Urlaub auf Malle

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Urlaub auf Malle
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Eine Woche Spanien
E-Book Version 4 - August 2012
Umschlaggestaltung: Steffi
Infos unter: www.schnickschnackblues.de
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Viel Ruhe in Cala Ratjada wünschen sich der schon etwas in die Jahre
gekommene Autor Dieter und seine junge Freundin, als die beiden eine
Flugpauschalreise nach Mallorca buchen. Eine wild gewordene Horde
von tschechischen Cellisten verwüstet jedoch dort die Hotelzimmer, das
bedeutet Arbeit für Sarah Sackmann. Die sexy Reiseleiterin kümmert sich
auf eine ganz reizende Art und Weise um das Wohl ihrer Feriengäste.
Allerdings mehr um das der männlichen ...
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„Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will
ein Wesen schaffen, das ihm hilft und das zu ihm passt.“
Gedanken eines Künstlers, die in die Tat umgesetzt wurden
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Vorwort:
Nicht jeder, der Deutsch spricht, kommt aus Deutschland, wie auch nicht
jeder Amerikaner in den USA geboren wurde. Bruce Willis ist in
Deutschland geboren. Sandra Bullock kam in Arlington, Virginia, als
Tochter einer deutschen Opernsängerin zur Welt. Sie lebte später eine
Zeit lang in Deutschland sowie in Österreich. Dieses kleine Land gehörte
mal so gut wie zu Deutschland. Das war zu der Zeit, als wir Deutschen
noch eroberungslustig waren und bereits mehr als 60 Jahre vor der
Einführung des Euro für eine einheitliche europäische Währung sorgen
wollten, koste es, was es wolle.
Österreich, das Land der Berge und Täler. Früher wurde dort mit dem
Alpendollar, dem Schilling, bezahlt. Doch leider nahm der Euro dem
Österreicher dieses letzte Stück Nationalstolz weg. Und aus diesem Land
kam auch dieser größenwahnsinnige Terminator, dieser Zerstörer, her, der
die Welt erobern wollte. Das lag meines Erachtens an seinem gigantischen Minderwertigkeitskomplex, das sagt der Psychiater in mir.
Mit Terminator meine ich nicht Arnold Schwarzenegger, sondern Adolf
Hitler. Schwarzenegger hat lediglich die Kinoleinwände erobert und nun
jobbt er in Kalifornien als Gouverneur und ruft den Notstand aus, weil es
dort laufend anfängt zu brennen. Womöglich hat er die Brände selber
gelegt, damit ihm sein Image als Bösewicht nicht verloren geht. Liebe
Neonazis, Hitler war Ausländer und kam in Österreich zur Welt. Deshalb
gelten für den deutschen Otto-Normalverbraucher alle Männer aus
Österreich als gefährlich und wir sind froh, dass der Arnold sich nach den
Staaten verpisst hat. Anders verhält es sich bei den österreichischen
Frauen, die sind sehr beliebt bei uns in Deutschland. Dazu gehören das
Wiener Freudenmädchen Josefine Mutzenbacher und die Kaiserin Sissi,
gibt´s alles auf DVD. Männer schauen bevorzugt die Josefine, Frauen
mehr die Sissi. Bei dieser kitschigen Romantik greifen die Damen oft zu
einem Taschentuch, um sich die Tränen abzuwischen. Warum Männer bei
der Josefine zum Taschentuch greifen, hat einen anderen Grund.
Übrigens, Sissi, oder Sisi, war kein richtiger Vorname, sondern die
Kaiserin hieß Elisabeth und streng genommen ist sie in München geboren
worden. München kennt jeder, denn hier solidarisieren sich die
Alkoholiker dieser Welt im Hofbräuhaus oder beim Oktoberfest.
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Dass Nachbar Österreicher dazu neigt, Dinge in Brand zu stecken, hatte
schon Niki Lauda 1976 eindrucksvoll in der Eifel bewiesen. Zum Glück
ist er mit einem blauen Auge und einem verbrannten Öhrchen davon
gekommen. Es hätte schlimmer enden können, dann läge der gute Niki
nun bereits in einem von Enzo Ferrari gesponserten Holzpyjama, so nennt
der Österreicher liebevoll den Totensarg. Tja, der Österreicher hat halt
den Humor. Für die deutsche Frau mit Sinn für Humor ist nach der
Geburt von Mario Barth und dem Tod von Heinz Erhardt das herzhafte
Lachen doch schon lange vergangen.
Was den Krieg betrifft, so haben wir Deutschen uns gebessert und wollen
nichts mehr davon wissen. Denn wer zwei Mal hintereinander heftig
einen verloren hat, der hat keine Lust mehr darauf. Trotzdem ist es uns
nach dem Untergang des Dritten Reiches gelungen, auch ohne
militärische Invasion einen Fleck auf der Landkarte zu besetzen, wo
mittlerweile alles deutsch geworden ist und wo man nicht lange nach
Weißbier, Schweinshaxe und Sauerkraut suchen muss, weil es dies alles
an jeder Ecke gibt. Diesen Fleck findet man im Mittelmeer, ich spreche
von der Insel Mallorca. Der Führer hätte besser mal in die Touristikbranche investieren sollen, anstatt in die Rüstungsindustrie, um seinen
Traum vom Großdeutschen Reich zu verwirklichen. Durch den
Massentourismus wurde der Spanier zur Minderheit auf der Insel
gemacht. Der sprachliche und kulturelle Identitätsverlust begünstigte die
Verbreitung des deutschen Lebensstils.
Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Wundern Sie sich bitte
nicht, wenn Sie bislang nur Schlechtes von mir gelesen haben. Elvira
Frankenheim ist für einen Schriftsteller ungefähr das gleiche wie das
Pseudonym Alan Smithee für einen Filmregisseur, der seinen richtigen
Namen nicht mit dem Werk in Verbindung bringen möchte. Deshalb
erwarten Sie von meinen Texten bitte nicht etwas in Richtung Goethe
oder Schiller, nein, erwarten Sie alles, bloß kein Niveau! Denn ich
orientiere mich eher an Charles Bukowski, und Hank kam bekanntlich in
einer kleinen deutschen Stadt am linken Ufer des Rheins zur Welt. Und
außerdem, wenn Sie mit dieser Geschichte nichts anfangen können, geben
Sie dieser unlustigen Ziege von Lektorin die Schuld, die hat die besten
Stellen streichen lassen. Eines muss ich der Frau Lektorin aber lassen,
wenn sie behauptet: Satire ist im Grunde eine ziemlich ernste
Angelegenheit. Und damit hat sie recht.
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Haben Sie die Bibel gelesen und den Stoff verinnerlicht? Das ist nämlich
auch eine sehr, sehr ernste Angelegenheit. Denn es gibt nur zwei
Möglichkeiten, wo Sie am Ende aller Dinge landen werden; im Himmel
oder in der Hölle. Lektüre, die nicht in Einklang mit der Heiligen Schrift
steht, ist äußert ungesund für den Menschen. Glauben Sie mir! Das
Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden, darauf kommt es an.
Also nicht auf den Schreibstil der Bibel, sondern auf ihre Botschaft. Gott
ist gut, aber der Mensch ist böse. Zuerst war die Sünde, und dann erst
kamen die Probleme für den Menschen. Jesus Christus hat uns durch sein
Blut von unseren Sünden erlöst. Jesus Christus, der Herrscher über die
gesamte Schöpfung, das Alpha und das Omega. Glauben Sie mir! Alpha
ist der erste Buchstabe des griechischen ABC´s, Omega der letzte.
Elvira Frankenheim
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Düsseldorf, 5. Mai 2009 - 3.55 Uhr
Jesus Christus, der ist vom Teufel besessen! Mit 95 Sachen durch die
geschlossene Ortschaft. Zum Glück hab ich meinen Personalausweis
gerade in meiner Handtasche gefunden, denn vor zehn Sekunden wollte
ich noch „Kehren Sie um!“, zum neuen Michael Schumacher schreien.
Unser in Anatolien geborener Taxifahrer stinkt zu allem Übel noch heftig
nach Rasierwasser von Atatürk, das mit Knoblauch. Na fabelhaft! Dieter
sitzt vorne und döst ´ne Runde. Es ist kurz vor vier morgens. Zu dieser
unchristlichen Zeit zwitschert weder Nachtigall noch Lerche, nur einige
wenige Mädels werden noch am Zwitschern sein. Beim Vögeln mit ihrem
Lover oder mit ihrem rechtmäßigen Ehemann. „Wenn du verheiratet bist,
dann wird weniger gevögelt, dafür um so mehr gezankt“, warnt mich
meine ältere Schwester immer.
Ja, meine Schwester. Die hatte sich rührend um mich gekümmert,
nachdem unsere Mutter an einer heimtückischen Krankheit gestorben
war, das kam alles sehr unerwartet für uns. Ich war damals acht, sie
vierzehn. Es war ein schwerer Schock für uns alle gewesen, besonders
mein Vater litt schwer darunter. Für ihn gab es in dieser Krise keinen
Sinn des Lebens. Er trank in einem Monat mehr Alkohol als Charles
Bukowski in seinem ganzen Leben und verlor dadurch seinen Job. Zwei
Jahre nach dem Tod meiner Mutter mussten wir unsere alte Wohnung
verlassen und zogen in eine preiswertere mitten in einer Betonsiedlung.
Die Menschen dort waren verstrickt in vielerlei Süchte und kämpften mit
den Zigaretten, dem Alkohol, den Drogen, mit der Spielsucht und der
Unzucht. Dieses Milieu hatte meine Schwester geprägt. Die war nun wie
eine Mutter zu mir. Als sich bei mir die Brüste entwickelten und ich
langsam zu einer Frau wurde, warnte sie mich vor dem Rauchen, dem
Alkohol und vor Jungs. All die Dinge, für die sie in ihrer Teenagerphase
berüchtigt gewesen ist.
Was Jungs betrifft, so war meine Schwester mal ganz kurz mit einem
kleinen Ganoven zusammen, den sie alle nur Desaster Detlef nannten,
weil er eine Koryphäe in Sachen Unglück war. Alle krummen Dinger, die
er versuchte, gingen schief. Detlefs Wortschatz war nicht sehr groß, er
beinhaltete gerade mal knapp fünfzig Wörtern, wobei ein Drittel davon
umgangssprachliche Verben für den Geschlechtsakt waren. Darüber
hinaus bestanden seine Sätze meist nie mehr als aus zwei Wörtern, wie
zum Beispiel: Ein Bier in der Kneipe, Zwei Brötchen beim Bäcker oder
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Drei Hamburger bei McDonalds. Da er dauernd pleite war, sagte er
immer Nächste Woche zu seinem Vermieter, Hände hoch im Laden an
der Ecke und Nicht schuldig vor Gericht. Desaster Detlef hab ich
übrigens nie persönlich kennen gelernt, nur seine Storys sind mir wohl
bekannt. Schon damals war er eine lebende Legende, seine Grammatik
genauso lückenhaft ist wie sein Gebiss.
Ja, meine Schwester. Mein Freund passt nun auf mich auf. Wir beide
fahren in Urlaub, um endlich mal eine ganze Woche etwas Gemeinsames
zu erleben, weil wir noch nie das Glück hatten, länger als ein
Wochenende zusammen zu verbringen. Außerdem haben wir letzte Nacht
in der Kiste dermaßen vorgelegt, dass ich mich davon sieben Tage richtig
gut erholen muss. Dieter ist ein prima Lover. Als er mir an seinem
Geburtstag zum ersten Mal den Slip heruntergerissen hat, vor drei
Monaten war das, dachte ich, jetzt kommt die schnellste Nummer deines
Lebens. Hier wurde ich eines Besseren belehrte. Bereits sein Vorspiel war
so prickelnd, wie ich es vorher nie im Bett erlebt hatte. Weder Potenznoch Prostataprobleme scheinen ihm Schwierigkeiten zu bereiten, bei
Männern um die Fünfzig sicher eine Seltenheit. Aber Erfahrungen mit
Liebhaber, die doppelt so alt sind wie ich, hatte ich bisher noch nicht
gesammelt. Bei Dieter zeigen sich erste graue Haare, die verstärken
angeblich den Charakter. Mein Vater lässt immer einen weisen Spruch
vom Stapel: Der wahre Charakter eines Menschen zeigt sich erst, wenn
jemand auf die Probe gestellt wird.
Der Taxifahrer fragt mich, ob ich Musik aus seiner Heimat hören möchte.
Unüberlegt sage ich zu. Das Gedudel ist schrecklich, dazu singt der noch,
zumindest versucht er es, diese Nervensäge. Mein Schatz zeigt sich
wieder als die Ruhe in Person und döst unbeeindruckt weiter. Als das
Lied zu Ende ist, verrät mir der chaotische Karaoke-Amateur, seinem
Schwager gehört die Imbissstube Istanbul, dort gibt es den besten Döner
Kebab in der ganzen Düsseldorfer Altstadt. Den Spruch hat er aus
amerikanischen Spielfilmen geklaut, allerdings geht´s da immer um die
besten Hamburger in der ganzen Stadt, auch wenn es sich nur um ein
verschlafenes Provinznest handelt, häufig im texanisch-mexikanischen
Grenzgebiet. Der Fremde, der das Restaurant betritt, jagt entweder einen
entflohenen Sträfling, ein Alien oder ist einem Umweltskandal auf der
Spur. Oder er ist der entflohene Sträfling.
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Unser Chauffeur wechselt in einem Tunnel auf die linke Spur, weil er ein
Überholmanöver startet. Bei seinem Schwager werde ich wohl kaum
einen Happen essen, ich ziehe Sushi als auch Gerichte mit Curry vor. Wer
kann schon sicher sagen, dass seine Speisen die besten sind? Was mich
bei der Ratesendung Wer wird Millionär? mit Quizmaster Günther Jauch
immer zum Schmunzeln bringt, ist Günthers folgende Frage: Zu wie viel
Prozent sind Sie sich sicher?
Ha! Entweder bin ich mir sicher oder nicht! Dazwischen liegt bei mir
nichts. Oder doch? Ein bisschen schwanger gibt´s auch nicht, oder? Wenn
jemandem alle vier Antworten spanisch vorkommen, und er entscheidet
sich für eine, dann müsste er sich im Grunde genommen zu 25 Prozent
sicher sein. Ich weiß nicht, wie die alle auf ihre 10, 20, 30 Prozent und so
kommen, keine Ahnung. Na ja, Mathematik war, im Gegensatz zu
shoppen gehen und Mangas zeichnen, noch nie so richtig mein Ding. Das
Leben ist ganz schön kompliziert, und mit binomischen Formeln wird´s
einfach noch komplizierter, findet ihr nicht? Die Menschen wissen heute
immer mehr, aber die Probleme dieser Welt sind dadurch nicht weniger
geworden.
Wir sind am Terminal angekommen. Dieter darf den Taxifahrer bezahlen.
Vor acht Jahren ist mein Vater mal nach Venedig geflogen, in einem
Billigflieger. Die anschließenden dreizehn Meilen Taxifahrt zur Stadt war
teurer als der Hin- und Rückflug zusammen. Dieter muss die 35 Euro
Taxifahrt bezahlen, weil wir gestern Abend darum geknobelt haben und
einer kann dabei nur gewinnen. Pech für ihn, Glück für mich! Für das
gesparte Geld kauf ich mir im Urlaub was Heißes zum Anziehen, geil!!!
Hand aufs Herz, wir Frauen haben doch alle diesen Klamotten-Tick. Und
alles Haben-Wollen wäre noch besser. Na ja, warum nicht gleich ein
kleines Häuschen im Grünen mit Garten und Obstbäumen, ich will
Kirschen.
Habsucht hin, Habsucht her. Aber wer träumt nicht davon? Dieter ist es
übrigens egal, wie viel ich für Kleidung ausgebe, mein Modebewusstsein
wäre ganz nett, er schätzt meinen tollen Geschmack. Mein Vater hat, als
ich noch jünger war, oft geschimpft, wenn ich mein ganzes Geld für
Klamotten verjubelt hatte. Er hielt nix von meinem Modebewusstsein.
Die Menschen sollten besser mal ein Gottesbewusstsein entwickeln und
warnte andauernd vor der Habsucht. Mein Vater ist Christ geworden,
nachdem er seine Krise nach dem Tod meiner Mutter überwunden hatte.
Und der Glaube an Jesus Christus hat ihn vollkommen verändert,
natürlich nur zum Positiven. Er konnte in seinem Beruf wieder Fuß fassen
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und ist nun ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Geld für Alkohol gibt
mein Vater keins mehr aus, stattdessen unterstützt er finanziell Projekte
für hilfsbedürftige Menschen. Es macht ihm Spaß, anderen zu helfen.
Mein Vater ist Christ und seiner Ansicht nach stinkt es in vielen Kirchen
gewaltig nach religiöser Heuchelei. Da finden sich zum Beispiel Menschen, die das Wort Gottes lesen, hören, predigen, aber es nicht befolgen
und somit keinen Nutzen daraus ziehen. Warum jammert ein Christ?
Warum suhlt ein Christ sich in Selbstmitleid? Entscheidend ist, wie ein
Gottesdienstbesucher sich verhält, wenn er nicht gerade in der Kirche ist.
Ein richtiger Christ genießt sein Leben, egal, wo er sich aufhält. Solche
Menschen sind voller Freude und das ist ein Zeichen, dass der lebendige
Gott Jesus Christus in ihm wohnt, sagt mein Vater immer. Ähnlich
verhält es sich bei Karnevalsjecken. Zur Saison sind sie auf Kommando
lustig, aber den Rest des Jahres können es ziemlich ungemütliche
Zeitgenossen sein.
Mit dem türkischen Rasierwasser wird unser Fahrer keine Frauen
anziehen können, aber vielleicht ist das gerade der Sinn. Schnell raus aus
dem Wagen, der Geruch ist schon ein wenig penetrant, und erst mal
einchecken und so. Das kann dauern. „Hoffentlich zeigen die im Flieger
nicht wieder die Mr Bean Folge beim Zahnarzt“, sagt mein Schatz zu mir,
als wir uns am AIRBERLIN Schalter anstellen. Mit dieser Gesellschaft ist
Dieter schon des Öfteren nach Mallorca geflogen. Und mit meinem
Dentisten hatte ich lange kein Rendezvous mehr, fällt mir dazu ein. Ich
sollte ihm nach meinem Urlaub einen Besuch abstatten. Von einer
solchen netten Kapazität von Doktor, der dazu noch atemberaubend
aussieht, lasse ich mir jedes Mal mit Freude die virtuose Anwendung von
Zahnseide beibringen. Haare auf den Zähnen hab ich keine, aber dafür
Dieter um so mehr. Eigentlich ist der in vieler Hinsicht das genaue
Gegenteil von mir, schon optisch. Wenn ich mir die richtigen Klamotten
anziehe, dann sehe ich dermaßen scharf aus, das sollte einen Novizen, der
in einen Orden eintreten möchte, dazu veranlassen, diesen Schritt neu zu
überdenken.
Nun gut, Eitelkeit hin, Eitelkeit her, wir Mädels machen uns doch gerne
für Männer schick. Wir Mädels wollen doch gerne im Mittelpunkt stehen,
oder nicht? Wir Mädels genießen es doch, wenn sich alles nur um uns
dreht.
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Was die Optik betrifft, so könnte Dieter hingegen keinen Blumentopf bei
einem Schönheitswettbewerb gewinnen. Und wer auf wortkarge und
mürrisch dreinschauende Typen steht, der sollte sich meinen Schatz mal
morgens vor seiner dritten Tasse Kaffee ansehen. Nun gut, jedoch war
The Beauty and the Beast schon immer ein Klassiker gewesen. Dieter
meint, die beste Waffe eines Mannes ist die Attraktivität seiner Frau.
