Das Runde muss in das Eckige - University of Bonn, Autonomous

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Das Runde muss in das Eckige - University of Bonn, Autonomous
Das Runde muss in das Eckige
–
Roboterfußball als Herausforderung an die
Künstliche-Intelligenz-Forschung und die
Robotik
Sven Behnke
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Informatik
Georges-Köhler-Allee 52, 79110 Freiburg
behnke @ informatik.uni-freiburg.de
Zusammenfassung Roboterfußball hat Schach als Leitproblem der Künstlichen-Intelligenz-Forschung abgelöst. Die von der RoboCup-Federation
veranstalteten Wettbewerbe stellen auch neue Anforderungen an die Robotik. Besonders hoch sind diese in der humanoiden Liga. Nach Vorübungen in den Vorjahren fanden dort 2005 erstmals Fußballspiele statt.
Der Artikel stellt die Technik der humanoiden Fußballroboter vor, erläutert
die Regeln und gibt einen Ausblick auf die noch zu lösenden Forschungsfragen.
1
Einleitung
Was bringt weltweit tausende Forscher dazu, viel Kreativität und Energie einzusetzen, um mit Robotern das Runde in das Eckige zu befördern? Die Antwort
hat sicher nicht nur mit der Faszination des Fußballspiels zu tun. Vielmehr geht
es darum, die Forschung im Bereich der Robotik und der Künstlichen Intelligenz
(KI) voranzutreiben.
Die KI-Forschung hat sich schon frühzeitig mit Spielen beschäftigt. Schon
in den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts prophezeite Simon [14], dass
Computer innerhalb von zehn Jahren in der Lage sein würden, den Schachweltmeister zu schlagen. Man betrachtete das Schachspiel als Inbegriff intelligenten Handelns und glaubte, die menschliche Intelligenz durch Symbolmanipulation nachbilden zu können. Zwar wurde der amtierende Schachweltmeister 1997
durch ein Computersystem geschlagen, doch ist man dadurch dem Verständnis
der menschlichen Intelligenz nicht wesentlich näher gekommen.
Grundlage für intelligentes Handeln ist die Wahrnehmung der Welt. Schon
bei dieser scheinbar einfachen Aufgabe scheitern heutige Computer häufig. Wahrnehmungsprozesse, welche die Flut der auf uns einstürmenden sensorischen Reize
interpretieren und der Handlungssteuerung zugänglich machen, laufen bei uns
Menschen zum größten Teil unbewusst ab. Deshalb sind uns die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht präsent. Die Leistungsfähigkeit unseres Wahrnehmungssystems wird erst deutlich, wenn man versucht, die gleichen Aufgaben
mit Maschinen zu lösen. Ähnlich verhält es sich mit der Handlungssteuerung.
Die Fortbewegung auf zwei Beinen kommt uns nicht problematisch vor. Dass
das zweibeinige Laufen und Rennen nicht so einfach ist, merkt man erst, wenn
man versucht, es Robotern beizubringen.
Aufgrund dieser Beobachtungen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten
ein Intellenzbegriff etabliert, der nicht auf Symbolmanipulation beruht, sondern
auf der Interaktion eines Agenten mit seiner Umwelt [7, 13]. Der Begriff der
Körperhaftigkeit (Embodiment) betont dabei das Vorhandensein eines Körpers
als physikalische Basis für Intelligenz. Mit der Forderung nach Situiertheit (Situatedness) eines Agenten in einer reichhaltigen Umwelt wird die Rückkopplung
zwischen den Handlungen und den Wahrnehmungen erst möglich. Dabei wird
die Komplexität dieser Interaktion wesentlich erhöht, wenn die Umwelt nicht
nur passive Objekte, sondern auch selbständig handelnde Agenten beinhaltet.
