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Bundesfinanzhof
Urt. v. 29.11.2006, Az.: VI R 36/02
10tägige Studienreise lässt den Fiskus kalt
Einer (hier: 10-tägigen) Studienreise, die als Gruppenreise vom gesamten (hier: 15-köpfigen) Kollegium einer
katholischen Hauptschule unternommen wird, liegt auch dann „kein konkreter Bezug zur beruflichen Tätigkeit
eines Lehrers zugrunde, wenn die Reise der Vorbereitung eines bevorstehenden Schüleraustausches nach
Israel dient“. Es sei denn, die Lehrer könnten nachweisen, in welcher Weise die auf der Reise gewonnenen
Erkenntnisse für den Aufenthalt der Schüler in Israel erforderlich waren und wie sie sie an die Schüler
weitergeben wollen (was hier offenbar nicht gelungen ist, weshalb auch der BFH die Anerkennung des
privaten Aufwandes einer Lehrerin — hier: 1.700 €— nicht als abzugsfähige Werbungskosten anerkannte).
Quelle: Wolfgang Büser
Anerkennung von Aufwendungen einer Lehrerin für eine Studienreise nach Israel als Werbungskosten
bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit; Steuerliche Abziehbarkeit von Reisekosten;
Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen;
Erfordernis des Bestehens eines Veranlassungszusammenhangs zwischen den Aufwendungen und
den steuerpflichtigen Einnahmen
Gericht: BFH
Datum: 29.11.2006
Aktenzeichen: VI R 36/02
Entscheidungsform: Urteil
Referenz: JurionRS 2006, 31242
Verfahrensgang:
vorgehend:
FG Münster - 15.11.2001 - AZ: 14 K 1492/01 E
Rechtsgrundlage:
§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG
Fundstellen:
BFH/NV 2007, 681-682 (Volltext mit amtl. LS)
EStB 2007, 135 (Kurzinformation)
NWB 2007, 6
NWB 2008, 747 (Kurzinformation)
NWB (Beilage) 2007, 6 (Kurzinformation)
NWB direkt 2007, 8
WISO-SteuerBrief 2007, 3
Jurion-Abstract 2006, 220460 (Zusammenfassung)
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BFH, 29.11.2006 - VI R 36/02
Redaktioneller Leitsatz:
Aufwendungen eines Lehrers für eine Studienreise sind nur dann als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit abziehbar, wenn sie beruflich veranlasst sind.
Das bedeutet, die Reise muss ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen
sein. Liegen hingegen touristische Element in nicht unerheblichem Umfang vor, fehlt es an der notwendigen
beruflichen Veranlassung.
Gründe
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I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1999 als Lehrerin für das Fach
Religion an einer katholischen Hauptschule Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Vom
29. September bis 8. Oktober 1999 nahm sie an einer von ihrer Schule organisierten Studienfahrt
des 15-köpfigen Kollegiums nach Israel teil. Die Reise begann und endete in Tel Aviv und führte zu
historisch und religionsgeschichtlich bedeutsamen Orten und Landschaften Israels. Ein Tag war
vorgesehen für den Besuch der Partnerschule in N. Seit 1995 fand ein regelmäßiger
Schüleraustausch zwischen den beiden Schulen statt. Die Bezirksregierung erklärte sich damit
einverstanden, die letzten beiden Schultage vor den Herbstferien durch zwei bewegliche Ferientage
und die Herbstferien des Streitjahres für die Reise zu nutzen. Die Schule bestätigte der Klägerin,
dass die Studienfahrt im dienstlichen Interesse lag. Die Kosten der Reise beliefen sich auf
3 476 DM.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten
Werbungskosten im streitigen Einkommensteuerbescheid nicht.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach erfolglosem Einspruch statt. Der Studienreise nach
Israel habe ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde gelegen, da sie im Rahmen des seit 1995
regelmäßigen Schüleraustauschs mit der israelischen Partnerschule in N stattgefunden habe. Die
Klägerin und ihre Kollegen haben an einem Tag während der Reise ihre Partnerschule besucht und
an den übrigen Reisetagen mit den Lehrern der Partnerschule in ständigem Kontakt gestanden. Die
Reise habe mit Einverständnis der Bezirksregierung an den letzten beiden Schultagen vor den
Herbstferien begonnen und nach einer Bestätigung der Schule in dienstlichem Interesse gelegen.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 969 veröffentlicht.
