Wandel-Gänge - Automatikgetriebe Reuter
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Wandel-Gänge - Automatikgetriebe Reuter
Wandel-Gänge Das Borg Warner BW 35 war in den Sechziger und Siebziger Jahren weit verbreitet. Mehr als ein Dutzend Hersteller weltweit rüsteten unzählige Modelle mit der Dreigang-Automatik aus D ie Ingenieure der Borg Warner Company (BW) in Michigan konstruierten das BW 35 in den Fünfzigern, als vollautomatische Getriebe noch schwere und mäßig effiziente Gußklötze waren. Der neue Selbstschalter steckte jedoch erstmals in einem Aluminiumgehäuse und eignete sich besonders für kleinere Automobile mit nicht ganz so hubraumstarken und drehmomentgewaltigen Motoren. Damit war das BW 35 wie geschaffen für den europäischen Markt. Austin, Fiat, Ford, Jaguar, Volvo und etliche andere Marken boten Fahrzeuge mit diesem Getriebe an. Ab 1960 lief die Fertigung in einem BW-Werk in Großbritannien. Das BW 35 werkelt heute in zahlreichen Klassikern und ist für die meisten Schrauber wie das Thema Automatik insgesamt ein Buch mit sieben Siegeln. An Reparaturen wagen sich nur wenige Spezialisten wie Automatik-Profi Klaus Reuter im hessischen Altenstadt, der uns die aus einem Volvo stammende Box auf den Seziertisch legte und befand: „Dieses Getriebe ist recht lang- Der Drehmomentwandler... ...entspricht der Kupplung beim Schaltgetriebe. Allerdings erfolgt die Kraftübetragung zwischen Motor und Getriebe hydraulisch. Im Innern bringt das motorseitige Pumpenrad Öl in Bewegung, das über das Turbinenrad die Getriebeeingangswelle dreht Daten und Fakten Borg Warner BW 35 Hersteller: Borg Warner Corporation USA, ab 1960 Borg Warner GB Bauweise: Vollautomatisches Getriebe mit hydrodynamischem Drehmomentwandler, Ravigneaux-Planetengetriebe, zwei Lamellenkupplungen, zwei Bandbremsen, drei Vorwärtsgänge, ein Rückwärtsgang Verwendung: Verschiedene Modelle von AMC, Austin, Citroën, Chrysler, Daimler, Dodge, Fiat, Ford, Hillman, Humber, Jaguar, MG, Morris, Reliant, Rover, Saab, Sunbeam, Triumph und Volvo 92 Oldtimer Praxis 10.2013 Das Herz der Hydraulik... ...ist die Ölpumpe ganz links. Sie wird vom Wandlergehäuse (oben) angetrieben und liefert den Systemdruck, mit dem geschaltet und geschmiert wird. Es folgen von links nach rechts zwei Lamellenkupplungen, das DoppelPlanetengetriebe und die Abtriebswelle mit Fliehkraftregler, darunter zwei Bandbremsen mit Betätigung lebig. Spezifische Schwachpunkte gibt es meines Wissen nicht.“ Am grundsätzlichen Konstruktionsprinzip hat sich über die Jahre nicht viel geändert. Die Automatik besteht stets aus drei Hauptbaugruppen: der hydraulischen Kraftübertragung, dem mechanischen Planetengetriebe und der Getriebesteuerung. Der Drehmomentwandler Wie eine Handschaltgetriebe-Kupplung überträgt der ölgefüllte Wandler das Drehmoment der rotierenden Kurbelwelle auf das Getriebe. Jedoch wird die Kraft hydraulisch übertragen. In dem öldichten Gehäuse, das an eine Wärmflasche erinnert, rotieren drei Schaufelräder: Das fest mit dem Motor verbundene Pumpenrad bringt das Öl in Drehung. Das über einen Freilauf Borg-Warners BW 35-Getriebe Seziert Präzise gefräst... ...ist das zweiteilige Aluminium-Labyrinth des Schieberkastens. Es verarbeitet die Informationen über Tempo und Lastzustand. Steuerschieber und -ventile verteilen das Drucköl, das über die Arbeitskolben der Lamellenkupplungen und Bandbremsen die Schaltvorgänge auslöst Eine winzige Kugel... ...regelt in Verbindung mit dem Gangwähler den Öldruck im Schieberkaste. Wehe dem, der sie beim Zerlegen verliert oder sich nicht merkt , wo sie hingehört... Das Gehirn im Ölsumpf Der Schaltschieberkasten ist unterhalb des Planetengetriebes angeordnet. Hier werden die Schaltvorgänge mit Öldruck gesteuert Das vordere Bremsband... ...ist genauso wie sein hinteres Pendant für die Übersetzungsänderung zuständig, indem unterschiedliche Teile des Räderwerks gekoppelt oder festgesetzt werden. Ein Ende ist im Gehäuse mit einer Einstellschraube befestigt, auf das andere drückt der Servo über ein Stahlplättchen mit dem Getriebegehäuse gekoppelte Leitrad lenkt das Öl in Richtung Turbinenrad. Durch seine besondere Form erzeugt es einen Rückstau, der zu einer Drehmomentverstärkung im unteren Drehzahlbereich führt. Der Planetensatz Das eigentliche mechanische