Krefelder reden über Düsseldorf

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Krefelder reden über Düsseldorf
Ulrich Tillmanns
Krefelder reden über Düsseldorf
Um es gleich zu Anfang zu sagen:
Ich finde Düsseldorf toll.
Und ich lebe sehr gerne und ganz freiwillig in Krefeld. Seit 1986, das sind jetzt 28 Jahre.
Was Sie in meinem kleinen Essay erwartet:
- Natürlich eine Betrachtung Düsseldorfs aus der Sicht eines Krefelders
- Dabei ein paar persönliche Beobachtungen, die hoffentlich auch ein bisschen
kurzweilig sind
- Ein Stück weit auch ein Vergleich der beiden Nachbarstädte
- Und last but not least die Einstellung, dass wir uns als Krefelder nicht als Zentrum
Welt verstehen sollten
Ich selbst bin eigentlich gar nicht wirklich Krefelder oder Düsseldorfer oder so etwas. Wir alle
leben in einer multiplen, uns völlig in Besitz nehmenden Welt und sind Teil eines großen
Ganzen. Eine elektrische Zahnbürste wird in 28 Ländern hergestellt. Wir haben mit jedem
und allen auf dieser Welt zu tun – privat, sozial, wirtschaftlich, umweltpolitisch.
Weil ich fest davon überzeugt bin, dass das so ist, wird mein Vortrag für Sie nicht so einfach
werden. Ich werde weder ein Loblied auf Krefeld singen noch einen Abgesang auf
Düsseldorf. Und vermutlich auch nicht umgekehrt.
Ich werde versuchen, klar zu machen, dass weniger Kleinteiligkeit helfen könnte und gut
wäre für die friedliche Entwicklung der Menschen. Ich werde versuchen zu verdeutlichen,
dass weniger Kriewelsch und mehr Deutsch oder sogar Englisch helfen könnte, Konflikte zu
vermeiden, Streit zu verhindern, Missverständnissen vorzubeugen, Wirtschaft zu fördern und
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sprache ist der Anfang von allem. Sprache darf nicht trennen,
sie muss verbinden. Wer sich mittels Sprache nicht mit den Dingen beschäftigt, verliert das
Rederecht.
In diesem Sinne: Danke an den Erfinder von Krefelder reden.
Ich glaube, wenn wir alle ein wenig breiter dächten und nicht immer kleinteiliger, ginge es
uns allen besser. Hüben in Krefeld ebenso wie drüben in Düsseldorf.
Also gut, wird manch einer jetzt sagen, cool, aber Du sollst doch über Düsseldorf reden, und
zwar als Krefelder...
Also gut, sage ich, lass mich doch, ich bin ja schon dabei. Gerne fange ich mal etwas lokaler
an, und zwar mit Krefeld. Zu Düsseldorf kommen wir danach.
Ich bin ein gewordener Krefelder. Was ist das, ein gewordener Krefelder?
Ich bin in Düsseldorf geboren und aufgewachsen, dann war ich 12, 13 Jahre auf
Wanderschaft mit Studium in Hamburg, Berufsausbildung in Bayern und mit 3 Jahren
Auslandsaufenthalt – also, ich meine zusätzlich zu den Jahren in Bayern. 1986, mit 30, bin
ich schließlich zurück gekommen ins Rheinland. Zunächst habe ich in Duisburg gearbeitet
und in Krefeld gewohnt, seit 1986. Meine Frau sagte damals, als wir eine Wohnung suchten,
Du kannst gerne in Duisburg arbeiten, aber dort werden wir nicht wohnen! Krefeld also.
Dann habe ich meinen Job gewechselt nach Düsseldorf. Später noch einmal 2 Jahre Ausland,
das war dann London, aber nur part-time sozusagen, meine Familie ist nämlich hier
geblieben. Ich habe also nur den Arbeitsort gewechselt, nicht den Wohnort, denn siehe da,
wir haben uns eigentlich ganz gut eingelebt in Krefeld.
Wir, das sind meine Familie, also meine Ehefrau und meine beiden Töchter. Sie waren bis
dahin mit mir – aus beruflichen Gründen – bereits 6 x umgezogen. Sie besuchten hier in
Krefeld die Grundschule, und ich versprach, sie dürften in Krefeld das Abitur machen, und
bis dahin würden wir nicht mehr umziehen. Genauso ist es dann auch gekommen. Aber
auch danach sind wir nicht wieder umgezogen.
