User and Community Participation

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User and Community Participation
LBIHPR Working Paper: 1
“User and Community Participation”
Eine Vorstudie zur Rekonstruktion kollektiver Nutzerund „Community“-Beteiligung in der Gesundheitsförderung und im Krankenbehandlungssystem
Benjamin Marent
Peter Nowak
Rudolf Forster
Mai 2009, Wien
Autoren
Benjamin Marent, Mag. phil., Soziologe, ist Junior Researcher am Ludwig Boltzmann
Institute Health Promotion Research und Dissertant an der Universität Wien.
Peter Nowak, Mag. Dr., Sprachwissenschaftler, ist Senior Researcher und Assistant
Director des Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research.
Rudolf Forster, Ao. Univ.-Prof. Dr., ist Key Researcher am Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research und Professor am Institut für Soziologie der Universität Wien.
Diese Arbeit ermöglicht einen ersten Einblick in den Diskurs über Partizipation in
der Gesundheitsförderung und im Gesundheitswesen. Sie ist im Kontext der Programmlinie „User and Community Participation“ des Ludwig Boltzmann Institute
Health Promotion Research entstanden. Sie dient als Vorarbeit für einen systematischen Review und für weitere konzeptuelle und theoretische Arbeiten zu diesem
Diskurs. Besonderen Dank möchten die Autoren des Papiers auch an ihre Kollegin
Mag.a Ursula Mager, PhD, MPH richten, die diese Arbeit wesentlich unterstütze.
Quotation:
Marent B., Nowak P., Forster R. (2009): “User and Community Participation”. Wien. Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research. Working Paper 1.
Contact:
Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research
Autor
Untere Donaustraße 47/3
1020 Vienna
T.: 01/ 21 21 493 – 10
[email protected]
http://lbihpr.lbg.ac.at
Abstract
This working paper is considered as a first reconstruction of the discourse on participation within health and health promotion. Its basis is a selection of 11 articles
(reviews) which play a central role in the discourse of this topic. Hereby central
questions are posed. First, we ask which roots (context) have been crucial for participation to become a central issue. After that, definitions of participation are analyzed to answer the question, which social process is indicated as participation. The
next section will ask who – which people – are addressed to participate in developing health services and health promotion interventions. The paper will conclude
with the question, how a participatory process could be observed, described or
evaluated. Thereby different models and social theories will be introduced to the
reader.
Zusammenfassung
Diese Arbeit ist eine erste Rekonstruktion des Diskurses zur Partizipation in der Gesundheitsförderung und im Gesundheitswesen. Als Basis wurden 11 zentrale Artikel
(Reviews) zu diesem Thema analysiert. Dem Diskurs wird hier fragend entgegengetreten. Es wird die Frage nach den Wurzeln (d. h. dem Kontext) gestellt, auf die es
zurückzuführen ist, dass Partizipation immer mehr in den Blickpunkt rückt. Danach
werden Definitionen ausgewertet, um eine Antwort auf die Frage zu finden, welcher
soziale Prozess als Partizipation bezeichnet wird. Darauf folgt die Frage, wer denn
diejenigen sind, die in die Planung und Gestaltung von Gesundheitsservices und
Gesundheitsförderungsmaßnahmen einbezogen werden sollen. Abschließend wird
die Frage aufgeworfen, wie Partizipation beobachtet, beschrieben und bewertet
werden kann. Hierbei werden unterschiedliche Modelle und sozialwissenschaftliche
Theorien vorgestellt.
Keywords
Health promotion, health care, health, participation, user participation, community
participation, public participation, involvement, consultation, theory, systems theory, model, review
Schlagwörter
Gesundheitsförderung, Gesundheitswesen, Partizipation, Beteiligung, Laienbeteiligung, Nutzerbeteiligung, Bürgerbeteiligung Theorie, Systemtheorie, Modell, Review
Contents
1
Einleitung ...................................................................................... 1
2
In welchem Kontext wird Partizipation diskutiert? ........................ 3
2.1
2.2
3
Partizipation bei der Gestaltung des Gesundheitswesens...................3
Partizipation als Paradigma der Gesundheitsförderung......................4
Welchen sozialen Prozess bezeichnet Partizipation? ..................... 7
3.1
3.2
3.3
3.4
4
Definitionsversuche von Partizipation ................................................8
Entscheidungsprozesse ......................................................................9
Partizipation an Entscheidungsprozessen ..........................................10
Dimensionen der Partizipation – ein Definitionsvorschlag..................12
Wozu Partizipation?....................................................................... 19
4.1
4.2
4.3
5
Universelle Argumente für Partizipation.............................................19
Demokratische und utilitaristische Perspektiven................................19
Argumente für Partizipation aus Sicht der Gesundheitsförderung ......21
Wer soll partizipieren?................................................................... 24
5.1
5.2
6
Adressaten von Partizipationsinitiativen ............................................24
Community als Begriff der Gesundheitsförderung ..............................25
Wie wird die Umsetzung von Partizipation in der sozialen Praxis
beobachtet? ................................................................................... 27
6.1
6.2
6.3
Empirische Erfahrungen der Umsetzung von Partizipation .................27
Partizipationsmodelle.........................................................................28
Sozialwissenschaftliche Theorien zur Partizipation ............................31
7
Ausblick ......................................................................................... 34
8
Literaturverzeichnis....................................................................... 35
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
1 Einleitung
Diese Arbeit ist ein erstes draft, eine erste Rekonstruktion des Forschungsfeldes der
Programmlinie „User and Community Participation“ des Ludwig Boltzmann Institute
Health Promotion Research. Im Folgenden werden für den Gesundheitsförderungsdiskurs
zentrale
Fragen
zur
Partizipation
aufgeworfen
(In
welchem
Kontext
wird
über
Partizipation diskutiert? Welchen sozialen Prozess bezeichnet Partizipation? Wozu wird sie
gefordert? Wer soll partizipieren? Wie wird Partizipation umgesetzt, beobachtet und
bewertet?) und in einzelnen Kapiteln abgearbeitet. Wenn hier von Nutzer- und
„Community“-Partizipation gesprochen wird, beschränken wir uns auf
1. NutzerInnen von professionell organisierten Dienstleistungen (≠ ExpertInnen1) und
BürgerInnen in unterschiedlichen „Communities“ (≠ gewählte politische RepräsentantInnen oder VerwaltungsexpertInnen).
2. Beteiligung von „Kollektiven“ von NutzerInnen bzw. ihren RepräsentantInnen
3. Beteiligung an der Gestaltung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Aus zwei
Gründen ergänzen wir diese Beteiligungsarena durch den Diskurs über kollektive Beteiligung von Nutzern im Gesundheitssystem bzw. im Krankenbehandlungssystem:
a)
weil
sich
der
Gesundheitsförderungsdiskurs
bisher
stark
auf
Community-
Beteiligung ausgerichtet hat und kaum über NutzerInnen von Organisationen geführt
wurde;
b) weil in beiden Feldern Gesundheit und der Zusammenhang von Gesundheit und
Partizipation im Zentrum steht.2
Ziel dieser Arbeit ist es, einen ersten Einblick in das Forschungsfeld zu gewinnen und einen Standpunkt zu entwickeln, von dem aus Möglichkeiten für weitere Forschung auf diesem Gebiet gesehen werden können. Insbesondere dient diese Studie zur Planung einer
systematischen Literaturanalyse des Gesundheitsförderungsdiskurses der letzten zehn
Jahre (2000-2009), wie im Schlusswort noch etwas genauer ausgeführt wird.
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden elf Artikel herangezogen, ausgewertet
und auch die dort zitierte Literatur durchgesehen. Identifiziert wurden diese Artikel durch
ein mapping (vgl. Greenhalgh et al. 2005), das heißt es wurde auf Basis von Vorarbeiten
(Forster/Nowak 2006; Baggott/Forster 2008; Forster/Gabe 2008; Forster/Kranich 2007)
1
Im Kontext des Gesundheitswesens werden NutzerInnen häufig auch unter dem Begriff
„Laien“ angesprochen, wir verwenden hier diese Begriffe synonym.
2
Ein eigener systematischer Literaturreview wird parallel zur Klärung der Fragen rund
um Partizipation von SchülerInnen im Erziehungssystem bzw. in der Schule durchgeführt
(Mager et al. 2009 in Vorbereitung).
1
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Datenbanken (SSCI/LBIHPR3) nach Reviews (Artikel oder Reporte) zur Partizipation in der
Gesundheitsförderung und im Krankenbehandlungssystem durchsucht. Dabei konnten
folgende Artikel identifiziert werden:
1. Wallerstein (1992): Powerlessness, Empowerment, and Health: Implications for
Health Promotion Programs. American Journal of Health Promotion 6, 3: 197-205.
2. Charles/DeMaio (1993): Lay participation in Health care decision making: a conceptual framework. In: Journal of Health Politics, Policy and Law, Vol. 18, No.4. 881-904.
3. Labonte (1997): Participation in Health Promotion: The ‘Hardware’ and the ‘Software’,
In (ders.): Power, Participation and Partnerships for Health Promotion. Victorian
Health Promotion Foundation, Australia, 42-65.
4. Jewkes/Murcott (1998): Community representatives: Representing the community?,
in: Soc.Sci.Med. Vol.46, No 7, pp.843-858.
5. Zakus/Lysack (1998): Revisiting community participation. In: Health Policy and Planning, 13(1):1-12.
6. Rifkin et al. (2000): Participatory approaches in health promotion and health planning. A literature review. Health Development Agency, London
7. White (2000): Consumer and Community Participation: A Reassessment of Process,
Impact and Value. In: Albrecht, Gary L.; Fitzpatrick, Ray; Scrimshaw, Susan C.:
Handbook of Social Studies in Health and Medicine. London u. a.: Sage Publications.
S 465-480.
8. Morgan (2001): Community participation in health: perpetual allure, persistent challenge. In: Health Policy and Planning; 16(3):221-230.
9. WHO (2002): Community participation in lo al health and sustainable development Approaches and techniques. WHO Regional Office for Europe, Copenhagen.
10. Wait/Nolte (2006): Public involvement policies in health: exploring their conceptual
basis. In: Health Economics, Policy and Law 1: 1-14.
11. Stephens (2007): Participation in Different Fields of Practice: Using Social Theory to
Understand Participation in Community Health Promotion, in: Journal of Health Psychology, 12, 949-960.
3
SSCI = Social Science Citation Index; LBIHPR = Literaturdatenbank des Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research mit ca. 60.000 Literaturreferenzen mit den
Schwerpunkten auf Medizin- und Gesundheitssoziologie bzw. Gesundheitsförderungsforschung, die in den letzten zehn Jahren vor allem im Rahmen von Forschungsarbeiten des
Ludwig Boltzmann Instituts für Medizin- und Gesundheitssoziologie (http://lbimgsarchiv.lbg.ac.at) aufgebaut wurde.
2
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
2 In welchem Kontext wird Partizipation diskutiert?
Die ideologischen Wurzeln des Diskurses zu Partizipation reichen weit in die politische
Ideengeschichte zurück und umfassen auch in neuerer Zeit, in Konnotation mit Begriffen
wie Bürger- und Zivilgesellschaft, eine unüberschaubare Anzahl von Publikationen (vgl.
Junge 2008, 202). Die Partizipationsbestrebungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden dabei auch als Teil gesamtgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse gesehen, die nicht auf bestimmte gesellschaftliche Bereiche beschränkt bleiben (Gerhards
2001; Stichweh 2005; ausführlicher in Forster/Nowak 2006). In Anbetracht dessen werden wir hier nur kurz auf die historischen Anstöße der Diskussion im Bereich des Gesundheitswesens und anschließend auf den Begriffsdiskurs in der Gesundheitsförderung
eingehen.