Schaltgetriebe ist ein erstaunlich filigranes Räderwerk, von dem man in montiertem Zustand nur die glatte Außenschale zweier Hohlräder sieht. Es besteht aus zwei Planetenradsätzen mit zentralem Sonnenrad und darauf und sich drehenden Planetenrädern, die zur Platzersparnis ineinander gebaut sind. Die verschiedenen Übersetzungen der einzelnen Gänge werden dadurch geschaltet, dass unterschiedliche Räder festgehalten oder miteinander verbunden werden. Zusätzlich gibt es Freiläufe, die zum Beispiel für ein Sonnenrad die Drehung gegenüber den Planeten nur in eine Richtung zulassen. Ein Getriebe für Europas Mittel- und Oberklasse Kosmisches Räderwerk Für die verschiedenen Übersetzungen sind zwei sogenannte Ravigneaux-Planetensätze zuständig, die zur Platzersparnis ineinander gebaut sind. Um jeweils ein zentrales Sonnenrad drehen sich Planetenräder, die wiederum in einem innenverzahnten Hohlrad laufen Die Volvo-Baureihe 140 ist nur eines von vielen Modellen diverser europäischer und amerikanischer Hersteller mit dem Borg Warner BW 35. Auch wenn die erzsolide gebauten Langläufer aus Schweden keine Leichtgewichte waren, bildeten sie keine echte Herausforderung für die automatische Schaltbox. Das BW 35, für kleinere Gefährte nach US-Maßstab gebaut, kam auch mit deutlich gewichtigeren Mobilen gut zurecht. Oldtimer Praxis 10.2013 93 Seziert Borg-Warners BW 35-Getriebe Die hintere-Kupplung... ...besteht aus neun Innen- und Außenlamellen, die über Öldruck vom Schieberkasten von einem federbelasteten Kolben kraftschlüssig zusammengedrückt werden. Dadurch verbinden sie den innenverzahnten HohlradTopf mit der außenverzahnten Welle Ein kapitaler Schaden... ...zeigt sich bei unserem Sektionsobjekt an der vorderen Kupplung, die im Prinzip der hinteren gleicht, aber mit einer Tellerfeder ausgerüstet ist, die sich hier nur noch fragmentiert findet. Auch der Druckkolben ist ramponiert Die Schaltglieder Für das Feststellen und Verbinden einzelner Räder des Planetensatzes sind die sind zwei davor angeordnete Kupplungen sowie zwei Bremsbänder zuständig. Die Bremsbänder umschließen jeweils ein Hohlrad und werden über Servos zusammengezogen. Die Kupplungen sind wartungsfrei, können aber verschleißen oder als Folge anderer Fehler verbrennen, wie es bei unserem Sezierobjekt geschehen war. Die Bremsbänder müssen regelmäßig nachgestellt werden. Das ganze Gangwechselsystem funktioniert hydraulisch. Kupplungen und Bremsen werden über Kolben bedient, die durch Öldruck bewegt werden. Die Steuerzentrale Wann und wo Öldruck einen Schaltvorgang auslöst, bestimmt als labyrinthisches „Gehirn“ der Schaltschieberkasten, der das Drucköl verteilt. Es gibt zunächst den Systemdruck, den die Ölpumpe erzeugt. Er steigt mit der Motordrehzahl und versorgt auch den Wandler und alle Lagerstellen. Die Schaltung Der Fliehkraftregler... ...sitzt fest auf der Abtriebswelle und „informiert“ die hydraulische Steuerzentrale über die gefahrene Geschwindigkeit, so dass zum richtigen Zeitpunkt geschaltet wird. Fliehkraft bewegt einen Kolben, der den Öldruck im System beeinflusst 94 Oldtimer Praxis 10.2013 der Gänge bestimmt der belastungsabhängige Modulierdruck je nachdem, wie viel Gas der Fahrer gibt. Er wird vom Kickdownzug über ein Ventil beeinflusst und spielt mit dem fahrgeschwindigkeitsabhängigen Fliehkraftreglerdruck zusammen. Als weiteren Steuerungsfaktor berücksichtigt das System aus Schiebern und Ventilen die Wählhebelstellung. Der Schmierstoff spielt eine extrem wichtige Rolle bei der Automatik. Experte Reuter empfiehlt dringend, es mindestens alle 40.000 Kilometer zu wechseln und unbedingt die vorgeschriebene Spezifikation einzuhalten. „Fehlern wie unharmonischem Schalten sollte man sofort nachgehen, um größerem Schaden vorzubeugen.“ Text: A. Polaschek / A. Beyer Der Experte „Etwa 80 Prozent aller Automatik-Schäden sind auf Überhitzung zurückzuführen“, sagt Klaus Reuter (60). Der Kraftfahrzeugmeister ist seit 12 Jahren auf die Reparatur automatischer Getriebe und die Wandler-Revision spezialisiert. Kontakt: Automatikgetriebe Reuter, Herrnstraße 34, 63674 Altenstadt, Tel.: 06047/988223, Wandler-Aufschnitt Sein Inneres mit Pumpenrad (l.), Leitrad (Mitte) und Turbinenrad (r.) ist normalerweise unzugänglich: Hier wurde der Wandler zur Überholung aufgeschnitten