Motiviert durch die Erfolge beim Computerschach, veranstaltet die RoboCupFederation seit 1997 internationale Wettbewerbe im Roboterfußball. Ähnliche
Wettbewerbe werden von der konkurrierenden FIRA ausgerichtet. Das langfristige Ziel der RoboCup-Federation ist es, bis zum Jahr 2050 eine Mannschaft
humanoider Fußballroboter zu entwickeln, die gegen den dann amtieren FIFAWeltmeister gewinnt [11]. Das Fußballspiel wurde gewählt, da, im Gegensatz
zum Schach, mehrere Spieler eines Teams in einer dynamischen Umgebung zusammenarbeiten müssen. Sensorische Signale müssen in Echtzeit interpretiert
und in Aktionen umgesetzt werden. Durch das Vorhandensein einer gegnerischen
Mannschaft wird das Problem jedes Jahr schwieriger. In den Fußballwettbewerben werden nicht isolierte Komponenten getestet, sondern es treten zwei Gesamtsysteme gegeneinander an. Durch den Punktestand lassen sich so Systeme
objektiv vergleichen, die unterschiedlichste Ansätze zu Wahrnehmung, Verhaltenssteuerung und Aktuatorik verfolgen. Durch ein solches Leitproblem werden
die Anstrengungen vieler Forschergruppen gebündelt und der Ideenaustausch
gefördert.
Die RoboCup-Wettbewerbe haben sich inzwischen zum bedeutendsten Roboterwettbewerb der Welt entwickelt. An der letzen Weltmeisterschaft, die im
Juli 2005 im Osaka, Japan, stattfand, haben sich 330 Teams aus 31 Ländern beteiligt. Insgesamt gab es ca. 2.000 Teilnehmer und ca. 182.000 Zuschauer. Auch
das Interesse der Medien war gewaltig. Neben den Fußballwettbewerben gibt
es seit 2001 Wettbewerbe, die das Auffinden von Katastrophenopfern und die
Koordination von Einsatzkräften zum Inhalt haben (RoboCupRescue). Weitere
Wettbewerbe richten sich an den Nachwuchs (RoboCupJunior).
2
RoboCupSoccer
Die Fußballwettbewerbe werden beim RoboCup in mehreren Ligen ausgetragen.
Von Anfang an gibt es eine Simulationsliga, eine Liga für kleine Radroboter,
in der Kameras über dem Spielfeld erlaubt sind (SmallSize) und eine Liga für
größere Radroboter, in der externe Sensoren nicht erlaubt sind (MiddleSize).
Seit 1999 gibt es eine Liga für die Sony Aibo-Hunde (Four-legged) und seit 2002
eine Liga für humanoide Roboter (Humanoid).
In den verschiedenen Ligen werden unterschiedliche Forschungsschwerpunkte
gesetzt. Während in der Simulationsliga Teamspiel und Lernen im Vordergrund
stehen, beschäftigen sich die beiden Ligen für Radroboter (SmallSize und MiddleSize) mehr mit der Roboterkonstruktion (omnidirektionale Antriebe, Mechanismen zur Ballmanipulation), der Wahrnehmung der Spielsituation (Sehsysteme,
Abstandssensoren) und der Entwicklung von Basisfähigkeiten, wie dem Führen
des Balls oder dem Passen. Da in der Aibo-Liga die Hardware vorgegeben ist,
liegt der Forschungsschwerpunkt hier in der visuellen Wahrnehmung der Spielsituation, der Ansteuerung der vielen Freiheitsgrade (unabhängige Gelenkachsen,
degrees of freedom, DOF) der Roboterhunde und dem Teamspiel.
In dem Maße, in dem sich die Leistungsfähigkeit der Fußballroboter erhöht,
werden die Spielregeln an die FIFA-Regeln angepasst. Damit erhöht sich die
Komplexität des Problems ständig. Weiterhin ist ein Trend zu beobachten, dass
Lösungen, die in hardwarefernen Ligen entwickelt wurden (z.B. Teamspiel), nach
und nach in hardwarenäheren Ligen Einzug halten, da dort die grundlegenden
Probleme der Roboterkonstruktion, Wahrnehmung und Fortbewegung immer
besser gelöst werden.