2.1 Partizipation bei der Gestaltung des Gesundheitswesens
Die Diskussion zur Laienbeteiligung bei der Gestaltung des Gesundheitswesens wurde
nach White (2000, 467) durch drei wesentliche Faktoren ausgelöst. In den 1960er und
frühen 1970er Jahren wurde in den Entwicklungsländern mit der Ideologie des community health movement ein neuer Ansatz für die Organisation des Gesundheitssystems verfolgt.4 Durch die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung sollten die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erfahrungen bei der Planung von Gesundheitsservices Berücksichtigung
finden (vgl. auch Zakus/Lysack 1998).
Dieser Gedanke wurde schon in der Diskussion zur Entwicklung der primary health
care in der Alma-Ata Deklaration (1978) vorgelegt. Die WHO hat darin community participation als ein Grundrecht aller BürgerInnen formuliert: „The people have the right and
duty to participate individually and collectively in the planning and implementation of
their health care.” (WHO 1978, Abs. IV)
Weiters wurde angenommen, dass durch Partizipation die Selbstverantwortung
und die Möglichkeiten der Selbstorganisation von Gesundheitsleistungen innerhalb der
communities gestärkt würden (vgl. auch Jewkes/Murcott 1998). Hinzu kam die Vorstellung dieser Bewegungen, dass Partizipation therapeutische sowie sozial unterstützende
Effekte Partizipation auf lay people haben kann – durch das involvement und die gesteigerte Selbstorganisation im Gesundheitsbereich sollte deren sense of control gestärkt
werden (vgl. White 2000).
4
Auch Rifkin et al. (2000, 34) identifizieren den community development Ansatz als einen von drei zentralen Diskursen, in welchen Partizipation diskutiert wird.
3
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Den zweiten Bezugspunkt sieht White (2000) in der Expansion des Wohlfahrtsstaates, der auf Finanzierungsschwierigkeiten vor allem im Gesundheitsbereich stößt
(vgl. auch Wait/Nolte 2006). Dabei wird ebenfalls im Anschluss an die community health
movements der Entwicklungsländer auf die Mobilisation von lay resources gesetzt.
Selbsthilfe sowie besser abgestimmte Serviceleistungen sollen dadurch angeregt werden
und zur Rationalisierung des Gesundheitssystems führen.5 Darüber hinaus wird angenommen, dass durch die Einbeziehung von public interests in die Koordination des Gesundheitswesens politische Entscheidungen zusätzliche Legitimität erhalten.
Der dritte Anstoß für die zunehmende Diskussion zur Laienbeteiligung kommt
nach White (2000, 468) aus der sozialwissenschaftlichen Expertenkritik. Diese beschrieb
etwa den gesellschaftlich institutionalisierten Umgang mit psychischen Erkrankungen
(Goffman 1961, Foucault 1973b), sowie die medizinische Praxis im allgemeinen (Freidson
1970, Illich 1975, Foucault 1973a) als Form der sozialen Kontrolle und beobachtete, dass
immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens medikalisiert werden (Conrad 1992,
Zola 1991). Im Kontext kultureller Opposition entstand aus diesen Beobachtungen nach
White (2000) die Motivation, dem Laienwissen bei der Reorganisation des Wohlfahrtsstaates zusätzliche Bedeutung beizumessen.6
2.2 Partizipation als Paradigma der Gesundheitsförderung
In den Anfängen der Gesundheitsförderung wurde vor allem auf Aufklärung, die
Bereitstellung von Information und Bildung gesetzt, um das Verhalten der Personen in
einem gesundheitsförderlichen Sinne zu steuern. Mitte der 1980er Jahre zeichnete sich
innerhalb der Gesundheitsförderung ein „paradigm drift“ ab (Beeker et al. 1998, 832), da
festgestellt werden musste, dass das gesundheitsrelevante Verhalten durch diese Methoden (jedenfalls jenseits der Mittelschicht) nicht effektiv beeinflusst werden konnte (vgl.
Gillies 1998). Denn das Verhalten von Personen ergibt sich nicht nur aus den Informationen, die ihnen vermittelt werden, sondern wird durch das Umfeld (Setting) geprägt, in
dem sie sich bewegen (vgl. Pelikan 2007, 77f und Baecker 2005, 168). Dieses Umfeld
übt auch wesentlichen Einfluss darauf aus, welche individuelle Bedeutung der jeweiligen
Information zugeschrieben wird und wie relevant sie für die Lebenswelt der Betroffenen
sein kann.
Gesundheitsförderung ist ein Prozess, der sich in der komplexen Alltagspraxis unterschiedlicher Settings bewähren muss. Hier wird immer wieder festgestellt werden
5
Siehe dazu auch Rifkin et al. (2000, 34) die diese Argumente dem health planing approach, als einem zentralen Diskurs, in dem Partizipation diskutiert wird, zuschreibt.
6
Aus der anderen Perspektive erkennen Rifkin et al. (2000, 34) den medical approach to
participation, der davon ausgeht, dass nur ein durch den Arzt aufgeklärter Patient im
Sinne der eigenen Gesundheit handeln kann.
4
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
müssen, dass alles was kommuniziert wird, oder an Intervention stattfindet, seine Bedeutung erst durch die Interpretation der davon Betroffenen erlangt. Sie entscheiden
letztlich über die Relevanz dieser Interventionen, vor dem Hintergrund ihrer Lebensverhältnisse. Information darf hier nicht im Sinne des mathematischen Übertragungsmodells
(Shannon 1948) aufgefasst werden (der Übertragung vom Sender zum Empfänger), sondern es muss aufgrund des hermeneutischen Prinzips erkannt werden, dass der Hörer
und nicht der Sprecher den Inhalt einer Aussage bestimmt (v. Foerster 1993). Wenn sich
Gesundheitsangebote und Gesundheitsförderungsinterventionen nicht an den Lebenswelten der Betroffenen ausrichten, werden sie an diesen vorbeirauschen (noise, im Sinne der
Kommunikationstheorie) und weder gehört noch in Anspruch genommen werden.
In der Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung (WHO 1986) wurde daher Partizipation zur zentralen Strategie erklärt: „Health promotion works through concrete and effective community action.“ Es sollten die Betroffenen zu Wort kommen, ihr Wissen einbringen, über ihre Erfahrungen mit Gesundheitsservices berichten und an der weiteren
Gestaltung des Gesundheitssystems und von Gesundheitsförderungsprogrammen teilhaben. Dies wurde als Chance gesehen, um Serviceleistungen besser auf die Bedürfnisse
und die unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen abzustimmen (vgl. Zakus/Lysack
1998; Wait/Nolte 2006).
Neben der Verbesserung von Serviceleistungen, die als Gesundheitsdeterminanten
bezeichnet werden können, wird ein enger Zusammenhang zwischen Partizipation und
dem Gesundheitsstatus von Personen konstatiert. Durch die Einbindung vor allem benachteiligter Bevölkerungsgruppen kann deren Isolation und gefühlte Machtlosigkeit
(psychosoziale Risikofaktoren) überwunden werden (Labonte 1997, 43). Durch die Einbeziehung von Personen in Entscheidungsprozesse weitet sich deren Gestaltungsspielraum
aus, was zu einem psychological empowerment führt (Wallerstein 1992, 200). Der Effekt
einer demokratischen Beteiligung ermächtigt die TeilnehmerInnen und dies nicht nur in
diesem psychologischen, sondern auch in einem edukativen Sinn (vgl. Zakus/Lysack
1998, 2), mit welchem der Austausch von Wissen und Kompetenzen gemeint ist.
Was für das ausgehende 20. Jahrhundert galt, wurde von der WHO für das beginnende 21. Jahrhundert weiterhin forciert. Healht21 ist die neue „Health For All“ Strategie
der WHO, die nun 21 Ziele formuliert. Um diese Ziele zu erreichen werden vier key
strategies verfolgt, eine davon ist: „a participatory health development process that involves relevant partners for health, at all levels – home, school and worksite, local community and country – and that promotes joint decision-making, implementation and accountability” (zit. in WHO 2002, 3f). Neben solchen programmatischen Dokumenten wird
nun auch seitens der Gesundheitsförderungsforschung Partizipation als ein Grundprinzip
5
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
(der Gesundheitsförderung) angesehen (vgl. Rootman et al. 2001, 4), von dem alle ihre
Initiativen geleitet werden sollten.
6
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
3 Welchen sozialen Prozess bezeichnet Partizipation?
Auf den ersten Blick wirkt der Begriff Partizipation vielleicht selbsterklärend: man mag
darunter alle möglichen Formen der Teilhabe von Individuen oder Kollektiven verstehen,
und zwar an etwas, was wir im Anschluss an die Literatur als Entscheidungsprozesse
identifizieren werden. Im konkreten Fall meint Partizipation: Beteiligung an politisch, bürokratisch oder professionell legitimierten Entscheidungen durch das von diesen Entscheidungen betroffene Publikum (BürgerInnen, Laien, NutzerInnen).
Beobachtet man jedoch all die unterschiedlichen Praktiken, Interventionen und
Maßnahmen, die sich in der Gesundheitsförderung und im Gesundheitswesen das Etikett
„Partizipation“ verleihen, so fällt es schwer, diesen Begriff von anderen Schlagwörtern
wie involvement oder empowerment zu unterscheiden und für sich zu bestimmen. Nahezu 20 Jahre nachdem der Terminus als ein Grundprinzip der primary health care in der
Alma Ata Deklaration der WHO (1978) formuliert und in Folge von der Gesundheitsförderung aufgegriffen wurde7, stellt Labonte (1997, 43) fest, dass der Diskurs noch immer
über keine einheitliche Definition des Begriffs verfügt. Auch in der aktuellen Diskussionen
(Guareschi und Jovchelovitch 2004, 313) zeigt sich nach wie vor, dass Partizipation „escapes any neat definitions“.
Damit ergeben sich Folgeprobleme: Der Begriff wird von verschiedenen Akteuren
benutzt, um jeweils sehr unterschiedliche Ziele zu propagieren (vgl. Morgan 2001). Pointiert bringt dies Chambers (1995, zit. nach Morgan 2001, 222) zum Ausdruck, in dem er
den „cosmetic value“ von Partizipation betont, welcher sich dazu eignet „to make whatever is proposed to look good“.
Die folgende Diskussion des Begriffs versucht, eine neue Perspektive auf den
Terminus Partizipation zu erschließen. Zunächst sollen zentrale Definitionen des Begriffs
aus der Literatur entnommen werden. Hierbei werden wir feststellen können, dass Partizipation in diesen Definitionen als Teilhabe an Entscheidungsprozessen bestimmt wird.
Daher gilt es im Anschluss den Entscheidungsbegriff theoretisch abzugrenzen und die
drei Sinndimensionen (Zeit-, Sach-, Sozialdimension) zu erschließen, auf die hin jede
Entscheidung beobachtet werden kann. Dies ermöglicht implizite Bestandteile der vorgestellten Definitionen von Partizipation sichtbar zu machen und diese als Form der Einbindung auf allen drei Sinndimensionen zu bestimmen. Nachdem der Begriff hinreichend be-
7
Dazu Rootman et al. (2001).
