150 Jahre Festschrift (pdf/16 MB) - Bau
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150 Jahre Festschrift (pdf/16 MB) - Bau
Legende Historischer Kontext +++++ Württemberg +++++ +++++ Deutschland +++++ +++++ Welt +++++ 3 1866 – 2016 Geschichte im Überblick 6 Begrüßung 7 Grußworte 12 1866 – 1914 Gründerjahre und Blütezeit Ein Verein setzt Maßstäbe 22 Eduard Pfeiffer Gründungsvater und treibende Kraft 24 1914 – 1945 Zwischen den Kriegen Auf und ab in Krisenzeiten 32 1945 – 1955 Wiederaufbau aus Ruinen Stuttgart liegt in Trümmern 38 1955 – 2000 Aufschwung und Bauboom Phönix aus der Asche 44 2001 – 2016 Sozial ausgerichtet und wirtschaftlich stabil Altes bewahren, die Zukunft im Blick 50 52 54 56 58 Glanzlichter Zuhause in Ostheim Ein wohnliches Quartier für Geringverdiener Die Sanierung der Altstadt Großbaustelle im Herzen Stuttgarts Bad Cannstatt: Stadtentwicklung in Stuttgarts Peripherie Wohnsiedlung aus der Zeit des Wirtschaftswunders Alte Häuser – modernes Wohnen Bedeutende Wegbegleiter Mitglieder, Vorstände, Verwaltungsrat Mitarbeiter Ein Blick in die Zukunft Übersicht Gebäudebestand Quellennachweise / Impressum 60 62 64 66 68 71 Begrüßung Grußwort VORSTAND DES BAU- UND WOHNUNGSVEREINS STUTTGART (BWV ) MINISTERPRÄSIDENT DES LANDES BADEN-WÜRTTEMBERG Der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart wird 150 Jahre alt und feiert Geburtstag. Von unseren Mietern, Mitarbeitern und Geschäftspartnern einfach nur »der Verein« genannt, ist diese liebevolle Namensabkürzung ein Synonym für einen seriösen, menschlichen, empathischen, zuverlässigen und fairen Partner für alle, die mit ihm zu tun haben. Für unsere Mieter, die sich darauf verlassen können, im Verein einen Vermieter zu haben, der die soziale Dimension seines Handelns stets im Blick hat. Für unsere Geschäftspartner, Handwerker, Architekten und Ingenieure sind wir ein beständiger Auftraggeber, der nachhaltig eine gute handwerkliche und planerische Leistung fordert und dafür einen fairen Preis bezahlt. Für die Stadt Stuttgart und die Verwaltung sind wir ein nachhaltig tätiger Vermieter für breite Schichten der Stuttgarter Bevölkerung, ein Garant für bezahlbares städtisches Wohnen in der Landeshauptstadt und für sozial ausgewogene Quartiersstrukturen, qualitätsvolle Architektur und Städtebau. Bei aller schwäbischen Bescheidenheit feiern wir unser 150-jähriges Jubiläum mit Stolz und in dem Bewusstsein, auch in Zukunft unseren Beitrag für eine lebenswerte Stadt Stuttgart zu leisten. So führen wir die Ideale unseres Unternehmensgründers Eduard Pfeiffer fort, angepasst in der heutigen Zeit, sodass der Verein noch viele Jahre leben und gedeihen möge und im Sinne seines großen Gründers Gutes für Stuttgart und die Stuttgarter Bürger tun kann. Für die finanzierenden Banken sind wir ein Unternehmen, welches seinen sozialen Unternehmensauftrag stets mit wirtschaftlicher Kompetenz verknüpft und somit seinen langfristigen wirtschaftlichen und finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann. Thomas Wolf Ernst Wuchner Jürgen Oelschläger Vorstand des Bau- und WohnungsVereins Stuttgart (BWV ) Gegründet am 8. März 1866 kann der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart im Jahr 2016 auf eine traditionsreiche Unternehmensgeschichte zurückblicken: Als ältestes Wohnungsunternehmen in der Landeshauptstadt feiert der Verein sein 150-jähriges Bestehen. Hierzu gratuliere ich im Namen der Landesregierung dem Vorstand, allen Mitgliedern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich! Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum sowie die dazu erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen gehören zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben. Der Wohnungsmarkt muss dabei besonders auf die veränderten Anforderungen des wirtschaftsstrukturellen und demografischen Wandels vorbereitet werden. Eine alternde Gesellschaft, die zunehmende Mobilität im Arbeitsleben und steigende Erwartungen an die Wohnqualität sind Herausforderungen, die hier ganz besonders zu beachten und zu bewältigen sind. Die daraus resultierenden Aufgaben können wir gemeinsam am besten meistern. Auch das Land Baden-Württemberg leistet dafür seinen Beitrag. So sieht das Landeswohnraumförderungsprogramm für 2015 und 2016 ein Fördervolumen von je 75 Millionen Euro vor. Mit fast 5.000 Mietwohnungen und mehr als 300.000 Qua dratmetern Wohnfläche im Raum Stuttgart ist der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart ein sehr bedeutender Wohnungsanbieter. Auch das Land Baden-Württemberg begleitet den Bau- und WohnungsVerein seit vielen Jahren als Mieter zahlreicher Gebäude in Stuttgart. Unter anderem gehört das Bauwerk in der Heusteigstraße 45 zum Bestand des Vereins, in dem einst bis ins Jahr 1961 der erste baden-württembergische Landtag tagte. Die Geschichte des Wohnungsunternehmens ist jedoch nicht nur in dieser Festschrift sichtbar, sondern erschließt sich den Menschen auch bei einem Gang durch Stuttgart und dem Blick auf die vielen im Besitz des Bau- und WohnungsVereins befindlichen Gebäude inmitten der Landeshauptstadt. Mein herzlicher Dank und meine Anerkennung gelten allen, die mit ihrem Engagement und ihrem Einsatz zur Erfolgs geschichte des Bau- und WohnungsVereins Stuttgart beigetragen haben. Für die Jubiläumsfeierlichkeiten und die nächsten 150 Jahre wünsche ich dem Verein weiterhin alles Gute und viel Erfolg. Winfried Kretschmann Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Grußwort Grußwort OBERBÜRGERMEISTER DER LANDESHAUPTSTADT STUTTGART VERBANDSVORSITZENDER DES VBW VERBAND BADEN-WÜRTTEMBERGISCHER WOHNUNGSUND IMMOBILIENUNTERNEHMEN E. V. Mit seinem Gründungsjahr 1866 ist der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart das älteste existierende Wohnungsunternehmen der Landeshauptstadt, das mit Spenden und sozialem Engagement von Bürgern der Stadt aufgebaut wurde. Seit der heraufziehenden Industrialisierung, inmitten einer rasanten urbanen Gründerzeit und dem damit einhergehenden Bevölkerungswachstum war vor allem die Versorgung der »arbeitenden Klasse« nebst Bildungs- und Infrastrukturangeboten ein wichtiges und weitsichtiges Anliegen. So kann sich der frühere Bau- und Wohlfahrtsverein auch als Pionier des Gemeinnützigkeitsgedankens und des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland sehen. Die 150-jährige Geschichte des Bau- und WohnungsVereins umspannt einen Zeitraum, in dem sich die Stadtentwicklung und auch die Frage des Wohnens in der Stadt grundlegend gewandelt haben, in denen sich aber im traditionellen Selbstverständnis des Unternehmens kaum etwas ändern musste. In den ersten zwei Jahrzehnten um 1900 hat der Verein den Wohnungsbau in Stuttgart mitgeprägt. Auch das städtebauliche Engagement ist in vielen Stuttgarter Stadtteilen ablesbar. Dieses begann wegweisend für die Stadtsanierung im historischen Altstadtbereich hinter dem Rathaus oder mit den damals projektierten und nach der Realisierung zum Teil sehr beachteten Kolonien Ost-, Süd- und Westheim. Cannstatt oder in der Balthasar-Neumann-Straße in Freiberg. Hierbei geht es um Nachverdichtung der Stadt, aber auch um Wohnraum- und Verdrängungsschutz. Zur sozialen Frage gehören zunehmend auch der Umgang mit den älter werdenden Menschen und ein barrierearmes Wohnen. Angesichts der in die Jahre kommenden Wohnsiedlungen sind Anpassungen an neuzeitliche Wohnstandards unverzichtbar. Hinzu kommen höhere gesetzliche Anforderungen an die Baustandards. Der Bau- und WohnungsVerein versteht es dennoch, in diesem Spagat ein unter dem Mietspiegel liegendes Wohnen in unserer Stadt anzubieten. Trotz der Aufhebung der Gemeinnützigkeit vor gut 25 Jahren sind Unternehmen wie der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart als wirtschaftlicher Verein mit Stiftungscharakter noch immer eine sichere Säule für einen bezahlbaren Wohnungsmarkt. Sie sind gerade nach der letzten Finanzkrise und in Zeiten eines verschärften Wettbewerbs wieder wichtiger geworden. So sieht sich der Verein mit seinen bald 5.000 verwalteten Mietwohnungen weiterhin in der Verantwortung für breite Kreise der Bevölkerung und auch die am Wohnungsmarkt benachteiligten Haushalte. Der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart ist uns daher als die Wohnungspolitik mitgestaltender Akteur im Bündnis für Wohnen sehr willkommen. Im Zweiten Weltkrieg waren ein Drittel der damals 2.265 Wohnungen zerstört, nicht einmal die Hälfte der verbliebenen Wohnungen war notdürftig bewohnbar. Der Wiederaufbau und auch die notwendige Ausweitung des Wohnungsbaus haben viele Kräfte gebunden. So hat sich der Verein auch in modernen Stadterweiterungsgebieten mit Großwohnsiedlungen wie Freiberg, Fasanenhof oder Neugereut engagiert. Ich wünsche dem Bau- und WohnungsVerein Stuttgart weitere Jahrzehnte des Erfolgs und ein gutes Miteinander in unserer Landeshauptstadt. Heute steht die Weiterentwicklung vieler Siedlungen auf der Agenda, so in der Darmstädter und Wetzlarer Straße in Bad Fritz Kuhn Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart Dem Bau- und WohnungsVerein Stuttgart (BWV ) die besten Wünsche zum Jubiläum. 150 Jahre Tätigkeit in der Wohnungswirtschaft sind eine großartige Leistung. Zumal, da die Bedingungen nicht immer einfach waren. Der Verein hat für Stuttgart und für Baden-Württemberg eine besondere Bedeutung: zum einen bietet er in der Landeshauptstadt Wohnraum zu erschwinglichen Preisen und senkt durch eine moderate Mietenpolitik den Mietendurchschnitt. Zum anderen verwaltet er unter anderem das Eduard-Pfeiffer-Haus, das dem Landtag nach dem Zweiten Weltkrieg als Plenarsaal diente. Hier beschloss die Landesversammlung den Zusammenschluss der drei südwestdeutschen Nachkriegsländer. Baden-Württemberg hat sozusagen in diesem Haus seine Geburtsstunde erlebt. Als »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen« auf Initiative des Stuttgarter Sozialreformers Eduard Pfeiffer gegründet, besaß der BWV seit jeher den Charakter einer Stiftung und folgt daher sozialen Grundsätzen. Nicht die höchstmögliche Rendite steht im Fokus. Das Ziel lautet, die Lebens- und insbesondere Wohnverhältnisse der Menschen zu verbessern. Über 6.000 Mietwohnungen und Eigenheime hat der BWV in verschiedenen Stadtteilen von Stuttgart gebaut. Er bietet damit rund 15.000 Menschen ein Zuhause und trägt dazu bei, dem Wohnraummangel in Stuttgart zu begegnen. Sowohl denkmalgeschützte Gebäude als auch Neubauten haben ihren Platz im Portfolio des Vereins. Die stetigen, hohen Investitionen in die Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestands sowie in den Wohnungsneubau sorgen nicht nur für qualitativ guten Wohnraum, sondern auch für Arbeit und Arbeitsplätze im regionalen Handwerk. Der demografischen Entwicklung entsprechend errichtete der Verein schon früh Kindertagesstätten und kümmert sich heute um die Wohnbedingungen für ältere Menschen. Gemeinsam mit zwölf weiteren Wohnungsunternehmen gründete er den Verein Integrative Wohnformen e. V. Ob WohnCafé oder Photovoltaikanlagen – der BWV hat die Entwicklungen der Branche im Blick und bringt seine Erfahrungen im Kreis der Wohnungsunternehmen ein. Wir sind stolz darauf, den BWV zu den Mitgliedsunternehmen im vbw zu zählen und wünschen allen Mitarbeitern und Verantwortlichen auch für die Zukunft viel Erfolg bei ihrer Arbeit! Robert an der Brügge Verbandsvorsitzender des vbw Verband baden-württember gischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. Grußwort Grußwort VERWALTUNGSRATSVORSITZENDER DES BAU- UND WOHNUNGSVEREINS STUTTGART (BWV ) PRÄSIDENT DES GDW BUNDESVERBAND DEUTSCHER WOHNUNGS- UND IMMOBILIENUNTERNEHMEN E. V. 150 Jahre der Wohnungsversorgung in Stuttgart verpflichtet – eine stolze Zahl. Vom »Verein zum Wohl der arbeitenden Klassen« über den »Gemeinnützigen Bau- und Wohlfahrtsverein« zur heutigen Bezeichnung »Bau- und WohnungsVerein Stuttgart«: Der Name hat sich geändert, die steuerliche Gemeinnützigkeit ist weggefallen, aber die Vereinsziele sind geblieben. Die Historie dieses Unternehmens liest sich wie eine DNA der Wohnraumversorgung in der Landeshauptstadt Stuttgart. Auf Höhen folgten Tiefen, auf Fortschritte folgten Rückschläge. Doch stets fanden sich Mittel und Wege, sozialgerechten Wohnraum herzustellen und zu erhalten. Die von dem Visionär Eduard Pfeiffer zusammengeführten Wohltäter, allesamt verdiente Stuttgarter Bürger, legten dazu bereits im Gründungsjahr 1866 heute für selbstverständlich verstandene soziale Tugenden an den Tag. Mitglieder im Gründungsjahr waren unter anderem König Karl von Württemberg und die Fabrikanten Gustav Siegle und J.P. Schiedmayer. Sie hatten schon damals Vorstellungen, die heute unter moderner Sozialarbeit verstanden werden. Sind diese aktuell die Versorgung mit Wohnraum, so waren die Herausforderungen damals viel weitreichender. So lagen die Beweggründe zur Gründung des Vereins darin, den Arbeitern und deren Familien neben Unterkunft vor allem Zugang zu Bildung, Hygiene und Speisen zum Selbstkostenpreis zu vermitteln. 150 Jahre – ein Zeitraum turbulenter und leidvoller deutscher Geschichte. Mehrere Kriege, davon zwei Weltkriege mit katastrophalen Folgen, Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise, Weimarer Republik, nationalsozialistische Diktatur, und nun 70 Jahre Frieden, Freiheit und Demokratie. Der Verein überstand alle diese Zeitläufe, weil die Gründerväter um Dr. Eduard Pfeiffer und alle seine Nachfolger frei von ideologischem Gedankengut und stets das Wohl der Menschen im Blick, sich uneigennützig für die Vereinsziele einsetzten. Das Besondere am Bau- und WohnungsVerein Stuttgart lässt sich in wenigen Sätzen beschreiben: Das Wohl der Mieter stand und steht stets im Vordergrund des Geschäftsgebarens. In Zeiten ausufernder Renditeoptimierung hebt sich der Bauund WohnungsVerein Stuttgart wohltuend von diesen Tendenzen ab. Die Stiftungsidee der Gründungsväter lebt weiter. Der Bauund WohnungsVerein Stuttgart ist mit seinen 5.000 Wohnungen der zweitgrößte Vermieter in Stuttgart. Der Verein steht auf soliden wirtschaftlichen Grundlagen und investiert jedes Jahr 25 Millionen Euro in die Verbesserung der Wohnraumversorgung in Stuttgart. Vorstand und Verwaltungsrat sehen sich dabei auch heute den Idealen unserer Gründungsväter verpflichtet. Ich wünsche dem Bau- und WohnungsVerein Stuttgart noch unzählige Jahre, um das gesellschaftliche und geistige Erbe der Gründungsväter fortzusetzen. Dr. Karl Epple Verwaltungsratsvorsitzender des Bau- und WohnungsVereins Stuttgart (BWV ) 150 Jahre Bau- und WohnungsVerein Stuttgart, das ist wahrlich ein Grund zum Feiern. Im Namen des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen gratuliere ich dazu sehr herzlich. Mit seinen 150 Jahren zählt der Bau- und WohnungsVerein zu den ältesten Wohnungsunternehmen in Deutschland, nur wenige Wohnungsunternehmen sind noch älter. 150 Jahre – allein diese Jubiläumszahl ist daher schon Ausdruck von besonderer Wohn- und Lebensqualität. Und wahrlich beeindruckend ist auch die eigene Geschichte: 1866 als »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen« in Stuttgart gegründet – zu einer Zeit mit großen sozialen Verwerfungen. 