit bei gleichzeitiger
Einführung einer Bodenertragssteuer konnte in Athen Peisistratos seine Stellung sichern und die Zustimmung
weiter Teile der Bürgerschaft gewinnen. In der Zeit der Tyrannis fallen eine Reihe von Baumaßnahmen, die
der Herausbildung von Athen als kultischem Zentrum der Region Attika Rechnung trugen: ein Brunnenhaus
zur Versorgung der Festbesucher und ein Zwölfgötteralter auf der Agora, der als Zentralmeilenstein
fungierte. Um 556 v. Chr. erfolgte die Stiftung der Großen Panathenaien (Fest der Stadtgöttin Athena); die
erste Tragödienaufführung fand 534 im Rahmen der Großen Dionysien, eines ursprünglich ländlichen Festes
zu Ehren des Weingottes Dionysos, statt.
508/7 v. Chr. Demenreform des Kleisthenes Mit der Neugliederung Attikas in 10 statt vorher 4 Phylen
(Grundeinheit der Organisation der Bürgerschaft), 30 Trittyen (?Drittel") und rund 139 Demen
(?Gemeinden") wurde die Rolle Athens als politisches Zentrum von Attika festgeschrieben, die Rekrutierung
von Hopliten formalisiert (d.h. ?entprivatisiert?) und damit ein größerer Kreis von Bürgern an der politischen
Entscheidungsfindung beteiligt. Die Ausübung Rechte wurde an die Zugehörigkeit zu einem Demos
geknüpft. Die Gemeinden entsandten jährlich eine bestimmte Anzahl von Personen (50 pro Phyle) in die
Boule (?Rat?), deren Mitgliederzahl unter Kleisthenes von 400 auf 500 erhöht wurde. Den Phylen selbst kam
militärische Bedeutung zu, da von ihnen jeweils eine Taxis (?Regiment") von ungefähr 900 Hopliten
aufgeboten werden musste. Mit der Einteilung in Trittyen wurde zugleich sichergestellt, dass in allen Phylen
die städtische Bevölkerung vertreten war, da sich die Phylen aus je 3 Trittyen zusammensetzen, in denen
jeweils Demen aus den Regionen ?Stadt?, ?Bergland? und ?Küste" vertreten waren. Noch im Zusammenhang
mit der Neuordnung des Kleisthenes wurden 501 v. Chr. zehn Strategen aufgestellt, die aus den zehn Phylen
erwählt wurden und an die Seite des Polemarchen, des obersten Kriegsherrn, traten. Das Amt des Strategos
wurde im Laufe des 5. Jahrhunderts zu einem der einflussreichsten Ämter, da es als einziges eine mehrfache
Wiederwahl nicht ausschloss. So übte der attische Politiker Perikles von 443 bis 429 dieses Jahresamt nahezu
ununterbrochen aus. Die um 507 oder um 487 erfolgte Einführung des Ostrakismos (?Scherbengericht?)
ermöglichte die Verbannung von einflussreichen Persönlichkeiten ohne Angabe von Gründen für die Dauer
von zehn Jahren. Die Abstimmung erfolgte mit Hilfe von Tonscherben, auf denen der Name des zu
Verbannenden verzeichnet werden musste. Scherben dieser Art wurden von den Archäologen in großer Zahl
im Zentrum Athens gefunden. Im gleichen Jahr (487) wurde die Loswahl für Archonten eingeführt.
Athens politische Entwicklung in archaisch-klassischer Zeit
9
Epochen_der_Antike
461 v. Chr. Reformen des Ephialtes: Prozesse gegen eine Reihe von Areopagiten (Mitglieder des Areopags)
wegen Missbrauch der Amtsführung leiteten eine Veränderung in der Verteilung rechtlicher Kompetenzen in
Athen ein. Die aus der Volksversammlung (ekkl?sía) hervorgegangenen Volksgerichte (dikast?ria) wurden
zu entscheidenden rechtlichen Instanzen. Beim Areopag blieb die Blutgerichtsbarkeit; politische Prozesse
(Staatsklagen) und Privatklagen wurden vor den Volksgerichten ausgetragen, deren Neuorganisation (=
Aufteilung der Solonischen Heliaia in einzelne Dikasterien) vermutlich Ephialtes zuzuschreiben ist. Diese
Veränderungen machten die Organe des Demos (?Volkes") zum politischen Zentrum.
458/7 v. Chr. Neben der Erweiterung des Archontats auf die Klasse der Zeugiten
(?Ochsengespannbesitzer") ? bis dahin hatten nur die beiden obersten Vermögensklassen Zutritt zum Amt
des Archonten ? erfolgte unter dem Einfluss des Perikles die Einführung von Tagegeldern für die
Wahrnehmung von Losfunktionen (z.B. boulê, Geschworenengerichte) und die Einrichtung einer
Theaterkasse (the?rikón), aus der die Besucher von Theateraufführungen einen Obolos erhielten.
Perserkriege und Bündnispolitik
In das zunächst über persönliche Gastfreundschaften, später auch über zwischenstaatliche Verträge geknüpfte
Netz außenpolitischer Beziehungen wurden gegen Ende des 6. Jahrhunderts zunehmend die Perser
einbezogen, die sich im Laufe des 6. Jahrhunderts von der iranischen Hochebene ausgehend der
Oberherrschaft über zahlreiche kleinasiatische Königreiche bemächtigt hatten. Zu diesen Beziehungen
gehörte vor allem auch der Verleih griechischer Hoplitenkämpfer, deren Entlohnung die Perser aus den an sie
abgeführten Tributen bestritten. Unter dem Perserkönig Dareios I. (521-485) wurde das auf ?freiwilligen?
Geschenken beruhende Abgabensystem durch ein strenges Tributsystem abgelöst, dem seit dem persischen
Zugriff auf das Lyderreich des Kroisos (547) auch die ionischen Städte der Griechen an der kleinasiatischen
Küste mit der Verpflichtung zu Abgaben und Heeresfolge unterworfen waren. Die Furcht vor einer
Ausdehnung des persischen Tributsystems, aber auch vor Usurpationsversuchen perserfreundlicher
Fraktionen innerhalb der griechischen Poleis einte einen Teil der Griechenstädte auf der Basis einer eigens
begründeten Schwurgenossenschaft 481 zum gemeinsamen Kampf gegen die Perser, als diese nach der
Niederschlagung des Ionischen Aufstandes (499-493) unter der Führung von Xerxes (486-465) zum zweiten
Mal nach Griechenland marschierten. Ein erster Feldzug gegen Athen und die euboiische Stadt Eretria ?
beide hatten die ionischen Städte militärisch unterstützt ? war 490 von den Athenern unter Führung des
Miltiades in der Ebene von Marathon zurückgeschlagen worden. Der Sieg des Feldherrn hatte in Athen ein
Erstarken der Fraktion der pro-persisch gesinnten Tyrannenfreunde verhindert, die sich von den Persern eine
Unterstützung ihrer Pläne zur Wiederherstellung der Peisistratidenherrschaft erhofft hatten. Nach
anfänglichen Misserfolgen am Thermopylenpaß gelang es den verbündeten Griechenstädten unter der
Führung der Spartaner im Verlauf des zweiten Feldzuges die Perser in mehreren Schlachten (480 Seeschlacht
bei Salamis, 479 Plataiai und Mykale) zum Rückzug zu bewegen. Gegen einige Griechenstädte, die mit den
Persern verbündet waren, wurden Sanktionen ergriffen (z.B. Theben). Die Erfolge der Athener in der
Seeschlacht bei Salamis begründeten den Ruhm der attischen Polis als Seemacht. Mit dem
Flottenbauprogramm des Themistokles (ab 483/2) wurde der Bau von Trieren (dreistöckigen Ruderschiffen)
vorangetrieben, auf denen vor allem Angehörige der untersten Vermögensklasse der Athener, die Theten,
aber auch Söldner Dienst taten. Die Finanzierung wurde durch den Abbau von Silber im Bergwerk von
Laureion ermöglicht, wo 483 eine neue Silbermine entdeckt worden war. Der Abbau des Silbers war an
reiche Athener verpachtet, die wiederum zahlreiche ? in den Kriegen erbeutete ? Sklaven für die Arbeit unter
Tage beschäftigten.