Wir haben uns nämlich wohl gefühlt in Krefeld, wie gesagt, und tun es auch heute noch.
Hier haben wir einen Großteil unseres Freundeskreises, Teile unserer Familien leben hier, eine
unserer Töchter ebenfalls (und die andere lebt übrigens wo? In: Düsseldorf natürlich). Unser
soziales Umfeld ist in Krefeld, wir arbeiten hier ehrenamtlich in verschiedenen
Organisationen, ich bin ein wenig – sagen wir mal – engagiert.
Interessant ist aber: Wenn man fast 30 Jahre in einer Stadt lebt, ohne dort geboren zu sein,
bekommt man einen anderen Zugang zu ihr. Man sieht sie ein wenig als Außenstehender, ist
einerseits kritischer, andererseits aber auch offener.
Ein Beispiel für das offener: Unser erstes Haus in Krefeld bauten wir in einem
Neubaugebiet in Oppum. Erst später merkten wir, dass der etablierte Krefelder die
Nase rümpft, wenn er erfährt, Du wohnst in Oppum. Uns war das egal, wir liebten
die Nachbarschaft und hatten kein Problem mit dem damals von DGM entwickelten
Krüppelwalmdach-Idyll an der Heinrich-Klausmann-Straße.
Oder umgekehrt ein Beispiel für kritischer: Sehr schnell bemerkten wir, dass die
Mittelstadt Krefeld heimgesucht ist von verkrusteten Strukturen, in denen sich
Alteingesessene gegenseitig Zugang zu Vorteilen verschafften. Befördert ganz
offensichtlich von Standesdünkel, der sich auf längst vergangene Zeiten beruft.
Phänomene, die es natürlich auf der ganzen Welt gibt, sicher, aber irgendwie habe
ich es noch nie so ausgeprägt erlebt wie hier in Krefeld. Bei den etablierten Krefeldern
bemerkten wir hierzu nur Resignation, kein sich Auflehnen, kaum Bewegung, ein sich
Abfinden mit dem, was vermeintlich unabänderlich ist. Schlimm. Ganz schlimm
fanden wir das, und ich empfinde es noch heute so.
Direkte Auswirkungen hat so etwas zum Beispiel auf die Entwicklung unserer
Innenstadt. Die könnte eigentlich ein Diamant sein, geworden ist aus ihr ein in weiten
Teilen schwieriges Stadtviertel. Eine Ursache sind z.B. die immer wieder neu
ausgewiesenen Neubaugebiete in den Stadtrandlagen, die dort zur Zersiedelung
beitragen, innerstädtisch zur Verödung, und auf den Bankkonten bestimmter
Nutznießer zu hohen Finanzerträgen. Investments kann man eben nur einmal
tätigen. Und komischerweise kenne ich keine Stadt unserer Größe, in der noch soviel
strukturschwacher Bestand aus der Nachkriegszeit erhalten ist – gerade in der
Innenstadt. Wie kommt das eigentlich, warum gerade bei uns? Einen Hinweis gibt
uns die Frage cui bono?, was soviel heißt wie: Wem zum Vorteil?, oder: Wer hat was
davon?
Man erlebt seine Stadt als gewordener Krefelder eben anders, wie gesagt: offener und
kritischer zugleich.
Weitere Beispiele:
Wir sehen die Hässlichkeit einer Philadelphia Straße, verurteilen die Bausünden der
60er und 70er Jahre. Wir verstehen nicht, dass es heute, bald 70 Jahre nach
Kriegsende, noch immer Trümmergrundstücke und Kriegsruinen gibt. Zum Beispiel
aber nicht nur auf solch einem Juwel wie der Uerdinger Straße. Oder wie die 4 Wälle,
die in anderen Städten unserer Größenordnung längst zu einem hippen Zentrum
heran gewachsen wären oder zu einem Altstadtidyll, bei uns beinahe prekär
geworden wären – es an manchen Stellen tatsächlich sind.
