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LIMES – Literatur- und Medienwissenschaftliche Studien – Kiel Jan-Oliver Decker MADONNA: WHERE’S THAT GIRL? Starimage und Erotik im medialen Raum Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2005 by Verlag Ludwig Westring 431–451 24118 Kiel Tel.: 0431-85464 Fax: 0431-8058305 [email protected] www.verlag-ludwig.de Gestaltung: Daniela Zietemann Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany ISBN 3-933598-90-7 Inhalt Vorwort .............................................................................................. . Einleitung ...................................................................................... . Das Beispiel BEAUTIFUL STRANGER: Wo kann Madonna was bedeuten? ................................................ . Analyseebenen ............................................................................... . Zur Rolle der Kotexte in Musikvideos mit Madonna ............... . Zur Hierarchie von Musik, Sprache und Filmbildern in Musikvideos mit Madonna........................................................ . Illustrative, strukturelle, explikative und konnotative Kohärenzbildung und die Bedeutung des medialen Raums: das Beispiel LUCKY STAR ........................................................... . Dominanz des auditiven Kanals über die Filmbilder und die Bedeutung des visuell vorgeführten Raumes: das Beispiel LOVE DON’T LIVE HERE ANYMORE ................. .. Zum Begriff des semantischen Raums ........................................... .. Der semantische Raum und die Grenzüberschreitung in LOVE DON’T LIVE HERE ANYMORE ................................. . Dominanz der Filmbilder über den auditiven Kanal: das Beispiel AMERICAN PIE und das Phänomen der Überdeterminierung ...... . Zur Rolle der Kontexte in Musikvideos mit Madonna ............ . Mediale Referenzen als Phänomene der Intertextualität: das Beispiel MATERIAL GIRL ..................................................... . Starimage als relevantes Phänomen eines textgebundenen kulturellen Wissens in Madonnavideos........................................... . Zur Verarbeitung von Madonnas faktualem Image: Das Beispiel HUMAN NATURE ............................................... . Die Verarbeitung von Madonnas innerfiktionalem Image: Das Beispiel LIKE A VIRGIN aus THE GIRLIE SHOW LIVE DOWN UNDER .............................................................. . Die Verarbeitung von Madonnas innerfiktionalem Image im Spielfilm: Das Beispiel Bloodhounds of Broadway .............. . Musikvideos als Verarbeitung von populärkulturellem Wissen: das Beispiel VOGUE .................................................................... . Strategien der Kohärenzbildung und die Konstruktion von Bedeutungsknoten in Madonnavideos............................... . Raummodelle – Zur Konzeption von Raum und Person in Madonnavideos ................................................. . Bild – Abbild – Bildraum: Die Beispiele THIS USED TO BE MY PLAYGROUND und A League of Their Own ............. . Die Errichtung eines modellhaften Initiationsraumes: das Beispiel EXPRESS YOURSELF ............................................ . Die Errichtung eines modellhaften Transitionsraumes: das Beispiel LIKE A PRAYER ..................................................... . Errichtung eines modellhaften Raums der Selbstausgrenzung: das Beispiel OPEN YOUR HEART ............................................ . Resümee: Raummodelle und die Konzeption der Künstlerin Madonna .............................................................. . Die Vermittlerin von Werten und Räume der Initiation ....... . Mutterrolle und Wertvermittlung: das Beispiel PAPA DON’T PREACH ......................................... . Mütterlichkeit und Integration: das Beispiel SECRET ................ . Tochter und Künstlerin: das Beispiel OH FATHER .................... . Mythisierung – Kunst – Spiritualität: das Beispiel FROZEN ....... . Künstlerin – Familienrolle – Spiritualität ..................................... . Die Überwinderin kultureller Grenzen und Räume der Transition ........................................................ . Romantische Liebe vs. offensive weibliche Sexualität: das Beispiel LIKE A VIRGIN ..................................................... . Harmonisieren differenter Zeicheninventare durch künstlerische Kommunikation: das Beispiel FEVER .................... . Vereinigung von Mutterrolle und Erotik im allegorischen Transitionsraum: das Beispiel CHERISH ..................................... . Musik als interkultureller Transitionsraum: das Beispiel LA ISLA BONITA ................................................... . Harmonisierung – Metanarrativität – Medialität ......................... . Die Gestalterin von Abweichung und Räume der Selbstausgrenzung ............................................................... . Die Ausgrenzung sexueller Abweichung in die Fantasie: das Beispiel JUSTIFY MY LOVE ............................................... . Die Ausgrenzung sexueller Abweichung in den medialen Raum Musikvideo: das Beispiel EROTICA .................................. . Die Psychologisierung der erotischen Abweichung: das Beispiel BAD GIRL und das Profil des Opfers ....................... . Die Medialisierung der sexuellen Abweichung: das Beispiel TAKE A BOW und das Profil des Stars .................... . Erotische Abweichung und mediale Ausgrenzung – medialer Raum und Starimage ...................................................... . Initiation – Transition – Selbstausgrenzung: konkrete, verkörpernde Person vs. mediale, verkörperte Person in Madonna: Truth or Dare ................................................ . Oszillierender Textstatus und oszillierende Person ....................... . Initiation – Transition – Selbstausgrenzung ................................. . Mediale Verfasstheit der Person ................................................... . Rekonstruktion eines Modells zur Entwicklung der Konzeption der Person im Starimage Madonnas............ . Die Initiationsphase (–) ................................................. .. Madonnas zeichenhafter Eintritt in die Welt populärkultureller medialer Kommunikate: das Beispiel BORDERLINE ................. .. Die Konzeption der Person in der Initiationsphase ....................... . Die Transitionsphase (–) ................................................. . Der Übergang von der Transitionsphase in die Phase der Selbstausgrenzung ................................................................... . Die Phase der Selbstausgrenzung (–) ............................ . Die Unterphase Desintegration (–) ................................ .. Konkrete Person vs. mediale Künstlerin in der Desintegrationsphase: die Beispiele RAIN und BEDTIME STORY .................... .. Die Musikvideos mit als abweichend bewerteter Erotik in der Desintegrationsphase ........................................................... .. Die Konzeption der Person in der Desintegrationsphase im Medienverbund – Mediale Künstlerin und erotischer Kode vs. konkrete Person und veräußertes Innenleben: das Beispiel THE GIRLIE SHOW – LIVE DOWN UNDER ....................... . Der Übergang von der Desintegrationsphase in die Integrationsphase durch Ausgrenzen des erotischen Diskurses und Integration der Person in neue Diskurse und alte Paradigmen: das Beispiel DROWNED WORLD/SUBSTITUTE FOR LOVE ................. . Die Unterphase Integration .......................................................... .. Die kritische Funktion des »Stars« im medialen Universum in der Integrationsphase: das Beispiel RAY OF LIGHT ................ .. Die Musikvideos der Integrationsphase ......................................... . Imagewandel vs. Wandel der Konzeption der Person ........... Anhang ........................................................................................... . Primärtexte mit Madonna ....................................................... . Musikvideos in chronologischer Folge ......................................... . Konzertmitschnitte in chronologischer Folge ............................... . Filmographie in chronologischer Reihenfolge .............................. . Bücher von Madonna .................................................................. . Alben von Madonna.................................................................... . Texte über Madonna ................................................................ . Audiovisuelle Texte über Madonna .............................................. . Bücher über Madonna................................................................. .. Biographien ................................................................................. .. Fanbücher ................................................................................... . Forschungsliteratur .................................................................... . Allgemeine Forschungsliteratur ................................................... . Forschungsliteratur zu Musikvideos ............................................. . Forschungsliteratur zu Madonna ................................................. Vorwort Die hier nun in Buchform vorliegende, überarbeitete und aktualisierte Arbeit entstand unter dem Titel »Where’s That Girl? – Raumsemantik in Musikvideos und ihre Funktionalisierung von Erotikdiskursen am Beispiel Madonna«, die im Sommer 2002 als medienwissenschaftliche und kultursemiotische Dissertation an der Philosophischen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel angenommen und im Sommer 2003 mit dem Preis für die beste Arbeit der Philosophischen Fakultät der CAU Kiel ausgezeichnet wurde. Beim Abfassen und bei der Fertigstellung dieser Arbeit habe ich von vielen Seiten Rat und Unterstützung erhalten. Zuerst möchte ich von Herzen meinen Betreuern Prof. Dr. Marianne Wünsch aus Kiel und Prof. Dr. Hans Krah aus Passau danken, die nicht nur meiner Art zu denken wesentliche Impulse und Anregungen gaben, sondern deren fachliche und freundschaftliche Anteilnahme an mir und meiner Arbeit mich gefördert und ermutigt haben, wissenschaftliches Neuland zu betreten. Meinen Eltern Ursula und Roland Decker danke ich, weil sie mir den nötigen finanziellen Freiraum verschafft und mir frühzeitig den Wert geistiger Ausbildung und Unabhängigkeit vermittelt haben. Meinem Freund Andreas Kohlmorgen danke ich für seine treue Wegbegleitung durch alle persönlichen Höhen und Tiefen, die man während einer Promotion durchläuft, und seinen festen und unerschütterlichen Glauben an mich und meine Fähigkeiten. Ohne ihn wäre ich nicht der und dort, wer und wo ich heute bin. Dem Land Schleswig-Holstein und der zentralen Kommission zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses danke ich für die Gewährung eines zweijährigen Promotionsstipendiums. Ferner möchte ich allen Personen danken, die meine Arbeit in Teilen unterstützt und begleitet haben: Franz Adam danke ich für kompetentes Korrekturlesen; seine Ratschläge und seine Kritik halfen, Unklarheiten auszuräumen und die Arbeit stilistisch zu verbessern. Ebenso danke ich Kai Sina für seine redaktionelle Mithilfe und kompetentes Digitalisieren von Bilddateien. Franco Maiorano danke ich für Hilfe beim Italieni- 12 Vorwort schen. Meinem Verleger Steve Ludwig und seiner Mitarbeiterin Daniela Zietemann danke ich für ihre vorbildliche Betreuung in der Publikationsphase. Meinen Freundinnen Kirsten Geißelbrecht, Katja Kirste und Heike Jäger und ihren Partnern danke ich, dass sie es während der Promotion mit mir ausgehalten und es ertragen haben, sich immer