Nießbrauch – Wundermittel oder Gestaltungsfalle?

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Nießbrauch – Wundermittel oder Gestaltungsfalle?
HAUS + GRUND MÜNCHEN INFORMIERT
„Nießbrauch – Wundermittel oder Gestaltungsfalle?“
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Steuerrecht
convocat GbR München und Unterhaching
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1. Nießbrauch – eine Definition
Das Nießbrauchsrecht ist vor allem bei Immobilienbesitzern ein beliebtes Gestaltungsmittel,
um Grundstücke schon zu Lebzeiten an die nächste Generation zu übertragen. Dem Gesetz
nach handelt es sich um ein unvererbliches und unveräußerliches dingliches Recht, alle Nutzungen aus dem belasteten Gegenstand zu ziehen, die Früchte des Gegenstandes also zu
genießen. Vereinfacht ausgedrückt vermittelt das Nießbrauchsrecht das wirtschaftliche Eigentum an einer Sache. Tatsächlich gehört die Substanz aber einer anderen Person – dem Grundstückseigentümer.
Dieser Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem an einem Grundstück bestellten Nießbrauchsrecht. Aber auch an anderen Gegenständen und Rechten kann ein Nießbrauchsrecht
vereinbart werden.
2. Welcher Zweck wird mit dem Nießbrauchsrecht verfolgt?
Bei einer steuerlich motivierten lebzeitigen Übergabe wird das Eigentum an Immobilien an die
nächste Generation weitergegeben. Die Nutzung, insbesondere die Mieteinnahmen, behält
sich der Übergeber vor. Der Nießbrauch dient nicht selten auch anderen Personen, die der
Übergeber versorgen möchte.
Beispiel:
Die Eheleute Huber sind in der Zugewinngemeinschaft (= gesetzlicher Güterstand) verheiratet
und haben zwei Kinder. Das Familienheim steht im Alleineigentum des Herrn Huber. Herr Huber möchte kein Testament errichten, sondern vertraut auf die gesetzliche Erbfolge. Da seine
Frau nach seinem Tod nur Erbin zu 1/2 neben den Kindern werden wird, räumt er ihr bereits
zu Lebzeiten ein lebenslanges Nießbrauchsrecht am Familienheim ein. Nach dem Tod des
Herrn Huber fällt das Familienwohnheim in den Nachlass und gehört der Erbengemeinschaft
bestehend aus Frau Huber und den beiden Kindern. Dieses Familienwohnheim ist aber mit
dem alleinigen Nutzungsrecht zu Gunsten der Miterbin „Ehefrau“ belastet. Dieses steht ihr bis
zu ihrem Tod alleine zu.
3. Wie vereinbart man ein Nießbrauchsrecht?
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Die Einräumung eines Nießbrauchsrechts an einem Grundstück bedarf neben der Einigung
der Parteien über das Nießbrauchsrecht der notariellen Beurkundung. Der Grundstückseigentümer muss die Eintragung dieses Rechts im Grundbuch bewilligen. Der Notar beantragt für
die Parteien die Eintragung des Nießbrauchsrechts im Grundbuch als Dienstbarkeit. Dort wird
es im Grundbuchblatt des belasteten Grundstücks eingetragen.
Mit der Eintragung im Grundbuch ergeben sich die Rechtswirkungen dieses Nießbrauchsrechts nicht nur zwischen den am Vertrag Beteiligten, sondern auch gegenüber fremden Dritten, beispielsweise einem späteren Grundstückskäufer. Damit ist der Nießbrauchsberechtigte
vor möglichen späteren Belastungen geschützt, die sein Nießbrauchsrecht beeinträchtigen
könnten. Man spricht daher von einem dinglichen Recht.
Neben den für das Nießbrauchsrecht gesetzlich vorgesehenen Regelungen können auch weitere individuelle Vereinbarungen getroffen werden. Diese Regelungen werden oft „nur“ schuldrechtlich vereinbart. Schuldrechtliche Regelungen berechtigen und verpflichten nur die am
Vertrag Beteiligten. Regelmäßig werden sie zusammen mit dem dinglichen Vertrag, der die
Voraussetzungen für die Grundbucheintragung schafft, im Rahmen der vorgenannten Beurkundung aufgenommen.
