MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG VON

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MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG VON
OTHELLO
von William Shakespeare
MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG
VON KATHARINA KREUZHAGE
Liebe LehrerInnen, ErzieherInnen,
Theaterbegeisterte…
Die Spielzeit 2013/14 am Theater Paderborn hat begonnen. OTHELLO, eine Tragödie von
William Shakespeare ist unsere zweite Premiere im Großen Haus.
Diese Materialmappe soll kreative Impulse für die Vor- und Nachbereitung der Inszenierung von
Katharina Kreuzhage in Schulen und Bildungseinrichtungen vermitteln. Neben Informationen zur
Inszenierung stellt die Materialmappe Ihnen Wissenswertes zu den historischen Hintergründen
sowie Bezüge zur Gegenwart zusammen. Über weiterführende Literaturlisten haben Sie die
Möglichkeit einer Recherche zu den verschiedenen Themenfeldern des Stückes. In den
unterschiedlichen Bereichen der Mappe finden sich allerlei praktische Übungsanregungen zur
Verankerung und Übersetzung der Themenbereiche im Unterricht – die sogenannten AKTIVBOXEN.
Zu OTHELLO bieten wir zusätzlich noch Vor- und Nachgespräche mit Theaterpädagogen und
Dramaturgen an. Termine für dramaturgische Einführungen werden im Monatsspielplan im
Internet und im Leporello bekannt gegeben. Des Weiteren bieten wir auch
inszenierungsspezifische Workshops zur praktischen Vor- und Nachbereitung des Stoffes an.
Fester Termin ist hierzu der 13.12.2013 von 14:00-16:00 Uhr im Theater im Riemeke, in der
Fürstenbergstraße 21a.
Anmeldungen unter [email protected]
Bei Fragen rufen Sie uns gerne an!
Viel Freude beim Stöbern und Entdecken!
Larissa Werner
Kontakt:
Larissa Werner / Marguerite Windblut
05251/ 2881209 | [email protected]
NÄCHSTE PREMIERE:
Der Kontrabass von Patrick Süskind / Inszenierung. Jürgen Bosse / 19.10.2013 / 19:30 Uhr im Studio
Abb.1
Inhaltsverzeichnis
Besetzung
5
7
Über William Shakespeare
7/8
Charakteristika zum Autor Shakespeare
9
Werke
11-13
Über das Stück
15/16
Das venezianische Staatswesen
Verfassung der Republik Venedig
15
Der große Rat
15
Rechte und Pflichten
16
17
Der Doge
Übersicht der Türkenkriege bis ins 16.Jh
18/19
20/21
Das Böse
Wo fängt Rassismus auf der Bühne an?
Themenbezogene Projektarbeiten
Zitate-Rätsel
22/23
24/25
26/27
28-31
Die Eifersucht
32-37
Die zwei Paradoxe des Othello´
Literaturverzeichnis
39
= Informationen und Texte
= theaterpraktische Übungen
5
Besetzung
OTHELLO von William Shakespeare
Premiere am 05.10.2013 / 19:30 Uhr im Großen Haus
Übersetzung und Bearbeitung von Katharina Kreuzhage, 5 Akte
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien
Othello, ein schwarzer General
Max Rohland
Brabantio, venezianischer Senator, Vater Desdemonas
Heinz Kersten
Luca Cassio. Ein rechtschaffener Leutnant Othellos
Gunnar Seidel
Jago, Othellos Fähnrich, ein Schurke
Stephan Weigelin
Roderigo, ein genasführter Edelmann
Alexander Wilß
Doge von Venedig
Lars Fabian
Senator von Venedig / Gratiano
Willi Hagemeier
Senator von Venedig / Zypriot
Marguerite Windblut
Montano, Gouverneur von Zypern
Lars Fabian
Lodovico, Verwandter Brabantios, edler Venezianer
Lars Fabian
Desdemona, Othellos Frau
Natascha Heimes
Emilia, Jagos Frau
Alessandra Ehrlich
Bianca, eine Kurtisane
Anne Bontemps
Begleiter Cassios, Zyprioten
Statisten: Julian Klenner, Peer
Sgominski, Dean Ruddock
Regie: Katharina Kreuzhage / Ausstattung: Ana Tasic / Dramaturgie: Nikolaos Boitsos /
Kampfchoreographie: Annette Bauer / Regieassistenz 1: Chiara Nassauer /
Regieassistenz 2. Karolin Dieckhoff / Inspizienz: Robert Stark / Soufflage: Beate Leclercq /
Bühnenmeister: Paul Discher / Beleuchtungsmeister: Hermenegild Fietz /
Ton & Video: Martin Zwiehoff / Requisite: Anette Seidel-Rohlf, Kristiane Szonn
Stephan Weigelin als Jago
7
Über William Shakespeare
*vermutlich geboren am 23.04.1564 in Stratford upon Avon, eine Stadt in der englischen
Grafschaft Warwickshire, als Sohn eines gutsituierten Handschuhmachers.
--1582
1583
1585
Über Kindheit und Jugendzeit ist nichts bekannt
Heirat mit der Gutstochter Anne Hathaway
Geburt der ersten Tochter Susanna
Geburt der Zwillinge, Sohn Hamnet und Tochter Judith
1584-1592
Die verlorene Zeit (Informationen aus dieser Zeit sind nicht belegt und beruhen
auf Vermutungen und Legenden)
1587
Umzug nach London und Beteiligung als Dramatiker, Regisseur und
Schauspieler in einer der beiden führenden Londoner Theatertruppen
Wird bereits als erfolgreicher Schauspieler und Dramatiker erwähnt
Widmung seiner Poeme Venus und Adonis und Lucrece an den Grafen v.
Southampton
Teilhaber der Theatergruppe Chamberlain´s Men (später: King´s Men)
Verleih eines Familienwappens an William Shakespeare
Kauf eines Hauses in Stratford
Teilhaber des neuerrichteten Globe Theatre in London
Erwerb des Blackfriars Theatre. Hier konnte in einem geschlossenen, intimeren
Saal gespielt werden
Wohlfeiler Verkauf der Theater-Anteile und Rückzug nach Stratford
Tod William Shakespeares in seinem Geburtsort Stratford-upon-Avon
Veröffentlichung einer umfangreichen Gesamtausgabe seiner Werke „First Folio“
von seinen ehemaligen Schauspielerkollegen1
1592
1593 /94
1594
1596
1597
1599
1608
1610/11
1616
1623
Charakteristika zum Autor Shakespeare
Während in der antiken Tragödie der Mensch am auferlegten Schicksal zerbricht, trägt er bei
Shakespeare den Konflikt in seinem Inneren aus und scheitert am Gegensatz von Verstand und
Leidenschaft. Neu ist auch die realistische, individualisierende Darstellung des Menschen. Kein
anderer neuzeitlicher Dramatiker hat das europäische Theater so nachhaltig beeinflusst wie
Shakespeare. Seine Dramen, Tragödien und Komödien wurden bereits zu seinen Lebzeiten hoch
geschätzt; im 18. Jahrhundert begeisterten sich Lessing, Herder und Goethe dafür. Die älteste
deutsche literarische Gesellschaft wurde 1864 in Weimar mit dem Ziel gegründet, Shakespeares
gewaltiges Werk zu erforschen und zu pflegen.
8
Immer wieder wird bezweifelt, dass William Shakespeare die ihm zugeordneten 37
Theaterstücke und 154 Sonette tatsächlich schrieb. Christopher Marlowe, Edward de Vere und
Francis Bacon wurden als angebliche Autoren genannt.
Brenda James und William Rubinstein behaupten in ihrem 2005 veröffentlichten Buch "The Truth
Will Out", nicht Shakespeare, sondern der elisabethanische Diplomat Sir Henry Neville (1562 –
1615), der von seinen Freunden "Falstaff" genannt wurde, habe die Komödien, Dramen und
Tragödien verfasst, die wir heute mit den Namen William Shakespeare verbinden.2
2
9
Werke
Shakespeare gilt heute als der erfolgreichste Autor der Neuzeit. Schon zu Lebzeiten genoss er
höchstes Ansehen, und heute zählt er zu den wichtigsten Autoren der europäischen
Kulturgeschichte. Seine wichtigsten Werke sind Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum,
Julius Caesar, Othello und Macbeth. 3
Die Komödie der Irrungen
Liebes Leid und Lust
Die edlen Veroneser
Heinrich VI
Richard III
Titus Andronicus
Der widerspenstigen Zähmung
Romeo & Julia
Richard II
Ein Sommernachtstraum
König Johann
Der Kaufmann von Venedig
Heinrich IV
Die lustigen Weiber von Windsor
Viel Lärm um nichts
Heinrich V
Julius Cäsar
Wie es Euch gefällt
Was Ihr wollt
Hamlet
Troilos und Cresida
Ende gut, alles gut
Othello
Maß für Maß
König Lear
Macbeth (Übers. Schiller)
Antonius und Cleopatra
Timon von Athen
Coriolanus
Perikles
Cymbeline
Das Winter-Märchen
Der Sturm
Heinrich VIII
1589-1594
1588-1598
1590-1594
1590-1592
1591-1593
1592-1594
1593-1594
1594-1596
1594-1595
1594-1596
1591-1597
1596-1597
1596-1598
1597-1601
1598-1600
1598-1599
1598-1600
1599-1600
1600-1602
1600-1601
1600-1603
1602-1604
1603-1604
1603-1604
1605-1606
1605-1606
1606-1608
1606-1608
1606-1609
1607-1609
1608-1610
1610-1611
1611
1612-1613
The Comedy of Errors
Love´s Labours Lost
Two Gentlemen of Verona
Henry VI, Part 1,2,3
Richard III
Titus Andronicus
Taming of Shrew
Rome and Juliet
Richard II
A Midsummer Night´s Dream
King John
The Merchant of Venice
Henry IV, Part II
The Merry Wives of Windsor
Much Ado about Nothing
Henry V
Julius Caesar
As You Like It
Twelfth Night
Hamlet
Troilos and Cressida
All´s Well Thats Ends Well
Othello
Measure for Measure
King Lear
Macbeth
Anthony and Cleopatra
Timon of Athens
Coriolanus
Pericles, Prince of Tyre
Cymbeline
Winter´s Tale
The Tempest
Henry VIII
AKTIV - WISSEN
Fragen Sie ihre SchülerInnen, ob und welche Werke Sie von Shakespeare kennen. Die
genannten Titel schreiben Sie auf die Tafel. Zu jedem Stück soll von den SchülerInnen eine
kurze Inhaltsangabe gemacht werden und diese im Anschluss besprochen werden.