Als gewordener Krefelder bin ich aber auch derjenige, der sagt: Ach jetzt hör doch
mal auf, ewig nur zu nörgeln. Muss das denn sein? Glauben Sie mir, ich habe es noch
nie erlebt, dass Menschen so schlecht über ihre Stadt sprechen. Und wissen Sie wer
am schlechtesten von Krefeld redet? Vor allem diejenigen, denen es sehr gut geht in
dieser Stadt.
Einschub: Mir geht es selbst sehr gut. Ein Junge aus normalen Verhältnissen in Düsseldorf,
der Vater Werkzeugmacher in der aufstrebenden Automobilindustrie, die Mutter eine
kreative Schneiderin. Nach dem Studium in Hamburg verschiedene Führungsfunktionen, mit
viel Mut zum Risiko wurde ich zu Beginn der 90er Gründungsgesellschafter einer Mini-Firma
in Düsseldorf, heute würde man wohl sagen: in einem Start-up. Es gab nicht mehr als eine
Geschäftsidee, keinen Kunden, keinen Mitarbeiter, von mir mal abgesehen. Dieses Start-up
hat es weit gebracht. Inzwischen bin ich der Deutschland-Chairman eines internationalen
Unternehmens mit 1.000 Mitarbeitern in Deutschland, 20.000 Angestellten weltweit, im
WPP-Konzern mit fast 200.000 Leuten. In einem wahrlich internationalen Job.
Aber genug von mir und zurück zu den Nörgeleien, da waren wir ja stehen geblieben.
Kommen wir mal zu Düsseldorf:
Der Düsseldorfer nörgelt nicht so. Der lässt gar nicht so schnell etwas auf seine Stadt
kommen. Eher im Gegenteil: ein Düsseldorfer würde tendenziell selbst im Schlechten
noch Gutes entdecken. Nun hat er es ja auch einfacher, möchte man denken:
Landeshauptstadt, ehemalige kurfürstliche Residenz (der Düsseldorfer würde sagen:
Wir sind quasi Königsstadt), Vollbeschäftigung, keine Schulden, satte
Regierungsmehrheit im Stadtparlament – und damit kein Zwang zu faulen
Kompromissen. Da wird gebaut und investiert, das passt auf keine Kuhhaut: Die
teuerste Wohnung im Andreas-Quartier kostet 12 Mio. € und wird nur 2 x im Jahr
bewohnt, angeblich von einem Saudi-Arabischen Prinzen. So ist Düsseldorf.
Einerseits.
Andererseits: Düsseldorf hat ja diesen Namen, diese Silbe Dorf als untrennbaren Bestandteil
seiner Identifizierung, eine Art Appendix, den man aber unglücklicherweise nicht wegoperieren kann. Das kann schon auch eine Bürde sein. Man möchte so gerne Großstadt sein
und ist doch irgendwie – „Das Dorf an der Düssel.“ Aber halt, da ist es schon wieder: Düssel
bedeutet brausen. Das immerhin ist schon was, gefällt schon mal, der Düsseldorfer kann
daraus was machen, kann es tendenziell – ausbauen. Dennoch. Dorf an der Düssel, darunter
wird man leiden. Und dann dieses historisch belastete Hin und Her mit dem lokalen Umfeld,
man könnte es auch als Rivalität auslegen, es wäre vermutlich nicht so falsch. Köln und
Düsseldorf, das ja sowieso. Aber auch in Bezug auf Krefeld und Düsseldorf:
Schon als Kind wusste ich: Die Stadtrechte erhielt Düsseldorf durch den Grafen von
Berg im Jahre 1288, und zwar als Dank für die Verdienste in der Schlacht von
Worringen. Der Nachbar Krefeld war nicht nur schon im Jahre 1255 Stadt, also 33
Jahre früher; Krefeld erhielt seine Stadtrechte ausgerechnet vom Kölner Erzbischof,
der die Schlacht von Worringen gegen die rheinische Allianz verlor, zu der eben
auch dieser kleine Ort an der Düssel gehörte. Ich bin kein Historiker, könnte mir
aber vorstellen, dass dies einen Anteil daran hat, warum noch heute manche
Krefelder nicht so gut auf Düsseldorf zu sprechen sind.
