Strahlbeinlahmheit (Podotrochlose-Syndrom)

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Strahlbeinlahmheit (Podotrochlose-Syndrom)
Strahlbeinlahmheit (Podotrochlose-Syndrom)
Dr.med.vet. FVH Diego Gygax, Dipl. ECVS
Pferdeklinik
Vetsuisse Fakultät Zürich
Die Strahlbeinlahmheit (Synonyme: Podotrochlose, Hufrollenentzündung, navicular
syndrome ) ist nach wie vor eine häufige Lahmheitsursache beim Pferd. Podotrochlose ist
eine chronische, degenerative und progressive Erkrankung des Strahlbeines, seiner Bänder,
der Tiefen Beugesehne und des Strahlbeinschleimbeutels. Sie gilt bis heute als unheilbar. Die
häufig intermittierende Lahmheit ist charakterisiert durch Schmerzen, welche auf den
palmaren Teil Hufes lokalisiert werden können. Obwohl in seltenen Fällen die
Hintergliedmassen betroffen sein können, wird die Erkrankung grundsätzlich als ein Problem
der Vordergliedmassen betrachtet und tritt häufig beidseitig auf. Auch Pferde die niemals
beschlagen oder geritten wurden, können an Podotrochlose erkranken.
Das Strahlbein ist ein kleiner Knochen mit elliptischer Form (schiffchenförmig), welcher an
zwei Flächen mit einer Knorpelschicht bedeckt ist. Straffe Bänder befestigen das Strahlbein
am Hufbein, Hufknorpel und am Fesselbein. Das Strahlbein ist einerseits ein wichtiger
Bestandteil des Hufgelenkes, andererseits dient es der Tiefen Beugesehne als eine Art
Umlenkrolle, an der Stelle wo die Sehne ihre Richtung ändert und garantiert damit, dass die
Tiefe Beugesehne in einem gleichbleibenden Winkel am Hufbein ansetzt. Zwischen dem
Strahlbein und der Tiefen Beugesehne liegt ein Schleimbeutel welcher das reibungslose
Gleiten der Sehne ermöglicht (Bild1). Das Strahlbein ist eine stossdämpfende Einrichtung.
Bei der Belastung der Tiefen Beugesehne wird das Strahlbein komprimiert.
Die Entstehung der Podotrochlose ist bis heute nicht genau bekannt. Mikrozirkulationsstörungen des Strahlbeines, statisch-mechanische Fehlbelastungen oder Aehnlichkeit mit
degenerativen Gelenkserkrankungen werden als mögliche Ursachen diskutiert. Keine dieser
Theorien vermag die Entstehung der Podotrochlose umfassend zu erklären, deshalb muss
angenommen werden, dass entweder die Ursache bis heute noch nicht gefunden wurde oder
dass eine Kombination der verschiedenen Hypothesen das Syndrom verursachen.
Durch epidemiologische Untersuchungen und klinische Betrachtungen wurden verschiedene
Risikofaktoren genannt, welche bei der Entstehung der Podotrochlose eine Rolle spielen
könnten: 1.Alter: Die Strahlbeinlahmheit tritt gehäuft bei Pferden im Alter von 7-11 Jahren
auf. 2.Rasse: Warmblüter, Freiberger und Quarter-Horses sind eindeutig häufiger betroffen
als z.B. Araberpferde, Vollblüter oder Ponies. 3. Fehlstellungen und Hufform: Flache Hufe,
lange Zehen, relativ zu kleine Hufe, nach hinten gebrochene Zehenachse und steile Fesseln
werden als Risikofaktoren genannt. Der Zwanghuf ist eher eine Folge der Erkrankung als ein
prädisponierender Faktor. 4. Genetik: Die Erblichkeit der Podotrochlose wird aufgrund von
familiären Häufungen angenommen.
Die Podotrochlose ist eine chronische Erkrankung, wobei akute Verschlechterungen nach
grösseren Belastungen auftreten können. Verlust von Raumgriff bzw. Schwung,
unregelmässiger Gang auf engen Volten, vermehrtes Stolpern, Vorstellen der Gliedmasse in
der Boxe gehören zu den am häufigsten genannten Symptomen. Eine vorübergehende
Besserung nach Beschlag kann z.T. beobachtet werden.