Am Beispiel der humanoiden Liga sollen im Folgenden die Regeln der Wettbewerbe und die Technik der Roboter erläutert werden.
3
Humanoide Fußballroboter
In der humanoiden Liga treten Roboter mit menschenähnlicher Körperform gegeneinander an. Die Roboter müssen zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf und
einen Rumpf haben. Größenbeschränkungen stellen sicher, dass der Schwerpunkt
der Roboter nicht zu niedrig liegt, die Füße nicht zu groß sind, usw. Es gibt zwei
Größenklassen: KidSize (bis 60cm) und MidSize (60cm-120cm).
Die humanoiden Roboter müssen in der Lage sein, auf zwei Beinen zu laufen.
Während es in den ersten Jahren der Liga erlaubt war, die Roboter fernzusteuern
und extern mit Strom zu versorgen, müssen die Roboter seit 2004 vollständig
autonom sein. Die Roboter dürfen über ein drahtloses Netzwerk miteinander
kommunizieren, aber Hilfe von außen (durch Menschen oder weitere Computer)
ist nicht erlaubt.
Da Bau und Steuerung humanoider Roboter deutlich komplexer sind als bei
Radrobotern, gab es in der humanoiden Liga zunächst keine Fußballspiele, sondern nur Vorübungen. Die Roboter liefen um die Wette um einen Pfosten und
traten im Elfmeterschießen gegeneinander an. Seit 2005 finden auch richtige
Fußballspiele statt. Bei den German Open im April 2005 zeigten zwei Teams
autonomer RoboSapien-Roboter (Brainstormers und NimbRo) Demonstrationsspiele [4]. Im Juli 2005, beim RoboCup in Osaka, fanden dann Fußballspiele mit
zwei Robotern pro Mannschaft in der KidSize-Größenklasse statt.
Die Regeln der humanoiden Liga wurden von den FIFA-Regeln abgeleitet. Allerdings gibt es einige Vereinfachungen. Beispielsweise wird die Abseitsregel nicht
Abbildung 1. Einige der Roboter, die beim RoboCup 2005 in der humanoiden Liga
angetreten sind.
beachtet. Um die Wahrnehmung der Spielsituation zu erleichtern, sind die wichtigen Objekte farbig markiert: Das Spielfeld ist grün mit weißen Linien. Die Tore
sind gelb und blau. Der Ball ist orange. Die Roboter sind überwiegend schwarz.
Die Mannschaften werden mit magentafarbenen bzw. zyanfarbenen Markierungen gekennzeichnet.
3.1
Hardware
Abbildung 1 zeigt einige der Roboter, die am RoboCup 2005 teilgenommen haben. Insgesamt beteiligten sich in der humanoiden Liga 20 Teams aus 9 Ländern.
Japan stelle allein fünf Teams. Aus Deutschland kamen die Darmstadt Dribblers [9] und NimbRo (Freiburg) [2]. Die meisten Roboter wurden von den Forschergruppen selbst konstruiert. Einige Roboter sind kommerziell erhältlich.
Der wohl teuerste Roboter des Wettbewerbs wurde vom Team Senchans [6]
eingesetzt. Es handelt sich um den neuen Hoap-3 von Fujitsu (60cm, 8,8kg,
28DOF) [10], der in den nächsten drei Jahren für ca. EUR 50.000 100-mal an
Forschungsinstitute verkauft werden soll. Einige Teams benutzen den Bausatz
KHR-1 der Fa. Kondo [12] (34cm, 1.2kg, 17DOF), der für ca. EUR 1.100 verkauft wird. Das Team Hiro [1] setzte umgebaute RoboSapien-Roboter (34cm,
2.1kg, 7DOF) im Wettbewerb ein, die nur ca. EUR 60 kosten, da sie für den
Spielzeugmarkt entwickelt wurden [3].