Es gab und gibt allerdings auch handfeste kommerzielle Rivalitäten zwischen den
beiden Nachbarn. Obwohl also Krefeld schon 33 Jahre vor Düsseldorf Stadtrechte
besaß, gelang es Düsseldorf in den Folgejahren irgendwie besser, sein Territorium
und seinen Einfluss auszudehnen, Menschen anzuziehen, politisch und wirtschaftlich
erfolgreicher zu sein. Lag und liegt es an der direkten Lage am Rhein? Wurde
Uerdingen eingemeindet, damit Krefeld auch eine Rheinstadt wird? Wir wissen, dass
es vor etwa 200 Jahren einem Herrn Napoleon außerordentlich wichtig war, durch
sehr unwegsames Gelände zunächst einmal einen Knüppeldamm bis an den Rhein
zu bauen, die heutige Uerdinger Straße. Jedenfalls – im Jahre 1815 war es dann
soweit, und Krefeld wurde in den Regierungsbezirk Düsseldorf eingegliedert. Das
kann auch schmerzen, aber jetzt in Krefeld. Und schließlich wird auch heute der
Nothaushalt der Stadt Krefeld von Düsseldorf aus überwacht, ist es nicht so?
Die beiden Städte entwickelten sich halt mit einer sehr unterschiedlichen Dynamik. Und
heute versucht jeder auf seine Weise, sich in der Wirtschaftswelt zu positionieren, egal ob es
um die Gewerbesteuer geht, die Einkommenssteuer oder die Grunderwerbssteuer.
Noch ein Einschub, zwar sozusagen ein bisschen Offroad unserer kleinen Rede, aber
in diesem Zusammenhang ganz interessant. Wissen Sie, wie in Deutschland das
Steueraufkommen verteilt wird? 2% der Umsatzsteuer gehen an die Kommunen,
12% der Abgeltungsteuer, 15% der Einkommenssteuer, und volle 100% von 7
weiteren Steuergruppen, darunter die Gewerbesteuer, die Hundesteuer und die
Zweitwohnsitzsteuer. Allein aus diesem Grund ist die Gewerbeansiedlung ebenso
wichtig wie der Privatwohnsitz: wo gewohnt und gearbeitet wird, erzielen die
Gemeinden nämlich auch Steuereinnahmen. Und Krefeld schrumpft tendenziell.
Parallel ist es interessant zu sehen, dass viele Großkonzerne ihren Sitz in Düsseldorf haben:
Henkel, Eon, Ergo; für Vodafone wurde jüngst sogar eigens eine Autobahnzufahrt gebaut.
Und dagegen tritt Krefeld mit Lokalkolorit an und versucht, sich ein bisschen zu wehren: eine
Krefelder Plakatkampagne in Düsseldorf, mit der man auf die Einkaufsstadt Krefeld
aufmerksam macht. Leute, das ist Ball paradox. Kreisklasse gegen Champions League. Lasst
das doch.
Gefühlt steht Krefeld heute immer ein wenig im Schatten von Düsseldorf. Dabei haben beide
Städte doch ganz ähnliche Grundstrukturen: Hier wie dort gab es eine große, feudale
Historie. So wurde der Hofgarten in Düsseldorf von Maximilian-Friedrich Weye gestaltet, er
war der königliche Gartenbau-Inspektor. Das ist jetzt aus mehreren Gründen ganz wichtig,
für den Vortrag nämlich, aber auch für mich persönlich. Denn genau derselbe Mann baute in
Krefeld auch das Haus Greiffenhorst, die Schönhausenanlage oder z.B. den wundervollen
Schönwasserpark. Und jetzt kommt’s: Dadurch bekam sein Sohn Joseph-Clemens Weye die
Gelegenheit, circa 1865 ein Großprojekt in Krefeld zu verwirklichen, und zwar für den
Krefelder Bankier Gustav Moulenar: Im Carée zwischen Uerdinger-, Tiergarten-, Kaiser- und
Schönwasserstraße gestaltete er Brachland im Stil eines englischen Landschaftsparks. Das war
damals very chic. Ich habe heute das Privileg, einen kleinen, unter Denkmalschutz stehenden
Teil dieses ehemaligen Parks zu bewohnen, es ist wirklich ein Paradies, bitte kommen Sie
meine Frau und mich einmal besuchen, ein Paradies, das uns Düsseldorf gar nicht bieten
könnte. Später wurde aus diesem Moulenar’schen Anwesen übrigens der Tiergarten, der
Vorläufer des heutigen Zoos. In Krefeld kann es sehr schön sein, sehr, sehr schön sogar.