150 Jahre dem Wohlfahrtsgedanken verbunden mit dem Anspruch, den Menschen in der Region gutes und bezahlbares Wohnen zu bieten – und dabei weit über die Bedürfnisse des Wohnens hinauszudenken. Die Entwicklung des Bau- und WohnungsVereins ist wahrlich beeindruckend und kann in der hier gebotenen Kürze nicht annähernd ausreichend gewürdigt werden. Schaut man auf die Anforderungen an das Wohnen, mag sich Vieles in den letzten 150 Jahren geändert haben, aber eins ist sicher: Wir brauchen auch heute ausreichend bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung. Die verstärkte Zuwanderung und die zunehmende Attraktivität prosperierender Regionen stellen Städte wie Stuttgart dauerhaft vor eine wahre Herkulesaufgabe. Da ist es gut, wenn man einen Partner wie den Bau- und WohnungsVerein mit dieser langen Tradition an seiner Seite weiß – ein Partner, der sich seit 150 Jahren nicht nur um das Wohnungsangebot kümmert, sondern sich auch nachhaltig für das Wohl der Bürger engagiert. Denn Wohnen heißt Leben. Ich wünsche allen Mietern und Mitgliedern, dem Verwaltungsrat und Vorstand sowie den Mitarbeitern des Bau- und WohnungsVereins Stuttgart weiterhin viel Erfolg und alles erdenklich Gute für die Zukunft. Axel Gedaschko Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. 1866 – 1914 Gründerjahre und Blütezeit Ein Verein setzt Maßstäbe Eduard Pfeiffer mit seiner Frau Julie oberhalb Ostheims +++++ 1845 +++++ Die erste württem bergische Eisenbahn fährt von Cannstatt nach Untertürkheim. +++++ 1848 +++++ Das »Manifest der Kommunistischen Partei« von Karl Marx und Friedrich Engels erscheint in London, 1866 in Berlin. Kleine Häuser mit Erkern und Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich Wirtschaft Karl I., König von Württemberg, trat dem Verein bei. Die und Gesellschaft in einem radikalen Umbruch. Mit der Gründungsmitglieder waren sich einig in der Überzeu- industriellen Revolution verwandelte sich Stuttgart in gung, »dass ein Widerstreit der Interessen zwischen kurzer Zeit von einer beschaulichen Residenzstadt in Arbeitern und der sogenannten besitzenden Klasse eine blühende Industriemetropole. Auf der Suche nach nicht bestehe, dass vielmehr eine gedeihliche Weiter- Arbeit zog die Landbevölkerung in die Städte, aus Land- entwicklung der einen stets auch vom Wohlergehen der wirten und Handwerkern wurden Fabrikarbeiter. Zählte anderen bedingt sei«1. Der Verein wollte keine Almosen Stuttgart 1832 nicht mehr als 15.000 Einwohner, so waren verteilen, sondern dem vierten Stand Hilfe zur Selbsthil- es 1866 bereits 75.000, 1875 dann schon über 100.000. Da- fe bieten. Dies schloss auch die Grundüberzeugung ein, Giebeln prägen das Straßenbild in mit war Stuttgart die erste Großstadt im Gebiet des heu- dass vom Verein angestoßene Unternehmungen sich Ostheim. Die roten und sandfarbenen Back tigen Baden-Württembergs. Auch die Industrie wuchs: am Ende wirtschaftlich selbstständig tragen sollten. steine verbreiten warmes Licht, grüne Vorgärten ver- 1832 gab es in der Stadt 17 Fabriken mit 600 Arbeitern, vollständigen das wohnliche Bild: Bis heute sind die denkmal- 1861 waren es 173 mit 4.000 Beschäftigten. Für den ste- geschützten Gebäude bei Mietern sehr beliebt. Erbaut hat sie im Jahr ten Zuwanderungsstrom reichte der Wohnraum nicht 1892 der »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen«. Arbeiter mit geringem mehr aus. Die Mieten stiegen und verschlangen bald bis Einkommen sollten hier guten und günstigen Wohnraum finden – damals alles andere zu drei Viertel eines Arbeiterlohns – horrende Preise für Bevor die Arbeit des Vereins jedoch richtig startete, als selbstverständlich. Vollkommen neu war auch das Mietkaufsystem, welches unteren Einkom- Wohnungen, die nicht selten feucht und dunkel waren. machten aktuelle politische Entwicklungen alle Planung zunichte: Im Deutschen Krieg von 1866 zog das Kö- mensgruppen den Erwerb eines eigenen Heims ermöglichte. In Ostheim, aber auch bei anderen Projekten setzte der Verein Maßstäbe, die weit über Stuttgart hinaus Beachtung fanden. Flexibel in den Kriegsjahren Für das Wohl der arbeitenden Klassen nigreich Württemberg als Bündnispartner Österreichs gegen Preußen in die Schlacht. Auch wenn die Kämpfe nur sechs Wochen dauerten und die preußischen Sie- Vor diesem Hintergrund trug am 8. März 1866 der jüdi- ger dem Land keine erdrückenden Bedingungen auf- sche Geschäftsmann, Genossenschaftler und Sozialre- erlegten, so waren die wirtschaftlichen Folgen doch former Eduard Pfeiffer im Kreis von vierzig ausgewähl- beträchtlich. Das »Büro für Arbeitsnachweis« schätzte ten Stuttgarter Bürgern seine Idee zur Gründung des damals, dass im Juni 1866 durch die wirtschaftlichen »Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen« vor. Einbrüche infolge des Krieges 1.000 Erwerbstätige in Schon am 20. März folgte die offizielle Gründungsver- Stuttgart ihre Arbeit verloren. In einer Zeit ohne Arbeits- sammlung. In § 1 der Statuten heißt es: »Der Zweck des losenversicherung bedeutete das für Betroffene oft Ob- Vereins ist: Förderung der Interessen und Hebung der dachlosigkeit und Hunger. Der Verein entschloss sich, sittlichen und wirtschaftlichen Zustände der arbeiten- die bisher verfügbaren Mittel der Stadt als Darlehen zu den Klassen.« Die Hauptaufgaben sah man im Bereich gewähren, damit diese städtische Bauarbeiten zur Ar- der Bildung, Ernährung, Hygiene und vor allem in der beitsbeschaffung bezahlen konnte. Insgesamt sicherte Verbesserung der Wohnsituation. Über 100 einflussrei- der Verein damit von Juli bis September 1866 rund 270 che und finanzstarke Mitglieder aus dem Stuttgarter Arbeitern aller Berufszweige den Unterhalt. Adel und Bürgertum gewann Pfeiffer für sein Projekt. Zu den Mitgliedern gehörten Spitzenbeamte, Bankiers, Fa- Nur vier Jahre später zog Württemberg gegen Frank- brikanten, Händler, Rechtsanwälte und Verleger. Auch reich in den Krieg, nun an der Seite Preußens. Bei den +++++ 1862 +++++ Stuttgart: Die Gewerbefreiheit wird eingeführt und die Zünfte werden aufgehoben. 15 +++++ 1864 +++++ In Württem berg erfolgt die weit gehende bürgerliche Gleichstellung der Juden. +++++ 1865 +++++ Nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) wird die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der USA abgeschafft. Männern führten die erneuten militärischen Auseinan- den Durchschnittspreis von 30 Pfennigen je Mahlzeit dersetzungen allerdings nicht wieder zu erhöhter Ar- halten. Ein Preis, den sich die Arbeiter leisten konnten: beitslosigkeit, denn seit kurzem bestand die allgemeine Täglich bereitete die Küche etwa 300 Mahlzeiten zu. Bis Wehrpflicht. In den Fokus des Vereins trat nun die leid- sie im April 1917 wegen der Rationierung der Lebens- volle Situation lediger Fabrikarbeiterinnen: Wegen ihrer mittel an die städtische Kriegsküchenverwaltung über- niedrigen Löhne hatten sie meist nur Schlafstellen in ging, wanderten insgesamt knapp 6 Millionen Mahlzei- unbeheizten Dachkammern, die im Winter »ihre Bewoh- ten über die Theke. +++++ 1869 +++++ August Bebel und Wilhelm Liebknecht gründen in Eisenach die »Sozial demokratische Arbeiterpartei«. +++++ 1870/71 +++++ DeutschFranzösischer Krieg. +++++ 1871 +++++ Das Deutsche Kaiserreich wird gegründet. +++++ 1875 +++++ Mit über 100.000 Einwohnern wird Stuttgart erste Großstadt auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg. +++++ 1878 +++++ Der Reichstag verabschiedet das »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« (Sozialistengesetz). +++++ 1880 +++++ Der Amerikaner Thomas Alva Edison erhält das Patent für die Glühlampe. nerinnen fast mit Notwendigkeit auf die Straße und in Wirtshäuser hinaustreiben und all den daraus folgen- Helfen, wo Not am Mann ist den schlimmen moralischen und physischen Einflüssen anheimgeben« 2. Der eigens gegründete »Verein zur Für- Die Wucht der gesellschaftlichen Umbrüche Mitte des sorge der Fabrikarbeiterinnen« baute ein Wohnheim, das 19. Jahrhunderts ist für uns heute nur schwer vorstellbar. im April 1874 bezugsfertig war: Das Haus in der Ludwig Arbeit war bis dato in den Zünften organisiert, die Bau- straße 15 bot 140 Frauen Unterkunft. Der »Verein für das ern befreiten sich erst langsam aus der persönlichen Wohl der arbeitenden Klassen« hatte für den Bau einen Verpflichtung gegenüber ihren Grund- und Leibherren. einmaligen Zuschuss gestiftet und außerdem ein niedrig In der neuen industriellen Arbeitswelt fanden sich viele verzinsliches Darlehen gegeben, unter der Bedingung, Menschen nicht zurecht. Manche verelendeten, weil dass in dem Neubau Räume für den Betrieb der schon sie nicht wussten, wie und wo sie einen Arbeitsplatz lange geplanten Volksküche geschaffen würden. finden sollten. Der Initiative von Eduard Pfeiffer ist zu verdanken, dass 1865 das »Büro für Arbeitsnachweis« Gesundes und günstiges Essen für alle! ins Leben gerufen wurde. Es war die erste nicht kommerzielle Arbeitsvermittlung in Deutschland und damit ein Vorgänger der heutigen Arbeitsagenturen. Auch Im Dezember 1874 öffnete die Volksküche ihre Pforten. hier spielte der »Verein für das Wohl der arbeitenden Es war die erste größere und vom Verein selbst geführte Klassen« eine tragende Rolle: Im Verwaltungsrat der Einrichtung. Durch Großeinkauf und Massenzubereitung Arbeitsvermittlung waren zu je einem Drittel die Arbeit- konnte hier für kleines Geld hochwertiges und gesun- geberschaft durch den Gewerbeverein, der »Arbeiter- des Essen zubereitet werden. »Die Besucher der Küche bildungsverein« als Vertretung der Arbeitssuchenden +++++ 1880er +++++ In Deutschland beträgt die durchschnittliche Fabrikarbeitszeit zehn Stunden pro Tag. sollen nicht das drückende Gefühl von Almosenempfän- und eben der »Verein für das Wohl der arbeitenden gern haben, es sollte deshalb das Essen genau zu dem Klassen« in der Funktion als überparteilicher Schlichter Preise abgegeben werden, den es wirklich kostet«, be- vertreten. Das Büro bestand bis zur Gründung des städ- schreibt der Verein im Geschäftsbericht 1915 / 16 das tischen Arbeitsamtes im Jahr 1895. In der Küche der 1874 eröffneten Volksküche wurden bis zu ihrer Schließung 1917 fast 6 Millionen Mahlzeiten zubereitet. Programm.3 Eine Mahlzeit bestand in der Regel aus 16 Suppe, Fleisch und Gemüse. Bis in den Ersten Weltkrieg Der Verein half, wo es nötig war: 1882 meldete die Stutt- hinein konnte der Verein mit kleineren Schwankungen garter Volksbank Konkurs an, in der Folge brach auch 17 +++++ 1886 +++++ Stuttgart: Robert Bosch gründet in einem Hinterhof in Stuttgart-West eine »Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik«. +++++ 1886 +++++ Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach bauen den ersten vierrädrigen Kraftwagen. die Stuttgarter Handwerkerbank zusammen. Mit etwa maß 23 Meter Länge und war 13,5 Meter breit. Es gab fünfzig zinsfreien Krediten unterstützte der Verein Hand- 70 Umkleidekabinen und 24 Wannenbäder – ein für die werker, die ihre Ersparnisse verloren hatten und ihre damalige Zeit außerordentlich großzügiger Bau. Der Betriebe zu verlieren drohten. Auch kostenlose medi- »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen« unter- zinische Behandlungen in der chirurgischen Abteilung stützte das Projekt finanziell und organisatorisch, für des Ludwigspitals finanzierte der Verein. 1882 sorgten den Betrieb wurde wieder eine eigene Aktiengesell- Unwetter und Überschwemmungen für eine Missernte schaft gegründet. bei Kartoffeln, und durch Spekulationen kam es zu Wucherpreisen für das Grundnahrungsmittel. Dem trat der Verein entgegen, indem er Kartoffeln in großen Mengen Wohnungsbau: Kernaufgabe des Vereins günstig kaufte und zum Selbstkostenpreis an Arbeiter mit wenig Einkommen weitergab. Zum Ende der 1880er-Jahre ist eine Zäsur in der Tätigkeit des Vereins zu erkennen: Bis dahin hatte man vor allem Ein Bad und saubere Wäsche auf akute Missstände reagiert und wurde aktiv, wo die öffentliche Hand versagte oder es die Wirren der Kriegs- Schon 1868 hatte der Verein den Bau einer öffentlichen jahre erforderte. Die Mitgliederzahl und Finanzkraft stieg, Badeanstalt mit integrierter Großwäscherei geplant: denn die einflussreichen Kreise des wohlhabenden Bür- Während der Gast sein Bad nimmt, sollten ihm Hemd, gertums standen hinter den Zielen des Vereins – der Strümpfe und Taschentuch gereinigt und getrocknet Verein vereinigte geschätzte 90 % des Stuttgarter Kapi werden. Ein sinnvoller Gedanke in Zeiten, in denen die tals unter seinen Mitgliedern. Mit den 1890 er-Jahren be unteren Gesellschaftsschichten oft nicht viel mehr als gann eine neue Entwicklungsphase: Der Verein stieg das sprichwörtliche Hemd auf ihrer Brust besaßen. systematisch in den Wohnungsbau und die Wohnpolitik Doch das Projekt scheiterte: Das Grundstück, das der ein. Zur Vorbereitung gab er 1886 eine groß angelegte Verein ins Auge gefasst hatte, konnte nicht erworben Erhebung in Auftrag, um zu ermitteln, wie es um die werden und auch der ausreichende Wasserzugang war Wohnsituation der Arbeiter in Stuttgart tatsächlich be- nicht gesichert. Hinzu kam, dass nach Erfahrungen in stellt war. Königin Olga, die Ehefrau König Karls I., sowie anderen Städten Zweifel bestanden, ob sich die Bevöl- der damalige Oberbürgermeister Dr. Friedrich von Hack kerung an das regelmäßige Baden gewöhnen würde. unterstützten die Erhebung. Armenärzte und Armen Zumindest sollte aber die Großwäscherei gebaut wer- pfleger sorgten dafür, dass die etwa 3.000 Fragebögen den: 1870 gründete der Verein die Aktiengesellschaft tatsächlich bei den Bedürftigen ankamen. Eine solche »Stuttgarter Waschanstalt«, die in einem Hintergebäude Enquete hatte es bis dahin nicht gegeben und die Ergeb zwischen Silberburg-, Augusten- und Rotebühlstraße nisse waren schlimmer als erwartet: So lebten 413 der eine Großwäscherei erbaute. befragten Familien im Schnitt mit fünf Personen in einer Zweizimmerwohnung. 352 Familien mussten ihre Küche Großwäscherei im Stuttgarter Westen Fast 20 Jahre später wurde auch die Badeanstalt in der oder Kochstelle mit anderen teilen, 537 kochten in einem Büchsenstraße Realität: Am 23. Juli 1889 eröffnete der der Zimmer. Darüber hinaus waren viele Wohnungen imposante Bau im maurischen Stil. Das Schwimmbassin feucht, dunkel und schlecht belüftet. +++++ 1893 +++++ Neuseeland führt als erstes Land der Welt das Frauenwahlrecht ein. +++++ 1895 +++++ Stuttgart: Einführung der elektrischen Straßenbahn. 19 +++++ 1903 +++++ Erster Motorflug der Brüder Wright in den USA. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges setzte der Ver waren hochwertiger und fanden ihre Mieterschaft eher an der Villastraße unterhalb der Villa Berg. Es bot auf ein nun sieben große Bauprojekte um: die Siedlungen in unter Angehörigen des Mittelstandes wie Angestellte, vier Stockwerken mit 16 Einzel- und 92 Doppelzimmern Ostheim, Westheim, Südheim und Ostenau, zwei Arbei Beamte und Lehrer. Die Baukosten in Ostenau beliefen etwa 200 Bewohnern Unterkunft. terwohnheime und die Sanierung der Altstadt. Beson- sich auf 3,1 Millionen Mark. dere Bedeutung kommt sicherlich dem Bau der Siedlung Ostheim (s. S. 52 ) und der Altstadtsanierung (s. S. 54 ) zu. Das Eduard-Pfeiffer-Haus überstand fast unbeschädigt Ein Bett und warmes Essen den Zweiten Weltkrieg und diente bis 1962 dem Landtag Für die drei Kolonien Ostheim, Westheim und Südheim von Baden-Württemberg als provisorische Unterkunft. kaufte der Verein von über 200 einzelnen Eigentümern Bei der Umfrage von 1886 traten weitere Probleme Am 11. November 1953 wurde hier die Verfassung für große zusammenhängende Grundstücke auf, insgesamt zutage, »welche das hier übliche Schlafgängerwesen das neu gegründete Bundesland Baden-Württemberg über 25 ha. 1892 waren die ersten Wohnungen in Ost sowohl in sittlicher wie in hygienischer Hinsicht mit verabschiedet. Das Ledigenheim wurde 1920 an die heim bezugsfertig, der Erfolg der Siedlung bestätigte sich brachte« 4. Schlafgänger, so nannte man Arbeiter, Stadt Stuttgart verkauft und fungierte bis zu seinem Ab- den Verein in seinem Programm. Insgesamt entstanden die gegen ein geringes Entgelt ein Bett für nur einige riss 2006 als Hotel (Parkhotel am Rundfunk ). 