wieder mit mir über Madonna zu unterhalten. Zu besonderem Dank bin ich Warnermusic Deutschland verpflichtet, die mir in kooperativer Bereitschaft Videomaterial von und mit Madonna zur Verfügung gestellt haben, das anderweitig nicht zugänglich gewesen wäre. Ohne dieses Material fehlten dieser Arbeit Untersuchungsobjekte, die sie ärmer gemacht hätten; denn diese Arbeit orientiert sich vor allem anderen an den Medienprodukten mit Madonna und versteht sich im besten Sinne als eine »produktempirische« Arbeit. Damit leistet diese Arbeit zweierlei: Erstens liefert sie Einzelanalysen von Madonnavideos, die auch unabhängig voneinander gelesen und in den Zwischenergebnissen kontextualisiert werden können. Zweitens liefert diese Arbeit in ihren theoretischen Überlegungen einen übergeordneten Argumentationsrahmen, der Verfahren der Musikvideo- und Starimageanalyse miteinander vernetzt und die zeichentheoretische Funktionsweise von Musikvideos und Starimages als textuell manifeste Strategien fundiert und beleuchtet. Der medienübergreifende narratologische und interdisziplinär aus literatur- und medienwissenschaftlichen Zugängen gespeiste Ansatz der Arbeit bedingt dabei, dass einzelne Fachbegriffe und auf einzelne Aspekte konzentrierte Forschung größtenteils in den Fußnoten terminologisch geklärt und diskutiert werden. Kiel, im November 2004 . Einleitung Madonna ist der bedeutendste internationale weibliche Medienstar der letzten 20 Jahre des ausgehenden 20. Jahrhunderts und verteidigt diese Position auch im neuen Millennium mit den Filmen The Next Best Thing (Ein Freund zum Verlieben, USA 2000, John Schlesinger) und Swept Away (USA 2003, Guy Ritchie) sowie dem Album MUSIC (Maverick/Warner Records 2000) mit seinen Single-Auskopplungen und Videos MUSIC (USA 2000, Jonas Åkerlund), DON’T TELL ME (USA 2000, Jean-Baptiste Mondino) und WHAT IT FEELS LIKE FOR A GIRL (USA 2001, Guy Ritchie) und dem aktuellen Album AMERI CAN LIFE (Maverick/Warner Records 2003) sowie einem Sampler mit den Nummer-1-Hits der letzten 10 Jahre MADONNA GREATEST HITS VOL. (Maverick/Warner Records 2001). Die große Bedeutung Madonnas für die gegenwärtige Populärkultur demonstrieren dabei nicht nur die zahlreichen Berichte der Boulevardblätter über ihre Hochzeit mit dem Regisseur Guy Ritchie und die Geburt ihres zweiten Kindes, des gemeinsamen Sohnes Rocco am 11. August 2001, sondern vor allem auch die Vielzahl medienwissenschaftli- 1 2 3 4 Spielfilme werden im Folgenden immer bei Erstnennung durch Originaltitel (deutscher Titel, Produktionsland und -jahr, Regisseur) angegeben. Die Spielfilme, in denen Madonna eine Rolle übernommen hat, werden im Anhang der Arbeit unter 1.3 aufgeführt. Alben mit Madonna werden im Folgenden durch TITEL (Produktionsfirma und -jahr), die auf ihnen enthaltenen Songs ebenfalls durch TITEL angeführt. Die Alben mit Madonna und die auf ihnen enthaltenen Songs können im Anhang unter 1.5 nachgeschlagen werden. Musikvideos werden bei Erstnennung durch TITEL (Produktionsland und -jahr, Regisseur) genannt. Aufgelistet sind alle bisherigen Madonnavideos im Anhang unter 1.1. Als kleine Auswahl seien hier für den deutschen Raum nur Frau im Spiegel, 2, 2001, S. 7–11; 14, 2001, S. 16f.; 27, 2001, S.72f.; 3, 2002, S. 10f.; Das Neue Blatt 51, 2000, S. 43; Titelgeschichte in Gala 25, 2001, S. 4–9; Titelgeschichte in Stern 25, 2001, S. 42–56 angeführt. 