Über das Stück:
Abb. 2
11
Über das Stück
Venedig, geschrieben 1603-1600
Othello ist eine Tragödie über Liebe, Intrige und Eifersucht. Das Stück wurde 1603 von William
Shakespeare verfasst und am 01.11.1604 uraufgeführt. In der Literatur erschien Othello
erstmals 1622. Die deutsche Erstübersetzung erschien im Rahmen der Gesamtübersetzung der
bis Dato herausgebrachten Shakespeare Werke in den Jahren 1762 bis 1766. Die erste
deutsche Uraufführung erfolgte im Jahr 1766 in Hamburg. 4
Inhalt
Jago ist eifersüchtig auf den Schönling Cassio, der an seiner statt zum Leutnant befördert
worden ist, und besonders auf Othello, den Schwarzen, den General mit seiner schönen, jungen
Braut Desdemona, auf die auch Jago ein Auge geworfen hat.
Aus Rache pflanzt Jago das Gefühl der Eifersucht in Othellos Herz. Er überzeugt ihn davon, dass
Othellos junge Braut Desdemona ihren Ehemann mit dem schnieken Cassio betrügt. Und
Othello, gutgläubig und aufbrausend, fällt auf die Intrige rein.
Als Desdemonas verloren geglaubtes Taschentuch sich ausgerechnet bei Cassio wiederfindet,
ist für Othello ihre Untreue bewiesen.
AKTIV – MACHT & OHNMACHT
Die SchülerInnen organisieren sich in Duos. Eine/r jedes Duos hat die Haltung des
„Mächtigen“, eine/r der/des „Ohnmächtigen“. Der Ohnmächtige nimmt zuerst eine
neutrale Körperspannung an. Der/Die Mächtige ist nun in der Lage, seinen
Partner/seine Partnerin mit Handbewegungen (ohne Worte und ohne direkte
Berührungen) in Bewegung zu versetzen. Er/Sie zeigt auf Gelenke oder Glieder,
welche von dem/der Ohnmächtigen bewegt werden sollen oder deutet an, wie bei
einem Marionettenspieler, einen Arm zu heben und zu senken. Es gibt ruckartige und
sanfte Bewegungen. Die Bewegungsart gibt der Mächtige vor. Der/Die Ohnmächtige
lässt sich wie eine Marionette bewegen und geht den Bewegungen nach. Es kann
auch so weit gehen, dass er/sie sich auf dem Boden rollt. Nach einigen Minuten
bekommt der Partner/die Partnerin „die Macht übergeben“. Reflektieren Sie in der
Gruppe. Wie fühlte es sich an in der Rolle des Mächtigen bzw. des Ohnmächtigen zu
sein?
12
AKTIV – INHALT - FRAGE & ANTWORT
In dieser AKTIV-BOX sehen Sie 12 Fragen zum Theaterstück. Beantworten
Sie sie gemeinsam in der Klasse. Wenn Ihnen die Fragen zu einfach
erscheinen, können Sie das Ausscheideverfahren weg lassen.
Was war Othellos Beruf?
a)
b)
c)
d)
Kapitän
Kommandant
Leutnant
General
Wofür war Cassio bekannt/was war typisch Cassio?
a)
b)
c)
d)
er war besonders schüchtern
für seine Zuverlässigkeit und Bescheidenheit
für seine anziehende Wirkung auf das weibliche Geschlecht
er war ein guter Seefahrer
Wie hieß die begehrte Tochter des Brabantio?
e)
f)
g)
h)
Desdemana
Desdamona
Desderoda
Desdemona
Wo feierten Othello und seine Angebetete Hochzeit?
a)
b)
c)
d)
auf Rhodos
in der Türkei
auf Zypern
in Venedig
Wer ist der „Chef“ der Venezianer?
a)
b)
c)
d)
der Gouverneur
der Doge
der Senator
der Großkanzler
13
AKTIV – INHALT - FRAGE & ANTWORT
Wie heißt Jagos Frau?
a)
b)
c)
d)
Adelia
Alessia
Emilia
Cornelia
Warum wird Othello zum Dogen gerufen?
a) weil er Ärger mit Brabantio hat
b) weil er an einer Seeschlacht teilnehmen soll
c) weil er befördert wird
Wer will die Insel Zypern angreifen?
a)
b)
c)
d)
das Spanische Königreich
Ägypten
Frankreich
Das Osmanische Reich
Was zerstört die Beziehung zwischen Othello und Desdemona?
a)
b)
c)
d)
Othellos Habgier
Desdemonas Untreue
Roderigos Intrigen
Othellos Eifersucht
Wer tötet Desdemona?
a)
b)
c)
d)
Cassio
Othello
Jago
Roderigo
Wie wird Jago am Ende für seine Taten bestraft?
a) er wird gehängt
b) er wird verhaftet
c) seine Frau Emilia ermordet ihn
Wie reagiert Emilia, als sie merkt, dass ihr Ehemann gegen Othello intrigiert?
a) sie tut nichts, da es ihr egal ist was ihr Mann treibt
b) sie ist empört und schockiert
c) sie freut sich und unterstützt Jago
14
Rezeptionsgeschichte (anspruchsvoll)
Der deutsche Shakespeare: vom Theaterprovokateur zum Opfer der Klassiklegende
Wesentliches Merkmal der Shakespeare-Rezeption in Deutschland ist seine Kanonisierung zum
dritten deutschen Klassiker im Bunde mit Schiller und Goethe. Die sich in der Statistik der
meistgespielten Autoren widerspiegelnde Trias brach erst 1965 auf, als Brecht Schiller und
Goethe auf den dritten bzw. vierten Platz verwies.
Drei Phasen der Shakespeare-Rezeption bis zum 20. Jahrhundert sind unterscheidbar:
Im 18. Jahrhundert führt die Shakespeare Rezeption zur Auseinandersetzung mit der
französischen Theaterkultur, durch die das deutsche Theater innovative Ansätze der
Darstellungsweise wie auch eine spezifische theatrale Norm gewann. Den kunsttheoretischen
Diskurs über Übersetzungen, szenische Dramaturgie und Figurengestaltung, dessen Ziel die
verbesserte Schaubühne mit dem Vorbild des Normenkatalogs des französischen Hoftheaters
war, kennzeichnet vor allem die wechselseitige Einflussnahme von Theater und Dichtung, wobei
die Vorherrschaft klar die Poesie inne hat. Während des Sturm und Drang kam Shakespeare
eine provozierende Funktion zu; vor allem seine Strategien der Emotionslenkung bewirkten die
Propagierung von freier Wahl der aristotelischen Einheiten, was sich in einer Aussprache gegen
das rhetorische Kulissentheater auswirkte. Shakespeares Realismus und sein Talent als
Menschenmaler werden erkannt, was eine Eingliederung in die kulturelle Öffentlichkeit bewirkte.
Die anschließende Erhebung Shakespeares zum Klassiker suchte die Verbindung des Werkes
mit soziokulturellen Aspekten der bürgerlichen Emanzipation. Das Phänomen des
Bildungstheaters mit seinen Bemühungen um ein klassisches Weltrepertoire und den
Übersetzungen von Schlegel, Tieck und Baudissin ermöglichten eine breitere Rezeption. Dies
bewirkte Shakespeares Anerkennung zum Werkstatus und seine Eingliederung in die
Kunstwerktheorie durch die Ummodellierung der Sprache. Vor allem Einstreichungen und
Zufügungen lassen ihn wie einen klassizistischen Autor wirken.
Die Nationalisierung des nun kanonisierten Klassikers erreicht im Nationalsozialismus, nach
kurzlebigen Gegenentwürfen in der Weimarer Republik, ihren bisherigen Höhepunkt. Sie beginnt
mit Spekulationen über Shakespeares Stammeszugehörigkeit. Nur Kunst, die im Namen des
deutschen Geistes für die Ziele der politischen Nation und Einheit wirksam gemacht werden
konnte, wurde annektiert und Literatur wurde auf ihre Verwertbarkeit für die Entwicklung des
Nationalstaates geprüft.
Theater und seine formal ästhetischen Bezüge wurden im Reichskanzleistil inszeniert, dessen
ungeachtet entwickelten sich entschiedene Gegenpositionen zu nationalsozialistischen
Interpretationsmustern. Aber ein nicht unbeträchtlicher Teil deutscher Forschung prolongiert
nationalideologische Deutungen. Shakespeare wurde zum politischen Drama, Fremdes wurde
negiert, den Hauptcharakteren wurden stattdessen völkische Merkmale zugegeben.
Das Regietheater des 20. Jahrhunderts bemühte sich um eine möglichst aktuelle Deutung des
Stoffes, und arbeitet demzufolge die Stücke nach politischer Situation und Zweck der
Aufführung um. 5
15
Das venezianische Staatswesen
Verfassung der Republik Venedig
Die Verfassung der Republik Venedig war im Wesentlichen mit der so genannten Schließung
des Großen Rates (serrata) im Jahre 1297 abgeschlossen. Mit der serrata wurde der größte Teil
der Bevölkerung dauerhaft von der Teilnahme an der Macht ausgeschlossen und eine
oligarchische Herrschaft eines geschlossenen Kreises von Adelsfamilien installiert.
Bis zum Ende der Republik 1797 blieb das Regierungssystem in seinen wesentlichen
Grundzügen bestehen, allerdings wurde es im Laufe der Jahrhunderte durch Gründung zahlloser
Unterbehörden mit wechselnden und nicht immer genau definierten Zuständigkeiten ergänzt.
Triebkräfte der Verfassungsentwicklung waren die Verhinderung einer Erbmonarchie sowie das
Herstellen der Machtbalance zwischen den einflussreichen Adelsfamilien und den einzelnen
Regierungsorganen. Alle Staatsämter, die mit Kompetenzen verbunden waren, wurden nur auf
kurze Zeit vergeben, umgekehrt hatten die auf Lebenszeit bestellten Staatsorgane, wie der Doge
und die Prokuratoren, kaum Kompetenzen und wurden überdies scharf kontrolliert. Die mit
Machtkompetenzen ausgestatteten Organe kontrollierten sich gegenseitig und wurden überdies
vom Rat der Zehn überwacht. Die Beschlüsse und Erlasse der Organe wurden von den drei
Avogadori di commun auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Kirchliche Amtsträger durften keine
Staatsämter in der Republik bekleiden. Bemerkenswert im Vergleich zu Verfassungen moderner
Republiken war die nur wenig scharfe Trennung von Legislative und Exekutive, ebenso fließend
war die Grenze zwischen Jurisdiktion und Legislative. Die Wirkungskreise wurden mit Absicht
nicht abgegrenzt, sondern gesetzgebende, ausübende und richterliche Gewalt von jedem der
Magistrate irgendwie geübt.