7
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
stimmt ist, wird abschließend versucht werden, ihn von anderen Begriffen (wie involvement oder consultation) abzugrenzen.8
3.1 Definitionsversuche von Partizipation
Trotz der bereits angesprochenen Schwierigkeiten Partizipation zu definieren, werden
Versuche in diese Richtung unternommen. In der Literatur zur Partizipation, die dieser
Studie zugrunde gelegt ist, konnten wir in acht von elf Publikationen Definitionsversuche
identifizieren. In dem Report der WHO (2002) „Community participation in local health
and sustainable development – approaches and techniques“ findet sich beispielsweise
folgende Definition von Partizipation:
“A process by which people are enabled to become actively and genuinely involved in defining the issues of concern to them, in making decisions about factors that affect their
lives, in formulating and implementing policies, in planning, developing and delivering
services and in taking action to achieve change” (WHO 2002, 10).
Partizipation wird hier definiert als ein Prozess, an dem Personen aktiv involviert
werden: dessen Themen sich daher erst in der Beteiligung dieser Personen definieren
(defining the issues), dessen Verlauf durch diese Personen weiter geprägt wird (formulating and implementing policies, ...) und dessen Entscheidungen von diesen Personen geprägt werden (decision making). Bei dem Prozess von welchem in dieser Definition die
Rede ist, handelt es sich daher um einen Prozess der Entscheidungsfindung. Interessanterweise können wir feststellen, dass auch in allen sieben anderen Publikationen, die Definitionen vorlegen, Partizipation als Teilhabe an Entscheidungen definiert wird (siehe dazu die letzten drei Spalten der Tabelle 1).
Unser erster Analyseschritt zeigt: Partizipation wird in der Literatur in einem Näheverhältnis zum Entscheidungsbegriff diskutiert. Es wird versucht, den Begriff mit Verweis auf einen Entscheidungsfindungsprozess zu bestimmen, dieser bleibt jedoch unbestimmt. In Folge befinden sich beide Begriffe – Partizipation und der Prozess – weiterhin
im Unklaren; die Definitionen äußern sich unscharf zu dem Problem, wie die Beteiligung
an Entscheidungen verstanden werden kann.
Dennoch wollen wir hier versuchen in diesen Zitaten etwas zu lesen.9 Und dies erfordert von uns eine Lektüre, die – weniger passiv – zu einer Produktion wird und die De-
8
Aus der Formabhängigkeit allen Beobachtens ergibt sich: „dass man nie Weltwissen [..]
erzeugen kann, also auch nie begründet erleben und handeln kann, sondern immer nur
differenzbezogen“ (Luhmann 2000, 127).
9
Ganz in dem Sinne Dirk Baeckers, der den Intellektuellen dadurch bestimmt, dass dieser etwas gelesen hat, und dies inkongruent zu dem, was ohnehin sichtbar dasteht, gesagt, gehört und gespürt wird (vgl. etwa Baecker, 2002).
8
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
finitionen für uns zugänglich, oder bewohnbar werden lässt.10 Dies bedarf einer Auseinandersetzung mit Entscheidungssituationen: Auf was sind diese gebaut? Und wie kann
man an ihnen teilhaben?
3.2 Entscheidungsprozesse
Was für die Welt allgemein gilt, verschärft sich in Entscheidungssituationen um ein zusätzliches Ausmaß, oder wird dort nur ausdrücklich bemerkt: Jede Situation birgt mehr
Möglichkeiten des Erlebens und des Handelns, als jeweils aktualisiert werden können
(Komplexität), und sowohl die Möglichkeiten selbst als auch deren Selektion sind weder
notwendig noch unmöglich (Kontingenz).11
Diese Unbestimmtheit der Situation (deren Willkür oder Kontingenz) wird von verschiedenen Entscheidungstheorien12 bemerkt und als zentrales Moment allen Entscheidens bestimmt: „Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden“ stellt Heinz von Foerster (1993, 73) daher fest. In einer Entscheidungssituation
ist derjenige, der die Entscheidung treffen soll, gefordert, Alternativen zu projizieren und
dann eine zu wählen. Die Unsicherheit, die bei der Auswahl einer Alternative mitspielt, ist
das wesentliche Kriterium, das sein Handeln als Entscheidung sichtbar macht. Würde
man vorab wissen, was nach der Entscheidung passiert, was sich nach der Handlung als
richtig herausstellt – könnte man die Zukunft erahnen – so müsste man sich nicht entscheiden.
Mit Rekurs auf die Entscheidungstheorie können wir daher feststellen, dass jede
Entscheidung auf Willkür (bzw. Kontingenz) beruht. Woraus zieht sie dann aber ihre
Überzeugungskraft? Die Entscheidung wird kommunikativ nur annehmbar sein, sofern
gezeigt wird, dass andere Aspekte diese Willkür eingrenzen und somit die Entscheidung
beeinflussen.13
Wir können nach den Sinndimensionen einer Entscheidung fragen und erkennen,
dass sie sich sogleich zeitlich, sachlich und sozial rechtzufertigen hat.14 Dabei kommt Par-
10
Diese Art der Lektüre beschreibt Michel de Certeau (1988, 27): „An die Stelle des Autors tritt eine völlig andere Welt (die des Lesers). Durch diese Mutation wird der Text bewohnbar wie eine Mietwohnung.“
11
Vgl. hierzu bspw. Niklas Luhmann (2008, 12).
12
Siehe dazu Luhmann (2000), von Foerster (1993).
13
Die Selektion einer Option durch die Entscheidung macht Sinn, jedoch steht sie mit
diesem Sinn in Konkurrenz zu anderem Sinn. Daher – so Baecker (2008a, 8) in Bezug auf
Führung: „macht es Sinn, (die Entscheidung; bm) so zu profilieren, dass ihr Sinn sich neben anderem Sinn sehen lassen kann und Attraktivität gewinnt beziehungsweise behält.“
14
Baecker (2008a, 23) formuliert in ähnlicher Weise: „Autorität hat deshalb nur, wer seine eigene Macht in Sach-, Sozial- und Zeitverhältnisse einbetten kann, von denen er
glaubhaft machen kann, dass sie Macht über ihn haben.“
9
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
tizipation noch gar nicht ins Spiel: zeitlich kann sich die Entscheidung durch Termindruck,
sachlich durch Bezugnahme auf ein mit Expertise ausgezeichnetes Wissen und sozial
durch die Einbeziehung von politisch oder bürokratisch legitimierten Personen rechtfertigen. Laien können die Entscheidung als nachvollziehbar annehmen, ohne an ihr beteiligt
gewesen zu sein. Was soll nun aber Partizipation in einem Entscheidungsfindungsprozess
bedeuten?
3.3 Partizipation an Entscheidungsprozessen
Entscheidungen – so hören wir aus der Entscheidungstheorie – zeigen sich in Momenten
informierter, aber dennoch willkürlicher Auswahl von Alternativen.15 Das Kriterium der
Rationalität zeigt sich in der Sachdimension des Entscheidens: was wird an Informationen
und an Wissen eingeholt? Partizipation auf der Sachebene des Entscheidens bedeutet,
dass Laien die Möglichkeit haben, ihre Perspektive und ihr Wissen einzubringen. Hier
kann versucht werden lay knowledge, d.h. das ganze Spektrum von Meinungen, Informationen, Erfahrungen und Wissen von Laien in den Entscheidungsprozess kommunikativ
einzubinden und dem Expertenwissen gegenüberzustellen. Partizipation auf dieser Sachebene des Entscheidens bedeutet, dass Laien die Möglichkeit haben ihre Perspektive und
ihr Wissen einzubringen und an der Formulierung von Lösungs- und Planungsalternativen
mitzuwirken: „formulating policies“ heißt es daher in der WHO-Definition, und es lässt
sich feststellen (siehe Tabelle 1), dass in sieben von acht Definitionen die Beteiligung von
Laien durch ihr Wissen (Sachdimension) als Kriterium für Partizipation postuliert wird.
Zum anderen geht es aber auch um die Frage: „wer entscheidet?“ Denn die Willkür und prinzipielle Unentscheidbarkeit jeder Entscheidung setzt einen Entscheider voraus, der die Entscheidung trifft. Anhand der Sozialdimension lässt sich eine Entscheidung
dahingehend beobachten, wer direkten Einfluss auf sie nehmen, d.h. sie vor dem Hintergrund der Kenntnis von Wissen und Nichtwissen beeinflussen kann. In dem oben stehenden Zitat der WHO deuten wir das „making decisions [...] implementing“ und „taking action to achieve change“ dahingehend, dass die Laien, die partizipativ eingebunden werden, eben mit solcher Entscheidungsmacht auszustatten sind. Sechs der hier untersuchten Partizipations-Definitionen (siehe Tabelle 1) sehen diese soziale Inklusion in den Entscheidungsprozess als wesentliche Komponente von Partizipation vor. In den zwei anderen Definitionsversuchen (Charles/DeMaio 1993 und White 2000) wird dieses Mitentscheiden nur als Kriterium für die höchste Stufe von Partizipation herangezogen.
15
Siehe dazu das Konzept der „bounded rationality“ bei Herbert A. Simon (1991).
10
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Entscheidungen – so fassen wir kurz zusammen – beruhen auf der Auswahl von
Alternativen (Sachdimension), und sind immer einem Entscheider zuzurechen, der diese
Auswahl trifft (Sozialdimension).
Niklas Luhmann (1996) zieht diese zwei Dimensionen der Entscheidungstheorie
nicht in Zweifel, ergänzt sie aber um einen für uns zentralen Aspekt, in dem er danach
fragt: „wie es zu den Alternativen kommt in einer Welt, die so ist, wie sie ist“. Damit
führt er die Zeitdimension in die Entscheidungstheorie ein und unterscheidet eine Phase
offener Kontingenz (also die Frage: wie kommt es zu Alternativen?) von einer Phase geschlossener Kontingenz (in der es um die Auswahl von Alternativen geht).16 Durch die
zeitliche Sinndimension können wir daher fragen, wann im Entscheidungsfindungsprozess
verschiedene TeilnehmerInnen inkludiert werden. Denn es macht einen Unterschied, ob
man erst bei einer Abstimmung über ein Thema hinzugezogen wird, oder schon zuvor,
bei der Identifikation von Problemen und Themen, einbezogen ist. Aus der oben angeführten Definition der WHO lässt sich ableiten, dass die Laien zeitlich einzubinden sind,
schon bevor die Entscheidung überhaupt ansteht (d.h. bevor die Alternativen festgelegt
sind). Dies ermöglicht ihnen die Identifikation von Themen – „defining the issues“ – über
welche dann diskutiert, verhandelt und entschieden werden soll. Aus unserer Analyse ergibt sich, dass in sechs von acht Definitionen die zeitlich frühe Einbindung von Laien in
den Entscheidungsprozess als Kriterium für Partizipation hervorgehoben wird (siehe Tabelle 1), um wesentliche Möglichkeiten der Prozessgestaltung für diese bereitzuhalten.
Aus dieser Analyse geht hervor, dass fünf (Wallerstein 1992, Labonte 1997, WHO
2002, Zakus/Lysack 1998, Wait/Nolte 2006) der (insgesamt 11) ausgewählten Publikationen eine Definition von Partizipation vorlegen, die sowohl die sachliche Einbindung von
Erfahrung und Wissen der Laien, die soziale Einbindung dieser Personen bei der
(Mit)Bestimmung der Entscheidung und die zeitlich frühe Einbindung von Laien bei der
Identifikation und Auswahl von Themen betont. In drei Publikationen wurde kein Versuch
einer Definition unternommen, da verstärkt andere Themen besprochen werden: So beschäftigen sich Jewkes und Murcott (1998) in ihrer Arbeit mit dem community-Begriff,
und Stephens (2007) sowie Morgan (2001) nehmen den sozialen und kulturellen Kontext,
in welchem Partizipation stattfindet, in den Blick. Die Partizipations-Definitionen der Publikationen von Rifkin et al. (2000), Charles/DeMaio (1993) und White (2000) sind anders
gebaut und enthalten nur eine oder zwei der von uns identifizierten Sinndimensionen.
