Nach 108 Jahren Ende einer Schlacht-Tradition
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Nach 108 Jahren Ende einer Schlacht-Tradition
AUS DER REGION Dienstag, 5. Januar 2010 13 Nach 108 Jahren Ende einer Schlacht-Tradition Wegen EU-Normen für Schlachthäuser gibt Gasthaus Wollenweber eigene Wurstherstellung auf VON JÜRGEN GÜCKEL Lichtenhagen. Der letzte Gang der selbst gefütterten Schweine führt vom Stall quer über den Hof, vorbei am Misthaufen, hinein in die Schlachteküche. Dort wartet der Hausschlachter mit dem Bolzenschussgerät. Wenig später hängt das Schwein am Haken. Gleich nebenan wird warm gewurstet. Tags darauf gibt es in der Gaststube ein unübertroffen frisches Schlachteessen. Aus, vorbei, das war einmal! Im Gasthaus Wollenweber endet nach 108 Jahren eine Tradition. Schlachte- oder Stümpelessen, wie die deftige Mahlzeit heißt, in der die Wurst im Stück über den Daumen geschnitten wird, gehören der Vergangenheit an. Die Wollenwebers haben ihre gewerbliche Schlachtstätte nicht nach dem seit 1. Januar 2006 geltenden EU-Recht umgebaut, deshalb dürfen sie seit Neujahr keine Hausschlachtewurst mehr herstellen. Die Duldung endete zum 31. Dezember. Eine Tradition fällt EU-Recht zum Opfer. as W wäre Bayern ohne Weißwurst, Italien ohne Salami, das Eichsfeld ohne Eichsfelder? Wie sehr Fleischspezialitäten und traditionelle Rezepte einer Region diese charakterisieren, Wurst ist nicht wurst VON JÜRGEN GÜCKEL Kein Stress fürs Schwein Auf andere Schlachtstätten ausweichen? Das will Annette Wollenweber nicht. Denn das sähe so aus: Das Schwein unter Stress und Adrenalin-Einfluss vom Stall in einen Transporter pferchen, es dann in eine fremde Schlachtstätte bringen und töten lassen, das Fleisch den Hygienevorschriften entsprechend erst stundenlang durchkühlen lassen oder es mit Ausnahmegenehmigung warm zurück nach Hause holen, um es dort endlich zu verwursten. „Und das soll nun hygienischer sein?“, wundert sich die Wirtin und Friedländer CDURatsfrau. Sie will weder ihren Schweinen den stressigen Transport zum Schlachthaus, noch ihren Gästen Stracke von nicht mehr warm verarbeitetem Mett zumuten. Dann gibt es eben keine Schlachteessen mehr und der Betrieb konzentriert sich ganz auf seine traditionelle Mini-Speisekarte, auf der gebratene Rippchen ganz oben stehen. Wenn auch Landkreis-Dezernentin Christel Wemheuer (Grüne) auf Tageblatt-Anfrage betont, „Es musste im Landkreis Göttingen kein Gewerbetreibender aufgeben“, ist das Sterben der Wirtschaften oder Hofbetriebe mit hausgeschlachteter Wurst doch unübersehbar. Köhler (Ischenrode), Deppe (Reiffenhausen), Storch (Atzenhausen) – nur drei von vielen Namen, die einst für Stracke, Kälberblase und HAUSSCHLACHTEWURST Alles für die Wurst – letztmalig: Hausschlachter Günther Bartschat aus Reckershausen in Wollenwebers Wurstküche. schlachtfrisches Mett standen. Die Gründe für das Sterben traditioneller Schlachteessen und des Handels mit Hausschlachtewurst liegen nicht an EU-Auflagen allein. Oft zwangen Altersgründe zur Aufgabe, und es gibt immer weniger Hausschlachter wie Kunden. Denn auch Annette Wollenweber hat beobachtet: „Früher schlachteten wir 15 Schweine im Jahr, zuletzt nur noch zehn, künftig eben nur noch zwei, drei zum Eigenbedarf.“ Denn der Stümpel-Esser stirbt aus. Nur noch ältere Gäste kamen zu Schlachteessen. Jüngeren sind Blutwurst mit „bösen Augen“, mürbe Mettwürste, leckere Leber- oder gar Grützund Griebenwurst zum Braten viel zu fett – sagen sie selbst. Oder „sie sind schon von Ge- Ausnahmen fürs Eichsfeld Eichsfeld (ck). Bei der Zubereitung von Fleisch gibt es in ganz Europa Traditionen. Eine davon: Eichsfelder Mettwurst, Stracke oder Kälberblase, wird „warm“ oder „ins Wasser geschlachtet“. Das heißt: Die Wurst wird aus schlachtfrischen Tieren verarbeitet – ein entscheidendes Qualitätsmerkmal. Weil das 2006 inkraft getretene EU-Recht diese traditionelle Verarbeitung erschwert, ist das Land Thüringen initiativ geworden und hat eine Ausnahmegenehmigung für den Transport schlachtwarmen Fleisches erwirkt. Auch der Landkreis Göttingen erteilt Schlachtstätten auf Antrag die Ausnahmegenehmigung. So schlachtet etwa Fleische- rei Erdelmann (Reyershausen) seit 2008 bei einem Kollegen mit EU-zugelassenem Schlachthaus in Ebergötzen, verarbeitet das Fleisch aber in eigenem Betrieb. „Wir haben so die Qualität der Warmverarbeitung erhalten“, sagt Inhaberin Ute Bruns. Eine Ausnahmeregelung ist auch für den Verkauf schlachtwarmen Metts in Arbeit. Derzeit darf es eigentlich nur gekühlt angeboten werden. Die Ausnahmeregelung für Thüringen soll für das ganze Eichsfeld gelten. Derzeit gibt es im Landkreis 14 gewerbliche Schlachtbetriebe. 