383 Häuser mit 1.267 Wohnungen in Ostheim, in Süd- Stunden mieteten, während der Wohnungseigentümer heim 39 Häuser mit 136 Wohnungen und in Westheim 30 es nicht brauchte. Sie hatten in der Regel keine An- Der Erfolg des Vereins war nur möglich, weil seine Ziele Häuser mit 93 Wohnungen. Die meisten Wohnungen bindung an die Familien und erhielten im Gegensatz zu mit denen seiner Mitglieder übereinstimmten: Die Ver- hatten zwei (603 ) oder drei Zimmer (841), wenige (25 ) Untermietern auch kein Frühstück. Gemeinsam mit dem besserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse nur eines, einige größere vier Zimmer (27). Fast 1.500 »Arbeiterbildungsverein« gründete der »Verein für das verhinderte soziale Unruhen und stabilisierte so das System, dem die besitzende Klasse ihre Reichtümer +++++ 1906 +++++ Stuttgart: Robert Bosch führt den Achtstundentag ein. verdankte. Der Jahresbericht von 1887 / 88 hob hervor, Familien fanden ein Heim in den neuen Wohnungen, die Wohl der arbeitenden Klassen« die »Stiftung Arbeiter- dass das Arbeiterheim helfe, »viele junge Leute der so für damalige Verhältnisse großzügig ausgestattet wa- heim«. Im Stiftungsrat hatten die beiden Vereine jeweils zialistischen Agitation fernzuhalten«5. Das schmälert ren. Die Mietkosten betrugen dort nur etwa zwei Drittel drei bzw. fünf Sitze inne. Am 23. November 1890 war es aber nicht den Verdienst von Pfeiffer und seinen Mitstreitern. Um die Gesamtleistung des Vereins zu verste- +++++ 1908 +++++ Die Dresdener Hausfrau Melitta Bentz erfindet den Kaffeefilter. gegenüber den frei vermieteten Wohnungen in der 20 hen, so schreibt Bernd Langner, »sollte man sich noch schließlich soweit: Das Eduard-Pfeiffer-Haus genannte einmal in Erinnerung rufen, daß es […] niemand sonst Stadt. Die Preispolitik des Vereins hatte auch Auswir- Heim in der Heusteigstraße 45 öffnete seine Tore. 240 für nötig hielt, in ähnlich umfassender Weise auf die kungen auf andere Quartiere in Stuttgart: Vermieter Schlafgäste fanden hier Platz. Im Angebot enthalten quantitativen und qualitativen Mängel des Stuttgarter standen nun unter Druck, ihre Mieten ebenfalls sozial waren preiswerte und gesunde Verpflegung sowie eine Wohnungsmarkts zu reagieren, insbesondere was die verträglich anzusetzen. Hauswäscherei, die nicht nur für den Betriebsbedarf, unteren Einkommensgruppen anging. Die Sanierung sondern auch den Mietern zur Verfügung stand. Weiter- [Anm.: der Altstadt ] mit eingeschlossen betrug der An- Die drei ersten Kolonien erforderten insgesamt einen hin gab es einen Gemeinschaftsraum und eine Büche- teil des ›Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen‹ Kapitalaufwand von 8,932 Millionen Mark: Allein auf rei. Der Preis (zwischen 1,20 und 3 Mark pro Person und am gesamten sozialen und gemeinnützigen Wohnungs- Ostheim entfielen 7,255 Millionen Mark, in Südheim Woche) lag deutlich unter dem freien Wohnungsmarkt, bau Stuttgarts bis 1914 schließlich über 50 %.« 6 investierte man 1,043 Millionen Mark und in Westheim trotzdem gelang es dem Verein auch hier, an dem Prin- 634.000 Mark. In der Zeit von 1911 bis 1914 entstand am zip der Eigenwirtschaftlichkeit festzuhalten. Wegen des östlichen Ende der Kolonie Ostheim die letzte Kolonie großen Andrangs errichtete der Verein bis zum Sommer aus der Gründerzeit: Die 261 Wohnungen in Ostenau 1912 ein weiteres Heim, das sogenannte Ledigenheim Von oben: Eduard-Pfeiffer-Haus in der Heusteigstraße; typisches 2-Bett-Zimmer im Eduard-Pfeiffer-Haus; Ledigenheim in der Villa straße; Westheim. +++++ 1913 +++++ Henry Ford führt in seiner Automobilfabrik die Fließbandproduktion ein. +++++ 1914 +++++ Das Attentat auf den österreichischen Thron folger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo löst den Ersten Weltkrieg aus. 21 Eduard Pfeiffer Gründungsvater und treibende Kraft Der »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen« war Ein umfangreiches Lebenswerk wirtschaft an den Universitäten von Berlin, Heidelberg im ausgehenden 19. Jahrhundert eine prägende Kraft in und Leipzig. Während seiner Studienjahre unternahm Stuttgart. Ein Erfolg, der vor allem einem Mann zu ver- er ausgedehnte Reisen, unter anderem nach Frankreich, danken war: Eduard Gotthilf Pfeiffer. Der jüdische Ge- Italien und England. Dort kam er 1862 auch mit der Ge- Das Lebenswerk Pfeiffers ist beeindruckend: Er war in schäftsmann war nicht nur der ideologische Vordenker nossenschaftsbewegung in Kontakt. Er sah und erlebte Vereinen, Wirtschaftsunternehmen und in der Politik und intellektuelle Kopf des Vereins. Erst seine großzügi- an vielen Orten die Folgen der Industriellen Revolution: aktiv. Als Aufsichtsratsvorsitzender besaß er Einfluss in gen Stiftungen, Schenkungen und günstigen Darlehen »Das rosige Bild des riesigen Wachstums unserer In- bedeutenden Unternehmen und erhielt Informationen machten die wohltätige Arbeit möglich. dustrie und unseres Handels hat leider eine schwarze über wirtschaftliche Entwicklungen, die nur wenigen zu Kehrseite: es ist dies der Zustand, in dem sich die arbei- gänglich waren. Im Juli 1868 wurde er als erster jüdisch Pionier für einen sozialeren Kapitalismus tenden Klassen befinden«, so schrieb er 1863 in »Über er Bürger überhaupt in den württembergischen Landtag Genossenschaftswesen. Was ist der Arbeiterstand in gewählt. Dort setzte er sich für die Einigung Deutsch- der heutigen Gesellschaft? Und was kann er werden?«7. lands unter Führung Preußens ein. Seine wichtigste Pfeiffer war Zeit seines Lebens wohlhabend. Er wurde Das Buch war seine erste große Veröffentlichung, er Unternehmung war aber ohne Zweifel die Gründung am 24. November 1835 als dreizehntes Kind des Hof- entwarf in ihm Ideen für eine Zukunft, in der »die soziale des »Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen«. Er bankdirektors Max Pfeiffer und seiner dritten Frau Pau- Gliederung eine andere sein wird, wie heute – wo keine war die treibende Kraft bei der Gründung des Vereins line in Stuttgart geboren. Sein Vater starb früh, Eduard so schroffe Kluft mehr Kapitalist und Arbeiter trennt« . und seit 1877 Vorsitzender im Verwaltungsrat. Erst im 8 war gerade sieben Jahre alt. Dennoch wuchs er behütet März 1921, wenige Wochen vor seinem Tod, gab er das auf: Der Kontakt zu seinen Geschwistern und zur erwei- Im selben Jahr noch bat ihn der Arbeiterbildungsverein, Amt auf. Die Anbindung der arbeitenden Klassen an die terten Großfamilie war eng. Über frühere Ehen seines seine Ideen in die Realität umzusetzen und beim Aufbau bürgerliche Gesellschaft war für ihn der einzige Weg, Vaters war er mit der einflussreichen Bankiersfamilie eines Konsumvereins zu helfen. Ein wichtiges Anliegen: langfristig den sozialen Frieden zu sichern. Kaulla verwandt – deren Finanzkraft soll die des be- Die Arbeiter kamen vom Land, in der Stadt fehlte ihnen rühmten Bankhauses Rothschild übertroffen haben. die Infrastruktur und so waren sie von Krämerläden ab- Pfeiffer starb am 13. Mai 1921 im Alter von 85 Jahren. Auch Eduards Mutter brachte Vermögen mit, sie war die hängig, die oft schlechte Ware zu überhöhten Preisen Hochgeehrt, als Ehrenbürger der Stadt Stuttgart, als Tochter des einflussreichen Oberrabbiners Samuel Wit- anboten. Durch den Zusammenschluss in Vereinen oder geadelte Exzellenz und Geheimer Hofrat. Ihr gesamtes tersheim aus Metz. Eduard Pfeiffer selbst machte Karri- Genossenschaften konnten Arbeiter gute Lebensmittel Vermögen vererbte das kinderlose Ehepaar Pfeiffer der ere als Bank- und Wirtschaftsfachmann und heiratete günstiger einkaufen. 1917 eigens gegründeten Eduard-Pfeiffer-Stiftung. 1872 mit Julie Benary die junge Witwe eines reichen Bankiers: Das Ehepaar gehörte zu den reichsten Bür- Pfeiffer entwickelte nicht nur das komplette Betriebs- gern in Württemberg. konzept, er übernahm bei der Gründung des »Consumund Ersparnisvereins« im November 1864 auch selbst Vermögen verpflichtet! den Vorsitz im Verwaltungsrat. Der Konsumverein hatte schon bald über 1.000 Mitglieder und betrieb vier florierende Läden, er wurde zum Modell für viele Konsum- 22 Mit 22 Jahren schloss Pfeiffer sein erstes Studium an genossenschaften in Deutschland. Pfeiffer unternahm der renommierten Pariser »École Centrale des Arts et nun Vortragsreisen, um für die Idee der Genossen- Manufactures« als Diplomchemie-Ingenieur ab. An- schaften zu werben, und gilt als einer der Pioniere der schließend studierte er Nationalökonomie und Finanz- Bewegung in Deutschland. Eduard Pfeiffer im fast fertiggestellten unteren Teil der Neuffenstraße 23 1914 – 1945 Zwischen den Kriegen Auf und ab in Krisenzeiten Bebauung an der Schwarenbergstraße 121 – 135 +++++ 1918 +++++ König Wilhelm II. ver zichtet auf sein Amt, am 9. November wird der Volksstaat Württemberg ausgerufen. +++++ 1918 +++++ Mit dem Waffenstillstand von Compiègne endet am 11. November der Erste Weltkrieg. Schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte ßen Teil seines Bestandes. Unter anderem das Ledigen- sich die wirtschaftliche Lage in Stuttgart geändert: heim, die Gebäude in der Altstadt und die Liegenschaften Einige Industrieunternehmen waren abgewandert und in Süd- und Westheim. Konsolidierung durch Gesund- es gab weniger Arbeitsplätze. Im Arbeiter- und Ledigen- schrumpfung hieß die Devise. Als Eduard Pfeiffer im heim blieben Zimmer unbelegt. Wohnungen in West März 1921 wenige Wochen vor seinem Tod den Vorsitz im heim, Südheim und Ostenau und etliche Geschäftsräu- Verwaltungsrat abgab, besaß der Verein außer dem Ar- me in der neuen Altstadt fanden keine Mieter mehr. Mit beiterheim nur noch 118 Gebäude mit 565 Wohnungen in dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Einberu- Ostheim und 50 Gebäude mit 263 Wohnungen in Ostenau. fung kriegsfähiger Männer nahm der Wohnungsüber schuss weiter zu: 1915 gab es in Stuttgart 3.659 leere Der Verkauf der Immobilien fiel unglücklich mit der In- Wohnungen. »Ein namhafter Teil unserer Mieter wurde flation zusammen. 1914 entsprach 1 US-Dollar dem Wert Im letzten Drittel des 19. Jahr- zur Fahne gerufen und viele der zurückgebliebenen von 4,20 Mark, im Oktober 1922 war die Mark nur noch hunderts hatte der »Verein für das Familien waren nicht mehr in der Lage, die Miete zu be- ein Tausendstel wert. Im November 1923, dem Jahr der Wohl der arbeitenden Klassen« das Gesicht streiten«, schrieb der Verein 1914 in seinem Rechen- Hyperinflation, entsprach der Wert eines Dollars 4,2 Bil- Stuttgarts maßgeblich mitgeprägt. Der Gründungszweck schaftsbericht. Zwar spitzte sich die Situation auf dem lionen Mark. Als die Weimarer Republik 1924 die Wäh- des Vereins war es, die Lebenssituation der Arbeiter zu verbes- Wohnungsmarkt ab 1919 mit den Kriegsheimkehrern rung mit der Umstellung von 1 Billion Mark auf 1 neue sern, die im Zuge der Industrialisierung vom Land in die Städte zogen. Die wieder zu. Trotzdem reichten die Mieteinnahmen nicht Rentenmark stabilisierte, hatte sich der Reservefonds Zeit zwischen 1914 und 1945 war dagegen geprägt von zwei Weltkriegen, der Inflation, aus, um den Bestand zu erhalten. Reparaturen und In- des Vereins, in dem sich 1918 noch 1,269 Millionen Gold- der Weltwirtschaftskrise und der Machtergreifung der Nationalsozialisten. standhaltungen, die im Krieg nicht durchgeführt worden mark befunden hatten, praktisch aufgelöst. Seine stabi- waren, mussten dringend nachgeholt werden. Durch len Werte, die Immobilien, hatte der Verein kurz zuvor die Zwangsbewirtschaftung, die nach dem Krieg auch veräußern müssen. 9 für Wohnraum galt, konnte der Verein nicht entsprechend wirtschaften. Bei allem Verständnis für die Notsituation der Mieter und auch für die durchaus notwendi- Robert Bosch übernimmt in der Krise gen staatlichen Eingriffe in den Mietmarkt resümierte der Verein 1921: »Wenn gemeinnützige Vereine durch In der Nachfolge Pfeiffers übernahm zunächst der ehe- eine unbillige Niederhaltung der Mieten zur Veräuße- malige württembergische Finanzminister Wilhelm von rung der von ihnen geschaffenen Einrichtungen ge Gessler den Vorsitz im Verwaltungsrat. Nach nur einem zwungen werden, ist das sicher nicht im Interesse der Jahr folgte 1922 Robert Bosch in das Amt, das er bis Mieter gelegen«. 1931 ausübte. Robert Bosch war ein Freund Pfeiffers. Es 10 ist zu vermuten, dass dieser ihn gebeten hatte, sich in Teilverkauf des Bestandes in der Inflation den schwierigen Zeiten für sein Erbe einzusetzen. Was genau der Großindustrielle für den Verein tat, ob und inwieweit er eigene Mittel zu dessen Rettung beisteu- 1921 konnte der Verein die Rückzahlungsraten seiner erte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Viele Kredite nicht mehr begleichen. Um seinen Verbindlich Unterlagen aus der damaligen Zeit wurden im Zweiten keiten trotzdem nachzukommen, verkaufte er einen gro- Weltkrieg zerstört. +++++ 1922 +++++ Außenminister Walther Rathenau wird am 24. Juni von Rechtsextremen ermordet. 27 +++++ 1927 +++++ Charles Lindbergh gelingt vom 20. bis 21. Mai der erste Alleinflug über den Atlantik. +++++ 1927 +++++ »Metropolis« von Fritz Lang wird am 10. Januar uraufgeführt. +++++ 1928 +++++ Die »Graf Zeppelin« unter nimmt am 18. September ihre Jungfernfahrt. Sicher ist, dass der Verein seit 1922 wieder in beschei- Um die Not zu lindern, griff der Staat massiv in den Woh- denem Umfang aktiv werden konnte: Bis 1923 stellte er nungsmarkt ein: Er legte Mietpreise fest und konnte bei acht Häuser mit 64 Wohnungen in der Alfred- und der Bedarf sogar Wohnraum für obdachlose Familien be- Abelsbergstraße fertig. Aber auch Bosch musste 1925 schlagnahmen. Um sozialen Wohnungsbau zu finanzie- feststellen: »Die durch die Inflation bewirkte Aufzehrung ren, erhob man seit 1924 eine Hauszinssteuer, die Besitzer +++++ 1923 +++++ In Deutschland wütet Hyperinflation. von Immobilien entrichten mussten. Mit den Einnahmen aus dieser Steuer wurden Wohnungsbaugenossenschaf- seiner sehr erheblich gewesenen Rücklagen und die ten und andere gemeinnützige Wohnungsunternehmen Schwierigkeiten der Geldbeschaffung machen es dem subventioniert. Derart gefördert durch öffentliche Mittel Verein leider unmöglich, an der Linderung der besonders errichtete der Verein zwischen 1927 und 1931 insgesamt die unbemittelteren Schichten des Volks bedrängenden 341 Wohnungen, davon 86 auf vereinseigenen Grundstü- Wohnungsnot mitzuhelfen.