Damit können sie, wie wir im Folgenden herausarbeiten werden, keine scharfe Unterscheidung zu angrenzenden Begriffen – wie Konsultation oder Involvement – ziehen und
verwenden diese Begriffe zum Teil synonym.
16
Siehe zum Begriff der offenen Kontingenz Urs Stäheli (2000, 253).
11
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
3.4 Dimensionen der Partizipation – ein Definitionsvorschlag
Auf Grund der hier durchgeführten Literaturstudie lässt sich Partizipation als ein Prozess
beschreiben, der durch seine TeilnehmerInnen von einer frühen Phase an (zeitlich) gestaltet wird, aus deren Wissen und Erfahrung (sachlich) wesentlich seine Strategien gewinnt, und durch eben deren Entscheidungskompetenzen (sozial) in hohem Maße gesteuert wird. Durch Partizipation soll ein Raum konstituiert werden, in dem sich alle Beteiligten laufend beibringen, was möglich und erforderlich ist und was nicht; hier wird die Willkür betont, während Legitimation gesucht wird, auf Alternativen hingewiesen, während
Entscheidungen getroffen werden.17
Durch die drei Sinndimensionen18 können unterschiedliche Formen der Inklusion
en
t
In
vo
lve
m
lta
tio
n
Ko
ns
u
Pa
r ti
zip
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itd
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ts
ch
ei
du
ng
s
pr
oz
es
s?
]
io
n
unterschieden werden:
Sachdimension
[Was steht zur
Diskussion?]
Sozialdimension
[Wer entscheidet?]
Diese Grafik stellt verschiedene Formen der Einbindung (Partizipation, Konsultation und
Involvement) nebeneinander dar. Der Pfeil rechts unten markiert, dass weitere Formen
17
Vgl. hierzu in ähnlichem Wortlaut Dirk Baecker (2008, 45) in Bezug auf adäquate Führung.
18
Gemäß Luhmann unterscheiden wir nur Sach-, Sozial- und Zeitdimension (vgl. Luhmann 1984, 92ff).
12
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
existieren und in diesem Schema analysiert werden könnten. Hier wollen wir aber neben
der Partizipation nur kurz auf Konsultation und Involvement eingehen, da diese Begriffe
in den hier untersuchten Publikationen ebenfalls angesprochen werden. Neben diesen
Formen der Einbindung scheinen in der Grafik die drei Sinndimensionen auf, wobei sich
die Zeitdimension – stark vereinfacht – in zwei Phasen unterteilt: die Phase offener Kontingenz wird durch die untere Zeile dargestellt, die Phase geschlossener Kontingenz
durch die obere. Die erste Spalte „Partizipation“ ist durchwegs dunkelgrau markiert, da
dies eine Form der Inklusion auf allen drei Sinndimensionen (sozial, sachlich und zeitlich
sowohl in der Phase offener als auch in der Phase geschlossener Kontingenz) darstellt.
In der Spalte „Konsultation“ wird das Feld „Sozialdimension“ von uns weiß dargestellt. Obwohl in der Literatur der Konsultationsbegriff oft als Synonym für Partizipation
gebraucht wird, fällt uns hier ein Unterschied auf: Während auf einer sachlichen Ebene
dem Wissen und den Erfahrungen von Laien nachgegangen werden mag, kann anhand
der Sozialdimension beobachtet werden, dass diese keinerlei Einfluss darauf haben, ob
sich der weitere Entscheidungsverlauf an diesem Wissen orientiert. Diesen Unterschied
hebt auch Damien Contandriopoulos (zit. nach Wait/Nolte 2006, 3) hervor: “participation
encompasses all possible ways in which the public can influence a decision [whereas]
consultation usually describes a situation in which the public can voice its opinion without
any direct possibility of decision in the end”. Charles/DeMaio (1993) bewerten consultation bereits als partizipativ – allerdings nur auf dem untersten Level von Partizipation. Unsere Diskussion weicht jedoch von diesem linearen Modell ab, was ermöglicht, die Begriffe auf einer qualitativen Ebene zu unterscheiden. Consultation soll hier eine mögliche
Form der Teilhabe darstellen, bei der lay knowledge erhoben wird (daher markieren wir
das Feld “Sachdimension” dunkelgrau). Dies geschieht aber unverbindlich (aus diesem
Grund bleibt die Sozialdimension unmarkiert). Zeitlich ist eine Konsultation sowohl in der
Phase offener Kontingenz (bspw. zur Erhebung von Bedürfnissen oder Problemen), als
auch während der Phase geschlossener Kontingenz (bspw. bei der Auswahl gewünschter
Alternativen) denkbar. Diese Unbestimmbarkeit wird durch die hellgraue Markierung veranschaulicht.
Auch der Begriff Involvement steht in einem Näheverhältnis zum Partizipationsbegriff – es handelt sich dabei auch um eine Form der Einbeziehung. Oft wird nicht versucht eine klare Unterscheidung zu treffen, was aus der Definition von Oakley, die wir bei
Rifkin et al. (2000, 14) lesen können, hervorgeht: „participation includes people’s involvement in decision-making processes, in implementing programmes [...] their sharing
in benefits of development programmes and their involvement in efforts to evaluate such
programmes“. Es kann hier zunächst die synonyme Verwendung der Begriffe participation und involvement festgestellt werden. Anders als bei den anderen Definitionen, die wir
13
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
bereits untersucht haben, fällt auf, dass die frühe zeitliche Einbindung in den Entscheidungsprozess nicht betont wird. Aus diesen beiden Eigenheiten der Definition können wir
danach fragen, ob wir anhand der Zeitdimension diese beiden Formen der Einbindung unterscheiden können. So tut dies auch Labonte (1997, 46) mit der Feststellung: „Involvement invites others after the problem has been named in quite specific ways; participation invites others to name problems in specific ways most useful to the largest number.“
Interessant ist die Festellung von Rifkin et al (2000, 15), dass die WHO in vielen
ihrer Publikationen den Terminus participation durch involvement ersetzt hat, in der Annahme, dass letzteres „has the implication of a deeper and more personal attachment of
community members“. In der Literatur über Partizipation werden ansonsten – so Rifkin et
al. – die Termini synonym verwendet. Wir wollen jedoch von der Möglichkeit Gebrauch
machen, Partizipation und involvement zu unterscheiden und schließen dementsprechend
an Labonte (1997) an. Demnach kann Partizipation keineswegs als weniger aktiv aufgefasst werden. Die Inklusion in eine frühe Phase des Entscheidungsprozesses markiert
schon wesentliche Möglichkeiten aktiver Gestaltung, indem Inhalte und Formen der Zusammenarbeit gewählt werden können. So argumentieren auch Wait und Nolte (2006, 3;
mit Referenz auf Lupton et al.), dass „participation implies a less passive and more specific activity than involvement.” Und auch Arnstein (1969) bezeichnet Involvement abschätzig als „innocuous euphemism”. In Anschluss an diese Literatur kann festgehalten
werden, dass in erster Linie durch die Frage, wann Laien in den Entscheidungsprozess
eingebunden werden, entschieden werden kann, ob von Partizipation oder Involvement
die Rede sein soll. Wir markieren zusätzlich, dass die frühe zeitliche Einbindung wesentliche Möglichkeiten der Gestaltung bereithält und daher von vornherein aktiver ausgerichtet ist, als es der Fall eines nachträglichen Involvement ist.
Abschließend muss wohl festgehalten werden, dass sich die hier vorgelegte Diskussion des Partizipationsbegriffes von der klassischen Literatur weit entfernt hat. Seit
Sherry Arnstein im Jahre 1969 eine „ladder of citizen participation“ vorgelegt hat, folgt
ein Grossteil der Forschung diesem linearen Modell. Hier wird Partizipation als Entscheidungsmacht definiert und „genuine participation“ (auf den obersten Sprossen), von „tokenism“ und „nonparticipation“ (auf den unteren Sprossen) unterschieden. Statt Partizipation werden hier verschiedene Stufen definiert – die eigentlichen Folgeprobleme werden dem Problem vorangestellt. Diese Problemlösungsstrategie setzt sich seither in der
Literatur weiterhin durch. So wurden für verschiedene settings neue Leitern gezeichnet,
Sprossen umbenannt, hinzugefügt, oder entfernt. Daraus ergeben sich Definitionen von
Partizipation, die nur implizit den Verweis auf Entscheidungsprozesse mitführen und
ebenso implizit verschiedene Dimensionen der Beteiligung ansprechen. Es fehlt eine the-
14
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
oretische und analytische Auseinandersetzung mit der Frage, was Partizipation heißen
soll oder kann.
Die vorgestellte Lektüre bestehender Definitionsversuche von Partizipation sollte
einen möglichen Weg andeuten, um dem Kern dieser Fragestellung näher zu kommen.
Wir konnten in ihnen ein Näheverhältnis von Partizipation zum Entscheidungsbegriff erkennen. Dieses Verhältnis wurde theoretisch insofern ausgenutzt, um aufzuzeigen, wie
man an einer Entscheidung beteiligt sein kann. Theoretisch waren wir dadurch in der Lage, die Definitionen aufgrund der Sinndimensionen zu beobachten, dies führte zur Feststellung, dass hier (in fünf Fällen) von sachlicher, sozialer und zeitlich früher Inklusion
die Rede ist. Anhand dieser drei Dimensionen konnten abschließend auch Möglichkeiten
markiert werden, den Terminus Partizipation von anderen Formen der Einbeziehung zu
unterscheiden.
Es sollte aber beachtet werden, dass Partizipation nicht notwendigerweise eine
stärkere oder wünschenswertere Form der Einbindung (gegenüber der Konsultation oder
des Involvement) darstellt. Partizipation heißt – soviel konnten wir aus der Literatur deduktiv ableiten – Einbindung auf allen drei möglichen Sinndimensionen. Bei der Stärke,
oder Qualität dieser Einbindung, kann es in der Praxis zu starken Unterschieden kommen, und es ist möglich, dass die Konsultation (Befragung in der Sachdimension) oder
ein Involvement (Befragung, nachdem wesentliche Rahmenbedingungen bereits festgelegt wurden) auf ihren Dimensionen eine stärkere Einflussnahme ermöglichen können.
15
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Tabelle 1: Definitionen von Partizipation
Autor
Definition
Sachlich:
Was
steht
zur
Diskussion? (haben Laien
die
Wallerstein
Wallerstein schreibt zwar mit Fokus auf Empowerment sieht aber Partizipation als einen wesentlichen Bestand-
(1992)
teil dessens: “empowerment is the participation of individuals and communities in a social action process that
Möglichkeit
ihr
Sozial:
Wer
ent-
scheidet?
Zeitlich:
Wann
werden Laien ein-
Wis-
gebunden? (Phase
sen/ihre Perspektive ein-
offener
zubringen?)
genz)
Kontin-
targets both individual and community change outcomes” (202). Die aufkommende Frage, wie communities effektiv an sozialen Prozessen teilhaben können erläutert sie mit Referenz auf Cottrells (1976) Konzept der
cometent community: “A competent community is one whose members can collaborate effectively in identify-
formulating
ing problems, can reach consensus on goals and strategies, and can cooperate in the necessary actions to ac-
strategies
tery
lems
problem-solving
decision-making
problem-posing
goals
and
control
and
mas-
identifying
prob-
quire resources to solve those problems” (ebd. 201). Uns fällt in dieser Definition auf, dass effektive bzw. partizipative Teilnahme an sozialen Handlungsprozessen bedeutet, bereits an der Identifikation von Problemen
teilzuhaben, sachlich eigenes Wissen bei der Formulierung von Zielen einzubringen und sozial an der Umsetzung der vereinbarten Handlungen beteiligt zu sein.