(a)
(b)
Abbildung 2. Zwei humanoide Fußballroboter: (a) VisiON Nexta des Teams Osaka [15]; (b) Jupp vom Team NimbRo KidSize [2].
In Abbildung 2 sind zwei der von den Teams selbst konstruierten Roboter
dargestellt. Abb. 2(a) zeigt den Roboter VisiON Nexta (46,5cm, 3,2kg, 23DOF),
der vom Team Osaka, einem Konsortium aus Firmen (Vstone, Systec Akazawa, Robo Garage), der Universität Osaka sowie dem ATR-Forschungsinstitut
entwickelt wurde. Sein Vorgänger VisiON gewann den RoboCup 2004 souverän.
Abb. 2(b), zeigt den Roboter Jupp (60cm, 2,3kg, 19DOF), der vom Team NimbRo an der Universität Freiburg entwickelt wurde. Jupp basiert auf der Technologie seines Vorgängers Toni [5], der bei den German Open 2005 zuverlässig
Elfmeter geschossen hat.
Alle in der humanoiden Liga eingesetzten Roboter werden von Elektromotoren angetrieben. In Kombination mit hoch untersetzen Getrieben und passender
Ansteuerelektronik findet man diese in Modellbauservos. Den Servos kann über
eine Steuerleitung ein Zielwinkel vorgegeben werden. Ein Potentiometer misst
die aktuelle Gelenkstellung und ein Regelkreis versucht, durch Steuerung des Motors den Zielwinkel zu erreichen. Fast alle humanoiden Roboter des RoboCup
2005 basierten auf Modellbauservos oder ähnlichen intelligenten Aktuatoren.
Bis zu zwei Dutzend dieser Antriebseinheiten wurden pro Roboter verbaut,
um eine angemessene Beweglichkeit der Körperteile zu erreichen. Der VisiONRoboter hat sechs Aktuatoren pro Bein, vier pro Arm, zwei im Rumpf und einen
im Hals. Jupp verfügt ebenfalls über sechs Servos pro Bein, aber nur über drei
pro Arm und einen im Rumpf.
Die Struktur der humanoiden Roboter wird durch das Skelett bestimmt. Es
werden überwiegend Aluminium und andere Leichtbaumaterialen für die tragenden Teile eingesetzt, um ein gutes Verhältnis von Antriebsleistung zum Gesamtgewicht zu erreichen.
(a)
(b)
(c)
(d)
Abbildung 3. Elektronik-Komponenten von Jupp: (a) ChipS12-MikrocontrollerBoard; (b) Neigungssensor; (c) Kompass; (d) Pocket PC mit Kamera.
Die Servos werden durch kleine Elektronikboards angesteuert, die in der Regel auf Mikrocontrollern basieren. Beim VisiON ist dies ein Board mit einem
SH2-Prozessor. Dieser wird mit 40MHz getaktet. Jupp enthält drei ChipS12Boards (Abb. 3(a)), die einen mit 24MHz getakteten HCS12-Prozessor haben.
Die Mikrocontroller übernehmen auch das Einlesen von Sensoren. Neben Gelenksensoren werden vor allem Neigungssensoren in den humanoiden Robotern
verwendet, um Abweichungen von der aufrechten Körperhaltung zu detektieren.
VisiON hat dazu zwei Beschleunigungssensoren und Drehratensensoren für drei
orthogonale Achsen. Jupp misst ebenfalls Beschleunigung und Drehrate, aber
nur auf den zwei horizontalen Achsen (Abb. 3(b)). Dies genügt, um die Neigung
des Roboters zu schätzen. Um die Drehung um die vertikale Achse schätzen zu
können, hat Jupp einen elektronischen Kompass im Kopf (Abb. 3(c)).