«11 Bis 1927 kümmerte sich der cken in Botnang und weitere 110 Wohnungen in Ostheim. Verein wieder ausschließlich um die Instandhaltung des Mit durchschnittlich acht Wohnungen pro Haus waren verbliebenen Bestandes. die Gebäude größer als die frühen Ostheimer Bauten, fügten sich mit ihren roten und sandfarbenen Klinker- Weimarer Republik: Sozialer Wohnungsbau wird Aufgabe der öffentlichen Hand steinen aber durchaus in das Gesamtbild des Stadtteils ein. In Ostheim sind heute unter anderem in der Haußmannstraße Gebäude aus dieser Zeit erhalten. Die Bedingungen für den sozialen Wohnungsbau änder- Im Januar 1929 beteiligte sich der Verein mit einer ten sich in der Weimarer Republik radikal. Vor dem Krieg Stammeinlage von 600.000 Reichsmark an der Grün- lag der Wohnungsbau in der Hand privater Investoren, dung der »Wohnungsbau für Stuttgart und Umgebung, auch der soziale Wohnungsbau ging auf private Initia- Gemeinnützige Gesellschaft mbH« (Woba). Insgesamt tiven zurück. Nach dem Krieg und der Inflation reichten hatte die neue Gesellschaft ein Stammkapital von 1,5 die Mittel privater Geldgeber jedoch nicht mehr aus: Der lionen Reichsmark. An der Gründung beteiligten Mil soziale Wohnungsbau wurde zur öffentlichen Aufgabe. sich unter anderem die Firmen Bosch, Eisenmann und Erstmals in der deutschen Geschichte legte die Weima- Breuninger. Die Stadt Stuttgart wollte über die neue rer Republik in ihrer Verfassung das Ziel fest, »jedem Gesellschaft einen Teil ihrer Wohnungsbauvorhaben Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen abwickeln und führte dementsprechend bei der Bau- Familien […] eine ihren Bedürfnissen entsprechende planung Regie. Unter dem Dach der neu gegründeten +++++ 1929 +++++ Am Donnerstag, den 24. Oktober, bricht die Börse in den USA zusammen. Woba konnte der Verein wieder zwei zusammenhänlungen errichten: Eine zwischen Wagengende Sied Oben: Siedlung an der Wagenburg- / Bergstraße. Unten: Reichsheimstätten der Woba in Feuerbach. Die Einzahlung des wöchentlichen Mietzinses wurde im Mietenbüchlein quittiert. burg- / Bergstraße, eine weitere zwischen SchwarenWohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern« . Litt in berg-, Lem berg- und Bronn äckerstraße. Insgesamt der Kaiserzeit vor allem das städtische Arbeiterprole- baute die neue Wohnungsbaugesellschaft zwischen tariat an Wohnungsmangel, so fehlten nach dem Krieg 1927 und 1931 268 Mietwohnungen und nahezu 2.000 Wohnungen in allen gesellschaftlichen Schichten. Wohnungen nach dem Reichsheimstättengesetz. 12 28 29 +++++ 1938 +++++ Beim November pogrom wird die Alte Synagoge und die Friedhofskapelle der Jüdischen Gemeinde zerstört. +++++ 1941 +++++ Die USA erklären Deutsch land am 11. Dezember den Krieg. +++++ 1942 +++++ Die Einwohner zahl Stuttgarts steigt durch zahlreiche Ein gemeindungen auf knapp 500.000. Unter staatlicher Aufsicht: Das Dritte Reich gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, dass die »Leitungsgremien zu 51 Prozent aus Mitgliedern der Partei und ihrer angeschlossenen Organe« zu besetzen Nach Robert Bosch übernahm 1931 der Bankier Max seien.13 +++++ 1944 +++++ Am 12. September fliegt die britische Royal Air Force den schwersten Angriff auf Stuttgart. +++++ 1945 +++++ Hitler nimmt sich am 30. April das Leben. Am 8. Mai kapituliert die Wehrmacht beding ungs los – das Ende des Zweiten Welt krieges in Europa. Doertenbach das Amt des Vorsitzenden im Verwaltungs- außer einem unbebauten Grundstück in Stuttgart-Bad Cannstadt eine Reihe von Wohngebäuden mit insgesamt 189 Mietwohnungen in der Trauben- / Lerchenstraße in Stuttgart-West. Sowohl die übernommenen Gebäude der rat, 1932 der Rechtsanwalt Paul Scheunig. 1933 folgte ein Als durch die Ordentliche Mitgliederversammlung am lag der Anteil öffentlicher Mittel an den Investitionen im Woba als auch die des »Wohnungsverein Stuttgart« fie- weiterer prominenter Stuttgarter Bürger in das Amt: Carl 10. Oktober 1933 der neue Verwaltungsrat gewählt wird, Wohnungsbau sogar unter 10 Prozent, während er in ei- len den Bombenangriffen im großen Ausmaß zum Opfer. Lautenschlager, der von 1911 bis 1933 Stadtschultheiß steht auch eine Satzungsänderung zum Beschluss. nem Durchschnittsjahr der Hauszinsära fast 50 Prozent bzw. Oberbürgermeister von Stuttgart war. Lautenschla- Diese war vor allem durch eine neue »Gemeinnützig- betragen hatte.«16 Im Rahmen des Kriegswohnungsbauprogramms für Mitarbeiter der Rüstungsindustrie stellte der Verein »Am ger hatte die Entwicklung Stuttgarts zu einer modernen keitsverordnung veranlasst, deren Vorschriften sich Großstadt mitgeprägt. Der Bau des Hauptbahnhofes der Verein anzupassen habe, wenn er auch fernerhin Nach 1933 musste sich der Verein zunächst wieder auf Klingenbach 41 – 43 « in Stuttgart-Gaisburg 67 Wohnun- und etliche andere Investitionen in die städtische Infra- im Genuss der steuerlichen Vorteile bleiben wolle«14. die Verwaltung der vorhandenen Immobilien beschrän- gen bis zum Jahr 1943 fertig. Darüber hinaus sollte er struktur gehen auf seine Initiative zurück, etwa die erste Die Änderung betraf hauptsächlich die Zusammenset- ken. Zwischen 1936 und 1939 baute er in Stuttgart-Feu- für den Krieg Luftschutzräume erstellen. Die Gebäude Kläranlage, etliche öffentliche Bäder und der Neckar- zung der Vereinsorgane: Die Mitglieder des Vorstands erbach eine Arbeiterwohnstätten-Siedlung mit 52 Häu- Am Klingenbach wurden direkt mit eigenen Bunkern kanal, der die Schifffahrt in der Region erst ermöglichte. durften nun nicht mehr gleichzeitig Mitglieder im Ver- sern und insgesamt 260 Kleinwohnungen. Ende der geplant, in anderen Häusern wurden die vorhandenen Auch der Bau der Weißenhofsiedlung unter der Leitung waltungsrat sein. Ebenfalls am 10. Oktober wurde auch 1930 er-Jahre sollte der Verein das »Palmsche Grund- Tiefkeller mit Stahltüren nachgerüstet. Zusätzlich wur- von Mies van der Rohe fiel in seine Amtszeit. Bei den die Änderung des Vereinsnamens beschlossen. Ober- stück« in Stuttgart-Mühlhausen als Gartenstadt-Sied- den die Keller unter den Häusern mit kleinen Durch- Bürgern war der liberale Politiker beliebt, sowohl 1921 bürgermeister Strölin, der neu in den Verwaltungsrat lung mit 2.500 Wohnungen bebauen. Für das Projekt gängen versehen, sodass die Bewohner im Falle eines als auch 1931 wurde er im Amt bestätigt. Mit der Macht aufgenommen wurde, monierte, dass es »im jetzigen hatte man schon einen Architekturwettbewerb durch- Bombentreffers Fluchtwege hatten. übernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 musste Staat keine Klassen mehr gebe und damit auch keine geführt, die Preisträger hatten mit der Planung begon- Lautenschlager das Amt jedoch räumen, sein Nachfol- arbeitenden Klassen« . Aus dem »Verein für das Wohl nen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte Obwohl Stuttgart mit seiner Rüstungsindustrie ein wich- ger wurde der linientreue NSDAP-Politiker Karl Strölin. der arbeitenden Klassen« wurde der »Gemeinnützige jedoch den Bau. tiges Ziel der Alliierten war, glaubten zu Beginn des 15 Bau- und Wohlfahrtsverein«. Die Anerkennung als ge+++++ 1932 +++++ Vom Berliner Funkturm wird die weltweit erste Fernsehsendung ausgestrahlt. meinnützig erhielt der Verein am 11. Januar 1934. +++++ 1933 +++++ Hindenburg ernennt Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler. Während Albert Speer in Berlin bauliche Großmachts- Krieges die wenigsten Stuttgarter daran, dass feind- Luftschutzbunker statt Neubauten liche Flieger bis zur württembergischen Hauptstadt durchdringen könnten. Zu groß war das Vertrauen in die eigene Flugabwehr. Die gefühlte Sicherheit endete fantasien plante, sah das Wohnungsbauprogramm der Am 31. Dezember 1940 musste die Woba aus finanzi- am 25. August 1940: Britische Bomber warfen die ersten Nationalsozialisten im Rest des Landes bescheidener ellen Gründen aufgelöst werden. Der »Gemeinnützige Bomben über der Stadt ab. Die verheerenden Großan- aus. Entsprechend der politischen Vorgaben sollten Bau- und Wohlfahrtsverein« übernahm als Haupt ge griffe folgten im Juli 1944: In insgesamt vier Großangrif- Auch als Vorsitzender des Verwaltungsrates wurde vor allem dezentrale und kleinere Siedlungen gefördert sellschafter die Anteile der übrigen Gesellschafter und fen starben 4.477 Menschen, die Zahl der Verwundeten Lautenschlagers Handlungsspielraum beschränkt: Im werden, denn in den Großstädten sah man die Brutstät- die vorhandenen Gebäude und Grundstücke. Um die Fi- lag bei fast 9.000. Rund 58 % der Gebäude in Stuttgart Zuge der Gleichschaltung, mit der die Nationalsozialis- ten des Marxismus und Bolschewismus. Auch wenn das nanzkraft der größeren Wohnungsbauunternehmen zu wurden im Bombenhagel zerstört oder beschädigt. ten das gesellschaftliche und politische Leben unter politische Programm nichts an dem langfristigen Trend stärken, veranlassten die Nationalsozialisten, dass klei- +++++ 1933 +++++ Am 27. Februar brennt das Reichstagsgebäude in Berlin. 30 »Wohnungsverein Stuttgart«. Das Unternehmen besaß ihrer Doktrin zentralisierten, wurden gemeinnützige der Industrialisierung und damit Urbanisierung ändern nere Unternehmen mit größeren fusionierten. Aufgrund Mit der Kapitulation Deutschlands veranlassten die Be- Bauvereine de facto unter staatliche Aufsicht gestellt. konnte, machte sich der politische Wille doch im Rück- dieser Verordnung übernahm der Verein am 1. Oktober satzungsmächte zunächst eine Vermögenssperre und So forderte etwa der »Hauptverband Deutscher Bau gang der öffentlichen Bezuschussung von Mietshaus- 1941 ebenfalls die gesamten Liegenschaften des bis da- Vermögenskontrolle für den Verein. Die Geschäftsfüh- genossenschaften und -gesellschaften« seit 1933 von bauprojekten in den Städten bemerkbar. »1936 und 1937 hin ältesten Stuttgarter Wohnungsunternehmens, des rung übernahm ein Treuhänder der Besatzungsmächte. 31 1945 – 1954 Wiederaufbau aus Ruinen Stuttgart liegt in Trümmern Sommer 1945 – Kriegsschäden im Stuttgarter Osten +++++ 1945 +++++ Die alliierten Sieger mächte treffen sich vom 17. Juli bis 2. August zur Potsdamer Konferenz. Dort entsteht das Programm zur Demokratisierung, Entmilitari sierung und Entnazifizierung Deutschlands. Nicht nur durch die Zerstörung der Gebäude war Am 21. April 1945, zwei Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, rückten französische Truppen in Stuttgart ein. Karl Strölin, der amtierende Bürgermeister, hatte sich zuvor einem ausdrücklichen Befehl aus Berlin widersetzt: Anstatt die Stadt mit allen Mitteln zu verteidigen, traf er sich heimlich mit den anrückenden Truppen und übergab die Stadt kampflos. Damit rettete er wahrscheinlich tausenden Stuttgartern das Leben und bewahrte die Stadt vor weiterer Zerstörung. Aber schon die Bombenangriffe von 1944 hatten große Teile Stuttgarts in Trümmer gelegt. Von den 2.265 Mietwohnungen, die vor dem Krieg zum Bestand des »Gemeinnützigen Bau- und Wohlfahrtsvereins« gehörten, waren nach Kriegsende nur noch 1.101 Wohnungen bewohnbar. Ostenau fiel den Bomben nahezu komplett zum Opfer, ebenso der Bestand in der Trauben- / Lerchenstraße, den der Verein 1941 vom »Wohnungsverein Stuttgart« übernommen hatte. Die Kolonie Ostheim kam zwar vergleichs weise glimpflich davon, doch auch hier waren viele Gebäude beschädigt. im Verwaltungsrat tätig gewesen seien«17. Die Verhand- die Wohnungssituation nach dem Krieg katastrophal. lungen mit der amerikanischen Militärregierung führte Zwangsarbeiter, die für die Nationalsozialisten vor allem für den Verein Carl Lautenschlager, dessen langjähriger in der Rüstungsindustrie gearbeitet hatten und in Hallen Vorsitzender und bewiesenermaßen ein lupenreiner einquartiert waren, mussten nun untergebracht wer- Demokrat. Er argumentierte, »dass beispielsweise Herr den. Zu diesem Zweck beschlagnahmte die »Nothilfe- Weber und ein Teil der früheren Verwaltungsratsmit- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen« glieder nur auf Druck des Kreisleiters Fischer und des (UNRRA) 47 Wohnungen des Vereins in Ostenau. Hinzu Vorstands beim Verband Württ. Wohnungsunterneh- kam der Zulauf deutschstämmiger Flüchtlinge aus Mittel- men Bühler eingesetzt worden seien«18. und Osteuropa. Viele Stuttgarter Familien waren außerdem während der Bombenangriffe aufs Land gezogen Am 14. April 1946 rief Lautenschlager eine Mitglieder- und hatten ihre Wohnungen in dieser Zeit untervermie- versammlung ein, um einen neuen Verwaltungsrat zu tet. Nun kehrten sie zurück und beanspruchten ihre wählen. Die Vorgaben für den Neustart waren klar: Wohnungen – Konflikte waren vorprogrammiert. Im »An der Versammlung […] darf kein früherer Pg., kein Jahr 1945 zogen etwa 140.000 Menschen nach Stuttgart Mitglied der Nazi-Partei teilnehmen und es darf kein bzw. kehrten heim, in der gleichen Zeit wurden aber nur ehemaliger Pg. an der Abstimmung teilnehmen.«19 Carl 5.000 der zerstörten Wohnräume wiederhergestellt. Lautenschlager wurde einstimmig zum Vorsitzenden ge- 1946 standen 185.000 bewohnbaren Räumen 372.000 wählt. Es dauerte jedoch weitere acht Monate, bis »er Menschen gegenüber, die ein Dach über dem Kopf auf Grund einer Verfügung der Militärregierung an Stel- benötigten. Menschen lebten auf der Straße, bauten le des am 16. Dezember 1946 ausgeschiedenen Herrn sich Behelfsbaracken in Elendsquartieren oder kamen Schneider als Treuhänder des Vereins eingesetzt«20 in Heimen unter, die man in Bunkern eingerichtet hatte. wurde. Die völlige Aufhebung der Vermögenskontrolle Der Wohnungsmangel gehörte neben der angespann- durch die Besatzer erreichte der Verein allerdings erst ten Ernährungssituation zu den drängendsten Proble- Ende 1947, ein weiteres Jahr später. Von diesem Zeit- men der Nachkriegszeit. punkt an wurde der Verein wieder durch seine satzungsmäßigen Organe verwaltet. Unter der Besatzungsmacht Es fehlte an allen Ecken und Enden Dem Verein waren zunächst die Hände gebunden: Die amerikanische Militärregierung hatte eine Vermögens- Die Bedingungen für den Wiederaufbau waren sehr sperre verhängt und für die Führung der Vereinsge- schwierig: Der Verein hatte kaum noch Finanzmittel, sei- schäfte einen Treuhänder bestimmt. Die »Beschlag ne Wertpapiere waren wertlos. Baustoffe waren Man- nahme des Vereins Ende September 1945 […] sei wohl gelware und wurden durch Kontingentierung zugeteilt. deshalb angeordnet worden, weil Parteigenossen be- Viele Häuser waren einsturzgefährdet. Um die Gebäude ziehungsweise alte Kämpfer sowohl im Vorstand [Anm.: vor Wind und Wetter zu schützen, hatten die Bewoh- Bernhard Weber, Vorstand von 1940 bis 1945] als auch ner Fenster mit Brettern oder Pappen zugenagelt. Die +++++ 1945 +++++ Erster Oberbürgermeister von Stuttgart nach dem Krieg wird Arnulf Klett. 35 +++++ 1947 +++++ Angeführt von Mahatma Gandhi erhält Indien am 3. Juni seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht. Mieter halfen beim Wiederaufbau mit: z. B. mit Bau- »Am Anfang war die größte Aufgabe, den Schutt zu be- von der städtisch gelenkten Verteilung dieser Mittel und materialien, die sie in eigener Regie organisierten, und seitigen.« Ein Flüchtling aus Ungarn, so erinnert sich der allgemein von der städtischen Raum- und Siedlungs- mit ihrer Arbeitskraft. Im Geschäftsjahr 1946 waren heute 89-Jährige, hatte einen Pferdewagen, auf dem planung abhängig. 