Labonte (1997)
In diesem Sinn stellt auch Ron Labonte (1997, 43) fest, dass „participation is a concept that describes the attempts to bring different stakeholders together around problem-posing, problem-solving and decision-making.“
Zakus/Lysack
Zakus und Lysack (1998, 2) schließen an WHO Papiere an und beschreiben Partizipation als „the process by
(1998)
which members of the community, either individually or collectively and with varying levels of commitment:
(a) develop the capability to assume greater responsibility for assessing their health needs and problems; (b)
plan and then act to implement their solutions; (c) create and maintain organizations in support of these efforts; and (d) evaluate the effects and bring about necessary adjustments in goals and programmes on an ongoing basis.” Uns fällt wiederum auf, dass es die Beteiligten sind, die ihre Bedürfnisse bezogen auf Gesundheit
... and act to implan...
plement their solution
festlegen um von diesem Punkt aus ihr Wissen in die Planung einfließen zu lassen und in der Implementierung
assume
greater
responsibility
assessing
for
their
health needs
der Lösungen sozial beteiligt werden. Damit ist für diese Autoren der Prozess der Partizipation noch keineswegs
abgeschlossen, sondern sollte zur Etablierung von Organisationen führen welche die angestrebten Maßnahmen
weiter unterstützen, deren Effekte evaluieren und schließlich zu Veränderung und Anpassung von Zielen und
Programmen führen.
Rifkin
(2000)
Rifikin et al (2000) zitieren in ihrem Review über Partizipation in der Gesundheitsförderung Oakley, für den
auf
„participation includes people’s involvement in decision-making processes, in implementing programmes ...
[Referenz
Oakley 1989]
16
their sharing in benefits of development programmes and their involvement in efforts to evaluate such pro-
-
decision-making;
sharing the bene-
control
fits
over
re-
sources and regula-
ment
of
developpro-
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
grammes“ (Oakley zit. Nach Rifkin et al. 2000, 14). Es fällt hier zunächst die synonyme Verwendung der Beg-
tive institutions.
grammes.
riffe Partizipation und Involvement auf. Zusätzlich ist nicht klar erkenntlich in welcher Phase im Entscheidungsprozess die Laien bereits einbezogen werden.
WHO (2002)
“A process by which people are enabled to become actively and genuinely involved in defining the issues of
concern to them, in making decisions about factors that affect their lives, in formulating and implementing
formulating policies
defining
decision-making
policies, in planning, developing and delivering services and in taking action to achieve change” (2002, 10).
Wait/Nolte
Eine ähnliche Definition liefern uns Wait/Nolte (2006) in dem sie Parry et al zitieren, für die Partizipation heist:
…and
(2006)
“taking part in the process of formulation, passage, and implementation of public policies (through) action by
tion of public poli-
citizens which is aimed at influencing decisions which are, in most cases, ultimately taken by public represen-
cies (through) action
tatives and officials’ (Parry et al, 1992, zit. nach Wait/Nolte 2006, 3)
passage…
the
is-
sues
implementa-
citizens
taking part in the
which is aimed at
process of formu-
influencing
lation
sions
by
deci-
which
are
mostly taken by officials
Charles/DeMaio
consultation (als Form der
(1993)
Partizipation, in Anschluss
decision-making;
Identifikation von
Problemen
wird
an Arnstein): erst wenn
nur
im
nicht
nach lay knowledge ge-
Form der Partizipa-
berücksichtigt
fragt wird handelt es sich
tion
(Nähe zu involve-
als
stärkste
um Partizipation
White (2000)
ment).
lay participants contribute
opinions, information, experience
or
other
re-
sources to the administration
Jewkes/Murcott
(1998)
Modell
direct participation:
decison-making
(aber nur eine Form
-
der Partizipation)
Keine Definition
Morgan (2001)
Keine Definition
Stephens (2007)
Keine Definition
17
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
4 Wozu Partizipation?
Haben wir im vorherigen Kapitel versucht, uns mittels der Was-Frage dem Terminus
Partizipation zu nähern, so geht es im Folgenden darum, zu beobachten, wozu Partizipation gefordert wird. Die Ziele und Zwecke die mittels Partizipation angestrebt
werden, sollen hier nachgezeichnet werden. Dies geschieht zunächst anhand der
Aussagen von AkteurInnen, die Partizipation fordern. Die zugrundeliegende Methode ist daher auf einer Beobachtung erster Ordnung angelegt; erst in einem späteren Kaptitel werden wir diese Beobachtungen anhand theoretischer Konzepte in den
Blick nehmen und uns auf eine Beobachtung zweiter Ordnung begeben.
In einem ersten Schritt fällt auf, dass zunächst mit sehr universellen Argumenten die Notwendigkeit von Partizipation untermauert wird. Im Anschluss an die
hier untersuchte Literatur werden wir daraufhin eine analytische Unterscheidung
treffen, um zwei verschiedene Perspektiven, anhand welcher Partizipation gefordert
wird, zu unterscheiden. Abschließend werden wir versuchen, die Sichtweise der Gesundheitsförderung nachzuzeichnen und dabei feststellen, dass diese sich gekonnt
beider Perspektiven bedient, um die Notwendigkeit von Partizipation zu untermauern.
4.1 Universelle Argumente für Partizipation
Die Erwartungen, die an Partizipation gerichtet werden, sind hoch gesetzt. So
wurde darin „a magic bullet“ gesehen, „to solve problems rooted both in health and
political power“ (Rifkin zit. nach Morgan 2001, 222). Die positiven Konnotationen,
die unterschiedliche Akteure mit Partizipation verbinden, erinnern an Werte wie
„motherhood – everybody praises it“ (Vuori zit. nach Jewkes/Murcott 1998, 847).
Wie wir weiter oben schon ausgearbeitet haben, wurde in der Alma-Ata Deklaration Partizipation als Grundrecht aller BürgerInnen angesehen. Später, in der
Ottawa Charta, ging die WHO dazu über, Partizipation als Strategie für die Gesundheitsförderung funktional zu bewerten. Damit ergeben sich zwei divergente Perspektiven, anhand welcher Partizipation gefordert wird.
4.2 Demokratische und utilitaristische Perspektiven
Es fällt auf, dass Partizipation einerseits als ein Mittel zum Zweck, andererseits als
ein Wert für sich selbst gesehen werden kann. Diese Unterscheidung wird in fünf
der hier analysierten Publikationen eingeführt (Morgan 2001, Wait/Nolte 2006, White 2000, Jewkes/Murcott 1998, Charles/DeMaio 1993) und jeweils nur etwas anders
bezeichnet. Morgan (2001) trennt im Gesundheitswesen die Forderungen nach Partizipation in utilitaristische und empowerment Perspektiven. Erstere verweisen auf
19
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
die Möglichkeit, durch Partizipation eine Verbesserung der Leistungen des Gesundheitswesens, Kostensenkung durch bessere Allokation und durch Auslagerung von
Leistungen in die community zu erzielen (vgl. auch Zakus und Lysack 1998, 3).
Die zweite Perspektive verfolgt einen demokratischen Ansatz, anhand dessen BürgerInnen in jedem Fall an der Gestaltung der Gesundheitsservices zu beteiligen sind. Partizipation wird hier als ein Grundwert – einen Wert für sich selbst –
gesehen. Darüber hinaus werden diesem Wert jedoch ebenfalls positive Effekte zugeschrieben, er soll zu einem empowerment der BürgerInnen führen. Erst durch die
verstärkte Einbeziehung können diese mehr Verantwortung für ihre Gesundheit
übernehmen und laufend ihre Fähigkeiten zur effektiven Teilnahme weiterentwickeln.
Wait und Nolte (2006) treffen eine ähnliche Unterscheidung. Sie zeigen,
dass aus einer consumerist perspective heraus Partizipation als ein Mittel gesehen
wird, anhand dessen die Produkte und Services des Gesundheitssystems evaluiert
werden können. Dabei werden Patienten oder user des Systems als Konsumenten
aufgefasst, die mit ihren Bewertungen den Konkurrenzkampf unter den Leistungserbringern anregen und damit zu Verbesserungen und Kosteneffizienz beitragen.
Auf der anderen Seite identifizieren Wait und Nolte eine demokratische Perspektive,
in welcher Partizipation als ein Recht und eine Pflicht der Bürgerinnen und Bürger
hochgehalten wird. Partizipation wird hier als deliberative Form einer starken und
nachhaltigen Demokratie angesehen.
Wie White (2000, 474) feststellt, wurde die Forderung nach Partizipation
bisher in erster Line durch die demokratische Sicht untermauert. Dies sieht sie vor
allem darin begründet, dass die Effekte partizipativer Interventionen auf Serviceleistungen oder auf ein empowerment der TeilnehmerInnen nicht leicht auszumachen sind. Denn es ergeben sich Schwierigkeiten festzustellen, was durch Partizipation erreicht wurde, oder was auch ohne Einbezug von Laien stattgefunden hätte.
Aufgrund dieser Evaluationsprobleme wird vermehrt auf den demokratischen Wert
von Partizipation verwiesen, um der Problematik der Messung von outcomes zu
entkommen. White (2000, 465; mit Verweis auf Croft/Bersesford 1989) weist zusätzlich noch darauf hin, dass gerade das Gesundheitssystem kaum „exit“-Prozesse
als Rückmeldemöglichkeit hat, denn man kann seine Gesundheitsprobleme nicht
außerhalb des Systems bearbeiten lassen, da das System als Leistungserbringer eine Monopolstellung einnimmt. Daher kommt „voice“-Mechanismen als Mitgestaltungsprozesse in diesem System eine besondere Bedeutung zu.19
19
Stichweh (2005) weist jedoch darauf hin, dass gerade in von Professionellen dominierten Systemen voice-Mechanismen wenig Durchsetzungskraft haben.
20
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
4.3 Argumente für Partizipation aus Sicht der Gesundheitsförderung
Die oben eingeführten Argumente für Partizipation kommen stärker aus dem Diskurs über die Gestaltung des Gesundheitswesens. Ihnen konnten wir eine Unterscheidung in utilitaristische (Partizipation als „Mittel zum Zweck“) und demokratische (Partizipation als „Wert an sich“) Argumentationsrichtungen für Partizipation
entnehmen. Es stellt sich nun für uns die Frage, aus welcher Perspektive die Gesundheitsförderung Partizipation als ihre zentrale Strategie erklärt. Was soll damit
erreicht werden, ein demokratischerer Gesundheitsförderungsprozess oder konkrete
Ziele?
Wir hatten in dem ersten Kapitel von einem „paradigm drift“ der Gesundheitsförderung gesprochen. Kern dieses drifts bildet die Erkenntnis, dass das Verhalten von Personen nicht nur auf das jeweilige Individuum, sondern auch auf dessen Umwelt zurückzuführen ist (vgl. Pelikan 2007, 77f und Baecker 2005, 168). Der
Umwelt, oder den settings, in welchen sich Personen tagtäglich bewegen, wird damit ein starker Einfluss beigemessen. So kommt es, dass Partizipation im Kontext
der Gesundheitsförderung nicht unbedingt nur als ein demokratischer Wert für sich
gesehen wird, sondern vielmehr argumentiert wird, auf welchen Wegen eine demokratisch gestaltete Umwelt sich auf das Verhalten, das Erleben und letztlich auf die
Gesundheit von Personen auswirken kann.
