Der Protest gegen Fluglärm nimmt immer mehr zu– die
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Der Protest gegen Fluglärm nimmt immer mehr zu– die
Dirk Treber, Mai 2012 Der Protest gegen Fluglärm nimmt immer mehr zu– die deutsche und europaweite Vernetzung der Flughafenausbaugegner kommt entscheidend voran1 Seit Mitte des letzten Jahres häufen sich die Bürgerproteste gegen den Ausbau von Flughäfen und die steigenden Belastungen durch Fluglärm und Luftschadstoffe. In Berlin gibt es seit fast zwei Jahren zahlreiche Demonstrationen gegen die Anfang Juni 2012 geplante Inbetriebnahme des neuen Flughafens BER. Auslöser der Proteste und Demonstration waren neue Angaben über die Festlegungen der Flugrouten. Konnten viele vom Flughafenausbau Betroffen zehn Jahre lang davon ausgehen, dass die neuen Flugrouten geradeaus verlaufen würden und sie damit wussten, wo es keine Lärmbetroffenheit gibt, hat sich das Blatt vor zwei Jahren gewendet. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) präsentierte andere Flugrouten, die zu neuen Betroffenheiten führten. Dagegen gab es zahlreiche Proteste, Aktionen, Demonstrationen, Prozesse und Ende Mai 2012 soll sogar ein Volksbegehren in Brandenburg gestartet werden. Der Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) will als Herausforderer gegen den Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) antreten und macht den Flughafenausbau zu seinem wichtigen Wahlkampfthema. In München und seinem Umland hat eine heftige Auseinandersetzung um den Bau einer dritten Bahn für den Flughafen im Erdinger Moos begonnen. Es gab auch hier zahlreiche Protestaktionen und Demonstrationen. Mehrere Gemeinden haben sich gegen die geplante Verlärmung ihre Schulen, Krankenhäuser, Altenheime und die Lärmbelastungen für ihre Bürger engagiert. CSU-Politiker sind aus der Partei ausgetreten und auch die kommende Landtagswahl in Bayern wird von Thema Flughafenausbau in München bestimmt werden. Der Münchner Oberbürgermeister Ude (SPD) will als Herausforderer gegen den Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) antreten und macht den Flughafenausbau zu einem wichtigen Wahlkampfthema. In der Stadt München planen die Flughafenausbaugegner, die sich in einem großen Aktionsbündnis AufgeMUCktzusammengeschlossen haben, ein Volksbegehren gegen die dritte Startbahn. Selbst im nördlichsten Zipfel Bayerns, in der Region um die Stadt Aschaffenburg rührt sich Wiederstand gegen Fluglärmbelastungen allerdings durch den Flughafenausbau in Frankfurt. Die Bürgerproteste gegen den Fluglärmterror und den Flughafenausbau in Frankfurt hatten für alle sehr überraschend mit Inbetriebnahme der neuen Landebahn im Oktober 2011 in großem Umfang begonnen. 1 Eine gekürzte Fassung des Textes steht in der Monatszeitung „umwelt aktuell“, Heft 06.2012, herausgegeben vom Deutschen Naturschutzring und dem oekom verlag. www.umwelt-aktuell.eu 1 Dirk Treber, Mai 2012 In der Zeit der Rodung von über 300 Hektar Bannwald und dem Bau der neuen Landebahn in unmittelbarer Nähe der Stadt Kelsterbach gab es im Gegensetz zu den großen Bürgerprotesten gegen den Bau der Startbahn 18 West in den Jahren 1980 bis 1982 nur wenige Demonstrationen mit mehreren tausenden Teilnehmern. Zunächst schien das Konzept der Hessischen Landesregierung, der Fraport AG und der Luftverkehrslobby aufzugehen. In einem zehn Jahre dauerenden sogenannten Mediationsverfahren zum Ausbau des Flughafens wurde der Bevölkerung immer wieder versprochen Flughafenausbau und Nachtflugverbot sind zwei Seiten einer Medaille, Flughafenausbau nicht ohne Nachtflugverbot, der Flughafen handelt nur im Einklang mit der Region