1949 konnte der Verein 145 im Krieg 73 Wohnungen entsprechend den damaligen Möglich- man den Schutt zum Bauhof transportierte und dort zerstörte Wohnungen wiederherstellen, 1950 waren es keiten wiederhergestellt, 1947 weitere 81 Wohnungen. zu einem Berg anhäufte. Was noch verwertet werden 116. Um den Wiederaufbau in der gewünschten Form Kosten, die den Mietern durch die Instandsetzungs- konnte, wurde für den Wiederaufbau genutzt. Frauen voranzubringen, nahm man Mitfinanzierungsdarlehen arbeiten entstanden, übernahm der Verein unter der treuhändischen Verwaltung nur zu 50 %. Erst nachdem +++++ 1947 +++++ Am 5. Juni präsentiert der amerikanische Außenminister George C. Marshall das European Recovery Program (ERP), kurz: den Marshall-Plan. Lautenschlager die Vereinsleitung wieder übernomputzten die alten Ziegel, mit denen man dann die Mau- der Industrie, von Banken sowie von der Stadt Stuttgart ern wieder aufzog. Baugerüste errichteten die Maurer und anderen Institutionen in Anspruch. Bedingung der aus Stangenholz, das sie vom Forstamt besorgten. Die Darlehensgeber war es, dass ihre Mitarbeiter Wohnun- Stämme habe man dann mit allem zusammengebunden, gen zugesprochen bekamen. So konnte der Verein den was man finden konnte, so Nagel. Mit Stricken, aber Aufbau in den Jahren 1951 und 1952 wenigstens im Rah- 1947 gründete der Verein einen Instandsetzungsbetrieb, auch mit alten Wäscheleinen. An einigen Häusern in men der Vorjahre fortführen. der helfen sollte, die Kriegsschäden zu beseitigen. Die Ostheim kann man noch heute die Grenze im Gemäuer kleine Werkstatt fand auf einem alten Fußballfeld in Ost sehen, über der die neu errichteten Mauern beginnen. men hatte, wurden den Mietern alle Kosten erstattet. 21 Gründung des Regiebetriebs heim Platz, im Krieg war dort Gemüse angebaut worden. Auch der Bauhof besteht noch heute, inzwischen ist er Der Bauhof beschäftigte Maurer und Schreiner sowie mit seinen 19 Mitarbeitern in einem modernen Gebäude Hilfskräfte, später kamen Gärtner hinzu. Einer, der sich in der Ulmer Straße 160 untergebracht. Carl Lautenschlager, der sich schon zunehmend aus noch an die Gründungszeit des Betriebes erinnert, ist Hans Nagel. Er leitete den Bauhof seit 1952: 1953: Es geht voran! dem Tagesgeschäft zurückgezogen hatte, starb am Bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948 investierte 6. Dezember 1952 im Alter von 84 Jahren. Ihm folgte der Verein über eine Million Reichsmark in die Instand- Rudolf Hagmann im Vorsitz des Verwaltungsrates. Auch setzung beschädigter Häuser. Von dem, was nach dem Hagmann war ein einflussreicher Mann: Als Präsident Krieg und der Währungsreform noch übrig war, musste der Württembergischen Landeskreditanstalt half er maß der Verein insgesamt 1.394.200 DM Lastenausgleichs geblich bei der Beschleunigung des Wiederaufbaus mit. abgaben zahlen. Durch das Lastenausgleichsgesetz Am 6. Juni 1953 gab der Vorstand auf der Mitgliederver- sollten Deutsche unterstützt werden, die im Krieg be- sammlung eine Übersicht über den Wiederaufbau: 2.240 sonderen Schaden erlitten hatten. Mit Rücksicht auf Wohnungen waren nun bewohnbar! Damit war prak- die auch für das Gemeinwohl wichtigen Aufgaben des tisch der Vorkriegszustand wiederhergestellt. Vereins konnte man eine Stundung der Lastenaus- Hans Nagel (ganz rechts) mit den Schreinern des Bauhofs 36 gleichsabgaben erreichen. Die Hoffnung, aufgrund der Man hatte in Dachgeschossen zusätzliche 99 Notwoh- eigenen Kosten für die Instandsetzung ganz befreit zu nungen eingerichtet, die Baulücken in Feuerbach, Bot- werden, erfüllte sich allerdings nicht. Der Verein war nang, Gablenberg und Ostheim waren bis auf vier Trüm- durch die geringen eigenen Mittel nun stärker auf nie- mergrundstücke wieder geschlossen. Nachdem die derverzinsliche öffentliche Wohnungsbauförderungs- Trümmer beseitigt und der Bestand wiederhergerichtet darlehen angewiesen und dadurch in stärkerem Maße war, dachte der Verein erneut an Neubauprojekte. +++++ 1952 +++++ Am 25. April vereinen sich die Länder Württemberg-Baden, Baden und WürttembergHohenzollern zum Bundesland Baden-Württemberg. 37 1955 – 2000 Aufschwung und Bauboom Phönix aus der Asche Darmstädter Straße 2 – 12 in Bad Cannstatt +++++ 1956 +++++ Am 5. Februar wird der Stuttgarter Funkturm eingeweiht. Der Turm ist der erste seiner Art, der mit Stahlbeton gebaut wurde. Er löste eine weltweite Turmbauwelle aus. +++++ 1961 +++++ Am 13. August wird die Berliner Mauer errichtet. Bad Cannstatt: Das erste große Neubauprojekt nach dem Krieg Mitte der 50 er-Jahre waren die Kriegstrümmer beseitigt und die schlimmste Wohnungsnot war behoben. Entspannt hatte sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt allerdings noch lange nicht: Bis in die späten 90-er herrschte fast durchgängig Wohnungsmangel in Stuttgart. 1950 lebten wieder rund 500.000 Menschen in Stuttgart, so viele wie nach den umfangreichen Eingemeindungen von 1942. Den Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern folgte das Bevölkerungswachstum in der Generation der Babyboomer: Im Jahr 1962 lebten 640.560 Menschen in Stuttgart – ein historischer Höchststand. Zwar ging die Einwohnerzahl bald wieder leicht zurück, doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stiegen die Ansprüche und weniger Bürger beanspruchten nun mehr Wohnraum. Leidtragende waren die unteren sozialen Schichten, für die bezahlbarer und guter Wohnraum Mangelware blieb. Als sich der Wohnungsmarkt in den 80ern schließlich gerade beruhigt hatte, sorgte die Wiedervereinigung 1989 für einen neuen Zuwanderungsstrom aus dem Osten. eines Kriegsinvaliden ein Aufzug benötigt wurde, konnten zusätzliche Mittel beantragt werden. Die Wohnungen waren oft von vornherein zweckgerichtet für be- So war die Zeit nach 1955 bis in die 90er hinein geprägt stimmte Personengruppen, das konnten Zuwanderer, »von rastloser Arbeit für die Schaffung von neuem Aussiedler und Gleichgestellte sein oder auch Beamte, Wohnraum«, wie es der Verein selber in seiner Fest- etwa Mitarbeiter der Polizei. Der Verein verpflichtete schrift zum 125-jährigen Bestehen formuliert. Das erste sich mit den öffentlichen Darlehen, der Stadt ein »Bele- große Projekt, das er nach dem Krieg realisierte, war gungsrecht für die geförderten Wohnungen bis zur Til- die Siedlung am Sparrhärmlingweg in Bad Cannstatt. gung des Darlehens, mindestens aber auf die Dauer von Schon 1954 hatte der Verein dort ein größeres zusam- 20 Jahren vom Bezug der Wohnungen gerechnet, ein- menhängendes Baugrundstück gegen die Grundstücke zuräumen«22. In der sogenannten zweiten Berechnungs an der Trauben-, Lerchen- und Seidenstraße getauscht. verordnung war außerdem festgelegt, wie hoch die Zusätzlich konnten noch einige private Grundstücke Miete sein durfte, die der Verein für eine Wohnung er- gekauft werden. Bis 1965 entstanden hier insgesamt 65 heben durfte. Häuser mit 577 Wohnungen. Es gab ein kleines Ladenzentrum, Grünflächen und Kinderspielplätze. 28 kleine Aufgrund des derart limitierten finanziellen Rahmens Wohnungen der Siedlung waren explizit auf die Bedürf- war auch der Gestaltungsspielraum der Architekten nisse alter Menschen zugeschnitten. Auch das erste gering. Der Fokus lag auf pragmatischen und zweck- Hochhaus des Vereins entstand hier, in der Wetzlarer mäßigen Lösungen: Die Wohnungen sollten familien- Straße 25: Die 75 Ein- bis Zweizimmerwohnungen ver- freundlich geschnitten sein, in der Regel bestanden sie teilt auf 14 Stockwerke waren 1964 bezugsfertig. 1973 aus drei, selten aus vier Zimmern, dazu eine Küche, ein folgte auf dem Areal in der Wetzlarer Straße 10 ein wei- Bad mit getrenntem WC und ein Balkon. Oft gab es eine teres Hochhaus mit insgesamt 45 Zweizimmerwohnun- Abstellkammer außerhalb der Wohnung, meistens im gen (s. auch »Bad Cannstatt«, S. 56 ). Dachboden. Mit der aufkommenden Motorisierung gehörten auch Garagen oder zumindest Stellplätze für die Öffentliche Hand fördert sozialen Wohnungsbau Krieg und Währungsreform hatten das Vermögen des Autos zum Standard. Umfangreiche Neubauten Vereins nahezu aufgelöst. So entstanden die Gebäude in Cannstatt sowie ein Großteil der anderen Bauprojek- Anfang der 1960er Jahre bekam der Verein in Freiberg te des Vereins in der Zeit bis 1990 als soziale Wohnungs- einige nicht zusammenhängende Grundstücke zur Be- bauprojekte mit öffentlichen Fördermitteln. Die Mittel bauung zugewiesen. In einem ersten Bauabschnitt ent- wurden nach einem festen Schlüssel zugeteilt: Je nach standen bis 1966 an der Balthasar-Neumann-Straße Quadratmetern bzw. Anzahl der Zimmer und Wohnun- 13 – 23 insgesamt 38 Wohnungen auf einer Gesamt- gen bekam der Verein ein Darlehen, um den Bau zu rea- wohnfläche von 3.210 qm. Dabei handelte es sich um lisieren. Für Sonderposten, etwa wenn im Wohnhaus dreistöckige Flachdach-Bauten mit großzügigen, ge- +++++ 1964 +++++ Am 10. September bekommt Armando Rodrigues de Sá als millionster Gast arbeiter zur Begrüßung ein Moped geschenkt. 41 +++++ 1969 +++++ Neil Armstrong und Buzz Aldrin betreten am 21. Juli als erste Menschen den Mond. +++++ 1975 +++++ Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart muss sich die Baader-Mein hof-Gruppe verantworten. Der Stammheim-Prozess dau ert bis zum 28. April 1977. meinschaftlichen Grünanlagen. 1967 / 68 folgten das siedler, die dort ein neues Zuhause fanden. In Stutt- Wohnhochhaus an der Wallensteinstraße 25 / 27, das gart-Neugereut baute der Verein weiterhin insgesamt der Verein gemeinsam mit der Baugenossenschaft 12 Wohnungen für Schwerbehinderte rollstuhlgerecht Münster errichtete, sowie die Gebäude an der Adal- aus. 1970 errichtete man in Stuttgart-Botnang in bester bert-Stifter-Straße 86 – 96 mit 70 Wohnungen. Später, in Wohnlage die Baugruppe an der Kullenbergstraße mit den Jahren 1975 / 76, errichtete der Verein in Stutt- 38 Wohnungen. Zwischen 1990 und 1991 wurde an der gart-Freiberg eine Altenwohnanlage mit 61 Ein- und Kniebis- / Fuchseckstraße in Stuttgart-Ost eine Alten- Zweizimmerwohnungen. Diese befinden sich in der wohnanlage mit 125 Wohnungen realisiert. Nähe des Altenheims des Deutschen Sozialwerks, das bei Bedarf die Betreuung für die Bewohner übernimmt. Das Ende der Wohnungs gemeinnützigkeit 1968 kaufte der Verein mit Unterstützung der Stadt zentrumsnah in Gerlingen ein Grundstück und errichtete 1991 gehörten 556 Häuser mit insgesamt 4.061 Wohnun- dort gemeinsam mit der Baugenossenschaft der Finanz- gen auf einer Gesamtfläche von 247.250 qm zum Be- beamten insgesamt 88 Wohnungen. stand des Vereins. Hinzu kamen 84 Gewerberäume und 813 Garagenplätze. Der Verein konnte auf ein beeindru- +++++ 1982 +++++ Helmut Kohl wird deutscher Bundes kanzler. +++++ 1987 +++++ Steffi Graf erobert mit 14 Turnier siegen die Spitze der Weltrangliste. +++++ 1987 +++++ US-Präsi dent Ronald Reagan fordert am 12. Juni in einer Rede vor dem Brandenburger Tor: »Mr. Gorbatschow, open this gate!« +++++ 1989 +++++ 10. Novem ber: Die Tore der Berliner Mauer öffnen sich. +++++ 1989 +++++ Auf dem Platz des Himmlischen Frie dens in Peking schlägt das chinesische Militär die studentische Demokratie bewegung nieder. +++++ 1990 +++++ Nelson Mandela wird am 11. Februar aus der Haft entlassen und leitet das Ende der Apart heid in Südafrika ein. Oben links: Wildgansweg. Oben rechts: Burgholzhof. Unten links: Kullenbergstraße. Unten rechts: Adalbert-Stifter-Straße. In Stuttgart-Neugereut konnte der Verein ab 1967 wieder ckendes Wachstum zurückschauen: Betrug die Bilanz- einige Grundstücke erwerben, darunter auch größere summe 1966 noch 40,5 Millionen DM, so waren es 1990 und zusammenhängende Baugelände. Bis 1970 entstand rund 160 Millionen DM. Der Architekt dieses Erfolges in der Marabustraße ein Wohnblock mit insgesamt 73 war maßgeblich Dr. Hans Weber, der dem Vereinsvor- Wohnungen auf einer Gesamtfläche von 5.862 qm. 1976 stand von 1968 bis 1997 vorsaß. Dr. Weber prägte eine wurde im Wildgansweg ein Komplex mit 85 Wohnun- Epoche, in der der Verein mit viel sozialem Engagement gen auf insgesamt 6.111 qm bezugsfertig. Nur rund zwei einen spürbaren Anteil daran hatte, die Wohnungs- konnte, durch festgelegte Fördersätze und Mieten klar durch ein Objekt mit 15 Wohnungen erweitert. Im Folge- Drittel dieser Häuser war öffentlich gefördert. Bei den knappheit in Stuttgart zu beheben. vorgegeben, so mussten sich neue Projekte nun »rech- jahr entstanden 35 Mietwohnungen in Weilimdorf, 24 nen«. Der Verein stand damit vor der Aufgabe, seinen Wohnungen 1998 auf dem Burgholzhof. restlichen Wohnungen beteiligten sich verschiedene 42 +++++ 1980 +++++ Am 13. Januar gründet sich die Partei »Die Grünen«. +++++ 1998 +++++ Am 27. Ok tober wird Gerhard Schröder zum siebten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch land gewählt. Investoren, unter anderem die Landesversicherungs- Mit dem 1. Januar 1990 stand der Verein wieder vor sozialen Zielen und Idealen treu zu bleiben, dabei aber anstalt Württemberg und die Daimler-Benz AG, die im einer völlig neuen wirtschaftlichen Situation: Zu die- die Wirtschaftlichkeit der Bauprojekte nicht aus den Mit der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsge Gegenzug entsprechende Wohnungsbelegungsrechte sem Stichtag wurde die Wohnungsgemeinnützigkeit in Augen zu verlieren. setzes änderte sich ein weiteres Mal auch der Name erhielten. 1983 baute der Verein weitere 61 Wohnun- Deutschland abgeschafft. Damit genossen gemeinnüt- gen in der Straße. Im darauf folgenden Jahr fand im zige Wohnungsbauunternehmen keine Steuerprivilegien Davon ungeachtet war der Verein in der Lage, weitere ber 1990 beschloss einstimmig, den Verein in »Bau- und Wildgansweg die Einweihung eines Hochhauses mit 58 mehr; wie andere Unternehmen auch mussten sie nun neue Wohnungen zu errichten: 1990 / 91 baute er an der Wohlfahrtsverein Stuttgart« umzubenennen. Davon un- Wohnungen auf 10 Stockwerken statt. Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögenssteuer zah- Kniebis- / Fuchseckstraße in Stuttgart-Ost eine Alten- berührt blieb weiterhin die Zielsetzung des Vereins, ge- len. Auf der anderen Seite fiel auch die Mietpreisbin- wohnanlage mit 125 Wohnungen. 1992 kam eine Wohn- meinnützig tätig zu sein. Oder, wie es in § 2 der Satzung 1989 folgten weitere 184 Wohnungen im Flamingoweg. dung für gemeinnützigen Wohnraum weg. Wohnungs- anlage in Stuttgart-Fasanenhof mit 122 Wohnungen heißt: »Gegenstand und Zweck des Unternehmens sind Die Finanzierung der Gebäude war nun wieder vollstän- bauförderung, wie man sie bisher kannte, gehörte der hinzu, 1995 weitere vier Wohnungen in einem Mehrfami der Bau und die Bewirtschaftung von Wohnungen, die der dig durch die öffentliche Hand geschehen, teilweise Vergangenheit an. War bisher der finanzielle Rahmen, lienhaus in Feuerbach, in der Weilimdorfer Straße 207. guten, sicheren und sozial verantwortbaren Wohnungs im Rahmen eines Sonderprogramms für Um- und Aus- in dem man sich innerhalb eines Projekts bewegen Auch die Siedlung am Sparrhärmlingweg wurde 1996 versorgung breiter Bevölkerungsschichten dienen.« +++++ 1978 +++++ In Stuttgart nimmt die S-Bahn auf drei Strecken ihren Betrieb auf. des Vereins. Die Mitgliederversammlung vom 13. Novem- 43 2001 – 2016 Sozial ausgerichtet und wirtschaftlich stabil Altes bewahren, die Zukunft im Blick Rotenbergstraße 110 +++++ 2007 +++++ Im August des Jahres beginnt die weltweite Finanzkrise, die mit der Insolvenz der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers im September 2008 ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. 2004 änderte der Verein ein weiteres Mal seinen Na- Neubauten werden teurer men: Aus dem »Bau- und Wohlfahrtsverein Stuttgart« »Was du ererbt von deinen Eltern, erwirb es, um es zu besitzen.