Mein Vater macht mich heute noch darauf aufmerksam, dass meine
Schönheit vergänglich ist, nur eine gottesfürchtige Frau erhält ihren Lohn.
Akustisch wiederum ist mein Romeo wesentlich auffälliger als ich es bin,
aber es gibt auch Ausnahmen. Morgens vor der dritten Tasse Kaffee und
beim Sex, da werde ich recht laut. Oder wenn ich auf der Theaterbühne
stehe. Das ist ebenfalls mein Ding - Theater spielen!
Dieter wohnt in einer Stadt am Rhein, wo sich triumphale Siege der
Handballmannschaft und Störfälle eines bekannten Chemiewerkes in
etwa die Waage halten. Sie kommen, zum Glück oder leider, selten vor.
Bekannt wurde diese Stadt Mitte der Neunziger Jahre, als irgend so ein
Komiker an einem Badesee sein Krokodil verloren hatte, was damals
bundesweit für Schlagzeilen sorgte.
Ich kenne Dieter seit fünf Jahren. Er suchte übers Web eine Zeichnerin
und fand mich. Zufall? Schicksal? Göttliche Fügung? Gott hat überall
seine Finger mit im Spiel, belehrt mich mein Vater heute noch. Das
könnte man auch Schicksal nennen, Zufall ist nichts anderes als ein
Synonym für den Allmächtigen.
Die ersten vier Jahre kommunizierten Dieter und ich ausschließlich übers
Internet und Telefon. Auf der Arbeitsebene haben wir uns von Anfang an
gut verstanden. Für seine verrückten Bücher durfte ich die Coverfiguren
zeichnen. Seine Ideen grafisch umzusetzen, bereitete mir viel Spaß und
gab mir Bestätigung, denn Dieter war äußerst zufrieden mit meiner
Arbeit. Wir ergänzten uns, und so ist das auch geblieben. Apropos
verrückt. Dazu fällt mir ein interessanter Spruch von Dieter ein, der wie
folgt lautet: Die höchste Form des Glückes ist ein Leben mit einem
gewissen Grad an Verrücktheit. Ziemlich krass was, oder? Von einigen
Ticks abgesehen, halte ich mich für relativ normal.
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Letztes Jahr im Juli hatte Dieter etwas in Osnabrück zu erledigen und wir
nutzen diese Chance, um uns endlich mal in die Äuglein zu schauen. Bei
diesem ersten Treffen in einem Restaurant zog er mich sofort magisch an.
Zur Begrüßung wurde ich überhäuft mit Komplimenten, die charmant,
witzig und einfallsreich waren. Ich kam auf meine Kosten, er kam auf
seine Kosten. Sein Selbstbewusstsein gab mir Sicherheit, ich fühlte mich
in seiner Anwesenheit geborgen, er wurde mir sympathisch. Wir respektierten uns. Ach ja, bevor ich´s vergess. Später gingen wir noch in eine
Disco, wo wir auf Freunde von mir trafen. Dieter gab zu dröhnender
Punkmusik auf der Tanzfläche einen Pogo zum Besten, knickte dabei
aber blöde mit dem Fuß um. Eine Freundin von mir fuhr ihn dann
netterweise mit ihrem Auto in sein Hotel. Mitte Oktober trafen wir uns
zum zweiten Mal, wieder kam er nach Osnabrück. Beim dritten Treffen
an seinem Geburtstag bei ihm zu Hause war es endlich an der Zeit, unsere
Beziehung zu vertiefen. Wir stellten fest, dass wir beide unterhalb der
Gürtellinie fantastisch zusammenpassen.
Die Schlange vor der Fluggastkontrolle ist nicht lang. Dieter legt sein
Handgepäck zum Durchleuchten in eine Kunststoffschale. Alles, was ich
in Verbindung mit Metall bringe, kommt zunächst in meine DesignerHandtasche. Die kleine Uhr, die Halskette und das Goldene Blatt. Das
Täschchen tue ich in die Schale und schiebe diese aufs Fließband. Mit
beiden Händen hält Dieter sich die Ohren zu, so spaziert der vor mir
durch den türlosen Rahmen. Ein akustisches Signal ertönt keins. Ich folge
ihm und hoffe, die Metalldetektoren sprechen nicht auf mein
Bauchnabelpiercing an, an das ich nicht mehr gedacht habe. Sie tun es
zum Glück nicht. Dieter nimmt mich in Empfang und legt seinen rechten
Arm um meine Schulter. „Alles Okay?“, will er komischerweise nicht
von mir, sondern vom Sicherheitsbeamten wissen, der nur wortlos nickt.
„Wie ist ihr Name Soldat?“ lautet seine nächste Frage. Aber zum Glück
hat Dieter vorher seinen Kopf zu mir gedreht, damit es den Anschein hat,
er würde mit mir reden. Nach einem Schmatzer auf meine Wange nimmt
er seinen Arm weg von mir. Ich bin wieder frei und hole rasch Emporio
Armani vom Röntgen ab.
Der Beamte wird den Spruch mit dem Soldaten nicht mitgekriegt haben,
denn der reagiert gar nicht darauf. Unüberhörbar ist jedoch ein Scheich,
der beschallt mit seinem Handygespräch die Halle. Der wird sicher
Richtung Mekka fliegen. Neben ihm steht ein voll in schwarzen Stoff
gehülltes Wesen - seine Gattin? Die Stimme des Scheichs wird immer
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lauter, immer aggressiver. Entweder schimpft er mit seinem Vater, einem
seiner sechs Brüder, seiner Schwester, seinem Schwager oder mit einer
seiner 33 Schwägerinnen. In und um Mekka herum werden die Ehen noch
arrangiert, und so kann er sich zumindest bei seinen Eltern beschweren,
wenn das Weib Ärger macht. Oder er heiratet noch ein paar Frauen dazu.
Konkurrenz belebt das Eheleben.
Im Handyterror des Wartebereiches suchen wir uns flink ein ruhiges
Plätzchen. Ich pack dort meine Zeitschrift aus, während Dieter sich um
Kaffee kümmert. Als er mit zwei Bechern zurückkommt, wundert er sich.
„Seit wann liest du das Goldene Blatt, Zaubermaus?“ Die hab ich mir
gekauft, weil ein Artikel über Bruce Willis drin steht, deshalb! „Die hat
mir meine Oma vererbt“, scherze ich. Mein Lover ist neugierig geworden.
„Eine bessere Ausrede fällt dir nicht ein?“ „Na gut, um ehrlich zu sein.
Ich hab sie mir nur gekauft, weil ... weil die was über Lady Gaga ... Lady
Di geschrieben haben“, lüge ich und laufe immer mehr im Gesicht rot an.
Aber eine Frau muss ihre Geheimnisse hüten, so bleibt sie ewig
interessant für den Mann. „Ich schreib bald einen Artikel über die
Seitensprünge prominenter Reitlehrer in königlichen Reitställen“, spricht
mein geliebter Autor und grinst mich an. Wer die Geschichte um Lady Di
kennt, weiß, wie desillusionierend dies alles für die Leser der Regenbogenpresse gewesen sein muss. Erst Traumhochzeit, dann Scheidung
und ganz am Schluss ein mysteriöser Tod. Ist die heile Welt nur eine
Illusion?
Als der Flug nach Palma aufgerufen wird, springt Dieter auf, packt
zärtlich mein rechtes Händchen und zieht mich mit den Worten „Du bist
meine Zaubermaus, mein Ein und Alles“ sanft aus dem Sitz. Wie höflich,
wie zuvorkommend. Gähnend stakse ich Händchen haltend mit meinem
Kavalier zum Boarding-Gate. Zehn Minuten später sitze ich im Flugzeug
auf dem Fensterplatz 12 F. Zu meiner rechten befindet sich das Bordfenster, zu meiner linken ein toller und erfahrener Mann.
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5. Mai 2009 - 5.30 Uhr
Neben meinem Süßen pflanzt sich einer mit längeren, ungepflegten
Haaren. Dieser schmächtige Typ trägt ein schwarzes T-Shirt über seinen
Jeans und ich schätze ihn auf Anfang dreißig. Dieter dreht sich zu mir
und flüstert mir ins Ohr: „Boah, der Freak duftet voll nach Bukarester
Bahnhofstoilette, riechst du das auch?“ „Zum Glück noch nicht“, und ich
ziehe ein paar Mal mein Näschen hoch. Wo liegt noch mal Bukarest? Ist
das nicht die Hauptstadt von Bulgarien? Nein, die hieß doch Budapest,
oder?
Jetzt riecht es doch ein wenig merkwürdig. Dieter wird von seinem
Nebenmann angesprochen, der wohl in den letzten drei Tagen kein
Rendezvous weder mit einer Dusche noch mit ´nem Rasierapparat gehabt
haben wird. „Wo fliegt denn der Vater mit seiner Tochter denn hin?“
werden wir gefragt. „New York? - Rio? - Tokio?” Der Bursche grinst und
zeigt dabei sein Gebiss, welches in den letzten 30 Jahren kein Date mit
einer Zahnbürste gehabt haben wird. Gegen meine makellosen Zähnchen
sind seine das reinste Kariesimperium. Dieter schaut mich verwundert an.
Ohne eine verbale Reaktion von uns abzuwarten, stellt er, schneller als
ein Politiker lügen kann, plötzlich eine neue Frage. „Soll ich euch mal
einen Witz erzählen?“, fragt der Typ nun und fängt schon wieder sofort
an. „Hab ich mal in Italien gehört. Hört zu, ein Pastor und ein rabiater
Busfahrer, der für seine waghalsigen Fahrstil bekannt war, stehen nach
ihrem Tod vor der Himmelstür. Da sagt Petrus zum Pastor. „Tut mir leid,
du kommst ich nicht rein, aber Enzo darf rein.“ Der Geistliche ist empört
und fragt nach dem Grund. „Tja, lieber Herr Pastor, bei deiner Messe, da
haben alle nur geschlafen, aber bei Enzo im Bus, da waren alle am
Beten.“ Ich muss schmunzeln, der Stinker ist nicht gerade unwitzig. „Ich
bin übrigens Karl-Heinz“, stellt sich der Pausenclown uns vor. „Ihr könnt
auch Kalle zu mir sagen.“ Wir verraten ihm darauf unsere Vornamen. Mit
Kalle nach Malle, das passt ja irgendwie!
Alle Passagiere sind jetzt an Bord und eine Stewardess, die was
Besonderes sein muss, gibt uns die Sicherheitsbelehrung. Die was
Besonderes sein muss heißt Marina und spricht mit einem osteuropäischen Akzent. Karl-Heinz meint zu uns: „Wisst ihr, wie die sich
anhört? Wie Teresa Orlowski. Ihr wisst, wen ich meine?“ „Wer war das
noch mal?“ frag ich und hab wirklich keine Ahnung. „Eine ehemalige
Porno-Produzentin, die war auch Darstellerin“, antwortet Dieter. „Hey
super. Du bist wirklich voll der Checker“, stellt Karl-Heinz mit Begeist15
erung fest und witzelt weiter: „Wenn diese Queen of Hardcore an Bord
wäre, würde die sicher sagen: Die Gummipuppen befinden sich unter dem
Sitz. Blasen sie diese bitte erst nach dem Verlassen des Flugzeuges auf.
Zur Stimulation zeigen wir ihnen heute einen erotischen Film aus meinem
Programm. Bei Potenzproblemen servieren wir ihnen die Getränke auf
Wunsch mit Viagra. Es wird dann der Moment folgen, wo man zollfrei
das neue Rasierwasser von Lindsay Lohan kaufen kann.“ „Seit wann
brauchen Frauen Rasierwasser?“, will Dieter wissen und ich bin neugierig
auf Karl-Heinz Antwort. „Nach der Intimrasur, natürlich.“ „Ja, komm
jetzt, ist gut“, unterbricht Dieter ihn und fängt an zu grinsen. „Welchen
Ort machst du denn auf der Insel unsicher?“ „Weiß ich selber noch nicht,
ich hab ´ne Roulette-Reise gebucht. Und ihr?“ „Cala Ratjada ...“
Der Kapitän stellt sich vor und gibt die Flugzeit mit einer Stunde und
fünfundfünfzig Minuten bekannt. Das sagen die jedes Mal immer so
sicher, als ob nichts passieren könnte. Angenommen, wenn ein total
durchgeknallter Günther Jauch mit einer Handgranate in den Fingern und
dem Koran unterm Arm sich auf diese Weise Zugang zum Cockpit
verschaffen würde, dann wäre ich aufs Äußerste gespannt, ob wir
überhaupt irgendwo sicher landen würden.
5. Mai 2009 - 6.30 Uhr
Wir sind bereits etwas über eine Viertelstunde in der Luft. „Auf der
rechten Seite befindet sich Paris“, teilt uns der Flugkapitän mit. Ich seh
nur eine Decke aus Wolken, selbst die Spitze des Eiffelturmes ist nicht zu
erkennen. Für eine Million Euro wäre die Frage nach der Höhe des
Turmes ein wenig zu einfach. Das exakte Gewicht zu erraten hingegen
wäre wesentlich schwieriger. Das interessiert uns Frauen sowieso mehr,
das Gewicht. Insbesondere Kitty, meine beste und leicht übergewichtige
Freundin, die am liebsten zwischen den Mahlzeiten isst. Kitty verfeinert
all ihre Lieblingsspeisen mit Schokoladensoße. Meine Güte, und
quatschen kann die ohne Ende. Das mollige Plappermaul heißt richtig
eigentlich Michaela Kittner. Sie hat ihren Kosenamen also ihrem
Familiennamen zu verdanken. Wir kennen uns seit ungefähr drei Jahren
durch die Theatergruppe. Kitty steht nicht nur auf der Bühne, sondern
souffliert manchmal auch. Sie hatte vor drei Tagen ihren 24. Geburtstag
und ist durch ein großzügiges Geldgeschenk ihrer Mutter nun jederzeit in
der Lage, sich eine Last-Minute-Pauschalflugreise zu gönnen. Sie wird
mich sofort ansimsen, sobald sie etwas festgemacht hat. Sollte sie
ebenfalls nach Mallorca fliegen, könnte ich mich mit ihr treffen. Dieter
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hat Kitty einmal kennen gelernt, und zwar an diesem Abend in der Disco,
wo er sich den Fuß verknackst hatte. Ich glaub Kitty war´s sogar, die den
Verletzten sicher zum Hotel chauffiert hat.
Ist Frankreich größer als Deutschland, Herr Jauch? Wir sollten den
Franzosen das Saarland zurückgeben. Dafür bekommen die Spanier den
französischen Teil des Baskenlands, das dann endlich komplett ist und
unabhängig wird. Spanien ist den ETA-Terror los, das Volk atmet auf und
wir erhalten dafür als Dank Mallorca als neues deutsches Bundesland.
Erster Ministerpräsident auf der Sonneninsel wird dann keinesfalls
Müntefering oder Gysi, sondern Bodo Ballermann.
Karl-Heinz bewertet das von Marina servierte kalte Putenbrust-Sandwich
mit vier Spucktüten. Dafür lobt er die hübsche Visage sowie die Oberweite der Stewardess. Diese Lutschglocken, so Karl-Heinz, wären das
genaue Gegenteil einer Hühnerbrust. Karl-Heinz erzählt uns, wo er
herkommt. Aus Gelsenkirchen. Karl-Heinz erzählt uns, wo sein Lieblingsplatz ist. Im Fußballstadion. Karl-Heinz erzählt uns, wo sein
Lieblingsplatz nach Mitternacht ist. Unter der Theke. Weil er sich mit
Bier die Wunden ausspült, die ihm das Leben geschlagen hat. Weil er
noch nicht seine Traumfrau gefunden hat, darum. Warum betrinken sich
die Leute, wenn ihre Wünsche nicht in Erfüllung gehen? Dann erzählt uns
Karl-Heinz noch, was er bald gerne tun würde. Auswandern, um endlich
sein Glück zu finden. Goodbye Deutschland? Warum bleibt er nicht in
seiner Heimat? Wenn der mal richtig geputzt und gepflegt werden würde,
hätte er dort gute Chancen, eine passende Partnerin zu finden.
Mein Vater sagt immer, wer zu Hause nicht glücklich ist, der wird es
auch nicht woanders. Oder anders ausgedrückt: Das Gras auf der anderen
Seite ist nicht grüner. Das weiß auch der Psychiater in mir. Bei
Unglücklichen stimmt nämlich die innere Einstellung nicht. In der
Fremde gibt es vieles Neues zu entdecken. Und von neuen Dingen oder
neuen Personen ist man schnell begeistert, aber oft hält diese Begeisterung nicht lange an, sie ist wie ein Strohfeuer. Dass, von dem mein
Vater ewig begeistert sein wird, ist der Retter der Menschen, der Gott des
Lebens und der innerlichen Erneuerung. Und weil mein Vater von Jesus
Christus so begeistert ist, muss er auch allen anderen Menschen davon
erzählen. Jesus verändert die Menschen von innen und schenkt ihnen so
eine neue Persönlichkeit, sodass sie glücklich werden. Ja, wer kennt sie
nicht, die Suche nach dem passenden Partner, der bei uns Mädels immer
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Mr Right genannt wird? Mein Vater sagt immer, Mr Right ist der, den
man vor 2000 Jahren ans Kreuz geschlagen hat. Und in den muss man
sich zunächst verlieben. Der Mensch kann nichts über Gott stellen, das
wäre Götzenverehrung. Ich finde, wer einen Partner sucht, damit er
glücklich wird, hat die falsche Einstellung. Genau umgekehrt ist es
richtig, man muss seinen geschätzten Partner froh und zufrieden machen.
Wer sich selbst nicht liebt, kann auch niemand anderen mit Liebe
anstecken. Wer sich schon mal die Frage gestellt hat, warum sich
stinkreiche Menschen, die so viel Geld besitzen, auf das andere heiß sind,
das Leben nehmen, dazu kann der Psychiater in mir eine Antwort geben.
In solchen unglücklichen Menschen herrscht ganz einfach eine innere
Leere, ihnen fehlt der lebendige Geist.
Palma liegt an der Südwestküste und ist die Hauptstadt von Mallorca.
Palma ist eine lebendige Großstadt mit vielen architektonischen Juwelen,
allen voran die dominierende gotische Kathedrale La Seu. Das Zentrum
der Stadt bildet die historische Altstadt, und schöne Farbtupfer dort bilden
die zahlreichen Jugendstil-Häuser. Gleich neben der viel befahrenen
Hauptstraße am Hafen verläuft eine tolle Promenade zum Bummeln und
Fummeln, Sehen und Gesehenwerden, Fressen und Gefressenwerden.
Nachtschwärmer können sich hier amüsieren, denn hier finden sich die
meisten Cafés, Bars und Restaurants der Stadt.
5. Mai 2009 - 8.05 Uhr
Niemand applaudiert, nachdem wir ohne Probleme gelandet sind.
Niemand hat für den Piloten Geld gesammelt, so wie es bei Busfahrten
üblich ist. Beim Erreichen der Parkposition werden Handys aus allen
erdenklichen Taschen gezaubert und flink eingeschaltet. Ich mach es
nicht anders. Das Display zeigt mir eine neue SMS an, und die ist von
meinem Mobilfunkanbieter, der mich auf seine günstigen Auslandstarife
aufmerksam macht.
Wir verlassen alle den Flieger. Karl-Heinz wünscht uns einen schönen
Urlaub und verschwindet auf dem nächsten Klo. Wir reihen uns in das
Heer der Touristen ein und schieben uns zur Gepäckausgabe. Lange
müssen wir nicht warten, bis wir unsere Gepäckstücke entdecken, nur
Karl-Heinz entdecken wir nirgends mehr. Am Ausgang der Ankunftshalle
wartet bereits eine Dame vom Reiseveranstalter Meckermann auf uns.
„Sie haben Glück, dass sie nicht gestern angereist sind“, meint sie zu uns.
