Der Liebhaber

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Der Liebhaber
Der Liebhaber
Liebe und Leidenschaft in Französisch-Indochina, Ende der 20er Jahre. Eine Fähre setzt über den Mekong.
Auf .ein Deck ein Mädchen, eine Weiße, dem Bus für Eingeborene entstiegen. Sie trägt ein schlichtes
Kleid, eine Art Sack, zu dem noch weniger als die straßbesetzten Schuhe der rosenholzfarbene Männerhut
passen will. So erregt sie, allein, auf die Reling gestützt, die Aufmerksamkeit eines eleganten Chinesen, der
sie aus dem Fond seiner schwarzen Luxuslimousine beobachtet. Das Mädchen, gerade Fünfzehneinhalb, ist
auf dem Weg in ein zensionat in Saigon. Der Chinese bietet ihr seine Begleitung an und wird sie von nun an
regelmäßig in der Limousine ins Lyzeum fahren. Sehr bald führt er sie auch in sein "Junggesellenzimmer"
in Cholen, dem chhinesischen Viertel der Hauptstadt. Das Mädchen verlangt von ihm nur, "das Übliche" zu
tun. Er tut es wieder und wieder, wie es "sein Beruf zu sein scheint. Allein Helene, die einzige weiße
Mitschülerin aus dem Internat, -eilt ihr Geheimnis. Der Familie in der Provinz -dem geliebten jüngeren wie
dem verhassten älteren Bruder sowie der daseinsmüden Mutter -muss die anstößige Liaison verborgen
bleiben. Der Vater des Chinesen hat den Sohn seit langem einer Chinesin aus wohlhabendem Hause
versprochen. Einem verabredeten letzten Treffen, nach vollzogener Hochzeit, bleibt er fern. Ein riesiger
Ozeandampfer läuft aus, zur Überfahrt nach Frankreich. Das Mädchen mit dem Männerhut, auf die Reling
gestützt, glaubt in einer schwarzen Limousine am Kai ihren chinesischen Liebhaber zu erkennen. Sie weint,
beim Abschied.
So schlicht, wie sich die kurzgefasste Synopsis liest, hat Jean-Jacques Annaud -nach "Der Name der Rose"
von Umberto Eco (fd 25 841)- mit Marguerite Duras' (autobiografischem) Roman "Der Liebhaber" einen
weiteren Bestseller moderner Literatur (miss-)verstanden. Von einer etwaigen "Verfilmung" des kurz nach
Erscheinen 1984 mit dem "Prix Concourt" ausgezeichneten Werkes kann keine Rede sein. Der "nach dem
Roman von Marguerite Duras" entstandene Film -wie Annaud vorsichtig und in strikter Abkehr von Duras'
eigener, nach Drehbeginn veröffentlichter Kino-Adaption "L'Amant de la Chine du Nord" (1991) formuliert
hat mit der meisterlichen terarischen Vorlage weit weniger gemein, als der beiden gemeinsame Titel nahe
legt. Der Bezug zu Duras' Werk `ordert einen Vergleich heraus, dem Annauds konventionell erzählter Film
nicht gewachsen sein kann und ist andererseits zugleich doch auch der Rettungsanker vor völliger
Belanglosigkeit. Ein Zwiespalt, den Annaud nicht anders zu überbrücken wusste, als breite Textpassagen
aus dem Roman kommentierend über die filmisch -pulente Illustration zu legen. Eine Doppelung, die das
beschworene Mysterium des Geschehens "wörtlich" bzw. filmisch" banalisiert. Wenn beispielsweise in
einer Szene von Walzerklängen die Rede ist, kommen diese zunächst zu Gehör, und wenig später sieht man
einen Pianisten leibhaftig in die Tasten greifen. Annaud schwelgt n "großen" Gefühlen, am Rande einer
exotischen Groschenromanze. Das psychologische Umfeld einer "amour `ou" (Abkunft, Geschlecht, Alter,
Tod) wird in einen fotogenen Bilderbogen von hohem ästhetischem Schauwert eingepasst. Bei der ersten
Berührung der lasziv Liebenden setzen romantische Klänge ein, während Wasserbüffel m Abendschein
durchs Reisfeld ziehen. Ein enormer Aufwand an Kunstfertigkeit, der akribisch jedes Detail aus der
spannungsvollen Verschachtelung löst und über- und durchschaubar ordnet, erdrückt die "Geschichte des
Ruins und des Todes, die die Geschichte dieser Familie immer schon war" (M. Duras). Ein einziges Mal
scheint die Intensität der sinnlichen Erfahrung auf, wenn die Körper des Paares bei der Vereinigung -in
Makro-Aufnahme-innig verschmelzen.
Roland Rust

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