Waldinsekten als natürliche Gegenspieler

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Waldinsekten als natürliche Gegenspieler
Waldinsekten als
natürliche Gegenspieler
Im Wald leben etwa 32 000 Pflanzen- und
Tierarten, die sich in einem komplexen Beziehungsnetz gegenseitig beeinflussen. Den
grössten Teil der Waldfauna machen Insekten aus : von den rund 22 000 in der Schweiz
bekannten Insektenarten kommt ein grosser Teil im Wald oder am Waldrand vor. Die
meisten ernähren sich von Blättern, Nadeln,
Blüten, Rinde, Holz, Nektar, Pollen oder von
abgestorbenem und verrottendem Pflanzenmaterial. Fast alle Waldinsekten stehen
auf dem Speiseplan irgendeiner Wirbeltierart, vor allem von Vögeln, Spitzmäusen, Eidechsen und Kröten. Aber auch unter den
Insekten selbst gibt es viele Arten, die sich
auf räuberische oder parasitische Weise von
anderen Insekten ernähren. Einige Arten
spielen gar eine wichtige Rolle in der Regulation von möglichen Schädlingen.
Die Antagonisten
Die natürlichen Feinde, auch Antagonisten
genannt, können in drei Gruppen eingeteilt
werden. Die Räuber sind meistens grösser
als ihre Beute und brauchen für die Entwicklung mehrere Beutetiere. Als Parasiten bezeichnet man solche Arten, die von Tieren
leben, die meist grösser sind als sie selbst
und die für ihre Entwicklung nur einen einBild 1: Sogar wehrhafte Wespen sind nicht vor
anderen Räubern wie der Gartenkreuzspinne
geschützt. (Bild: Beat Wermelinger)
zigen Wirt benötigen. Häufig unterscheidet man noch zwischen Parasitoiden ( z. B.
Schlupfwespen ) und eigentlichen Parasiten
( z. B. Flöhe ). Während letztere in allen Stadien parasitisch leben und den Wirt höchstens schwächen, leben Parasitoiden nur
als Larven parasitisch, töten den Wirt aber
in jedem Fall ab. Schliesslich gibt es noch
Pathogene ( Krankheitserreger wie Pilze ),
von denen auch Insekten befallen werden
können.
Insekten und Spinnen als Räuber
Typische Räuber sind die Laufkäfer, Marienkäfer, manche Wanzen oder die Spinnen, die aber als Achtbeiner nicht zu den
sechs Beine ) gehören. Bekannt
Insekten ( sind die radnetzbauenden Spinnen wie die
Gartenkreuzspinne ( Araneus diadematus ),
die ihr schönes, regelmässiges Netz wenige
Meter über dem Boden errichtet. Nicht nur
Fliegen und Falter werden so erbeutet, sondern auch wehrhafte Wespen oder Bienen
( Bild 1). Daneben gibt es viele Spinnenarten, die keine Netze bauen, sondern ihre
Beute jagen oder aus dem Hinterhalt überfallen. Spinnen lähmen ihre Beute mit einem
Giftbiss und saugen sie danach aus.
Etwas gezielter suchen verschiedene räuberische Käfer ihre Beute aus. Die grossen
Carabus-Arten unter den Laufkäfern ernähren sich von Würmern und Schnecken,
andere Käfer haben sich auf Schmetterlingsraupen spezialisiert, wieder andere auf
Ameisen. Bei vielen hängt das Beutespektrum vor allem von deren Grösse ab. Laufkäfer verzehren täglich Futtermengen in der
Grössenordnung ihres Eigengewichts. Einer
der grössten und schönsten einheimischen
Laufkäfer ist der Grosse Puppenräuber ( Calosoma sycophanta ; Bild 2 ). Er klettert sogar auf Bäume, um grosse, blattfressende
Raupen zu erbeuten. Die zwei bis drei JahBündner Wald 3 /2012 63
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Bild 2: Der Grosse Puppenräuber ( ein Laufkäfer )
Bild 3: Ein Siebenpunkt-Marienkäfer beim Fressen
hat eine Schwammspinnerraupe erbeutet.
in einer Blattlaus-Kolonie.
(Bild: Beat Wermelinger)
(Bild: Beat Wermelinger)
re alt werdenden Käfer vertilgen jedes Jahr
etwa 400 solche Raupen. Bei einer starken
Vermehrung des Schwammspinners ( Ly­
mantria dispar ), eines Nachtfalters, dessen
Raupen auf der Alpensüdseite gelegentlich
starken Blattfrass auf Edelkastanie verursachen, kann der sonst seltene Käfer plötzlich
regelmässig gesichtet werden. Er ist ein
wichtiger Faktor in der Regulation dieser
Raupenpopulationen und wurde auch zur
Bekämpfung des Schwammspinners nach
Nordamerika exportiert.