Fast alle humanoiden Fußballroboter nehmen ihre Umwelt über Farbkameras wahr. Damit ein weites Blickfeld abgedeckt werden kann, werden diese mit
weitwinkligen Objektiven ausgestattet, bewegt oder auf einen über der Kamera
befestigten konvexen Spiegel gerichtet. VisiON hat eine solche omnidirektionale
Kamera, die seinen Kopf bildet. Er kann damit in alle Richtungen sehen. Ein
Nachteil dieser Konstruktion ist jedoch, dass er Bereiche in direkter Nachbarschaft seiner Füße nicht einsehen kann. Deshalb muss er sich bei der Positionierung hinter dem Ball mehrfach nach vorn beugen. Jupp verfügt über eine extrem
weitwinklige Kamera mit ca. 150◦×112◦ Sichtfeld (Abb. 3(d)), die vorn am Hals
herausschaut. Damit kann er gleichzeitig über den Horizont und auf die eigenen
Füße sehen.
Die Kamerabilder werden von einem Mini-PC oder einem PDA verarbeitet,
der auch die Steuerung des Roboterverhaltens und die drahtlose Kommunikation mit anderen Robotern übernimmt. Bei VisiON wird als Zentralrechner ein
kleines PC-Board der Fa. Pinon eingesetzt. Dieses verfügt über einen 400MHz
AMD Geode-Prozessor. Jupp hat einen Pocket PC Loox 720 von FSC im Rumpf
(Abb. 3(d)). Dieser enthält einen 520MHz Intel XScale-Prozessor.
Die meisten humanoiden Fußballroboter werden durch Lithium-Polymer-Akkus mit Strom versorgt. Diese sind leicht und können trotzdem hohe Ströme
liefern, die bei Spitzenlasten nötig sind. VisiON verwendet vier Zellen (14,8V)
mit 2300mAh. Für Jupp genügen zwei Zellen (7,4V) mit 2000mAh, um ihn ca.
30 Minuten lang zu betreiben.
(a)
(b)
Abbildung 4. (a) Bild, aufgenommen aus einem laufenden humanoiden Roboter. Detektierte Objekte: Tor (blaues horizontales Rechteck), Ball (oranger Kreis) und Spielfeldmarker (magentafarbene vertikale Rechtecke); (b) Drei 2D-Projektionen des 3DGrids, welches die Wahrscheinlichkeit der Roboterposturen (x, y, θ) repräsentiert. Der
grüne Kreis zeigt die geschätzte Position (x, y) auf dem Spielfeld an. Die schwarze Linie
zeigt in Richtung der geschätzten Orientierung θ. Die detektieren Objekte sind relativ
zum Roboter eingezeichnet.
3.2
Software
Die beste Roboterhardware nützt nichts, wenn sie nicht der Aufgabenstellung
entsprechend programmiert wird. Beim Fußball sind die zu lösenden Hauptaufgaben: Wahrnehmung, Verhaltenssteuerung und Kommunikation.
Im Bereich der Wahrnehmung müssen die Selbstwahrnehmung (Propriozeption) und die Wahrnehmung der Umwelt abgedeckt werden. Für die Propriozeption werden Gelenksensoren, Kraftsensoren, Neigungssensoren und elektronische
Kompasse ausgewertet, um z.B. den Neigungswinkel des Roboters zu schätzen
oder die Kraftverteilung am Fuß zu ermitteln. Diese Größen bilden dann die
Grundlage für die Steuerung elementarer Verhaltensweisen, wie der Posturkontrolle.
Die Wahrnehmung der Fußball-Welt erfolgt überwiegend visuell. Die mit den
Farbkameras aufgenommenen Bilder werden dazu analysiert. Abbildung 4(a)
zeigt ein Beispielbild, das mit einer Weitwinkelkamera aufgenommen wurde. Die
einzelnen Bildpunkte werden Farbklassen, wie Orange, Gelb, Blau und Grün,
zugeordnet und zu Objekten, wie Ball und Tor, zusammengefasst. Dabei ist es
wichtig, Störungen zu ignorieren, die z.B. durch Schatten oder den Blick über
den Spielfeldrand auftreten können.