Die Institutionen veränderten und entwickelten sich während der gesamten Geschichte
Venedigs. Beachtet wurde dabei stets das Prinzip einer sorgfältigen Austarierung von Macht und
gegenseitiger Kontrolle der verschiedenen Gremien; dieses Prinzip halten Historiker als Ursache
für die einzigartige Stabilität dieses Staates im unruhigen Europa.
Die frühen Institutionen sind mangels Dokumenten nur wenig erforscht, erst ab dem frühen 13.
Jahrhundert existieren umfangreiche schriftliche Quellen. Die Verfassung und die Innen- und
Außenpolitik sind seit dieser Zeit reich mit Urkunden und verschiedensten schriftlichen Quellen
belegt. Lücken gibt es nur wenige. In der Dichte und ihrem Reichtum ist die Quellenlage wohl
nur mit der des Vatikans zu vergleichen.
Der große Rat
Zwischen 1132 und 1148 wurde der Alleinherrschaft des Dogen ein Gremium gegenübergestellt, aus dem sich der Große Rat entwickelte. 1297 kam es zur Schließung des Großen
Rates, der so genannten serrata. Hiermit wurde der Zugang zum Großen Rat mit dem Recht
aktiver und passiver Wahl des Dogen auf eine feste Anzahl von Familien beschränkt. Diese
wurden mit ihren männlichen Nachkommen in das Goldene Buch eingetragen. Die Mitglieder des
16
Großen Rates, des maggior consiglio, gehörtem diesem auf Lebenszeit an. Der Große Rat war
keine eigentliche Legislative, musste jedoch zu allen Gesetzesvorlagen gehört werden.
Mitglieder
Seit dem 13. Jahrhundert gehörten dem Großen Rat die männlichen Familienangehörigen der in
der serrata festgelegten Adelsfamilien an, die mindestens 20 Jahre alt waren, später wurde das
Alter auf 25 Jahre erhöht. Uneheliche Söhne waren ab 1376 per Gesetz ausgeschlossen. Seit
1315 wurde über die Zugehörigkeit Buch geführt.
Neuaufnahmen in den Rat waren selten; nach dem Chioggia-Krieg gegen Genua wurden 30
neue Familien aufgenommen, die so genannten case nuove im Unterschied zu den alten
tribunizischen Familien, den case vecchie. Ein letzter größerer Zugang erfolgte im Rahmen der
Türkenkriege des 17. Jahrhunderts mit der Aufnahme der case novissime. Zulassung war in
Einzelfällen, meistens unter Zahlung erheblicher Summen, möglich. Um 1200 wenig mehr als 40
Mitglieder umfassend, wuchs der Große Rat auf über 2.700 Mitglieder im Jahre 1527 an.
Die Mitgliedschaft konnte auch an Nicht-Venezianer ehrenhalber verliehen werden.
Rechte und Pflichten
Der Große Rat setzte die venezianischen Behörden ein und legte deren Kompetenzen fest. Er
konnte Gesetze erlassen. Er wählte den Dogen, die politischen Räte, den Großkanzler und die
Behördenleiter.
Die hohen Amtsträger (baili und podestà, Botschafter) im Ausland und auf der Terraferma
wurden von Großem Rat bestimmt, ebenso der Oberbefehlshaber der Marine und die
Galeerenkommmandanten. Es gab keine Anwesenheitspflicht, die wegen der Geschäftstätigkeit
der Nobili und ihrer auswärtigen Ämter und Funktionen grundsätzlich nicht möglich war. Das
wichtigste Recht des Rates war die Entscheidung über Krieg und Frieden. 6
17
Der Doge
Oberhaupt der Republik war der Doge. Die Bezeichnung Doge wird abgeleitet aus dem
lateinischen dux (Führer, Feldherr, Fürst), dem Titel für den Befehlshaber einer Grenzprovinz
des Römischen Reichs. Nach dessen Ende waren Teile Oberitaliens und Venetiens im Besitz von
Byzanz verblieben. Venetien gehörte zum Exarchat von Ravenna, und der Doge war der lokale
Stellvertreter des byzantinischen Statthalters. Im Zuge der Eroberung Oberitaliens durch das
Langobardische Reich gelangte Venedig in die strategische Position eines Außenpostens von
Byzanz. In dieser prekären Lage erreichten die Veneter im Lauf der Zeit eine Ausdehnung ihrer
Rechte und eine allmähliche Emanzipation von Byzanz. Nach der Tradition gilt Orso Ipato als
erster von der Volksversammlung (arrengo) frei gewählter Doge von Venedig.
Nachdem die folgenden Dogen teils in ungeordneten Versammlungen, nach gewaltsamer
Vertreibung oder Ermordung des Amtsinhabers bzw. im Zeichen brutaler Geschlechterkämpfe
um die Vorherrschaft einer Familie gewählt worden waren und es immer wieder zu
Gewaltausbrüche zwischen dem Adel und der Stadtbevölkerung gekommen war, kam es unter
dem Dogen Sebastiano Ziani zu einer ersten umfassenden Verfassungsreform. Neben der
Konstituierung des Großen Rates, des Kleinen Rates und des Rates des Vierzig wurde eine
Wahlordnung erlassen, nach der der Doge nicht mehr durch den arrengo sondern durch
Wahlmänner gewählt wurde. 7
Abb.2
Tizian: Der Doge Andrea Gritti
18
Übersicht der venezianischen Türkenkriege
bis ins 16. Jahrhundert
1. Venezianischer Türkenkrieg (1423 bis 1430)
Venedig, als führende Handels- und Seemacht im Mittelmeer, begann sich mit Hilfe seiner
Söldnerheere dem Osmanischen Reich entgegenzustellen, als es seine Handelsinteressen durch
die Expansion der Türken in Richtung Adriatisches Meer bedroht sah. Um seine
Handelsprivilegien im Osmanischen Reich zu sichern, schloss es jedoch bald wieder Frieden
und trat Thessaloniki an die Türken ab.
2. Venezianischer Türkenkrieg (1463 bis 1479)
Nach dem Fall Konstantinopels (29. Mai 1453) begannen die Türken mit der Eroberung
Griechenlands und vertrieben die Venezianer vom griechischen Festland.
3. Venezianischer Türkenkrieg (1499 bis 1503)
Innere Streitigkeiten der Osmanen nutzte Venedig um 1489 Zypern zu erwerben. Trotz der
Unterstützung durch Spanien, Portugal, Frankreich, den Kirchenstaat und die Johanniter musste
Venedig weitere griechische Städte aufgeben und Tribut zahlen. Belagerung von Rhodos 1522
1523 Der Johanniterorden (vgl. Geschichte des Johanniterordens) hatte sich 1309 auf der Insel
Rhodos niedergelassen und kontrollierte von dort den Seehandel im östlichen Mittelmeer. Nach
einer ersten vergeblichen Belagerung 1480 landete am 26. Juni 1522 ein großes osmanisches
Invasionsheer auf der Insel, um die Herrschaft über das östliche Mittelmeer für das Osmanische
Reich zu erobern. Den bis zu 160.000 Invasoren standen wenige Tausend Verteidiger
gegenüber. Nach schweren Kämpfen mussten die Johanniter am 22. Dezember kapitulieren und
zogen am 1. Januar 1523 ab.
1. Österreichischer Türkenkrieg / 4. Venezianischer Türkenkrieg (1526 bis 1555)
Der ungarische König Ludwig II., Adoptivsohn Kaisers Maximilian I., ehelichte 1515 Maria von
Habsburg, seine Schwester war wiederum mit Ferdinand I. verheiratet. Um gegen das sich
festigende Bündnis vorzugehen, griff Sultan Süleyman der Prächtige die Ungarn an und schlug
sie am 29. August 1526 in der Schlacht von Mohács; 26. September–14. Oktober 1529 kam es
zur 1. Belagerung Wiens, die schlechte Versorgungslage zwang die Türken jedoch zum
Rückzug; 1537 trat Venedig in den Krieg ein, 1538 wurde seine Flotte, unter Andrea Doria, in
der Seeschlacht vor Prevesa von den Türken geschlagen; Venedig schloss, wiederum um seine
Handelsprivilegien zu retten, 1540 einen Separatfrieden, in dem es Gebiete in Dalmatien, die
Ägäis und die letzten Städte auf Morea (Peloponnes) an die Türken abtrat; 1552 Sieg der
Osmanen über die Österreicher bei Palast; das Königreich Ungarn wurde dreigeteilt, der spätere
Kaiser Ferdinand I. musste einen jährlichen Tribut von 30.000 Dukaten an die Osmanen zahlen.
19
5. Venezianischer Türkenkrieg (1570 bis 1573)
1570 eroberten die Türken Zypern; Spanien, der Kirchenstaat und Venedig schlossen sich am
20. Mai 1571 zur Heiligen Liga zusammen. Ihre Flotte unter Don Juan de Austria schlug die
Osmanen am 7. Oktober 1571 in der Seeschlacht von Lepanto. Trotz des Sieges schloss
Venedig 1573 einen Separatfrieden, verzichtete auf Zypern und zahlte 300.000 Dukaten an das
Osmanische Reich. 8
20
DAS BÖSE
von Terry Eagleton
„…Das Böse ist absolut zwecklos. Etwas so triviales wie ein Zweck würde seine tödliche
Reinheit beflecken. Insofern ähnelt das Böse Gott, der, sollte sich erweisen, dass es ihn gibt,
absolut keinen Grund dafür hätte. Er ist sich selbst der Grund seines Seins. Auch er hat das
Universum einfach zum Spaß erschaffen, nicht zu irgendeinem Zweck. […]
Das andere große Shakespearesche Beispiel für ein Böses, das jeden Zweck vermissen lässt,
ist Jago in Othello. Jago nennt verschiedene Motive für seine Abneigung gegen den Mohren, so
wie Shylock für seinen Widerwillen gegen Antonio im Kaufmann von Venedig. Doch in beiden
Fällen scheinen die genannten Gründe merkwürdig unzureichend für die Heftigkeit des Hasses.