usw. usf. Schon bald nach Ende des Regionalen Dialogforum (RDF), einem Nachfolgegremium der Mediation und der Verkündigung des Planfeststellungsbeschlusses war vielen Betroffenen klar, diese Form der Bürgerbeteiligung diente nur der Akzeptanzschaffung des Flughafenausbaus. Vom Nachtflugverbot, dass sowieso nur für die Zeit von 23 bis 5 Uhr gedacht war, konnte keine Rede mehr sein. Die Hessische Landesregierung genehmigte durchschnittlich 17 Flüge in der Zeit von 23 bis 6 Uhr und 133 in der Zeit von 22 bis 23 und von 5 bis 6 Uhr. Bis Anfang Oktober 2011 gab es am Frankfurt Flughafen durchschnittlich 150 Flüge pro Nacht, wobei insbesondere in den Sommermonaten in manchen Nächten bis zu 200 Flüge gezählt werden konnten. Nun sollte die gleiche Zahl von Flügen in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr ein „Nachtflugverbot“ sein. Nachdem das Regierungspräsidium Darmstadt über 140.000 Einwendungen von Bürgern, Verbänden und kommunalen Gebietskörperschaften abgelehnt und den Planfeststellungsantrag der Fraport AG in allen wesentlichen Teilen (Bau der neuen Landebahn, Bau des Terminals 3) genehmigt hatte, erhoben der BUND, mehrere Privatpersonen undzahlreiche kommunale Gebietsköperschaften Klage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel. Dort wurden diese Klagen im Juni 2009 erörtert und Anfang Dezember erfolgte die Bestätigung des vorliegenden Planfeststellungsbescheids, allerdings nicht für das vorliegende Lärmschutzkonzept in der Nacht. Das Gericht kam zu der Entscheidung, dass in der Zeit von 23 bis 5 Uhr keine Flüge statthaft und auch die Flüge in der Zeit der sogenannten Tagesrandzeiten zu reduzieren sind. Angeblich aus Gründen der Rechtssicherheit und der grundsätzlichen Überprüfung von landes- und bundesweiten Raumplanungskriterien legte die Hessische Landesregierung Revision gegen die Entscheidung des VGH beim Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig ein. Die Entscheidung des 2 Dirk Treber, Mai 2012 Bundesverwaltungsgerichtes war erst für das Frühjahr 2012 vorgesehen, also sechs Monate nach der geplanten Inbetriebnahme der neuen Landebahn. Anfang Oktober 2011 verfügte der VGH für alle Beteiligten vollkommen unerwartet ein vorläufiges Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr. Es sollte mit dem Winterflugplan Ende Oktober 2011 in Kraft treten und bis zur endgültigen Entscheidung des BVG im Frühjahr 2012 gelten. Am 21. Oktober 2011 wurde dann die neue Landebahn mit einem offiziellen Festakt von der Fraport AG, der Lufthansa, der Stadt Frankfurt, der Hessischen Landesregierung und der Bundesregierung eingeweiht. Aus Berlin kam zu diesem Zweck extra die Bundeskanzlerin Angela Merkel mitsamt Verkehrsminister Ramsauer eingeflogen, um bereits nach einer Stunde wieder nach Berlin zurückzukehren. Das für über 400 Festgäste vorgesehene Festzelt am Rande der neuen Landebahn war nicht ganz gefüllt, am Flughafenzaun demonstrierten lautstark etwa 30 Flughafenausbaugegner und Umweltaktivisten aus dem Camp und der Mahnwache im Kelsterbacher Wald. Zur gleichen Zeit protestierten über 1.000 Bürger, die Flörsheimer Stadtverordneten, der Magistrat und der Bürgermeister auf einem zentralen Platz an dem Ort, wo die auf der neuen Bahn landenden Flugzeuge nur noch 250 Meter hoch sind und einen absoluten Fluglärmterror verbreiten. Am nächsten Tag zog eine Großdemonstration aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz über den Rhein auf der Theodor-von-Heuss-Brücke in die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden. Über 25.000 Bürger aus Rheinhessen, aus der Stadt Mainz, aus der gesamten Rhein-Main-Region, aus den Städten