Also warum steht man dann in Krefeld immer hinten an?
Düsseldorf zahlt 13.3 Mio. Euro Kommunalsoli, Krefeld steht unter Haushaltsvorbehalt. Das
allein besagt schon viel. Deswegen jetzt: Was hat und wie ist Düsseldorf?
Klar, Düsseldorf steht für Schickimicki, hier stellt man den Kragen des rosafarbenen
Polohemdes hoch. Hier hat man die weißen Socken zum Slipper immer noch nicht in die
Altkleidersammlung gegeben, und viele Slipper (ich meine die Schuhe, ja?) tragen noch
immer diese kecken Leder-Bommeln. Hier trägt man die Hosen etwas kürzer, bei P&C sagt
der Verkäufer dazu: Düsseldorfer Länge. Und hier sind die Frauen auch immer ein wenig
greller geschminkt.
Aber Düsseldorf gilt eben auch als das Kleine Paris am Rhein, und auch wenn dieses Zitat
Napoleons nicht verbürgt ist, so schmeichelt es dem Düsseldorfer. Wir haben es ja gerne ein
wenig größer, wichtiger, fetter. Diese Stadt, sie ist dynamisch, aber nicht hektisch. Sie ist
unkompliziert und weltoffen. Großstädtisch aber überschaubar. Eine geglückte Verbindung
von Tradition und Moderne. Hier zahlt man nichts für den Kindergarten, und in Oberkassels
extrem teuren Gründerzeithäusern wohnen mehr Bundesligaprofis als in Mönchengladbach,
Gelsenkirchen und Dortmund zusammen. Wer mal mit Rudi Völler und seiner Frau über den
Tisch hinweg plaudern möchte, muss nur bei Michelangelo am Barbarossa Platz Tagliatelle
essen; dort trifft man Völler jedenfalls häufiger an als in Leverkusen – und kann man es ihm
verübeln?
Mit der Düsseldorfer Kunstakademie ist diese Stadt die Wiege vieler weltbedeutender
Künstler und sogar Kunst-Bewegungen, von Beuys über Lüpertz, Richter und Uecker bis zu
Billa Becher, Nam June Paik, Tony Gregg oder meinem ehemaligen Klassenkameraden
Andreas Gursky, vom Künstlerverein Malkasten bis zur Zero-Bewegung.
Und dann überhaupt die Gründung der ersten nennenswerten Werbeagenturen
Deutschlands. Mein Thema. Ohne einen Charles Wilp (von ihm stammt das Wort:
Dazzledorf, Vorort der Welt), ohne Wilp und seinen Africola Rausch (kennen Sie, ja? „Sexymini-super-flower-pop-op-cola – alles ist in Afri-Cola“), ohne Werner Butter und seine
legendären Volkswagen Kampagnen, ohne die GGK in Düsseldorf hätte es keine Team (also
die spätere BBDO) gegeben, deswegen dann auch keine Scholz & Friends, keine Springer &
Jacoby oder Jung von Matt; Düsseldorf ist die Geburtsstätte von all dem. Düsseldorf ist eine
Kreativ- und Medienstadt. So sind da auch die Menschen: extrovertiert, aufgeschlossen,
hedonistisch.
Oder nehmen wir die Modemacher: Tristano Onofri, Tony & Guy, Uli Knecht, Toni Gard. Ich
bin mit Modellkleidern aufgewachsen (nein, nicht soooo...), die meine Mutter – sie war
Schneiderin, ich erwähnte es vorhin – für Tetis Schmaus genäht hatte und die ich mit dem
Fahrrad, später mit der Kreidler, innerstädtisch auslieferte.