Außerdem liefern die beiden Männer ein verdächtiges Überangebot an Motiven, als versuchten
sie, eine Leidenschaft zu rationalisieren, die sie selbst nicht so ganz begreifen können. Man
kommt dahin, den Ursprung für Jagos Feindschaft gegenüber Othello in seinem Nihilismus zu
suchen. Jago ist ein Zyniker und Materialist, der an nichts als Wollen und Begehren glaubt und
alle objektiven Werte für belanglos hält: „Tugend! Abgeschmackt! – In uns selber liegts, ob wir
so sind oder anders. Unser Körper ist ein Garten und unser Wille der Gärtner ...Die Welt ist
nicht mehr als bildsamer Stoff, den der allmächtige individuelle Wille nach Belieben formen kann.
Das gilt auch für das Böse selbst. Menschen sind sich selbst gestaltende, sich selbst
erschaffende Wesen. Sie orientieren sich lieber an der eigenen Person als an Gott, Natur,
Mitmenschen oder objektiven Werten.
Etliche der berüchtigten Shakespeare'schen Schurken halten es so. […] Menschen, die sich
selbst erschaffen wollen, gleichen der sexuellen Eifersucht, die Jagos Frau beschreibt als ein
„Scheusal / Erzeugt von selbst, geboren aus sich selbst. Dingen, die sich selbst hervorbringen
oder sich tautologisch mit eigenen Begriffen definieren, haftet nach Shakespeares Vorstellungen
etwas Sinnloses und Bösartiges an. Immer wieder taucht dieses Bild in seinen Dramen auf. [...]
Othello scheint ganzwesentlich von seinem überhöhten Selbstbild zu leben. Da seine Identität so
vollständig nach außen gekehrt ist, hinterlässt er eine Abwesenheit oder Leere, die sein Freund
für seine finsteren Zwecke nutzen kann.
Aus Jagos Sicht stellt Othello eine prahlerische Charakterfülle zu Schau, die einen inneren
Mangel verbirgt. Und dieser Mangel ist paradoxerweise seine Unfähigkeit, einen gewissen
Identitätsmangel zu erkennen - eine Instabilität oder Unvollständigkeit seiner Persönlichkeit.
Sein überhöhtes Selbstbild erspart Othello die Auseinandersetzung mit seinem inneren Wesen.
Jago dagegen sagt von sich: „Ich bin nicht, was ich bin! - was heißen soll, dass sein Selbst im
Gegensatz zu dem Othellos, das mehr oder weniger identisch mit seinem öffentlichen Bild als
Krieger ist, nur eine leere Ergänzung der Maske ist, die er in der Welt jeweils präsentiert.
Jago läßt sich nur negativ definieren - als das Andere dessen, was er jeweils zu sein scheint. Das
Gleiche gilt für seinen Kommentar: „Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf. Wie ein
Kritiker hat er eine parasitäre Beziehung zur Kreativität, die er heimlich verachtet. Da es ihm an
einer robusten Identität fehlt, ist er ein Schauspieler, ein bloßer Darsteller - er lebt nur, wenn er
das Selbst anderer untergräbt. So kommt es, dass Jago, von Othellos scheinbar bruchloser
Identität bis aufs Blut gereizt, entschlossen ist, sie zu demontieren. […]
21
Da die Dinge zum Leidwesen des Bösen nun einmal existieren, kann es allenfalls den Versuch
unternehmen, sie zu vernichten. Die Schöpfung aus dem Nichts kann nur das Werk einer
absoluten Macht sein. Doch dem Zerstörungsakt wohnt etwas fast ebenso Absolutes inne. Wie
ein Schöpfungsakt lässt sich auch ein Zerstörungsakt nie wiederholen...“ 9
22
Wo fängt Rassismus auf der Bühne an?
Abb.3
Bei der Premiere von Dea Lohers „Unschuld“, inszeniert von Michael Thalheimer im Deutschen
Theater, erheben sich 42 Zuschauer und verlassen wortlos den Saal. Auf der Bühne standen die
Schauspieler Peter Moltzen und Andreas Döhler mit schwarz geschminkten Händen und
Gesichtern und dick rot geschminkten Lippen. Hinterher verteilen die Ausgezogenen im Foyer
Flugblätter, auf denen sie gegen die rassistische Praxis des „Blackfacing“ protestieren. Das
Schwarz-Schminken weißer Schauspieler entstamme einer „kolonialhistorischen Vergangenheit“,
entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts in den amerikanischen Minstrel-Shows, übernommen in
Deutschland, in Karnevalsumzügen und Filmen, um schwarze Menschen in herabwürdigender
Absicht darzustellen. Und tatsächlich konnte man sich fragen, wieso eigentlich werden
„schwarze“ Figuren auf dem deutschen Theater in der Regel von weißen Schauspielern und
Schauspielerinnen gespielt? Das Schlossparktheater hatte im Januar in einer ersten Erwiderung
auf die Proteste darauf hingewiesen, dass es in Deutschland schwierig sei, schwarze
Schauspieler fest zu engagieren und zu besetzen, da es einfach nicht genug Rollen für sie gebe.
Ziemlich töricht das, weil man natürlich fragen muss, wieso schwarze Schauspieler nicht für jede
Rolle in Frage kommen?
Theater, sagte Intendant des Deutschen Theaters Ulrich Khuon in einem DeutschlandradioInterview, sei seit Jahrtausenden nicht nur „ein Darstellen des Eigenen“, sondern erzähle immer
auch etwas „über den anderen“. Wenn im Deutschen Theater weiße Schauspieler, schwarz
geschminkt, zwei schwarze Illegale spielten, werde dieses „verfügende Nachdenken über den
anderen“ dargestellt, aber gleichzeitig auch kritisiert.
Und natürlich hatte er Recht. (…) Die Authentizität einer Figur, einer Darstellung erweist sich
nicht durch die korrekte Hautfarbe, sondern im Spiel. Nicht die Lebenserfahrung der „Person of
Colour“ im diskriminierungsfreudigen, um nicht zu sagen: rassistischen Deutschland beglaubigt
die Überzeugungskraft einer Theaterfigur, sondern die Nuanciertheit, die Qualität von Spiel und
Inszenierung.
23
Und trotzdem hat das Deutsche Theater und das Theater in Deutschland mit seiner
vorherrschenden Praxis, weiße Schauspieler schwarz zu schminken, ein Problem. Denn das
Theater befindet sich nicht im luftleeren, sondern im politischen Raum. Und dort ist es nicht
üblich, dass der Kritisierte selbst darüber entscheidet, ob Kritik zulässig ist oder nicht. Das
Theater ist als Teil der Gesellschaft, als ein Mittel der Verständigung der Gesellschaft über sich
selbst, ständig auf die Gesellschaft bezogen. Deshalb ist es ja auch hierzulande so gerne aktiv,
wenn es darum geht, Figuren aus dem überkommenen Dramenkanon die heuchlerische
bürgerliche Maske abzureißen. Aber warum erleben wir auf den Bühnen neuerdings zwar mehr
und mehr Schauspieler mit türkischem, belgischem, holländischen „Migrationshintergrund“, aber
fast nie schwarze Schauspieler? Gibt es vielleicht keine schwarzen Darsteller? Was immerhin als
Begründung höchst merkwürdig klänge, versammeln sich doch etwa in der Berliner Gruppe
Label Noir afro-deutsche Schauspieler, von denen drei zur Zeit im Staatstheater Mainz in der
Bruce Norris-Produktion „Die Unerhörten“ auf der Bühne stehen. Apropos Bruce Norris: Der
texanische Autor hatte dem Deutschen Theater im Januar untersagt, sein Stück „Clybourne Park“
auf den Spielplan zu setzen, weil das Theater die Rolle einer afro-amerikanischen Frau mit einem
weißen Ensemblemitglied besetzen wollte.
Für die andere afro-amerikanische Figur war der Schauspieler bereits engagiert worden. Ernest
Allan Hausmann, ein Deutscher mit schwarzer Haut, spielt inzwischen in Rafael Sanchez
Inszenierung „Die Kommune“ mit. Eine „weiße“ Figur. Ganz normal.
So normal wie die „türkisch-stämmigen“ Kommissare und „migrationshintergründlerischen“
Stand Up-Comedians, die sich sogar das, vom Theater gerne als geistig hinterwäldlerisch
verachtetes Privatfernsehen seit geraumer Zeit leistet. Höchste Zeit, dass diese farbenblinde
Normalität sich auch als Normalität im deutschen Theaterbetrieb durchsetzt. 10
AKTIV - DISKUSSIONRUNDE
Lesen Sie mit der Klasse den Zeitungsartikel. Diskutieren Sie über das Thema. Was
denken Sie / was denken die SchülerInnen darüber? Gibt es Möglichkeiten / Ideen,
das Problem „zu wenig Schwarze auf deutschen Bühnen“ in Zukunft zu vermeiden? Ist
es Rassismus, einen Weißen/eine Weiße dunkel anzumalen und ihn/sie vor dem
Publikum spielen zu lassen?
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Themenbezogene Projektarbeiten
Othello beinhaltet als Stückvorlage wie auch auf der Bühne eine ganze Reihe an
unterschiedlichen Themen und Themenfeldern. Die folgenden Felder stellen eine lose Sammlung
von Begriffen dar, die assoziativ solche Themen benennen. Passend zu diesen Begriffen gibt es
eine Reihe von Übungen, die Ihnen hier erklärt werden.
Liebe
Treue & Verrat
Kameradschaft
Kampf
Eifersucht
Rassismus
Macht
Gefühl & Verstand
AKTIV - THEMENFELD – ALLGEMEIN
Wir bieten hier einen kleinen Anreiz zu möglichen Themen aus OTHELLO. Dies sollte
aber nicht davon abhalten selbst auf Themensuche in dem Stoff zu gehen:
Ergänzen Sie die obigen Themenblöcke mit weiteren Themen, die Ihnen einfallen.
Teilen Sie die Klasse in kleinen Gruppen auf. Jede Gruppe bekommt ein Thema
zugeteilt, zu welchem Sie ein frei erarbeitetes Projekt machen können. Lassen Sie
die SchülerInnen wählen, welche Art von Projekt sie erarbeiten möchten. Unsere
Beispiele:
a) Theaterspielen
b) Schreiben
c) Interview
d) Fotografie
e) Bildende Kunst
f) Performance
Am Ende der Erarbeitungszeit werden die Ergebnisse mit dem gesammelten
Material gegenseitig präsentiert. Der Interviewer/die Interviewerin zeigt das
dokumentierte Interview, der Schreiber/die Schreiberin liest oder zeigt seine/ihre
Geschichte, der Fotograf/die Fotografin gesammelte Fotos, der Theaterspieler/die
Theaterspielerin eingeübte Szenen und der Performer/die Performerin seine/ihre
geprobte Performance.