Verlauf und Hintergründe der Kriegsereignisse sind in mehreren Lógoi (?Erzählungen?) aufgezeichnet, die
nicht mehr in Versen, sondern in Prosa verfasst waren. Autor ist der Grieche Herodot (485-425), der im
kleinasiatischen Halikarnassos aufgewachsen war und als Vater der Geschichtsschreibung gilt. Die unter dem
Perserkriege und Bündnispolitik
10
Epochen_der_Antike
zentralen Thema der Perserkriege zusammengefassten lógoi basieren auf eigener ?Erkundung" (historía) des
Autors und enthalten nicht nur die Darstellung von Kriegsereignissen, sondern auch die Beschreibungen von
Sitten und Gebräuchen einzelner Völker, die in dem von Herodot dargestellten Geschehen eine Rolle
spielten. Insofern gilt Herodot nicht nur als Historiker, sondern auch als Ethnograph (Völkerkundler). Von
der Form der mythischen Überlieferung unterscheidet sich das Werk Herodots durch kritische Reflexion des
Wahrheitsgehaltes seiner Quellen.
477 v. Chr. Der Ausbau der Flotte sicherte Athen eine Vormachtstellung im Delisch-Attischen Seebund,
der unter der Schirmherrschaft der Athener als militärisches Schutzbündnis gegen die Perser gegründet
worden war und bis 404 existierte. Die Bündner zahlten Beiträge (phorá) in die Bundeskasse von Delos und
mussten in zunehmendem Maße Einschränkungen ihrer Selbständigkeit (autonomía) durch Athen hinnehmen
(z.B. Verlust von Teilen ihrer Münzhoheit, Besatzungen usw.). Ab 454/3 wurden auf der Akropolis von
Athen, wohin nunmehr die Bundeskasse verlagert worden war, an großen Säulen Aufzeichnungen über die
Weihegaben, welche die Städte als Bruchteil (1/60) ihres Bundesbeitrages an die Stadtgöttin Athens zu
errichten hatten, angebracht. Diese Aufzeichnungen (Tributquotenlisten) sind uns zum Teil erhalten.
Athens Sozialordnung
451 v. Chr. Die auf Heiratsbeziehungen beruhenden Verflechtungen zwischen Angehörigen einzelner Poleis,
insbesondere von Angehörigen der Gruppe der ?Aristoi", erfuhren mit dem attischen Bürgerrechtsgesetz von
451 insofern eine Einschränkung, als das Bürgerrecht an den Nachweis einer legitimen Abkunft sowohl von
einem attischen Vater als auch von einer attischen Mutter geknüpft wurde. Als legitim wurde ein Kind nur
anerkannt, wenn die Eheschließung (gámos) und die Geburt der Phratrie (?Bruderschaft") des Vaters
gemeldet worden war. Mit 18 Jahren wurden die männlichen Nachkommen in die Demenliste (siehe
Kleisthenes) des Vaters aufgenommen und erhielten das aktive Wahlrecht. Das passive Wahlrecht wurde erst
nach Ableistung des Militärdienstes ab dem 30. Lebensjahr gewährt. An die Stelle von Brautgaben des
Bräutigams an die Familie der Braut trat im 5. Jahrhundert die Mitgift des Brautvaters. Sie ging in das Erbe
der Söhne des Ehepaars ein und förderte die Tendenz reicher Familien, untereinander zu heiraten
(Endogamie). Brautgaben hingegen, die meist aus Vieh bestanden, waren mit dem Knüpfen weiträumiger
Heiratsbeziehungen verbunden (Exogamie) und dienten dem Aufbau eines Netzes gegenseitiger
Verpflichtungen; sie zeigen aber auch den Wert der Textilarbeiten der Frauen, die als Gastgeschenke
Verwendung fanden und mit Brautgaben aufgewogen wurden. Dies gilt vor allem für die Gesellschaft
Homers; im 5. Jahrhundert diente die Arbeit der Frauen am Webstuhl, die zu den wichtigsten Tätigkeiten
einer griechischen Hausfrau gehörte, der Versorgung der Mitglieder eines Haushalts (oîkos) mit Kleidung.
Über die Arbeitsteilung im Oikos berichtet eine Schrift des Xenophon (430-354) mit dem Titel Oikonomikós
(Lehre über die Führung eines Hauses).
447 v. Chr. Baubeginn am Parthenon (?Haus der Jungfrau"), dem Tempel der Stadtgöttin Athena, dem
Wahrzeichen der Stadt. Im Verlauf des 5. Jahrhunderts wurde neben der Akropolis auch die agorá (?Markt?,
?Versammlungsplatz?), das politische Zentrum der Stadt, ausgebaut. Unter anderem entstanden hier das
Hephaisteion/Theseion, der Tempel des Hephaistos oder Theseus (462), der im 5, Jahrhundert als mythischer
Begründer der Polisordnung gefeiert wurde, sowie die Stoa poikil?, eine buntbemalte Säulenhalle, deren
Wände Motive aus der realen und mythischen Vergangenheit der Griechen schmückten (z.B. Perserkriege
und Amazonenkämpfe). Unter ihrem Schutz baten Händler und Marktfrauen ihre Produkte an und sammelten
Philosophen ihre Schüler um sich, um ihnen die Kunst des Argumentierens beizubringen. Den Berufsstand
der Philosophen begründeten die Sophisten, die selbst wiederum die Nachfolger der fahrenden Sänger
(Rhapsoden) waren, die die Heldentaten der Ahnen besungen hatten. Das Bemühen der Sophisten war auf die
Bildung des politischen Menschen abgestellt, der Vermittlung einer politik? téchn? (?Kunst der Politik?), zu
deren praktischer Seite vor allem die Redetechnik, insbesondere die Technik der Überredung (=Peitho,
Athens Sozialordnung
11
Epochen_der_Antike
Göttin der Macht der Rede) gehörte. Reflexionen über die wahre Tugend (aret?) durch die nach Sokrates
benannte Schule der Sokratiker und Reflexionen über den idealen Staat (z.B. Platons ?Politeia" oder
Aristoteles? ?Politika?) lösten die als utilitaristisch kritisierte Sophistik ab. Mit ihren neuen Lehren setzten
sich die Sokratiker zugleich aber auch der politischen Kritik aus. 399 wurde Sokrates, Lehrer des Platon,
wegen Verführung der Jugend angeklagt und zum Trinken des Giftbechers verurteilt.
Peloponnesischer Krieg
431-404 v. Chr. Die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts war vor allem von dem großen Peloponnesischen
Krieg zwischen Athen und Sparta beherrscht. - Spartanische Einfalle in Attika (431, 430, 428, 427), in deren
Verlauf die attischen Felder verwüstet wurden, der Ausbruch der großen Pest (429 fiel ihr Perikles zum
Opfer) und misslungene militärische Unternehmungen der Athener wie z.B. der Sizilische Feldzug von 413,
bei dem ein Großteil der attischen Flotte vernichtet wurde, erschütterten die Vormachtstellung (hegemonía)
der Athener unter den Bündnern. Spartas Aktivitäten fanden in Athen nicht nur Widerstand, sondern auch
Sympathien bei einigen reichen Familien, die mit Hilfe Spartas den Einfluss des Demos zurückdrängen
wollten. Ausdruck der positiven Einstellung gegenüber Sparta ist die Schrift des Xenophon über den Staat
der Lakedaimonier, in der dieser die militärischen Tugenden der Spartaner preist. Der Krieg zwischen Sparta
und Athen ist das Thema einer historischen Monographie des Thukydides (460-396), die nicht mehr ? wie
noch das Werk Herodots ? zur Erinnerung an die heldische Vergangenheit, sondern zum Verständnis der
Gegenwart aus den Abläufen der Vergangenheit heraus verfasst ist. Methodisch neu ist die bewusste
Zurückstellung der eigenen Meinung und eine kritische Überprüfung seiner Gewährsleute. Seine Genauigkeit
(akríbeia) und sein Streben nach historischer Wahrheit (al?theia) ließen ihn zum Vorbild für nachfolgende
Historikergenerationen werden.