Rifkin et al. (2000, 27) zitieren eine Studie von Kurt Lewin, in der dieser
nachweisen konnte, dass Arbeiter, die an der Ausarbeitung von management policies einbezogen werden, einen geringeren Level an Frustration bei ihrer Arbeit aufweisen, und dass dies wiederum mit deren Produktivität korreliert. Damit wurde
gezeigt, dass „democratic participation in management was more productive than
autocratic coercion” (ebd.). Während sich Lewins Ergebnisse auf die Arbeit und Produktivität in Industriebetrieben bezogen hat, zeigen neuere Studien innerhalb der
öffentlichen Verwaltung vorteilhafte Resultate im Bezug auf Gesundheit. In der Whitehall-Study (Kumari et al. 2004) wurden große Unterschiede zwischen dem Gesundheitsstatus der Beamten auf unterschiedlichen Hierarchieebenen festgestellt.
Diese Unterschiede konnten in dieser Gruppe nicht nur auf materielle Umstände
(höhere Entlohnung, bessere Wohnungen, usw.) zurückgeführt werden, da alle diese Beamten über ausreichend Einkommen verfügen und insofern anzunehmen ist,
dass sie ihre materiellen Bedürfnisse weitgehend befriedigen können. Die Autoren
der Studie (Marmot et al. 1997) versuchen deshalb, die Differenzen im Gesundheitsstatus mittels einer psychosozialen Perspektive (relative deprivation) zu erklären. Dabei wird auf die Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten verwiesen
(„feeling of mastery“), die mit jeder Stufe in der Beamtenhierarchie zunehmen und
21
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit dieser Beamten haben könnten (vgl.
Kumari et al. 2004, Marmot et al. 2002).
Ronald Labonte (1997, 43) argumentiert ebenfalls aus einer psychosozialen
Perspektive, wenn er schreibt: „public participation directly improves the health and
wellbeing of many people by overcoming their isolation and perceived powerlessness.” Wir können festhalten, dass von Seiten der Gesundheitsförderung stark auf
den Wert von Partizipation als Form einer deliberativen Demokratie verwiesen wird;
doch es fällt auf, dass dieser Wert an sich stets in Korrelation mit Gesundheit gesehen wird. Durch die demokratische Einbeziehung von Personen in Entscheidungsprozesse wird deren Gestaltungsspielraum ausgeweitet und dies wirkt sich positiv
auf deren locus of control aus, was Wallerstein (1992, 200) als psychological empowerment bezeichnet. Grundsätzlich lassen sich in der Gesundheitsförderung zwei
Empowerment Ansätze unterscheiden (vgl. Laverack 2007): Das eben ausgeführte
Konzept spiegelt „power from within“ wieder: Das persönliche Gefühl selbstbestimmt in seinen Handlungen zu sein. Daneben beschreibt das „power over“Konzept (vgl. ebd.), die empirisch gegebenen Möglichkeiten, Einflussnahme und
Kontrolle auf Entscheidungen zu nehmen, beispielsweise an der Gestaltung von Gesundheitsprogrammen und Serviceangeboten beteiligt zu sein. Wenn Empowerment
ein zentrales Ziel der Gesundheitsförderung darstellt (wie etwa für Laverack 2007),
dann wird Partizipation hier als ein Mittel zur Ereichung dieses Ziels/Zwecks herangezogen.
Dass Partizipation als strategisches Mittel zur Erreichung von Health for All
gesehen wird (vgl. Zakus und Lysack 1998, 1) hat jedoch zusätzliche Gründe. Partizipationsmaßnahmen sollten vor allem benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreichen, deren Perspektive erfassen und auf ihre Bedürfnisse reagieren (vgl. WHO
2002, 12, Smities und Webster 1998). Durch die Einbeziehung in die Gestaltung der
wohlfahrtsstaatlichen Serviceeinrichtungen sollen diese an Relevanz für die einzelnen Bevölkerungsgruppen gewinnen und effizienter und nachhaltiger gestaltet werden (vgl. Labonte 1997, 43; WHO 2002, 12; aktuell siehe: Canadian Health Services Research Foundation 2009). Die Annahme ist, dass durch diese Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass die wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen auf die Bedürfnisse aller – vor allem aber der benachteiligten Gruppen – ausgerichtet sind.
Auf einer gesellschaftlichen Ebene soll dies zu einer Reduktion der sozialen Ungleichheit, vor allem in Hinblick auf die starken Unterschiede beim Gesundheitsstatus führen. Damit hat Partizipation auch einen Effekt auf die „deeper determinants
of health (risk conditions)“, so Labonte (1997, 43).
Abschließend können wir festhalten, dass sich die Gesundheitsförderung beider Argumentationslinien (der utilitaristischen und der demokratischen) bedient,
22
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
um den Wert von Partizipation zu untermauern. Doch dadurch, dass innerhalb der
Gesundheitsförderung seit dem „paradigm drift“ verstärkt der Einfluss der sozialen
Settings auf das Verhalten und die Gesundheit des Individuums berücksichtigt wird,
bildet der demokratische Ansatz nicht mehr nur einen Wert an sich. Demokratische
Beteiligung wird als Empowerment gesehen und diesem wird ein starker Einfluss
auf die Gesundheit attestiert. Analytisch lassen sich innerhalb dieses Diskurses weiterhin utilitaristische und demokratische Perspektiven unterscheiden, doch kann
sich hier auch die demokratische Perspektive als ein Mittel zum Zweck kenntlich
machen.
23
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
5 Wer soll partizipieren?
Im zweiten Kapitel konnten wir herausarbeiten, dass Partizipation bedeutet, in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden. Nun stellt sich aber die Frage danach,
wen man beteiligen soll. Wenn in der Gesundheitsförderung und in der Literatur zur
Gestaltung des Gesundheitswesens die Rede von Partizipation ist, an wen wird dabei gedacht – wer soll beteiligt werden?
In einem ersten Schritt, wird hier analysiert werden, welche Zielgruppen von
Partizipation im Gesundheitsförderungsdiskurs diskutiert werden. Dabei kann festgestellt werden, dass sich die Gesundheitsförderung primär auf ‚community participation’ bezieht.
Im weiteren wird kurz auf verschiedene Definitionsmöglichkeiten von ‚community’ hingewiesen, um abschließend diese kritisch zu hinterfragen und festzuhalten, dass die Frage nach einer adäquaten Konzeptualisierung von ‚community’ auch
in Zukunft die Gesundheitsförderung beschäftigen wird.
5.1 Adressaten von Partizipationsinitiativen
Geht es um Beteiligung an Entscheidungsprozessen, so könnte man annehmen,
dass all jene, die von diesen Entscheidungen betroffen sein werden, partizipativ
einzuschließen sind. Spricht man jedoch im Gesundheitsförderungsdiskurs (und
zumeist auch im Gesundheitswesen20) von Partizipation, so fällt auf, dass es um die
Beteiligung von Laien geht. Laien sollen verstärkt die Möglichkeit bekommen, sich
partizipativ in Gestaltungsfragen einzuklinken und an Entscheidungsfindungen mitzuwirken. Interessanterweise wird in den hier untersuchten Publikationen nur einmal argumentiert, dass alle relevanten Stakeholder partizipieren sollen. Dies ist der
Ansatz von Labonte (1997), der neben den Laien auch relevante andere Stakeholder als zu beteiligende Gruppe sieht. Danach wäre auch zu schauen, wie man Professionelle und MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen besser an diversen Entscheidungen beteiligen kann. In allen zehn anderen analysierten Publikationen wird
ausschließlich die Partizipation von Laien thematisiert.
Mit der Unterscheidung zwischen Laien und Professionellen (oder staff) haben wir eine erste Differenz gesetzt und können feststellen, dass sich der Diskurs
verstärkt (oder nahezu ausschließlich) auf erstere bezieht. Laien stellen jedoch eine
sehr heterogene Gruppe dar. Im Weiteren soll uns die Frage beschäftigen, wie diese
Laien bezeichnet werden.
20
In der Diskussion um die Gestaltung von Gesundheitseinrichtungen ist zusätzlich
ein eigenständiger Diskurs zur Beteiligung von MitarbeiterInnen zu beobachten.
24
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Partizipation wird als Begriff kaum für sich verwendet, sondern immer mit
einem Zusatz versehen, der markiert, wer partizipieren soll. Für den Gesundheitsförderungsdiskurs können wir anhand der hier untersuchten Publikationen feststellen, dass immer (auch Labonte verwendet zum Teil diese Bezeichnung) von ‚community participation’ die Rede ist (siehe Stephens 2007, Jewkes/Murkott 1998,
WHO 2002, Rifkin 2000, Wallerstein 1992; und auch Morgan 2001 und Zakus/Lysack 1998, die nicht eindeutig diesem Diskurs zuzurechnen sind). Im Diskurs
des Gesundheitswesens werden andere Bezeichnungen verwendet Charles/DeMaio
(1993) schreiben über „lay participation“, White (2000) verwendet „consumer and
community participation“ in der Überschrift ihres Aufsatzes und
Wait/Nolte (2006)
bezeichnen ihr Thema als „public participation.“ Die Begriffe „public“ und „lay“ bezeichnen jeweils eine sehr heterogene Gruppe. Es können damit die NutzerInnen
von Serviceangeboten (z.B. PatientInnen) als auch BürgerInnen (z.B. Versicherte
oder Steuerzahler) im weiteren Sinne darunter verstanden werden. Diese Differenzierung wird auch innerhalb der Literatur (Charles/De Maio 1993; Harrison et al.
2002; Tritter/McCallum 2005) angewandt, um die verschiedenen Rollen die unter
„public“ oder „lay“ subsumiert werden können, zu unterscheiden. Eine „user“ Perspektive nehmen dabei jene Personen(rollen) ein, die ein unmittelbares Interesse
an der jeweiligen Serviceleistung haben, nämlich die KonsumentInnen, KlientInnen
oder PatientInnen – wie auch immer sie genannt werden – im Falle des Gesundheitssystems. Unter einer „public“ Perspektive werden dann jene Personengruppen
gefasst, die im weiteren Sinne ein Interesse an der Entwicklung und Gestaltung des
Gesundheitswesens haben und potentiell (d.h. im Krankheitsfall) eine „user“Perspektive übernehmen könnten. Damit sind die BürgerInnen als Versicherte und
Steuerzahler gemeint. Anhand ihrer Perspektive können Einstellungen zur grundsätzlichen Gestaltung (und Finanzierung) des Gesundheitssystems erhoben werden,
während anhand der „user“-Perspektive Erfahrungen mit dem System erhoben
werden, die zur Entwicklung spezifischer Programme dienlich sein können.
Im Folgenden interessiert uns, was im Gesundheitsförderungsdiskurs unter
dem Begriff ‚community’ verstanden wird.
5.2 Community als Begriff der Gesundheitsförderung
Obwohl ‚community’ für die Gesundheitsförderung ein zentraler Begriff darstellt, der
auch zur Konzeptualisierung von Partizipationsstrategien herangezogen wird, lässt
sich feststellen, dass dieser Begriff immer noch Definitionsprobleme aufweist. Nicht
immer werden diese Probleme überhaupt bemerkt und die begriffliche Unschärfe
gesehen. Der Begriff dient daher oft nur als Label für Gesundheitsförderung- und
Partizipationsprogramme (Boutilier et al. 2000), und dessen unpräzise Definition
25
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
führt zu Problemen in der praktischen Umsetzung von Partizipation in der Gesundheitsförderung (Jewkes/Murcott 1996, 1998).