„Bei dem verheerenden Unwetter mussten teilweise die Flüge nach Ibiza
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umgeleitet werden, weil dieser Flughafen gesperrt war.“ Die Dame teilt
uns die Nummer vom Bus mit, wünscht einen schönen Urlaub und drückt
mir flink noch ein Exemplar der Ferienzeitung Mallorca aktuell in die
Hand. Draußen stößt Dieter leicht mit einem jungen Engländer zusammen, dem vor Schreck die Dose San Miguel aus der Hand fällt. Das
auslaufende Bier bildet schnell auf dem Boden eine schäumende Pfütze.
Der Brite guckt Dieter böse an, so wie mein Vater früher, als ich ihm
meine vermasselten Mathearbeiten vorlegte. „Sorry“, entschuldigt sich
Dieter und drückt ihm schnell eine 2-Euro-Münze in die Hand, um ihn zu
beruhigen, damit er sich ein neues Lunchpaket kaufen kann. „Scheiß
Ausländer!“, meint er dann zu mir, als der Typ außer Reichweite ist. Eine
Dose Bier in der Hand gehört hier auf Mallorca für den englischen
Touristen genauso zur Grundausrüstung wie damals die Winchester eines
Siedlers, der sich aufmachte, den Westen der USA zu erschließen.
Das Wetter ist heute am Morgen typisch deutsch, kühl und leicht
regnerisch. „Kalt in Deutschland“, stellt Dieter fest und wir schleppen
unser Gepäck zum Bus. Drei Mädels stehen auf dem Parkplatz rum und
fragen ihre Handys ab. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat die
kleine Blonde im kurzen Jeansrock gerade per SMS die Kündigung von
ihrem Freund erhalten oder sie kann sich nicht für das Wetter begeistern,
weil in der Heimat die Sonne lacht. Der Busfahrer möchte unser Hotel
wissen, um meinen Koffer und Dieters Reisetasche strategisch optimal im
Laderaum zu platzieren.
Wir müssen eine halbe Stunde warten, bis endlich alle da sind und der
Bus losfährt. Von Karl-Heinz fehlt jede Spur. Wo seine Reise hingeht,
wissen wir somit nicht. Der Transfer kann dauern, je nachdem, an
welchen Ferienorten und Unterkünften unterwegs der Busfahrer die
Urlauber alle rausschmeißen muss.
Cala Ratjada liegt im Nordosten von Mallorca. Der Ort mit seinem
zauberhaften Hafen ist ein beliebtes Ferienziel und verfügt über fünf
ausgezeichnete Strände. Dort kann man gut seinen Rausch ausschlafen
und gleichzeitig sonnen. Manche Touris mit viel Alkohol im Blut liegen
auch bis tief in die Nacht dort. In Cala Ratjada ist es erfolgreich gelungen,
den Ort in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten. Die attraktive Uferpromenade oberhalb der Felsküste wird gerne von rücksichtslosen
Radfahrern genutzt, um friedliche Spaziergänger in Angst und Schrecken
zu versetzen. Jeden Samstag bietet sich dem Urlauber auf dem
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Wochenmarkt von Capdepera die Gelegenheit, seine Geldbörse von
geschickten Dieben aus der Tasche ziehen zu lassen. Kriminelle gibt´s
halt überall.
5. Mai 2009 - 10.35 Uhr
Wir sind da! Das ist also unsere Bleibe mit 92 Prozent Weiterempfehlung. Nun ja, von außen hat es eher den Charakter eines
Schullandheims. Aber die Sonne zeigt sich nun mit einem strahlenden
Gesicht und so kann´s die nächsten Tage auch bleiben, da hätt´ ich nix
dagegen. Beim Betreten des Hotels begutachte ich die Blumen im
Pflanzenwagen, die scheint man hier mit Zigarettenstummeln zu düngen.
Kein Wunder, dass einige schon verwelkt sind. Das gibt Punktabzug.
Wenn die keine Ahnung von Botanik haben, sollen die besser den
Eingangsbereich mit einem Ensemble aus tropischen Plastikgewächsen
zieren.
Im Internet findet man einige Portale, wo man Hotels eine Note geben
kann. Hotelbewertungen sind echt lustig, da gehen die Meinungen
ziemlich auseinander. Während Annika und Kevin sich beschwerten, im
Hotel wäre abends zu wenig Party, empfanden Ingeborg und Ottokar die
Ruhe in der Anlage als sehr angenehm. Für den einen war der Kaffee
einsame Spitze, für den anderen nur eine ungenießbare braune Flüssigkeit. Wer nach Portugal fährt und sich beschwert, dass kaum jemand
Deutsch spricht, der hätte sich besser auf diese Reise vorbereiten sollen.
Portugal wurde von den Engländern als Urlaubsland entdeckt, und wer
kein Englisch kann, wird hier seine Schwierigkeiten haben.
Gäste in einem preisgünstigen Zwei-Sterne-Hotel bemängeln den
schlechten Komfort und Service des Hotels, vom Berliner Ritz her sind
sie Besseres gewohnt. Wer seine Erwartungen hoch steckt, der kann auch
schnell enttäuscht werden. Wer bescheiden bleibt, wer keine großen
Erwartungen hat, wobei auch immer, ja den kann man auch nicht so
schnell enttäuschen. Selbst Einstein wusste: Der Horizont mancher
Menschen gleicht einem Kreis mit Radius Null, und das nennen sie ihren
Standpunkt.
Wer bereits einen Urlaub in einem nordafrikanischen Land am
Mittelmeer verbracht hat und fährt noch einmal in ein moslemisches
Land, der ist es doch selber schuld! Wie kann sich dann wiederholt über
die Aufdringlichkeit der Araber beschweren, die einem allen möglichen
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Nippes verkaufen wollen, sorry, aber wusste man doch vorher schon!
Und wenn Leute mit meinen Texten nichts anfangen können, wenn man
meinem Humor nicht gewachsen ist, dann hören Sie bitte jetzt auf zu
lesen, denn ich versichere Ihnen, meine Sprache ändert sich nicht, und
wenn Sie diese Satire trotzdem bis zum Ende lesen, sorry, dann brauchen
Sie sich auch nicht beschweren, dann sind Sie es doch selber schuld! Ich
habe Sie nicht gezwungen, diese kleine Geschichte zu lesen, und wer
damit nichts anfangen, das ist dann ein Problem des Lesers und nicht das
des Verfassers.
Bei der Satire von meinem Freund ist es ähnlich wie bei Hotelbewertungen, da gehen die Meinungen ziemlich auseinander. Umstritten
in der Fachwelt, in der Szene ein Star: Dieter Dobrowolski, ein
Literaturpunk, spaltet die Leser in Verehrer und Verächter. Sein Stil:
Schnell, hart, konzentriert, ehrlich und antiakademisch. Wenn ich auf
besserwisserische Kritiker gehört hätte, hätte ich meine Identität
verleugnet und mich zu einer Marionette gemacht, hat Dieter zu mir mal
gesagt. Eine Rosamunde Pilcher Fangemeinde wird keinen Gefallen an
seiner Lektüre finden. Dieter findet ja auch keinen Gefallen an diesem
Geschreibsel über leidenschaftliche Liebe, Glück, Vermögen und Happy
End, wo die idyllische Landschaft von Cornwall mit ihrem typischen
Wetter als ideale Kulisse dient. Doch die Idylle trügt, wie so oft. Die
Autorin sollte man wegen Vortäuschung falscher Tatsachen vor Gericht
stellen, meint Dieter. Sie bringt lediglich Wunschvorstellungen zu Papier,
was gerade bei Frauen gut ankommt, sehr beliebt ist. Der Psychiater in
mir stimmt da zu, Frau Pilcher leidet unter Realitätsverlust. Aber es fällt
mir schwer, dies anzuerkennen.
Der Hotelmanager hat ein auffällig dickes Riechorgan als auch ein
exzellentes Sprachorgan. „Grande catastrofe! Grande catastrofe!“,
schimpft er heftig zur Begrüßung, als wir uns mit dem Reisegepäck der
Rezeption nähern. „Meckermann-Reisen? Sie sind Meckermann-Reisen?“
„Korrekt“, antwortet ihm Dieter mit einer Ruhe, obwohl auch er ahnt,
dass eine Hiobsbotschaft wie ein Damoklesschwert am seidenen Faden
über unseren Köpfen schwebt. „Kaputt, kaputt, kaputt ...“, jammert unser
Empfang weiter. Was ist kaputt? Ich brauch eine Erklärung.
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Eine blonde Dame stürmt ins Hotel. Sie ist außer Atem und trägt einen
knappen, engen, roten Rock sowie eine gelbe Bluse, die weit aufgeknöpft
ist, sodass man beinahe ihren ganzen schwarzen BH sehen kann. „Wer ist
das?“ frage ich Dieter, doch dem scheint es den Atem verschlagen zu
haben, der bleibt stumm. Hoffentlich ist das die Erklärung. „Hallo“,
keucht die Atemlose, „ich muss erst mal Luft holen.“ „Sind Sie die
Reiseleiterin?“ frage ich, nachdem sie sich wieder einigermaßen erholt
hat. „Ja, mein Name ist Sarah Sackmann. Ich bin die oberste Reiseleiterin
von Meckermann, zuständig für den Nordosten der Insel. Sie haben bei
uns gebucht?“ „Genau!“, sagt Dieter. Frau Sackmann schaut auf ihr
Klemmbrett und muss noch mehr wissen. „Dann müssen Sie Herr
Dobrowolski mit Begleitung sein, ist das richtig?“ Wir beiden nicken nur
kurz, gucken uns dumm an und warten gespannt auf weitere Infos. Das
Unerwartete ist der Feind des Menschen, auf das man vorbereitet sein
sollte.
Wir werden noch mehr ausgequetscht. „Okay, Sie hatten jetzt genau was
gebucht?“ „Eine Woche Mallorca, drei Sterne, All inclusive“, sag ich und
drück mich dabei klar und deutlich aus. „Folgendes, diese Nacht haben
Mitglieder eines Prager Streichorchesters sechs Zimmer ...“ „Siete!“,
unterbricht der Manager die Reiseleiterin unüberhörbar. „Nun gut, dann
eben sieben Zimmer schwer verwüstet.“ „Wie? Keine Rockmusiker?
Kein Kegelklub aus Wuppertal? Keine besoffenen Engländer?“ wundert
sich Dieter und nicht nur der. Ein Rudel Musikanten darf man auf gar
keinen Fall unterschätzen, egal ob sie sich an Mozarts kleiner Nachtmusik
versuchen oder Heavy Metal lärmen. Eventuell gelingt es ja dieser wild
gewordenen Horde von tschechischen Cellisten, den Ort schwer zu
verwüsten und ihm so seine Ursprünglichkeit zu nehmen.
„Das Orchester ist heute Morgen abgereist, allerdings dauert die Renovierung der Zimmer mindestens zwei Tage.“ „Tres dias!“ Wieder wird
unsere Reiseleiterin lautstark vom Hotelmanager korrigiert. Wenn die
Größe seiner Nase auf das Kaliber seines Johannes schließen lässt, dann
aber hallo! „Da hier alles total ausgebucht ist, kann ich sie nur woanders
unterbringen. Ich kümmer mich nun um alles.“ Sarah Sackmann stellt
sich neben Dieter und spendet Trost, indem sie mit ihrer rechten Hand
über seinen Rücken rubbelt und zu ihm meint: „Keine Panik, ich bin ja
da. Jetzt wird alles gut.“ Dann gleitet sie mit ihrem Händchen tiefer und
tätschelt an seinem Hintern rum. Hey! Moment mal, Finger weg von dem,
der gehört mir, das ist meiner, absolut! Als ob sie meine Gedanken
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gehört hätte, lässt sie ihre Pfoten davon weg und stellt fest, dass sie ihr
Handy in ihrem gelben Renault Twingo gelassen hat. Ja Handy, das ist
gut. Ich schau nach, ob sich in der Zwischenzeit was getan hat. Zwei
SMS´ sind eingegangen. Die erste ist von meinem Mobilfunkanbieter, der
mich wiederholt auf seine günstigen Auslandstarife aufmerksam macht,
die zweite ist von Kitty. Hi suesse, fliege morgen nach malle, gut
angekommen? Ich werde ihr später antworten, im Augenblick ist mir
nicht danach. Ich brauch ein Bier. Und dann eine Dusche.
5. Mai 2009 - 11.10 Uhr
Der von der Reiseleiterin organisierte Transfer ist da, ein gelber Fiat
Punto mit einem spanischen Fahrer, der ein Silberkettchen mit einem
Kreuz um den Hals trägt. Der ist sehr freundlich und hilft uns beim
Gepäck einladen. Dieter setzt sich nach vorne, wir sind die einzigen
Fahrgäste. „Einmal Dreiundachtzigste, Ecke Madison“, scherzt mein
Freund und zu mir sagt er. „Drei Tage für das Renovieren? Chefingenieur
Scott von der Enterprise hätte das in drei Stunden hingekriegt. Hast du
gesehen, den schwarzen Büstenhalter von der Sackmann?“ „Klar“,
antworte ich schnippisch, „das dir das wieder aufgefallen ist, diese
sexuelle Einladung.“ Ich verschränke die Arme vor meiner Brust und
ziehe eine Grimasse. „Hey, sei doch nicht gleich so zickig.“ „Denk ja
nicht, ich hab nicht bemerkt, wie die dir am Arsch rumgespielt hat.“
„Hm-mh, sie war halt besorgt um unser Wohl.“ Eher um dein Wohl ...
Ich bin sauer und kann die angenehme Fahrt nicht wirklich genießen. Und
zu allem Unglück fängt der Motor kurz hinter Porto Cristo noch an zu
stottern, so wie ich, wenn mir keine passende Ausrede einfällt. Der
Spanier stoppt den Punto ganz rechts am Rand der Landstraße. Schon
wieder eine „Grande catastrofe?“ möchte Dieter wissen. Der Spanier
schüttelt mit dem Kopf, weiß aber selber nicht so recht. Er steigt aus und
öffnet die Motorhaube. „Boah ey, können die Scotty nicht eben runter
beamen, der findet den Fehler sofort“, witzelt Dieter, aber so richtig
kommt der Gag bei ihm selber nicht an. Unser Fahrer zieht sein Hemd
aus, damit er es nicht dreckig macht. Zum Vorschein kommt ein
unerotisches weißes Unterhemd, aus dem äußerst dekorativ schwarze
Brusthaare hervorquellen. Durch die geöffnete Motorhaube ist uns die
Sicht auf den Arbeiter genommen. Nach zwei Minuten kommt der
Spanier wieder zum Vorschein, er trägt ein dreckiges weißes Unterhemd,
auf dem sich höchst dekorativ schwarze Ölflecke befinden.
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Die Haube wird wieder geschlossen und der Fahrer versucht den Motor
zu starten. Der Anlasser scheint zu funktionieren, aber der Motor will
nicht so richtig anspringen. Nun schickt der gottesfürchtige Spanier ein
Stoßgebet gen Himmel und versucht es auf ein Neues sein Glück.
Halleluja, der Motor springt sofort an, wer hätte das gedacht?
Was nicht nur meinem Vater aufgefallen ist, dass sich Menschen erst an
Gott wenden, wenn eine Notsituation eingetreten ist. So etwas sieht man
sogar in Filmen von Alan Smithee. Mit der dummen Frage „Warum hat
Gott das zugelassen?“ setzt man den Allmächtigen auf die Anklagebank.
Aber da gehört der Mensch hin, weil wir alle mit Sünde befleckt sind, so
wie das Hemd mit Öl, und deshalb darf man diese Frage nicht stellen.
Gott ist schließlich niemanden Rechenschaft schuldig, hat mir mein Vater
beigebracht. Wer sich die Frage stellt „Warum musste diese Person
sterben?“, der hat die Frage falsch gestellt. Richtig muss es heißen:
„Warum bin ich noch am leben?“ Der Normalzustand von Gott ist die
Vernichtung von Sünde, weil Gott Sünde hasst. Der Ausnahmezustand
von Gott ist, wenn mal kein Unglück passiert, wenn Gott aufgrund seiner
Barmherzigkeit den Menschen so Zeit gibt, sich zu bekehren. Wer das
nicht glaubt, sollte sich die ersten Seiten der Heiligen Schrift zur Brust
nehmen, da findet man alles.
Wir drei schicken ein Dankgebet gen Himmel. Die Tour geht weiter,
meine Laune bessert sich.
Porto Colom liegt an der Ostküste Mallorcas und ist benannt nach
Christoph Kolumbus, der angeblich hier geboren sein soll, was aber nicht
der Wahrheit entspricht. Früher dachte ich auch immer, Kolumbus wäre
Spanier, aber er stammt aus der heute zu Italien gehörenden Stadt Genua.
Dieser Weltensegler machte sich einst auf den Weg nach Westen, um
nach Indien zu gelangen, kam aber in Amerika an. So ungefähr kenn ich
das von meiner Freundin Kitty. Wenn die sich auf den Weg ins FitnessCenter Uncle Sam macht, schafft sie es immer nur bis ins Eiscafé Italia.
Diskotheken oder einen Ballermann kennt man in Porto Colom nicht, hier
geht es insgesamt noch recht ruhig zu. Interessant sind die Altstadt und
auch der Hafen. Hier befinden sich zahlreiche gute Fischrestaurants
neben bunten Fischerhütten und kleinen, weiß gekalkten Häuschen.
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5. Mai 2009 - 12.25 Uhr
Wir sind da! Das ist also unsere Unterkunft mit - keine Ahnung - wie viel
Prozent Weiterempfehlung. Das Hotel wird von einem Schweizer geführt
und ich hoffe, hier geht es auch so ruhig und entspannt zu wie in der
Schweiz. Wir erhalten den Schlüssel für ein Zimmer im fünften Stock,
darüber wäre nur noch der Spa-Bereich. Ein billig anmutendes Armband
ist die Akkreditierung für kostenlose Getränke bis 23.30 Uhr. Hier täuscht
der Schein gewaltig, denn dieses Teil ist von Wert!
Endlich komm ich zum Bier. Ich lass Dieter und mein Gepäck an der
Rezeption alleine, eile zur Bar und geb meine Bestellung auf. Nachdem
ich an der Theke mit zwei gierigen Schlückchen das Glas geleert habe,
spricht mich jemand von der Seite an. „Hey, was machst du denn hier?“
Ich schau mir etwas verwundert den Typen an, der frisch geduscht
aussieht und eine coole Sonnenbrille trägt. Irgendwie bekannt kommt er
mir ja vor. Woher kenn ich den nur? „Ich bin´s doch nur, Karl-Heinz“, so
hilft er mir. „Ah, Kalle du. Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. Hast
dich optisch schon sehr verbessert.“ Jetzt noch die Haare ab und die
Karies raus, dann ist der ganz akzeptabel. „Klar, ich hab die gestrige
Nacht in der Düsseldorfer Altstadt verbracht, in einer verqualmten
Kneipe und Bier gesoffen, um die Zeit zu überbrücken. Das hinterlässt
Spuren. Den Koffer hatte ich bereits am Vorabend aufgeben, und so kam
ich nicht an frische Klamotten zum Wechseln ran, an dies hatte ich nicht
gedacht. Dann hatte ich mir vor der Reise sicherheitshalber ein kleines
Lunchpaket zubereitet, und du glaubst es nicht, stattdessen hab ich nur die
Frischhalte-Folie eingepackt. Hier am Flughafen, als ich den Koffer
danach durchsucht habe, ist mir das erst aufgefallen.“ „Mein Vater war
mal vor Jahren in Venedig und erst zu Hause hatte er gemerkt, dass kein
Film in der Kamera.“ „Von mir solltest du mal ein altes Foto sehen.