Dann die Architektur, wo soll man anfangen? Vielleicht beim Wilhelm Marx Haus, bis 1925
„das höchste Eisenbetonbauwerk in Europa“. Oder in der Neuzeit bei Helmut Hentrich, dem
gebürtigen Krefelder Architekten, dem der Durchbruch aber erst mit dem Dreischeibenhaus
und seinem Büro Hentrich & Heuser in Düsseldorf gelang (witzig eigentlich in Anbetracht
des heutigen Themas, habe ich mir nicht extra ausgedacht). Ich könnte auch über eine auf
Teflonschienen verschobene Oberkasseler Brücke sprechen (erstmals weltweit ausprobiert
1976) oder über eine geniale Stadtplanung, die wirklich strategisch den Medienhafen plante
und innerhalb von nur 2 Jahrzehnten zu dem brachte, was er heute ist. Mit Architekturen
von Weltklassearchitekten wie Bob Alsop, Fumihimo Maki, Frank O’Gehry, Helmut Jahn,
David Chipperfield oder zuletzt Daniel Liebeskind. Ich selbst arbeite im Düsseldorfer
Medienhafen im preisgekrönten Wolkenbügel, den der Kölner Architekt Norbert Wansleben
2001 fertigstellte (El Lissitzky, 1924, Moskau). (Anmerkung: ein Kölner Architekt in
Düsseldorf wird von einem gebürtigen Düsseldorfer und gewordenen Krefelder lobend
erwähnt – wenn das keine Toleranz ist...).
Düsseldorf, das sind Heinrich Heine und Gustav Gründgens, Kraftwerk, La Düsseldorf und die
Toten Hosen. Nur eine ordentliche Fußballmannschaft, die kriegt Düsseldorf irgendwie nicht
zusammen. Mist auch. Allerdings: Da sieht man wieder die Parallelen zu Krefeld.
Ein Wort zur Gastronomie? Nein, das sparen wir aus. Düsseldorf hat 14 Sterne Restaurants.
Mehr sag ich nicht.
Aber ganz nebenbei: Wissen Sie eigentlich, wieso dieser merkwürdige Düsseldorfer Likör
Killepitsch heißt?
Eigentlich hießen die beiden Gründer-Brüder nämlich Willi und Peter Busch und nicht
irgendwie Kille und Pitsch oder so. Na, also der Name entstand im Zweiten Weltkrieg
in einem Luftschutzbunker im Gespräch zwischen Willi Busch und einem Freund. In
diesem Gespräch, als die Bomben auf die Stadt fielen, sagte der Freund in höchster
Not:
Also, wenn wir das überleben, wenn sie uns nicht killen, dann brauche ich einen Schnaps,
und dann pitschen wir uns einen. Und diesen Schnaps, den kannst Du dann von mir aus
Killepitsch nennen!
Jedenfalls, Sie ahnen es schon, wenn ich morgens nach Düsseldorf rein fahre, dann genieße
ich den Blick von der Rhein-Kniebrücke über das weite Rheinufer auf die gegenüberliegende
Altstadt, den Burg-Turm, den Landtag, einige, wenige Hochhaus-Silhouetten, und dann sehe
ich rechts den Medienhafen. Da fühle ich mich schon sau-wohl.
Allerdings: In Krefeld geht es ja jetzt auch los: Haus der Seidenkultur. Ostwall. P&C. Die
Werkkunstschule. Das Volksbankgebäude. Restaurierung Kaiser-Wilhelm-Museum. Rheinblick
Uerdingen. Lange ist nicht soviel passiert. Wir haben den Zoo (den immerhin hat Düsseldorf
nicht mehr), die KEV-Pinguine, das Textilmuseum, den Gelduba Helm. Kunst und Kultur
haben wir auch, da sind Zangs und Luther, mit Michael Grosse sogar einen AusnahmeIntendanten, um den man uns beneidet (echt jetzt, kein Schmuh). Ein Projekt wie Mies in
Krefeld mit seiner Protagonistin Christiane Lange macht mich schon stolz. Die Häuser Lange
und Esters sowieso.
Wir haben das Musikerviertel. Die vielen Alleen und Plätze, große wie kleine, manche ein
wenig herunter gekommen vielleicht. Da ist Bockum. Die Wälle, wenn sie denn
städteplanerisch in die Neuzeit gebracht würden. Zwei Golfclubs. Linn. Unser Baudezernent
Martin Linne sagt zum Projekt Rheinblick in Uerdingen, die Entwürfe des Architekten Hadi
Teherani seien ein Quantensprung für Krefeld. Recht hat er. Wer hätte so etwas in Krefeld
vermutet? Berappeln wir uns etwa?