14 Einleitung cher Forschungsliteratur, die sich dem Medienphänomen Madonna seit Mitte der 80er Jahre im anglo-amerikanischen und vor allem mit Beginn der 90er Jahre auch im deutschsprachigen Kulturraum angenommen hat. Als kurze Auswahl seien hier nur folgende Titel aus dem anglo-amerikanischen Raum genannt: Zum Beispiel untersucht E. Ann Kaplan (1987) Madonna als postmodernes Medienphänomen aus feministisch-medienkritischer Sicht. John Fiske (2000, zuerst 1989) spürt Madonna als sozialem Phänomen in der Fankultur nach. Der richtungweisende Aufsatz von Ramona Curry (1993, zuerst 1990) untersucht exemplarisch die zwei Madonnavideos EXPRESS YOURSELF (USA 1989, David Fincher) und OPEN YOUR HEART (USA 1986, Jean-Baptiste Mondino), um deren Bedeutung für Madonnas Starimage aus medienkritischer Sicht nachzugehen. Cathy Schwichtenberg (1993) und Fran Lloyd (1993a) geben jeweils einen Sammelband heraus, in dem sich die verschiedenen Richtungen der cultural studies aus ihren mittlerweile unterschiedlichen Richtungen kritisch Madonna als semiotisch-kulturellem Phänomen nähern. Lisa Frank und Paul Smith (1993) bündeln als Herausgeber analytische und künstlerische Auseinandersetzungen mit Madonnas Buch SEX (1992). Für Pamela Robertson (1996) ist Madonna aus feministischer Perspektive schließlich Zeichen für den Tod der camp-Kultur, damit ist die Artikulation gegenkultureller Praxis in und der subversiven Lesarten von Texten mit Madonna durch lesbische und schwule Publikumsgruppen gemeint. Karlene Faith (1997) repräsentiert im Überblick paradigmatisch die Bedeutung, die Madonna für eine feministische Medienwissenschaft im Rahmen der gender studies bis heute bekommen hat. June Sochens (1999) Geschichte weiblicher, US-amerikanischer Entertainerinnen endet schließlich mit Madonna als letzter bedeutender Entertainerin des 20. Jahrhunderts. Auffällig ist in der Forschung, dass sich das Interesse an Madonna vor allem zu Beginn der 1990er Jahre konzentriert. Seigworth (1993: 297f.) nimmt die so genannten Madonna-studies kritisch unter die Lupe. Seigworth behauptet, dass die Madonna-studies dazu beigetragen haben, Madonna zum größten Popstar des 20. Jahrhunderts zu machen, indem sie den Medienprodukten mit Madonna eine künstlerische und kulturwissenschaftliche Qualität zuweisen, die ihnen eigentlich gar nicht zukomme. Einleitung 15 Das Interesse der Forschung an Madonna ist also durchaus selektiv und orientiert sich dominant an denjenigen Medienprodukten, die Formen einer von ihr verkörperten aggressiven weiblichen Erotik und Sexualität überhaupt fokussieren. Im Grunde zeitgleich zu Fanbüchern und Biographien, die Madonnas Status als Popstar bestätigen und entscheidend prägen, flaut das Interesse der Forschung im anglo-amerikanischen Raum merklich im Verlauf der 90er Jahre ab. Sexton (1993) stellt in seinem Sammelband noch wichtige Rezensionen, Zeitungsartikel, Chartplatzierungen und auch Forschungsansätze zu Madonna zusammen, dann hört im anglo-amerikanischen Raum die Flut der Veröffentlichungen auf. 1997 veröffentlicht das Musikmagazin Rolling Stone seine gesammelten Berichte über Madonna; der letzte veröffentlichte Sammelband Metz/Benson (2000) orientiert sich an Sexton (1993) und sammelt neue, aber auch ältere Presseberichte, Kritiken, Rezensionen und wissenschaftliche Kleinstudien. Im Gegensatz zu den stagnierenden wissenschaftlichen Monographien zum Phänomen Madonna ist im Jahr 2000 eine Fülle neuer Biographien auf den US-amerikanischen und europäischen Markt gekommen, wie Bego (2000), Morten (2000), Taraborelli (2000) und Victor (2000). Die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens ist dahingegen überwiegend in den letzten Jahren auf Aufsätze beschränkt, hat aber deutlich auch im deutschsprachigen Raum zugenommen und verarbeitet die US-amerikanische Forschung der frühen 90er Jahre. Ausgehend von Grigat (1995) über Bechdolf (1995) und (1996) sowie Bergermann (1995) und (1997) bis hin zu Krützen (1999), werden dabei sowohl medienkritische, rezeptionsorientierte, aber vor allem auch feministische Ansätze weitergeführt und Fragen zu Madonnas Imagebildung wie exemplarisch bei Krützen (1999) ins Zentrum gerückt. Insgesamt konzentrieren sich fast alle medienwissenschaftlichen Forschungsansätze vor allem auf die immer wieder miteinander verbundenen Feststellungen, 1. dass Madonna in den audiovisuellen Texten als ein vieldeutiges Zeichen zu verstehen ist, das mehrere auch oppositionelle Lesarten zulässt und eine eindeutige Bedeutung verweigert, und 5 Vgl. die eher geringe Auswahl im Verhältnis zur Flut weltweiter Publikationen, die im Anhang unter 2.2 aufgelistet wird. 16 Einleitung 2. dass sich ihr Starimage grundsätzlich immer wieder wandelt. Beide Beobachtungen werden in der paradigmatischen Frage zusammengefasst »Madonna, Who’s that Girl?