Früher, du wirst es nicht für möglich halten, war ich ein Adonis, da wurde
mein athletischer Körper von Parisern Künstlern ohne Ende in Stein
gemeißelt.“ „Ich glaube, du übertreibst ein wenig, aber ich find´s lustig“,
sage ich, fange an zu lachen und stecke ihn damit an. Nach dieser Einlage
werde ich gefragt: „Aber was mich wundert, dass du hier bist. Ich dachte,
ihr seid in Cala Ratjada. Und wo ist überhaupt Dieter, dein Vater?“ „Mein
Vater? Männer in den Wechseljahren haben eine Leidenschaft für
Mädels, die ihre Töchter sein können“, offenbare ich ihm. „Er ist mein
Freund.“ „Ich glaube, jetzt übertreibst du ein wenig, aber ich find´s
lustig“, meint Karl-Heinz und ich bin mir nicht sicher, ob er das mir
abnimmt.
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5. Mai 2009 - 14.00 Uhr
Gibt es etwas Schöneres als eine wohltuende, erfrischende Dusche? Klar,
aber nicht, wenn man vollkommen durchgeschwitzt ist und die Klamotten
unangenehm am Körper kleben. Da hat man nicht groß Lust auf irgendetwas anderes, da freut man sich aufs Duschen. Erst nach dem Duschen
freut man sich aufs Essen, das sich als äußerst genießbar herausstellt.
Es ist zwei, wir haben uns den Bauch vollgeschlagen, und die Sondierung
der Hotelanlage steht nun auf unserem Plan. Wir stellen fest, das alles
liegt direkt an der Felsenküste. Wir stellen fest, Karl-Heinz hat sein
Zimmer direkt neben uns. Wir stellen fest, die zweibeinige blonde
Nymphenschnepfe Frau Sackmann, wahrscheinlich die absolut heißeste
Reiseleiterin auf der ganzen Insel, kommt morgen um 11 Uhr zur
Sprechstunde ins Hotel. Und hier gibt es nur einen einzigen Animateur
und der heißt Toshiba. Der ist Japaner und spricht fließend spanisch,
deutsch, englisch und was weiß ich alles. Kommt immer drauf an,
welchen Kanal man eingeschaltet hat. Am Mittwoch zeigen uns seine
LCDs das unter Fußballfreunden mit Spannung erwartete Championsleague-Halbfinalrückspiel Chelsea gegen Barcelona.
Chelsea, so heißt nicht nur die Tochter von Bill Clinton, sondern das ist
ein englischer Fußballklub, das weiß selbst ich. Womöglich wurde die
Tochter vom ehemaligen US-Präsidenten einst im westlichen Stadtteil
von London gezeugt. Spätere Versuche von Bill, Kinder zu zeugen,
scheiterten am zuverlässigen Verhütungsschutz von Hillary. Und an den
sicheren Verhütungsmitteln der Praktikanten.
Fußball wurde ja in England erfunden. Was noch alles auf dieser Insel
erfunden wurde, weiß ich leider nicht. Vielleicht noch Reitlehrer? Ich
kenn englische Fans. Im Jahre 2006 fand die Fußballweltmeisterschaft bei
uns in Deutschland statt. Die Engländer saßen im Rudel mit nacktem
Oberkörper in Biergärten und belästigten Personal und Passanten. Sie
tranken Bier aus großen Krügen und schütteten sich aus Spaß gegenseitig
das Gebräu über den Kopf. Das haben sie bei den deutschen Touristen auf
Mallorca abgeguckt. Statt die Rechnung zu begleichen, zertrümmerten sie
lieber Tische und Stühle und versuchten sich zu verpissen, bevor die
Polizei sie verhaften konnte. Das müssen sie bei Desaster Detlef abgeguckt haben.
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Autorennen interessieren mich nicht, mir hat schon die Taxifahrt zum
Flughafen gereicht. Heutzutage amüsieren sich die sich die Menschen vor
der Mattscheibe zu Tode. Vieles, was gezeigt wird, find ich überhaupt
nicht lustig. Wenn ich eins nicht mag, dann sind es intelligente Leute, die
im Fernsehen witzig sein wollen und dabei einen auf blöd machen.
Primitiv! Genau wie die Witze eines Berliners über die Begriffsstutzigkeit
der Frau. Das ist unterste Schublade, Heinz Erhardt würde sich im Grabe
umdrehen.
Nicht nur ich scheine begeistert zu sein über diese tolle Hotelanlage. „Hör
mal Zaubermaus, mir kommt da so eine Idee. Sollen wir nicht die
Reiseleiterin fragen, ob wir hier unser Zimmer behalten können? Die
Anlage hier ist doch toll, sie hat eine bessere Lage als die in Ratjada. Und
dieser Ferienschreck Kalle sorgt mit seinen Kommentaren für ein wenig
Abwechslung. Ich hatte schon Befürchtungen, wir müssten hier in einem
dunklen, deprimierenden Loch die Aussicht auf einen Hinterhof genießen. Wir haben hier ein Meerblick, auf den hätten wir in Cala Ratjada
verzichten müssen. In dieser Absteige war der erste Eindruck schon nicht
besonders und der Nasenbär von Hotelmanager hatte den Charme eines
Herbergsvaters.“ „Ja“, stimme ich zu. „So sehe ich das auch. Mir ist
unklar, warum diese Absteige so gut bewertet wurde?“ „Womöglich
durch Manipulation. Es gibt PR-Agenturen, die sind darauf spezialisiert,
denn positive Bewertungen locken Urlauber an und steigern somit den
Umsatz. Aber negative Bewertungen sind wesentlich aussagekräftiger für
jemanden, der sich für eine Unterkunft interessiert.“ „Daran hatte ich gar
nicht gedacht“, murmel ich. „Ich find das hier auch super, Zaubermaus,
und das Essen schmeckt. Versuchen wir, hier zu bleiben?“ „Jo ...“
Wir verlassen das Hotel, um uns die nähere Umgebung ein bisschen
anzuschauen. Hoppla, wer kommt uns denn da kurz vorm Hafen
entgegen? Sein kurzärmliges rotes Hemd trägt er offen, über seine tief
sitzende schwarze Caprihose kommt sein muskulöser Oberkörper
wunderbar zur Geltung. Mmmh - sexy. Seine Haut ist leicht gebräunt und
auf seinem linken Oberarm hat er sich eine schwarze Rose tätowieren
lassen. Mein Höschen schmilzt! „Guck mal, der sieht aus wie Bruce
Willis anno 1990“, meint Dieter zu mir. Sag bloß! „Jo ...“, sag ich nur
und mehr krieg ich schon nicht mehr raus. Ich bin baff! Dieter mag den
Schauspieler nicht. Er ist neidisch, weil am Ende vom Spielfilm Keine
halbe Sachen Bruce Willis seine Zunge in den Rachen der
Sprechstundenhilfe und Auftragskillerin Jill, gespielt von Amanda Peet,
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schieben darf. Dieters Lieblingsschauspielerin fangen alle mit A an:
Amanda Peet, Andie McDowell, Anne Heche und die schärfste Braut für
ihn ist Anne Hathaway. Bei mir ist es übrigens umgekehrt, mein Vorname
hört mit A auf. Beim Anblick von Anne Hathaway fängt bei Dieter das
heftige Pochen seines verfetteten Cholesterinherzes an, und er wird es
einfach nicht los. Das lässt sich vergleichen, wie wenn jemand heute
versucht, eine CD von Big-Brother-Veteran Zlatko zu verkaufen, man
wird sie einfach nicht los.
Bruce passiert uns und ich drehe mich kurz um, ob der Adonis, der glatt
als jüngerer Klon von Bruce Willis durchgehen könnte, in unser Hotel
biegt. Nein, das tut er nicht. Er marschiert weiter geradeaus. Das Einzige,
wofür ich ohne mit der Wimper zu zucken einen Mord begehen würde,
wäre ein Date mit Bruce Willis. Mit dem Echten natürlich!
5. Mai 2009 - 19.30 Uhr
Das Restaurant ist bereits seit einer halben Stunde geöffnet, aber wir sind
noch auf unserem Zimmer. Ich kann mich nicht so recht entscheiden,
welche Klamotten ich beim Abendessen tragen soll. Endlich hab ich
meine Garderobe gefunden, mit dem ich mich auch in der Bar sehen
lassen kann. Denn da geht´s hinterher hin. Auffie! Dieter und ich
verlassen fluchtartig das Zimmer und verzichten auf den Fahrstuhl,
springen stattdessen munter die Treppen runter. Im Speisesaal winkt uns
Karl-Heinz zu und nehmen sein Angebot an, ihm an seinem Tisch
Gesellschaft zu leisten.
Das Büfett schreit gerade zu nach Völlerei, Kitty käme hier voll auf ihre
Kosten. Völlerei hin, Völlerei her. Egal, leisten wir uns die Todsünde,
wir sind ja im Urlaub! Dieter ist hin und hergerissen von den
kulinarischen Genüssen und spuckt große Töne. „Wenn wir wieder zu
Hause sind, mein Schätzchen, verwöhne ich dich mit einer selbst
gemachten Paella.“ Ein enorm ehrgeiziges Projekt für jemanden, der sich
meist nur von Fertigmahlzeiten ernährt, die er mit Hilfe von Mikrowellen
erhitzt. Wir unterhalten uns mit Karl-Heinz, dessen Hang zur
Übertreibung uns blendend amüsiert. Nach dem ausgiebigen Essen
beschließen wir, die Bar zu belagern.
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5. Mai 2009 - 22.45 Uhr
Dieter möchte noch eine Runde ausgeben, kostet ja nichts, die meisten
Getränke sind eh gratis. „Hey Kalle, schaffen wir noch ein Bier?” Unser
neuer Bekannter antwortet begeistert mit Barack Obamas Parole „Yes we
can!“ Die beiden Männer ordern im Chor drei Bierchen, die prompt
frisch gezapft zu uns finden. Das gute Dutzend an Urlaubern, die mit uns
die Bar belagern, befinden sich in unterschiedlichen Stadien der
Betrunkenheit, scheinen aber alle aus Deutschland zu kommen. Das
wievielte Bier ich jetzt runterspüle, weiß ich nicht, aber es wird eines der
Letzten sein. Hier nüchtern zu bleiben ist äußerst schwierig, weil die
anderen mit aller Gewalt genau dieses vermeiden wollen. Alkohol dient
aber auch irgendwie als soziales Schmiermittel.
Ein älterer Mann in einem weißen Sommeranzug, einem Hut auf dem
Kopf und einer Frau an seiner Seite kommt auf uns zu. Er trägt ein weit
aufgeknöpftes Hemd, das eine Goldkette zur Schau stellt. Die Dame
scheint schon betrunken zu sein, ich schätze sie auf Mitte 30, gut 20 Jahre
jünger als ihr Begleiter. Sie trägt einen kurzen weißen Rock und ein
schwarzes Top, wo Fluchtgefahr für ihre Brüste besteht. Ihre Titten nicht
zu beachten, erweist sich deshalb als äußerst schwierig. Dieter und KarlHeinz scheinen Gefallen daran gefunden haben.
„Schon den Prosecco probiert?“, werden wir vom Mann gefragt. Nein,
nicht alle kommen aus Deutschland, mein sensibles Öhrchen hat just
einen österreichischen Dialekt wahrgenommen. „Prosecco hab ich
aufgehört zu konsumieren, als bei mir die Pubertät anfing“, gibt KarlHeinz als Antwort. Meinem Dieter ist der Dialekt ebenfalls aufgefallen
und er ist neugierig geworden. „Ihr seid aus Österreich, nicht wahr?“ „Ich
bin aus Wien, sie aus Tirol.“ „Ich bin aus Imsterberg - hicks“, lallt die
Tirolerin und setzt sich auf einen Hocker. „Du bist betrunken und gehst
gleich schlafen“, befiehlt der Mann. „Ich bin überhaupt nicht betrunken“,
lallt sie weiter und macht einen Schmollmund. Den Inhalt ihrer
Handtasche, ein Potpourri aus Geldmünzen, angeschnäuzten
Papiertaschentüchern, Kosmetika und Stiften, schüttet sie auf den Tresen
und verzieht ein ungläubiges Gesicht. „Wo sind die ... Ziga...retten?“
„Die hab ich eben für dich eingesteckt.“ Der Mann im weißen Anzug
fischt eine Packung aus seinem Jackett und reicht ihr eine Kippe. Als er
ihr Feuer gibt, fällt sie ihr die Zigarette aus dem Mund und landet auf
ihrem Rock. Bevor sie herunterrollt, schafft sie es noch, ein Loch in den
Stoff zu brennen.
29
„Wo kommt eigentlich dieser Schwarzenegger her?“, fragt Dieter. „Der
kommt aus der Steiermark, da wo Graz liegt.“ „Mein Körper ist ein
Wunder der Natur, während Arnolds Body bestenfalls ein Wunder von
Anabolika gewesen war.“ Karl-Heinz macht Witze. „Cómico!“, meint der
Österreicher, dem es wohl nicht passt, dass sich jemand über seinen
Landsmann lustig macht. Karl-Heinz sieht sich herausgefordert.
„Cómico? Ah, unser Mann aus Wien kann spanisch. Dann verrat mir
bitte, wie Handschellen auf Spanisch heißen?“ „Handschellen auf
Spanisch? Keine Ahnung“, meint der Österreicher und schüttelt kurz mit
dem Kopf. Ich glaube, Desaster Detlef hätte diese Frage locker beantworten können. Den hat man mal auf einer geklauten Kawasaki erwischt,
als er in Katalonien durch die Dörfer an der Costa Brava gerast ist.
„Esposas.“ „Esposa bedeutet Ehefrau und esposas sind somit die
Ehefrauen“, erklärt der Österreicher. „Stimmt ebenfalls“, meint KarlHeinz, „es ist ein Teekesselchen.“ Bei Quizmaster Kalle haben wir
wieder was gelernt. Das ist ja hier der reinste Bildungsurlaub, den sollte
man von der Steuer absetzen.
Der Österreicher bestellt zwei Prosecco, während seine betrunkene
Begleiterin davon begeistert ist, das Mallorca nach Mykonos die schönste
aller italienischen Inseln ist. „Hier in Spanien gilt eine Ehe bereits als
erfolgreich, wenn sie nicht geschieden wird. Scheidung ist hier die
Normalität“, erklärt uns der Österreicher. „Das hört sich nach Volkssport
an. In Griechenland ist es die Steuerhinterziehung und in Spanien die
eheliche Trennung“, stellt Karl-Heinz belustigt fest. „Der feurige Spanier
und die feurige Spanierin sind für eine dauerhafte Beziehung gar nicht
geschaffen. Gut drei von vier Ehen werden in Spanien wieder
geschieden.“ Der Herr aus Österreich scheint einiges zu wissen über die
Ehe, das fröhliche Grab der Liebe.
Mein Vater macht mich immer drauf aufmerksam, dass es vielen
Menschen nicht richtig bewusst ist, dass die Institution Ehe eine Erfindung von Gott ist, man spricht ja hier von einem heiligen Bund. Wenn
beide Ehepartner eine enge Beziehung zu ihrem Schöpfer haben, festigt
das diesen Bund und niemand kann diese Ehe zerstören. Andernfalls
besteht die Gefahr, dass Sünde in die Beziehung bricht und die Ehe
zerrüttet, sodass sie über kurz und lang auseinanderbricht. Das eigentliche
Problem liegt also weniger im Alter der Eheleute, weil viele sich
heutzutage jung vermählen, sondern in der Reife des Glaubens an Gott,
der über kurz oder lang diesen Bund prüfen wird.
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„Hör ich da ein großes Interesse an Scheidung?“, fragt Karl-Heinz den
Österreicher. „Durchaus. Ich bin selber zwei Mal geschieden. An meine
erste Hochzeit kann ich mich noch gut erinnern. Da waren haufenweise
Leute, die sich auf meine Kosten besaufen wollten. Bei der zweiten
Hochzeit war ich schlauer, wir heirateten heimlich.“ „Und die Dame ist
die neue Kandidatin? Alle guten Dinge sind bekanntlich drei.“ KarlHeinz ist scharf auf Details, weil ihm die Braut zu interessieren scheint.
„Wer zwei Mal hintereinander heftig viel Geld bei einem Scheidungskrieg verliert, der hat die Lust auf Heirat verloren“, meint der
Österreicher.
Der Barkeeper bringt die beiden bestellten Prosecco und der Österreicher
prostet uns zu. Seine Freundin schwenkt heftig das Glas. Dass dabei ein
Schwall auf ihren Rock schwappt, scheint sie nicht mitzukriegen. „So“,
meint der Österreicher, nachdem er ausgetrunken hat, „wir gehen jetzt, du
brauchst Schlaf. „Ich bleibe un... ich bin kein ... Schaf.“ Sie scheint nicht
mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet zu sein. Aber kein Wunder,
bei der Menge hochprozentiger Glückseligkeit in ihren Adern.
Das Paar aus Österreich macht sich auf. Beim Verlassen der Bar bringt
die Frau noch ein „Ich bin nicht be...“ heraus, um dann noch einen Teil
ihres Mageninhalts hinterher zu schicken. Kurze Zeit später ist alles
wieder von einer Personalkraft gesäubert worden. Dieser Angestellte hat
nun gute Chancen, im Hotel Mitarbeiter des Monats zu werden.
„Die Stute war doch nicht schlecht“, freut sich Karl-Heinz. „Das
Dekolleté war nicht schlecht“, meint Dieter und „Schlecht war ihr
Zustand“, sage ich ernst und mein es auch. Sind in einer Runde alle
fröhlich und betrunken, geht ein ernstes Wort schnell unter.
Männer sind generell bereit, viel zu tolerieren, wenn der Anblick einen
dafür entschädigt. Und wenn da auch Abgründe von Dummheit sind, die
man nicht beseitigen kann, scheint das für einen männlichen Jäger keine
Bedeutung zu haben. Daniela Katzenberger zum Beispiel ist eine Frau mit
einer aufregend guten Figur, die wieder mal bewiesen hat, dass die
Kombination dünner Verstand und dicke feste Euter schnell zum Erfolg
führen kann. Studentinnen ohne intellektuelle Defizite mit Körbchengröße 70A träumen von so einer Karriere. Denen fehlen halt die
Schlüsselreize. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Daniela bald das gleiche
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Schicksal ereilt, wie ehemaligen Big Brother Bewohnern. In einiger Zeit
interessiert sich keine Sau mehr für sie.
„Oh Mann, war die voll.“ Dieter nimmt einen Schluck und meint dann
weiter: „Ich bin nicht betrunken. Das klang genau so glaubwürdig, als
wenn die Rolling Stones schwören würden, sie hätten noch nie im Leben
Drogen genommen. Die konnte doch nicht mehr richtig stehen.“ „Bei mir
steht immer alles, wenn es stehen soll. Beim Hühnerauge meiner Mutter,
bei mir steht immer alles, wenn es stehen soll“, verrät uns Karl-Heinz
„Nur fehlt mir eine Frau, damit ich es beweisen kann.“ Ein blondes Weib
Mitte 40 mit dicken Gläsern auf der Nase gesellt sich zu uns. „Männer
geben oft mit ihrer Potenz an, als können sie mit ihrem Schwanz halb
Tokio zum Einsturz bringen, aber versagen im Bett. Ein Angeber mit
einem Schlappschwanz ist ungefähr so wie ein fettes Portemonnaie,
welches nur mit Kleingeld gefüllt ist. Man kann sich nicht viel dafür
kaufen, man hat nicht lang davon. Und dann noch was. Um eine Frau ins
Bett zu bekommen, wird jeder Mann zu einem Politiker, der eine Wahl
gewinnen möchte, er verspricht ihr alles.“ „Wo du gerade Geld erwähnst
...“ Karl-Heinz nippt kurz an seinem Glas, wirft der Dame einen kurzen
Blick zu und meint dann weiter: „Kennt einer ´ne gute Bank, wo ich mir
Kohle leihen kann, damit ich schuldenfrei werde? „Beim Geld hört die
Freundschaft auf“, findet Dieter und Karl-Heinz schwatzt weiter: „Aber
beim Geld fängt sie manchmal auch an. Kannst du mir eventuell 5000
Euro leihen? Es wäre der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, fragt
Karl-Heinz die Brillenschlange. Die verschüttet vor Schreck ihren Vino
tinto über ihr hellblaues Top. „Prima kannst du das“, findet Karl-Heinz
sichtlich amüsiert, „zum Glück war´s nur Rotwein und kein klares
Wasser.“ „Hey“, zischt die Natter, „was sollen die dummen
Bemerkungen?“ „War doch nur ironisch gemeint“, entschuldigt sich KarlHeinz mit einem Grinsen im Gesicht. „Ein ironischer Kommentar ist eine
lächelnd vorgetragene Beleidigung“, behauptet die Giftschlange ernst.