Die 2000 in Mitteleuropa vorkommenden Arten von Kurzflüglern leben in den
verschiedensten Habitaten. Ob unter der
Rinde, im Moos, in der Streuschicht oder
in Pilzen, die Mehrzahl dieser Käfer lebt
räuberisch von Fliegenmaden und anderer
leichter Beute. Marienkäfer, Schweb- und
Florfliegen sind bekannte Blatt- und Schildlausfeinde. Während bei den letzten beiden
Gruppen vor allem die Larven räuberisch
leben, sind es bei den Marienkäfern auch
die ausgewachsenen Tiere. Während seines
Lebens – von der Larve bis zum Tod des
Käfers – frisst zum Beispiel der Siebenpunkt
( Coccinella septempunctata ) rund 3000
Blattläuse ( Bild 3 ). Seit 2006 wird der einheimische Siebenpunkt immer mehr durch
den in Europa eingeführten Asiatischen Marienkäfer ( Harmonia axyridis ) verdrängt.
Die Blattlausfeinde werden vom Honigtau
der Blattläuse angelockt und legen ihre
Eier in der Nähe der Pflanzensaftsauger ab.
Damit die Eier nicht von den häufig in den
Kolonien vorhandenen Ameisen gefressen
Bild 4: Eine Spitzbauchwanze hat eine Nonnenrau-
Bild 5: Die Waldameisen passen ihre Nahrung stark
pe angestochen und saugt diese aus.
dem Beuteangebot an. (Bild: Beat Wermelinger)
(Bild: Beat Wermelinger)
werden, befestigen die Florfliegen ihre Eier
auf einem langen Stiel aus Sekret.
Die meisten Wanzen leben von Pflanzensaft.
Einige sind aber räuberisch und saugen mit
ihrem Rüssel andere Insekten aus. Verschiedene Arten von Baumwanzen erbeuten im
Gebüsch und auf Bäumen Raupen ( Bild 4 ),
Raubwanzen lauern auf Blüten den nektarund pollensuchenden Insekten auf und die
häufige Blumenwanze (Anthocoris nemorum) ernährt sich auf Bäumen und Brennnesseln von Läusen und kleinen Fliegen.
Neben den oben erwähnten Schwebfliegen
gibt es noch viele weitere räuberische Fliegen. So sieht man häufig die grossen Raubfliegen ( Laphria-Arten ) an Baumstämmen
oder -strünken sitzen und auf ein vorbeifliegendes Beuteinsekt warten, das im Flug
gepackt und nachher ausgesogen wird.
Waldameisen als Opportunisten
Die emsigen Waldameisen haben einen
vielfältigen Speiseplan. Rund ein Drittel der
Nahrung besteht aus Insekten ( Bild 5 ), die
als Proteinquelle für die Königinnen und für
die Aufzucht der Nachkommen dienen, und
aus rund zwei Dritteln Honigtau, der die
Betriebsenergie für die Arbeiterinnen liefert.
Ein grosses Waldameisennest beherbergt bis
zu eine Million Tiere. Der Jahresbedarf eines
solchen Volkes liegt bei rund 30 kg Insekten,
das entspricht etwa 10 Millionen erbeuteten
Insekten, und etwa 500 kg Honigtau. Dazu
kommt noch wenig pflanzliche Nahrung.
Waldameisen sind keine spezialisierten Jäger. Sie holen sich die Beuteinsekten, die am
häufigsten und am einfachsten zu erbeuten
sind. Während einer Massenvermehrung
des Lärchenwicklers im Engadin kann man
die Ameisen beobachten, wie sie leer die
Lärchenstämme hinauf- und mit Raupen
beladen wieder hinunterlaufen. Während
einer Massenvermehrung der Nonne, einer nahe verwandten Art des erwähnten
Schwammspinners, waren in Deutschland in
den von den Raupen kahlgefressenen Föhrenbeständen grüne Inseln sichtbar. Diese
konnten den lokalen Ameisenhaufen zugeordnet werden. Die Volksgrösse eines Ameisenhaufens ist relativ konstant, da sie nicht
von der Häufigkeit einer bestimmten Beute
abhängt. Deshalb können diese nützlichen
Insekten sehr schnell auf Massenvermehrungen potenzieller Beutetiere reagieren.