« Dieses geflügelte Wort nach Johann Wolfgang von Goethe beschreibt treffend die programmatische Ausrichtung des Bau- und WohnungsVereins Stuttgart seit der Jahrtausendwende. »Wir sehen es heute als unsere Aufgabe, unsere historische Bausubstanz zu bewahren und langfristig stabil zu bewirtschaften«, erklärt Thomas Wolf, seit 2004 der geschäftsführende Vorstand. Der Verein besitzt 120 Gebäude, die denkmalgeschützt sind. Gerade in Ostheim, aber auch in vielen anderen Stadtteilen stehen Altbauten, deren Wert für das Stuttgarter Stadtbild über die reine Wirtschaftlichkeitsberechnung weit hinausgeht, die allerdings auch besonders pflegeintensiv sind. Auch in die Wohnhäuser aus den Jahren des Baubooms musste nun verstärkt investiert werden – die niedrigen Mieten der vergangenen Jahre waren zu Lasten der Instandhaltung gegangen. wurde der »Bau- und WohnungsVerein Stuttgart«. Der Im Vergleich zu den Vorjahren entstehen zwischen 2001 Namenszusatz »Wohlfahrt« war nicht mehr zeitgemäß, und 2016 nur wenige Neubauten, insgesamt sind es 232 führte außerdem immer wieder zu Missverständnissen. Wohnungen in 19 Häusern. Der Grund war vor allem die So wurden Altkleiderkisten vor dem Geschäftssitz ab- strategische Entscheidung des Vereins, zuerst in den gestellt, in der Hoffnung, der Verein könne sich um die vorhandenen Bestand zu investieren, bevor man größe- Verteilung kümmern. re Neubauprojekte planen wollte. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit: Die Kosten für Neubauten sind we- 100 Millionen Euro für Sanierung und Modernisierung gen zunehmender Auflagen in den letzten Jahren stark gestiegen. So fordert unter anderem der Brandschutz immer weitere Sicherheitsvorkehrungen. Der größte Insgesamt investierte der Verein im ersten Jahrzehnt Posten ist aber die Anforderung an die Energieeffizienz. des neuen Jahrtausends knapp 100 Millionen Euro Seit die Energieeinsparverordnung am 1. Februar 2002 in die Modernisierung und Instandhaltung des Be- in Kraft trat, wurde sie kontinuierlich verschärft. Die No- standes. Seit 2007 werden nach und nach die kleinen velle von 2009 reduzierte die zulässige Obergrenze für Ostheim-Häuser saniert. Der Verein ist bemüht, die den Jahresprimärenergiebedarf für Neubauten und mo- Siedlung als Ganzes zu erhalten. Wenn sich die Gele- dernisierte Altbauten zuletzt um 30 %, mit der Verschär- +++++ 2001 +++++ 11. September: Das World Trade Center fällt einem Anschlag zum Opfer. genheit bietet, kauft er daher auch die Häuser zurück, fung von 2016 muss er um weitere 25 % sinken. So sinn- die über den Mietkauf auf die einstigen Mieter überge- voll jede Regelung im Einzelnen ist: Wohnungsbau, der gangen waren. Ein besonderes Sanierungsprojekt ist sich den unteren und mittleren Einkommensschichten +++++ 2002 +++++ Ab 1. Januar ersetzt der Euro die DM. die Schwarenbergstraße 64. Das Haus, das ursprünglich als Kinderkrippe errichtet worden war, wurde verpflichtet fühlt, wird dadurch zunehmend erschwert. Eine moderne Unternehmens organisation komplett entkernt. Heute befinden sich hinter der historischen Fassade lichtdurchflutete Büroräume, in die Der Umbruch im sozialen Wohnungsbau zeichnete am 22. September 2007 die Geschäftsstelle des Vereins sich schon Anfang der 90er-Jahre mit dem Wegfall der einzog (s. auch »Alte Häuser – modernes Wohnen«, Wohnungsgemeinnützigkeit ab. Neubauten und die S. 58). Das zweite große und zusammenhängende Sa- Wohnungsbewirtschaftung mussten sich jetzt am »frei- nierungsgebiet war die Siedlung am Sparrhärmling- en Markt« rechnen. Gleichzeitig stiegen die Ansprüche weg in Cannstatt (s. auch »Bad Cannstatt«, S. 56 ). Das der Mieter: Sie waren bereit, höhere Mieten zu zahlen, Wohnquartier am Rande Stuttgarts sollte insgesamt wenn das »Produkt« stimmte. Die Balance zwischen aufgewertet werden, die Arbeiten begannen 2008 und Gemeinnützigkeit und Wirtschaftlichkeit musste neu dauerten bis 2013. definiert werden. +++++ 2007 +++++ Der VfB Stuttgart wird deutscher Meister. 47 +++++ 2010 +++++ Offizieller Baubeginn des Infrastrukturprojekts der Bahn »Stuttgart 21« am 2. Februar. +++++ 2014 +++++ Innerhalb weniger Tage eröffnen zwei große Shoppingcenter in Stuttgart ihre Pforten: Am 23. September das Gerber, am 9. Oktober das Milaneo. +++++ 2010 +++++ Im Dezember des Jahres beginnt in der arabischen Welt eine Serie von Protesten gegen die autoritären Regime – der Arabische Frühling. Jürgen Oelschläger, seit 2013 drittes Mitglied des Ver- nicht nur das letzte Lebensdrittel der Menschen ändert Von den neun alten Häusern auf dem Gebiet waren sie- Wichtige Partner des Vereins in dem neuen Quartier einsvorstandes, trug federführend dazu bei, den Verein sich: Junge Familien oder alleinerziehende Elterntei- ben so baufällig, dass sie abgerissen werden mussten. sind der Pflegeservice Anna Haag Mobil e.V. und die St. auf die neuen Aufgaben vorzubereiten. »Wir bildeten le brauchen geeignete Betreuungsmöglichkeiten für An ihrer Stelle entstanden sechs neue Häuser. Zwei Ge- Josef gGmbH. Die St. Joseph gGmbH betreibt in der Rai- neue Arbeitsteams und stellten viele zusätzliche Fach- ihre Kinder. Auch nimmt die Schere zwischen Arm und bäude aus der Gründerzeit konnten erhalten und neu- telsbergstraße 27 eine Kindertagesstätte, 50 Kinder im kräfte ein. Damit konnten wir schneller auf Anliegen Reich wieder zu, untere Einkommensschichten finden baugleich saniert werden (s. auch »Alte Häuser – mo- Alter zwischen 0 und 6 Jahren werden hier betreut. Zu der Mieter reagieren und hatten mehr Mitarbeiter, die zentrumsnah kaum noch gute Wohnungen. Im Juni 2013 dernes Wohnen«, S. 58). Da sich die Neubauten in der der Kita gehört ein geräumiger Spielplatz im Hinterhof sich um die zeitgemäße Modernisierung der Wohnun- hat der Verein zwischen Raitelsbergstraße und Alfred- Fassadengestaltung an den prägnanten historischen des Karees; von der Terrasse des WohnCafés hat man gen kümmern konnten.« Für die Aufgabe, den Bestand straße offiziell ein neues Wohnquartier eingeweiht, Gebäuden orientieren, blieb der besondere Charme des die Kinder gut im Blick. Alle zwei Wochen lädt die Kita systematisch zu erfassen, wurde extra eine Bauingeni- dass diesen Entwicklungen Rechnung trägt. »Das neue alten Viertels erhalten. St. Josef im Café zum Generationenfrühstück ein. eurin eingestellt. Janine Barthel besichtigte zwischen Quartier in Ostheim war von vorneherein als ein Mehr- 2009 und 2012 jede einzelne Wohnung, fotografierte und generationen-Quartier geplant. Junge und alte Men- begutachtete sie. Teilweise mit überraschenden Ergeb- schen sollen hier gemeinsam und miteinander leben«, nissen. Mit den Jahren hatten nämlich etliche Mieter erklärt Vorstandsvorsitzender Thomas Wolf. aus eigener Initiative Umbauten in den Wohnungen Für Alt und Jung: Alles vor Ort Für die älteren Mieter ist Anna Haag Mobil vor Ort: Der Sozialdienstleister bietet in der Wohnanlage hauswirtschaftliche Unterstützung und ambulante Betreuung an. Das soziale Zentrum im Quartier ist das WohnCafé im Er organisiert das Quartiersmanagement und ist auch für vorgenommen, von denen der Verein nichts wusste. So Das Gebäude-Ensemble umfasst acht Mietshäuser, da- Erdgeschoss der Rotenbergstraße 110. In dem großzü- die generationenübergreifenden Aktivitäten zuständig. kam es vor, dass Frau Barthel statt einer Dusche ein von sechs Neubauten und zwei generalsanierte Altbau- gigen Raum stehen gemütliche Tischgruppen, vor den »Unsere Mieter sollen bis ins hohe Alter ein selbstbe- Bad mit Badewanne vorfand. Selbst innerhalb eines ten. Auf insgesamt 11.300 qm Wohnfläche verteilen sich Fenstern befindet sich eine Spielecke. Die Bewoh- stimmtes Leben im eigenen Zuhause mit ihren sozialen Hauses waren die Zustände der Wohnungen teilweise 136 moderne Wohnungen. Darunter befinden sich klei- ner treffen sich hier zum Mittagessen, auf Kaffee und Kontakten führen können«, so Wolf. Auch Menschen mit sehr unterschiedlich. Zur Digitalisierung der Bestands ne Einzimmer-Appartements mit 37 qm, die sich auch Kuchen, zu Informationsveranstaltungen oder um die Behinderung und Familien mit behinderten Kindern kön- pläne wurden die Wohnungen vermessen und nicht alleinstehende Senioren mit schmalen Renten leisten nachbarschaftliche Hilfe zu organisieren. Aber auch, nen die Versorgungsstruktur nutzen. Das Projekt »Woh- selten mussten ihre Grundrisse korrigiert werden. Auf können, ebenso wie geräumige Fünfzimmerwohnungen um dem Diavortrag eines Nachbarn über seine argen- nen in Ostheim« ist in Zusammenarbeit mit dem Verein Grundlage der so gewonnen Daten konnte der Verein mit 127 qm für Familien. 59 Wohnungen sind barrierefrei, tinische Heimat zu lauschen. »Integrative Wohnformen e.V.« entstanden, den der Bau- ein neues EDV-gestütztes Portfolio-Managementsys- alle Wohnungen verfügen über schnelles Internet. und Wohnungsverein gemeinsam mit zwölf weiteren tem aufbauen, in dem für die nächsten Jahre festgelegt Stuttgarter Wohnungsunternehmen im Frühjahr 2009 ist, wann welches Gebäude und welche Wohnung sa- gründete. Zweck des Vereins ist es, »die Altenhilfe, die niert wird. Sind heute Techniker in den Wohnungen un- Hilfe für Behinderte und das bürgerliche Engagement terwegs, so können sie direkt von unterwegs mit einem zugunsten gemeinnütziger Zwecke« zu fördern. Tablet die Daten im System aktualisieren. Heute, 150 Jahre nach seiner Gründung, ist der Bau- Sozialer Wohnungsbau im Wandel und WohnungsVerein Stuttgart wirtschaftlich stabil aufgestellt. Auch Häuser mit einem alten Baujahr befinden sich in einem guten Zustand. Mit rund 5.000 Wohnungen Sozialer Wohnungsbau bedeutete lange Zeit vor allem, ist er der zweitgrößte Anbieter von Mietwohnungen in günstigen Wohnraum zu errichten. Heute stehen Stadt- Stuttgart. In seiner Geschichte musste der Verein sei- planer vor fundamental neuen Aufgaben. Mit dem de- ne soziale Aufgabe je nach Dringlichkeit der Aufgaben mografischen Wandel muss sich die Infrastruktur der Städte zunehmend auf ältere Bewohner einstellen. Und Den Altbestand sachgerecht und hochwertig zu sanieren, erfordert viel Umsicht und Geld. Das WohnCafé Ostheim ist der soziale Mittelpunkt des Mehrgenerationenkonzepts. zwar immer wieder neu definieren. Dabei hat er jedoch nie seine Wurzeln und die Werte seines Gründers Eduard Pfeiffer vergessen. 48 49 Glanzlichter Besuchen Sie Ostheim im Internet: www.die-siedlung-ostheim.de Zuhause in Ostheim Ein wohnliches Quartier für Geringverdiener Am 13. Dezember 1890 veröffentlichte Eduard Pfeiffer im schrieb. Das Architekturbüro Heim & Hengerer setzte Ostheim hatte Pioniercharakter: Grundrisse und Fas- Stuttgarter Tagblatt einen Aufruf: »Die Herstellung be- sich gegen 52 Mitbewerber durch – Hengerer sollte in sadengestaltung der später errichteten Gebäude des nem eigenständigen sozialen Leben. In den Eckge- friedigender Wohnungsverhältnisse für die ärmere Be- der Folge der wichtigste Architekt bei allen Projekten Vereins orientierten sich größtenteils am »Prototyp« bäuden gab es Geschäfte: Metzgereien, Bäckereien, völkerung muß […] bei dem Bestreben einer Versöhnung des Vereins werden. Die Architekten konzipierten weni- Ostheim. Und auch außerhalb des Vereins war Ostheim Gastwirtschaften und Kaufläden. Es folgten Postamt, der sozialen Gegensätze […] einer der ersten und vor- ge Grundformen, nach denen sie alle Gebäude der Sied- Vorbild. Polizeistation, Arztpraxis, Schule, Bücherei und ein nehmsten Zielpunkte sein.« Deswegen bat er die wohl- lung errichteten. So gab es im Wesentlichen nur vier habende Bevölkerung Stuttgarts um Unterstützung für verschiedene Aufrissformen in Ostheim. Durch kleine In Stuttgart wurden die Aufrisse und Fassadengestaltun- die sozialen Bauprojekte des Vereins. Die Resonanz war Variationen wirkte jedoch jedes Haus anders und indi- gen zum Standard einer Vielzahl neuer Bauten. Außer groß: Durch zinsgünstige Darlehen, großzügige Spen- viduell: Entweder war die Fensterstellung unterschied- halb Stuttgarts übernahm vor allem die Stadt Ulm so- Spielplatz. den und vorhandenes Eigenkapital konnte der »Verein lich oder Form und Farbe der Ziegel. Es gab zusätzliches wohl das architektonische Konzept als auch das Modell für das Wohl der arbeitenden Klassen« vier Wohnungs- Zierfachwerk, Giebel oder andere Dekorationen. Die de- des Rückkaufsrechts. bauprojekte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges korativen Elemente stellte man inzwischen maschinell umsetzen. Die Siedlung in Ostheim war davon das erste her, daher blieben die Kosten im Rahmen. Auch wenn in und größte. Der Verein kam hier seiner Idealvorstellung Ostheim alles ein wenig kleiner war, die Formensprache vom sozialen Wohnungsbau am nächsten. hat doch Anlehnungen an die bürgerliche Gründerzeit. Bürgerlicher Luxus in kleinem Maßstab Im Juli 1892 bezogen die ersten 113 Familien ihre Woh- Ostheim entwickelte sich zu einer Siedlung mit ei- Betreuung für Kinder arbeitender Eltern Schaut man die Neuffenstraße hinauf, die zentrale Straße Ostheims, so blickt man auf einen repräsen- Nicht nur für Arbeiter tativen Bau im Stile einer Gründerzeitvilla. 1896 hat der Verein hier eine Kinderkrippe errichtet: Die Krip- Wie vom Verein beabsichtigt, mieteten nicht nur Arbei- pe bestand über ein Jahrhundert. Zwischen 50 und ter in Ostheim. »Wir bauen keine Arbeiterwohnungen, 90 Kinder vom Säugling bis zum schulpflichtigen Al- sondern billige Familienwohnungen für die Minderbe- ter konnte der Verein aufnehmen. nungen. Zu jedem Gebäude gehörte ein kleiner Garten mittelten […] mit einem kleinen Einkommen […]. Und zur Selbstversorgung der Bewohner, in einem Haus leb- vom sozialen Gesichtspunkt legen wir Wert darauf, zu Seit September 2007 hat der Verein, heute unter Pfeiffer und der Verein sahen in der Aufgabe, guten ten jeweils zwei bis drei Familien. Von Beginn an war zeigen, daß nach unserer Auffassung der Lohnarbeiter dem Namen »Bau- und WohnungsVerein Stuttgart« Wohnraum günstig zu errichten, nicht nur eine bautech- vorgesehen, dass der Verein nur einen kleinen Teil der keine von den übrigen Berufsarten getrennte Klasse der (BWV ), in dem Haus seinen Firmensitz. Inzwischen nische Herausforderung. Auch unter ästhetischen Ge- Häuser in eigener Hand behielt. Die Mieter konnten Bevölkerung bildet, mit dem das Zusammenleben ver- gehören die denkmalgeschützten Häuser in Ostheim sichtspunkten sollte die Siedlung die Arbeiterschaft an kleine Raten an den Verein zahlen und auf diese Weise mieden wird.« Neben Heizern und Maschinenbauern auch größtenteils wieder dem Verein. Die Siedlung das bürgerliche Leben heranführen. Ostheim war daher ihr eigenes Heim erwerben. Um spätere Spekulationen wohnten Buchdrucker, Schuhmacher, Diener und Ta- blieb im Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt, seit eines der ersten Bauprojekte in Deutschland überhaupt, mit den Immobilien zu verhindern, behielt sich der Ver- gelöhner in Ostheim. Ungefähr ein Zehntel der Mieter- rund zehn Jahren werden die Gebäude nach und für deren Entwürfe man einen offenen Wettbewerb aus- ein jedoch ein Rückkauf- bzw. Rücktrittsrecht vor. schaft waren Beamte, Privatangestellte und Geistliche. nach saniert. 