IN 40 JAHREN 100 MAL UM DIE ERDE GEFAHREN …

Transcrição

IN 40 JAHREN 100 MAL UM DIE ERDE GEFAHREN …
Reportage Carhalter
IN 40 JAHREN 100 MAL
UM DIE ERDE GEFAHREN …
Wenn er sein Schottenmützchen aufsetzt und
seine Hände das Lenkrad seines Volvo 9700
umklammern, ist er in seinem Element. Wenn
Hansruedi Hefti aus dem thurgauischen
Münchwilen behauptet, er sei schon in allen
Hauptstädten Europas gewesen und organisiere gerade die 33ste Fahrt ans Nordkap,
weiss man: Dieser Mann ist nicht hinter dem
eigenen Gartenzaun stehen geblieben. Seine
Geschichte als Chauffeur und Carhalter ist
reich an Erlebnissen, die andere nur vom Hören-sagen kennen oder über die mediale
Berieselung auf sich einwirken lassen, ohne
dass es ihr Weltbild in richtungsweisender
Art prägen würde. Erleben heisst leben!
und Stückgut gefahren. «Ja, und dann
war noch das Kippern», rundet er die
Tätigkeitsfelder ab. Und während er in
Erinnerungen schwelgt, läutet es an der
Haustüre. Paul Hefti, sein Onkel, betritt
den Raum. Schnell stellt sich heraus,
dass auch er Diesel im Blut hat. Im Strassenbau habe er lange Jahre gewirkt,
und voller Stolz erzählt er, dass er beim
Bau der Passstrasse am Maloja dabei
gewesen sei. Und dann war da noch der
Ofenpass, und die Autobahn durchs
Tessin, und in Basel ... Hansruedi Hefti
reisst das Heft wieder an sich. «1971
sass ich erstmals am Steuer eines Reisebusses», erzählt er. Es sei eine Hochzeitsreise gewesen, die er im Auftrag
der Hohl Carreisen in St. Gallen ausgeführt habe. Es muss eine persönliche
Jungfernfahrt gewesen sein, die nachhaltige Wirkung zeitigte. Fortan dominierten Reisecars das Berufsleben des
Hansruedi Hefti. Im Zeitraffer: Für eine
Winterthurer Firma fuhr er Badegäste
ins italienische Ferienparadies Rimini
und merkte, wie er schelmisch einfügt,
schnell, dass er mit Schokolade und Zigaretten die Zollabfertigung beschleunigen konnte. Kleine Geschenke erhalten
nicht nur die Freundschaft …
1977 wechselte er zur Hugelshofer AG
in Frauenfeld. Eigentlich als Carchauffeur angestellt, rutschte er mehr und
mehr in die Rolle des «Reisemanagers».
Er organisierte in der ganzen Schweiz
Jassreisen mit Göpf Egg und stellte Reiseprogramme zusammen, die unter anderem eine Fahrt mit dem Glacier-
 Erwin Kartnaller
Hansruedi Hefti:
«Wer ein echter
Carchauffeur
ist, kleidet sich
anständig».
Gross deshalb
seine Sammlung
an Krawatten.
Wer die gute Stube des Hansruedi Hefti
betritt, merkt schnell, welch’ Wesenszüge den Hausherrn auszeichnen. An
der Wand hängt ein Diplom, das ihn als
Mercedes-Benz Kilometermillionär ausweist. Gleich daneben sticht einem ein
Gemälde, in Holz gebrannt, ins Auge,
das ihm Freunde wohl zum 60. Geburtstag geschenkt haben müssen. Es zeigt
ihn mit Schottenmütze ... und dann aber
ganz nach helvetischer Tradition nicht
mit einem Dudelsack sondern mit einem
Handörgeli. Der «Quetschbalken» ist
wohl eine Passion des Hansruedi Hefti,
die ihm an den entlegensten «Lagerfeuern» ein Stück Heimat herbeizuzaubern
verhilft. Lieder erzählen ja noch so gerne
von Sehnsüchten, Liebe und Verbundenheit. In der Wohnung und in seinem
Büroraum im Kellergeschoss finden sich
zahllose Hinweise darauf, dass er wahrlich ein weit gereister Mann sein muss.