Demokratische Entwicklung im 4. Jahrhundert v. Chr.
392 v. Chr. Nach einem kurzen oligarchischen Zwischenspiel (Oligarchia =?Herrschaft der Wenigen") um
411 und 404, das von den Spartanern unterstützt wurde, entwickelte sich die attische Verfassung in der Kritik
der Philosophien des 4. Jahrhunderts zu einer radikalen Demokratie, in der Demagogen (?Volksführer") das
politische Geschehen bestimmten. Bei den Bauern Attikas erfolgte eine Tendenz zur ?Privatisierung" ? der
Besuch der Volksversammlung ging zurück ?, die mit der Erhöhung von Tagegeldern (392) aufgefangen
werden sollte. An Gewicht gewannen Ämter, die der finanziellen Verwaltung der Stadt dienten, wie das Amt
des Theaterkassenverwalters. Die ökonomische Seite der Poliswirklichkeit unterzog Xenophon einer Kritik,
in der er sowohl Vorschläge für eine gute Hauswirtschaft als auch Ratschläge für eine Verbesserung der
Staatseinkünfte (Poroi) vorbrachte. Insbesondere forderte er eine stärkere Beachtung der Metoiken
(?Mitbewohner"), die sich im Laufe der 5./4. Jahrhunderts als Handeltreibende und Handwerker in Athen
niedergelassen hatten und keine politischen Rechte genossen.
395-387 v. Chr. Die außenpolitischen Ereignisse des 4. Jahrhunderts waren von dem Widerspruch
beherrscht, dass die griechischen Stadtstaaten einerseits bemüht waren, ihre politische Autonomie zu wahren,
andererseits aber aus wirtschaftlichen und politischen Interessen darauf bedacht sein mussten, überstaatliche,
hegemoniale Bündnissysteme aufzubauen. Die erste Etappe in diesem wechselvollen Prozess, der
schließlich in die Errichtung der makedonischen Hegemonie über Griechenland mündete, bildete der
Korinthische Krieg (395-387). Der Kampf der griechischen Städte Korinth, Argos, Theben und Athen gegen
die spartanische Hegemonie endete zwar unter dem Einfluss des persischen Großkönigs 387 mit der
Proklamation einer allgemeinen Friedenssituation (koin? eiren?) und der Bestätigung stadtstaatlicher
Autonomie als Grundprinzip der politischen Ordnung in Griechenland, der Erfolg des Beschlusses wurde
aber mit der Erneuerung alter Bündnissysteme (397: Boiotischer Bund unter der Führung Thebens; 377:
Attischer Seebund unter der Führung Athens) in Frage gestellt. Erneute kriegerische Auseinandersetzungen
Peloponnesischer Krieg
12
Epochen_der_Antike
zwischen den Hegemonialmächten Sparta und Theben führten für Sparta nach der Niederlage in der Schlacht
von Leuktra (371) zum Verlust seiner Vormachtstellung und zur Auflösung des Peloponnesischen Bundes.
370 wurde Messeniens Unabhängigkeit wieder hergestellt.
Hellenismus
Makedonische Hegemonie
355 v. Chr. Der Zusammenbruch weiterer Bündnissysteme und der Aufstieg der Makedonen kennzeichnen
die zweite Hälfte des 4 .Jahrhunderts. 355 wurde die Vorherrschaft Athens in der Ägäis erschüttert, nachdem
der karische König Maussolos 357 einen Aufstand der Bundesgenossen initiiert hatte
(Bundesgenossenkrieg). Attische Besitzungen im Norden Griechenlands wurden durch die beginnende
makedonische Expansion bedroht (357: Amphipolis; 356: Poteidaia). Versuche Thebens, den Boiotischen
Bund nach Norden zu erweitern, stießen auf makedonischen Widerstand.
338 v. Chr. Ausgehend von ihrem Kerngebiet im Tal des Vadar in Nordgriechenland hatten die Makedonen
seit dem 5. Jahrhundert ihr Einflussgebiet zunehmend nach Osten in Richtung Thrakien und Süden bzw.
Westen in Richtung Thessalien und Epirus ausgedehnt. Dabei spielten sowohl das Interesse an
Bodenschätzen, den Silberminen in Thrakien, als auch Ansprüche auf Weidegebiete und Tribute eine Rolle.
Die makedonische Gesellschaftsstruktur entsprach in weiten Teilen jener, die Homer für die frühgriechische
Zeit wiedergibt. Die Stellung des Königs hing ebenso wie in der Zeit Homers wesentlich von seinem
Rückhalt im Volk und seinen kriegerischen Leistungen ab. Versuche der Thebaner und Athener, sich den
Makedonen entgegenzustellen, endeten 338 mit der Niederlage von Chaironeia und der Bildung des
Korinthischen Bundes (337), dem die Makedonen und ihr König selbst nicht beitraten. In ihm waren alle
Griechenstädte mit Ausnahme Spartas durch Vertreter in einem Bundesrat anteilmäßig vertreten. Feldherr
des Bundes wurde der Sieger von Chaironeia, der makedonische König Philipp II. (359-336).
323-322 v. Chr. Die makedonische Vorherrschaft, die bis zur Eroberung Griechenlands durch die Römer
andauerte, bedeutete nicht die Beendigung der Feindseligkeiten der griechischen Stadtstaaten untereinander;
ebensowenig endete mit ihr der Widerstand der Griechen gegen die makedonischen Herrschaftsansprüche in
Form von Tributzahlungen. 323/2 wurde der Aufstand Spartas im Lamischen Krieg durch den
makedonischen Feldherrn Antipater niedergeschlagen; 287 hatte ein Aufstand Athens gegen die Herrschaft
des Makedonenkönigs Demetrios Poliorketes Erfolg.
4. Jh. v. Chr. Der Konflikt zwischen der Wahrung des Ideals der autonomen Polis und der Bildung
gemeingriechischer Bündnisse prägt das politische Schrifttum des Jahrhunderts. Während der attische
Redner Isokrates (436-338) ein gemeingriechisches Bündnis unter Führung Philipps II. forderte, trat ihm in
dem Redner Demosthenes (383-322) ein glühender Verfechter der Idee der griechischen Freiheit gegen eine
makedonische Vorherrschaft entgegen. Der Kritik an den Missständen in der politischen Ordnung der Polis
in der Alten Komödie (Aristophanes) weicht die Beschäftigung mit Fragen der Zugehörigkeit zum
Bürgerverband und damit mit sozialen Themen wie Adoption, Stellung der Hetäre und der der Metoiken,
Kindesaussetzungen etc. in der Neuen Komödie (Menander) in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts.
Alexanderzug
334-323 v. Chr. Außerhalb Griechenlands änderte sich das politische Weltbild entscheidend durch den von
Philipp II. proklamierten und von seinem Sohn Alexander (356-323) durchgeführten Feldzug gegen die
Perser. Das stets zwiespältige Verhältnis zwischen Griechen und Persern ? der persische Großkönig wurde
Hellenismus
13
Epochen_der_Antike
von den Griechenstädten sowohl als Bundesgenosse geschätzt, als auch als Feind bekämpft ? erhielt mit dem
Alexanderfeldzug eine folgenschwere Wende: In zehnjähriger Dauer gelang es Alexander mit seinem
griechisch-makedonischen Heer, bis zum lndus vorzudringen und seinen eigenen Herrschaftsanspruch
durchzusetzen. 330 starb der persische König Dareios, Alexander proklamierte sich als Nachfolger des
Perserkönigs. In Anlehnung an makedonische Gebräuche (seine Mutter Olympia war die Tochter des Königs
von Epirus) suchte er seine Stellung durch Heiratsbeziehungen mit lokalen Herrscherhäusern zu sichern; 324
heirateten er und zehntausend seiner Gefolgsleute persische Frauen (Massenhochzeit von Susa). Die
Aufteilung des persischen Großreiches in Satrapien behielt er bei, ebenso das persische Tributsystem, dessen
Namen er jedoch in Anlehnung an das nominell freiwillige Abgabensystem des 2. Attischen Seebundes
abänderte. Wichtige Stationen seines Feldzuges waren: 324 ? Überscheitung des Hellespont und Sieg am
Granikos; 333 ? Schlacht bei lssos und Flucht des Dareios; 332 ? Eroberung von Tyros und Gründung von
Alexandreia an der Westmündung des Nils: 331 ?Entscheidungsschlacht bei Gaugamela in der Tigrisebene
und Einzug in Babylon; 330 ? Plünderung von Persepolis, Entlassung der griechischen Bundesgenossen; 329
? Überschreitung der Paropamisoskette (Hindukusch) und Eroberung der nordiranischen Satrapien Baktrien
und Sogdiana (Usbekistan) und Heirat mit der sogdischen Fürstentochter Rhoxane; 327-325 Indischer
Feldzug zur Gewinnung der Satrapie Pandschab, 325 Unterwerfung der lndustalebene und Rückkehr der
Flotte unter Nearchos durch den persischen Golf; verlustreicher Rückmarsch des Landheeres mit Alexander
nach Susa. Babylon wurde Hauptstadt des neuen Weltreiches. 323 starb Alexander in Babylon.