4. Was regelt das Nießbrauchsrecht?
Für ein Nießbrauchsrecht gelten zunächst die gesetzlichen Regelungen, §§ 1030 ff. BGB.
Diese Regelungen können teilweise vertraglich abgeändert werden, teilweise sind sie zwingend.
Zwingend ist beispielsweise, dass das Nießbrauchsrecht nicht übertragbar ist. Zwar kann die
Ausübung des Nießbrauchsrechts einer anderen Person überlassen werden. Dies führt aber
nicht zu einer Eintragung im Grundbuch. Das Nießbrauchsrecht ist auch nicht vererblich, es
erlischt spätestens mit dem Tod des Nießbrauchsberechtigten. Ist das Nießbrauchsrecht nur
für eine bestimmte Zeit gewährt worden, erlischt es nach Zeitablauf.
Die Einräumung des Nießbrauchsrechts kann unentgeltlich oder auch gegen Vereinbarung
eines Zinses gewährt werden. Auch hinsichtlich der Kostentragungslasten kann von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden. Der Gesetzgeber sieht vor, dass der Nießbrauchsberechtigte die laufenden öffentlichen Lasten und die gewöhnlichen Instandhaltungsarbeiten
zu leisten hat. Zur Zahlung der außerordentlichen Lasten sowie außergewöhnlicher Instandhaltungsmaßnahmen ist der Eigentümer verpflichtet. Gerade bei der vorweggenommenen
Erbfolge sollte aber über die Möglichkeit der von der gesetzlichen Regel abweichenden Kostenverteilung nachgedacht werden.
Beispiel:
Die verwitwete Maria Bauer ist Alleineigentümerin des von ihr bewohnten kleinen Einfamilienhäuschens. Nachdem ihre Rente sehr gering ist und die Kosten für das Haus immer höher
werden, entschließt sie sich, dieses Haus ihrem Neffen Horst Helmrich zu schenken. Im Überlassungsvertrag behält sie sich den lebenslangen Nießbrauch vor. Gleichzeitig vereinbaren
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die Beiden, dass der Neffe Horst Helmrich sämtliche Kosten, sowohl die gewöhnlichnen als
auch die außergewöhnlichen Kosten, zu tragen hat.
Mit dieser Vereinbarung sichert die Übergeberin den Verbleib in ihrem Haus. Gleichzeitig entlastet sie sich durch die „Übertragung der Kosten auf die nächste Generation“. Diese Kostenübernahme durch den Neffen führt bei einer klugen Regelung darüber hinaus auch zu einer
schenkungsteuerlichen Minderung des Wertes.
5. Steuerliche Behandlung des Nießbrauchrechts
Die Bestellung eines Nießbrauchsrechts an einem Grundstück führt zu einer Reduzierung einer eventuellen Schenkungsteuerbelastung. Seit der Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes zum 01.01.2009 wird der steuerliche Wert des Nießbrauchs vom steuerlichen
Wert des Grundstückes wie eine Verbindlichkeit in Abzug gebracht.
Der steuerliche Kapitalwert des Nießbrauchs errechnet sich nach § 14 Abs. 1 BewG aus einem
Vielfachen des Jahreswerts der zu erzielenden Einnahmen aus dem Grundstück. Der Jahreswert wird durch den 18,6ten Teil des steuerlichen Werts des Grundstücks begrenzt. Der Vervielfältiger basiert auf der jeweils aktuellen Sterbetafel und wird jedes Jahr neu vom Bundesministerium der Finanzen auf den 01.01. eines Jahres veröffentlicht.
Beispiel:
Eduard Schmid ist Eigentümer einer Eigentumswohnung in München. Diese ist zu einem monatlichen Nettomietzins in Höhe von € 1.500 vermietet. Herr Schmid ist 70 Jahre alt und
möchte diese Wohnung an seinen Sohn Markus verschenken. Im Rahmen der Schenkung
behält er sich den Nießbrauch auf Lebenszeit vor. Der steuerliche Wert der Wohnung beträgt
€ 500.000.