Wie viel Zeit den SchülerInnen zur Verfügung steht, liegt ganz an Ihrem Lehrplan
und der Zeit, die Sie zur Verfügung haben.
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Diese Übung fordert Disziplin und Konzentration. Hier geht es nämlich darum, den
Kopf auszuschalten. Jeder Schüler/jede Schülerin hat ein weißes Blatt und einen
Stift zur Hand und hält mindestens 1 Meter Abstand zum Nachbarn/zur Nachbarin.
Geben Sie eines der auf der vorigen Seite aufgeführten Schlagwörter in die
Gruppe hinein. Sofort nimmt jeder Schüler/jede Schülerin den Stift in die Hand
und fängt an zu schreiben ohne den Stift abzusetzen und ohne darüber
nachzudenken, was geschrieben wird.
Stoppen Sie nach 3 Minuten die Zeit. Der Satz darf noch zu Ende geschrieben
werden, danach legt jede/jeder den Stift weg.
Wichtig dabei ist, dass die Schüler die klare Anweisung bekommen, dass sie
ihren Gedanken freien Lauf lassen sollen und sie den Zettel NICHT abgeben
müssen. Wer möchte, darf am Ende der Übung seine Geschichte vorlesen.
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Zitate-Rätsel
„Ich bin nicht, was ich bin.“ - Jago
"Und wer kann sagen, ich spiel hier den Schurken?" - Jago
„Wenn jedem Sturm solch sanfte Stille folgt, dann blast, ihr Winde, bis ihr die
Toten weckt!" - Othello
- Jago
„Bosheit zeigt nach und nach erst ihr Gesicht." - Jago
„Luftige Nichtse sind für die Eifersucht beweiskräftig wie´s Evangelium." - Jago
„Könnte die Erde schwanger sein von Weibertränen, kröch aus jedem Tropfen,
den sie weint, ein Krokodil!“ - Othello
„Ich bin einer, der Euch sagen will, dass Eure Tochter und der Schwarze grad
eben das Tier mit den zwei Rücken machen." - Jago
AKTIV - ZITATE
Was will der Dichter damit sagen?
Die alte Sprache ist oft nicht leicht zu verstehen. Manchmal muss man sich die Sätze 2oder 3-mal durchlesen, um dahinter zu kommen, was gemeint ist.
Oben sind Zitate aufgelistet, die während dem Theaterstück gesprochen
wurden. Die SchülerInnen tun sich in 2er Gruppen zusammen, lesen sich die
Sätze durch und überlegen, welche Aussage dahinter steckt. Ist jeder Satz
sofort verständlich oder müssen wir das Wort erst untersuchen um einen
Zusammenhang zu erkennen?
In welcher Situation und von wem sind die Sätze gefallen? Können sich die
SchülerInnen erinnern?
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AKTIV – TEXT BEIM SPIEL
Lassen Sie jeweils zwei Freiwillige einen Dialog aus dem Stück sprechen. Überlegen
und probieren Sie in der Gruppe aus, welchen Tonfall das Gespräch haben kann.
Lassen Sie die SchülerInnen in verschiedenen Stimmungen und Intentionen sprechen
und werten Sie am Ende aus, welche Variante die stimmigste war und warum.
Wechseln sie die SpielerInnen nach jedem Versuch aus, damit möglichst viele spielen
können und jede Szene an Charakter gewinnt.
Beispiel: vertraut ängstlich wütend müde verliebt launisch flüsternd ungeduldig
schnell singend flatternd laut gelangweilt verunsichert
Sehen Sie selbst, dass zwei unterschiedliche Emotionen in einem Dialog eine größere
Wirkung, als eine Haltung für beide Sprecher, erzeugt.
Teilen sie die Klasse in Gruppen auf und verteilen Sie jeder Gruppe eine ausgewählte
Szene unseres Stücktextes. Es gibt nun die Aufgabe sie innerhalb von 30 Minuten
szenisch umzusetzen. Jede SchülerIn soll beteiligt sein und seine/ihre Position in der
Szene finden.
Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird jede Szene nacheinander vorgestellt.
Wichtig ist nicht, dass die Szene wie im Theater gesehen umgesetzt wird. Spannend
kann auch eine andere Variante der Darbietung sein, zumal die Anzahl der
SpielerInnen anders sein wird.
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Die Eifersucht von Jasmin Andresh
Eifersucht lässt Menschen Dinge tun, die ihnen normalerweise nie in den Sinn kämen: Sie
spionieren ihrem Partner hinterher oder werden gar gewalttätig. Warum? Forscher streiten über
den Ursprung des heftigsten unserer Gefühle.
Frank ballt die Hand in der Tasche zur Faust, als er sieht, wie der attraktive Kerl auf der Party
seine Freundin anbaggert. Paula surft stundenlang auf den Facebook-Seiten ihres neuen Lovers
und sucht nach Grußbotschaften seiner Ex. Und schon die zweijährige Mia fühlt Zorn in sich
aufsteigen, wenn Mama ein fremdes Baby auf den Arm nimmt.
Eifersucht kennen wohl die meisten von uns. Sie ist ein altes Menschheitsthema, der Stoff, aus
dem Dramen und Tragödien gestrickt sind. Wer von ihr geplagt wird, sieht seine Verbindung zu
einer anderen Person oder den eigenen Stellenwert gefährdet, sei es beim Partner, bei der
besten Freundin oder bei der eigenen Mutter. Die Betroffenen
erleben eine ganze Bandbreite an Gefühlen von Angst und Traurigkeit bis hin zu blanker Wut,
oder sie ergehen sich in Selbstzweifeln.
Doch die Frage, warum dieses heftige Gefühl überhaupt existiert, gibt Forschern immer noch
Rätsel auf: Ist Eifersucht womöglich nur ein Zeichen für eine intakte soziale Beziehung? Oder
folgen die Wutausbrüche betrogener Ehemänner und -frauen einem alten evolutionären Schema,
das sich einst im Lauf der Menschheitsgeschichte als nützlich erwiesen hat? Auf der Suche nach
Antworten rücken Psychologen dem partnerschaftlichen Argwohn immer systematischer zu
Leibe.
Psychologen sagen, nicht immer ist ein reales Ereignis der Anlass für Vertrauenskrisen. Oftmals
existiert die Bedrohung ausschließlich in unserer Vorstellung. Bei einem Test zeigte sich, dass
Menschen auf solche realen Bedrohungen ausgeprägter reagieren, wenn ihre Partnerschaft
durch große gegenseitige Abhängigkeit und tiefes Vertrauen zueinander geprägt ist. Eifersucht
"auf Verdacht" hingegen hing weniger mit der Beziehungsqualität, sondern stärker mit den
Persönlichkeitseigenschaften der Befragten zusammen. Unsichere Probanden und solche mit
einem niedrigeren Selbstwertgefühl hegten ihrem Partner gegenüber häufiger ein unbegründetes
Misstrauen.
Ein niederländisches Forscherehepaar kam auf das Ergebnis, dass gerade diese argwöhnischängstliche Eifersucht auch die Qualität einer Beziehung besonders negativ zu beeinflussen
scheint. Ob sich Eifersucht um einen bloßen Verdacht oder um eine reale Bedrohung der
Partnerschaft handelt, beeinflusst auch maßgeblich die Gefühlslage der Betroffenen.
Das fand die Psychologin Annette Schmitt von der Universität Oldenburg bereits 1996 in einer
Befragung heraus. Hatten die Eifersüchtigen das Gefühl, zu Gunsten einer dritten Person
vernachlässigt zu werden, stand Wut im Vordergrund, gefolgt von Selbstzweifeln. War der
Partner tatsächlich untreu, so verspürte die Mehrheit vor allem Trauer. Wer jedoch lediglich
einem vagen Verdacht folgte, hatte vor allem Angst - nämlich davor, dass sich die Vermutung
bestätigen könnte. Psychologen führen Eifersucht häufig auf gesellschaftliche Normen zurück,
nach denen eine Partnerschaft als exklusiv gilt und romantische Gefühle nicht teilbar sind. Eine
Umfrage an jungen Erwachsenen und ihre Ansprüche an den Partner zeigte folgendes Ergebnis:
Der ideale Lebensgefährte sollte uns "ausschließlicher" und länger lieben als wir ihn; auch in
puncto Treue müsste er mehr aufbieten können als wir selbst.
Vermutlich, so der Forscher, Vermutlich, so die Forscher, dienten diese überzogenen Ansprüche
als Absicherung - auf diese Weise laufe man nicht Gefahr, der stärker liebende Partner zu sein
und dadurch leichter emotionale Verletzungen zu erleiden.
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Andere Forscher gehen eher davon aus, dass ein solcher Absolutheitsanspruch gegenüber den
engsten Bezugspersonen angeboren ist und schon in frühester Kindheit unsere Beziehungen
prägt. Einer der ersten Wissenschaftler, der dies beobachtete, war Charles Darwin (1809 1882). 1877 publizierte der Naturforscher ältere Aufzeichnungen über seinen Sohn William, der
bereits im Alter von 15 Monaten eifersüchtig reagiert hatte, sobald der Vater sich intensiv um
eine große Puppe kümmerte.
Über 100 Jahre später bestätigen Forscher um Sybil Hart von der Texas Tech University in
Lubbock diese Beobachtung in systematischen Studien. 2004 stellten sie fest, dass Babys
schon im Alter von gerade einmal sechs Monaten ein weinerliches Gesicht aufsetzen und
versuchen, die Aufmerksamkeit der Mama zu erlangen, wenn diese eine lebensechte Babypuppe
hätschelt.
Widmete die Mutter ihre Aufmerksamkeit dagegen einem Bilderbuch, ohne das eigene Kind zu
beachten, verhielt sich der Nachwuchs weitaus entspannter.
"Dass Eifersucht schon bei so kleinen Kindern auftritt, legt nahe, dass es sich weniger um eine
erworbene Charaktereigenschaft als vielmehr um eine angeborene Strategie handelt", folgert
Hart aus ihren Studien. Möglicherweise liege hier auch die Wurzel für Eifersüchteleien unter
Erwachsenen, meint die Psychologin. Denn das Gehirn eines eifersüchtigen Kindes zeigt
dieselbe Reaktion wie das eines Erwachsenen.
