Predigt am 4. Fastensonntag – Lesejahr C Das Gleichnis vom

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Predigt am 4. Fastensonntag – Lesejahr C Das Gleichnis vom
Predigt am 4. Fastensonntag – Lesejahr C
Das Gleichnis vom barmherzigen Vater und den zwei Söhnen gilt als „das
Evangelium im Evangelium“. Doch in diesem Jahr scheint es besonders schwer zu
sein, die frohe Botschaft darin aufzuspüren. Übermächtig waren in den vergangenen
Tagen und Wochen die bestürzenden Erkenntnisse über einzelne Verkünder dieser
frohen Botschaft, die unbarmherzig und brutal das Vertrauen von Kindern
missbraucht haben. Kann man da noch glauben an den barmherzigen und guten
Vatergott, den Jesus verkündet hat?
Doch nicht nur wir, auch Jesus selbst konnte deutliche Worte finden gegen
diejenigen, die in zynischer Weise den Glauben und das Vertrauen Unschuldiger
missbraucht haben. „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen
verführt“, sagt Jesus, „für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den
Hals ins Meer geworfen würde.“ (Mk 9,42)
In aller Regel hat man als Verkünder der Frohbotschaft Jesu große Schwierigkeiten
damit, so einen Satz vorzulesen, wenn er gerade zufällig dran ist in der Leseordnung
der Kirche, doch heute ist er wohl notwendig, um die Bandbreite der Verkündigung
Jesu klar genug vor Augen zu führen. Denn manchmal kann nur die Erinnerung an
Jesu heiligen Zorn seine sonst anzutreffende Milde und Güte vor einem
katastrophalen Missverständnis bewahren. Auch heute ist nach meinem Empfinden
dieser mehr als hart klingende Satz vonnöten, um Jesu frohe Botschaft von seinem
liebenden Vatergott zu schützen vor denen, die in Jesu Namen Gewalt und
Ausbeutung gebracht haben statt Liebe und uneigennützige Zuwendung. Doch
dieser impulsive heilige Zorn, den wir z.B. im gerade zitierten Satz auch bei Jesus
finden, so ein heiliger Zorn kann nur die erste Reaktion sein auf ein unfassbares
Verbrechen, von dem wir erfahren.
Die nächsten Schritte müssen Maß nehmen am therapeutischen Handeln Jesu. Und
da geht es immer zuerst um die Schwächsten, um die Opfer, um diejenigen, die am
meisten auf Hilfe angewiesen sind. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter schärft
Jesus diese Priorität allen ein, die auf sein Wort hören. Die Guten müssen dabei
nicht immer diejenigen sein, die aufgrund ihres Amtes dafür gehalten werden. Auch
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Jesus erzählt in spitzer Ironie davon, dass der Priester und der Levit an dem
Verletzten vorbeigehen, der unter die Räuber gefallen ist. Und ein für gläubige Juden
schon fast als ungläubig geltender Bewohner Samariens bleibt stehen und hilft dem
Verletzten in vorbildlicher Weise.
Hilfe für die Opfer ist also gefragt. Und die besteht in den verheerenden
Missbrauchsskandalen vergangener Jahrzehnte, die jetzt mehr und mehr ans
Tageslicht kommen, vor allem darin, den Opfern zuzuhören, sie endlich ernst zu
nehmen und ihnen zu helfen, mit ihren traumatischen Kindheitserlebnissen fertig zu
werden.
Doch auch ein genauer Blick auf die Täter ist im Sinne Jesu, der immer genau
hinschaut und im reichen Zöllner Zachäus nicht nur den halsabschneiderischen
Zolleinnehmer erblickt, sondern auch den unglücklichen Kollaborateur mit der
verhassten Besatzungsmacht. Nicht selten verbirgt sich hinter einem Täter das Opfer
früherer Tage, der erlebte Demütigungen damit kompensiert, dass er selbst die
Würde von anderen mit Füßen tritt. Und das wusste auch schon Jesus. Deshalb ist
er an der Seite von Zöllnern und Sündern anzutreffen; und es ist alles andere als
eine beschönigende Kumpanei mit zwielichtigen Gestalten. Denn Jesu heilende
Gegenwart, sein unvoreingenommener Blick, der dennoch den Menschen erkennt in
seinem je eigenen Muster aus hellen und dunklen Seiten, Jesu Dasein an der Seite
der Täter-Opfer gab und gibt vielen die nötige Kraft, sich dem eigenen Schatten zu
stellen, Schuld zu bekennen und – so weit wie möglich – wieder gut zu machen.
Erst nach den ersten Schritten ernsthafter Umkehr – so sehen wir es in Jesu genialer
Erzählung vom barmherzigen Vater und seinen beiden auf ganz unterschiedliche
Weise verlorenen Söhnen – erst nach dieser radikalen Kehrtwende des weggelaufenen Sohnes kann der väterlich-mütterliche Gott Jesu ihm entgegenkommen
mit seiner versöhnenden Liebe. Und nur diese Art von Vergebung kommt auch
wirklich an. Würde Gott die Freiheit des Sünders zu seiner bösen Tat nicht aushalten,
würde Gott zu früh dazwischenfunken, um das Schlimmste zu verhindern oder das
Unrecht ganz schnell wieder auszubügeln, wir hätten es mit einem despotischen
Marionettenspieler-Gott zu tun.
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Echte Beziehung zu Gott, echte Liebe zu Gott ist nur möglich, weil wir ungestraft
Nein sagen können. Gott lässt uns die Freiheit, nach seinen guten Geboten zu leben
und damit auch die Würde unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe zu achten – oder
das Gegenteil dessen zu tun. Wie der Vater im Gleichnis Jesu akzeptiert er unsere
Entscheidungen, ob wir in seiner Nähe bleiben oder uns von ihm entfernen. Doch
seine Liebe für uns, seine Sehnsucht danach, es möge uns gut gehen, lässt ihn
Ausschau halten nach seinem verlorenen Sohn, nach seiner verlorenen Tochter. Und
Gottes versöhnende Vergebung, die uns immer dann zuteil wird, wenn wir zu ihm
zurückkehren, erträgt es nicht, dass wir nur als seine Diener, als Menschen zweiter
Klasse bei ihm leben. Das schöne deutsche Wort Ver-söhnung erzählt genau davon,
wieder ausgestattet zu sein mit der Würde eines geliebten Sohnes, einer geliebten
Tochter.
„Lasst euch mit Gott versöhnen!“ erinnert uns der Apostel Paulus. Könnte das nicht
die wichtigste Aufgabe in den verbleibenden Wochen bis Ostern sein? Und bereit
werden für die nötige Versöhnung mit Gott – das hat immer auch zu tun mit der einen
oder anderen Versöhnung mit anderen Menschen.
In Jesu Gleichnisgeschichte wäre es die noch ausstehende Versöhnung der beiden
ungleichen Söhne. Mit wem müssten, mit wem sollten, mit wem könnten wir uns
versöhnen? - Sind wir doch so frei und tun wir den ersten Schritt, denn es gibt keinen
besseren Weg als den Weg echter christlicher Liebe, echter christlicher Versöhnung.
Amen.
Franz Reitinger
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