Hellenistische Königreiche
301 v. Chr. Nach einer kurzen Regierungszeit des Perdikkas, Feldherr unter Alexander, wurde das eroberte
Gebiet nach dem Tode Alexanders politisch in einzelne Herrschaftsgebiete aufgeteilt. Die Entscheidung über
die Aufteilung fiel nach jahrelangen Kämpfen zwischen den Nachfolgern Alexanders (Diadochenkämpfe) in
der Schlacht von Ipsos von 301. Traditionelle, politisch gewachsene Einheiten bildeten das Grundmuster der
neuen politischen Ordnung, die in zahlreichen weiteren Kriegen allerdings immer wieder in Frage gestellt
wurde. Im Einzugsgebiet der Flüsse Euphrat und Tigris (Babylonien, Westsyrien, Südtürkei) bildete sich das
Seleukidenreich heraus; im Osten das Partherreich und Baktrien. Beide gerieten zeitweise (unter der
Herrschaft des Antiochos III. 223-187) unter seleukidische Herrschaft. In Kleinasien, der heutigen Türkei,
entstanden um 275 selbständige Königreiche (Bithynien, Kappadokien und Pontos) sowie Stadtstaaten
(Pergamon). Ägypten, unter Dareios den Persern tributpflichtig geworden, wurde von der Dynastie der
Ptolemaier regiert, die von Ptolemaios, einem Feldherrn Alexanders, errichtet worden war. Im Kernland
Makedonien richtete sich seit 279 die Dynastie der Antigoniden ein, die bis 167 regierte. Das dynastische
Element kennzeichnet die neu entstandenen Königreiche, deren Herrscher sich nicht mehr auf traditionelle
Herrschaftsrechte berufen konnten. Zum Teil waren die Diadochen miteinander über Heiratsallianzen
verbunden (Exogamie), was zu Konflikten in der Nachfolgeregelung führte. Im ptolemäischen Ägypten
befolgte man daher eine strikte Endogamie in Form der Geschwisterehe, mit der die Zahl der potentiellen
Nachfolger reduziert wurde. Mit der Dynastienbildung traten auch die Ehefrauen der Herrscher in der
öffentlichen Wahrnehmung stärker in den Vordergrund. Zum Teil trugen sie, wie z.B. Arsinoe II, die zweite
Ehefrau Ptolemaios II., den Königinnentitel (basilíssa). Das öffentlich auf Statuen, Münzen oder
Monumenten inszeniertes Bild der ptolemäischen Königin, das an ägyptischen wie griechischen Gottheiten
orientiert war, trug zur Akzeptanz der Fremdherrschaft bei. Politische Stütze der neuen Herren wurde der Rat
der Freunde, entstanden aus dem Rat der nahezu gleichberechtigten Gefährten der ehemaligen
makedonischen Könige. Er setzte sich nunmehr aus Männern der griechischen Herrenschicht in den
eroberten Ländern zusammen. Die Aufteilung der Herrschaftsgebiete führte nicht zur dauerhaften
Befriedung. Die Stadtstaaten Koilesyriens (Palästina, Libanon) wurden zum Zankapfel zwischen Seleukiden
und Ptolemaiern, um die in allein sechs Kriegen im Zeitraum von 274 bis 168 gestritten wurde (Syrische
Kriege). Nach mehreren unentschiedenen Kriegen gelang es Ptolemaios IV. mit der Schlacht von Raphia
(217) im 4. Syrischen Krieg, eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen; die
Alexanderzug
14
Epochen_der_Antike
Entscheidungsschlacht von Pareion (200) zwischen Ptolemaios V. und Antiochos III. brachte die reichen
Handelsstädte Koilesyriens unter seleukidische Herrschaft.
3. Jh. v. Chr. Der griechischen Prägung der politischen Kultur, der Verbreitung griechischen Gedankengutes
aus Bereichen von Philosophie, Literatur und Wissenschaft verdankt die Epoche vom Beginn des
Alexanderfeldzuges bis zur Römerherrschaft ihren Namen Hellenismus. Aus der Sicht europäischer
Geschichtsschreibung bedeutet sie einen Perspektivenwechsel vom Okzident zum Orient, vom klassischen
Stadtstaat zum orientalischen Großreich. Der Historiker Johann Gustav Droysen, der den Begriff im 19.
Jahrhundert prägte, hatte dabei vor allem die Durchdringung der orientalischen Kultur mit griechischem
Bildungsgut vor Augen; heute wird stärker auf die kulturelle Eigenständigkeit der alten orientalischen Reiche
auch im Hellenismus abgehoben. Neu ist in hellenistischer Zeit die weite Verbreitung griechischer
Bildungsstätten wie Gymnasien und Bibliotheken auch außerhalb Griechenlands in den von den
hellenistischen Herrschern neu gegründeten Städten. Hier wohnten vor allem Söldner der hellenistischen
Könige. Alexandreia und Pergamon besaßen die größten Bibliotheken (mouseîon) der damaligen Zeit, in
denen Schriften von Homer bis Aristoteles aufbewahrt und von Gelehrten mit Kommentaren (Scholien)
versehen wurden. Die Museen waren den Musen, den griechischen Erfinderinnen der Künste und
Wissenschaften, geweiht und beherbergten auch Gelehrte, die ihren medizinischen, philosophischen oder
mathematischen Forschungen nachgingen. Eratosthenes berechnete im Museum von Alexandreia erstmals
fast genau den Erdumfang; Euklid und Archimedes entwickelten hier Grundbegriffe der Mathematik und
Integralrechnung.
3./2. Jh. v. Chr. Die innergriechischen Verhältnisse in der hellenistischen Epoche waren von der
zunehmenden Tendenz geprägt, auch strukturell die Polisgrenzen zu überwinden: Institutionen wie die
Proxenia (Verleihung von Bürgerrechten an Nicht-Polisbürgern). Sympoliteia (Zusammenschluss mehrerer
Poleis) und Asylia (Gewährung von Schutz gegen Repressalien fremder Städte) machten den Austausch
zwischen einzelnen Poleis einfacher. Nach innen blieben die Institutionen der Polis erhalten, dabei wurde
Reichtum in zunehmendem Maße zu einem entscheidenden Kriterium für die Ausübung politischer Rechte.
Trotz stärkerer Kooperation gehörten auch in dieser Zeit kriegerische Konflikte zum Alltag der griechischen
Städte, in die die makedonischen Herrscher vermittelnd eingriffen.