23 Die Sanierung der Altstadt Großbaustelle im Herzen Stuttgarts Anfang des 20. Jahrhunderts war die Wohnungssituation einfachen Umbauten getan: Die Häuser wurden kom- in Stuttgart nicht mehr ganz so angespannt. Nicht zuletzt plett abgerissen und neue errichtet. war das auch dem »Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen« zu verdanken. Zwischen 1905 und 1909 stellte Stadtkern mit Charme Zwar haben etliche der Häuser den Zweiten Weltkrieg Kluge Verhandlungen sich der Verein deshalb eine neue große Aufgabe: die überstanden. Vieles, was den besonderen Flair der sanierten Altstadt ausmachte, ging aber leider verloren. Sanierung der Altstadt. Die Wohnungserhebung von Die Altstadtsanierung war ein gigantisches Projekt, Nach ihrer Fertigstellung schmückten Wandmalereien, 1887 hatte gerade in dem alten Stadtkern größte Mängel nicht nur in architektonischer Hinsicht: Der Verein zahlreiche plastische Ausschmückungen an den Wand- aufgedeckt: Die aus dem 13. Jahrhundert stammenden musste sich mit über 100 Einzelbesitzern einigen. Pfeif- flächen und kleine Erker die Häuser und erweckten den Häuser waren schlecht belüftet und dunkel, die Straßen fer wusste, dass, würde das Vorhaben des Vereins erst Eindruck eines traditionsreichen Handels- und Hand- zu eng für moderne Fuhrwerke. Krankheiten breiteten an die Öffentlichkeit kommen, die Preise für die Grund- werkerviertels. Die »Architektonische Rundschau« ur- sich aus, weil die Kanalisation veraltet war. Die Feuer- stücke steigen würden. Daher verhandelte der Verein teilte 1909: »Man wird in alten und neuen Städten kaum wehr wies auf Brandgefahr durch die dicht stehenden zunächst »in aller Stille« mit den Besitzern Kaufoptio- etwas Heimeligeres finden können.« Ihren Eindruck be- Holzbauten hin. Die Handwerker, die das Quartier ur- nen, die bis zum Jahresende 1905 befristet waren. Erst schrieb sie wie folgt: »Bieten diese Bauten und der Eber- sprünglich bewohnt hatten, waren in den 1870er- und als Vorverkaufsverträge für fast alle betroffenen Grund- hardbau nicht nur um ihrer Architektur an sich, sondern 80er-Jahren in Neubaugebiete gezogen. Ihre alten Häu- stücke vorlagen, wandte er sich an die Stadt. Der Verein auch um der neuen Lösungen des modernen Geschäfts- ser vermieteten sie an nachrückende Arbeiter – mit den hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen fertig ausgear- hausproblemes willen ungewöhnliches Interesse, so bekannten Problemen der Überbelegung. beiteten Bebauungsplan. Zusätzlich zu den Geldmitteln steht man auf ihrer Rückseite, in der Geißstraße und auf des Vereins stellte Pfeiffer ein Darlehen von einer Mil- dem Geißplatz, zunächst ganz im Banne der künstleri- lion Mark zur Verfügung. Die Stadt sollte weitere vier schen Gestaltung.«25 Auf dem Geißplatz blieb bis heute Millionen für das auf insgesamt sieben Millionen Mark der Hans-im-Glück-Brunnen von Josef Zeitler erhalten, geschätzte Projekt beisteuern. Sie willigte ein, unter der der 1909 zum Abschluss der Bauarbeiten errichtet wur- Im Januar 1905 kaufte der Verein zunächst sechzehn Bedingung, dass ein eventueller Gewinn in die Stadt- de. Und auch der hohe Turm des Graf-Eberhard-Baus ist Gebäude, die sich in besonders schlechtem Zustand kasse überführt würde. noch immer ein Wahrzeichen der Stuttgarter Altstadt. Sanierung hieß: kompletter Neubau befanden, und ließ sie allesamt abreißen. Schon am 1. November 1905, nach kaum neun Monaten Bauzeit, Die Bauarbeiten begannen am 1. April 1906. 87 baufälli- waren die ersten Neubauten bezugsfertig. Im Kleinen ge Häuser machten Platz für 36 Neubauten mit Läden hatte der Verein bewiesen, dass das Projekt »Altstadt und Geschäftsräumen sowie 141 Wohnungen. In sei- sanierung« realisierbar war: »Die Ergebnisse […] wa- nem Bebauungsplan berücksichtigte der Architekt Karl ren so befriedigend, daß wir dabei nicht stehen bleiben Hengerer den Verlauf der alten Gassen, um den ge- wollten, sondern sofort an das weit ausgreifende Pro- wachsenen Charakter der Altstadt zu erhalten. Dabei jekt der Sanierung des Zentrums der Stadt herantra- begradigte er die Straßen jedoch und verbreiterte sie ten.« Der Verein plante, einen ganzen Stadtteil neu zu teilweise um mehr als das Doppelte. Die Fassaden der gestalten. Es kristallisierte sich das Gebiet zwischen klassizistischen Giebelhäuser gestaltete er abwechs- 24 54 Nadler-, Eberhard-, Stein-, Geiß- und Hirschstraße her- lungsreich, um ein lebendiges Straßenbild zu erzeugen. aus: 7.000 qm, die etwa 10 % der gesamten Fläche der Auf der Höhe des Erdgeschosses waren die Gebäude Stuttgarter Altstadt ausmachten. Angesichts des Zu- mit Sandsteinquadern verkleidet, in den Arkaden reich- stands der Gebäude war es aber auch hier nicht mit ten die Fenster bis auf den Boden. Oben: Häuser der fertig sanierten Altstadt, Eberhardstraße. Unten: Ein Haus vor der Sanierung. Das Sanierungsareal (schwarz) 55 Bad Cannstatt: Stadtentwicklung in Stuttgarts Peripherie Wohnsiedlung aus der Zeit des Wirtschaftswunders Schon Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Straße 10, baute der Verein 1973 ein weiteres, nur wenig systematisch zu erfassen (S. 48 ), war die Siedlung in Bad Bad Cannstatt vom Bade- und Kurort zu einem stetig kleineres Hochhaus. Daneben ist die Siedlung geprägt Cannstatt die erste, in der er umfassende Sanierungsar- wachsenden Industriestandort. Als Deutschland sich von drei- bis fünfstöckigen Mietshäusern: Die Wohnun- beiten durchführte. Zwischen 2007 und 2015 investierte Mitte der 50er-Jahre zunehmend um Gastarbeiter be- gen haben in der Regel drei Zimmer, Bad, Küche, häufig er insgesamt 20 Millionen Euro in Sanierung und Mo- mühte, zogen wegen der guten Arbeitsplatzbedingun- ein separates WC, eine getrennte Abstellkammer und ei- dernisierung. Bis auf die beiden Hochhäuser sind nahe- gen viele Zuwanderer in den Bezirk: Italiener, Türken, nen Balkon. Auch die ersten Altenwohnungen Stuttgarts zu alle Gebäude energetisch saniert und es sind neue Griechen und Einwanderer aus dem ehemaligen Jugos- nach dem Krieg baute der Verein hier: 1962 waren 28 Heizungen eingebaut. Photovoltaik-Anlagen auf den Dä- lawien prägen seitdem das multikulturelle Bild in Stutt- barrierefreie Kleinwohnungen in der Darmstädter Stra- chern tragen zur günstigen Stromerzeugung bei. garts größtem Stadtteil. Der Gemeinnützige Bau- und ße 7 – 9 fertiggestellt. Für die Mieter gab es einen Rei- Wohlfahrtsverein erwarb 1954 zwischen Sparrhärm- nigungsdienst und in jeder Wohnung einen Notrufknopf. Nachverdichtung: Hochwertige Wohnungen für mittlere Einkommen lingweg und Darmstädter Straße ein Areal, auf dem er erstmals seit dem Krieg eine zusammenhängende Siedlung errichten konnte. Investitionen für den Wandel im Quartier Die Flachdachbauten an der Darmstädter Straße 1 – 9, Zwischen 1955 und 1980 entstanden hier insgesamt 65 Die Hoffnung, dass sich um den Sparrhärmlingweg mehr ebenso wie das Ladenzentrum, konnten nicht mehr sa- Häuser mit 554 Wohnungen. Die Gebäude sind Kinder als ein reines Wohnquartier entwickeln würde, erfüllte niert werden und mussten abgerissen werden. An ihrer ihrer Zeit: Die Ressourcen waren damals begrenzt, so- sich jedoch nur in Ansätzen. Seit Anfang der 70er-Jahre Stelle entstehen seit Ende 2015 auf einer Wohnfläche dass auf individuelle Ausgestaltung der einzelnen Wohn erschwerten verschiedene Faktoren die Entwicklung. von insgesamt 6.903 qm 93 neue und moderne Wohnun- einheiten im Wesentlichen verzichtet werden musste. So hatte Bad Cannstatt »zwischen 1970 und 1987 den gen, mit denen der Strukturwandel in der Siedlung wei- Trotzdem ist es der Siedlung anzumerken, dass der Ver- größten Rückgang an Beschäftigten aller Stadtbezirke ter voranschreiten wird. Aufgrund seiner stabilen wirt- ein seine Mittel mit Bedacht einsetzte: Die Grundrisse [Stuttgarts] zu verzeichnen« . Ende der 90er-Jahre galt schaftlichen Struktur kann der Verein bei Mietpreisen, der Wohnungen sind günstig geschnitten, die Grünflä- vor allem der Stadtteil Hallschlag in direkter Nachbar- die sich auch mittlere Einkommen leisten können, hier chen sind großzügig. Von Anfang an gehörte ein Laden- schaft zur Siedlung als sozialer Brennpunkt – Familien zentrum zur Planung, ebenso ausreichend Kinderspiel- zogen weg, weil sie sich um ihre Kinder sorgten. Auch plätze. Am Rande Stuttgarts sollte ein Wohnquartier mit die Geschäfte im Ladenzentrum mussten nach und nach eigener Nahversorgung und nachbarschaftlichem Mit- schließen. Es fehlte schlicht die Kundschaft, die meis- einander entstehen. ten Bewohner kauften lieber in den Discountern der »Wir haben noch viele Erstmieter in Bad Cannstatt, Umgebung ein. Damit ging ein wichtiger sozialer Treff- worauf wir stolz sind«, erklärt Vorstandsmitglied Ernst punkt im Quartier verloren. Wuchner. »Aber wir merken, dass dort jetzt ein Um- Günstig geschnittene Mietwohnungen 56 26 Oben: Die ersten Altenwohnungen Stuttgarts. Unten: Das erste Hochhaus des Vereins – fertiggestellt 1964. einen zeitgemäßen Wohnwert bieten. Zur Standardausstattung gehören unter anderem Parkettböden, Medien verteiler und Dickputz, der Spechtlöchern vorbeugt. bruch stattfindet.« Inzwischen würden auch wieder In den letzten Jahren gelang es, auch durch viel Engage- vermehrt junge Familien und Paare an den Sparrhärm- Dominant sind die beiden Hochhäuser in der Wetzlarer ment von Seiten der Stadt Stuttgart, eine erneute Wen- lingweg ziehen. Straße 10 und 25. Ersteres war 1964 fertiggestellt, mit de in Bad Cannstatt einzuleiten. Für das Gebiet um den 14 Geschossen ist es bis heute das höchste vom Verein Sparrhärmlingweg war sicherlich auch die Anbindung errichtete Gebäude. Es war erstmals von einer Tiefgara- an die Stadtbahn mit der Linie U12 im Jahr 2014 ein wich- ge unterkellert – die zunehmende Motorisierung mach- tiger Aufwertungsfaktor. Als der Verein 2008 damit be- te es notwendig. Diagonal gegenüber, in der Wetzlarer gann, seinen Bestand für Modernisierungsmaßnahmen Ende 2015 begann der Bau der Nachverdichtungsmaßnahme. 57 Alte Häuser – modernes Wohnen 150 Jahre Bau- und WohnungsVerein Stuttgart – die genug, um über das Fußbodennetz die Räume zu kühlen. Bausubstanz des Vereins ist ein einzigartiges Erbe. Zudem werden 75 % des Energieverbrauchs des Gebäu- mittlere Teil schließt mit einem ornamental verzierten Damit die Gebäude allerdings erhalten bleiben und des aus erneuerbaren Energien erzeugt. Giebel ab, die Seitenflügel sind optisch leicht abge- modernen Lebensbedürfnissen entsprechen, ist viel Arbeit notwendig. Drei Sanierungsbeispiele: Gründerzeit ist in der Senkrechten dreigegliedert: Der setzt. Horizontal ist das Haus durch mehrere Gesimse Die denkmalgeschützte Außenfassade konnte bei allen strukturiert. Das Gebäude wurde bis zur Jahresmitte Baumaßnahmen nicht nur erhalten, sondern teilweise 2012 saniert, die Fassade zur Straßenseite wurde dabei sogar in den originalen Vorkriegszustand zurückversetzt komplett erhalten. Zum Hinterhof wurden moderne Bal- werden. Zur vollen Stunde hört man die Schulglocke, kone mit schwarzen Stahlträgern angebracht. Der Ver- Das Haus im Zentrum von Ostheim, am Kopf der Neuf- die im 19. Jahrhundert schon den Kindern der Krippe die ein hat zudem in einem Pilotprojekt gemeinsam mit der fenstraße hat eine lange Geschichte. Das Gebäude war Stunde anzeigte. Schwarenbergstraße 64 ein Geschenk Eduard Pfeiffers, 1895 hatte es der Verein als Kinderkrippe für die noch junge Siedlung errichtet, Firma Sto Messungen durchgeführt und über drei Jahre die Temperatur- und Feuchtverläufe in den Wandquer- Neuffenstraße 10 im zweiten Stock befand sich eine Volksbibliothek für schnitten in West- und Nordausrichtung aufgezeichnet. Ziel war es, den Erfolg der Innendämmung zu validieren die Bewohner von Ostheim. Seit 2007 beherbergt es die Anfang der 1990er-Jahre hatte der Verein das Haus in Geschäftsstelle des Vereins. der Neuffenstraße 10 schon zu einem Einfamilienhaus und gegebenenfalls zu optimieren. umgebaut. Als es 1893 errichtet wurde, war es für drei Bevor der Verein jedoch einziehen konnte, sanierte er Familien ausgelegt. 2014 wurde das Haus dann von es innerhalb von 20 Monaten vollständig. Um für einen Grund auf modernisiert. Von außen fallen sofort die ab- modernen Grundriss Platz zu machen, der den Anforde- gestrahlte Backsteinfassade, das neu gedeckte Dach rungen des täglichen Geschäftsbetriebes gerecht wird, sowie die erneuerten Fenster und Dachgauben auf. Ein wurde das Gebäude komplett entkernt. Damit die Fas- Vordach aus den 70 er-Jahren wurde abgebaut und der sade keinen Schaden erlitt, wurde sie aufwendig mit ei- Originalzustand wiederhergestellt. Jeder Eingriff in die nem Gerüst stabilisiert. Heute empfängt den Besucher Außenfassade muss dabei vom Denkmalamt genehmigt ein geräumiges, lichtdurchflutetes Treppenhaus, helles werden, zur Straßenfront sind zum Beispiel nur Fenster Holz und zahlreiche Glaselemente lockern das Gebäude aus Holz erlaubt, Anbauten, wie etwa Balkone, müssen im Innern auf. Um Platz für das Archiv des Vereins zu ins Bild passen. Im Innern wurden sämtliche Versor- schaffen, entstand ein weiteres Untergeschoss. Dach gungsleitungen ausgetauscht, Wohnräume und Sani- und Gauben mussten komplett erneuert werden. täreinrichtungen saniert. Im zweiten Stock sind die hölzernen Deckenbalken freigelegt und geben ein Gefühl Geheizt wird mit Erdwärme: Die Niedertemperatur-Fuß- für das Alter des Hauses. bodenheizung liefert angenehme Wärme. Für die Heizung waren 18 Bohrungen mit einer Tiefe von jeweils Die Neuffenstraße 10 vom Garten aus gesehen. Die Räumlichkeiten der neuen Geschäftsstelle in der Schwarenbergstraße 64 sind modern und hell. Rotenbergstraße 112 – 116 ca. 77 Metern notwendig, in der Nacht speichert ein 58 1.000-Liter-Wasserspeicher die Wärme und speist sie Im neuen Quartier in Ostheim (s. S. 49) richtet sich alles tagsüber wieder ein. Was im Winter wärmt, kühlt im nach einem Gebäude: Das Haus in der Rotenbergstraße Sommer: Die Temperatur des Wassers aus der Tiefe 112 – 116, Baujahr 1902, ist der stilistische Ankerpunkt beträgt +9 °C bis +12 °C, in den Sommermonaten kalt für die gesamte Neubauanlage. Die Fassade im Stil der Die alte Treppe in der Neuffenstraße 10 wurde aufwendig restauriert. 59 Bedeutende Wegbegleiter 2016 blickt der Bau- und WohnungsVerein Stuttgart auf fünf Doktoren und 12 Firmen. Das verwundert nicht: Hier eine 150-jährige Geschichte zurück. Viele bedeutende fanden wohlhabende und verantwortungsbewusste Bür Persönlichkeiten haben ihn vorangebracht und beglei- ger zusammen, die etwas gegen die wachsende Kluft tet. Zu den Gründungsmitgliedern, damals noch des zwischen den Arbeitern und der bürgerlichen Gesell- »Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen«, gehör schaft unternehmen wollten. Aber auch später, als sich ten die seinerzeit bekanntesten Stuttgarter Namen: 25 Umstände und Aufgaben änderten, fand der Verein im- hohe Beamte, drei Offiziere, 27 Kaufleute und Händler, mer wieder einflussreiche Unterstützung. 10 Fabrikanten, sechs Bankiers, vier Rechtsanwälte, Eduard Pfeiffer war der Initiator, Ideengeber und größte Mäzen des »Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen«. Sein Wirken hat vielfältige Spuren hinterlassen: durch seine sozialpolitischen Schriften, sein Eintreten für die Konsumgenossenschaftsbewegung und sein politisches Engagement. 60 Gründungsmitglied Gustav von Siegle war Großindustrieller und einer der reichsten Männer Württembergs. 1889 gründete er die »Offene Gesellschaft G. Siegle u. Co.