Die Diagnose Strahlbeinlahmheit sollte nur nach einem gründlichen tierärztlichen
Untersuch gestellt werden; dazu gehören eine orthopädische Untersuchung, diagnostische
Leitungsanästhesien und das Erstellen von Röntgenbildern. Bei unklaren Fällen kann eine
Szintigraphie durchgeführt werden. Werden Erkrankungen von Sehnen oder Bändern im
Strahlbeinbereich vermutet, drängt sich eine Kernspintomographie (MRI) auf.
Die Behandlung der Podotrochlose besteht grundsätzlich aus einem korrektiven Hufbeschlag,
Bewegungstherapie und einer medizinischen Behandlung. Unter Bewegungstherapie versteht
man eine regelmässige und kontrollierte Bewegung, dies gilt natürlich nicht für ein akut
lahmes Pferd. Zur medizinischen Behandlung stehen dem Tierarzt eine Vielfalt von
systemischen und lokalen Medikamenten zur Verfügung, bei therapieresistenten Fällen kann
eine Neurektomie (Nervenschnitt) durchgeführt werden. Sämtliche Therapien machen jedoch
keinen Sinn ohne Hufkorrektur und Spezialbeschlag. Wie bereits erwähnt, können bei
strahlbeinlahmen Pferden häufig fehlerhafte Stellungen beobachtet werden. Es gibt kein
Kochbuchrezept wie der korrekte Strahlbeinbeschlag aussehen soll, jedes Pferd sollte
individuell durch den Hufschmied gemeinsam mit dem Tierarzt beurteilt und behandelt
werden. Wichtig ist auch, dass man bei der Auswahl des Beschlages, den Untergrund auf
welchem das Pferd hauptsächlich geritten wird, berücksichtigt.
Die Eckpfeiler der Beschlagskorrektur sind eine Verkürzung der Zehenwand, Zurücksetzen
des Eisens und des Abrollpunktes, vermehrte Zehenrichtung und allenfalls ein Höherstellen
im Trachtenbereich (Bild 2). Eine Studie in Holland konnte zeigen, dass ein 6°-Keil eine
Verminderung der auf das Strahlbein einwirkenden Kräfte um 24% zur Folge hatte.
Gute Resultate können mit einem normalen 2-Kappeneisen und einer keilförmigen Sohle oder
Plastikkeilen erreicht werden. Ein 4-Punkt- oder Natural Balance-Beschlag bewirkt bei
gewissen Pferden eine klinische Verbesserung, andere hingegen zeigen eine vermehrte
Lahmheit, vermutlich infolge eines vermehrten Druckes auf die Sohle oder durch die
veränderten Kräfte die auf die Hufwand einwirken. Vielerorts werden auch Eiereisen (egg bar
shoe) eingesetzt, mit dem Ziel die gewichtstragende Achse nach hinten zu verschieben. Die
bereits erwähnte Studie konnte beim Eiereisen im Vergleich zum normalen Eisen keine
Verringerung der auf das Strahlbein einwirkenden Kräfte aufzeigen. Eine andere
Untersuchung zeigte hingegen bei 53% von 55 strahlbeinlahmen Pferden eine dauerhafte
Eliminierung der Lahmheit durch die Verwendung von Eiereisen. Die Dauer des
Beschlagsintervalles trägt häufig entscheidend zum Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung
bei. Es sollte je nach Hufwachstum und Jahreszeit zwischen 6 und 8 Wochen betragen. Hier
ist eine eingehende Information des Besitzers durch Hufschmied und Tierarzt wichtig.
Die Strahlbeinerkrankung kann bis heute nicht geheilt werden, durch eine gezielte und
konsequente Behandlung können jedoch viele betroffene Pferde wieder lahmheitsfrei geritten
werden.
Bild 1:
1.Kronbein, 2.Hufbein, 3.Strahlbein, a.Tiefe Beugesehne, b. Ligamentum impar (Befestigung des Strahlbeines
am Hufbein), c.Hufgelenk, d.Strahlbeinschleimbeutel
Bild 2:
Huf mit langer Zehe und nach hinten
Huf nach Beschlag mit kurzer Zehe, gerader Zehenachse,
gebrochener Zehenachse vor dem Ausschneiden
Zehenrichtung, und keilförmiger Sohle