Frankfurt, Offenbach, Hanau und Darmstadt demonstrierten gemeinsam gegen den Flughafenausbau und den „neuen und alten Fluglärm“ des Frankfurter Flughafens. Zahlreiche Kommunalpolitiker wie der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel und andere Bürgermeister aus der Region, sowie Landtagsabgeordnete der GRÜNEN; der LINKEN, der CDU sowie Kommunalpolitiker der SPD demonstrierten gemeinsam mit Vertretern der BI-Gruppen, verschiedener Umweltverbände, Kirchenvertreter und einigen Gewerkschaftschaftlern. Gegen Ende der Kundgebung rief ein BI-Sprecher dazu auf, ab dem 14. November 2011 regelmäßig jeden Montag um 18.00 Uhr im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens zu protestieren. Das Recht zu Demonstrationen im Flughafen selbst waren in einer fünfjährigen Auseinandersetzung von einer engagierten Abschiebegegnerin, Julia Kümmel, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durchgesetzt worden. Flughäfen, die sich in öffentlicher Hand befinden, können sich nicht auf ihr Hausrecht berufen, sondern müssen Protestaktionen auf den der Öffentlichkeit zugänglichen Flächen, wie einer Abflug- und oder Ankunftshalle sowie den dort befindlichen Einkaufsmöglichkeiten dulden. 3 Dirk Treber, Mai 2012 Die erste Montagsdemonstration am 14. November 2011 begann mit 400 Teilnehmern, parallel dazu demonstrierten über 1.000 Bürger wiederum in Flörsheim. Bereits bei der zweiten Montagsdemonstration stieg die Teilnehmerzahl auf über 1.500 Menschen, dann auf über 2.000, 4.000 und erreichte mit ca. 5.000 Menschen im Terminal 1 seine höchste Zahl. Die kurzen Reden, die bunten und selbst gemalten Transparente, die vielen Bürger mit ihren Ortsschildern aus allen Teilen Südhessens vom Rheingau-Taunus, dem Vorder- und Hintertaunus, der Stadt Frankfurt am Main, der Wetterau, dem Main-Kinzig-Kreis über Hanau bis in den Spessart, die Stadt und der Kreis Offenbach, die Stadt und Teile des Kreises Darmstadt sowie der komplette Nordkreis Gross-Gerau zeigten immer wieder die Breite des Protests. Im neuen Jahr gab es weitere die Montagsdemonstration, die Teilnehmerzahl lag in der Regel zwischen 3.000 bis 4.000 Teilnehmer. Am 4. Februar 2012 erfolgten dann die ersten bundesweit von den Flughafenausbaugegnern und Fluglärmbetroffenen in Berlin und Frankfurt organisierten Großdemonstrationen an beiden Orten. In Frankfurt protestierten über 25.000 Menschen im Terminal1 bzw. zogen auf den Zufahrtsstraßen vor der Abflughalle zu einer Abschlusskundgebung, bei der außer einer BI-Sprecherin auch ein Vertreter des BUND-Hessen, der IG Metall und ein Parkschützer gegen Stuttgart 21 zu den Demonstranten sprachen. Zur gleichen Zeit demonstrierten zum ersten Mal über 1.000 Bürger im neuen Flughafen BER. Bisher war in Berlin nur außerhalb des Flughafens an verschiedenen Orten demonstriert worden. Am nächsten Tag gab es in den Städten und Gemeinden rund um den Flughafen München verschiedene kleinere Protestaktionen gegen die geplante 3. Startbahn. Am 24. März 2012 fand dann zum ersten Mal an den sechs größten deutschen Flughafenstandorten ein gemeinsamer Protesttag gegen Flughafenausbau und Fluglärm statt. Das Aktionsbündnis für ein lebenswertes Berlin-Brandenburg, das Bündnis der Bürgerinitiativen (BBI) : Kein Flughafenausbau –für ein Nachtflugverbot, Frankfurt am Main, das Aktionsbündnis AufgeMUCkt, München, die IG Nachtflugverbot Leipzig/Halle e. V., der Verein Bürger gegen Fluglärm, Meerbusch Düsseldorf und die Lärmschutzgemeinschaft Flughafen Köln/Bonn e. V. hatten zur ersten bundesweiten Mobilisierung gegen die ungezügelte und gesundheitszerstörende Verlärmung der Wohngebiete von Millionen von