Deutsch

Transcrição

Deutsch
Niedersächsisches
Kultusministerium
Fachbezogene Leistungsüberprüfungen
für das Gymnasium
Schuljahrgang 10
Deutsch
Herausgegeben vom Niedersächsischen Kultusministerium (Februar 2000)
30159 Hannover, Schiffgraben 12
Erarbeitet von: H.-P. Bolle-Bovier, Braunschweig; B. Durstewitz, Nordhorn;
Dr. W. Hierse, Gehrden; E. Langendorf, Osterholz-Scharmbeck.
Druck und Vertrieb:
Niedersächsisches Landesinstitut für
Fortbildung und Weiterbildung im Schulwesen
und Medienpädagogik (NLI)
Keßlerstraße 52
31134 Hildesheim
Nachbestellungen richten Sie bitte an das Dezernat 2 (05121/1695276):
Preis: 2,80 DM zuzüglich Versandkosten
Inhalt
1
Allgemein
4
2
Schriftliche Überprüfung
7
2.1
Art der schriftlichen Überprüfung
8
2.2
Korrektur und Bewertung
8
3
Mündliche Überprüfung
10
3.1
Allgemeine Hinweise
10
3.2
Fachbezogene Hinweise
11
4
Aufgabenbeispiele
13
1
Allgemein
Zur Begründung der Überprüfungen
Mit dem 01.08.1999 sind „Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I“ (Erlass des MK vom 22.06.1999, in: SVBl. 1999, S. 145;
vgl. R. Bade: Leistungsüberprüfungen in den Abschlussklassen des Sekundarbereichs I,
nachträgliche Versetzung und Überspringen eines Schuljahrgangs, in: SVBl. 1999,
S. 256) in Kraft getreten, mit denen die Sicherung schulformspezifischer angemessener
Leistungsstandards angestrebt wird. Die hiermit vorgesehenen fachbezogenen Überprüfungen der Schülerleistungsstände sind in den Abschlussklassen (9. oder 10. Schuljahrgang) aller Schulformen des Sekundarbereichs I mit Beginn des Schuljahres 1999/2000
durchzuführen.
Diese Überprüfungen erfolgen als
–
schriftliche Überprüfung in Mathematik und je nach Wahl der Schülerin oder des
Schülers in Deutsch oder in einer im 5. oder 7. Schuljahrgang begonnenen Pflichtoder Wahlpflichtfremdsprache,
–
mündliche Überprüfung in einem Fach nach Wahl der Schülerin oder des Schülers;
zur Wahl stehen dabei die in Nr. 3.2 des Erlasses genannten Fächer.
Die fachbezogenen Überprüfungen sind als eine weitere Maßnahme zur Qualitätssicherung und -entwicklung zu verstehen und damit in die gegenwärtige bildungspolitische und
schulpädagogische Diskussion um Schulqualität einzuordnen. Die Frage, was die Qualität einer Schule ausmacht und wie sie gesichert und entwickelt werden kann, ist dabei
nicht neu. Sie wird mit den Überprüfungen jedoch in der Weise akzentuiert, dass mit ihnen die besondere Bedeutung der Einzelschule für die Schulentwicklung und die Qualitätsverbesserung von Unterricht hervorgehoben wird.
Ist die Schule aber „Motor der Schulentwicklung“ (Dalin) und Schulentwicklung daher
wesentlich eine Aufgabe der einzelnen Schule, so bedeutet dies für die Qualität von
Schule: Die einzelne Schule muss sich – auf der Grundlage von Bedingungen wie des
schulrechtlichen Rahmens, der Ressourcen, der Ausstattung der Schule, der Qualifikation der Lehrkräfte, der Zusammensetzung der Schülerschaft – um ihre Weiterentwicklung
und Qualitätsverbesserung bemühen und ist daher in starkem Maße selbst für die Qualität ihrer Arbeit und deren Wirkungen verantwortlich.
4
Schulprogrammentwicklung und Evaluation sind hierbei hilfreiche Instrumente. Angesichts des Gewichts der fachbezogenen Überprüfungen und des Arbeitsaufwandes für
ihre Planung, Durchführung und Auswertung sollte die einzelne Schule deshalb prüfen,
wieweit die fachbezogenen Überprüfungen und die Empfehlungen als Anlass genommen
werden, die Frage des Unterrichtskonzepts, der Leistungsanforderung und Leistungsbewertung, der Differenzierung und Förderung als Schwerpunkte für die Schulprogrammentwicklung und interne Evaluation vorzusehen. Das wäre vom didaktischmethodischen Stellenwert der Überprüfungen für die Unterrichtsentwicklung sinnvoll und
aus arbeitsökonomischen Gründen nahe liegend. Mit diesen mit den fachbezogenen
Überprüfungen zusammenhängenden Fragen klärt die Schule in wesentlichen Punkten
ihre „pädagogische Grundorientierung“ und bearbeitet wichtige im „verbindlichen Kern“
des Schulprogramms vorgesehene Anliegen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium:
Schulprogrammentwicklung und Evaluation – Stand, Perspektiven und Empfehlungen.
Hannover, September 1998, S. 11 und 14).
Zum Stellenwert der Empfehlungen
Die vorliegenden Empfehlungen dienen den Schulen als Leitlinie, Orientierung und Hilfe
bei der Durchführung der schriftlichen und mündlichen Überprüfungen. Die Empfehlungen enthalten Hinweise zu den schriftlichen und mündlichen Überprüfungen sowie Aufgabenbeispiele und Bewertungsmaßstäbe für die schriftliche Überprüfung. Grundlagen
der Empfehlungen sind die fachbezogenen Rahmenrichtlinien, der Grundsatzerlass für
die betreffende Schulform, die „Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I
(AVO-S I)“ vom 07.04.1995 (in: SVBl. 1994, S. 140) sowie die „Standards für den Mittleren Schulabschluss in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache“ (Beschluss der KMK vom 12.05.1995), wobei letztere nicht für das Gymnasium gelten.