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Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen
Rechts.
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Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zu verwerfen.
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II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung
der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die
Aufwendungen der Klägerin für die Studienreise nach Israel zu Unrecht als Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt.
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1.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9
Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen
Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben,
wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen
Förderung getätigt werden (zuletzt Urteile vom 22. Juni 2006 VI R 61/02, BStBl II 2006, 782; vom
19. Dezember 2005 VI R 65/04, BFH/NV 2006, 1075, und VI R 63/01, BFH/NV 2006, 728, jeweils
m.w.N.).
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Aufwendungen für eine Reise führen nur dann in voller Höhe zu Werbungskosten, wenn die Reise
ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen ist (BFH-Urteile in
BStBl II 2006, 782; vom 19. Dezember 2005 VI R 88/02, BFH/NV 2006, 730). Andernfalls sind die
gesamten Reisekosten nicht abziehbar, soweit sich nicht ein durch den Beruf veranlasster Teil nach
objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen lässt (BFH-Urteile vom 21. Oktober 1996 VI R
39/96, BFH/NV 1997, 469; vom 18. Oktober 1990 IV R 72/89, BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92,
m.w.N.).
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Die Beurteilung, ob eine Reise der beruflichen oder der privaten Sphäre zuzuordnen ist, richtet sich
in erster Linie nach dem Zweck der Reise. Reisen, denen ein unmittelbarer beruflicher Anlass
zugrunde liegt, sind in der Regel ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen. Etwas anderes
gilt nur dann, wenn die Verfolgung privater Interessen den Schwerpunkt der Reise bildet
(BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 728; in BFH/NV 1997, 469; vom 14. Juli 1988 IV R 57/87,
BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19). Als unmittelbaren beruflichen Anlass hat der BFH das
Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Vortrags auf einem Fachkongress, die
Durchführung eines Forschungsauftrags oder die Absicht eines Künstlers, am Reiseziel wegen des
dort vorhandenen landschaftlichen oder kulturellen Umfelds in einer seinem besonderen Malstil
entsprechenden Arbeitsweise tätig zu werden, angesehen (vgl. Urteile in BFH/NV 2006, 728; vom
30. April 1993 VI R 94/90, BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674).
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Gruppenreisen zu Studienzwecken, die lediglich allgemeiner Information dienen, liegt kein
unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juli 2004 VI R 81/00,
BFH/NV 2005, 42; vom 27. August 2002 VI R 22/01, BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369; in
BFH/NV 1997, 469; in BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674; Beschluss vom 19. Oktober 2004 VI B
110/04, BFH/NV 2005, 339). Aufwendungen für derartige Informationsreisen sind als
Werbungskosten abziehbar, wenn die berufliche Veranlassung bei weitem überwiegt und die
Befriedigung privater Interessen wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen
Gesichtskreises, nach Anlass, Programm und tatsächlicher Durchführung der Reise nicht ins
Gewicht fällt und nur von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2006, 782; in
BFH/NV 2006, 730; vom 21. November 1997 VI R 24/97, BFH/NV 1998, 449, jeweils m.w.N.)
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2.
Die Entscheidung des FG, die geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten
anzuerkennen, wird von den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen.
Die Feststellungen des FG lassen nicht den Schluss darauf zu, dass die Studienreise der Klägerin
ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen ist.
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3
Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher nach § 118 Abs. 2 FGO
bindenden Feststellungen des FG hat die Studienreise der Klägerin im Rahmen des seit 1995
regelmäßigen Schüleraustauschs mit der Partnerschule in N stattgefunden. Aus diesem Umstand
leitet das FG die Schlussfolgerung ab, der Studienreise habe ein unmittelbarer beruflicher Anlass
zugrunde gelegen.
