tadeusz borowski

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tadeusz borowski
Neue Z}rcer Zeitung
FEUILLETON
Dienstag, 03.07.2001 Nr.151
53
Schreiben nach Auschwitz
Vor 50 Jahren nahm sich Tadeusz Borowski das Leben
Unter den Grossen der Holocaust-Literatur ist der Pole Tadeusz Borowski der Unbekannteste. Was er als Häftling Nummer 119 198 im Vernichtungslager Auschwitz erlebte, hat er zu schockierend amoralischen Erzählungen verarbeitet, die heute wegweisend wirken. 1951 nahm sich Borowski im Alter von 28 Jahren das Leben.
Auschwitz ist als literarisches Thema wohl
nicht zuletzt deshalb problematisch, weil es in seiner
Apokalyptik die
schwärzesten
Dichterphantasien weit hinter sich gelassen hat.
Wer trotzdem über Auschwitz schreibt, muss sich
in den Mainstream derjenigen einordnen, die
Zeugnis ablegen wollen. Das Signalwort Auschwitz löst beim Leser sofort einen Reflex aus, der
den präsentierten Text restlos mit einer Wirklichkeitsaussage
gleichsetzt.
Dieser
Rezeptionsmodus ist unhintergehbar – unlängst hat die
Affäre Wilkomirski gezeigt, dass eine literarische
Fiktion nicht unter dem Etikett «Auschwitz» verkauft werden darf.
Allerdings liegt der Empörungswert von literarischen Auschwitz-Darstellungen nicht erst seit
Wilkomirski offen. Bereits der polnische Schriftsteller Tadeusz Borowski (1922 bis 1951) hat kurz
nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Auschwitz-Texten eine Welle von negativen Reaktionen
ausgelöst. In den Erzählbänden «Abschied von
Maria» (1947) und «Steinerne Welt» (1948)
zeichnet Borowski eine emotionslose Vision der
Nazi-Vernichtungslager. Die Kritik stiess sich vor
allem am Fehlen jeglichen moralischen Engagements und warf dem Autor eine nihilistische
Weltsicht vor. In der Tat verschwimmen bei
Borowski die Grenzen zwischen Tätern und
Opfern – seine Erzählungen sind jenseits von Gut
und Böse angesiedelt.
Zynismusvorwurf
In der Erzählung «Ein Tag in Harmence» hat
ein jüdischer Häftling, der in Auschwitz vergast
wird, zuvor als Lagerältester im Dienst der Nazis
seinen eigenen Sohn wegen Brotdiebstahls erhängen lassen. Weiter noch geht Borowski in einem
Text, der seine Schockwirkung bereits im Titel
«Die Herrschaften werden ins Gas gebeten» ankündigt: Hier tritt das Böse nicht als Element der
Naziherrschaft
in
Erscheinung,
sondern
als
anthropologische Konstante. Die Lagerhäftlinge
müssen an der Bahnrampe einen Todestransport
in Empfang nehmen und interessieren sich dabei
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nur für die Esswaren, die sie den Ankommenden
abnehmen können. Die moralische Gleichgültigkeit der Lagerarbeiter kontrastiert auf das Schärfste mit der Schilderung der Güterwaggons, aus
denen erstickte Kleinkinder wie tote Hühner an
den Beinen herausgetragen werden.
Das Aufbegehren der zeitgenössischen Kritik
muss indes als kalkulierter Effekt von Borowskis
Komposition verstanden werden. Der Ich-Erzähler, der sich durch eine absolute Gefühlskälte auszeichnet, trägt den Namen Tadeusz. Borowski
legt mit diesem Kunstgriff selber die Identifikation des erzählenden Protagonisten mit dem realen Autor nahe. Das Ausmass dieser narrativen
Provokation kann man an den Schlusssätzen der
Erzählung «Abschied von Maria» ermessen, in
denen der Erzähler die Verhaftung seiner Geliebten schildert: «Ich wusste überhaupt nicht, was
tun. Wie ich später erfuhr, verschickte man Maria
als arisch-jüdischen Mischling mit einem jüdischen Transport in das berüchtigte Lager am
Meer, vergaste sie in einer Krematoriumskammer
und machte aus ihrem Körper Seife.» Durchaus
zynisch wirken kann auch jene berühmte Episode,
deren Wirkung allein auf dem unkommentierten
Kontrast von Banalität und Schrecken aufgebaut
ist. Einige Häftlinge spielen im KZ Fussball: «Ich
kam mit dem Ball zurück und kickte ihn in eine
Ecke. Zwischen dem ersten und zweiten Eckball
wurden hinter meinem Rücken dreitausend Menschen vergast.»