Souvenirs wohin das Auge reicht!
Vom Bauer zum
«Weltenbummler»
Der gelernte Landwirt setzte seinen Fuss
als Aushilfschauffeur in die Welt des
Strassentransports. Tiertransporte habe
er ausgeführt, fängt er mit seiner Aufzählung an, habe dann aber auch Wein
ST 22
Die Schottenmütze ist ein Markenzeichen des Hansruedi Hefti, das mittlerweile
in ganz Europa bekannt ist.
Express miteinschlossen. Last but not least sollte er auch seine erste Reise ans
Nordkap «auf die Räder» stellen. Als die
Hugelshofer AG 1988 den Car-Bereich
verkaufen wollte, meldete Hansruedi
Hefti sein Interesse an. Doch irgendwie
sollte es nicht sein. Vom Schritt in die
Selbstständigkeit war Hefti allerdings
nicht mehr abzubringen.
«Der Hefti kommt!»
Bei der Hugelshofer AG habe man ihm
freie Hand gelassen. «Ich genoss ein
grosses Vertrauen». Den Erfahrungsschatz, den er daraus ziehen konnte,
kam ihm 1989 zugute, als er sein eigenes Geschäft gründete. Die «Reisen mit
Hefti GmbH» startete mit fünf Fahrzeugen der Marken Padane und Neoplan Cityliner. «In meinen besten Zeiten
hatte ich zwölf Reisecars laufen», blickt
Hansruedi Hefti zurück. Es gibt keine
Ecke Europas, die Hefti nicht angefahren hätte. Zu festen Säulen seines Programms mauserten sich indes seine
Reisen ans Nordkap, der Jassplausch,
Kur- und Badeferien im Heilbad Badenweiler, Kroatien und Holland. Seine
Philosophie sei es stets gewesen, gute
Ziele weiterzuziehen und zu pflegen.
Auch geht er gerne mal unkonventionelle Wege, indem er zum Beispiel auf
seinen Reisen ans Nordkap ein Picknick
unter Gottes freier Natur mit einplant.
«Wir kaufen dann jeweils vor Ort frische
Waren ein und stellen den mitgeführten
Grill und die Festbänke auf. Dieses Erlebnis bringt Kit in jede Reisegruppe,
schweisst sie zusammen», sagt einer,
der wohl auch mit seinem Handörgeli
dann und wann für gute Stimmung unter den Fahrgästen sorgt. Immer, wenn
er am Steuer eines Reisecars sitze, habe
er seine Schottenmütze auf. «Sie ist in
ganz Europa zu meinem Markenzeichen
geworden. Wo immer ich auftauche,
heisst es schon von Weitem: Der Hefti
kommt!». Und das kann sehr hilfreich
sein. So sei er beispielsweise in Norwegen in einem Fjord angekommen. Die
Fähre hatte bereits abgelegt. Als der Kapitän aber ihn mit seiner unverkennbaren Kopfbedeckung gesehen habe, sei
er zurück an die Anlegestelle gefahren.
Freuden und Leiden
Nach seinem tollsten Erlebnis in seiner
langjährigen Tätigkeit befragt, meint
Hansruedi Hefti: «Es gibt viele tolle
Erlebnisse, von denen ich berichten
könnte. Was mir aber geblieben ist: Im
Herzen von Finnland, in Piippola, habe
ich vor 25 Jahren eine Familie kennengelernt, die mir und meinen Fahrgästen
noch heute ihre Haustüre öffnet, um
ihnen einen Einblick in ihre Lebensweise
zu gewähren. Einmal hat der Dorfpfarrer
sogar einen Schulchor organisiert». Unvergessen sei ihm aber auch jener Vorfall, der sich noch zu Zeiten Tito’s an der
jugoslawischen Grenze abgespielt habe.