Parasitische Wespen und Fliegen
Hierunter fallen vor allem zahlreiche, sehr
unterschiedliche Schlupfwespen und die
Raupenfliegen. Parasitische Wespen maBündner Wald 3 /2012 65
Bild 6: Die Riesenschlupfwespe parasitiert Holzwespenlarven. Hier hat ein Weibchen seinen Legestachel
schon zu drei Vierteln im Holz versenkt. (Bild: Beat Wermelinger)
chen weltweit fast einen Zehntel aller Insekten aus. Im Gegensatz zu den Räubern
wird hier der Wirt möglichst lange am Leben gelassen, damit er während der ganzen
­Jugendentwicklung den Parasitoidenlarven
als Nahrung dienen kann. Diese leben zuerst von « unwichtigen » Körperbestandteilen wie Körperflüssigkeit und Fettkörper,
und erst am Schluss werden die lebenswichtigen Organe verzehrt.
Eine der auffälligsten Schlupfwespen ist die
Riesenschlupfwespe ( Rhyssa persuasoria ;
Bild 6 ). Sie ist spezialisiert auf die Parasitierung von Holzwespenlarven, die sich im
Holz von frisch abgestorbenem Nadelholz
entwickeln. Sie lässt sich bei der Suche nach
den tief im Holz fressenden Holzwespenlarven vor allem durch Geruchsstoffe leiten,
die vom Larvenkot und den symbiontischen
Pilzen ausgehen. Mit ihren langen Fühlern
und dem Legestachel lokalisiert sie auf der
Oberfläche den Aufenthaltsort der Larve.
Wird sie fündig, treibt sie ihren bis zu fünf
Zentimeter langen Eiablagestachel ins Holz
und vermag Larven bis Legestachel-Tiefe im
Holz zu parasitieren.
Viele kleinere, unscheinbare Schlupfwespen
und gewisse Fliegen lauern den blatt- und
nadelfressenden Raupen auf. Raupenfliegen und einige der Wespen legen ihre Eier
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auf die Körperoberfläche, von wo sich die
Wespenlarven in den Körper bohren. Andere Wespen stechen den Wirt an und deponieren ein Ei direkt in der Körperhöhle. Am
Ende der Larvenentwicklung bohren sich die
reifen Larven aus dem toten oder sterbenden Wirt aus und verpuppen sich am oder
beim Wirt in einem Kokon. Häufig kommt
es auch zu Superparasitismus, das heisst,
eine Raupe dient mehreren Larven derselben Schlupfwespenart als Nahrung ( Bild 7 ).
Die Parasitoiden befinden sich aber nicht
immer am Ende einer Nahrungskette, kann
doch beispielsweise auch eine parasitierte
Raupe von einem Vogel gefressen werden,
oder die Parasitoidenlarve in einer Raupe
wird gar selber von einem sogenannten
Hyperparasitoid parasitiert. Schmarotzende
Wespen oder Fliegen sind bei Schmetterlingsraupen gar nicht selten, und wer schon
Raupen nach Hause gebracht und gezüchtet hat, hat möglicherweise schon die unliebsame Erfahrung gemacht, dass aus der
Puppe statt dem schönen Schmetterling ein
paar Fliegen schlüpften.
Sogar kleine Insekteneier sind nicht vor
Schmarotzern gefeit. Dies sind winzige
Erzwespen von wenigen Zehntelmillimeter
Grösse. Sie gehören damit zu den kleinsten
Insekten überhaupt.
Das gefährliche Leben von Borkenkäfern
Da der Buchdrucker ( Ips typographus ) als bekanntester Borkenkäfer wirtschaftliche Schäden verursachen kann, sind seine natürlichen
Gegenspieler relativ gut untersucht. Nicht nur
der Waldarbeiter mit Kettensäge und anderer Maschinerie oder die auffälligen Spechte
gehen dem Buchdrucker an den Kragen, sondern auch viele unbeachtet und verborgen
lebende Gliederfüsser leben von ihm. Schon
Bild 7: Diese Spannerraupe wurde von Schlupfwes-
Bild 8: Ein Weberknecht mit parasitischen Milben-
pen parasitiert. Die Wespenlarven haben sich aus
larven. Sie saugen Körperflüssigkeit, töten den
dem Körper gebohrt und verpuppen sich an der
Wirt aber nicht. (Bild: Beat Wermelinger)
Oberfläche. (Bild: Beat Wermelinger)
Parasiten
Zu den eigentlichen Parasiten, die den
Wirt zwar schwächen, aber nicht töten,
zählen viele Milbenarten. Diese roten
oder blassen Spinnentiere sieht man gelegentlich festgesaugt an Tagfaltern, Käfern, Heuschrecken oder Weberknechten
( B ild 8 ) . Eine berüchtigte Milbe, die nicht
nur Tiere, sondern auch den Menschen
befällt, ist der Holzbock oder « d ie Zecke »
( I xodes ricinus ) . Von den Insekten leben
beispielsweise die Tierläuse und Flöhe
parasitisch. Beide Gruppen kommen auf
Säugetieren ( a uch Mensch ) und Vögeln
vor, häufig spezialisiert auf bestimmte
Wirtsarten.