Es ist genau die skandalöse Emotionslosigkeit
solcher Szenen, die Borowski den Vorwurf eines
prinzipienlosen Schreibens eingetragen hat. Die
tiefer liegende Wahrheit konnte erst mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Holocaust hervortreten: Die literarische Überzeugungskraft von
Borowskis Auschwitz-Erzählungen beruht nämlich gerade auf der Ausblendung sittlicher Entrüstung. Der Lagerhäftling Tadeusz hat die letzte
Stufe der seelischen Invalidität erreicht. Ihm ist
sogar die Fähigkeit zum moralischen Urteil abhanden gekommen. Damit wird deutlich: Das
nackte Überleben per se ist nichts wert, wenn die
Seele den Respekt vor dem eigenen und fremden
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Leben eingebüsst hat. Borowski hat diesen fatalen
Zusammenhang durch seinen frühen Selbstmord
gewissermassen selbst bestätigt: Am 3. Juli 1951
schoss er sich eine Kugel in den Kopf.
Dass der Zynismusvorwurf nur eine instinktive
Abwehrreaktion darstellte und in seiner Aussage
haltlos war, wurde in Polen bald erkannt. Allerdings setzte Czeslaw Milosz bereits 1953 in seinem Buch «Das verführte Denken» einen weiteren Mythos über Borowski in die Welt. Unter den
vier Porträts, die Milosz in seinem Buch als Beispiele für die politische Selbsttäuschung führender Intellektueller präsentiert, befindet sich auch
ein Essay über Borowski. Milosz behandelt die
Problematik des nihilistischen Auschwitz-Dichters, der seine Feder nach dem Krieg in den
Dienst des kommunistischen Regimes gestellt hat,
unter dem Titel «Der unglückliche Liebende».
Für Milosz entspringen sowohl Borowskis schockierende KZ-Erzählungen als auch die propagandistischen Texte der späten vierziger Jahre der
gleichen «enttäuschten Liebe zur Welt und zu den
Menschen».
Für Milosz wäre Borowski in Frankreich zu
einem Existenzialisten geworden: Sein Ekel vor
der degenerierten Menschheit entspreche durchaus Sartres nausée. Als Pole aber sei er vom Gedanken an eine glückliche Zukunft besessen gewesen, und genau diese Idee habe Borowski den
Kommunisten in die Arme getrieben. Mit anderen Worten: Milosz führt den angeblichen Zynismus auf einen tragischen Mythos zurück, der
seine letzte Beglaubigung durch den Selbstmord
des Dichters erfährt. Milosz' Deutung ist ebenso
scharfsinnig wie falsch. Das Hauptproblem liegt
darin, dass Borowski nicht jener naive moralische
Absolutist ist, der sich unmittelbar von Hitlers
Opfer zu Stalins Kollaborateur gewandelt hat.
Letztlich sitzt Milosz einem biographistischen
Fehlschluss auf: Er liest Borowskis Werk vor dem
Hintergrund des prekären Lebensschicksals des
Autors. Borowskis erst kürzlich veröffentlichte
Korrespondenz mit Tadeusz Rózewicz zeichnet
ein ganz anderes Bild. Im Juni 1948 schreibt
Borowski: «In keinerlei Hinsicht bekenne ich
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mich zu Volkspolen.» In diesen Briefen tritt
Borowski als kritischer Zeitzeuge auf, der sich
gegen die Verlogenheit des staatlich gelenkten
Kulturbetriebs wehrt. Borowskis Engagement für
die Erneuerung der polnischen Literatur entspringt also nicht – wie Milosz meint – einem
grausam enttäuschten Humanismus, sondern dem
Glauben an die Wiederherstellbarkeit moralischer
Massstäbe mit schriftstellerischen Mitteln. Aus
dieser Sicht präsentiert sich auch Borowskis
Selbstmord nicht als implizites Eingeständnis
eines literarischen Scheiterns, sondern als Spätfolge des beschädigten Lebens im KZ.
Politische Vereinnahmung
Das unmittelbare Aufeinanderfolgen zweier
totalitärer Systeme hat die polnische Kultur nach
dem Zweiten Weltkrieg in eine kollektive Schizophrenie gestürzt. Auf der einen Seite galt es, die
traumatisierende Erfahrung der Nazi-Besetzung
und der Vernichtungslager aufzuarbeiten, auf der
anderen Seite sah man sich zu staatlich dekretiertem Jubel über die sowjetische «Befreiung» verpflichtet. Dabei wusste die neue Marionettenregierung von Moskaus Gnaden den weit verbreiteten Hass auf die Deutschen geschickt zu instrumentalisieren: Die Anprangerung der Nazi-Greueltaten wurde zum stärksten Argument für die
selbstherrlich verkündete Moralität der nun regierenden Kommunisten. Borowskis Verhängnis bestand darin, dass er mit seinen Auschwitz-Erzählungen in das Räderwerk dieses diskursiven
Mechanismus geriet. Sein Werk muss jedoch als
literarisches, nicht als politisches Ereignis verstanden werden. Borowski ist es erstmals gelungen,
die Wehrlosigkeit der menschlichen Psyche angesichts der Vernichtung aller moralischen Werte
darzustellen. Zu Recht gilt er deshalb heute als
Klassiker, der dem Phänomen Auschwitz seinen
gültigen literarischen Ausdruck verliehen hat.
Ulrich M. Schmid
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