Unter Berücksichtigung der Kameraposition und der Abbildungsfunktion der
Kamera können dann egozentrische (auf den Roboter bezogene) Koordinaten
der Objekte geschätzt werden. Diese reichen für einfache Verhaltensweisen, wie
dem Positionieren hinter dem Ball aus. Für komplexere Verhaltensweisen, wie
Teamspiel, ist eine Selbstlokalisierung der Roboter auf dem Spielfeld nötig. Die-
se erfolgt z.B. durch probabilistische Integration von Landmarkenbeobachtungen
(Tore, Eckpfosten, Spielfeldlinien) und Bewegungskommandos über einen längeren Zeitraum. Dabei wird ein Modell des Spielfelds verwendet. So können die
Roboter auch dann ihre Position auf dem Spielfeld herausfinden, wenn einzelne Beobachtungen unzuverlässig oder mehrdeutig sind. Abbildung 4(b) veranschaulicht die probabilistische Selbstlokalisierung am Beispiel eines 3D-MarkovGrids [8].
Auf der Grundlage des durch die Wahrnehmungskomponenten gewonnen
Weltbilds werden dann Verhaltensentscheidungen getroffen, um die Welt im Sinne der Aufgabenstellung ’Das Runde muss in das Eckige!’ zu beeinflussen. Dabei
kann man verschiedene Abstraktionsebenen unterscheiden.
Auf der untersten Ebene befinden sich die Einzelgelenke, z.B. das linke Knie.
Die Regelkreise auf dieser Ebene arbeiten sehr schnell (z.B. 300Hz) und versuchen, die vorgegebenen Gelenkwinkel zu erreichen. Das Verhalten der im VisiONRoboter verwendeten Dynamixel-Aktuatoren kann dabei durch mehrere Parameter beeinflusst werden. Die in Jupp verwendeten Servos kann man nur relaxieren.
Auf der nächsten Abstraktionsebene kann man die Körperteile ansiedeln, wie
z.B. das linke Bein. Durch koordiniertes Ansteuern mehrerer Einzelgelenke kann
man die Beinlänge, den Beinwinkel und den Fußwinkel unabhängig voneinander
ändern. Die resultierenden Gelenkwinkel werden bei Jupp mit 180Hz geglättet.
Der VisiON-Roboter generiert mit ca. 60Hz Zielpositionen für die Gelenke.
Die auf Körperteile bezogenen abstrakten Aktuatoren sind gut geeignet, um
Laufverhalten zu implementieren, die auf der nächsten Verhaltensebene angesiedelt sind. Diese Ebene bezieht sich auf den ganzen Roboter und stellt z.B.
omnidirektionales Laufen zur Verfügung. Gewichtsverlagerung von einem Bein
auf das andere, Verkürzung des unbelasteten Beins und Schwung des verkürzen
Beins in Laufrichtung sind dabei die wesentlichen Komponenten. Bei Jupp ist
ein solches Laufverhalten implementiert, das mit ca. 83Hz ausgeführt wird. Dabei können Laufrichtung, Laufgeschwindigkeit und die Drehung um die Vertikale
als Parameter vorgegeben werden. Dieser Zielvektor kann sich ändern, ohne dass
der Roboter anhalten muss.
Der VisiON-Roboter benutzt Bewegungsmakros, die aneinander gereiht werden. Um dabei glatte Übergänge zu erreichen, muss VisiON nach jeder Bewegung
eine kleine Pause einlegen. VisiON’s Bewegungsmakros wurden durch inverse
Kinematik berechnet (für Laufen und Drehen) oder mit Hilfe eines Bewegungseditors erstellt (für Winken und Verbeugen).