Der Jahreswert für die Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauches beläuft sich auf
€ 18.000 (€ 1.500 x 12). Der 18,6te Teil beträgt € 26.882 (€ 500.000 : 18,6) und liegt damit
über dem Jahreswert, so dass dieser maßgeblich ist. Bei einem 70 Jahre alten Mann ergibt
sich ein Vervielfältiger von 9,677. Der Kapitalwert beträgt folglich € 174.186.
Markus steht gegenüber seinem Vater ein persönlicher Freibetrag in Höhe von € 400.000 zu.
Die Schenkungsteuer berechnet sich wie folgt:
steuerlicher Wert Eigentumswohnung
€
500.000
./. Nießbrauch Vater Eduard
./. persönlicher Freibetrag
€
€
174.186
400.000
./. €
74.186
steuerpflichtiger Erwerb
Markus muss auf diese Übertragung keine Schenkungsteuer zahlen. Eduard wäre in der Lage,
innerhalb der nächsten 10 Jahre einen weiteren Betrag in Höhe von € 74.186 schenkungsteu-
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erfrei an seinen Sohn Markus zu übertragen. Hätte E das Grundstück ohne Nießbrauchsvorbehalt an M übergeben, müsste M einen steuerlichen Erwerb in Höhe von € 100.000 mit einem
Steuertarif von 11 % versteuern.
Verzichtet E in 5 Jahren auf sein Nießbrauchsrecht, ist dies eine erneute Schenkung an M,
deren Wert aufgrund einer BFH-Entscheidung neu berechnet werden muss. Da der 10-Jahreszeitraum noch nicht abgelaufen ist, wird der Wert der heutigen Schenkung als sogenannte
Vorschenkung dem Wert, der sich aufgrund des Nießbrauchsverzichts ergibt, hinzugerechnet.
Ein nachträglicher Verzicht sollte daher wohl überlegt sein. Ganz abgesehen davon, dass das
Finanzamt auch zu der Auffassung gelangen kann, dass die Parteien des Überlassungsvertrags von Anfang einen Nießbrauch nicht ernsthaft vereinbaren wollten. Dies würde sogar zu
einer rückwirkenden Aufhebung des damaligen Schenkungsteuerbescheides führen.
In Bezug auf die einkommensteuerlichen Folgen des Nießbrauchs muss auf die konkret vereinbarten Kostentragungsregeln abgestellt werden. Die gesetzlich vorgesehene Verteilung
führt dazu, dass der Eigentümer die außergewöhnlichen Instandhaltungskosten trägt. Gerade
diese für einen möglichen Werbungskostenabzug interessanten Kosten kann der Eigentümer
einkommensteuerlich nicht geltend machen, da er keine Vermietungseinkünfte aus dem
Grundstück erzielt.
Wenn sich der Nießbrauchsberechtigte hingegen vertraglich verpflichtet, neben den gesetzlich
vorgesehenen Kosten auch alle weiter anfallenden Kosten des Grundstücks zu übernehmen,
wird er steuerlich wie ein wirtschaftlicher Eigentümer behandelt. Er muss Einnahmen versteuern, kann aber Kosten und AfA als Werbungskosten in Abzug bringen.
6. Worin liegt die Gestaltungsfalle?
Häufig wird aber ein gravierender Nachteil übersehen, der im Einzelfall alle ursprünglich mit
dem Nießbrauch verfolgten Ziele zunichtemachen kann. Die Übertragung eines Grundstücks
unter Nießbrauchsvorbehalt führt dazu, dass im Rahmen der Pflichtteilsergänzung die Zehnjahresfrist nicht zu laufen beginnt.
Beispiel:
Herr Meyer ist verwitwet und hat zwei Kinder. Die Tochter hat bereits geheiratet und ist ihrer
Meinung nach versorgt. Herr Meyer beschließt daher, das Familienwohnheim mit einem Wert
in Höhe von € 300.000 an den Sohn zu übertragen und sich einen lebenslangen Nießbrauch
vorzubehalten. Herr Meyer stirbt 15 Jahre nach der Übertragung bei einem Autounfall. Zu diesem Zeitpunkt hat das Haus noch einen Wert in Höhe von € 280.000. Er hinterlässt noch Barvermögen in Höhe von € 20.000. Ein Testament ist nicht vorhanden, so dass die gesetzliche
Erbfolge greift.