Im Car sei ein 80-jähriger Fahrgast gesessen, der seinen Reisepass mit dem Generalabonnement verwechselt hatte. Am
Zoll in Chiasso habe er den Mann mit einem anderen Chauffeur zurück nach
Hause schicken wollen, weil die Einreisebestimmungen in Jugoslawien zu der
Zeit recht strikte gehandhabt worden
seien. Der Fahrgast habe aber darauf bestanden, seine Reise fortzusetzen. «Also
habe ich die Leute im Bus informiert und
ihnen vorgeschlagen, den Mann beim
Grenzübertritt in der Toilette zu verstecken», erinnert sich Hansruedi Hefti. Der
jugoslawische Zöllner sei durch den Bus
geschritten und habe die Pässe eingesammelt, und die Rechnung schien aufzugehen, wenn, ja wenn der ausweislose Fahrgast in der Toilette nicht im
dümmsten Moment ein Geräusch von
sich gegeben hätte. Der Zöllner sei zurückgekommen und habe den «blinden
Passagier» entdeckt. Trotz intensiver Diskussionen seien die Beamten hart geblieben. «Der Mann muss zurück», hiess es
gnadenlos. Daraufhin habe er sich an die
italienischen Zöllner gewandt. «Was
hast Du Schotte?», habe der eine gefragt, und er habe ihm die Situation geschildert. Seine Schwiegermutter habe in
der Nähe eine kleine Pension. Der Mann
könne ja mit seiner Frau dort die Ferien
verbringen. Gesagt, getan. Die beiden
seien bei der Rückfahrt pünktlich am Zoll
gestanden, hätten einen schönen Auf-
enthalt in Italien genossen und waren
jetzt mit der Gruppe wieder auf dem
Heimweg. Das traurigste Erlebnis spielte
ebenfalls in Ex-Jugoslawien. Er habe Jahr
für Jahr Volleyballerinnen aus dem ganzen Kanton Thurgau in ein Trainingslager
nach Jugoslawien geführt. Eines Morgens sei er dringend an die Reception
gerufen worden. Der 4-jährige Sohn einer Teilnehmerin sei gestorben, lautete
die traurige Botschaft. «Ich musste ihr
die Nachricht überbringen. Das war
hart». Er habe ihren Rücktransport organisiert, so dass sie schnellstmöglich zu
Hause gewesen sei. «Gleichentags hat
sich noch ein junges Fräulein gemeldet,
weil sie ihren Pass verloren habe. Und
das in Jugoslawien …».
Vor vier Jahren
erwarb er einen
Volvo 9700 und
machte sich
nochmals selbstständig, nachdem er sein Geschäft bereits
verkauft hatte.
Spass kennt kein Alter
Vor fünf Jahren wollte Hansruedi Hefti
sein Unternehmen verkaufen. Das hat er
dann auch getan. Die Dinge entwickelten sich aber nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Ohne weiters in die Details
zu gehen: Vor vier Jahren unterbreitete
ihm ein Verkäufer ein Angebot für einen
Volvo 9700 mit Kinobestuhlung. «Und
da musste ich nicht lange überlegen»,
sagt Hansruedi Hefti mit einem Grinsen.
«Ich schlug zu. Und heute bin ich wieder
mit meinem Car unterwegs». Sein Sohn
macht ihm die Werbung, das Administrative erledigt eine Frau im Teilzeitverhältnis. «Ich habe zwar am 9. Oktober
2010 mein Rentenalter erreicht, aber solange es mir Spass macht und es die Gesundheit erlaubt, fahre ich weiter», gibt
sich «der Schotte» frohen Mutes. «Ich
habe in den 40 Jahren rund 4,5 Millionen Kilometer abgespult, und es hat mir
noch nie ‹gestunken›, wenn ich in den
Bus gestiegen bin. Ja, ich bin schon über
100mal um die Erde gefahren ...». 
23 ST

Documentos relacionados