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Verständnisweisen von community innerhalb der Gesundheitsförderung unterscheiden: räumliche und relationale
Definitionen. Aus praktischen Gründen überwiegen räumliche (locational) Definitionen, denn Gesundheitsservices oder Gesundheitsförderungsinterventionen werden
häufig für bestimmte örtliche Regionen und deren Population geplant (Campbell &
Murray 2004). Im Gegensatz dazu betonen relationale Definitionen die gemeinsamen Identitäten (oder Interessen), die unterschiedliche Personen miteinander teilen. So können Gesundheitsförderungsinterventionen für spezifische Personengruppen etwa für ‚gay communities’ oder diverse ‚migrant communities’ geplant werden.
Die Kritik stößt sich vor allem an der substantialistischen Denkweise, die in
beiden Definitionsstrategien impliziert ist (vgl. Stephens 2007, Boutillier et al.
2000). Die ‚community’ wird durch Personen bestimmt, die sich an einem bestimmten Ort aufhalten oder Interessen bzw. Eigenschaften teilen. Es fällt auf, dass sich
beide Definitionen durch deren Fokus auf die Personen, die die ‚community’ bilden,
fundamental gleichen. Es stellt sich auch die Frage, ob das Konzept überhaupt
fruchtbar angewandt werden kann, wenn man schlicht annimmt, dass Personen, die
sich an einem gemeinsamen Ort aufhalten bzw. ähnliche Interessen oder Bedürfnisse haben, eine Gemeinschaft bilden.
In neueren und kritischen Ansätzen (Stephens 2007a, Boutilier et al. 2000)
wird daher vorgeschlagen, eine systemische Perspektive zu verfolgen. Dabei wird
das Augenmerk nicht auf die einzelnen Personen gelegt, sondern analysiert, wie sie
aus ihren Handlungen (der sozialen Praxis) eine Identität konstruieren (Stephens
2007a). Nicht die Akteure werden dabei beschrieben und analysiert, sondern das
Geschehen, das sich zwischen ihnen abspielt. Begreift man ‚communities’ in dieser
Weise als Kommunikationszusammenhänge (Boutilier et al. 2000) so kann auch
nach der Bedeutung örtlicher Grenzen für die Selbstbeschreibung (Identität) der
community gefragt werden. Aber dabei wird ersichtlich, dass das materielle Äußere
immer erst aus den kommunikativen Prozessen (die sich innerhalb der ‚community’
abspielen) heraus an Relevanz gewinnt und für deren Identitätskonstitution herangezogen werden kann.
Abschließend können wir hier festhalten, dass der Begriff ‚community’ im
Diskurs zur Partizipation in der Gesundheitsförderung noch nicht hinreichend geklärt ist, und es weiterer Forschung bedarf (Stephens 2007a, Boutilier et al. 2000).
26
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
6 Wie wird die Umsetzung von Partizipation in der
sozialen Praxis beobachtet?
Im Folgenden soll in der hier untersuchten Literatur die Beobachtung und Bewertung von Partizipation auf drei Ebenen analysiert werden: 1) Über welche empirischen Daten und Erfahrungen der Umsetzung von Partizipation wird berichtet? 2)
Welche Modelle oder frameworks zur Implementierung und Bewertung werden bereitgestellt? 3) Welche sozialwissenschaftliche Theorien zur Analyse von Partizipation werden herangezogen?21
6.1 Empirische Erfahrungen der Umsetzung von Partizipation
Empirische Ansätze, die die Effekte und Barrieren von Partizipation untersuchen,
tun dies zumeist in der Annahme, dass Partizipation an sich wünschenswert und
hilfreich sei (vgl. Stephens 2007, 950). Diese Ansätze weisen zumeist auf Probleme
von Partizipationsmaßnahmen hin, um dann Lösungsmöglichkeiten für diese
Schwierigkeiten in der Umsetzung aufzuzeigen. Stephens (ebd.) zitiert als einen
solchen Ansatz einen Artikel von Nelson et al. (2004), die als Barrieren für Partizipation in der Gesundheitsförderung sprachliche, kulturelle und finanzielle Hintergründe sowie Arbeitsbelastung und fehlende Motivation identifizieren.
Ein systematisches Review von Crawford et al. (2002), das sich mit dem impact von public involvement (im Gesundheitswesen) beschäftigt, identifizieren Wait
und Nolte (2006, 9) in ihrem Artikel. Als positive Effekte von Partizipation berichten
Crawford et al. von Veränderungen der Serviceangeboten, besseren Informationen
für Patienten und der Entwicklung neuer Angebote. Einen Effekt von involvement
auf die Qualität und Effektivität der Gesundheitsservices können sie in ihrer Literaturstudie jedoch nicht finden.
Wait und Nolte (2006) gehen in ihrem Artikel auch der Frage nach, ob Laien
immer und in allen Entscheidungsprozessen beteiligt werden wollen. Dabei können
sie feststellen, dass gerade für Laien der Anreiz zu partizipieren oft geringer ist als
für Insider des Gesundheitssystems. Sie verweisen auch auf Klein (1984) der von
einem „inverse law of participation“ insofern spricht, als er feststellen muss, dass
gerade diejenigen, für die Partizipation am notwendigsten wäre, um ihre Interessen
zu äußern, am wenigsten die Möglichkeit besitzen, dies zu tun. Laien verfügen zumeist über weniger skills und Wissen, wodurch die Experten leicht von der Möglichkeit Gebrauch machen können, Partizipationsprozesse in ihrem Sinne zu steuern.
Ähnlicher Ansicht sind Zakus und Lysack (1998, 6f) die festhalten, dass gerade für benachteiligte Bevölkerungsgruppen die Involvierung in Partizipationspro-
21
Diese Einteilung trifft auch Stephens (2007, 950).
27
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
zesse eine zusätzliche Belastung (z.B. in zeitlicher Hinsicht) darstellt, der nicht
leicht nachzukommen ist. Aus diesem Grund sind es häufig bürgerliche Segmente
bzw. die gebildete Mittelschicht der Gesellschaft, die der Einladung zur Partizipation
nachkommen. Als zusätzliches Problem wird berichtet, dass ExpertInnen bzw. Professionelle häufig dazu tendieren, sich selbst stark in den Partizipationsprozess einzuklinken, wodurch wiederum deren spezialisiertes Wissen stärker in der Entscheidungsfindung Eingang findet.
Auch White (2000, 472f; sie verweist auch auf Bates 1983) berichtet von
diesem Dilemma von Partizipationsmaßnahmen: ExpertInnen und Professionelle
„play it save“, und damit meint sie, dass diese Insider ihnen bekannte Individuen
(die teilweise selbst Experten sind) als lay participants rekrutieren und die Form der
Beteiligung nach ihrem Ermessen wählen. Auch können Laien, da sie mit weniger
klaren Meinungen an Partizipationsprozessen teilnehmen, leicht von ExpertInnen
beeinflusst werden. In der Praxis, so White (2000, 475), zeigt sich, dass sich Partizipation weder als sehr effizient, noch als demokratischer Prozess darstellt: „Lay
participation is not about empowering consumers and communities or about turning
them into decision makers, but rather, it is about empowering existing decisionmakers.“ Durch Whites Analyse wird deutlich, dass sich Partizipation oft als eine
administrative Strategie zur Legitimation von politischen Entscheidungen entpuppt.
Als wichtigste Barriere für erfolgreiche Partizipationsmaßnahmen von Seiten
der Laien identifiziert White (2000, 471, in Anschluss an Donovan und Coast 1996
und Grant 1989) Apathie und Interesselosigkeit. Laien seien häufig nicht daran interessiert, aktiv an der Gestaltung des Gesundheitswesens mitzuwirken, lieber sei
ihnen eine passive Einbeziehung über Fragebögen.
Wir haben hier über diverse Erfahrungen mit der Umsetzung von Partizipationsprogrammen berichtet. Es fällt auf, dass oft nicht die Erwartungen erfüllt werden können, die an diese Maßnahmen gerichtet sind, oder sogar den Erwartungen
entgegengesetzte Wirkungen zu beobachten sind. Im Folgenden wollen wir verschiedene Modelle vorstellen, mit welchen versucht wird, Partizipationsmaßnahmen
zu vergleichen und kritisch zu bewerten.
6.2 Partizipationsmodelle
Das klassische Modell22, anhand dessen innerhalb des Diskurses zur Gesundheitsförderung und des Gesundheitswesens Partizipation beobachtet und bewertet wird,
22
Als klassisch kann dieses Modell bezeichnet werden, da 7 der 11 von uns analysierten Artikel auf Arnstein bezug nehmen (Stephens 2007, Zakus/Lysack 1998,
Wait/Nolte 2006, Labonte 1997, Charles/DeMaio 1993, Rifkin et al. 2000, White
2000).
28
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
stammt aus dem Aufsatz „A Ladder of Citizen Participation“ von Sherry Arnstein
(1969). Die Autorin konnte auf Erfahrungen zur Bürgerbeteiligung in USamerikanischen Stadtentwicklungsprogrammen zurückgreifen und feststellen, dass
Partizipation sehr unterschiedlich implementiert wurde. Um diverse Partizipationsprogramme kritisch betrachten zu können, entwickelte sie eine „Leiter“, durch welche sich der Level von Partizipation, der in dem jeweiligen Programm umgesetzt
wird, graduell unterscheiden lässt. Schon Arnstein stellt den Begriff Partizipation in
ein Näheverhältnis zum Entscheidungsbegriff, denn Partizipation bedeutet für Arnstein Entscheidungsmacht. Der Grad der Partizipation bemisst sich nach Arnstein an
der Größe der Entscheidungsmacht der BürgerInnen. Arnsteins Leiter beschränkt
sich auf diese Machtdimension23 und ermöglicht die Bewertung von Partizipationsprogrammen als Alibipolitik und Nichtpartizpation, wenn die BürgerInnen lediglich in
ihren Perspektiven angehört werden, aber keine Entscheidungsmacht zur Durchsetzung ihrer Ansichten haben. Der Machtbegriff bei Arnstein ist insofern problematisch, als er ein quantitatives Verständnis von Macht impliziert. Ein solches Verständnis wird an der empirischen Praxis häufig abprallen, insofern sich zeigen wird,
dass Macht nicht leicht zwischen verschiedenen Akteuren austauschbar oder verteilbar ist, sondern erkannt werden muss, dass alle TeilnehmerInnen an der Konstitution eines wechselseitigen Machtverhältnis ständig mitwirken24 und damit an der
Produktion von Macht teilhaben25. Einerseits zeigt sich in diesem Verständnis der
Austausch von Macht durch Partizipation als schwierig, andererseits kann auch die
Umverteilung der Macht von ExpertInnen zu den BürgerInnen in Frage gestellt werden. Soll BürgerInnenbeteiligung als exklusiv begriffen werden, insofern dann die
Entscheidungen ausschließlich aus deren Perspektiven rekrutiert und getroffen werden? Oder sollten nicht verschiedene Perspektiven in Kombination zu einer informierten Auswahl von Alternativen beitragen? Autoren wie Tritter/McCallum (2005)
und Labonte (1997, 44f) votieren für letzteres und kritisieren Arnsteins höchste
Stufe von Partizipation, in der die BürgerInnen das alleinige Entscheidungsrecht haben sollten. Dadurch könnten keineswegs differenziertere Entscheidungen getroffen
werden.
In der breiten Rezeption des Arnsteinschen Modells wird in erster Linie akzeptiert, dass sie Partizipation als Beteiligung in Entscheidungsprozessen versteht.