Das wäre dringend nötig, obwohl es die Stadt ja eigentlich gar nicht nötig haben sollte. Und
jetzt fühle ich mich wie ein geborener Krefelder. Einwohner einer Stadt, die in den 1910er
Jahren eine der reichsten Städte Deutschlands war. Aufstreben durch religiöse Freiheit seitens
des Oranier Hauses, das der Stadt seine fürstliche Religion nicht auf-oktroyierte. Deswegen
kamen sie alle, die Religionsverfolgten. Und wurden Textilweber und Maschinenbauer,
Pigmentchemiker und Seidenbarone. Und mit ihnen entstand eine großzügige Stadt mit
Stadtgärten und weitläufigen Parks. Die ja alle noch da sind (also die Parks jetzt, nicht die
Seidenbarone). Es müsste uns nur gelingen, einfach etwas zufriedener zu sein. Schwierig, ich
weiß. Bin selber nicht so schnell zufrieden zu stellen, fragen Sie mal meine Leute. Oder noch
besser: meine Kinder oder meine Frau.
Was uns dabei gar nicht hilft, das ist meine feste Überzeugung, ist Mikro-Patriotismus. So
nenne ich das jetzt mal. Copyright auf diesen Begriff: Ulrich Tillmanns. Mikro-Patriotismus.
Darunter verstehe ich das Empfinden, Fischeln zum Beispiel sei wichtiger als Hüls. Oder als
Deutschland. So was Nabel-der-Welt Mäßiges halt. Verstehen Sie? Ich meine, schauen Sie sich
einmal die politischen Dimensionen an:
Ich war in den letzten Monaten in solchen Städten wie Shanghai oder Sao Paolo. In
Shanghai etwa leben 24 Mio. Menschen. Die Stadt wird vertreten von 209 gewählten
Abgeordneten. Eine ganze Menge Abgeordnete, möchte man meinen. Aber würde man das
mit der Abgeordnetenzahl in Krefeld vergleichen, würde einem schwindelig: Die Anzahl der
Ratsmitglieder in Krefeld beträgt 59, in Düsseldorf zum Vergleich 92. Wenn man auf
Shanghai dieselbe Quote wie in Krefeld anlegte, dann käme man dort auf ein Stadtparlament
von 5.900 Abgeordneten; es sind aber, wie gesagt, nur 209.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich halte China noch lange nicht für geläutert. Aber wenn
Sie in Shanghai sind, dann spüren Sie, diese Stadt vibriert, bestimmt ist sie pluralistischer,
weltoffener als Krefeld. Die Menschen verspüren dort keine Einschränkungen. Mit 24 Mio.
Menschen hat man nur ganz andere Probleme zu lösen als bei uns. Da kann es nicht
jahrelang um die neue Abbiegespur am Bockumer Platz gehen, wegen der man dann –
angeblich – eine Wahl verliert. Oder um einen Fußgänger-Hundeausführ-Bypass entlang des
neuen Gorilla Hauses. Hallo? Hört mich einer? Albern, anders kann ich das nicht nennen.
Probleme für eine Gesellschaft, die keine Probleme hat. Ehrlich jetzt mal.
Nein, Krefeld oder Düsseldorf? Wo ist der Unterschied, Hand aufs Herz: Historische Wurzeln?
Identisch, bis hin zur Schlacht bei Worringen. Toleranz Andersgläubigen gegenüber? In
beiden Städten im Übermaß gegeben. Altbier? Ja. Flexibilität hier wie dort: Wenn man den
Einwohnern nicht so viel Geld abknüpfen möchte – damit sie nämlich da bleiben und nicht
wegziehen – befreit man eine ganz Straße schlicht von der Steuer (Ist das jetzt ein Beispiel
aus Krefeld oder aus Düsseldorf? Wer weiß es? – Es ist Düsseldorf, und gemeint ist die
Ratinger Straße – hätte aber gut und gerne auch die St. Anton Straße sein können, oder?).
Noch einmal Düsseldorf, weil es so witzig ist: Zur Verwirrung der preußischen
Besatzertruppen nannte man den Platz, an dem der Burg-Turm steht, Schlossplatz, den
Marktplatz fand man dort, wo das Rathaus steht, der Rathausplatz beherbergte dagegen den
Markt, und an der Stelle des Rathauses, da findet man noch heute eine wunderschöne
Brauerei. So sind sie eben, die Rheinländer.
Ach – ich liebe mein Düsseldorf. Aber wissen Sie, was das schönste an Düsseldorf ist?
Die abendliche Heimfahrt nach Krefeld.

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