86 v. Chr.: Seit dem Ende des 3. Jahrhunderts traten auch die Römer bei kriegerischen
Auseinandersetzungen der Griechen in Erscheinung, teils als Schiedsrichter, teils als Eroberer und
Bundesgenossen rivalisierender Poleis und Städtebündnisse. Mit ihrem Eingreifen verloren die griechischen
Poleis nach und nach ihre politische Selbständigkeit, die ihnen unter dem Einfluss der Makedonenkönige
verblieben war. Einen ersten Einbruch in die Unabhängigkeit der hellenistischen Staatenwelt bildeten die
ersten beiden Makedonischen Kriege (211-205 und 200-197 v. Chr.) zwischen Rom und Philipp V. von
Makedonien, die vor allem um den Einfluss in Illyrien kreisten. Die griechischen Städte waren mit beiden
Parteien über unterschiedliche Koalitionen verbunden. Der Sieg, den die Römer im Bündnis mit dem
Aitolischen Bund erzielten, fügte Makedonien den Verlust einiger Einflussgebiete, u.a. Thessalien, zu. Nach
dem Sieg von Pydna (168) über Philipps Nachfolger Perseus teilten die Römer Makedonien in vier
tributpflichtige und gegeneinander abgeschirmte Teilstaaten auf. 149 wurde Makedonien römische Provinz.
Die mit dem Makedonenkönig verbündeten Städte des Achaiischen Bundes gerieten unter die Kontrolle des
römischen Statthalters von Makedonien. Über die Deportation von rund 1000 führenden Köpfen aus den
Achaiischen Städten suchten die Römer, Widerstandsbewegungen im Keim zu ersticken und ihre
Tributherrschaft langfristig zu sichern. Andere griechische Poleis erlitten ein ähnliches Schicksal. Korinth,
das römische Gesandte geschmäht hatte, wurde 146 aufgrund eines Senatsbeschlusses der Römer erobert und
nahezu vollständig zerstört. 86 eroberte Sulla Athen. Auch die großen hellenistischen Königreiche, deren
Herrscher mit Gesandtschaften und Unterwerfungsgesten den römischen Senat in ihrem Sinne beeinflussen
suchten und um militärische Unterstützung in ihren zahlreichen Kriegen angingen, fielen im 1. Jahrhundert
der römischen Expansion zum Opfer. 63 wurde Syrien, 30 Ägypten römische Provinz. Im mesopotamischen
Kerngebiet des Seleukidenreiches richteten sich seit dem 2. Jahrhundert die Herrscher der ehemaligen ? im
Hellenistische Königreiche
15
Epochen_der_Antike
Südosten des Kaspischen Meeres gelegenen ? seleukidischen Satrapie (,,Verwaltungsbezirk") Parthia ein. Die
Partherkönige trugen seit Mithridates I. (171-138) den ehemaligen persischen Titel ?Großkönig??. Ihr
Versuch, ein ebensolches Großreich zu errichten, wie es unter der persischen Dynastie der Achaimeniden
bestanden hatte, brachte sie in Konflikt mit Rom. Die immer wieder aufflammenden Partherkriege, die
zunächst um den Einfluss über Armenien kreisten, fanden erst im 2. nachchristlichen Jahrhundert ihr
vorläufiges Ende. 117 n. Chr. errichteten die Römer die Provinzen Mesopotamia und Assyria.
Römische Geschichte
Die römische Geschichtsschreibung: Annalistik
Am Anfang der Überlieferung zur römischen Geschichte stehen die öffentlichen Jahreschroniken, die
annales maximi, die von dem obersten Priester, dem pontifex maximus, in dessen Amtssitz, in der Regia
(Königshaus) aufbewahrt wurden und allgemein zugänglich waren. Es handelt sich um ein Verzeichnis
solcher Tage, an denen es fâs (lat. Recht, Verhängnis, Schicksal), d.h. rechtlich gestattet war, Geschäfte zu
tätigen. Niedergelegt waren daneben die Namen der jeweiligen Amtsträger (Magistrate) und wichtige
Ereignisse des Jahres wie z.B. Finsternisse oder Triumphzüge von siegreichen Feldherren. Ihr Inhalt ist nur
über Zitate in den Werken von Historikern greifbar, die für ihre Darstellung diese Jahresgliederung
übernahmen. Als Kennzeichen der römischen Geschichtsschreibung gilt daher die Annalistik. Der erste
römische Historiker ist Q. Fabius Pictor, dessen in griechischer Sprache geschriebenes Werk aus dem Ende
des 3. Jahrhunderts allerdings nur in Form von Zitaten bei späteren Historikern überliefert ist. Das ist in
erster Linie T. Livius (59 v. Chr. ? 17 n. Chr.) aus Padua (Patavium), der eine Geschichte Roms ?ab urbe
condita? bis zum Jahre 9 n. Chr. schrieb. Sie ist bis zum Jahre 293 (Bücher 1-10) und für die Jahre 218-167
(Bücher 21-45) vollständig erhalten. Älteren Datums sind die Werke des Polybios, eines Griechen, der als
Geisel nach Rom kam (200 ? 110 v. Chr.) und aus älteren Berichten, so des Griechen Timaios von
Tauromenion schöpfte, und des Dionysios von Halikarnassos. Dionysios, ebenfalls griechischer Herkunft,
war ein Zeitgenosse des Livius. Er erzählt ebenfalls die Geschichte Roms von der Gründung der Stadt bis zu
den punischen Kriegen. Sie wurde unter der Herrschaft des Augustus, um 7 v. Chr., veröffentlicht (Dion.
4,64-4,85). Das Werk des Polybios, das mit der Zerstörung Korinths im Jahre 146 v. Chr. endete, setzte
Poseidonios fort, der im 1. Jahrhundert v. Chr. lebte. Am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. stammen die
Werke von Diodor von Sizilien, der eine Universalgeschichte verfasste. Aus nachrepublikanischer Zeit, 2.
und 3. Jh. n. Chr. stammen die Schriften des Appian (in Alexandria geboren), die von den Bürgerkriegen
handeln, und Cassius Dio aus Nikaia in Kleinasien, der Mitglied des römischen Senats war und Aufschlüsse
über die letzte Generation der Republik nach dem Jahre 69 v. Chr. bietet. Zu nennen ist daneben
Plutarch(os) () aus Chaironeia in Böotien, der vergleichende Lebensbeschreibungen verfasste und aus
zahlreichen Quellen schöpfte, die uns nicht mehr zugänglich sind, sowie Tacitus, der kritische Chronist der
frühen Kaiserzeit. Zu den Zeugnissen außerhalb der römischen Geschichtsschreibung zählen Komödien des
Plautus aus der Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert v.Chr. In Stein gehauene Gesetzgebungswerke wie die
Inschrift von Gortyn sind nicht vorhanden. In das 5. Jahrhundert wird die Zwölftafelgesetzgebung datiert, die
allerdings ebenfalls nur durch Aussagen späterer Juristen und Historiker. Allerdings haben wir ab dem 2.
Jahrhundert in Stein gemeißelte Senatsbeschlüsse und Volksbeschlüsse. Aus der Zeit der späten Republik,
also aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. liegt das umfangreiche Werk des Cicero (106-43 v. Chr.) vor, dessen
politische Reden eine aufschlussreiche Quelle über die Konflikte der damaligen Zeit bilden, sowie das Werk
des Historikers und Redners Sallust (86-34 v. Chr.). Als Grundlage fungierten neben den Tafeln auch
mündlich überlieferten Familienchroniken, deren Inhalte in öffentlich gehaltenen Leichenreden faßbar sind.
Dennoch sind Kohärenz und Homogenität das Kennzeichen der römischen Geschichtsschreibung. Erklärt
wird dies mit der Homogenität der Führungselite: publica memoria und privata memoria gehören zusammen.
Römische Geschichte
16
Epochen_der_Antike
Stadtentwicklung
Rom liegt auf sieben Hügeln (septem montes): Palatin, Kapitol, Quirinal, Esquilin, Caelius, Viminal,
Aventin, die nicht aus separaten Felsformationen bestehen, sondern aus plateauförmigen Ausläufern eines
größeren zusammenhängenden Massivs aus vulkanischem Tuffstein. Der Tuffboden seinerseits entstand
durch eine Serie von Vulkanausbrüchen, die im zentralen Italien vor zehn Millionen Jahren begannen und
erst vor 50 000 Jahren zum Abschluss kamen. Tuffplateaus sind für die Besiedlung gut geeignet, da die steil
abfallenden Hänge ein natürliches Bollwerk wirken; auch bieten die Höhen Schutz vor der Malaria, die unten
in den Feuchtgebieten der Täler ein Problem war. Außerdem ist der Tuffboden äußerst fruchtbar und bietet
ertragreiches Ackerland, die Feuchtgebiete wiederum gutes Weideland. Verantwortlich für die Ansiedlung an
dieser Stelle ist verkehrsgünstige Lage. Rom liegt an einer Tiberfurt, die Zugang zu den Salinen am
jenseitigen Ufer in Ostia bot. Die Besiedlung der Hügel reichen bis ins 2 Jahrtausend zurück; griechische
Funde stammen aus dem 8. Jahrhundert v. Chr.; die Präsenz der Etrusker ist archäologisch für das 7.