Dass frühkindlicher Konkurrenzkampf sich auf das Erwachsenenleben prägt, zeigt ein Ergebnis
einer weiteren Forschung: Wer von seinen Eltern rückblickend ähnlich viel Aufmerksamkeit
erhalten hatte wie seine Geschwister, verfügte über ein stärker ausgeprägtes Selbstwertgefühl
und empfand weniger Stress in seinen Liebesbeziehungen. War die Kindheit jedoch von
Ungerechtigkeit und damit Eifersüchteleien geprägt, litten darunter das Selbstbild und die
Qualität der Partnerschaften im Erwachsenenalter - erstaunlicherweise nicht nur bei den
benachteiligten Geschwistern, sondern genauso bei jenen, die sich selbst als bevorzugt
empfunden hatten. Für ein Kind mag, etwa wenn Nahrungsmittel knapp sind, ein
Geschwisterchen tatsächlich eine Bedrohung darstellen. "Eifersüchtiges Verhalten dient
dann dazu, sich die Aufmerksamkeit der Eltern zu sichern", so Hart. Dieses Programm werde
selbst dann abgespult, wenn sich die Eltern redlich bemühen, allen dieselbe Zuwendung
zuteilwerden zu lassen. Ob auch die Eifersucht unter Erwachsenen einer evolutionären Logik
folgt, darüber streiten Wissenschaftler noch.
In einigen Tests erwies sich, dass Männer und Frauen unterschiedliche Vorstellungen von
Eifersucht haben. Männer reagieren sensibler auf die körperliche Untreue, Frauen hingegen ging
die emotionale Untreue näher.
Auffällig ist aber, dass das Ergebnis des Geschlechterunterschiedes umso geringer ausfällt, je
höher die Schulbildung der Probanden ist. Die Forscher führen das darauf zurück, dass
Menschen mit niedrigerem Bildungsstand vermutlich eher dazu neigen, gesellschaftlich
vorgegebene Rollenmuster zu übernehmen. Selbst wenn es also einen angeborenen Unterschied
in Sachen Eifersucht geben sollte, scheinen die Erziehung und die aktuellen Lebensumstände
noch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen.
Nicht zu unterschätzen ist, dass Eifersucht oft zu absurden Reaktionen führt, die eine
Partnerschaft stark belasten oder zu deren Ende führen können: von ständigem Misstrauen, dem
Durchwühlen der Taschen und Durchstöbern der E-Mails des Partners
bis hin zu gewaltsamen Ausbrüchen. Insgesamt scheinen Frauen ihre eifersüchtige Aggression
eher gegen den eigenen Partner zu richten, während Männer vorzugsweise ihre Rivalen
angreifen.
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Aus welchen Gründen auch immer Menschen eifersüchtig werden: Etwas Gelassenheit kann uns
und unseren Beziehungen nur guttun und dabei helfen, die Pizza der Partnerin mit ihrem
Kollegen/ Kumpel oder die Unterhaltung des Freundes mit einer Fremden als das zu sehen, was
sie tatsächlich sind. Ganz im Sinne des weisen König Salomon, der sagte: "Ein gelassenes Herz
ist des Leibes Leben, aber Eifersucht ist Eiter in den Gebeinen." 11
AKTIV – FIGUREN JAGO & OTHELLO
Erstellen Sie in der Gruppe zwei Listen. Eine ist OTHELLO, die andere JAGO
zugeordnet. Auf den Listen schreiben Sie den Grund/die Gründe auf, warum sie die
Eifersucht gepackt hat. Ist das Gefühl für die SchülerInnen nachvollziehbar? Ist die
Reaktion der eifersüchtigen Figuren nachzuvollziehen?
AKTIV – GESPRÄCHSTHEMA
Fragen Sie Ihre SchülerInnen: Kennt ihr Situationen, in denen ihr eifersüchtig wart?
Kennt ihr Geschichten von anderen, die Eifersucht hervorgerufen haben? Was war
die Auswirkung?
AKTIV – ROLLENSPIEL
Bereiten Sie eine Bühnensituation vor. Es gibt den Spieler-Bereich (Bühne) und den
Zuschauerbereich (Publikum). Suchen Sie eine der unten aufgelisteten Situationen
raus und lassen sie sie von beliebig vielen Schülern/Schülerinnen nachspielen. Sie
bestimmen auch, wie die Geschichte weiter geht. Danach folgt ein kleiner
Gesprächskreis zwischen Publikum und SpielerInnen, bei dem Fragen und
Anregungen gestellt werden können. „Was ist geschehen?“ / „Wie hätte das Ende
anders ausgehen können?“ / „Wer war im (Un)Recht?“ / „Warum hat die Person so
reagiert?“ Sie nehmen die Rolle des Morderators/der Moderatorin an, der/die das
Gespräch ein- und ausleitet.
Lassen Sie die Szene noch einmal bis zu dem Punkt spielen an dem die Situation
beeinflusst werden kann. Die Schüler gehen ins Freeze und andere SchülerInnen
lösen die Rolle/n ab um die Szene anders enden zu lassen. Ist das Ende besser für
alle Beteiligten? Lassen Sie die SchülerInnen so viele Varianten wie möglich
ausprobieren, um zu einem „passenden“ Ergebnis der Konfliktlösung zu kommen.
(Freeze: Ein Freeze bedeutet das Stoppen einer Bewegung in der man sich befindet.
Man friert sozusagen ein.)
31
AKTIV – ROLLENSPIEL
Mögliche Situationen:
1) Ein Mann und eine Frau sind ein Paar. Sie fragt ihn, ob sie am Abend zusammen
essen wollen. Er sagt, er muss leider länger arbeiten und vertröstet sie. Am
Abend in der Stadt trifft sie ihn an. Er sitzt in einem Café mit einer anderen Frau.
Wie geht die Geschichte weiter?
2) Person A hat einen Fallschirmsprung gewonnen. Er darf noch eine Person
mitnehmen, muss sich aber schnell entscheiden. Vor ihm stehen seine beiden
besten Freunde/Freundinnen B und C. Er sagt schnell und laut „Person C!“.
Wie nimmt B die Entscheidung auf? Warum hat sich A für C entschieden?
3) Das Sportfinale der Volleyballmannschaft/des Fußballclubs beginnt. Es wird ein
neuer Teamleiter/Teamleiterin gesucht, da der vorherige/die Vorherige in die
Nachbarstadt zieht. A wünscht sich schon lange, Teamchef/in zu sein. Der
Teamleiter/die Teamleiterin verkündet das Ergebnis: Neue/r Teamchef/in wird B.
Was geht in A vor? Was kann/soll er/sie tun, damit er/sie sich besser fühlt?
Stephan Weigelin als Jago, Max Rohland als Othello & Gunnar Seidel als Cassio
32
Die zwei Paradoxe des Othello
Im OTHELLO stößt uns vieles zurück. Vor allem das, was noch vor kurzem als das Wertvollste galt. »Das
Beste, wenn auch nicht das größte« Drama Shakespeares, schreibt M. R. Ridley, der Kommentator und
letzte Herausgeber von OTHELLO in THE ARDEN SHARESPEARE.4 Und er fügt hinzu: »Jedenfalls
das beste Stück von Shakespeare im theatralischen Sinn. «
[…] Der tragische Teil ähnelt einer blutigen Farce, chaotisch und verworren, sinnlos und
geschmacklos. « Sehr ähnlich mußte Ducis OTHELLO interpretiert haben, dessen Adaptation
1792 in Paris aufgeführt wurde. […] Zum zweiten Mal wurde OTHELLO 1829 in Frankreich
aufgeführt, in der Übersetzung von Alfred de Vigny; der MOHR VON VENEDIG bahnte HERNANI den
Weg. Von nun an erwies sich OTHELLO als dasjenige Stück von Shakespeare, das dem Geist des 19.
Jahrhunderts am nächsten stand. OTHELLO wurde jeder Art von Theater im 19. Jahrhundert
gerecht.
[…] Die Tragödie der Eifersucht paßte vorzüglich sowohl zur englischen Haustragödie mit der
bürgerlichen Desdemona in der Nachthaube, die ein Erbe des 18. Jahrhunderts war, wie zum
romantischen Melodrama, in dem der Titelheld bald ein urwüchsiger und leidenschaftlicher Neger,
bald ein edler und erhabener Nachfahre arabischer Könige war. Ein so interpretierter OTHELLO war
eigentlich schon die fertige >orientalische< Oper, die nur noch auf ihren Komponisten wartete. Verdi
schrieb sie im Jahr 1887, und es dürfte kein Zufall sein, daß sein OTHELLO zu einem der wenigen
echten Erfolge in der Geschichte der Veroperungen Shakespeares wurde.
[…] Nach der Oper kam dann ein Roman, nach Verdis OTHELLO, der OTHELLO von
Dumas. Doch gerade in der Roman-Version zeigten sich plötzlich alle Willkürlichkeiten, Unklarheiten und
Widersprüche der Fabel. Die Shakespeare-Forscher kannten sie längst; Granville-Barker und Stoll haben gerade am Beispiel OTHELLOS die Simultaneität beider Shakespearescher Uhren gezeigt. Die
Nacht der Eifersucht dauert nur für Othello von Mitternacht bis zum Morgengrauen; Jago, Rodrigo und
Desdemona brauchen Wochen, um die Handlung sich entwickeln zu lassen.
Erst muß Desdemona die physische Möglichkeit des Ehebruchs gegeben werden; das aus Zypern
kommende Schiff mit der Nachricht vom Sieg muß Venedig, das zweite, aus Venedig mit der
Ernennung des neuen Gouverneurs, muß Zypern erreichen können.
[…]
II
In was für einer Landschaft spielt sich die Tragödie ab? Die Frage scheint unsinnig. Der erste Akt
spielt in Venedig, die vier weiteren auf Zypern. Venedig und Zypern zeigte bereits das romantische
Theater mit Hilfe der offenen Bühnenverwandlung, später hatte es den Anschein, als könne die
Drehbühne die letzten Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Jeder Aufzug konnte sein eigenes
Bühnenbild haben. Das englische Theater des beginnenden 19. Jahrhunderts spielte OTHELLO mit
Vorliebe in bürgerlichen Innenräumen, erst später wurde OTHELLO zu einem historischen
Kostümstück. Das naturalistische Theater baute einen ganzen Markus-Platz auf der Bühne auf:
OTHELLO ist mit der Szenographie des 19. Jahrhunderts so verwachsen, daß man sich das Stück von
allen Stücken Shakespeares wohl am schwersten auf einer leeren Bühne vorstellen kann. Doch
Venedig und Zypern sind hier genauso unverbindlich wie die Städte und Länder in allen anderen
Tragödien und Komödien Shakespeares.