„Aber nur für Menschen, die keinen Humor besitzen“, philosophiert
Dieter und ist sich dabei hundert Prozent sicher, dass es so ist.
„Ihr seid doch alle besoffen!“, regt sich der Drachen im nassen Top auf.
„Nicht ihr, sondern wir sind alle besoffen“, korrigiert Karl-Heinz, „wir
sind alle ...!“ Dieter meint dazu: „Stimmt. Selbsterkenntnis ist der erste
Weg zur Besserung.“ „Zum Glück reise ich morgen ab!“, faucht Luzifers
Braut. „Wohin soll´s denn gehen?“, fragt Karl-Heinz nach. „New York? Rio? - Tokio?” „Leck mich! Besser ein Glas in der Hand, als eine Flasche
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im Bett“, sagt sie scharf und guckt dabei Karl-Heinz böse an. „Besser ein
Glas in der Hand, als eine Flasche unerreichbar im Regal, so geht der
Spruch“, kontert Karl-Heinz. Die Brut Satans sucht das Weite, stößt aber
vorher noch mit unserem Freund zusammen, sodass der restliche Wein
aus ihrem Glas nun Karl-Heinz Hose rot färbt. Das wird sie nicht
absichtlich gemacht haben, aber der Psychiater in mir weiß, wie das
Unterbewusstsein arbeitet. „Hoppla, hast du noch andere Hobbys
Spaßbremse?“ verabschiedet sich Karl-Heinz von ihr. „Der Klügere kippt
um“, kommentiert Dieter das Geschehen.
Ein weiteres Bier riskier ich nicht mehr. Ich sag kurz den Phrasendreschern tschüss und verlasse die Bar Richtung Aufzug. Als ich aufs
Knöpfchen drücke, höre ich noch, wie der ganze Mob an der Theke brüllt
„Yes we can!“ Das erinnert mich an vergangene Nacht. Nachdem Dieter
und ich abends das erste Mal zusammen geschlafen hatten, legte ich
meinen Kopf auf seine Brust. Er spielte mit meinen langen Haaren und
legte danach seine Hand unter mein Kinn, um mich zu küssen. Und um
mich zu fragen: „Schaffen wir noch ne Runde?“ Ohne meine Antwort
abzuwarten, meinte er dann stolz „Yes we can!“ und legte wieder los,
alles andere als dürftige genitale Fähigkeiten, sag ich nur. Das ging dann
noch einige Male so weiter mit diesem „Yes we can!“ - „Yes we can!“ „Yes we can!“ Mittlerweile glaube ich, dass die Frage gar nicht mir
gegolten hat, sondern seinen Schwanz. Sein bestes Stück scheint ihm ein
prima Ersatz für einen turbo-affengeilen Sportwagen zu sein, den er
deshalb auch nicht nötig hat. Wenn Dieter im Bett mit einer dieser
unmöglichen koreanischen Knotenstellungen anfängt, wünschte ich mir
immer, er hätte einen. In meinen Gedanken kurvt er dann mit mir bei
Sonnenschein und wolkenlosen Himmel über Landstraßen - herrlich! Das
Verdeck ist offen, mit meinem Haar spielt der Wind und ich genieße den
Hauch von Freiheit und Abenteuer.
Puh, ich bin todmüde. Die Strapazen des Tages machen mir zu schaffen.
Das frühe Aufstehen, die turbulente Nacht davor, der viele Alkohol. Ich
zieh mich langsam aus. Auf meinem Bett liegt noch ein chaotischer Berg
aus Tops, Röcken und Hosen, die drauf flogen, bevor ich mein
abendliches Siegeroutfit gefunden hatte. Die Klamotten werfe ich in den
Schrank und mich ins Bett.
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Kaum liege ich zehn Minuten im Bett, da nehme ich Schritte im Flur
wahr. Und Stimmen. Dieter und Karl-Heinz scheinen sich zu verabschieden. Genau, die Tür geht auf und mein Liebster ist da, der
verschwindet aber gleich wieder im Klo. Nebenan höre ich, wie KarlHeinz in sein Zimmer poltert. Ziemlich hellhörig, das Ganze hier. Aber
für südeuropäische Verhältnisse schon irgendwie normal. Ich hör, wie
Karl-Heinz einen tierisch fahren lässt. Oder war´s mein Freund? Ich höre,
wie Karl-Heinz den lauten Fernseher anstellt. Hoffentlich kommt Dieter
nicht auf die Idee mit mir was anzustellen, ich brauch ´ne ordentliche
Mütze voll Schlaf. Falls er zu Fummeln anfangen sollte, werde ich ihm
direkt die Prokura wieder streichen.
6. Mai 2009 - 9.10 Uhr
Über das Frühstück kann ich nicht meckern, nur Dieter murrt, ihm passt
der Kaffee nicht, der wäre ihm zu dünn, wie die Wände im Hotel. Er
trinkt ihn trotzdem und seine Stimmung bessert sich erst nach der fünften
Tasse. Nebenbei testet er, ob er auch sieben Eier schafft, soll ja gut für die
Potenz sein. Das bewahrt ihn vor Aussetzern bei Lust und Liebe. Mir
kann es nur recht sein. Angeblich hatte der selbst gebrannte Lakritzschnaps von meinem Opa die gleiche Wirkung. Opi war immer der
Ansicht, dass sein Schnaps die Potenz steigert, die Sinne schärft und dazu
noch für einen gesunden Stuhlgang sorgt. Meine Oma behauptete, nur das
Letztere würde stimmen. Trotzdem erfreute sich dieses Eigenprodukt
großer Beliebtheit, der Schnaps schmeckte besser, als jeder andere, den
man im Laden kaufen konnte. Bei der Herstellung hatte mein Opa immer
wieder was Neues ausprobiert, bis er das optimale Ergebnis hatte.
Probieren geht halt über Studieren, und Selbermachen macht mehr Spaß
als Kaufen.
Ich halte Ausschau nach Karl-Heinz, kann ihn aber nirgends entdecken.
Ein paar Tische weiter hat sich eine dicke hässliche Frau mit einem
Mann, ebenfalls nicht unbedingt eine erotische Zierde, und zwei Kindern
breitgemacht. „Und ihr benehmt euch hier im Urlaub!“, befiehlt sie dem
Sohn und der Tochter, als sie sich ein Pfund Zucker in den Kaffee rührt.
Nach einer halben Stunde verlassen Dieter und ich gut gestärkt und gut
gelaunt den Speisesaal, während unterdessen der Knabe seiner Schwester
ein Büschel Haare ausgerissen hat. Und die versucht nun, ihm die Augen
auszukratzen, wobei sie sich gerade Messer und Gabel zu Hilfe genommen hat.
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„Die kenn ich doch! Ist das nicht deine Busenfreundin Kitty?“, fragt mein
Schatz mich, als wir uns der Rezeption nähern. Natürlich ist sie das!
Welch Zufall, das Moppelchen quartiert sich in unserem Hotel ein. Leise
steuern wir auf Kitty zu und ich spreche sie von der Seite an. Kitty hat
mich nicht kommen gesehen, da sie das Anmeldeformular am Ausfüllen
ist. „Hallöchen ...“
Meine beste Freundin ist kurz verdutzt und fällt mir dann kreischend vor
Freude um den Hals. „Aber, aber, aber ...“, stottert sie und kriegt vor
Aufregung zunächst keinen ganzen Satz raus. Ich erzähl die Story, warum
wir hier sind. Hatte ich ihr ja auch noch nicht mitgeteilt, weil ich
vergessen hatte, auf ihre SMS zu antworten. „Stell dir vor, ich hab beim
Transfer hier hin im Bus einen süßen Typen aus Berlin kennen gelernt“,
schnattert Kitty, die sich schnell wieder gefasst hat. „Einen Berliner? Wie
heißt der denn?“ „Das möchte ich selber gern wissen, bin noch gar nicht
dazu gekommen, ihn zu fragen. Aber der macht in Werbung. Oh hi,
Didi.“ „Hi Kitty, du hier und nicht in Bollywood?“, flachst Dieter, grinst
und macht weiter Konversation. „Soso, da hast du bereits einen kennen
gelernt. Aus Berlin auch noch, tolle Stadt.“ Seine „tolle Stadt“ ist
gelogen. Unsere Hauptstadt gefällt meinem Freund nicht, hat er mir mal
verraten. Und die Leute, die dort leben, mag er auch nicht, mit Ausnahme
von Peter Frankenfeld. Na ja, man darf nicht pauschalieren. Berlin ist
nicht gleich Berlin, und Berliner sind nicht gleich Berliner. Es ist schon
ein Unterschied, ob man gewöhnlich in Kreuzberg randaliert, im Schloss
Bellevue residiert oder wenn man sich als Komiker probiert. Das sind
dann Berliner, welche Mario mit Vor- und Barth mit Nachnamen heißen.
Berlin gefällt meinem Freund nur, wenn es von Fischer-Z gespielt wird.
Kennedy hatte einst behauptet: Ich bin ein Berliner. Eine glatte Lüge,
Kennedy war niemals Berliner. Nach dem Mauerbau wollte er damit nur
die Solidarität mit der Bevölkerung von West-Berlin zum Ausdruck
bringen.
Mit Kitty verabreden wir uns um 13 Uhr zum Mittagessen. Um 14 Uhr
käme ihr neuer Bekannter, der in einem anderen Hotel in diesem Ort
untergebracht wurde, sie hier abholen. Diesem Rendezvous fiebert sie
bereits vor Spannung und Erwartung entgegen. Gute Chance für Kitty,
ihrem Single-Dasein endlich auf Wiedersehen zu sagen. Dieter meinte
dazu mal: „Entweder findet Kitty bald einen Dummen, der ihr drei Kinder
macht, ansonsten wird man sie in fünfzehn Jahren einsam und breitbeinig
auf Parkbänken sitzen finden, den Rock weit hochgeschoben, damit alle
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ihren Liebestöter bewundern können. Oder wenn alle Stricke reißen, kann
sie immer noch lesbisch werden.“ Der Psychiater in mir ist der Ansicht,
dass tief in Kitty eine schlanke Figur schlummert, die sie sich aber durch
Schokolade vom Leib hält. Mit der Schokolade will sie eigentlich den
Frust über ihr einsames Single-Dasein bekämpfen. Ein Teufelskreis, aus
dem sie nur der Traumprinz retten kann.
6. Mai 2009 - 9.55 Uhr
Wenn es möglich sein sollte, bleiben wir in diesem Hotel. Soll sich Dieter
um alles kümmern. Der giert ja schon danach, der Sackmann wieder in
die Bluse zu glotzen. Soll der mit der um elf Uhr alles klären, ich geh
zum Strand. In der Nähe der Rezeption bespreche ich mit ihm alles.
Okay, er versucht, mit der Reiseleiterin zu reden, ob wir hier in diesem
Hotel bis zur Abreise bleiben können, mich findet er am Strand. Dieter
verabschiedet sich mit einem Wangenküsschen von mir und rennt nach
draußen. Keine Ahnung, wo der hin will.
Ich bummel noch ein wenig durchs Hotel. An der Bar sitzt einsam KarlHeinz. Er zischt ein Bier, anscheinend um die Spätfolgen der letzten
Nacht ein wenig zu lindern. „Na Kalle, alles klar? Schon das Angebot an
alkoholischen Getränken unter die Lupe genommen? Wie geht´s dir?“ Als
Antwort erhalte ich zunächst einen nett gemeinten leisen Rülpser, dann
meint er: „Hab einen gepflegten Kater.“ Das scheint für ihn der
Startschuss für eine alkoholische Eskapade zu sein. „Soso, einen
gepflegten Kater hast du, hab ich mir es doch gedacht. Was machst du
eigentlich beruflich so, Kalle?“ „Warten. Auf eine Chance. Auf bessere
Zeiten warten.“ „Also nix?“ „Ja, genau.“ „Und wie finanziert man so
einen Urlaub, wenn ich mal fragen darf?“ „Durch Schulden machen“,
lacht Karl-Heinz und kommt dann zum Thema. „Glücklicherweise hab
ich eine reiche Tante, von der gibt´s ab und zu eine kleine Finanzspritze.
Aber die Schulden bleiben, ich verjubel das Geld lieber.“ „Sieh an,
deswegen willst du dich also bald ins Ausland verpissen? Soso ... Und mit
Arbeiten gehen ist nix? Schon mal versucht?“ „Arbeiten ist nicht gerade
mein Steckenpferd“, gibt Karl-Heinz ehrlich zu und bestellt noch ein
Bier.
Faulheit hin, Faulheit her. Der Mensch muss arbeiten, muss sich
sinnvoll beschäftigen. Arbeiten ist etwas für andere zu tun. Irgendeine
Gabe hat jeder von Gott bekommen, weiß mein Vater. Das Einzige, was
er nie machen würde, wäre Nichtstun.
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„Für mich ist das Leben nur ein Flechtwerk von Absurditäten“, schluchzt
Karl-Heinz. Bei einer solchen Feststellung hätte mein Vater sich damals
während seiner Lebenskrise in einer verqualmten Kneipe auf einen
Barhocker gestellt und begeistert diesem Tresenphilosophen Szenenapplaus gespendet. Ich bestell mir eben noch schnell eine Cola. Aus dem
traurigen Unterton schließt der Psychiater in mir, dass Karl-Heinz mit
seiner Sprücheklopferei nur seine Unzufriedenheit überspielen will. Aber
immer noch besser noch als Miesepeter, die ihre eigene Unzufriedenheit
über ihr Leben an anderen auslassen müssen. Man tratscht auch deshalb
gerne über andere, weil man sich dadurch in ein besseres Licht stellt.
„Ob jemals Kokain in Coca Cola enthalten war, wird wohl immer ein
Rätsel bleiben“, fragt sich Karl-Heinz, der plötzlich wieder fröhlich
gestimmt ist. „Und die Gedanken einer Frau werden ebenfalls für mich
immer ein Geheimnis bleiben“, gibt er zu. „Kleine Geheimnisse sind ein
gutes Aphrodisiakum. Ich geh gleich zum Strand. Was hast du vor?“ „Ich
trink noch was, kost ja nix, und dann werde ich vielleicht am Pool mit
dem Badetuch bewaffnet einen Urlauber zum Duell um den letzten noch
freien Liegestuhl herausfordern.“ Ich honoriere diesen Spruch mit einem
Grinsen, welches ich mir überdies auch nicht verkneifen kann.
Um die Intelligenz von Karl-Heinz ein wenig auf die Probe zu stellen,
frage ich ihn nach Bukarest. „Bukarest ist die Hauptstadt von Rumänien.
Das weiß ich zufällig.“ „Stimmt, hatte ich glatt vergessen“, sage ich und
nestel in meinen Haaren. „Obwohl Schule, Geografie, was sage ich,
Lesen im Allgemeinen war überhaupt nie mein Ding gewesen. Das
intellektuellste Druck-Erzeugnis bei mir daheim ist lange Zeit der Kicker
gewesen. Später kam noch ein Wörterbuch in Spanisch dazu. Was Lernen
angeht, dafür kenn ich die festgelegten Schemata bei Taekwon-Do
Gürtelprüfungen nahezu auswendig.“
Ein Herr in feiner Schale gesellt sich zu uns an die Bar. Ein betörender
Duft steigt mir in mein Näschen, eine Mischung aus teurem Shampoo und
exklusivem Rasierwasser. Er scheint so alt wie Dieter zu sein und will
uns nun ein Gespräch aufzwingen. „Schön hier, aber in Sevilla ist mehr
los. Kennt einer von euch Sevilla? War einer von euch schon mal da?“
Weder Karl-Heinz noch ich können diese Frage beantworten. „Das ist
schön da, wirklich. Sevilla ist die Hauptstadt von Andalusien und viert
größte Stadt Spaniens.“ „Da hat der Barbier die Frisur erfunden“, meint
Karl-Heinz trocken. Der Mann ignoriert diese Bemerkung und lehrt uns
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weiter: „Sevilla ist die Heimat von Carmen, Don Giovanni und Don
Juan.“ „Und von Donald Duck“, ergänzt Karl-Heinz die Liste und stellt
eine Frage. „Was ist mit Don Quijote, dem Ritter der traurigen Gestalt?
Kam der nicht auch aus Spanien?“ „Natürlich, aber der kam aus CastillaLa Mancha. Geschrieben schon in Sevilla, im Kerker. Ja, Don Quijote,
der Antiheld. Er stirbt am Schluss an Melancholie.“ „Und ich sterbe am
Schluss an Wassermangel“, befürchtet Karl-Heinz und nimmt deshalb
einen kräftigen Schluck Bier. „Du kennst dich in der Welt aus?“, möchte
Karl-Heinz wissen. „Ich war schon in vielen Ländern dieser Welt“,
versichert er uns. Unter anderen elf Mal in den USA“, gibt er stolz an.
„Das ist aber nur ein Land“, korrigiert Karl-Heinz und stellt ihm eine
Frage: „Warst du in New York? - Rio? - Tokio? Dann wären es drei
Länder.“ „New York war ich schon zwei Mal, an der Copacabana war ich
auch mal und hab dort die heißen kaffeebraunen Brasilianerinnen
bewundert.“ „Heiße Frauen gibt es überall“, erzählt Karl-Heinz. „Ich
kannte mal eine Schwarzhaarige aus unserer Nachbarschaft, die war ein
Geheimtipp, ihre Merkmale im Bett waren: perfekte Raumaufteilung,
hohe Beweglichkeit, herausragendes Stellungsspiel und blitzschnelle
Reflexe.“ Hey, das hört sich eher nach Oliver Kahn mit Perücke an!
„Du, die die war so was von heiß, die steckte ihren Zeigefinger wie einen
Tauchsieder in eine Kanne und brachte so das Wasser zum Kochen. Aber
naiv war die. Sie heiratete einen Blender. Könnt ich einer Frau etwas
vormachen, wäre ich schon längst verheiratet, aber ich bin ein miserabler
Schauspieler. Als Jugendlicher war ich der Meinung, jede schwarzhaarige
Frau wäre eine nymphomane Sexbestie. Ich habe sechszehn Jahre
gebraucht, um herauszufinden, dass es wirklich so ist. Dann noch was,
bevor ich es vergess. Glücklicherweise bin ich nach diesem Schäferstündchen mit einem blauen Auge davon gekommen, weil ich geschickt
Faustschlägen und diversen Wurfgeschossen ausweichen konnte.“
„Wieso, was war passiert?“ Ich bin neugierig geworden. „Mitten in der
Nacht kam der Freund nach Hause. Von dem wusste ich überhaupt nichts,
und deshalb war der mir so willkommen wie der Kontrolleur in der
Straßenbahn.“
„Bereits nächsten Monat fahr ich nach Dänemark. Dort mach ich nicht
nur Urlaub, sondern lass mir gleich in einer Akupunktur-Privatpraxis
mein Augenleiden behandeln“, erzählt der gut gekleidete Mann. „Du
fährst nach Dänemark, das zeugt von viel Fantasie. Nächsten Monat fahr
ich zu unserem heimischen Baggersee und lass mich dort von Mücken
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stechen.“ Nach diesem Spruch bestellt Karl-Heinz sich einen Schnaps,
damit das Bier in seinem Magen sich nicht so allein fühlt.