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Die Studienreise wurde als Gruppenreise vom gesamten Kollegium der katholischen Hauptschule
unternommen. Der Senat hat einen unmittelbaren beruflichen Anlass der Teilnahme an einer
Gruppenreise dann angenommen, wenn die Organisation und Durchführung dieser Reise
Dienstaufgabe des damit betrauten Arbeitnehmers ist (Urteile in BFH/NV 2006, 728; in
BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369). Eine solche Aufgabe hat die Klägerin im Rahmen der
Studienreise nach den Feststellungen des FG nicht wahrgenommen.
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Der Studienreise lag auch kein konkreter Bezug zur beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Lehrerin
an der Hauptschule zugrunde. Ein konkreter Bezug der Reise zur beruflichen Tätigkeit der Klägerin
setzt nach der Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Reise durch die besonderen Belange
ihres Berufes und ihre spezielle Tätigkeit veranlasst war (Urteile vom 22. Januar 1993 VI R 64/91,
BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612; vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78, BFHE 134, 325,
BStBl II 1982, 69). Dies wäre zu bejahen, wenn die Klägerin sich im Rahmen ihrer dienstlichen
Tätigkeit unmittelbar mit dem Gegenstand der Studienreise zu befassen gehabt und die Reise
diesen besonderen Zwecken gedient hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612).
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Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin diente die Studienreise der Vorbereitung eines
bevorstehenden Aufenthalts der Schüler ihrer Schule in Israel. Die Feststellungen des FG lassen
jedoch nicht erkennen, welche konkrete Rolle der Klägerin innerhalb des Kollegiums bei der
Organisation des Schüleraustausches zukam. Es ist zudem weder vorgetragen noch festgestellt
worden, in welcher Weise die auf der Studienreise gewonnenen Erkenntnisse der Klägerin für den
Aufenthalt der Schüler in Israel erforderlich waren und wie die Klägerin diese Erkenntnisse an die
Schüler weiterzugeben plante. Der eintägige Besuch der Partnerschule und der ständige Kontakt zu
deren Lehrpersonal an den übrigen Tagen der Studienreise begründen für sich noch keinen
ausreichenden Bezug zur beruflichen Tätigkeit der Klägerin. Auch die Tatsache, dass die Reise von
der Bezirksregierung als vorgesetzter Behörde unterstützt wurde, lässt einen Schluss auf besondere
dienstliche Belange der Studienreise nicht zu (vgl. BFH-Urteil in BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612).
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Die Studienreise diente vielmehr allgemeiner Information der Klägerin. Die Klägerin und ihre
Kollegen hielten sich lediglich an einem Tag während der Studienreise in der Partnerschule auf. In
der übrigen Zeit besuchten sie historisch und religionsgeschichtlich bedeutsame Orte und
Landschaften Israels. Mit Ausnahme des Besuchs der Partnerschule unterschied sich das
Programm der Reise nicht von einer allgemeintouristisch geprägten Gruppenreise. Der Senat hat
bereits im Fall der Informationsreise einer Lehrerin an den Gardasee entschieden, dass eine solche
Reise zur Vorbereitung einer Klassenfahrt zwar möglicherweise hilfreich gewesen sei, diesem
beruflichen Aspekt aber wegen des fehlenden Nachweises der konkreten beruflichen Veranlassung
der Reise bei der steuerlichen Einordnung der Reisekosten keine Bedeutung zukomme (Urteil in
BFH/NV 2005, 42). Dies gilt im Streitfall in gleicher Weise für die Möglichkeit der Klägerin, auf der
Studienreise gewonnene Eindrücke und Erkenntnisse für ihren Unterricht und die Vorbereitung des
Aufenthalts der Schüler in Israel nutzbar zu machen. Als weiteres gewichtiges Indiz für die private
Veranlassung der Studienreise kommt im Streitfall hinzu, dass die Reise vom gesamten Kollegium
der Schule unternommen wurde.
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3.
Die Sache ist spruchreif. Da die berufliche Veranlassung im Streitfall vernachlässigt werden kann, ist
die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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