33
[…] In Wirklichkeit spielt OTHELLO genauso wie alle anderen großen Tragödien Shakespeares
ausschließlich auf der elisabethanischen Bühne, die das theatrum mundi ist. Auf eben dieser
Bühne gerät die Welt wie in HAMLET und in KÖNIG LEAR aus den Fugen, bricht das Chaos
ein, und gefährdet ist selbst die Ordnung der Natur. […] Selbst das Firmament ist erschüttert.
Die Himmelssphären sind aus dem Gleichgewicht. Es ist, wie wenn der Wahnsinn von den
Sternen auf die Menschen niederkäme.
[…] Die gleichzeitige Sonnen- und Mondfinsternis ist die Vision des Weltuntergangs in der
barocken Malerei. Über Othello bricht die Nacht herein. Eine Nacht, die nicht nur ohne Sonne und
ohne Mond ist. In ihr ist wie in KÖNIG LEAR und in MACBETH der Himmel leer.
[…] Ähnlich wie KÖNIG LEAR und wie MACBETH ist OTHELLO die Tragödie eines Menschen
unter leerem Himmel. Im Finale wird Jago auf die Folter bank geführt. Aber in Wirklichkeit ist
Othello der Gefolterte, vom zweiten Akt an bis zum Schluß.
Wie Lear, wie Macbeth, wie Gloster steigt er immer tiefer hinab. Das ist jenes »Ende einer
Reise«, »journey's end«. Wie Lear, wie Gloster, wie Macbeth wird Othello in eine Endsituation
gebracht. Er kostet eine der menschlichen Erfahrungen bis zur Neige aus OTHELLO ist wie
KÖNIG LEAR und MACBETH ein Lot, eine Sonde bis auf den Boden der Finsternis. Die
elementaren Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit der Welt können nur auf dem äußersten
Boden entschieden werden, dort unten, am Ende der Wanderschaft.
G. Wilson Knight war der erste, der die Musik von OTHELLO zeigte. Aber er sprach
dem Stück die Universalität ab. Verglichen mit KÖNIG LEAR und MACBETH war
OTHELLO für ihn ein Drama, das keinen Symbolrang erreicht und in seiner Wörtlichkeit
eingeschlossen bleibt.
Für Knight war OTHELLO keine kosmische Tragödie. Trotz der unerträglichen romantischen
Diktion ziehe ich das Urteil von Victor Hugo vor:
[…] »Was ist Othello? Das ist die Nacht. Eine gewaltige fatale Gestalt. Die
Nacht ist verliebt in den Tag. Die Finsternis liebt die Morgenröte, der Afrikaner
betet die Weiße an. Desdemona ist für Othello die Klarheit und der Wahnsinn.
Deshalb verfällt er der Eifersucht so rasch. Er ist groß, ist erhaben, ist
majestätisch, er überragt alle, in seinem Gefolge schreiten Bravour, die
Schlacht, die Fanfare, das Banner, der Ruhm; ihn umgibt die Glorie von
zwanzig Siegen, er ist voller Orden, dieser Othello, er ist schwarz. Die
Eifersucht verwandelt den Helden jäh in ein Ungeheuer, der Schwarze wird
zum Neger. Es ist, als ob die Nacht dem Tod ein rasches Zeichen gegeben
hätte. «
[…] Othello ist die Nacht... Wenn er die Nacht ist und entschlossen ist zu töten, womit kann er es
tun? Mit Gift, Beil, Axt, Messer? Nein, mit dem Kissen. Töten heißt einschläfern. Vielleicht war sich
Shakespeare dessen selbst nicht bewußt.
Der Schöpfer gehorcht manchmal fast unbewußt seinem Typus, bis zu diesem Grad ist dieser Typus
eine Macht. Und deshalb stirbt die der Nacht angetraute Desdemona vom Kissen erstickt, das ihren
ersten Kuß empfangen hatte und ihren letzten Seufzer empfängt. «
[…]
34
III
Jago bereitete den Shakespeare-Interpreten stets die größten Schwierigkeiten. Für die Romantiker
war er ganz einfach der Genius des Bösen. Aber selbst Mephistopheles muß seine Beweggründe
haben. Zumal auf dem Theater. Jago haßt Othello, so wie er alle haßt. Die Kommentatoren haben längst
bemerkt, daß dieser Haß eigenartig selbstlos ist. Jago haßt zuerst, die Gründe dafür scheint er später
zu finden. Coleridges Formulierung trifft ins Schwarze: »the motive-hunting of a motiveless malignity«,
das Böse, das ohne Grund den Gründen des Bösen nachjagt. Verletzter Ehrgeiz, Eifersucht wegen
der eigenen Frau, Eifersucht wegen Desdemona, wegen allen Frauen, Eifersucht auf alle Männer,
diese unausgesetzte Eifersucht sucht sich immer neue Nahrung und ist nie gesättigt. Aber wenn der
Haß eine Begründung für sich sucht, welches sind dann die Gründe des Hasses?
Es gibt noch zwei vorzügliche Bezeichnungen für Jago. Carlyle nannte ihn »an inarticulate poet«, Hazlitt:
»an amateur of tragedy in real life«. Jago begnügt sich nicht mit dem Entwurf der Tragödie, er will sie
auch noch selbst durchführen, verteilt rundum die Rollen und tritt selber darin auf.
Jago ist ein teuflischer Regisseur, oder besser: ein machiavellistischer. Seine Beweggründe sind
vieldeutig und liegen im Dunkel, seine intellektuellen Argumente sind klar und genau. Er formuliert sie von
den ersten Szenen ab. Er monologisiert laut:
Our bodies are gardens, to the which our wills are gardeners.* OTHELLO, I, 3
*Unser Körper ist ein Garten, und unser Wille der Gärtner.
Der dämonische Jago ist eine Erfindung der Romantiker. Jago ist Dämon. Er ist ein zeitgenössischer
Karrierist, wie Richard III. Nur in einer anderen Größenordnung. Auch er will
einen wirklichen Mechanismus ins Rollen bringen, wirkliche Leidenschaften ausnutzen. Er will nicht der
Betrogene sein.
[…] Jago ist selbstverständlich ein Machiavellist, aber sein Machiavellismus ist für ihn nur die
Verallgemeinerung persönlicher Erfahrungen. Die Dummen glauben an Ehre und Liebe. In
Wirklichkeit gibt es nur den Egoismus und die Begierde. Die Starken verstehen es, die Leidenschaften
ihrem Ehrgeiz unterzuordnen. Auch der eigene Körper kann zum Werkzeug werden. Daher Jagos
Verachtung für alles, was lähmt, für die moralischen Verbote ebenso wie für die Liebe:
[…] Jago setzt den Mechanismus der Gemeinheit, des Neides und der Dummheit in Bewegung. Wie
Richard III. Und er wird genauso wie jener zermalmt. Die Welt, in der Othello an Desdemonas
Betrug glauben kann, in der Betrug möglich ist, in der Othello Desdemona ermordet, es weder
Freundschaft noch Treue noch Loyalität gibt, in der Jago mit einem Meuchelmord beauftragt, eine
solche Welt ist böse. Jago ist ein nur zu guter Regisseur der Tragödie.
Jago hat den Beweis erbracht, daß die Welt aus Dummköpfen und aus Schuften besteht. Er hat alle
ringsherum vernichtet. Und sich selbst. Er wird auf die Folterbank in seiner eigenen Tragödie
geschleppt. Er hat bewiesen, daß er kein Mitleid verdient. Weder er noch die Welt. Richards
Niederlage ist die Bestätigung der Wirksamkeit des Großen Mechanismus. Ähnlich die Niederlage
Jagos. Die Welt ist gemein. Er hatte recht. Gerade das wird ihm zum Verhängnis. Das ist das erste
Paradox.
35
IV
In der letzten Szene schweigt Jago. Wozu sollte er sprechen? Alles hat sich geklärt. Die Welt ist
zusammengebrochen. Aber nur für Othello, für ihn, Man wird ihm die Knochen brechen, aber er wird
triumphieren können. Seine Folterung und sein Tod sind keine Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Im Grunde erfüllen sie keinen Zweck mehr. Sie stehen außerhalb des Stückes, sogar im wörtlichen
Sinn. Aber Jago siegt nicht nur auf dem intellektuellen Plan der Tragödie. Er siegt auch im inneren
Gewebe, in der Materie und in der Sprache.
Im dritten Akt kriecht Othello zu Jagos Füßen, ihm steht Schaum vor dem Munde, er hat einen
Anfall. Shakespeare schreckt nie vor Grausamkeit zurück.
[…] Der herzliche Othello, der stolze Othello, der schöne Othello muß erniedrigt werden. Und zwar in
seiner Physis. Alles wird hier zersetzt wie von einer Säure.8
[…] Othello wird von Shakespeare mit dem ganzen heroischen Fundus des feudalen Romans und
der feudalen Epik ausgerüstet. Da gibt es berauschende Dichtung und gleichzeitig eine sterbende
Welt der Werte.
[…] Die Welt der Othelloschen Werte wird zerstört mitsamt ihrer Poesie und ihrer Sprache. Denn in
dieser Tragödie gibt es noch eine andere Sprache, eine andere Rhetorik. Jago macht davon
Gebrauch. In Jagos semantischem Feld zeichnen sich als Wortparolen, als Schlüsselwörter die Namen
von Dingen und Tieren aus, die Ekel, Angst, Abscheu hervorrufen.
[…] Othellos Sprache mündet in Stammeln. Das Pathos und die feudale Heldenpoesie werden in
Sprache und Bildern zerstört.
Darüber schrieb Knight bereits. Othello kriecht nicht nur zu Jagos Füßen. Er wird auch mit seiner Stimme
reden. Diese gebrochenen Sätze sind einer der ersten inneren Monologe im modernen Wortsinn,
denen wir im Drama begegnen:
Lie with her, lie on her? — We say lie on her, when they belie her, — lie with her, zounds, that's fulsome!
Handkerchief — confessions — handkerchief! To confess, and be hanged for his labour. First, to be
hanged, and then to confess; I tremble at it. Nature would not invest herself in such shadowing
passion without some instruction. lt is not words that shake me thus. Pish! Noses, ears and lips. Is't
possible? – Confess? – Handkerchief? – O devil!*
OTHELLO, IV, 1
*Bei ihr gelegen! auf ihr! Das Tuch – diese Geständnisse – das Tuch – eingestehn und
dann für die Mühe gehängt werden; zuerst gehängt, dann eingestehn. – Ich zittre davor! –
Natur würde sich nicht in so verfinsternde Qualen verhüllen, wäre es nicht Vorbedeutung.