seine Eier werden von Raubmilben ausgesaugt, und auf die Larven wartet ein ganzes
Arsenal von Räubern und Parasitoiden. Der
auffälligste Räuber ist sicher der schwarz-rot
gefärbte und weiss gebänderte Ameisenbuntkäfer ( Thanasimus formicarius ). Seine
Larven entwickeln sich unter der Rinde in
Brutbildern von Borkenkäfern und fressen
dort deren Brut. Aber auch ausgewach­
sene Käfer erbeuten auf der Stammoberfläche an- oder abfliegende Borkenkäfer
( Bild 9 ). Daneben gibt es zahlreiche Arten
von Lauf-, Glanz-, Platt- und Kurzflügelkäfern sowie Langbein- und Lanzenfliegen,
deren Larven die Jugendstadien von Borkenkäfern vertilgen.
Im Weiteren gibt es eine grosse Zahl von
Wespen, die entweder mit ihrem EiablageBündner Wald 3 /2012 67
Bild 9: Der Ameisenbuntkäfer lebt sowohl als Larve
Bild 10: Diese Schlupfwespe hat sich als Larve
als auch als erwachsener Käfer von Borkenkäfern.
im Körper des Buchdruckers entwickelt.
(Bild: Beat Wermelinger)
Die fertige Wespe ist eben aus der
stachel durch die Rinde hindurch Käferlarven
parasitieren oder die selber durch die Einbohrlöcher der Borkenkäfer in die Brutbilder
eindringen und dort ihre Eier ablegen. Während die meisten dieser Wespen sogenannte
Larvenparasitoiden sind, gibt es auch einige
wenige, die ausgewachsene Käfer parasitieren. Aus dem auf dem Käfer abgelegten Ei
schlüpft eine parasitische Larve, die in den
Körper eindringt und den Inhalt während ihrer Entwicklung nach und nach auffrisst. Um
nach der Verpuppung ins Freie zu gelangen,
muss die Wespe sich am Schluss ein Loch
durch den Käferpanzer fressen ( Bild 10 ).
Untersuchungen haben gezeigt, dass die
Zahl der Parasitoiden im von Borkenkäfern
befallenen Sturmholz ansteigt, bis das Holz
für Käfer und Wespen zu trocken wird. Auch
im einzelnen Käfernest steigt die Absterberate der Borkenkäfer zuerst durch Räuber
und dann durch Parasitoiden an. Sie kann
80 – 90 % erreichen. Nicht zu unterschätzen
ist auch die Rolle von tödlichem Pilzbefall
von Larven und Käfern im Brutbild. Die
Wirkung des natürlichen Beauveria-Pilzes
(der auch für die Bekämpfung von Maikäfer-Engerlingen verwendet wird ), nimmt im
Käfernest häufig ebenfalls zu und kann sehr
hohe Sterberaten verursachen. Sind aber
(Bild: Beat Fecker)
nun leeren Käferhülle geschlüpft.
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das grossflächige Angebot anfälliger Fichten
und die Borkenkäferdichte genügend hoch,
können diese natürlichen Regulatoren eine
Massenvermehrung nicht verhindern.
In der Natur gehts um Leben und Tod
Natürliche Gegenspieler sind wichtige
Komponenten im Zusammenspiel der verschiedenen Pflanzen- und Tierarten. Diese
Wechselwirkungen haben sich im Laufe von
Jahrmillionen entwickelt und eingespielt,
Abwehrstrategien der Beute wurden von
den Antagonisten mit Anpassungen gekontert. Tod und Verderben sind notwendige
Bestandteile im natürlichen Kreislauf, sie ebnen den Weg für Wachstum und Gedeihen.
Weitere Infos finden Sie unter:
www.waldinsekten.ch
Beat Wermelinger
Eidg. Forschungsanstalt WSL
Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf
[email protected]

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