Menschen aufgerufen. Dazu erklärte die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) in ihrem Demonstrationsaufruf unter anderem, Flughäfen mit hunderttausenden Starts und Landungen sowie Überflügen über bewohntem Gebiet seien zu einer Plage für die betroffenen Menschen geworden. Sie verursachten Krankheiten, vergifteten Wasser und Atemluft durch Kerosinrückstände und vernichteten die Lebensqualität ganzer Regionen. Besonders gefährlich sei die Beschleunigung des weltweiten 4 Dirk Treber, Mai 2012 Klimawandels durch den wachsenden Flugverkehr und den CO²-Ausstoß in den höheren Luftschichten. Endlich erkennen immer mehr Menschen, dass es notwendig sei, auf die Straße zu gehen und den politischen Entscheidungsträgern deutlich zu machen, dass der Lärm eine der bisher am wenigsten zur Kenntnis genommenen Umwelt- und Gesundheitsbelastungen sei. Im einen Weckruf an die Bundeskanzlerin wiesen die Organisatoren der bundesweiten Fluglärmproteste darauf hin, dass es an der Zeit sei, Einhalt zu gebieten und die katastrophalen Zustände zu ändern. Die Veranstalter an den sechs Demonstrationsorten Frankfurt, Düsseldorf, Köln, Leipzig, München und BerlinSchönefeld zeigten sich entschlossen, unsere Aktion ist ein Aufschrei, den vor allem unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die für diese Flughäfen verantwortlichen Länderregierungschefs hören sollten. Weiter hieß es, dass die Kämpfer gegen den Fluglärm immer mehr Unterstützung von einer breiten Öffentlichkeit erhalten würden. 77 Prozent der Deutschen hätten großes Verständnis für Forderungen nach weniger Fluglärm und wirkungsvollen Nachtflugverboten. Umweltbundesamt (UBA) und Deutsche Herzstiftung setzten sich für ein striktes Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr ein. Der Präsident der Deutschen Herzstiftung, Professor Thomas Meinertz, appellierte an die Richter am Bundesverwaltungsgericht, bei ihren künftigen Entscheidungen den weltweiten medizinischen Kenntnisstand zu berücksichtigen. Nachtflugverbote seien unverzichtbar. Dauernd hohe Belastungen durch Fluglärm machten krank. Schon tagsüber sei der Fluglärm vielerorts nicht zumutbar. Noch verheerender wirke er nachts, weil dann die Erholungsphase fehle, die für Körper und Seele unbedingt notwendig seien. Kinder seien davon besonders betroffen. Der Kardiologe am Mainzer Universitätsklinikum und Fluglärmforscher Professor Thomas Münzel, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung, ergänzte: „Heute weiß man, dass Fluglärm für die Entstehung von HerzKreislauf-Erkrankungen – insbesondere Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall – und Depressionen, eventuell auch Tumorerkrankungen, verantwortlich ist.“ „Lassen Sie sich nicht länger von Flughafenbetreibern täuschen, die Ihnen Verluste vorrechnen, wenn nachts zwischen 22 und 6 Uhr nicht mehr geflogen wird,“ rufen die Demo-Veranstalter der Kanzlerin und den mitverantwortlichen Ministerpräsidenten zu: „Derartige Verluste stehen in keinem Verhältnis zu den gravierenden gesellschaftlichen Kosten von Nachtflügen und von ausuferndem Flugbetrieb am Tag. Es sind die Kosten für den Verlust von gesunden Lebensjahren durch Verkehrslärm, die sich in Westeuropa nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation Jahr für Jahr zu mehr als einer Million „gestohlenen“ Lebensjahren aufsummieren. Gesundheit von Menschen geht jedoch vor 5 Dirk Treber, Mai 2012 Wirtschaftlichkeit von Flughäfen und Fluggesellschaften! Das gebietet unser Grundgesetz!