Jahrhundert v. Chr. nachweisbar; von den Etruskern stammt auch der Name ?Roma?, der sich rückwärts
gelesen ?Amor? liest. Erste Siedlungsspuren auf dem Palatin, wo sich später die Kaiserpaläste befanden, sind
bereits für das 8. Jahrhundert v. Chr. belegt. Dort soll ein latinisches Dorf, auf dem Quirinal ein sabinisches
Dorf existiert haben. Der Bereich des in der Niederung zwischen Palatin und Kapitol gelegenen späteren
Forum Romanum diente in dieser Zeit noch als Nekropole. Um die zwischen den Tuffplateaus liegenden
Senken, das spätere Forum Romanum, zu bebauen, mußten erst umfassende Entwässerungsmaßnahmen
ergriffen werden. Archäologisch ist dieses Zusammenwachsen der verschiedenen Siedlungen Roms zu einer
?Stadt?, urbs, ab der Mitte des 6. Jahrhunderts (575/550) nachweisbar, als erste größere Sakralbauten, der
Vestatempel und die Regia, der Königspalast, auf dem Forum entstehen und die Cloaca Maxima, ein über
drei Meter breiter offener Entwässerungsgraben, angelegt wurde. Auf dem Kapitol (capitolium) wurde für
Iuppiter gegen Ende des 6. Jahrhunderts ein Tempel errichtet, der etruskische Baulelemente (Reliefs und
Skulpturen aus Terrakotta) aufweist.
753 v. Chr. Stadtgründungsmythos und Zeitrechnung
Die römische Zeitrechnung beruht eigentlich auf dem konsularischen Amtsjahr. Darin ähnelt die
römische Zeitrechnung der griechischen Zeitzählung. Jahresbeamte geben sie vor. Chronographisch wirkte
sich das Amtsjahr allerdings erst aus, als die ältere römische Geschichtsschreibung, die Annalistik, im 3.
Jahrhundert v.Chr. begann, ihre Jahre nach Konsulpaaren zu zählen. Daneben war auch die römische
Historiographie durch die Olympiadenzählung bestimmt, die sich in Griechenland im 3. Jahrhundert
durchgesetzt hatte, um die verschiedenen Zeitzählungssysteme der griechischen Poleis zu koordinieren.
Römische Historiker nahmen daneben die Datierungen nach der Gründung der Stadt Rom (ab urbe condita)
vor. Diese wurde in Form von Intervallangaben vorgenommen (x Jahre nach der Gründung Roms). Eine
durchlaufende Zählung ab urbe condita praktizierten erst die Humanisten der frühen Neuzeit. Das Datum für
den Beginn der Ära ab urbe condita war in der Antike umstritten und es entstanden konkurrierende Systeme.
Durchgesetzt hat sich die Auffassung von Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.), der die Stadtgründung in
das Jahr 753 v. Chr. legte.
Der mythischen Überlieferung nach wurde Rom von Romulus und Remus gegründet, einem Zwillingspaar,
das von einer Vestalin geboren und ausgesetzt, von einer Wölfin gesäugt und von einem Hirtenpaar
aufgezogen wird. Romulus und Remus entstammen dem Königsgeschlecht von Alba Longa in den Albaner
Bergen, das auf Aeneas, dem Sprößling des trojanischen Königshauses zurückgeführt wird. Daß Romulus
und Remus nicht in Alba Longa Könige werden, sondern Rom gründen, wird in der Überlieferung auf einen
Erbfolgekonflikt zwischen zwei Brüdern aus der Nachkommenschaft des Aeneas und der Lavinia
Stadtentwicklung
17
Epochen_der_Antike
zurückgeführt; Amulius macht seinem Bruder Numitor die rechtmäßige Nachfolge streitig, zwingt der
Tochter des Numitor in die Rolle der Vestalin, diese aber wird von dem Kriegsgott Mars geschwängert und
gebiert die Zwillinge. Obwohl der Frevel aufgedeckt wird und die Brüder von dem Großvater Numitor als
rechtmäßige Erben anerkannt werden, sogar den Onkel vertreiben, zieht es sie fort nach Rom. Der Streit
wiederholt sich, diesmal geht es um die Frage, an welcher Stelle die Stadt gegründet werden soll. Remus
wird von seinem Bruder Romulus getötet. Rom ist nach dieser mythischen Rekonstruktion zunächst eine
reine Hirtensiedlung Es fehlen die Frauen. Bei einem Fest, zu dem die Nachbarn eingeladen werden, kommt
es zum sogenannten Raub der Sabinerinnen. Die Verwandten lassen sich diesen Frevel nicht gefallen; es
kommt zum Krieg, in den schließlich die Frauen vermittelt eingreifen; in der Folge einigen sich Sabiner und
Römer, was sich im Doppelkönigtum des Romulus und des Titus Tatius ausdrückte, das allerdings nur
wenige Jahre währte. Romulus wird die Schaffung der zentralen politischen Strukturen zugeschrieben:
Volksversammlung, Senat, Magistrate = Ämter: Konsuln, Prätoren, Ädile, Quästoren. Der Senat besteht aus
100 Männern, die den Ehrennamen ?patres? tragen, Väter. Sie bilden das Patriziat. Das Volk wird in 30
Kurien unterteilt, die nach den Namen der Ehefrauen benannt werden. Sechs weitere Könige folgen, in deren
Regierungszeit die kultischen Einrichtungen und militärische Verfassung eingeführt werden. Gilt Romulus
als Schöpfer der politischen Institutionen, so wird Numa die Begründung religiöser Einrichtungen
zugeschrieben. Servius Tullius organisiert das römische Heer. Sieben Könige herrschen, dann kommt es ?
am Ende des 6. Jahrhunderts ? zum Sturz der Königsherrschaft, zum Tyrannenmord, und zur Errichtung der
Republik, die von der modernen Forschung als Prozeß, nicht als Ereignis gedacht wird, der in der ersten
Hälfte des 5. Jahrhunderts (570-450 v. Chr.) angesiedelt wird.
509 v. Chr. Die Anfänge der Republik
Die Anfänge der Republik sind eingebettet in die Geschichte von der Selbstopferung einer Frau, Lucretia,
und der Tötung der weiblichen wie männlichen Nachkommenschaft. Die Selbstopferung der Lucretia
ereignet sich im Jahre 509 v. Chr. Sie tötet sich selbst, nachdem sie von dem ältesten Sohn des Königs
Tarquinius Superbus, Sextus Tarquinius, vergewaltigt worden war. Die Tat wird ihrem Ehemann Collatinus
und ihrem Schwager Brutus gerächt: Sie vertreiben die Tarquinier und werden die ersten consules der
Republik. Das heißt, man verdoppelt die Könige, nennt sie aber nicht reges, sondern consules, ?Sorgende?,
?Ratgeber?. Auch herrschen sie nicht dauerhaft, sondern immer nur für ein Jahr. Kollegialität und Annuität
ist das Prinzip, nach dem die republikanische Ordnung gebaut wird. Nach der Vertreibung der Tarquinier
schwört das Volk, keinen König mehr in Rom zu dulden. Kurz danach kommt es erneut zu Unruhen. Einige
junge Leute verschwören sich und wollen die Tarquinier zurückholen. Darunter sind auch die Söhne des
Brutus, des ersten Consuls, die des versuchten Vatermords überführt werden. Livius (2,1-5) und Dionysios
(5.8.3) lassen beide den Vater als Consul in Ausübung sowohl der häuslichen Gewalt, patria potestas, als
auch der magistralen Amtsgewalt, des imperiums, über die Söhne richten und das Todesurteil sprechen.