„Sind Sie alleine hier?“ frage ich den Mann, von dem ich weder Namen
weiß noch woher er kommt. „Ich bin verheiratet, und zwar zum zweiten
Mal, aber die Frau hab ich daheim gelassen. Meine erste Frau starb vor
sieben Jahren, sie kam von den Philippinen. Als die Tränen getrocknet
waren, hab ich mich drei Tage später auf die Suche gemacht, eine Neue
zu finden.“ „Also hast dich in den Flieger gesetzt und bist auf nach Asien
zu den Inseln geflogen“, meint Karl-Heinz. „Nein, ich hab mir den
aktuellen Katalog zeigen lassen.“ Eine Ehefrau aus dem Katalog, die man
kaufen kann, was sind das denn für Scherze?
Der Mann zeigt uns stolz seine Armbanduhr. „Schaut mal, eine echte
Rolex, kein Imitat aus der Türkei.“ „Schau mal“, sagt Karl-Heinz und
zeigt auf seinen Mund, „echte Zähne, kein Imitat aus Gold.“ Der Mann
lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und plaudert weiter, gibt weiter
munter an.
Mir macht das Zuhören keinen Spaß, es nervt. Mein innerer Mangel an
Begeisterung treibt mich zur Flucht. Ich möchte den Morgen an einem
ungestörten Ort ausklingen lassen, und so verabschiede ich mich von den
beiden, und geh hoch aufs Zimmer, alles Packen fürs Sonnenbaden.
Eine Person, die sich einen Ehepartner kauft, ist mir suspekt. Meine
Schwester erzählte mir mal von Desaster Detlefs Schwester, bei der war
alles irgendwie suspekt, nicht nur der Bruder, selbst der Putzlappen. Mit
diesem Lappen wurde innerhalb einer halben Stunde das Geschirr abgewaschen, die Badewanne gescheuert und das Katzenklo gesäubert,
zeitlich betrachtet alles aber in umgekehrter Reihenfolge. Und was den
Stolz angeht, Stolz ist die Krücke der Unsicheren.
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6. Mai 2009 - 10.00 Uhr
Auf Flip Flops trödel ich in einer langen weißen Baumwollhose und
einem pink geblümten H&M-Top von unserem Hotel zum Strand. Eine
kurze Zeit werde ich von einem Schwarm winziger Insekten eskortiert,
die um meinen Kopf herumschwirren. Zum Strand Cala Marsal brauch
ich gut eine Viertelstunde. Die Badebucht wird seinen Namen von diesem
Hotel erhalten haben, welches nur durch eine Straße vom Strand getrennt
ist. Ungefähr so, wie die Metropole Istanbul benannt worden ist nach
dieser Bude mit dem außergewöhnlichen delikaten Döner. Oder wie ein
Zellentrakt einer Justizvollzuganstalt nach Desaster Detlef benannt
worden ist. Für einen Knacki hat dies den gleichen Stellenwert, als wenn
ein Künstler mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt wird.
Ein freies Plätzchen zu finden ist nicht allzu schwer, es ist ja auch noch
früh und Vorsaison sowieso. Aus meiner Strandtasche hole ich das große
Handtuch hervor und breite es aus. Dann zieh ich Hose und Top aus und
mach es mir bequem. Da liege ich nun auf dem Rücken in einem gelben
Bikini und denke über meine Zukunft nach, mit der Erkenntnis, dass alles
meist anders kommt, als man denkt. Stimmt´s, Herr Kolumbus? Der
Mensch denkt, Gott lenkt. Dieser Spruch dürfte bekannt sein. Warum ist
das so? Menschen, die Gott lieben, so mein Vater, sind der festen Überzeugung, dass Gott immer noch einen besseren Plan hat, als den, den man
gerade im Kopf hat. Es ist aber immer eine Frage der Zeit, wann einem
dies klar wird. Das kann Wochen, Monate, Jahre, ja durchaus ein ganzes
Leben dauern. Manchmal wird es auch einem nie klar, die Wege des
Herrn sind halt unergründlich. Das ist ungefähr genauso, wenn Männer
alles verstehen müssten, was im Kopf eines Mädchen vorgeht, kämen sie
nie zu einem Ende.
Rechts von mir liegt ein Typ auf dem Bauch und hat eine wahnsinnige
Traumfigur. Seine Visage kann ich nicht erkennen. Ich frage mich, hält
das Gesicht, was der Körper verspricht? Sein fetter Kumpel scheint
ziemlich das Gegenteil von ihm zu sein, zumindest von der Figur. Der
liegt da wie ein gestrandeter Wal und sieht dazu auch noch mies aus, ein
grauenvoller Mutant der Spezies Mann.
Links neben mir, in einigen Metern Entfernung, ziehen sich zwei
deutsche Mädels ihr Bikini-Oberteil aus. Die mit den dickeren Möpsen
trägt einen Stringtanga. Wenn der was unangenehm zwischen den Zähnen
klemmt, kann die zur Not ihren Tanga zu Hilfe nehmen, der ist genau so
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dünn wie Zahnseide. Oben ohne ist nix für mich. Besser schneeweiße
Titten, die von einem Mann zärtlich massiert werden, als braun gebrannte
Brüste, um die sich keiner kümmert und die lediglich von notgeilen
Männeraugen angestarrt werden. Oder von neidischen Damenaugen.
Eifersucht hin, Eifersucht her. Auf meine optimale Oberweite bin ich
stolz, da hat es die Natur besonders gut mit mir gemeint. Allerdings
unterliegen meine Brüste auch der Schwerkraft. Meine Schwester sagt
immer dazu, je älter man wird, desto mehr macht sich das bemerkbar. Die
Zeit ist Gift für die Schönheit einer Frau.
Der Walfisch nebenan hat sich mittlerweile hingesetzt. Jetzt fängt er an
zu rauchen, zieht mit der Verzweiflung eines Cracksüchtigen an seiner
Zigarette und nimmt mich ins Visier. Womöglich hofft er, dass ich ein
bisschen von meinem Urlaub in seinem Bett verbringe.
Nur wenige haben bislang meine Brüste unbedeckt betrachten können.
Meinem letzten Lover hätte ich sie am besten nie gezeigt. Zuvor hatte ich
mich nach fast sechs Jahren von einem Freund, mit dem ich schon in
meiner Jugendzeit zusammen war, getrennt, weil die Liebe verblüht war
und ich mich bei ihm nicht mehr wohlgefühlt hatte. Das Ganze endete
ziemlich krass für mich, sodass ich kaum atmen konnte. Okay, aber
lassen wir das. Viel zu überstürzt und unüberlegt fing ich kurz danach
eine neue Beziehung an. Es war Liebe auf den ersten Blick bei mir. Das
ist mein Traumboy in alle Ewigkeit, das hatte ich im Gefühl. Aber
Gefühle lügen auch und Liebe macht blind, sowieso. Als mir vier
Wochen später die Augen aufgingen, auf was für einen Idioten ich da
reingefallen bin, war´s natürlich bereits zu spät, da war schon was
gelaufen. Ich trennte mich rasch von dem Typen, der Frauen auf Titten,
Arsch und Beine reduzierte.
Darüber hinaus hielt er sich für unwiderstehlich. Eine Meinung, die er
exclusiv besaß. Okay, lassen wir auch das. Dies alles war wieder ein
derber Rückschlag für meine Fantasien vom Traumboy und hab das als
schmerzhafte, aber wichtige Erfahrung verbucht. Wenn Männer eine
Partnerin suchen, werden sie zum Jäger und legen nur so lange ein gutes
Benehmen an den Tag, bis sie ein Opfer erlegt haben. Danach offenbart
sich ihre wahre Identität. Dieter ist da anders, er ist verständnisvoll,
sensibel und leidenschaftlich. Diese Mischung ist schon außergewöhnlich. Gefühle lügen nicht, hört man oft in deutschen Schlagern.
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Angenommen Gefühle würden nicht lügen, erklärt mein Vater mir immer,
wäre er früher durch Wetten auf dem Pferderennplatz schon längst zum
Millionär geworden. Man sollte unterscheiden zwischen einer inneren
Gewissheit und einem Gefühl. Ein Gefühl verschwindet meist wieder
ganz schnell, wie es gekommen ist. Außerdem, so mein Vater, ist ein
Mensch, der sich von seinen Gefühlen leiten lässt, ein Mensch ohne
Prinzipien. Wahre Liebe basiert nicht auf Gefühlen.
Ach ja, dann war da noch Tim, mein erster fester Freund. Tim war der
erste Junge, der mir seine Zunge in den Mund stecken durfte. Gerne hätte
er mir auch andere Teile in meinen Körper gesteckt, aber dies ließ ich
damals nicht zu. Ich trennte mich von ihm, als er mit Caro rummachte,
die war zu dieser Zeit meine engste Freundin und gleichzeitig aber auch
meine schärfste Rivalin. An dem Tag, als Caro zum ersten Mal wild auf
meinen Tim getroffen ist, verlor sie drei Dinge auf einmal: ihr Zungenpiercing, ihre Unschuld und mich als Freundin. Aber das ist schon ein
paar Tage her, da war ich noch sehr blauäugig. Eine Frau verliert zwar in
einem gewissen Alter die Fähigkeit, Kinder zu gebären, aber ihre Naivität
verliert sie nie ganz. Caro soll heute ihren Lebensunterhalt mit Fellatio
verdienen, hab ich mir sagen lassen.
Die Sonne brennt mir auf die Haut und es wird Zeit mich einzucremen.
Mein Bauchnabel ist zum Hochofen geworden und es dauert nicht mehr
lange, bis sich das Piercing verflüssigen wird. Ich richte mich auf und
greife zur Sonnenmilch und fange an. Während ich mich einreibe, schaue
ich kurz nach links. Er kommt auf mich zu, aber er sieht mich nicht.
Bruce Willis, zumindest seine zwanzig Jahre jüngere Ausgabe. Diesmal
trägt er nicht nur eine schwarze Hose, sondern auch noch ein T-Shirt in
Schwarz. Er sieht mich nicht, weil sich seine Augen an den beiden ObenOhne-Miezen festsaugen. Jetzt registriert er mich und nimmt mich ins
Visier. Er lacht mich an. Er steuert auf mich zu. Mein Herz fängt wild an,
zu pochen. „May I help you?“ Oh Gott, doch kein Engländer? Dazu fehlt
ihm die Dose Bier in der Hand. Wobei will er mir helfen? Ach ja, beim
Auftragen von Sonnenschutzmittel, war ja auch unschwer zu erraten, was
ich gerade am Machen bin. Mh-hm ... Warum nicht? Beim Rücken kann
er mir helfen. Wenn Dieter sich von der Reiseleiterin am Hintern
rumspielen lässt, dann kann der mir ohne Weiteres den Rücken
einschmieren, why not?
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„My name is Jack and I´m from Manchester. What´s your name?“ Doch
einer! Leider hat die globale Erderwärmung noch nicht dazu geführt, dass
auf der britischen Insel ein subtropisches Klima herrscht, und der
Engländer auf einen Urlaub am Mittelmeer glatt verzichten könnte. Ich
piepse ihm meinen Namen und Jack in black will mehr Eckdaten von mir
wissen. „You are from Russia, aren´t you?“ „No, German … from
Germany”, nuschel ich. „Oh, nice German girl. Give me the sunblocker.”
Er hockt sich neben mich. Ich reich ihm die Sonnenmilch und er kleckst
was davon auf meine Schultern. „Do you want to ride my cock tonight?”
Hä? Was soll ich diese Nacht? Ride my cock? War Cock nicht ein Tier
auf dem Bauernhof? Meine letzte Englischstunde ist schon ein bisschen
her. Ich brauch Nachhilfe, und deshalb werde ihn nach der Bedeutung
fragen. „Äh ... Jack. What is the meaning of to ride a cock?“ Ich habe gar
nicht registriert, dass sich Karl-Heinz zu uns gesellt hat und der hat die
Unterhaltung mitgekriegt. „Who are you?”, will Jack wissen. Das fragt er
ziemlich unfreundlich, der fühlt sich durch Karl-Heinz Anwesenheit
sichtlich gestört bei seinem Unterfangen. „This is a friend of mine“,
erkläre ich. „Yes, and if you want to ride a cock tonight, take a british
bitch”, warnt Karl-Heinz ihn. Bitch habe ich verstanden, aber den
kompletten Sinn noch nicht. „Piss off, or I will kick your ass“, droht Jack
und fängt an, mich einzureiben. „Finger weg von der Frau, sonst radier
ich dir gleich das Tattoo weg“, droht auch Karl-Heinz meinem englischen
Nachhilfelehrer und zeigt ihm den hochgestreckten Mittelfinger der
rechten Hand, den klassischen Stinkefinger also. Jetzt geht´s rund. Jack
versucht, sich das Objekt der vulgären Geste zu schnappen, schafft es
aber nicht. Nach dieser misslungenen Attacke erhebt sich der Brite und
schwingt nun blitzartig seine geballte Faust Richtung Karl-Heinz Gesicht,
doch der kann dem Schlag ausweichen.
Angriff war schon immer die beste Verteidigung, das weiß auch KarlHeinz, und der tritt dem Jack gegen elf Uhr voll heftig in die Zwölf, da
wird´s wohl dreizehn geschlagen haben beim Engländer. Wenn da mal
nicht die Hydraulik einen Schaden genommen hat und nun lebenslang für
eine sexuelle Dysfunktion sorgt. Jack kippt um wie ein nasser Sack
Kartoffeln und wälzt sich krümmend im Sand. Die anderen Leute am
Strand sehen tatenlos dieser Auseinandersetzung zu. Der Freund vom
dicken hässlichen Wal nebenan scheint überhaupt nichts mitbekommen
zu haben, der liegt immer noch genauso da wie vor paar Minuten.
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Ich pack flink meine Siebensachen zusammen und rede Karl-Heinz gut
zu, den Strand ebenfalls schleunigst Richtung Hotel Marsal zu verlassen.
Doch Karl-Heinz kann nur humpeln. „Verdammt, ich glaub, ich hab mir
den Fuß gebrochen“, meint er und verzieht dabei schmerzhaft sein
Gesicht. Ein Arzt wäre jetzt nicht schlecht. „Wird schon wieder. Im Hotel
sollen die dir einen Krankenwagen rufen“, tröste ich ihn. „Dieser blöde
Wichser, soll der noch mal ankommen, dem wird ich´s richtig geben.“
Karl-Heinz ist zornig, nicht ohne Grund.
Rachsucht hin, Rachsucht her. Mein Vater würde wohl sagen: „Lass das
sein mit der Vergeltung, der liebe Gott wird´s schon richten. Menschen,
die sich beherrschen können, sind starke Persönlichkeiten, denn
Selbstbeherrschung ist kontrollierte Kraft.“
6. Mai 2009 - 13.05 Uhr
„Dann kam der Krankenwagen und man hat ihn nach Manacor in die
Klinik gefahren“, erzähl ich Dieter und mehr weiß ich im Moment auch
nicht. „Kalle hat aber einen Fehler gemacht. Er hätte sich besser die
Zähne rausschlagen sollen, damit er´s endlich zum Zahnklempner
schafft“, findet Dieter und guckt mich grinsend an. „Find ich gut, dass du
das mit der Sackmann alles so unkompliziert regeln konntest, das wir hier
in diesem Hotel bleiben können.“ „Ja“, freut sich Dieter, „find ich selber
gut, dass das alles prima geklappt hat.“ Kitty tapst ins Restaurant. Warum
tragen ausgerechnet solche molligen Frauen wie Kitty Leggins, die sie
besser nicht tragen sollten? Das hat mit modischer Verzweiflung nichts
zu tun, das ist für mich eine optische Todesstrafe, das Ende der Erotik.
Meine Freundin setzt sich zu uns und trällert den Refrain vom neuesten
Hit der Kelly Clarkson. Ich berichte ihr von der Sache mit Karl-Heinz.
„Der tut mir aber Leid“, sagt Kitty mitfühlend. Kurz nach 14 Uhr
erscheint Kittys Verabredung, der Berliner. Der stellt sich kurz vor und
Kitty stellt uns kurz vor. Man merkt schon, wie Kitty es drängelt, mit dem
Typen alleine zu sein. Die beiden verduften auch flink.
„Ich möchte wetten, dass bei Kitty diese Nacht noch was läuft. Die ist so
heiß ...“ „Hey, du spinnst wohl!“, schnauze ich Dieter an. „Kitty ist ein
anständiges Mädchen. Die ist nicht so einfach zu bekommen. Die kriegt
man nicht von heute auf morgen rum.“ „Zu wie viel Prozent bist du dir
dabei sicher? Komm, ich werde morgen diesen Berliner fragen, ob der die
flachgelegt hat. Ich sag ja. Um was wetten wir?“ Verdutzt schaue ich
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meinen Freund an, solch eine ausgefallene Wette hatten wir bisher noch
nie. „35 Euro!“ schlage ich vor. „Abgemacht!“
6. Mai 2009 - 19.10 Uhr
Kitty, Karl-Heinz, Dieter und ich sitzen im Restaurant und sind am
Futtern. Kitty freut sich auf ihr zweites Treffen mit dem Berliner um 20
Uhr. Karl-Heinz freut sich, dass sein Fuß nicht mehr so heftig wehtut. Da
hat er noch mal Glück gehabt, gebrochen sei nix, diagnostizierte der
balearische Röntgenexperte. Kommunikation war problemlos möglich, da
dieser Arzt in Deutschland studiert hatte. Der Nachteil war nur, dass er
ein halbes Semester auf ihn warten musste, so Karl-Heinz. Da zahlt eine
Versicherung ja noch schneller. Man hat sein Füßchen im Krankenhaus
lediglich eingesalbt und danach dick verbunden.
Kurz nach acht machen Dieter und ich uns auf. Wir lassen die beiden
allein. Kittys Berliner hat sich noch nicht blicken lassen, und deshalb ist
meine Freundin bereits ein wenig beunruhigt. Sich Sorgen machen
bedeutet, Angst davor zu haben, dass sich Erwartungen nicht erfüllen, das
weiß mein innerer Psychiater. Händchen haltend schlender ich mit Dieter
zum Hafen runter. Die Temperatur ist noch angenehm und vom Meer her
weht nur eine schwache Brise. Wir genießen diesen wundervollen Abend,
schauen uns am Wasser um, flanieren durch die Altstadt. Wir finden eine
Bank und machen uns dort breit. Nur ein einziges Wölkchen ist am
Himmel zu sehen, und ich stell mir vor, es ist der Schleier einer zauberhaften Fee. Gegen halb zehn machen wir uns auf den Weg zurück in
unser Hotel.
6. Mai 2009 - 22.15 Uhr
Ohne noch einen Abstecher an die Bar zu machen, fahren wir mit dem
Aufzug hoch aufs Zimmer. Just als Dieter unter der Dusche ist, klopft es
an der Tür. Ich mach auf und mir offenbart sich ein leicht alkoholisierter
Karl-Heinz, der eine Bitte an mich richtet. „Hört mal ... habt ihr eventuell
... ein Kondom zu viel? Oder auch zwei ... drei?“ Ich bin einen Moment
perplex. „Äh ... nein“, antworte ich leise. „Da können wir dir leider nicht
mit dienen.“ „Mist ...“ Karl-Heinz ist enttäuscht, aber wünscht mir noch
eine gute Nacht, bevor er hinkend in seinem Zimmer verschwindet.