“ Insgesamt nahmen an den bundesweiten Demonstrationen über 30.000 Menschen teil. Das Thema Fluglärm rückte dadurch immer mehr in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses, wozu auch die umfangreiche und aktuelle Berichterstattung in Presse, Rundfunk und Fernsehen beitrug. Zur gleichen Zeit wie an den sechs deutschen Flughafenstandorten demonstrierten auch tausende von Fluglärm und Flughafenausbau betroffene Bürger in Nantes (Frankreich). Damit war das Thema „Fluglärm macht krank“ nicht nur in ganz Deutschland sondern auch in Europa angekommen. Von der EU-Kommission droht neue Gefahr für nationale Nachtflugbeschränkungen und -verbote Völlig unerwartet hatte die EU-Kommission im vergangenen Dezember mit einem dreiteiligen Gesetzesvorstoß überrascht, der massiv in die Eigenbestimmung der Mitgliedsstaaten eingreifen wird. Mit der neuen Verordnung soll zum einen mehr Wettbewerb bei den Bodenverkehrsdiensten an europäischen Flughäfen geschaffen werden, die Fluggesellschaften sollen mehr Mitsprache bei der Zuteilung der Startund Landerechte bekommen und – das ist neu und besonders gefährlich – lärmbedingte Betriebsbeschränkungen an Flughäfen sollen so gestaltet werden, dass die Airports und deren Nutzer weltweit konkurrenzfähig bleiben. Der drei Punkt aus dem Flughafenpaket der EU geht auf große USFrachtunternehmen wie UPS, Fedex und andere zurück, die angesichts zahlreicher bereits vorhandener Nachtflugbeschränkungen auf europäischen Großflughäfen erhebliche Beeinträchtigungen für ihr Geschäft befürchteten. Hintergrund sei das Bestreben von Fedex, vor drei Jahren auf dem Wiener Flughafen eine Europabasis einzurichten, was jedoch an den maximal 3.000 zulässigen Nachtflügen pro Jahr scheiterte. Darüber beschwerte sich Fedex bei der EU, unterstützt von einigen Mitbewerbern. Die EU beabsichtigt die drei genannten Punkte nicht etwa in einer Richtlinie zu regeln, was individuelle nationale Gestaltungsspielräume offenlassen würde, sondern in einer Verordnung, die dann europaweit Gesetz in allen 27 Mitgliedsstaaten wäre und nationale Regelungen außer Kraft setzen würde. Sollte diese Verordnung im EU-Ministerrat abgesegnet und vom EU-Parlament in Straßburg beschlossen werden, könnten sich die amerikanischen Frachtunternehmen bei der EU-Kommission über bestehende oder kommende Nachtflugbeschränkungen beschweren. Die Kommission würde dann diese 6 Dirk Treber, Mai 2012 Regelungen für sechs Monate außer Kraft setzen und ausschließlich nach Gründen der wirtschaftlichen Effizienz prüfen. Bedenken wegen des Lärm- und Umweltschutzes, der Gesundheit oder der Wertminderung von Immobilien müssen nicht überprüft werden. Drei Delegierte der BI-Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet, die auch die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) und die europäische Vereinigung gegen die schädlichen Auswirkungen des Luftverkehrs (UECNA) vertraten, waren Ende Februar 2012 für zwei Tage in Brüssel und sprachen nicht nur mit den deutschen Europa-Abgeordneten, sondern auch mit den wesentlichen Entscheidungsträgern der Kommission und den Berichterstattern der Europaparlaments-Fraktionen. Zwar lehnte der Bundesrat den EU-Vorstoß inzwischen ab, der Bundestag jedoch konnte wegen der kurzen von der EU gesetzten Frist nach der Weihnachtspause keinen Beschluss mehr fassen. Auch die meisten anderen EU-Mitglieder seien überrumpelt worden, sodass keine Mehrheit für eine Ablehnung zustande gekommen sei. Insgesamt haben fast ausschließlich deutsche Bürger schriftlich in Brüssel protestiert, aus anderen europäischen Staaten gab es kaum Bedenken. Deutschland hofft auf die Ablehnung weiterer EU-Länder, damit bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister Anfang Juni wenigstens der Zeitplan gekippt werden kann, denn nach