Brutus tötet seine Söhne ohne Träne und bestätigt damit die Herrschaft der Gesetze über die Bande der
häuslichen Gemeinschaft. Die Tötung der Nachkommen sichert die Republik, d.h. verhindert die Errichtung
der Herrschaft eines Hauses. Hausväterliche und magistratische Gewalt sind in der Republik verwoben, das
Haus herrscht nicht über das Gemeinwesen und das Gemeinwesen nicht über das Haus.
450 v. Chr. Zwölftafelgesetzgebung
60 Jahre später gibt sich die Republik ein Gesetzeswerk: die Zwölf Tafeln; mit ihnen beginnt die Zeit der
sogenannten Ständekämpfe, die im 3. Jahrhundert abgeschlossen sind. Grundsätzlich ging es in der Zeit der
frühen Republik um eine Einigung zwischen plebejischen und patrizischen Geschlechtern, die nach
Meinung der Forschung über Rechtssicherheit, d.h. eben über die Schaffung des Zwölftafelrechts und über
753 v. Chr. Stadtgründungsmythos und Zeitrechnung
18
Epochen_der_Antike
politische Partizipation, d.h. der Einrichtung einer weiteren Entscheidungsinstanz neben dem Senat, dem
consilium plebis, dem Volkstribunen vorstanden und sukzessiven Öffnung der politischen Ämter, vor allem
das des Konsuls, für die plebejischen Geschlechter hergestellt wurde. Ab 367 v. Chr. war das Konsulamt den
Plebejern zugänglich; das ist für manche Forscher der Beginn der Kollegialität des Ämterwesens. Die Lex
Hortensia von 287 macht die Beschlüsse des consilium plebis, der Versammlung der Plebejer bindend für
alle. Das Resultat dieses Einigungsprozesses ist die Entstehung einer neuen Aristokratie, der Nobilität.
367 v. Chr. Entstehung der Nobilität
Anders als in Griechenland war die Aristokratie in Rom über die Teilhabe an politischen Ämtern und an
der Zugehörigkeit zu dem entscheidenden politischen Gremium, zum Senat, definiert, und insofern mit der
Senatorenschaft identisch. Konsuln und Prätoren, die für Kriegsführung und Rechtsprechung zuständig
waren bilden die höchsten Ämter. Sie leiten den Senat, das oberste politische Gremium. Für die Finanzen, die
Verwaltung der Kasse des Gemeinwesens, aerarium, waren die Quaestoren zuständig, für die Sicherung der
Getreideversorgung und der Berufung der Tributcomitien sind die Aedilen verantwortlich. Hinzu kommen
die Zensoren, die über die Sittengesetze wachen und über die Auswahl der Senatoren (lectio). Der Senat
setzte sich aus den ehemaligen Amtsträgern zusammen, die zudem ein Mindestvermögen vorweisen mussten
und umfasste zunächst 300, ab dem 1. Jh. v. Chr. 600 Mitglieder. Die Mitgliedschaft bestand zunächst
lebenslänglich. Der Senat beriet die Amtsträger und fasste eigene Beschlüsse: senatus consultum/a.
Ursprünglich übernahmen diese Ämter nur die Patrizier. Die Öffnung der Ämter für die Plebejer ist die
Erfolgsgeschichte der römischen Republik. Ein rein plebejisches Amt ist das Volkstribunat. Die tribuni
plebis leiteten das consilium plebis, dessen Beschlüsse ab 287 v. Chr. bindend für alle werden. Das Volk
partizipierte an politischen und militärischen Entscheidungen über vier verschiedene Gremien: Als
Heeresversammlung lassen sich die Zenturiatscomitien fassen, die über Krieg und Frieden entschieden und
die Konsuln, Prätoren und Zensoren wählten. Sie tagten auf dem Marsfeld außerhalb der Stadtgrenze, dem
pomerium. Sie waren in 193 Abstimmungseinheiten gegliedert: Es gab 18 Reiterzenturien, 170 Zenturien der
Schwer- und Leichtbewaffneten, fünf Zenturien standen den unteren Schichten offen. Hier gaben die
Besitzenden und die Älteren den Ausschlag. Jede der 193 Zenturien hatte eine Stimme; die Mehrheit den
Zenturien brachte die Entscheidung. Die Reichen waren auf 18 Ritterzenturien aufgeteilt; dann folgte die
erste Klasse mit 70 Zenturien. 97 Zenturien brachten die Mehrheit; also mussten nur noch elf Zenturien der 2.
Klasse wie die erste Klasse stimmen. Aus den 70 Zenturien der ersten Klasse wurde zunächst immer eine
centuria praerogativa ausgelost, die zuerst abstimmte. Diese Bürger gingen einzeln hintereinander auf einem
Steg, der zur Urne führte, zur Abstimmung und hinterlegten ihr Stimmtäfelchen. Diese Stimmen wurden
ausgezählt und das Ergebnis verkündet. Dann erst gaben die anderen Zenturien der 1. Klasse ihre Stimme ab,
danach kamen die 18 Reiterzenturien dran. Nach jeder Abstimmung wurde das Ergebnis verkündet. Die
Richtung war also vorgegeben. Die centuria praerogativa gab die Stimmung vor. Auch hatten die Älteren
die strukturelle Mehrheit. Die Zenturien waren hälftig nach iuniores und seniores gegliedert; d.h. die halbe
Stimmenzahl hatten die Jüngeren, die zahlenmäßig in der Mehrheit waren, die andere Hälfte stand der
zahlenmäßig geringeren Anzahl der Älteren zu. Eine hierarchische, von Status und Alter bestimmte, Struktur
ist unübersehbar. In den comitia tributa, die regional gegliedert waren in 31 ländliche und 4 städtische
Tribus, wurden Gesetze beschlossen, soweit sie ? bis 218 ? nicht den Zenturiatscomitien vorbehalten waren.
Hier wurden die Quästoren und Aedilen gewählt. Ort der Abstimmung war das Forum Romanum, bei
Wahlen auch das Marsfeld. 35 Pferche standen auf dem Marsfeld dafür zur Verfügung, so dass alle tribus
gleichzeitig zur Wahl aufgerufen werden konnten. Der Versammlungsleiter verkündete für jede tribus das
Ergebnis. Sobald die Mehrheit erreicht war, wurde die Verkündigung abgebrochen. Es herrschte also die
Mehrheit ohne Ansehen der Person. Bei Gesetzen rief man die tribus nacheinander auf, aber war die
Reihenfolge nach Los bestimmt. Weder Alter noch Status wirkten sich bei der Abstimmung aus. Das
consilium plebis, das Versammlungsorgan der Plebejer, war ebenfalls regional gegliedert und tagte auf dem
Forum und dem Marsfeld; hier wurden die Gesetzesvorlagen der Volkstribune beraten und beschlossen. Ein
450 v. Chr. Zwölftafelgesetzgebung
19
Epochen_der_Antike
traditioneller Versammlungstyp sind die comitia curiata, deren Mitglieder über Testamente und Adoptionen
berieten. Diese Versammlung tagte auf dem Kapitol.
Sozialstruktur: familia und clientela
Die römische familia ist ein agnatischer Abstammungsverband, der alle männlichen Nachkommen eines noch
lebenden ?Hausvaters?, eines pater familias, (Söhne und Enkel) sowie die unverheirateten weiblichen
Nachkommen bzw. die verheirateten weiblichen Nachkommen umfaßt, soweit sie nicht in die ?Gewalt?
(manus) des Ehemannes übergegangen sind. Ideell bestand die familia aus all denen, die sich in männlicher
Linie auf einen gemeinsamen Ahnen zurückführten. Drei Vorväter (parentes) aufzuweisen, war
aristokratische Norm, jenseits davon lagen die Ahnen, das Reich der maiores. In der Kaiserzeit ging der
Senatorenstatus ab der 4. Generation verloren. Deshalb wurde in dieser Zeit der Gründervater Aeneas mit
seinem Vater Anchises und mit seinem Sohn an der Hand gezeigt. Mehrere familiae bildeten eine gens. Zur
familia gerechnet wurden auch die Sklaven und Besitztümer, d.h. der bewegliche und unbewegliche Besitz.
