Interview mit María Teresa Rivera von INKOTA
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Interview mit María Teresa Rivera von INKOTA
welt e l sal v ad o r „Die Anklage lautete auf Mord“ María Teresa Rivera aus El Salvador hatte eine Fehlgeburt erlitten und wurde daraufhin zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Michael Krämer hat im Gefängnis mit ihr gesprochen. U ngefähr 2.700 Frauen sind im Gefängnis von Ilopango, wenige Kilometer entfernt von der Hauptstadt San Salvador, zusammengepfercht. Die meisten sind wegen Raubes, Erpressung und anderer Gewalttaten inhaftiert und gehören einer der gefürchteten Jugendbanden El Salvadors an. Doch kaum eine soll eine so lange Strafe abbüßen wie María Teresa Rivera. Die 32-Jährige wurde wegen Mordes zu 40 Jahren Haft verurteilt, nachdem sie bei einer Frühgeburt ihr Kind verloren hat. Ich hatte viel Blut verloren und fühlte mich miserabel. Doch schon nach einem Tag im Krankenhaus kam ich in eine Polizeizelle. Die Polizisten behandelten mich sehr schlecht, sie warfen mir das Essen hin wie einem Tier. Nach vier Tagen kam ich hierher ins Gefängnis. Zuerst hieß es, ich hätte das Kind abgetrieben, doch die Anklage lautete dann auf Mord. In einer Vorverhandlung erklärte der Richter, ich würde zu 13 Jahren verurteilt, wenn ich gestehen würde, mein Kind getötet zu haben. Das habe ich aber abgelehnt, ich habe schließlich nichts ge- Wie geht es Ihnen hier im Gefängnis? Am Anfang war es furchtbar. Die anderen Frauen haben mich beleidigt und als Kindsmörderin beschimpft. Das Gefängnis ist völlig überfüllt. In unserem Schlafsaal sind wir statt etwa 100 zurzeit 217 Frauen. Es gibt aber nur 43 Betten. Da schlafen je zwei Frauen unten und oben in einem Stockbett. Ich selbst musste über ein Jahr lang auf dem Boden schlafen. Tagsüber können wir uns in den Trakten frei bewegen. Doch es ist immer und überall sehr eng und voll. Um 15 Uhr gibt es schon das Abendessen und um 17 Uhr werden wir dann bis 6 Uhr morgens eingesperrt. Bekommen Sie denn Besuch? Eigentlich könnten mich jede Woche Familienangehörige besuchen. Ich habe aber fast niemanden. Meinen Sohn habe ich schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Das ist das Schlimmste, dass ich nicht weiß, wie es ihm geht. Er ist neun „Ich musste über ein Jahr lang auf dem Boden schlafen.“ Kathy Bougher Scheinbar idyllisch: María Teresa Rivera im Jahr 2013 im Hof des Gefängnisses von Ilopango. Inzwischen dürfen dort keine Bildoder Tonaufnahmen mehr gemacht werden. Michael Krämer: María Teresa Rivera, Sie sind seit über drei Jahren in Haft. Warum? Im Jahr 2011 wurde ich schwanger, doch ich bemerkte es nicht. Mein Bauch wuchs nicht und ich ging bis zum Schluss zur Arbeit. Wegen einiger gesundheitlicher Probleme war ich in medizinischer Behandlung, aber auch mein Arzt bemerkte nicht, dass ich schwanger war, und verschrieb mir Antibiotika. Am 24. November 2011 ist es passiert. Mit großen Schmerzen ging ich auf die Toilette und spürte, wie ich etwas verliere. Danach hatte ich starke Blutungen und verlor das Bewusstsein. Als ich wieder aufwachte, war ich in einem Krankenhaus, mit Handschellen wurde ich an das Bett gefesselt. Was ist danach geschehen? 24 tan. In der Hauptverhandlung wurde ich dann zu 40 Jahren Haft verurteilt. Die Autopsie nennt als Todesursache „perinatale Erstickung“. Der Fötus kann also noch kurz vor der eigentlichen Geburt umgekommen sein, während der Geburt oder unmittelbar danach. Auch seien an der Leiche keine Spuren festzustellen gewesen, die auf Gewalteinwirkung nach der Geburt hinweisen. Kam das bei der Gerichtsverhandlung denn nicht zur Sprache? Die Autopsie lag vor, aber ich hatte einen Anwalt, der nichts für mich getan hat. Und der Richter wollte unbedingt, dass ich verurteilt werde. Auch für die Aussage einer Ärztin, die erklärte, dass sie von einer Fehlgeburt ausgehe, hat er sich nicht interessiert. Südwind-Magazin Jahre alt und wohnt bei meiner Schwiegermutter. Sie kümmert sich gut um ihn. Doch sie ist alt und krank und genauso arm wie ich. Sie hat kein Geld für den weiten Weg ins Gefängnis. Ich habe große Angst, dass sie stirbt und mein Sohn dann alleine aufwachsen muss. Und dass wir den Kontakt verlieren und ich seine Liebe verliere, wenn er mich nicht sieht. Sonst kommt niemand? Seit einiger Zeit bekomme ich Besuch von einem Anwalt und einer Anwältin einer Organisation, die sich für meine Freilassung und die von vielen anderen Frauen einsetzt, die aus denselben Gründen hier im Gefängnis sind. Sie sind unsere große Hoffnung. Sie haben eine Kampagne, „Freiheit für die 17“, für uns gestartet. Nun wurde eine Frau, Guadalupe, begnadigt. Sie war sieben Jahre im Gefängnis und kommt nun bald frei. Ich bete zu Gott, dass auch wir l anderen