den momentanen Bestrebungen der EU-Kommission soll die neue Verordnung im Sommer oder Herbst 2013 in Kraft treten. Diese Pläne der EU-Kommission nahmen die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Fluglärm und Umweltaktivisten auf europäischer Ebene zum Anlass, sich besser aufzustellen. Sie fordern für die 240 Flughäfen im Bereich der EU eine europäische Flughafenplanung, damit HUB-Flughäfen in Ballungsräumen nicht immer größer werden und nicht alle 60 bis 100 Kilometer, wie in Deutschland weit verbreitet, mittlere und kleine Flughäfen mit massiven Subventionen gefördert und künstlich am Leben erhalten werden. Bundesverwaltungsgericht bestätigt Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr am Flughafen Frankfurt Am 4. April 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens abschließend entschieden. Der Ausbau wurde trotz vieler ungeklärter und nicht geprüfter Einwände von 12 Musterklägern und 1.000er noch anhängiger Einwendungen von betroffenen Bürgern für rechtens erklärt. Trotzdem kann sich die Luftfahrtlobby nicht uneingeschränkt über dieses Urteil freuen. Das Gericht hat nämlich in der Frage des Fluglärmschutzkonzeptes ganz anders entschieden als die Hessische Landeregierung, die Fraport AG, die Lufthansa AG und die Logistikbranche erwartet hatten. Die vom Land Hessen vorgenommene Abwägung zum Schutzkonzept sei „rechtsfehlerhaft“ und muss durch ein 7 Dirk Treber, Mai 2012 Planergänzungsverfahren im Sinne der von Fluglärm betroffenen Bürger neu geregelt werden, so das Gericht. Zum ersten Mal in der Geschichte der zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen vor deutschen Verwaltungsgerichten um fehlenden oder unzureichendem Schutz vor Fluglärm, hat das oberste Gericht endgültig entschieden: Ein Nachtflugverbot von 23.00 bis 5.00 Uhr ist am größten deutschen FlughafenDrehkreuz dauerhaft zum Schutz von über 500.000 betroffenen Bürgern notwendig. In den „Tagesrandzeiten“ von 22.00 bis 23.00 und von 5.00 bis 6.00 Uhr muss der Fluglärm allmählich ab- bzw. anschwellen, damit die „Nacht nicht zum Tag gemacht wird“, so der Vorsitzende Richter Rubel. Bereits wenige Wochen vorher hatte das Umweltbundesamt (UBA) in einer neuen Studie zum Fluglärmschutzkonzept für den neuen Flughafen Berlin BER festgestellt, an „stadtnahen Flughäfen wie Frankfurt oder Berlin ist ein Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr notwendig“. Ein langer Durchhaltewillen kann erfolgreich sein Vor 34 Jahren bei der Gründung der ersten Bürgerinitiative gegen die Erweiterung des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens (Startbahn 18 West) in Mörfelden-Walldorf wurden zwei zentrale Forderungen erhoben: „Keine Startbahn 18 West und Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr!“ Nach über 30 Jahren politischer Auseinandersetzungen über die fortwährende Erweiterung und flächenmäßige Ausdehnung des Flughafens haben die Bürger, Umweltverbände und die betroffenen Kommunen in der Rhein-Main-Region einen ersten Etappensieg für ein vollständiges Nachtflugverbot erreicht. Und dieser erste Schritt wurde nicht nur juristisch sondern durch breite und regelmäßige Bürgerproteste erstritten: Bereits seit 14 Jahren gibt es ein “Bündnis der Bürgerinitiativen (BBI). Kein Flughafenausbau – für ein Nachtflugverbot“, dass von zunächst 30 Gruppen auf über 60 in der Rhein-Main-Region angewachsen ist. Mit Beginn der Erprobung der neuen Ab-und Abflugrouten im Frühjahr 2011 ist die Zahl der Bürgerinitiativen in den neu betroffenen Regionen weiter angestiegen, zunächst in der Stadt Mainz, dann in Rheinhessen, im Rheingau-Taunus, im Vorder – und Hintertaunus, in der