Die Laufverhalten werden nun benutzt, um den Roboter z.B. hinter den Ball
zu bewegen. Dabei ist es wichtig, den Lauf-Zielvektor häufig an die aktuellen
Wahrnehmungen anzupassen, da einerseits die exakte Ausführung der gewünschten Laufbewegung nicht gewährleistet ist und andererseits sich auch die Spielsituation plötzlich ändern kann. Natürlich sind zum Fußballspiel noch weitere
Verhaltesweisen, wie der Schuss und das Halten des Balls nötig. Auch werden
Verhalten benötigt, die Ausnahmezustände behandeln. Beispielsweise sollen die
Roboter wieder aufstehen, wenn sie umgefallen sind.
Die höchste Abstraktionsebene beim Fußball ist das Team. Hier wird dafür
gesorgt, dass nicht alle Roboter gleichzeitig zum Ball laufen, dass das Tor verteidigt wird, usw.
Im Bereich der Kommunikation kann man den Nachrichtenaustausch innerhalb des Roboters und zwischen den Robotern unterscheiden. Innerhalb des Roboters kommunizieren mehrere Mikrocontroller über drahtgebundene Busse (z.B.
CAN, RS485) oder Punkt-zu-Punkt Verbindungen (RS232) miteinander und mit
dem Zentralrechner (PC oder PDA). Diese Verbindungen sind recht zuverlässig.
Mit hoher Rate werden Zielpositionen und aggregierte Messwerte übertragen.
Die Kommunikation zwischen den Robotern wird über ein drahtloses Netzwerk (WLAN) abgewickelt, das zum Spielfeld gehört. Allerdings kommt es durch
die vielen Funknetzwerke, die bei einem RoboCup-Wettbewerb betrieben werden, häufig zu Störungen. Deshalb ist es wichtig, dass die Roboter auch bei
Abreißen des Funkkontakts weiter spielen können. Wenn die Kommunikation
zwischen den Robotern funktioniert, können diese sich z.B. gegenseitig über die
Ballposition informieren oder sich abstimmen, wer zum Ball geht.
4
Zusammenfassung und Ausblick
Die humanoide Liga des RoboCup ist die dynamischste Liga des RoboCupSoccer.
Innerhalb weniger Jahre hat sich die Performanz der Roboter so stark verbessert,
dass es jetzt möglich ist, Fußballspiele zu spielen.
Beim RoboCup 2005 gab es mehrere Teams, die zuverlässig Elfmeter in die
Torecken schießen konnten. Auch die Tormänner der Teams Osaka und Rope
(Singapur), die in der KidSize-Größenklasse im Finale des Elfmeterschiessens
standen, beeindruckten die Zuschauer durch ihre Schnelligkeit. Team Osaka gewann das Finale mit 5:0.
Das Elfmeter-Finale bei den MidSize-Robotern bestritten NimbRo (Freiburg)
und Aria (Iran). Wie in Abbildung 5(a) gezeigt, konnte der Roboter Max des
Teams NimbRo zuverlässig zum Ball laufen, zielen und schießen. NimbRo gewann
mit 3:0.
(a)
(b)
Abbildung 5. RoboCup 2005: (a) Finale des Elfmeterschießens in der MidSize-Klasse
(NimbRo vs. Aria); (b) Finale der Fußballspiele in der KidSize-Klasse (NimbRo vs.
Team Osaka).
Die Roboter der KidSize-Liga spielten Fußballspiele mit zwei Spielern pro
Mannschaft. Im Finale standen Team Osaka und NimbRo. NimbRo spielte mit
zwei Feldspielern, sodass häufig drei Spieler in der Nähe des Balls waren, wie
auch in Abbildung 5(b) zu sehen. Während die Roboter beider Teams zuverlässig
laufen konnten wenn sie nicht gestört wurden, gingen sie im Gemenge leicht
zu Boden. Danach konnten sie aber meist wieder von selbst aufstehen. Osaka
erzielte zwei Tore mit Fernschüssen. NimbRo konnte kurz vor Spielende einen
Anschlusstreffer landen. Osaka gewann das Finale also mit 2:1.