freikommen. Michael Krämer ist Redakteur bei der entwicklungspolitischen Zeitschrift Südlink, die vierteljährlich in Berlin erscheint. Das Interview führte er Ende Jänner. märz 2015•Nr.3 welt Luis Galdamez Xinhua / Eyevine / picturedesk.com el sa lva dor Im November 2014 protestierten tausende Frauen in San Salvador für die Freilassung der 17. Freiheit für die 17 I m April 2014 startete eine Kampagne zur Begnadigung von 17 Frauen, die nach einer Frühgeburt oder Fehlgeburt wegen (versuchten) Mordes verurteilt wurden. Getragen wird die Kampagne von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen El Salvadors. Die aktivste ist die „Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto“ („Vereinigung von BürgerInnen zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“). Der Menschenrechtsombudsmann El Salvadors, David Morales, bemängelt vor allem Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren. Im November 2014 kam eine Frau, Mirna, (zu ihrem Schutz gab die Kampagne nur ihren Vornamen bekannt, Anm.) frei, nachdem ihre zwölfjährige Haftstrafe abgelaufen war. Am 21. Jänner wurde dann Guadalupe Vásquez vom Parlament begnadigt. Vor sieben Jahren wurde sie im Alter von 18 auf dem Weg von der Arbeit nach Hause vergewaltigt, erzählte aber aus Angst und Scham niemandem davon. Sie bemerkte nicht, dass sie durch die Ver- Die Kampagne „Freiheit für die 17“ hat viele einflussreiche Gegner. gewaltigung schwanger geworden war und verlor bei einer Frühgeburt den Fötus. Obwohl der Autopsie-Befund als Todesursache des Fötus „unbestimmt“ vermerkte, wurde Gua da lupe wegen Mordes zu 30 Jahren Haft verurteilt. Reproduktives Unrecht El Salvador hat eine der repressivsten Abtreibungsgesetzgebungen weltweit. Seit einer Strafrechtsreform 1998 ist ein Schwangerschaftsabbruch unter allen Umständen verboten, selbst bei Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter. Auf eine Abtreibung stehen bis zu acht Jahre Gefängnis. Häufig werden die betroffenen Frauen jedoch wegen Mordes angeklagt und zu 20, 30 oder sogar bis zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Vorurteilsbeladene RichterInnen fällen Indizienurteile, die fast immer sehr armen Frauen haben nur PflichtverteidigerInnen, die sich gar nicht erst richtig in den Fall einarbeiten. ÄrztInnen und das Gesundheitspersonal von Krankenhäusern müssen laut Gesetz entgegen der ärztlichen Schweigepflicht die Polizei einschalten, wenn sie einen Verdacht auf eine Abtreibung haben. So werden immer wieder Frauen verhaftet, die wegen einer Früh- oder Fehlgeburt in ein Krankenhaus gekommen sind. l märz 2015•Nr.3 Die Regierungspartei FMLN hat zwar Angst davor, dass die Rechte das Thema im Wahlkampfthema für Stimmungsmache nutzt, hat sich aber einstimmig für die Begnadigung von Guadalupe Vásquez ausgesprochen. Die größte Oppositionspartei, die rechte ARENA, hat prompt Verfassungsbeschwer- de gegen die Begnadigung eingereicht. Die Kampagne „Freiheit f ür die 17“ hat in El Salvador breite Unterstützung, aber auch viele einflussreiche Gegner. Neben ARENA sind dies die meisten Kirchen und sogenannte Lebensschützergruppen wie „Sí a la vida“ („Ja zum Leben“). Diese schrecken vor keiner Lüge zurück: Aus dem Einsatz für Frauenrechte machen sie eine Kampagne, die zu einem „Genozid an wehrlosen Kindern“ führt. Dabei bringen sie die Kampagne selbst mit dem Holocaust und anderen schweren Menschheitsverbrechen in Verbindung. Diese Gruppen verfügen über viel Einfluss in den Medien. So erscheinen in der größten Tageszeitung des Landes, „El Diario de Hoy“, regelmäßig Artikel und Kolum- Südwind-Magazin nen, die versuchen, die Kampagne zu diskreditieren. Auch der Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts El Salvadors, José Miguel Fortín Magaña, verleumdet die Kampagne und die 17 Frauen immer wieder als Kindsmörderinnen. International findet die Kampagne Unterstützung. So bemängelte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2014 die fehlenden reproduktiven Rechte in El Salvador als Verstoß gegen internationale Menschenrechtsabkommen. Die im vergangenen Herbst gestartete Kampagne von Amnesty International zu reproduktiven Rechten hat El Salvador als ein Schwerpunktland ausgewählt. Schon im Juli 2014 hatten 17 Mitglieder des Europaparlaments, darunter Vizepräsidentin Ulrike Lunacek von den Grünen, in einem Brief an das salvadorianische Parlament die Freilassung der 17 Frauen gefordert. Inzwischen hat sich der Oberste Gerichtshof El Salvadors gegen eine Begnadigung der verbleibenden 15 Frauen ausgesprochen. Die Kampagne für ihre Freilassung wird fortgesetzt. Michael Krämer Das INKOTA-Netzwerk in Berlin hat eine Briefaktion zur Unterstützung der Kampagne gestartet. www.inkota.de/frauenrechte-elsalvador 25