Stadt Frankfurt, in der Wetterau, im Main-Kinzig-Kreis, Aschaffenburg in Nordbayern, Kreis Offenbach, Kreis Darmstadt-Dieburg und bei den alt- und neu von Fluglärm betroffenen Bürgern im Kreis Groß-Gerau. Viele BI-Gruppen an den deutschen und europäischen Flughafenstandorten verfolgen sehr genau, was in Frankfurt am Main und anderen Flughäfen vor sich geht. Warum soll ein Nachtflugverbot, dass am größten Flughafen in Deutschland, am drittgrößten in Europa und am achtgrößten in der Welt möglich ist, in Berlin, 8 Dirk Treber, Mai 2012 München, London-Heathrow oder Paris-Charles de Gaulle und anderswo nicht möglich sein? Von Januar bis Anfang Mai 2012 haben bereits 23 Montagsdemonstrationen im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens stattgefunden. Diese werden bis zum Beginn der hessischen Sommerferien Ende Juni fortgesetzt werden. Danach sollen kleine dezentrale, aber auch große Protestaktionen folgen. Neue Situation nach der Gerichtsentscheidung: die Bürger werden ausgetrickst! Schon kurz nach der Entscheidung des BVG in Leipzig zeichnete sich ab, dass der hessische Verkehrsminister Dieter Posch, der bis Ende Juni, eineinhalb Jahre vor Ende der Legislaturperiode, in den politischen Ruhestand geht, durch Tricksen, Tarnen und Täuschen versucht, die „Segelanweisungen“ des Gerichts zu umgehen. Statt wie gefordert ein Planergänzungsverfahren mit Bürgerbeteiligung durchzuführen, will er durch einen „Klarstellungsbeschluss“, der an keiner Stelle im deutschen Verwaltungsrecht vorgesehen ist, innerhalb von sechs Wochen ein Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr und 133 Flügen in der Zeit von 22 bis 23 und von 5 bis 6 Uhr genehmigen. Die Bürgerbeteiligung wird von der Hessischen Landesregierung bewusst umgangen, weil sie endlich rund um den Flughafen knapp eineinhalb Jahre vor der anstehenden Landtagswahl wieder Ruhe haben will. Die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt im März 2012 hat die CDU wegen des Fluglärmterrors über den südlichen Stadtteilen Sachsenhausen, Niederrad, Oberrad und Schwanheim-Goldstein an einen vorher nahezu unbekannten SPD-Kandidaten, Peter Feldmann, verloren. Der schlaue Plan von Oberbürgermeisterin Petra Roth ihren langjährigen Parteifreund und hessischen Innenminister Boris Rhein als ihren Nachfolger zu etablieren, ist nicht aufgegangen. Aber auch die Frankfurter Grünen, die seit über sechs Jahren in einer schwarzgrünen Stadtregierung mit der CDU nur eine Stillhalteabkommen gegenüber dem Frankfurter Flughafenausbau verabredet hatten, wurden von ihren Wählern für ihre Passivität abgestraft. Selbst in den Grünen Hochburgen Nordend und Bornheim konnte der rote OB-Kandidat Feldmann trotz einer grünen Wahlempfehlung für den schwarzen Oberbürgermeisterkandidaten die meisten Stimmen dazu gewinnen. Die Wähler sind doch oft schlauer, als manche Politiker meinen. Wie soll es jetzt beim Flughafenausbau und der Fluglärmminderung weitergehen? Noch ist der Flughafenausbau in Frankfurt nicht zu Ende. Noch im diesem Frühsommer soll der zweite Teil der A 380-Werft im Süden des Flughafens gebaut werden. 9 Dirk Treber, Mai 2012 Bereits ab Herbst erfolgt der Bau des Terminals 3, der pro Jahr zwischen 25 und 30 Millionen Passagiere abfertigen soll. Eine Flughafenkapazität so groß wie in München soll im Süden auf dem Cargo-City-Süd-Gelände an den bereits bestehenden Flughafen angebaut werden. Bis zum Jahr 2020 können dann in einer Stunde 126 Flugzeuge starten oder landen, in einem Jahr bis zu 900.000 Flugbewegungen durchgeführt und 80 Millionen Passagiere abgefertigt werden. Dies sind die Folgen der Globalisierung, des internationalen Konkurrenzkampfes und der optimalen Profitmaximierung zu Lasten der betroffen Bevölkerung, die von den Politikern als „Sonderopfer“ verhöhnt werden. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt, Petra Roth, rät den von Fluglärm betroffenen Bürgern im Süden ihrer Stadt: „Wenn sie der Fluglärm stört, dann können sie ja wegziehen!“ Die Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau und für ein Nachtflugverbot fordern gemeinsam mit Umweltverbänden, Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Kommunen und Städten aus Süd- und Rheinhessen: Absolutes Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. Grenzwerte für den Fluglärmschutz am Tag auf 40 dB (A) senken, Stilllegung der Landebahn Nordwest. Keine Airportcity Frankfurt! Kein weiterer Ausbau der andern Flughäfen (Wiesbaden-Erbenheim, Egelsbach) im Rhein-Main-Gebiet Verringerung der Flugbewegungen unter den derzeitigen Stand. Einklagbare Lärmobergrenzen. Erstellung einer Gesamtbelastungsstudie für das Flughafenumland. Drastische Verringerung der Schad- und Giftstoffbelastung durch Flugbetrieb, hohes Verkehrsaufkommen und Industrieanlagen. Aufhebung aller Luftfahrtsubventionen. Einführung einer Kerosinbesteuerung. Keine Verordnung der Europäischen Kommission für fluglärmbedingte Betriebsbeschränkungen. Erarbeitung eines integrierten und europaweiten Mobilitätskonzepts 10 Dirk Treber, Mai 2012 Was steht als nächstes an? Außer der bereits oben erwähnten Fortsetzung der Montagsdemonstrationen bis zu den Sommerferien werden die BIs in der nächsten Zeit zusätzliche Aktionen außerhalb des Flughafens durchführen. Z. B. am 11. Mai eine Demonstration vor der Fraport-AG-Aktionärsversammlung in der Jahrhunderthalle Frankfurt-Höchst,. Drinnen in der Versammlung werden die „kritischen Fraport-Aktionäre“ Herrn Stefan Schulte, Chef des Fraport Konzerns, und den Mitgliedern des Aufsichtsrates unangenehme Fragen gestellt. Am 12. Mai fand vor dem Haus des früheren Ministerpräsidenten Roland Koch in Eschborn eine Beschallung mit Fluglärm statt. Weitere dieser Fluglärminformationsveranstaltungen werden bei Ministerpräsident Volker Bouffier in Gießen, bei Frau Oberbürgermeisterin Petra Roth in Frankfurt und dem Fraport-Chef Stefan Schulte in Bad Homburg stattfinden. Es wird dezentrale Aktionen in den verschiedenen vom Flughafenausbau betroffenen Städten und Gemeinden geben, ein großes Sommerfest und weitere Proteste und Demonstrationen rund um den Flughafen und im Flughafen (sleep-in, Picknicks) selbst geben. Daneben werden auf deutscher und europäischer Ebene alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Vernetzung genutzt werden, um die von der EU-Kommission vorgelegte Verordnung für fluglärmbedingte Betriebsbeschränkungen zu verhindern, denn sollte diese Verordnung in Kraft treten, entfallen nationale Übergangsregelungen für regional ausgehandelte und/oder durchgesetzte Nachtflugbeschränkungen oder Nachtflugverbote. Eine EU-Verordnung gilt im Gegensatz zu einer EU-Richtline unmittelbar und sofort. Eine Abweichung ist nicht vorgesehen. Bestehende Nachtflugbeschränkungen oder Nachtflugverbote könnten dann von der EU-Kommission in Brüssel außer Kraft setzen. Das jetzt in Frankfurt erkämpfte Nachflugverbot von 23.00 bis 5.00 Uhr wäre damit schon wieder zu Ende. Zum Autor Dirk Treber kommt aus Mörfelden-Walldorf. Er ist Diplomsoziologe und Publizist, Vorsitzender der regionalen Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) e.V., Pressesprecher der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) e. V. und gehört dem Vorstand der Kommission zur Abwehr des Fluglärms (FLK) am Flughafen Frankfurt an. 11