Auch im technischen Wettbewerb konnte Osaka überzeugen. Sie meisterten
alle drei Teile des Wettbewerbs, in dem ein Roboter ein Hindernisfeld überwinden, im Slalom um drei Pfosten laufen und dann einen Ball gegen einen vierten
Pfosten schießen musste. NimbRo belegte mit den KidSize-Robotern den zweiten
Platz und mit den MidSize-Robotern den dritten Platz im technischen Wettbewerb. Diese Reihenfolge (Team Osaka, NimbRo KidSize, NimbRo MidSize) war
auch das Resultat der Gesamtwertung (Best Humanoid).
Die nächste RoboCup-WM wird im Juli 2006 parallel zum FIFA World Cup
in Bremen stattfinden. Die Regeln der humanoiden Liga werden gerade überarbeitet. Es wird voraussichtlich Fußballspiele mit drei KidSize-Robotern und
mit zwei MidSize-Robotern pro Mannschaft geben. Dazu sollen die Spielfelder
vergrößert werden.
Das Fußballspiel mit humanoiden Robotern ist eine komplexe Aufgabe und
die Entwicklung steht erst am Anfang. Ich erwarte in der humanoiden Liga weiterhin schnelle Fortschritte. Dazu sind allerdings noch viele Forschungsfragen zu
lösen. Beispielsweise sollen die Roboter durch kleinere Störungen nicht aus dem
Gleichgewicht kommen. Die Geschwindigkeit des Laufens muss noch deutlich gesteigert werden. Bei höheren Geschwindigkeiten ist dann auch Rennen sinnvoll.
Die visuelle Wahrnehmung muss robuster gegenüber Beleuchtungsänderungen
und anderen Störungen werden. Die Roboter sollten in der Lage sein, auch ohne
Farbcodierung von Ball und Toren zu spielen. Sie sollen Fouls vermeiden, den
Gegner mit Finten täuschen, usw. In dem Maße, wie die grundlegenden Probleme
der Fortbewegung auf zwei Beinen, der Ballmanipulation und der Wahrnehmung
der Spielsituation gelöst werden, sollte es möglich sein, Teamspiel zu entwickeln.
Dies wurde in anderen RoboCupSoccer-Ligen schon erreicht.
Eine der größten Herausforderungen wird dabei die Integration von Teilsystemen sein. Während es nicht so schwierig ist, ein Sehsystem zu bauen oder
Laufverhalten zu implementieren, ist es nicht so einfach, diese Komponenten
gleichzeitig in einem humanoiden Roboter zu betreiben. Das Gewicht und der
Stromverbrauch der Einzelkomponenten spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine hohe Zuverlässigkeit aller Teile und die Behandlung von Ausnahmezuständen sind unerlässlich, um ein Spiel zu überstehen. Entscheidend für
die Performanz des Gesamtsystems ist dabei nicht die beste Einzelkomponente,
sondern das schwächste Glied der Kette, dem bei der weiteren Forschungsarbeit
besondere Aufmerksamkeit zuteil wird.
Danksagung
Diese Arbeit wurde durch die Sachbeihilfe BE 2556/2-1 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht. Der Autor möchte den Mitgliedern der
Projektgruppe NimbRo für ihren großen Einsatz bei der Vorbereitung auf den
RoboCup 2005-Wettbewerb danken.
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Über den Autor
Dr. rer. nat. Sven Behnke hat Informatik und Betriebswirtschaft an der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg (und 1994/95 an der University of Houston, TX) studiert. 1997 erhielt er sein Informatik-Diplom. Danach arbeitete er
als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, wo er 2002
promovierte. Im Jahr 2003 besuchte er als Postdoc das International Computer Science Institute in Berkeley, CA. Seit 2004 leitet er die Nachwuchsgruppe
’Humanoide Roboter’ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zu seinen
Forschungsgebieten gehören autonome intelligente Systeme und neuronale Informationsverarbeitung.