Nicht Wahnbilder, die mich so erschüttern! – Hu, Nasen, Ohren und Lippen: ist es möglich?
Eingestehn – Tuch – o Teufel!-
Othello wird jetzt unausgesetzt von Brunft und Begattung, von Feuer und Schwefel, Schnüren,
Messern und Gift schreien. Er wird dasselbe Bestiarium beschwören. Jago sprach von Dohlen, die
Futter suchten, das Bild der Raben über dem verpesteten Haus wird Othello verfolgen (IV, 1). Er wird
alle Obsessionen Jagos übernehmen. Es ist, als könnte er sich überhaupt nicht mehr von den
Bildern der Affen und der Böcke, der Köter und der geilen Hündinnen befreien.
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[…] In KÖNIG LEAR sind es herrliche und gefährliche Raubtiere: Tiger, Falke, Wildschwein. In
Graz= Reptile und Insekten. Die Tragödie spielt sich im Laufe zweier langer Nächte. ab, zumindest
auf der Uhr der Leidenschaften, Die innere Landschaft von OTHELLO, in die die Protagonisten
der Tragödie immer tiefer geraten, die Landschaft ihrer Träume, ihrer erotischen Obsessionen,
ihrer Ängste, ist Dunkelheit. Erde ohne Sonne, Sterne und Mond, ein Verlies voller Spinnen,
Blindschleichen und Frösche.
[…] Der Unterschied zwischen den tierischen Bereichen in OTHELLO und KÖNIG LEAR besteht nur im
Maßstab. Die animalische Symbolik von OTHELLO dient der Degradierung der menschlichen Welt.
Der Mensch ist ein Tier. Ja; aber was für eins? »Beschreibung des Menschen sowie der Arten, die ihm
ähnlich sind, wie z. B. der Pavian, der Affe und andre mehr.« Das ist eine Aufzeichnung von
Leonardo. Sehr ähnlich in der Tendenz und in der Wabl der Vergleiche. Der Mensch kann als Tier
beschrieben werden. Er wird zu einem blutrünstigen und feigen, hinterhältigen und grausamen
Tier. Der als Tier gesehene Mensch muß Ekel erregen.
[…] Othello ist nicht nur in Jagos semantischen Bereich geraten. Bradley nannte OTHELLO: »a
close-shut murderous room«, die Vorkammer der Folter. Othello wird wie König Lear Torturen
ausgesetzt und bis in den Wahnsinn getrieben.
[…]
V
Schon vor ihrem Auftreten wird von ihr gesprochen. Schon schreien sie, sie sei mit einem Schwarzen
durchgebrannt Schon erscheint ihr Bild im Bereich der tierischen Erotik.
[…] Der Prolog von OTHELLO ist brutal. Jago und Rodrigo wollen Brabantio zur Weißglut
bringen. Aber das erklärt noch nicht die Hartnäckigkeit der tierischen Vergleiche. Diese sind
beabsichtigt. Die Verbindung Othello-Desdemona wird von Anfang an als eine Paarung von Tieren
gezeigt.
[…] In OTHELLO wie in KÖNIG LEAR sind die Körper nicht nur Qualen ausgesetzt; sie ziehen sich auch
gegenseitig an.
...your daughter, and the Moor, are now making the beast with two b a c k s . '
OTHELLO, I, 1
***Eure Tochter und der Mohr sind jetzt dabei, das Tier mit zwei Rücken zu machen.
Das Bild von dem Tier mit den zwei Rücken, dem weißen und dem schwarzen, ist eine der grellsten
Vorstellungen des sexuellen Aktes. Das Bild enthält sowohl das Klima der zeitgenössischen Erotik mit ihren
Träumen von reiner Körperlichkeit, dem Bruch des sexuellen Tabus und der Faszination für jede
Apartheit. Deshalb findet es sich so oft im schwarz-weißen Feld wieder. Othello ist fasziniert von
Desdemona, aber stärker noch ist Desdemona fasziniert von Othello.
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[…] Desdemona ist zugleich gehorsam und hartnäckig. Gehorsam bis zu der Grenze, wo die
Leidenschaft beginnt. Sie ist die leidenschaftlichste aller Frauengestalten Shakespeares. Viel verschwiegener als Julia und Ophelia, wie in sich selbst versunken Sie erwacht erst in der Nacht.
[…] Sie weiß nicht einmal, daß sie durch ihre bloße Anwesenheit beunruhigt, daß ihre bloße
Anwesenheit ein Versprechen ist. Othello wird es erst erfahren, Jago weiß es von Anfang an.
Desdemona ist treu, aber sie muß etwas von einer Dirne an sich haben. Nicht in actu, aber in
potentia. Sonst kommt das Drama nicht zum Tragen. Othello wäre andernfalls lächerlich.
Aber Othello darf nicht lächerlich sein. Desdemona ist besessen von Othello, aber alle Männer: Jago,
Cassio, Rodrigo sind besessen von Desdemona. Sie befinden sich in ihrem erotischen Klima.
[…] In der Beziehung Othellos zu Desdemona wird jetzt eine jähe Wendung eintreten, die Jagos
Intrigen nicht bis zuletzt aufklären können. Es ist, wie wenn Othello plötzlich vor Desdemona
zurückschrecken würde. Robert Speaight hat sich Gedanken darüber gemacht, wo diese Ehe vollzogen wurde. In Venedig oder erst auf Zypern, in jener Nacht, in der Jago Cassio betrunken
machte?11 Eine derartige Frage ist scheinbar unsinnig in der Shakespeareschen Tragödie mit der
doppelten Uhr der Geschehnisse und der synthetischen Motivierung. Aber vielleicht zielt sie gerade
deshalb, weil bei Shakespeare immer alle Motivierungen zugleich relevant sind, in die dunkle
Sphäre zwischen Othello und Desdemona. Othello verhält sich so, als hätte er eine andere
Desdemona vorgefunden als die erwartete.
She that so young could give out such a seeming ...**
OTHELLO, III, 3
**Sie, die so jung sich so verstellen konnte...
Es ist, als ob ihn die Explosion der Sinne bei dem Mädchen verblüfft und schockiert hätte, das
noch vor kurzem mit niedergeschlagenen Augen seinen Erzählungen lauschte. Desdemona fühlt sich
von der ersten Nacht als Geliebte und Frau.
[…]
Die Erotik ist ihre Bestimmung und Freude; die Erotik und die Liebe, die Erotik und Othello sind ein
und dasselbe. Ihr Eros ist hell, für Othello ist der Eros eine Falle. Es ist, als ob sich Othello in dieser
ersten Liebesnacht in jener Finsternis verloren hätte, in der Liebe und Eifersucht, Begierde und
Abscheu nicht mehr voneinander zu trennen sind.
Je heftiger Desdemona sich in der Liebe vergißt, desto mehr wird sie in Othellos Augen zur Dirne,
einer vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Dirne. Je stärker er sie begehrt, je besser er
sie liebt, desto leichter fällt es ihm zu glauben, daß sie ihn betrügen könnte.
Jago setzt den ganzen Zorn der Welt in Bewegung und fällt ihm am Ende zum Opfer. Desdemona
ist das Opfer ihrer eigenen Leidenschaft. Ihre Liebe zeugt gegen sie, nicht für sie. Die Liebe führt sie
ins Verderben. Das ist das zweite Paradox. […]
Natascha Heimes als Desdemona & Heinz Kersten als Brabantio
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Literaturverzeichnis
Abb.1 / Albrecht Dürer / Kupferstich „Die Eifersucht“ / 1498, 1499; http://www.albrecht-duererapokalypse.de
1 / Hrsg. Henning Rischbieter / „Theater-Lexikon“ / Orell Füssli Verlag / 1983; http://www.shakespeareinfo.de/shakespeare_lebenslauf.html
2 / http://www.dieterwunderlich.de/William_Shakespeare.htm
3 / Hrsg. Henning Rischbieter / „Theater-Lexikon“ / Orell Füssli Verlag / 1983; http://www.williamshakespeare.de/werke.html
4 / http://de.wikipedia.org/wiki/Othello
5 / Tabitah Klau / http://www.helikon-online.de / 2010; S.16
6 / http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Republik_Venedig
7/ http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Republik_Venedig
Abb.2 / Andrea Gritti / „Portrait Tizian“ / 1540; http://de.wikipedia.org/wiki/Andrea_Gritti
8 / http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkenkriege
9 / Terry Eagleton / „Das Böse“ / Ullstein Hardcover Verlag / 2011
Abb. 3 + 10 / Artikel der Berliner Zeitung / „Wo fängt Rassismus an?“ / 14.02.2012
11 / Jasmin Andresh / http://www.spiegel.de/gesundheit/sex/eifersucht-die-dunkle-seite-der-liebe-a844046.html
12 / Jan Kott / „Die zwei Paradoxe des Othello“ / 1970; Shakespeare heute
Weiterführendes
Literatur
Ina Schabert / „Shakespeare-Handbuch. Die Zeit. Der Mensch. Das Werk. Die Nachwelt.“ / Kröner Verlag
/Stuttgart 1978
Terry Eagleton / „Das Böse“ / Ullstein Hardcover Verlag / Berlin 2011
Moninger, Markus / „Shakespeare inszeniert. Das westdeutsche Regietheater und die Theatertradition des
dritten deutschen Klassikers“/ Niemeyer Verlag / Tübingen 1996
Bitterli, Urs / „Die Wilden und die Zivilisierten. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der
europäisch-überseeischen Begegnung“/ Beck‘sche Sonderausgaben / München 1976
Filme
From Shakespeare with Love / Regie: John Madden / USA, Großbritannien 1998
Othello / Regie: Oliver Parker / USA, Großbritannien 1995 / Verfilmung des Stücks
„Gut wär´s, wenn Menschen wären wie sie scheinen.“
Jago in OTHELLO
IMPRESSUM
Herausgeber
Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH
Neuer Platz 6
33098 Paderborn
Intendanz und Geschäftsführung
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Vorsitzender des Aufsichtsrates
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Redaktion
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Dramaturgie / Nikolaos Boitsos
Gestaltung
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www.better-new-world.com)
Probenfotos
Marcel Diemer / www.mdphoto.org
Theaterkasse
Tel.: 05251/ 2881100 / Neuer Platz 6 / 33098 Paderborn / Di-Sa: 10:00-13:30 Uhr / Di-Fr: 14:30-18:00 Uhr

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