Im Beispielsfall werden die Kinder gesetzliche Erben zu je ½. Nachdem der Nachlass € 20.000
beträgt, erhält jeder die Hälfte also jeweils € 10.000. Die Tochter kann aber von ihrem Bruder
wegen der Schenkung noch weitere € 60.000 verlangen.
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Der Gesetzgeber wollte eine Umgehung des Pflichtteilsrechts und damit eine Benachteiligung
des gesetzlichen Erben durch Schenkungen des Erblassers vermeiden. Daher werden alle
Schenkungen des Erblassers innerhalb der letzten 10 Jahre vor seinem Tod zum tatsächlichen
Nachlasswert hinzugerechnet und ergeben einen so genannten fiktiven Nachlasswert. Sind
pflichtteilsberechtigte Personen, also Kinder, Enkel sowie Eltern und Ehegatten des Erblassers, durch ihr tatsächliches Erbe oder den tatsächlichen Pflichtteil schlechter gestellt, als ihr
Pflichtteil aus dem fiktiven Nachlasswert wäre, können sie die Ergänzung ihres Erbes oder
Pflichtteils verlangen. Die Differenz zwischen Pflichtteil nach dem fiktiven Nachlass und tatsächlicher Beteiligung am Nachlass ist der so genannte Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Seit der Pflichtteilsrechtsreform zum 01.01.2010 schmelzen Schenkungen, die vor mehr als
einem Jahr vor dem Todesfall geleistet wurden, mit jedem Jahr vor dem Erbfall mit einem
Zehntel Wert der Zuwendung ab. Eine Schenkung 3 Jahre und einen Tag vor dem Erbfall wird
also mit 70 % des Wertes berücksichtigt. Schenkungen, die vor mehr als 10 Jahren vor dem
Erbfall erfolgten, lösen keine Pflichtteilsergänzungsansprüche mehr aus.
Die Abschmelzung erfolgt aber nicht bei einer nießbrauchsbelasteten Schenkung! Die zehnjährige Abschmelzungsfrist für Pflichtteilsergänzungsansprüche beginnt bei Übertragungen
unter Nießbrauchsvorbehalt, aber auch beispielsweise bei Übertragung unter Vorbehalt eines
umfangreichen Wohnrechts und bei Zuwendungen unter Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern gar nicht zu laufen. Es werden also auch Schenkungen des Erblassers vor mehr
als 10 Jahren berücksichtigt, und zwar in voller Höhe.
Bei der Bewertung der Schenkung wird der Wert des Nießbrauchs nur berücksichtigt, wenn
der Wert der Immobilie zum Zeitpunkt der Schenkung - angepasst um den Kaufkraftschwund
bis zum Todestag - niedriger als der Wert der Immobilie zum Todeszeitpunkt ist.
Im vorliegenden Beispielsfall hätte die Tochter bei einer Schenkung ohne den Nießbrauchsvorbehalt neben ihrem Erbe keine Ansprüche mehr gegenüber dem Bruder geltend machen
können. Die steuerlichen Vorteile bei den Vermögensverhältnissen im Beispielsfall stehen in
keinem Verhältnis zu den ausgelösten Pflichtteilsergänzungsansprüchen.
7. Fazit
Das Nießbrauchsrecht ist für viele Fälle, vor allem der vorweggenommenen Erbfolge und/oder
der Absicherung der Übergebergeneration, ein interessantes Gestaltungsmittel. Oft wird das
Potenzial der Regelungsmöglichkeiten gar nicht ausgenutzt. Ein Nießbrauchsrecht kann auch
eine Alternative beispielsweise zu einem Erbbaurecht oder einer Vor- und Nacherbschaft sein.
Es bedarf aber einer umfassenden rechtlichen und steuerlichen Beratung, wenn ein Nießbrauchsrecht vereinbart werden soll. Insbesondere mögliche Pflichtteilsergänzungsansprüche
oder ungünstige einkommensteuerliche Folgen werden oft nicht bedacht und führen zu teils
katastrophalen Ergebnissen.
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