Schamlos nackt wie Adam vor dem Sündenfall kehrt Dieter aus dem Bad
zurück. Ich schiele kurz auf ein interessantes Teil an seinem Körper, dass
ich bei mir nicht vorweisen kann. „Mit wem hast du denn gerade ge45
sprochen, Zaubermaus?“ Er scheint was mitbekommen zu haben. „Es war
nur Karl-Heinz.“ „Karl-Heinz? Was wollte der denn?“ Ich überlege, ob
ich ihm den wahren Grund sagen soll, aber ich lasse es zunächst. „Nix ...“
„Wie nix? Da klopft es spät abends an unserer Tür und der wollte nix?“
„Äh ... na gut. Ich sag´s dir. Er wollte ... ähem, er wollte ein Präservativ.“
„Einen Pariser? Kalle, der verzweifelte Wichser, wollte einen Pariser,
eine Lümmeltüte? Ha, was ist los? Hat der eine abgeschleppt?“ „Woher
soll ich das denn wissen? Ich hab niemanden bemerkt.“ „Moment mal,
ich glaub, in meiner Reisetasche könnte noch eine Packung sein.“ Erneut
bin ich perplex. „Seit wann hast du Kondome dabei? Davon hast du mir
noch nie erzählt?“ Dieter gibt mir keine Antwort und durchsucht
schweigend sein Gepäck.
„Voilá, ich hab sie, die Packung. Einer ist noch drin.“ „Wieso ist da nur
noch einer drin? Wo ist denn der Rest geblieben? Du schuldest mir eine
Erklärung!“ Das fordere ich akustisch sehr auffällig von ihm und schaue
ihn dabei mit ernster Miene an. „Hey, reg dich ab, ja. Die hab ich mir
letztes Jahr vorm Sommerurlaub gekauft, da waren wir noch nicht zusammen.“ Okay, das muss ich schlucken. Da hat er möglicherweise eine
blonde Rucksacktouristin aus Skandinavien mit Alkohol gefügig gemacht
und am Strand durchgebumst. Oder er ist mit einer Angestellten eines
unmöglichen schwedischen Möbelhauses im Schlafsack zusammengestoßen, hat den Elchtest geprobt.. Okay, Schluss damit. Die Fantasie
einer Frau ist der beste Dünger für ihre Eifersucht. Immerhin scheint er
vernünftig genug zu sein und legt Wert auf geschützten Verkehr, benutzt
Gummis. Viel mit echter Liebe wird das Ganze nicht zutun gehabt haben,
denk ich mal. Sex ohne wahre Liebe wäre für mich rohe Gewalt. Deshalb
hatte ich noch nie einen One-Night-Stand. Eine wilde Bekannte von mir
schon. Sie spricht dann immer von einer fabulösen, heißen, spontanen
Affäre. Für mich sind das Biester, die Männer wie Trophäen behandeln.
Viel Spaß und Abwechslung im Bett wollen diese Unersättlichen haben,
deswegen heiraten sie auch nie. Besagte Bekannte hat sich in einem
großen Konzern innerhalb von nur 48 Stunden von der Klofrau bis zur
Chefsekretärin hoch geschlafen.
„Komm, gib her. Ich bring es ihm, husch du schon mal ins Bettchen.“
Dieter wirft mir die Schachtel zu, und ich werfe einen kurzen Blick drauf.
Gefühlsecht - Hauchdünn - Inhalt drei. Moment mal, hat er mich nicht an
seinem Geburtstag gebeichtet, er hätte im Jahr 2000, da wo ich meinen
ersten richtigen Sex hatte, seinen Letzten gehabt? Ich weiß nicht, was du
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letzten Sommer getan hast, aber ich möchte es schon wissen, mein Freund
und Kupferstecher.
Ich geh raus und klopf an die Tür nebenan. „Hey Kalle, mach mal auf. Ich
bin´s.“ Die Tür öffnet sich. „Schau mal, was ich ...“ Eine strahlende Kitty
glotzt mich mit großen Augen an und reißt mir gierig die Packung aus der
Hand. Ohne ein Wort mit mir gewechselt zu haben, schließt sie schnell
wieder die Tür und ich krieg die Tür nicht zu. Zurück im Zimmer werde
ich sofort von im Bett liegenden Dieter gefragt, wie Kalle reagiert hat.
„Äääääh ... ja“, stotter ich. „Kalle ... Kalle hat sich natürlich gefreut“,
lüge ich und knipse schnell das Licht aus, damit er nicht sieht, wie ich im
Gesicht knallrot anlaufe.
Zwanzig Minuten später, wir versuchen zu schlafen, fängt das Gestöhne
an. „Hör mal, Kalle hat tatsächlich eine gefunden, die sich von ihm
pimpern lässt.“ „Na und?“, knurr ich und dreh meinem Freund den
Rücken zu. Mich wurmt es, das Kitty sich so schnell auf eine
Bettgeschichte mit Karl-Heinz eingelassen hat. Für mich war sie eine
hoffnungslose Romantikerin und schwärmte von inniger Liebe, und die
braucht Zeit, muss sich entwickeln. Aber sie benimmt sich wie ein
schlampiges Flittchen. Sex ist der Anfang vom Ende jeglicher Romantik,
die Ehe das Ende des Sexlebens. Kittys Gestöhne wird immer heftiger
und lauter, dass es den Nachtportier im Erdgeschoss noch unterhalten
wird. „Galaktisch, die geht ab wie Lucy“, kichert Dieter und ist neugierig
geworden. „Mit was für einer Tussie treibt der es?“ „Keine Ahnung, ich
hab nix gesehen“, schwindel ich und füge gähnend hinzu: „Und du lass
dich nicht anstecken und bleib bloß schön brav.“
Oh Gott, Kitty geht wirklich ab wie Lucy, da kann ich akustisch nicht
mithalten. Sie ist mit Sicherheit nicht nur eine prima Souffleuse, sondern
hat das Zeug zur Synchronsprecherin, am besten für den neuen Josefine
Mutzenbacher Film. Nun gut, trotzdem, von ihr hätte ich es am wenigsten
erwartet, dass sie sich von einem Typen flachlegen lässt, von dem sie
noch nicht einmal den vollständigen Namen kennt. Ich hielt dies für
unwahrscheinlich, genau wie damals in den Zeiten des Kalten Krieges
eine 6,0 von einem ostdeutschen Punkterichter für eine bundesdeutsche
Eiskunstläuferin.
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Wollust hin, Wollust her. Mein Vater macht mich noch heute drauf
aufmerksam, dass Sexualität ein genialer Baustein der Schöpfung ist,
sonst käme der Mensch nicht auf die Idee, sich fortzupflanzen. Aber
außerehelicher Sex ist Sünde. Ich glaube ihm, aber ich halt mich nicht
daran. Kein Sex vor der Ehe, wer schafft das schon? Krampfhaft
versuchen, den natürlichen Sexualtrieb zu unterbinden, hat doch auch
keinen Sinn. Mein Vater sagt, dass so etwas nur Menschen gelingt, die
eine tiefe Beziehung zu ihrem Schöpfer haben, der ihnen die nötige Kraft
dazu gibt. Wenn die Beziehung von jemandem zu Gott nur so
oberflächlich ist, wie die zu einem von vielleicht hundert FacebookFreunde, die manche so im Durchschnitt haben, dann gelingt das auch
nicht. Indische Gurus wissen von Ojas, einer spirituellen Kraft, die die
Frucht der Keuschheit ist. Je mehr ein Mensch von dieser Kraft in sich
habt, desto gesünder ist er. Solche Gurus sind voll mit dem Geist Gottes
und werden ihm dadurch immer ähnlicher. Gott ist ein Geistwesen und
hat den Menschen nach seinem Abbild erschaffen. Das Interesse an
Dingen wie Reichtum, Ruhm oder Lustbefriedigung verschwindet für
solche Gurus immer mehr. Mein Vater sagt, dass ist für einen vom
dunklen Weltengeist beeinflussten Erdenbürger nicht zu verstehen. Aber
wer keine innige Beziehung zu seinem Schöpfer hat, braucht sich nicht zu
wundern, wenn es Gott zulässt, dass man unerwartet in Not gerät. Mein
Vater hält sich selbst für einen Heiligen und Sünder gleichzeitig. Ein
Widerspruch, aber eine eindeutige Erkenntnis. Kein Mensch ist auf dieser
Welt ohne Sünde, denn jeder hat Tricks auf Lager, das weiß ich selber.
Man lügt, betrügt, täuscht, manipuliert, hat Ausreden. Eine Ausrede ist
nichts anderes als eine Lüge.
Dieter hat mir mal von seinem schweren Verkehrsunfall erzählt, wo er
seinen ersten Wagen zu Schrott gefahren hatte. Für das Auto musste er
damals 3000 Mark hinlegen. Er war achtzehn Jahre alt und seinen
Führerschein besaß er keine zwei Wochen. In einem heiteren und erregten
Gemütszustand, der durch Enthemmung und Selbstüberschätzung
gekennzeichnet war und durch einen Joint verursacht wurde, nahm er eine
Kurve zu schnell und überschlug sich. Er lag sechs Wochen im Krankenhaus. Dieter meinte, wenn du schwer verletzt im Krankenhaus liegst,
dann möchtest du nur eins, und das ist gesund werden. Der Verlust des
Wagens wird dir egal sein, andere Dinge wie Fußballergebnisse zum
Beispiel verlieren ebenfalls ihren Stellenwert, sie interessieren dich nicht
mehr. Was dich interessiert ist, dass du dem Tod von der Schippe
gesprungen bist und wieder gesund wirst.
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Gott sei Dank sehen die beiden sich nicht sportlich herausgefordert und
arbeiten sie sich nicht durch das Kama Sutra, die Bettakrobatik hört zum
Glück auf, die Gummis sind wohl alle und auf die Idee mit der
Frischhalte-Folie scheinen sie nicht zu kommen. Ich falle in einen tiefen
Schlaf. Allerdings werde ich mitten in der Nacht kurz wach, als sich
heimkehrende Hotelgäste im Flur dermaßen laut unterhalten, sodass es
auch unbedingt alle mitkriegen müssen, insbesondere diejenigen, die
bereits am fest Ratzen sind.
7. Mai 2009 - 8.00 Uhr
Insgesamt haben Dieter und ich vergangene Nacht gut geschlafen. Um die
letzte Müdigkeit zu vertreiben, hopsen wir lieber die Treppen runter ins
Erdgeschoss. Statt rechts zum Frühstücksbüfett zu gehen, biegen wir nach
links und verlassen das Hotel, weil mein Liebster einen spontanen
Spaziergang zum Meer vorgeschlagen hat. Dem schließe ich mich an,
denn so richtigen Appetit habe ich nicht, es ist noch früh. Obwohl Dieter
noch keinen Schluck Kaffee zu sich genommen hat, besitzt er bereits eine
blendende Laune. Ein schöner Urlaub wirkt doch Wunder.
Am Strand ist noch kein Mensch. Wir genießen die Ruhe und Einsamkeit.
Es ist einfach herrlich, fantastisch. So schön, ja noch schöner, muss es im
Garten Eden gewesen sein. Leider ist dieser Fleck hier seit gestern kein
Paradies mehr für mich dank diesem brutalen Arsch von Engländer. Ich
glaube, den Himmel auf Erden zu suchen ist auch so ´ne Sache, die sich
früher oder später als Illusion entpuppen wird, bei den vielen bösen
Menschen und den vielen Krisen in dieser Welt. Und nicht, dass sich
auch noch der echte Bruce Willis als Ekelpaket erweist, wenn man mal
das Glück haben sollte, ihn privat kennen zu lernen. Aber auf dieses
Glück kann ich seit gestern gut verzichten, es könnte mir meine Träume
zerstören.
Erneut macht Dieter einen Vorschlag, den ich annehme. Wir erkunden
einfach das Hotel Marsal. Okay, ein Schild macht uns drauf aufmerksam,
dass der Zutritt nur Gästen gestattet ist. Der Hinweis wird ignoriert und
wir gehen am großen Pool vorbei, dann Treppen hoch auf den Eingang
zu. Vor dem Hotel hält ein französischer Kleinwagen. „Guck mal“, meint
Dieter, „das ist doch das Auto von unserer Reiseleiterin.“ „Klar, was du
nicht schon alles von der weißt“, maule ich. Meine Stimmung ändert sich
jedoch schlagartig zum Positiven, als der Berliner aus dem Fahrzeug
springt und seinem Chauffeur zum Abschied ein Dutzend Küsschen
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zuwirft. Besser gesagt Chauffeurin, denn hinterm Lenkrad hockt die
zweibeinige blonde Nymphenschnepfe Sackmann ohne Frage. „Da kannst
du von Ausgehen, das zwischen den beiden diese Nacht was gelaufen
ist“, analysiert Dieter die Lage. „Da kannst du mal sehen, wie die sich um
das Wohl ihrer Feriengäste kümmert.“ „Ja klar, aber scheinbar nur um das
Wohl der männlichen Gäste“, verbesser ich meinen Liebsten. „Der
Berliner wird gestern Abend Kitty versetzt haben, geh ich von aus. Ich
denke, deine Busenfreundin was not amused.“ Von wegen, wenn der
wüsste, was da gelaufen ist.
Im fremden Hotel schauen wir uns ein bisschen um und stellen fest, dass
die Frau Sackmann gestern um 11.30 Uhr hier gewesen muss, denn
gestern war Mittwoch. „Ich glaub, die hat bei ihrem Termin den Berliner
kennen gelernt und sich an den gleich ran gemacht“, vermute ich. „Da
wird unsere kleine Kitty die Nacht wohl alleine verbracht haben, und ich
hätte schwören können, die angelt sich den Typen und kriegt ihn schnell
rum. Somit hast du ja die Wette gewonnen, Zaubermaus.“ „Welche
Wette?“, nuschel ich und tue nur so, als ob ich es vergessen hätte.
„Unsere 35-Euro-Wette. Na, bei deiner anständigen Kitty lief nix diese
Nacht. Somit hast du recht behalten.“ „Ja ...“, krieg ich grad so raus und
spüre einen fetten Kloß im Hals.
Ich mag Katzen, Kitty mag Katzen. Ich halt nix von One-Night-Stands,
Kitty hält angeblich ebenfalls nix davon. Hat sie mir nun andauernd etwas
vorgemacht? Frauen haben ihre Geheimnisse, aber alles kommt
irgendwann ans Licht, pflegt mein Vater zu sagen. Missbrauchsfälle und
CDs mit Kontoguthaben deutscher Bürger auf Schweizer Banken waren
Themen bei der Tagesschau. Im Internet wird auch immer mehr veröffentlicht, wer kennt nicht Wikileaks? Dass mir mein Handy letzten
Monat ins Klo gefallen ist, weiß bislang noch kein Mensch. Das Ganze ist
mir immer noch ziemlich peinlich und ich behalt es lieber für mich.
Ich dachte, Kitty wäre ein anständiges Mädchen. Na ja, aber auch brave
Mädels wollen mal ihren Spaß mit Jungs haben, ich bin ja auch ein braves
Mädchen. War´s jetzt für meine Freundin nur ein Ausrutscher oder hat
die Liebe Kitty wie ein Blitz getroffen? Soll ich das gewonnene Geld von
Dieter annehmen oder nicht? Kitty wird ihre Nacht mit Karl-Heinz
bestimmt nicht meinem Freund beichten, aber Karl-Heinz wird damit
wohl unter Männern angeben, und dann ist es raus. Spätestens heute
Abend an der Bar. Falls es mehr zwischen den beiden werden sollte,
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wenn das Herz noch im Spiel ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann es
an die Öffentlichkeit kommt. Spätestens heute Abend an der Bar, sollten
die beiden am Turteln sein wie die Täubchen.
„Hier die 35 Euro.“ Mist, was mach ich nur? Wie komm ich da wieder
raus? „Äääh..., ja ..., ja ..., ja ... Weißt du was, mein Schatz? Wir
vergessen die Wette einfach.“ „Wie vergessen?“ „Ja, wir vergessen die
Wette und du behältst die Scheine. Steck sie wieder ein. Aber eine Frage
musst du mir dafür beantworten, abgemacht?“ Dieter steckt die Knete
wieder ein. „Okay, schieß los, bin gespannt.“ „Also, mein Bester. Was ist
passiert mit den beiden fehlenden Kondomen? Das möchte ich nur
wissen.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das ausgerechnet! Oh Mann!
Na gut, du willst es wissen. Früher oder später hätte ich es dir eh verraten.
Ich hab Kitty gebumst.“ „Was??? Du hast Kitty ...?“ „Klar!” „Und wann
war das Bitteschön???“ „Wann das war? Hey, wir hatten nur eine Frage
ausgemacht.“ „Raus mit der Sprache“, fahr ich ihn scharf an und drohe
mit der rechten Faust. „Okay, is´ ja gut. Ich sag´s dir ja. Das war in der
Nacht, als sie mich von der Disco ins Hotel gefahren hat, weil ich mir den
Fuß verletzt hatte. Letztes Jahr im Sommer in Osnabrück war das, weißt
du doch.“ Kitty spielt wohl gerne das wilde Luder von Krankenschwester
mit einem Faible für Fußverletzte. Jetzt wird mir auch die Wette klar.
Dieter wusste ganz genau, dass man Kitty problemlos in die Kiste bekommt, wenn man nur will. „Augenblick noch, die Kondome waren nicht
für Kitty eingeplant, sondern für mich. Du wolltest mich gleich bei
unserem ersten Treffen flachlegen, hast stattdessen meine beste Freundin
vernascht.“ Es kommt immer anders, als man denkt. Sag ich doch! „Ich
bin es eigentlich nicht schuld, sondern Kitty. Sie hat die Lage kaltblütig
ausgenutzt. Um zu beweisen, dass ich keine Schwuchtel bin, hatten wir
wilden, verschwitzten und tierischen Sex.“ Okay, ich halt ich nun besser
geschlossen. Bei einer Theaterprobe hatte ich mal erwähnt, dass der
Schriftsteller, für den ich zeichne, schwul sein muss, weil er mich noch
nicht angebaggert hat.
7. Mai 2009 - 9.15 Uhr
Wieder in Eintracht nach diesem kleinen Zwist hocken meine bessere
Hälfte und ich am Tisch und sind am Frühstücken. Eine fröhlich gestimmte Kitty kommt in den Saal hereinstolziert und ein fröhlich
gestimmter Karl-Heinz hereingehumpelt. Ich begrüße sie: „Na, ihr
Hübschen - gut geschlafen? Heiß gewesen diese Nacht.“ Die beiden
strahlen mich an kurz und plündern erst mal das Büfett, während Dieter
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meine Anspielung nicht versteht und sich über die nächtliche Hitze
wundert. „So heiß war doch das gar nicht die Nacht?“
„Ach ja, Kalle“, frage ich ihn, „was war das noch mal, was dieser
Engländer mit mir tonight vorhatte? Irgendwas mit Ride my cock, oder
vertue ich mich da jetzt?“ „Ich kann dir sagen, was der mit dir machen
wollte, aber ich sag´s dir nicht. Normalerweise hätte ich auch nicht
gewusst, was das bedeutet, aber durch meinen starken Konsum von
englischsprachigen Pornos aus dem Internet weiß ich es mittlerweile.“
Na, der Kerl gibt es wenigstens zu, dass er Pornos guckt. Schonungslos,
gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste. Da muss ich meinem Vater recht
geben, besser eine ehrliche Antwort, ein klares Ja oder Nein, als dass
immer nur um den heißen Brei herum geredet wird. Besser ein Mensch,
der ehrlich zu sich ist, als jemand, der sich andauernd was vormacht. Was
Karl-Heinz Pornokonsum betrifft, so wird Kitty in Bett noch rauskriegen,
ob er noch mehr davon profitiert hat.