2008 haben vier und 2009 weitere 28 Betriebe mit Hofverkauf oder Gastronomie EU-Zulassungen für ihre Schlachthäuser erhalten. schmacksverstärkern verdorben“, sagt Annette Wollenweber. Tatsächlich ging die Nachfrage nach Schlachteessen in den vergangenen Jahren stetig zurück. Dafür habe es sich nicht gelohnt, 20 000 Euro für eine EU-Abnahme des Schlachthauses zu investieren. Und so war es das letzte Schlachtfest nach 108 Jahren, bei dem Hausschlachter Gün- Hinzmann ther Bartschat (Reckershausen) für Gasthaus Wollenweber Hand anlegte: an die Sau, um sie zu beruhigen, ans Bolzenschussgerät, um zu töten, an warmes Mett und reichlich Gewürze, um Eichsfelder nach Traditionsrezept zu wursten. Denn: „Alles andere als Hausmacherwurst ist nichts als schnittfestes Wasser. Ich kann mich auch anders vergiften.“ HAUSSCHLACHTUNG SCHLACHTSTÄTTEN Um eine Hausschlachtung handelt es sich nur dann, wenn das Fleisch und die daraus hergestellten Produkte ausschließlich im Haushalt des Schlachtenden verzehrt werden. Ein Verkauf oder auch die unentgeltliche Weitergabe des Fleisches ist nicht zulässig. Die schöne Tradition, Nachbarn mit Brühe oder frischem Brühfleisch (Wellfleisch) zu versorgen, wäre demnach heute verboten. Bei Hausschlachtungen gibt es keine behördlichen hygienischen Auflagen. Der Schlachtende ist aber verpflichtet, das zu schlachtende Tier zur Schlachttieruntersuchung beim amtlichen Tierarzt anzumelden und eine Fleischuntersuchung (Trichinenschau) durchführen zu lassen. Für gewerbliche Schlachtstätten (ohne Hausschlachtung) gelten die hygienischen Anforderungen der am 1. Januar 2006 inkraft getretenen EG-Verordnung 852/2004, deren Übergangsfrist zum Jahreswechsel 2009/10 ausgelaufen ist. Die Verordnung gilt für alle Lebensmittel verarbeitenden Betriebe. Die Neufassung geht nicht über das vorher geltende Hygienerecht hinaus. Grundgedanke ist, jede Kontamination von Lebensmitteln zu vermeiden. Für Schlachtstätten gilt etwa die strickte Trennung von dem Ort des Tötens und Schlachtens und dem Raum der Weiterverarbeitung. Außerdem werden handbedienungsfreie Wachbecken verlangt. kann man in jedem Reisebericht sehen. Die regionelle Küche kommt fast immer vor. Deshalb kann uns die Wurst nicht wurst sein. Wurst ist Region, einschließlich ihrer traditionellen Herstellungsart. Gewiss: Das Fleischereihandwerk wahrt diese Traditionen, so lange der Verbraucher das will. Selbst Großbetriebe werben mit regionalen Marken: Pommersche, Rügenwalder, Göttinger – das sind Begriffe. Aber wo kämen die überlieferten Rezepte her, würden sie nicht von Hauszu Hausschlachtung weitergegeben? Es ist also mehr als regionale Wirtschaftsförderung, kleine und kleinste Betriebe großzügig zu unterstützen, EUNormen zu erfüllen. Es ist Wahrung regionaler Identität. Die muss auch im Europa der Regionen zählen. Friedland Rosdorf Jürgen Gückel (ck) Andreas Fuhrmann (afu) 0551/901-734 0551/901-743 [email protected] Abfuhr für den Weihnachtsbaum Friedland (ck). In der Gemeinde Friedland werden die ausgemusterten Christbäume am 12. Januar abgeholt. An folgenden Sammelplätzen können die Weihnachtsbäume rechtzeitig vorher abgelegt werden: In Ballenhausen am Glascontainer südlich des Dorfeinganges, in Deiderode am Glascontainer, in Elkershausen an der Kirche, Kastanienstraße, in Friedland auf dem Parkplatz hinter Firma Hoy, Leinestraße neben den Glascontainern, in Groß Schneen am Glascontainer Kirschgarten, in Klein Schneen an der Feldscheune an der Kreisstraße Richtung Friedland, in Lichtenhagen am Feuerwehrhaus, in Ludolfshausen am Glascontainer, in Mollenfelde am Feuerlöschteich, in Niedergandern am Kinderspielplatz, in Niedernjesa am Thieplatz, in Reckershausen an der Linde, Marzhäuser Straße, in Reiffenhausen am ehemaligen Kirmesplatz oberhalb des Campingplatzes und in Stockhausen am Glascontainer. Adelebsen Dransfeld Hann. Münden Jörn Barke (bar) Gerald Kräft (ft) Michael Casper (mic) 0551/901-729 0551/901-732 0551/901-774 [email protected] KURZ & KNAPP Neujahrsempfang Wurstküche: Warm wird das frische Fleisch für traditionelle Eichsfelder Mettwurst verarbeitet. Stümpelessen: Annette Wollenweber und Hausschlachtewurst. Der Neujahrsempfang des Fleckens Adelebsen findet am Sonnabend, 9. Januar, um 15 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses statt.