« in der Hoffnung, damit das Phänomen zu erklären. Who’s that Girl ist dabei zunächst ein Film (USA 1987, James Foley) und der Name eines Albums im Kontext des Filmes, in deren Folge Biographien wie die von Mark Bego (1992) benannt werden. Außerdem wird die Frage, wer denn dieses Mädchen sei, auch in Videodokumentationen wie MADONNA: A BODY OF WORK (MTV 1996) oder auch SAT POP GALERIE: MADONNA (3sat 1997) zum Ausgangspunkt gemacht, um bei der Suche nach der konkreten Person hinter ihren äußeren Erscheinungsformen nur die vielen äußeren Facetten der medialen Person aneinander zu reihen. Festhalten lässt sich auf einer übergeordneten Ebene damit vor allem, dass Madonna als konkrete, authentische Person mit einer faktisch nachvollziehbaren Biographie durch die Geschichte ihrer Medienprodukte und ihr in diesen immer wieder variiertes Äußeres ersetzt wird. Die Frage, wer Madonna wirklich ist, erweist sich dabei als durch die Medienprodukte nicht zu beantworten, denn exemplarisch rücken ja dominant die medialen Zeichen und ihre Kontexte in den Fokus. Die Frage lautet also aus medienwissenschaftlicher Sicht weniger »Wer ist Madonna?«, sondern vielmehr »Was bedeutet Madonna als mediales Zeichen?«. Dabei ist diese Frage eng mit der Frage nach dem medialen Ort verbunden, an dem das Zeichen Madonna etwas bedeutet. Unter dem medialen Ort soll hier im Folgenden zweierlei verstanden werden: 1. der vorgeführte fiktionale und inszenierte Raum und seine Semantik in den audiovisuellen Medienprodukten mit Madonna und 2. der mediale Raum selbst, im Rahmen dieser Arbeit vor allem das audiovisuelle Format Musikvideo, in dem die Person Madonna mit Merkmalen und Bedeutungen versehen wird. Die Frage »Madonna, Who’s that Girl?« stellt sich für mich also umformuliert und pointiert vor allem als die Frage »Madonna, Where’s that Girl?«. 6 Audiovisuelle Dokumentationen über Madonna werden durch TITEL (Produktionsfirma oder Fernsehsender und Produktionsjahr) angegeben. Vgl. die Auswahl im Anhang unter 2.1. BEAUTIFUL STRANGER 17 . Das Beispiel BEAUTIFUL STRANGER (USA , Brett Rettner): Wo kann Madonna was bedeuten? Das Video BEAUTIFUL STRANGER ist in mehrfacher Hinsicht repräsentativ für die Ebenen, die das mediale Phänomen Madonna bestimmen. Zunächst einmal referiert das Video auf den Film Austin Powers: the Spy Who Shagged Me (Austin Powers: Spion in geheimer Missionarsstellung, USA 1999, Jay Roach), eine Parodie auf die James-BondFilme. Einerseits gehört der Madonna-Song zum Soundtrack des Films, andererseits entwickelt das narrative Video eine Geschichte, in die Austin Powers (Mike Myers) wie auch Madonna eingebunden sind. Insofern Madonna keine Rolle in Austin Powers: The Spy Who Shagged Me übernommen hat, kann das Video in Bezug auf den Spielfilm zunächst als Mini-Spielfilm-Fortsetzung gelten, in der Madonna nur eine Rolle in Art einer Komödie verkörpert. Die visuelle Ebene des Videos führt zunächst ohne Musik die Hauptfigur des Filmes ein, den Top-Spion Austin Powers (Mike Myers). Dieser bekommt während einer Autofahrt von seinem Geheimdienstchef Basil (Michael York) via Bildtelefon den Auftrag, eine gefährliche Frau (Madonna) zu observieren, die schon die Agenten 007 und 008 ausgeschaltet hat, indem sie diese verführt habe. Austin sucht nun diese Frau auf, die in einem Club als Sängerin mit dem Song BEAUTIFUL STRANGER auftritt, um am Ende des Videos mit ihr in seinem »Shaguar«, seinem