Selbst ein Blinder würde sehen, dass zwischen Kitty und Karl-Heinz was
im Busch ist. Ihr Verhalten lässt nicht leugnen, dass die beiden schwer
verknallt sind. Das merkt natürlich auch Dieter, und nachdem sich das
neue Paar wieder verzogen hat, meint er zu mir: „Ist dir das auch
aufgefallen, das zwischen den beiden was läuft, Zaubermaus?“ „Da lief
letzte Nacht schon allerhand.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das war
also unser Pummelchen Kitty, die gestern Nacht abging wie Lucy.“
„Genau mein Lieber, der Berliner hat Kitty versetzt und Kalle hat sie
getröstet.“ „Und bei jedem Glas Alkohol sind die beiden sich dann
gestern am Abend näher gekommen.“ „So wird´s gewesen sein.“ Hey,
Momentchen mal du Schlunz, dann hab ich die Wette doch gewonnen!“,
freut sich Dieter. „Welche Wette?“ sage ich, „die wollten wir doch
vergessen ...“
7. Mai 2009 - 10.20 Uhr
Wenn man dem Wetterfrosch Glauben schenkt, soll es die ganze Woche
schön bleiben. Ohne die beiden frisch Verliebten nehmen Dieter und ich
den Linienbus nach Porto Cristo. Sehenswert sind dort die Cuevas del
Dra, die „Drachenhöhlen“. Sie sind die größten und ältesten Tropfsteinhöhlen von Mallorca und nach einem sagenhaften Drachen benannt,
der dort angeblich einen Schatz bewacht haben soll. Bei uns in
Deutschland gibt es auch sagenhaft viele Drachen von Frauen, die ihren
Schatz von Mann bewachen, damit er sich nicht in der Kneipe oder bei
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einer Sportveranstaltung amüsiert. Ein Mann, der immer tut, was eine
Frau will, wird jedoch mit der Zeit für das Weib uninteressant, glaubt mir.
Nach dem Besuch der Höhlen, die Respekt und Staunen weckten, sind
wir runter zum Hafen gebummelt, da ist es ganz hübsch. Nachmittags
fahren wir zurück und genießen noch den Rest vom Tag, und das
herrliche Wetter macht es uns auch nicht allzu schwer.
8. Mai 2009
Der Wetterfrosch scheint recht zu haben, der Tag beginnt mit viel Sonne
und kaum Wolken. Wieder ohne unsere frisch Verliebten, unternehmen
wir eine Wanderung zu den Ruinen des Castell de Santueri, die sich auf
einer 400 m hohen Erhebung befinden. Für den Hinweg brauchen wir gut
drei Stunden, lohnt sich aber, denn wir haben oben einen fantastischen
Blick über den Osten der Insel.
9. Mai 2009
Wetterfrösche lügen scheinbar doch nicht, zumindest in Spanien. Ein
wunderbarer Tag bricht an, wieder mal. Um es uns von nun an etwas
bequemer zu machen, mieten wir für zwei Tage einen Seat Ibiza Diesel.
Mit dem Leihwagen tuckern nur Dieter und ich zunächst nach Cala D´or.
Dieser nette Ort gehört zu den wenigen Flecken auf dieser zauberhaften
Insel, die noch fest in britischer Hand ist. Hier ist neben dem einheimischen Spanier auch der deutsche Tourist die bedrohte Spezies.
Onkel Meckermann, der alte Landser, sollte hier einen Blitzkrieg starten
und mit Dumpingpreisen Deutsche in diesen netten Ort locken, dann wird
es nur eine Frage der Zeit sein, wann wir in Cala D´or das Kommando
übernehmen. Von diesem Ort ist es nicht mehr weit zu den traumhaften
Stränden der Cala Mondragó.
Das Fischerdörfchen Cala Figuera liegt einige Kilometer weiter südlich
von Cala Mondragó und gehört zu den malerischsten Orten der Insel. Es
liegt an einer fjordartigen, tief ins Land hinein ragenden Bucht, in denen
jede Menge niedliche Fischerboote und Segelschiffe ankern.
Wir halten uns weiter Richtung Süden und machen am schönen Strand
von Cala Santanyí eine längere Pause. Die Bucht, die tief ins Land reicht,
wird von bewaldeten Felsen eingerahmt. Rechts vom Strand kraxeln wir
die Treppen hoch und finden die Stelle, von wo man aus das im Meer
befindliche bizarre Felstor Es Pontas bewundern kann.
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Bei Colonia St. Jordi gleicht die Küste einer Dünenlandschaft, wie ich es
von der Nordsee her kenne. Wir fahren bis Cala Pi und drehen dann um
und fahren lieber zurück, denn wir haben keinen Bock auf die
Partyhochburg El Arenal, eine frühe Bastion des Massentourismus. Dort
kann es sehr gefährlich werden, gerade wenn man in die Aura des
gefürchteten Ballermanns kommt.
10. Mai 2009
An diesem Tag schaffen es endlich Kitty und Karl-Heinz auch wieder aus
den Federn, denn die Leidenschaft von ungeteilter Aufmerksamkeit
verliert irgendwann auch ihren Reiz. Die beiden zu einer Spritztour zu
überreden fällt nicht schwer, da das Programm von Herrn Toshiba,
Formel Eins aus Barcelona, keine ernst zu nehmende Alternative für das
frische Traumpärchen ist. Karl-Heinz hat mittlerweile den Verband
abgenommen. Er kann wieder ganz gut laufen, was nicht an seinen
dynamischen Sportschuhen liegt, sondern weil es seinem Fuß einfach
besser geht. Aber Kitty scheint sich erst wieder an eine aufrechte Position
gewöhnen zu müssen. Kein Wunder, wenn man fast 24 Stunden nur auf
der Matratze liegt.
Wir machen uns am Vormittag bei herrlichem Wetter mit dem Auto auf
den Weg nach Sa Coma, um dort in der Punta de n'Amer ein wenig
spazieren zu gehen. Die Punta de n'Amer ist ein Naturschutzgebiet,
welches zwischen den Orten Cala Millor und Sa Coma liegt. Heute
besteht hier ein striktes Bauverbot. Mitten in diesem Gebiet hat man einst
einen alten Wehrturm gebaut, das Castell de sa Punta. Vor diesem Castell
befindet sich die Bar es Castell mit ihrem schönen Biergarten, wo man
herrlich über die Küste nach Cala Millor blicken kann. Die Sonne, das
Meer und das Castell, das sieht alles aus wie eine Illustration zu einem
Märchenbuch. Im Märchen lebt das Pärchen glücklich bis zum
Lebensende. Ja, die romantische Liebe, die ewige Liebe. Ist sie aber nur
eine Lüge, eine Illusion, ein moderner Mythos? Gibt es sie wirklich nur in
Liedern, Büchern oder Filmen? Ist das, was man auf der Leinwand sieht,
nur eine Illusion, hervorgebracht von hoch qualifizierten Gewerkschaftlern unter der Regie von Alan Smithee.
Wir ruhen uns ein wenig im Biergarten aus, trinken etwas, genießen das
süße Nichtstun, um dann gut gelaunt nach Cala Ratjada zu fahren. Hier
hat man im Hafen die Möglichkeit, eine Schiffstour zu unternehmen. Man
kann mit dem Boot die Küste entlang entfahren, oder aber auch eine
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Angeltour buchen. Mit etwas Glück zeigen sich Delfine im Meer, die hier
scheinbar noch nicht vom Aussterben bedroht sind, im Gegensatz zu
verständnisvollen, sensiblen und leidenschaftlichen Männern. Mein Vater
ist übrigens darüber verärgert, dass so viel Geld zur Rettung von Tieren
investiert wird, obwohl eine Milliarde Menschen auf dieser Welt an
Hunger leiden. Zufälligerweise entdecke ich den Mann, der sich
Ehefrauen kauft, mit einer mir unbekannten Dame an seiner Seite. Nach
einer kurzen erotischen Balgerei darf der Suspekte als Sieger des
Wettkampfes seine Zunge in das Ohr seiner Begleiterin schieben. Seine
philippinische Frau hockt wahrscheinlich gerade zu Hause vor der Glotze
und schaut sich eine Soap an, wo jemand seine Ehefrau am betrügen ist.
Betrüger korrigieren das Glück, dies wusste bereits Casanova. Alles
Kaufen können macht noch lange nicht glücklich, dies wusste bereits
mein Opa.
Als wir mit dem Wagen durch den Ort fahren, entdecken wir kurz vor
dem Supermarkt EROSKI folgendes Schild:
Sie sind im Urlaub
und nicht auf der Flucht.
Alle Menschen haben Zeit.
Der Deutsche hat die Uhr.
Der Besitzer einer Imbissstube will damit auf seine Angebote
aufmerksam machen. Wir unterbrechen die Fahrt und stärken uns mit
Thüringer Bratwurst und Pommes.
Von Cala Ratjada geht es dann westwärts weiter bis zur großen Bucht
von Alcúdia. Eine längere Rast machen wir in Ca'n Picafort. Dieser Ort
war in früheren Jahren ein Fischerdorf und ist heute ein Ferienort mit
allem, was das Urlauberherz begehrt. Zahlreiche Cafés und Restaurants
säumen die Promenade. Ein freilaufender Hund pinkelt an eine Sonnenliege und beschnüffelt anschließend zufrieden das Resultat. Dann macht
er mir am langen Strand das Leben schwer, der freche Köter bellt mich
dauernd an und hält mich so in Schach. Glücklicherweise verpisst sich
der Hund nach einer Weile wieder.
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Über Manacor fahren wir zurück Richtung Porto Colom und als wir kurz
hinter Felantix der Wegweiser nach Sant Salvador ins Auge springt, biegt
Dieter den Wagen rechts in die schmale Straße und nach einer Million
Kurven erreichten wir das Kloster. Von hier hat man sogar einen noch
besseren Rundblick über die Insel als von den Überresten des Castell de
Santueri, wo ich mit Dieter vor zwei Tagen hingelatscht bin. Den Stress
hätten wir uns also sparen können.
11. Mai 2009
Nach dem Frühstück geben wir den Mietwagen zurück und genießen den
letzten Tag vor der Abreise. Wieder überrascht uns der Tag mit Sonne. So
etwas kennt man bei uns daheim kaum. Längere Perioden ohne
Niederschlag sind bei uns Seltenheit. Der Deutsche hat den Regen.
Wir gehen früh schlafen, da wir morgen bereits um sechs Uhr für den
Transfer zum Flughafen bereit sein müssen. Dann geht´s wieder Richtung
Heimat und das Alltagsleben hat einen wieder schnell. Sechs Uhr
morgens ist für Langschläfer eine unchristliche Zeit. Gibt es eigentlich
auch eine unmoslemische Zeit?
12. Mai 2009 - 11.55 Uhr
Sicher ist unsere Boeing in Düsseldorf gelandet. Während ich beim Flug
die Landschaft von oben bewundert habe, insbesondere die
majestätischen Gipfel der Alpen, die aussahen wie mit Sahne dekorierte
Tortenstücke, war Dieter kreativ und hat gedichtet.
Was?
Du findest meine Geschichte schlecht?
Das ist mir aber gar nicht recht!
Und du hast überhaupt nicht gelacht?
Was hast du eigentlich zustande gebracht?
Welche Reime sind dir gelungen?
Was ist aus deinem Geiste entsprungen?
Welche Geschichten hast du geschrieben?
Ach so keine, du hast es vermieden.
Hast wohl Angst vor negativer Wertung?
Hast beim Lesen kaum gelacht,
und bist nun der Meinung:
„Das hätte ich alles ganz, ganz anders gemacht!“
Dann mach es doch besser, hopp,
und schreib einen Bestseller, oder Flop.
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Aber:
Praxis ist nicht gleich Theorie,
mein Freund.
Das Was bedenke, mehr bedenke Wie!
Ob malen, schreiben oder Lieder komponieren,
es gibt Kritiker, die werden es nie kapieren.
Sie meckern, nörgeln, tadeln,
und sticheln wie mit Nadeln.
Zahlt der Kunde hingegen lukrativ,
bewerten Kritiker gerne positiv.
Der Künstler, er war wirklich tüchtig,
der Kritiker hingegen selbstsüchtig.
Wenn ihre Stund
dann geschlagen,
und Kritiker sich ins Grab verpissen,
da wo sie nichts mehr können sagen,
na und?
Keiner wird sie vermissen!
Weder ihre vielen Worte,
noch jemand anderen von dieser Sorte.
Ja, mein Dieter, der Dichter. Mein Vater, der Christ, würde in etwa
folgende Reime dazu fügen, denn am Schluss wird immer noch abgerechnet. Mache deshalb nie eine Rechnung ohne den Wirt!
Nach dem Sterben folgt noch das Gericht,
liebe Leute, vergesst das bitte nicht!
Wer strebte nach Weltenruhm und Geld,
landet in der Unterwelt.
Solche haben im Himmel nichts verloren,
sie werden ewig in der Hölle schmoren.
Als Dieter seine Reisetasche auf dem Gepäckband entdeckt, meint er.
„Die dreckigen Klamotten werden gleich erst mal gewaschen.“ Er legt
einen Arm um mich und legt wieder los. Mann, ist der heute kreativ!
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Mit beiden Beinen auf der Erden,
Enorm in Form und braungebrannt,
Heute wird die Socke sauber werden,
Vollwaschmittel muss zur Hand.
Das Wasser vierzig Grade heiß,
Und rinnen wird kein Schweiß.
Soll der Mann die Waschmaschine loben,
Ist sie defekt, dann wird er toben.
Für dieses Gedicht verdient Dieter ein Küsschen von mir. Das Folgende
ist aus meiner Feder. Es ist entstanden, nachdem jemand sich abwertend
über meine geile Garderobe geäußert hatte.
Neider gieren nach des anderen Besitz,
doch leugnen tun sie dies.
Welch Selbstbetrug! Welch Witz!
Ich muss an den Witzbold Karl-Heinz. Karl-Heinz bleibt noch eine
Woche und kann sich heute noch mit Kitty vergnügen, die sich morgen
von Mallorca verabschieden muss. Wie das mit den beiden weiter geht,
wird sich zeigen. Körperliche Leidenschaft ist zwar keine feste Basis für
eine gesunde Beziehung, aber die Beziehung hat ja gerade erst angefangen und ist ein Prozess. Deshalb ist alles möglich, bis hin zu Nachwuchs, zu Dauer plärrenden kleinen Bazillenschleudern. Die Zuneigung
kann sich auch schnell wieder verflüchtigen. Warten wir es ab.
Unbestritten ist, dass ein warmer, weicher Frauenkörper für einen Mann
ein ordentlicher Zugewinn an Lebensqualität ist. Unbestritten ist zudem,
dass Karl-Heinz seine Sprücheklopferei stark reduziert hat und Kitty das
Schnattern überlässt.
Eine Beziehung ist auch eine Chance. Vielleicht schafft es Karl-Heinz
durch Kittys Einfluss endlich mal, beruflich in die Pötte zu kommen. Und
Trost spendenden Alkohol konsumieren wäre bei einer intakten Beziehung nicht mehr nötig. Alkohol führt sowieso zu nix, außer in die
Abhängigkeit und zur Selbstzerstörung. Wer aus seinen Fehlern lernt,
wird besser. Wer die Schuld immer auf andere schiebt, der wird sich
kaum weiter entwickeln. Mein Vater sagt immer, der Mensch kann sich
ohne Schuld gar nicht weiter entwickeln.
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Einen Spielfilm oder ein Buch, wo die Hauptfiguren am Ende heiraten,
halten viele für eine Geschichte mit Happy End. Ein Film ist zu Ende,
aber das Leben geht weiter. Nach der Hochzeit fangen die Probleme
meist erst richtig an, Krisen werden kommen und stellen die Ehe auf die
Probe. Wichtig ist, wie man mit solchen Krisen umgeht. Lebenskrisen
sind gleichzeitig Lebenschancen. Der Psychiater in mir weiß, Liebe
erzeugt Vertrauen, aber Ängste erzeugen Misstrauen. Krisen werden
unweigerlich kommen und stellen die Ehe auf die Probe, hab ich recht,
Prinz Charles? Aber er hat gelernt, bei seiner jetzigen Frau besteht kaum
die Gefahr, dass ein Reitlehrer sich dafür groß interessiert.
Ein All-inclusive-Urlaub auf Mallorca gleicht schon fast einem Leben
wie im Paradies. Jedoch werden auch solche idyllischen Flecke früher
oder später von Katastrophen, Krisen und Kriminalität heimgesucht, und
für viele wäre dies desillusionierend. Ist die heile Welt nur eine Illusion?
Mein Vater sagt ja. Und ich glaube, er wird recht behalten, wenn er
behauptet, dass wir in einer gefallenen Welt leben. Dazu sollte man die
letzten Seiten der Heiligen Schrift lesen und sich abends die Tagesschau
angucken.
Es wird oft von einer zweiten Chance, einem Neuanfang, gesprochen.
Manch einer erhält im Leben eine zweite Chance, aber man hat nur ein
Leben. Gott hat uns Menschen eine zweite Chance gegeben, als er seinen
Sohn ans Kreuz geschlagen hat, um mit seinem Blut für unsere Sünden zu
bezahlen. Der Urlaub hat uns alle als Sünder entlarvt, und Sünde ist
Trennung von Gott. Durch den Glauben an Jesus Christus jedoch werden
wir wieder mit Gott versöhnt. Wer Buße tut und umkehrt, wer Jesus
Christus als seinen Retter annimmt, ja der wird errettet werden, ganz
gleich, was er alles Schlimmes in seiner Vergangenheit getan hat. Also ist
da immer noch eine Chance für Kriminelle, Prostituierte und Reitlehrern.
Gott vergibt denen, die sich vergeben lassen wollen.
12. Mai 2009 - 12.45 Uhr
Ich setz mich nach hinten. „Wie ist ihr Name, Soldat?“ Dieter stellt diese
Frage unserem Taxifahrer, weil wir im Flugzeug um die Bezahlung der
Heimfahrt gewettet hatten. Ich hab draufgesetzt, dass der Nachname mit
einem Buchstaben von A bis K anfängt. „Detlef Kaiser“, lautet des
Fahrers Antwort, der ein weit aufgeknöpftes Hemd, das ein Kettchen mit
einem kleinen Kreuz zur Schau stellt. „Gewonnen!“, freue ich mich und
meine noch zum Fahrer. „Der einzige Detlef, von dem ich gehört habe,
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hieß Desaster Detlef. Hoffentlich ist ihr Fahrstil nicht so katastrophal.“
„Desaster Detlef?“, sagt der Fahrer, der im Gegensatz zu diesem
türkischen Michael Schumacher einen ganz gemütlichen Fahrstil an den
Tag legt. „Ja genau, Desaster Detlef“, sage ich. „Kenn ich!“, sagt der
Fahrer und fängt an zu lachen.
Moment, wieso fängt der nun an, zu lachen? Mir kommt da so eine Idee.
„Hey, sind Sie zufälligerweise Desaster Detlef, der Desaster Detlef?“ will
ich wissen und brenne vor Neugierde. „Ja genau!“ Ich bin baff. „Hey, du
warst mal mit meiner großen Schwester Sandra zusammen.“ „Mit
Sandra? Sandra Bullock?“ Er dreht sich kurz zu mir um und grinst mich
an. „Nein, mit Sandra Schulz.“ „Sandra Schulz? Keine Ahnung!“, gibt er
mir zu verstehen. „Du hast doch mehr Tage deines Lebens hinter Gittern
verbracht als in der Schule.“ „Vollkommen richtig.“ Wieder fängt er an
zu lachen. Oh Mann, der scheint seine dunkle Vergangenheit mit Humor
bewältigt zu haben. „Und nun fährst du Taxi? Machst einen ehrlichen
Job?“ „Innerliche Veränderung. Kriminalität nervt.“ „Was ist passiert?
Wer hat dich so radikal zum Positiven verändert?“ frage ich ihn und im
gleichen Moment fällt mir mein Vater ein, und ich kann mir schon
denken, wie die Antwort lautet.
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