Ehefrauen gehörten nur dann zur familia, wenn sie eine manus-Ehe eingegangen waren. Anders als in Athen
oder Sparta gelang es der römischen Elite, dauerhaft Gefolgsleute an sich zu binden. Diese Klienten fanden
sich zur morgendlichen Aufwartung (salutatio) im Haus (domus) des Patrons ein und konnten mit
Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten rechnen. Ihrerseits unterstützten sie ihren Patron in politischen
Auseinandersetzungen und gaben ihm bei den Wahlen ihre Stimme. Im 1. Jahrhundert v. Chr. verschärfte
sich die Konkurrenz um Gefolgsleute, was dazu führte, daß bei Wahlen die geheime Abstimmung eingeführt
wurde.
Militärische Expansion und Weltreichsbildung
474 werden die Etrusker bei Cumae von den Griechen geschlagen, 426 erobern die Römer Fidenae, 396 Veji.
Um 470 wurde Rom Mitglied des Bundes latinischer Städte, der 130 Jahre später aufgelöst wird. Rom
annektiert Mitte des 3. Jahrhunderts Teile des Gebietes der Latiner; einige latinische Städte behalten ihre
Selbständigkeit. In mehreren Kriegen werden zwischen 326 und 290 die Samniten unterworfen; mit den
Samniten werden Bundesgenossenschaftsverträge geschlossen. Wirtschaftshistoriker vermuten, dass es um
Auseinandersetzungen um Weideland ging bzw. um Konflikte um die Nutzung von Sommerweiden in den
Bergen und Winterweiden an der Küste vor allem in Kampanien. Ab 282 v. Chr. beginnen die kriegerischen
Auseinandersetzungen mit den griechischen Städten, die in Unteritalien und Sizilien seit dem 7. Jahrhundert
existierten. 272 kapituliert Tarent, 270 Rhegion. Konflikte um die Stadt Messana in Sizilien führen 264 zu
Auseinandersetzungen mit Karthago, das ebenfalls auf Sizilien Fuß gefasst hatte, und münden in den Ersten
Punischen Krieg, der bis 241 dauerte und die Vertreibung der Karthager aus Sizilien zur Folge hatte. Sizilien,
Sardinien und Korsika werden 227/5 die ersten römischen Provinzen. Im Zweiten Punischen Krieg
(218-201), der in Spanien seinen Ausgang nimmt, wo seit 237 die Karthager Fuß zu fassen versuchten, ist
auch Italien Kriegsschauplatz (216 Schlacht bei Cannae); er mündet in die Errichtung von zwei römischen
Provinzen in Spanien (197 v. Chr.). Mit den Punischen Kriegen ändert sich auch das politische Gefüge
Italiens. Viele italische Städte hatten mit Hannibal kooperiert. Ihr Land wird nach dem Sieg über die
Karthager konfisziert und als ager publicus zur Okkuppation freigegeben. Zwischen 149 und 146 findet der
Dritte Punische Krieg statt, der zur Zerstörung Karthagos und zur Errichtung der römischen Provinz Africa
führt. Ein anderer Kriegsschauplatz des 2. Jahrhunderts ist der griechische Osten: Die Makedonischen Kriege
(200-194 gegen Philipp V., 171-168 gegen König Perseus) münden 145 in die Errichtung der Provinz
Makedonien und der Unterstellung Griechenland unter den Statthalter Makedoniens. König Attalos III. von
Pergamon vererbte 133 v. Chr. sein Reich an Rom; die daraufhin ausbrechenden Aufstände führten 129 zur
Errichtung der Provinz Asia. Ende des 1. Jahrhunderts verlagern sich die Kriegsschauplätze gen Norden und
367 v. Chr. Entstehung der Nobilität
20
Epochen_der_Antike
finden Kämpfe gegen Kimbern und Teutonen. In der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. erobern Caesars
Legionen Gallien (58-50). Im 1. Jahrhundert verlagern sich die Kriege nach Innen. Zu Beginn des ersten
Jahrhunderts bricht der Bundesgenossenkrieg in Italien aus. 90 v. Chr. gewährt die lex Iulia de civitate den
treu gebliebenen Italikern das römische Bürgerrecht. Zwischen 49 und 45 findet der Bürgerkrieg zwischen
Caesars Truppen und den Truppen des Pompeius statt. Caesar bleibt siegreich, wird aber 44 v. Chr. ermordet.
Seine Neffe Oktavian führt den Kampf weiter. Nach dem Auseinanderbrechen des Triumvirats zwischen
Antonius, Oktavian und Lepidus und dem Sieg Oktavians über die Truppen des Antonius im Jahre 31 v. Chr.
ist auch die Republik am Ende: Oktavian begründet im Gewand der republikanischen Ordnung ? er
übernimmt die tribunicia potestas auf Dauer ? das/den Principat.
Prinzipat des Augustus
Anders als seinen Vorgänger gelang Augustus die Monopolisierung aller Gefolgschaftsbindungen: Die
stadtrömische plebs und Soldaten waren ihm gleichermaßen verpflichtet. Die einen gewinnt er durch
Getreidespenden, die anderen durch Landschenkungen. Der Chronist der frühen Kaiserzeit, der senatorische
Historiker Tacitus, urteilt deshalb über das Prinzipat des Augustus: ?Die Partei der Julier hatte nur noch
einen Führer, Caesar (= Octavian), der nun den Triumvirntitel ablegte, das Konsulat übernahm und sich mit
den tribunizischen Vollmachten zum Schutze des Volkes begnügte. Die Soldaten gewann er durch
Schenkungen, das Volk durch Getreidespenden, jedermann durch die erfreuliche Ruhe.? Die ökonomische
Voraussetzung dafür bildete wiederum die Verfügung über die Provinzen. Der Verteilungskampf, der die
späte Republik beherrscht hatte, wurde unter ihm dauerhaft befriedet. Die Provinzen wurden aufgeteilt in
senatorische (befriedete Provinzen: Sizilien, Sardinien, Korsika, Hispania ulterior, Gallia Narbonensis,
Dalmatien, Makedonien, Achaia, Asia, Bithynien, Pontos, Zypern, Kreta, die Cyrenaica) und kaiserliche
(nicht befriedete Provinzen: imperium proconsulare für Spanien, Gallien, Syrien, Kilikien und Ägypten)
Provinzen; der Verteilungskampf wurde in geordnete Bahnen gelenkt. Die Tribute fließen nicht mehr in die
?Staatskasse?, sondern in die kaiserliche Kasse; damit etabliert er sein Haus als oberstes Ressourcenzentrum.
Symbolisch sichtbar wird diese Rolle auch gegenüber den Senatoren, die sich bei ihm regelmäßig zur
morgentlichen salutatio einfanden. Octavian wurde oberster Patron. Einher ging der Wandel in der
Machtstellung mit dem Namenswechsel. Seit 27 v. Chr. ließ er sich Imperator Caesar Augustus nennen. Den
Namen Caesar trug er kraft Adoption; er zeigt seine Zugehörigkeit zum Geschlecht der Iulier und seine
Abkunft von Caesar an. Bereits 38 v. Chr. hatte er den Vornamen (praenomen) Imperator (griech.
autokrator) gewählt. Er ist Ausdruck der Klientelbindungen zu den Soldaten, die die wichtigste soziale
Stütze der Macht bildeten. Der Senat verlieh ihm den Ehrentitel Augustus (der ?Erhabene?), eine Anspielung
auf den mythischen Stadtgründer Roms, dem die Götter durch das heilige augurium die Aufgabe der
Stadtgründung gewiesen hatten, in dessen Nachfolge sich Augustus sah. Seither überragte Augustus alle an
auctoritas.
@ B. Wagner-Hasel (07.01.2008)
Militärische Expansion und Weltreichsbildung
21

Documentos relacionados