Kritisiert wird, wie bereits angedeutet, dass sie Beteiligung nur auf der Machtdimension analysiert. Ein erweitertes Modell wollen daher Charles und DeMaio (1993)
liefern, indem sie neben dem Level der Partizipation auch die Rollenperspektive der
23
24
25
Siehe zur Kritik: Tritter/McCallum (2005)
vgl. hierzu Baecker (2008 b)
siehe dazu den Foucaultschen Machtbegriff, in Lemke (2002, 2000)
29
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
beteiligten Laien in ihr Modell einbauen und zusätzlich danach fragen, auf welcher
Systemebene (in bezug auf das Gesundheitswesen, nämlich Mikroebene: Behandlung; Mesoebene: Ressourcenplanung auf regionaler Ebene und Makroebene: Entscheidungen über die Gestaltung des nationalstaatlichen Gesundheitssystems) die
Beteiligung stattfindet. Damit kommen sie zu einem dreidimensionalen Modell, das
jedoch die Machtdimension (level of participation) von Arnstein auf drei Stufen reduziert.
Die Weiterführung des Arnsteinschen Modells zeichnet sich in zwei Richtungen ab. Einerseits sollen Modelle zusätzliche Fragen beantworten können, nämlich
neben der Frage, wie stark die Beteiligung ist, soll es auch möglich sein zu beobachten, wer woran beteiligt ist (hierfür steht das Modell von Charles/DeMaio). Andererseits wird die Leiter zur Messung des Levels der Beteiligung für verschiedene
Settings angepasst und daher die jeweiligen Stufen der Partizipation umbenannt.26
In den hier analysierten Artikeln wurde bis auf Charles und DeMaio nicht
versucht, ein eigenes Modell zur Beobachtung von Partizipation zu entwickeln. Dennoch wurde auf zahlreiche solcher Versuche hingewiesen. Die einzelnen AutorInnen,
die dabei genannt wurden, sollen im folgenden kurz genannt werden.
-
Feingold (1977; zit in Charles/DeMaio 1993, 893) hat das Modell von Arnstein modifiziert und ihre 8 Sprossen auf fünf reduziert: informing, consultation, partnership, delegated power und citizen control.
-
Cornwall (1996 zit. nach Rifkin et al. 2000, 36) hat Arnsteins Modell ebenfalls weiterentwickelt. Hier werden sechs Stufen unterschieden: co-option,
compliance, consultation, co-operation, co-learning und collective action als
höchste Stufe der Partizipation.
-
Popple (1995, zit. in Stephens 2007, 950) schlägt eine Typologie vor, in der
das Spektrum von Partizipation von Konsens (consensus) bis Radikalismus
(radicalism) reichen kann.
-
Brager und Specht (1973, zit. in WHO 2002, 14 und Wait/Nolte 2006, 5)
schließen ebenfalls an Arnsteins Modell an und spezifizieren es auf die Zusammenarbeit von Organisationen und communities (community organizing).
-
Davidson (1998, zit. in WHO 2002, 15) weicht von den Leitermodellen etwas
ab, denn er fragt nach den Zielen von Partizipation und unterscheidet diese
in Information, Konsultation, Partizipation, und Empowerment. Innerhalb
26
so etwa für die Partizipation von Kindern (Hart 1992).
30
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
dieser Ziele unterscheidet er die Stärke ihrer Umsetzung auf unterschiedlichen Levels.
-
Rifkin et al. (1988, zit. in Zakus/Lysack 1998 und Rifkin et al.2000, 43) haben ein Evaluationsmodell für Community-Partizipation entwickelt. Dies stellt
die Möglichkeit bereit, zu messen, wie stark die community ihre Bedürfnisse
identifizieren kann (needs assessment), Lösungswege einleitet (leadership),
sich organisiert (organisation), Ressourcen mobilisiert (resource mobilisation) und den Gesamtprozess steuert (management).
-
Boyce (1993, zit. in Zakus/Lysack 1998, 9) hat ebenfalls ein Evaluationsmodell zur Messung von Partizipation entwickelt.
-
Bracht and Tsouros (1990 zit. in Rifkin et al. 2000, 33) entwickelten in Anschluss an Cohen und Uphoff ein von Arnstein abweichendes Modell. Mit diesem Modell schlagen sie zentrale Fragen vor (what, where, how, who und
why), anhand welcher Partizipationsmaßnahmen analytisch beschrieben
werden können.
-
Labonte (1997, 62) hat ein ‚partnership model’ der Partizipation entwickelt.
Das Ziel von Partizipation ist in diesem Verständnis: „building health promoting partnerships“. Nach Labonte sind hierfür drei Phasen zu unterscheiden:
1. Problem-Setting (common definition of problem/identification of stakeholders and resources,...)
2. Direction-Setting (establishing ground rules, agenda, closing the deal,…)
3. Implementation (support, structuring, monitoring and ensuring compliance, …)
Im Folgenden wollen wir nun danach fragen, auf welche sozialwissenschaftlichen
Theorien in den hier untersuchten Review-Artikeln Bezug genommen wird, um Partizipation als sozialen Prozess zu verstehen.
6.3 Sozialwissenschaftliche Theorien zur Partizipation
Es ist auffallend, dass in den hier untersuchten Artikeln wenig auf sozialwissenschaftliche Theorien hingewiesen wird, anhand welcher Partizipation analysiert werden könnte. Solche Theorien bilden Partizipation nicht auf einer linearen Skala ab,
sondern versuchen, den Prozess, der sich zwischen verschiedenen Akteuren abspielt, anhand bestimmter Strukturen zu analysieren. In größerem Umfang werden
solche Theorien nur in dem Artikel von Stephens (2007) vorgestellt. Auf diese soll
im Folgenden überblicksmäßig eingegangen werden, stellenweise wird dabei auf zusätzliche Literatur hingewiesen.
31
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
Poststrukturalistische Theorien beschäftigen sich vor allem mit den gesellschaftlichen Diskursen, in welchen sich die Forderung nach Partizipation einbettet.
So verwenden Peterson und Lupton (1997 zit. in Stephens 2007, 951) diese Theorien und kritisieren die New-Public-Health-Bewegung, in dem sie aufzeigen, dass
Partizipation ein Teil eines ‚dutie-discourse’ ist, der zwar die Sprache und Rhetorik
der neuen sozialen Bewegungen verwendet, aber den Zielen des Staates dient. Anhand des Foucaultschen-Konzepts der Gouvernementalität wird darauf hingewiesen,
dass Partizipationsinitiativen häufig kein empowerment von citizens, communities
und service users darstellen, sondern ein neues Feld, innerhalb dessen diese Personen beeinflusst und gesteuert werden können (vgl. etwa Barnes 2007, 67, Lemke
2001, Junge 2008, 189ff, Rose 2000). Partizipation wird dabei als Legitimationsstrategie erkannt, die zur Rechtfertigung politischer Entscheidungen dient.
Jürgen Habermas hat eine Handlungstheorie vorgelegt, deren politisches Interesse in einer Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse liegt. Deliberative
Formen des politischen Austausches werden hier gefordert, um der Kolonialisierung
der Lebenswelt durch das System Einhalt zu gebieten (vgl. Habermas 1981). Einige
Autoren (Ramella und de la Cruz 2000, Freire 1998) greifen auf diese Theorie zurück, um Partizipation als einen intersubjektiven (kommunikativen) Austausch zu
verstehen. Mit seinem Konzept der kommunikativen Rationalität (Habermas ebd.)
wird die zunehmende Bedeutung von Partizipation betont, um bestehende gesellschaftliche Rationalisierungen (in Wissenschaft, Politik usf.) herauszufordern (vgl.
auch Barnes 2007, 36).
Pierre Bourdieus Theorie der Praxis wurde sowohl von sozialpsychologischer
(Stephens 2007a,b, Cornish 2006, Cornish/Ghosh 2007) als auch von soziologischer Seite (Contandriopoulos 2004) aufgenommen, um eine theoretische Perspektive auf Partizipation weiterzuentwickeln. Mit Hilfe von Bourdieus Ansatz kann man
Partizipation als soziale Praxis begreifen. Praxis ergibt sich aus der Interaktion von
Habitus, Kapital und Feld: „The actions of participants in all aspects of social life are
informed by their habitus and access to capital, however, these actions take place
in specific fields in which different games are played in everyday life.“ (Stephens
2007a, 953; Hervorhebung hinzugefügt) Gesellschaft konstituiert sich nach Bourdieu durch überlappende spaces (oder Felder), die institutionalisiert sein können
(Familie, Sport, Ausbildung) oder auch nicht. Cornish (2006) beschreibt Partizipation als Praxis in konkreten Handlungsfeldern (fields), die dadurch charakterisiert
sind, dass in ihnen games mit spezifischen Regeln gespielt werden. Damit Partizipation erfolgreich umgesetzt werden kann, so die Analyse von Cornish/Ghosh (2007)
anhand ihrer case study in einem indischen Rotlichtviertel, muss sehr genau die Lo-
32
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
gik des jeweiligen Systems erkannt und in der jeweiligen Partizipationsmaßnahme
beachtet werden.
Bourdieus Metaphern suggerieren uns eine Art von Wettkampf um Ressourcen. Die Möglichkeit Zugang zu Ressourcen zu finden, beschreibt Bourdieu mit dem
Begriff des Kapitals (ökonomisch, sozial, kulturell und symbolisches), das sehr unterschiedlich für die jeweiligen AkteurInnen zur Verfügung stehen kann.
Die hier vorgestellten theoretischen Perspektiven auf Partizipation sind neueren Datums. In den älteren Publikationen, die wir hier untersucht haben, wurden
zumeist nur Modelle vorgestellt, um Partizipationsprozesse zu beschreiben. Die Praxis der Partizipation zeigt sich jedoch als zu vielseitig, um mit einfachen linearen
Modellen hinreichend begriffen zu werden. Dies wurde von sozialpsychologisch und
soziologisch geschulten AutorInnen erkannt, wodurch es zu neuen Versuchen der
Theoretisierung von Partizipation kommt. Eine systematische Literaturrecherche soll
uns einen umfassenden Einblick auf die Entwicklungen in diese Richtung ermöglichen.
33
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
7 Ausblick
Aus der ersten Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld geht hervor, dass seit
der Alma Ata Deklaration und insbesondere seit der Ottawa Charta Partizipation ein
fixer Bestandteil des Diskurses über die Gestaltung von Gesundheitsservices und
innerhalb der Gesundheitsförderung ist. Die Anzahl der verschiedenen Ansätze zur
Partizipation und deren Komplexität in der Beschreibung des Phänomens nimmt
stetig zu (Morgan 2001). Wenige Autoren haben bisher versucht, die Diskussion zur
Partizipation in der Gesundheitsförderung (Rifkin 2000, Labonte 1997) und in Bezug
auf Beteiligung in der Gestaltung von Gesundheitsservices (White 2000, Morgan
2001, Zakus/Lysack 1998) zusammenfassend darzustellen. Sie zeigen, dass die hohe programmatische Bedeutung von Partizipation einhergeht mit divergierenden
Zielsetzungen, heterogenen theoretischen Konzepten und einer Kluft zwischen angenommenen und tatsächlich beobachtbaren Ergebnissen.
Diese Feststellung nehmen wir als Ausgangspunkt für die Planung einer systematischen Literaturrecherche, die den Diskurs der Partizipation in der Gesundheitsförderung für die letzen 10 Jahre nachzeichnen soll (siehe Marent/Nowak/Forster 2009).
34
B. Marent, P. Nowak, R. Forster/ “User and Community Participation”
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Autor: B. Marent, P. Nowak, R. Forster
Titel: “User and Community Participation”
Working Paper Nr.: 1
ISSN: 2074-8981
© 2009 by Ludwig Boltzmann Institute Health Promotion Research,
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