«, das Un ternehmen stellte Mineralund Lackfarben her. Er besaß zahlreiche Betei ligungen an weiteren Firmen, unter anderem an der Württembergischen Metallwarenfabrik. Da neben unterstützte er etliche soziale Projekte in Stuttgart. Im GustavSiegle-Haus, das die nach ihm benannte Stiftung 1912 eröffnete, finden heute Konzerte und Kulturver anstaltungen statt. Ferdinand von Steinbeis – ebenfalls ein Mitglied des Gründungskomitees. König Wilhelm I. berief ihn 1848 zum Königlichen Württembergischen Regierungsrat, er war Leiter der Zentralstelle für Handel und Gewerbe. In dieser Funktion gründete er mehrere Gewerbeschulen, er gilt als wichtiger Förderer des jungen Gottlieb Daimler. Er hat die Entwicklung der Industrie in Württemberg zu seiner Zeit maßgeblich mitgeprägt. Ganz oben auf der Liste der Mitglieder des Vereins steht 1866 König Karl von Württemberg. Karl war von 1864 bis 1891 der dritte König von Württemberg, er folgte seinem Vater Wilhelm I. von Württemberg. Die Politik Karls galt im Vergleich zu der seines Vaters als liberal. So stellte er am 24. Dezember 1864 die Presseund Vereinsfreiheit in Württemberg wieder her. Außenpolitisch strebte er ein Bündnis mit Preußen an und entfernte sich von Österreich. Königin Olga von Württemberg, die Ehefrau Karl I., gehörte mehr noch als ihr Mann zu den aktiven Förderern des Vereins. Sie hatte, ebenso wie der damalige Oberbürgermeister Friedrich von Hack, entscheidenden Anteil daran, dass der Verein im Jahre 1886 die Erhebung zur Wohnsituation in Stuttgart durchführen konnte. Der Kommerzienrat Leo Vetter ist heute in Stuttgart vor allem durch das von ihm geförderte und nach ihm benannte Hallenbad bekannt. Auch er war Mitglied des Vereins. Er gehörte 1891 zu der Jury, die über die Architekturentwürfe für Ostheim entschied. Karl Hengerer ragt unter den Architekten, die für den Verein tätig waren, deutlich heraus. Ergebnis der ersten Zusammenarbeit zwischen Pfeiffer und Hengerer ist die Siedlung in Ostheim, in der Folge entstanden unter Hengerers Regie die Siedlungen Südheim und Ostenau sowie das Ledigenheim. Hengerer plante die Altstadtsanierung mit dem Graf-Eberhard-Bau. Für mehr als drei Viertel aller Neubauten in der Pfeiffer-Ära zeichnete sich Hengerer verantwortlich, er war der Pragmatiker an der Seite des Idealisten Pfeiffer. Neben den Aufträgen für den Verein hat Hengerer zahlreiche Villen in den Stadterweiterungsgebieten auf den Halb höhenlagen von Stuttgart errichtet. Werke des Bildhauers Joseph Zeitler finden sich überall in Stuttgart: Der Bildhauerschmuck an der Elisabethenkirche, der Fassadenschmuck am ehemaligen Schlachthof in der Schlachthofstraße 2, eine Bronzefigur des Orpheus im Städtischen Lapidarium und viele mehr. Für den Verein schuf der Bildhauer 1909 den Hans-imGlück-Brunnen am Geißplatz in der Altstadt sowie etliche Kleinplastiken und Reliefs mit Märchen szenen und Genrefiguren an den Häuserfassaden. Seine Arbeit prägte das Bild der Stuttgarter Altstadt nach der Sanierung. Den Krieg überstanden hat leider nur der Hansim-Glück-Brunnen. Robert Bosch eröffnete am 15. November 1886 mit nur einem Gesellen und einem Lehrling eine »Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik«. Der kleine Betrieb war der Grundstein für das heutige Bosch-Impe rium. Der Ingenieur, Er finder und Industrielle war von 1922 bis 1931 Vorstandsvorsitzender des Vereins. Robert Bosch half, als es dem Verein nach der Inflation wirtschaftlich schlecht ging. Mit Carl Lautenschlager leitete auch ein ehemaliger Oberbürgermeister die Geschicke des Vereins: Von 1933 bis 1952 stand er als Vorsitzender dem Verwaltungsrat vor. Lautenschlager wurde am 12. Mai 1911 zum Stadtschultheiß von Stuttgart gewählt und 1921 und 1931 im Amt bestätigt. Die Amtsbezeichnung »Oberbürgermeister« wurde erst 1930 eingeführt – 1933 musste er auf Drängen der Nationalsozialisten das Amt auf geben. Es ist Lautenschlagers Verdienst, dass der Verein nach dem Ende des Krieges recht schnell wieder seine Arbeit aufnehmen konnte. 61 Vorstandsmitglieder des Vereins bis 1921 Geheimer Hofrat Dr. Eduard von Pfeiffer Vorsitzende des Verwaltungsrats 1866 – 1876 Buchhändler Adolf Bonz 1921 – 1932 Bankier Max Doertenbach 1877 – 1921 Geheimer Hofrat Dr. Eduard von Pfeiffer 1921 – 1933 Präsident a.D. von Hilbert 1921 – 1922 Staatsminister a.D. Wilhelm von Gessler 1921 – 1926 Kommerzienrat Nathanael Romminger 1922 – 1931 Fabrikant Dr. Robert Bosch 1922 – 1931 Fabrikant Dr. Robert Bosch 1931 – 1932 Bankier Max Doertenbach 1925 – 1933 Rechtsanwalt Dr. Paul Scheuing 1932 – 1933 Dr. Paul Scheuing 1927 – 1933 Hofrat Gottlob Rube 1933 – 1952 Oberbürgermeister Dr. Carl Lautenschlager 1931 – 1933 Privatsekretär Willy Schlosstein 1952 – 1979 Dr. Rudolf Hagmann 1932 – 1933 Oberbürgermeister Dr. Carl Lautenschlager 1979 – 2000 Dr. Felix Waldraff 1933 – 1942 Verwaltungsdirektor Friedrich Laib 2000 – 2008 Dr. Hans Weber 1933 – 1938 Privatsekretär Karl Jann seit 2008 Dr. Karl Epple 1938 – 1945 Architekt Franz Krassel 1938 – 1969 Direktor Josef Eisenmann 1947 – 1961 Baumeister Robert Ruffner 1968 – 1997 Dr. Hans Weber 1969 – 1984 Otto Armbruster 1973 – 1977 Bauingenieur Otto Kaiser 1977 – 1994 Architekt Gerhard Möller 1997 – 2005 Dr. Jürgen Becker seit 1990 Kaufmann Ernst Wuchner seit 2004 Diplomkaufmann Thomas Wolf seit 2013 Dipl.-Betriebswirt (FH) Jürgen Oelschläger Vereinsmitglieder E. Breuninger GmbH & Co Daimler AG Robert Bosch GmbH Eduard-Pfeiffer-Stiftung Dinkelacker AG FLEX-Elektrowerkzeuge GmbH Landesbank Baden-Württemberg Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg L-Bank Baden-Württemberg Württembergische Versicherung AG Württembergische Lebensversicherung AG Daneben gibt es noch 17 Mitglieder, bei denen es sich um natürliche Personen handelt. 62 63 Mitarbeiter Von links nach rechts 1. Reihe Raphael Althaus (Vorstandsassistent ) Von links nach rechts 3. Reihe Alwin Wanson (IT-Administrator) Norbert Rüttel (Regiebetriebsleiter) Janine Barthel (Technikerin) Thomas Wolf (Vorstand) Sandra Zimmer (Technikerin) Claus Fischer (Technischer Leiter) Franz Kling (Gärtner) Laura Kaminsky (Auszubildende) Dirk Weber (Rechnungswesen) Sergej Desh (Gärtner) Michaela Müller (Assistentin Technik) Matthias Eberl (Hausbetreuer) Nicolae Caruntu (Gärtner) Petra Stracke (Empfang) Siegbert Lorenz (Techniker) Wolfgang Egerter (Gärtner) Ernst Wuchner (Vorstand) Zeljko Nikolas (Hausbetreuer) Tiberiu Kelter (Gärtner) Cornelia Bitsching (Teamleiterin) 4. Reihe Ursula Widmann (Teamleiterin) Martin Kronthaler (Techniker) Joachim Straub (Schreiner) Hartmut Hörmann (Architekt) Ernst Bormuth (Schreiner) Andreas Newiadomsky (Techniker) Jürgen Oelschläger (Vorstand) Zeljko Matesic (Schreiner) Norbert Rüttel (Leiter Regiebetrieb) Nicht im Bild Tobias Kipper (Techniker) Uwe Gase (Hausbetreuer) Robert Steger (Gipser Trockenbau) Patrick Bosch (Hausbetreuer) Stefan Mück (Hausbetreuer) Drago Josipovic (Gipser) Björn Röhle (Teamleiter) Susanna Ottmüller (Zentrale Dienste) Ljuban Vukovic (Maler) Carsten Lösch (Techniker) Birgit Schneider (Teamleiterin) Orlando Barroso (Helfer) Roswitha Baumann (Mahnwesen) Anne Stauf (Versicherungen) Hans Schuster (Maurer) Petra Launag (Rechnungswesen) Inge Stengel (Rechnungswesen) Nikolai Vogel (Helfer) 2. Reihe Henry Münch (Hausbetreuer) Christiane Städtler (Rechnungswesen) Jochen Müller (Architekt) Mario Behr (Hausbetreuer) Johann Kramer (Gärtner) Daniel Suhr (Gärtner) Herbert Krapf (Schreiner) Nicht im Bild Akija Aslani (Helfer) Herbert Finser (Maler, Maurer) 64 65 Ein Blick in die Zukunft Die lange Tradition, auf die der Bau- und WohnungsVer- Besserverdienenden. Das ist leider schon heute nicht ein Stuttgart zurückschauen kann, verpflichtet: Auch in mehr sozial ausgeglichen. der Pflicht. Zukunft wird der Verein das Erbe seines Gründers Edu- Ernst Wuchner — Ein großes Thema ist auch der demo- Jürgen Oelschläger — Es führt kein Weg an Energie- ard Pfeiffer würdig bewahren. Ein Gespräch mit den grafische Wandel. Wir müssen altersgerechte Woh- und Ressourceneffizienz vorbei. In den letzten zehn Vorständen Thomas Wolf, Ernst Wuchner und Jürgen nungen planen und bauen. Das betrifft nicht nur uns, Jahren ist da in der gesamten Branche sehr viel pas- Oelschläger über kommende Herausforderungen. sondern die gesamte Wohnungswirtschaft und auch siert. Bei unseren letzten Neubauten haben wir Recyc die Stadtplanung. Mit unserem Bauprojekt in Ostheim ling-Beton eingesetzt, in diesem Bereich gehören wir Handeln im Geiste Eduard Pfeiffers – dieser hohe ide- haben wir da sicherlich einen großen Schritt gemacht: sicherlich zu den Vorreitern. Wichtig für die Zukunft elle Anspruch begleitet den Verein von den Anfängen Es reicht nicht, einfach nur barrierefreie Wohnungen zu wird es sein, dass wir massentaugliche und preisgüns- bis heute. Was bedeutet das für Sie konkret? bauen. Wir müssen eine lebenswerte Infrastruktur für tige Wärmespeicher bekommen. Auch in der Regel- Jürgen Oelschläger — Eduard Pfeiffer hat die Not der ältere Mieter schaffen, wie es etwa das WohnCafé in technologie von Heizungen gibt es noch großes Opti- Arbeiter in seiner Zeit gesehen und wollte etwas zum Ostheim bietet. mierungspotential. Guten bewegen. Aber er hat keine Almosen verteilt. Die Thomas Wolf — Wir stehen aber auch hier wieder vor Arbeiter mussten ihren eigenen Beitrag leisten. Das ist Wo sehen Sie weitere Entwicklungen, die für den sozi- dem Dilemma: Es gibt inzwischen die Technologie, das für mich ein wichtiger Punkt. Der andere ist, dass die alen Wohnungsbau wichtig werden? Null-Energie-Haus zu bauen. Unsere Mieter sind dann Projekte des Vereins immer eine Grundwirtschaftlich- Jürgen Oelschläger — Wir erleben es ja gerade ganz ak- aber nicht mehr in der Lage, die Mieten zu zahlen. Teil- keit hatten. Nur so kann der Verein nachhaltig etwas tuell, das durch die Krisen weltweit viele Menschen auf weise mussten wir in den letzten Jahren Dinge umset- bewegen. Nach diesen Kriterien werden wir auch in der Flucht sind und zu uns kommen. Wir müssen uns da- zen, die noch gar nicht richtig erprobt waren und nicht Zukunft handeln. Ich glaube, die große Herausforde- rauf einstellen und auch darauf, dass viele Flüchtlinge funktionierten. Von der Politik würden wir uns manch- rung der Zukunft wird die wachsende Kluft zwischen aus verschiedenen Kulturkreisen bei uns bleiben werden. mal weniger Ideologie und mehr Wissen und Augen- Arm und Reich sein. Es wird zunehmend diejenigen geben, die gerade so über die Runden kommen. 66 Die Baubranche steht auch beim Umweltschutz in maß wünschen. Wir reagieren Sie auf zunehmende Einkommensunterschiede Ihrer Mieter? Wie sieht die Zukunft des Vereins aus? Die sozialen Unterschiede werden größer. Was bedeu- Jürgen Oelschläger — Wir verfolgen eine Mischkalku- Ernst Wuchner — Wir sind sehr gut aufgestellt. Der tet das für den Wohnungsmarkt? lation: Wir lassen bewusst manche älteren Häuser so, große Vorteil, den wir gegenüber privaten Anbietern Thomas Wolf — Gutverdienende werden auch in Zukunft wie sie sind, damit sie bezahlbar bleiben. Beispiel auf dem Wohnungsmarkt haben, ist, dass wir nicht ge- kein Problem damit haben, hochwertigen Wohnraum in Ostheim: Da haben wir 140 Häuser. Die Häuser renovie- winnorientiert arbeiten müssen. Der Vereinszweck ist bester Lage zu finden. Unsere Klientel ist aber traditio- ren wir nach und nach, etwa vier bis fünf im Jahr. Wenn es, guten Wohnraum günstig für die breite Bevölke- nell der normale Angestellte oder Arbeiter: die Kranken- wir durch sind, dann fangen wir wieder von vorne an. rung zur Verfügung zu stellen, und nicht, Gewinne an schwester, der Erzieher oder der Handwerker. Der muss Durch den Zyklus der Modernisierung werden wir im- Aktionäre auszuschütten. Das ermöglicht uns eine mit seinem Einkommen auch seine Familie ernähren. Bei mer auch Wohnungen im Bestand haben, die das unte- sehr langfristige Planung. Neubauten können wir Preise, die wir hier eigentlich an- re Preissegment bedienen. Es ist aber sehr wichtig, Thomas Wolf — Wir werden auch in Zukunft ein gutes bieten müssten, nicht mehr darstellen. Die Bauauflagen, dass wir unseren Bestand pflegen. Würden wir alle Preis-Leistungsverhältnis in einem Segment anbieten, die wir erfüllen müssen, sind in den letzten Jahren gera- Mieten gering halten und nicht in Modernisierung in- das sich auch die Pflegekraft noch leisten kann. dezu explodiert. Jede einzelne mag für sich berechtigt vestieren, würde irgendwann der gesamte Bestand ver- sein. Alles umzusetzen, was machbar und wünschens- fallen und es würden mit einem Schlag große und dann wert ist, entspringt aber dem Anspruchsdenken der unbezahlbare Aufwendnungen anfallen. Oben: Ernst Wuchner. Mitte: Thomas Wolf. Unten: Jürgen Oelschläger. 67 Quellennachweise / Impressum Impressum HERAUSGEBER Bau- und WohnungsVerein Stuttgart e.V. Quellennachweise 1 2 3 4 5 6 Rechenschaftsbericht 1866 / 67 Rechenschaftsbericht 1866 / 67 Rechenschaftsbericht 1915 / 16 Rechenschaftsbericht 1887 / 88 Rechenschaftsbericht 1887 / 88 Bernd Langner, »Gemeinnütziger Wohnungsbau um 1900«, Stuttgart 1994, S. 245 7 / 8 Eduard Pfeiffer, »Über Genossenschaftswesen«, zitiert nach: Wolfgang Schmierer, »Eduard Pfeiffer – Schriftsteller, Politiker, Vorsitzender des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, Geheimer Hofrat und Ehrenbürger von Stuttgart. 1835–1921.« In: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 15. Stuttgart 1983, S. 332 9 Rechenschaftsbericht 1914 / 15 10 Rechenschaftsbericht 1920 / 21 11 Festschrift, 125 Jahre Bau- und Wohlfahrtsverein Stuttgart, S. 46 12 Weimarer Reichsverfassung, Artikel 155 13 Ulrike Haerendel, »Wohnungspolitik im National sozialismus«. In: Zeitschrift für Sozialreform, Berlin 1999, S. 861 14 Protokoll der Ordentlichen Mitgliederversammlung vom 10. Oktober 1933 15ebda 16 Ulrike Haerendel, »Wohnungspolitik im Nationalsozia lismus«. In: Zeitschrift für Sozialreform, 1999, S. 861 17 Protokoll 29. Januar 1947 18ebda 19 Protokoll 14. April 1946 20 Protokoll 29. Januar 1947 21 vgl. Protokoll 29. Januar 1947 22 aus einem Bewilligungsbescheid für ein städtisches Mitfinanziererdarlehen 23 Rechenschaftsbericht 1892 / 93, S. 7 24 Rechenschaftsbericht 1915 / 16, S. 21 25 Architektonische Rundschau, 1909, Heft 11, S. 91 26 Beiträge zur Stadtentwicklung 37, Bad Cannstatt – Ein Stadtbezirk im Wandel. Hrsg.: Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung, August 2006, S. 10. PRODUCING Judith Schenten, raumzeit3, Stuttgart TEXT UND REDAKTION Kai Weller, Berlin GESTALTUNGSKONZEPT, LAYOUT UND SATZ Jutta Herden, Stuttgart BILDREDAKTION Judith Schenten, raumzeit3, Stuttgart KORREKTORAT Andrea Winter, Stuttgart DRUCK Offizin Scheufele Druck und Medien GmbH & Co. KG, Stuttgart BILDNACHWEISE Bau- und WohnungsVerein Stuttgart e.V.: S. 3, S. 12-13, S. 14, S. 17, S. 18, S. 21, S. 23, S. 24-25, S. 26, S. 29, S. 32, S. 34, S. 36 l., S. 38-39, S. 40, S. 43, S. 50-51, S. 52-53, S. 55, S. 57, S. 59, S. 60 Bild 1, S. 62-63; raumzeit3: Titel, S. 6, S. 10, S. 44-55, S. 46, S. 48, S. 49, S. 64, S. 65, S. 67; Landesmedienzentrum Baden-Württemberg: S. 33, S. 36 r., S. 60 Bild 4 und 5, S. 61 Bild 4; Stadtarchiv Stuttgart: S. 60 Bild 2 und 3; S. 61 Bild 1, 2, 3 und 5 Februar 2016 Schwarenbergstraße 64 70188 Stuttgart Telefon: 0711 94541-100 Telefax: 0711 94541-199 [email protected] [email protected]