spionagetechnisch hochgerüsteten Sportwagen, durch das nächtliche London zu fahren. Dabei warnt er sie, dass ihre erotischen Avancen ihr einen versohlten Hintern einbringen werden, wenn sie so weitermache, worauf sie erwidert, dass sie sich genau das erhoffe. Offen bleibt dabei, ob Austin nun genauso wie 007 und 008 der erotischen Faszination der Sängerin erlegen ist und von ihr unterworfen wird oder ob die von Madonna verkörperte femme fatale ihrerseits der offensiven Erotik Austins 7 8 Dieser Film ist seinerseits ein Sequel von Austin Powers (USA 1997, Jay Roach). Englisch »to shag« entspricht in etwa im Deutschen dem umgangssprachlichen »bumsen« im Sinn von »Geschlechtsverkehr ausüben«. 18 Einleitung erliegt. Der intradiegetische Gesangsakt Madonnas ist also in diesem Video zunächst nur Element, das in einen übergeordneten Handlungszusammenhang eingebunden ist. Demgegenüber dominiert aber Madonnas Gesangsakt schon rein quantitativ diese Rahmenhandlung, die rein zeitlich gesehen nur einen Bruchteil des Videos ausmacht. Damit tritt ein erster Widerspruch auf. Was ist relevanter für die Bedeutungsproduktion in diesem Video: der an sich nicht narrative Gesangsakt Madonnas oder die Rahmenhandlung, die den Gesangsakt narrativiert? Der Rahmen selbst bildet nämlich eine Ausgangs- und eine Endsituation ab, während der Gesangsakt als Transformation zu bewerten ist, die zwischen beiden Zuständen vermittelt. Während Austin Madonna auf der Bühne beobachtet, imaginiert er, übertrieben-lächerlich, zwischen sich und ihr 9 10 Die hyperbolisch ausagierte Erotik ist integraler Bestandteil der Filmfigur Austin Powers, die den Wert der freien Liebe aus den 60er Jahren in den 90ern zu Gunsten von sexueller Treue und dauerhafter Paarbildung aufgibt. Im Folgenden werden die Begriffe intradiegetisch, extradiegetisch, metadiegetisch sowie heterodiegetisch und homodiegetisch nach den Definitionen in Grimm (1996) verwendet. Mit ihnen wird erzählanalytisch klassifiziert, welcher Perspektivierung eine Information durch die Struktur des audiovisuellen Textes selbst unterworfen wird. Zu untersuchen ist dabei für jeden audiovisuellen Text grundlegend jeweils die textspezifisch konstruierte Erzählsituation, die mit verschiedenen Fokalisierungsstrategien zusammen die Perspektivierung steuert. Die filmische Erzählsituation ist visuell dabei im Detail oft an die Perspektiven der Kamera in einzelnen Einstellungen und ihre Verknüpfung durch Montage, den point of view im engeren Sinne, gebunden. Das heißt, dass die Frage ›wer erzählt?‹ in audiovisuellen Medien eng mit der Frage korreliert ist ›wer sieht?‹. Die Bestimmung der Erzählsituation dient dabei vor allem der Ermittlung, in welchem Grade Informationen im Filmbild im Verhältnis zu anderen Informationen mehr oder weniger vermittelt sind, und damit der Beantwortung der Frage, von welcher filmintern konstruierten Vermittlungsinstanz die einzelnen audiovisuellen Informationen untereinander hierarchisiert abhängen. Intradiegetisch bedeutet, dass präsentierte Elemente (z.B. eine verkörperte Figur in einer Geschichte) innerhalb der filmisch dargestellten Welt, der Diegese, angesiedelt sind. Darüber hinaus beschreibt der Begriff intradiegetisch auch, dass Informationen, die im Bild präsentiert werden, aus einer Perspektive innerhalb der Diegese wahrgenommen werden (z.B. durch den Blick einer anderen Figur). Extradiegetisch bezeichnet dagegen eine Perspektive, die Elemente der Diegese aus einem Blickwinkel zeigt, der nicht innerhalb der Diegese (z.B. als subjektiver Blick einer Figur) verortet ist. Mit dem Begriff extradiegetisch werden auch alle Elemente bezeichnet, die nicht in der dargestellten Welt enthalten, sondern ihr beigeordnet sind (z.B. zu hörende Musik ohne intradiegetisch existente Musikproduktion oder eine Erzählinstanz, die nicht Teil der vorgestellten Diegese ist). Zu trennen sind also