Die Empfehlungen sind schulform- und fachspezifisch angelegt. Es gibt also Empfehlungen für die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium und die Integrierte Gesamtschule, und zwar in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch (mit Ausnahme der
Hauptschule) sowie in Latein (nur für das Gymnasium). Für die Schulzweige der Kooperativen Gesamtschule gelten die Empfehlungen der entsprechenden Schulformen. Für
alle Empfehlungen wird vorausgesetzt, dass bei Aufgabenstellungen und Bewertungskriterien die Lernbedingungen der Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft und
aus Aussiedlerfamilien im Sinne der Nr. 2.4 des o.g. Erlasses berücksichtigt werden.
5
Leitlinie, Orientierung und Hilfe für die Schulen sollen die Empfehlungen in dreifachem
Sinne sein:
–
Als Leitlinie dienen sie der Sicherung vergleichbarer Leistungsstandards unter den
Schulen. Mit den Aufgabenbeispielen und den Bewertungsmaßstäben werden die auf
der Grundlage der Rahmenrichtlinien in den Abschlussklassen der jeweiligen Schulform anzustrebenden fachspezifischen Leistungsstandards beschrieben. Die Aufgabenbeispiele repräsentieren dabei die unterrichtlichen Inhalte der Abschlussklasse,
die bis zum Zeitpunkt der Überprüfung im Unterricht durchgenommen worden sind.
–
Sie stellen eine Orientierung und Hilfe zur Entwicklung eigener Aufgaben und Bewertungskriterien durch die einzelne Lehrkraft oder – im Falle einer „Vergleichsarbeit“ – durch die Fachlehrkräfte dar. Die unterschiedlichen Aufgabenbeispiele zeigen
exemplarisch verschiedene Möglichkeiten der Aufgabenstellungen im jeweiligen
Fach.
–
Sie sollen Ausgangspunkt für eine didaktisch-methodische Diskussion über Aufgabenstellungen und Leistungsbewertung in den Fächern sein und damit Impulse zur
Weiterentwicklung des Fachunterrichts geben.
Die Empfehlungen haben also eine wichtige Funktion für die Arbeit der Schule – für die
Lehrkräfte der betreffenden Fächer, für die Fachkonferenzen und die Schulleitung - ,
aber auch für die Schulbehörde. Letztere muss die Aufgabenstellungen und Ergebnisse
der schriftlichen Überprüfungen im vorab festgelegten Fach auch auf der Grundlage der
Empfehlungen analysieren und bewerten und den Schulen eine fachbezogene didaktisch-methodische Rückmeldung geben, die für die Weiterentwicklung im Fach hilfreich
sein kann.
6
2
Schriftliche Überprüfung
Der schriftlichen Überprüfung dient eine der im zweiten Schulhalbjahr zu zensierenden
schriftlichen Lernkontrollen (Klassenarbeiten), für die im Vergleich mit der üblichen Dauer zusätzlich 45 Minuten vorzusehen sind.
Der Erlass des MK „Die Arbeit in den Jahrgängen 7 bis 10 des Gymnasiums“ vom
14.03.1995, zuletzt geändert am 26.06.1997, legt für die Dauer von Klassenarbeiten und
Klausuren fest: „Die schriftlichen Lernkontrollen sollen in der Regel nicht länger als zwei
Unterrichtsstunden dauern, im Fach Deutsch in den Jahrgängen 9 und 10 in der Regel
nicht länger als drei Unterrichtsstunden“.
Für das Fach Deutsch kann deshalb die Formulierung „übliche Dauer“ zu unterschiedlichen Ausgangssituationen führen und damit die angestrebte Vergleichbarkeit der Schülerleistungsstände beeinflussen.
In den Empfehlungen wird - unbeschadet der im Erlass eröffneten individuellen Gestaltungsmöglichkeiten von Klassenarbeiten – daher davon ausgegangen, dass die Klassenarbeit, die der schriftlichen Überprüfung im zweiten Schulhalbjahr des Jahrgangs 10
dient, im Fach Deutsch dreistündig geschrieben wird, also die übliche Dauer zwei Stunden beträgt.
Die vorgegebene zusätzliche Schreibdauer von einer Unterrichtsstunde bedeutet nicht
nur eine quantitative Ausweitung der Arbeitszeit, sondern verlangt zugleich nach einem
qualitativen „Mehr“ gegenüber den üblichen Klassenarbeiten.
Über den sonst eher punktuell durch eine Klassenarbeit überprüften Leistungsstandard
hinaus soll deshalb ein umfassenderes Bild von den Kenntnissen und Fertigkeiten
(schuljahrumgreifende Fachkenntnisse wie Inhalte, Methoden, Terminologie etc.) wie
von den Fähigkeiten (Selbstständigkeit im Umgang mit und in der Anwendung von Gelerntem) der Schülerinnen und Schüler gewonnen werden. „Gegenstände“ der Überprüfung können auf der Grundlage der Lernziele und Unterrichtsinhalte der Rahmenrichtlinien sowohl die Kenntnis von erarbeiteten Inhalten wie besonders die Anwendung von
vermittelten Methoden sein.
7
2.1
Art der schriftlichen Überprüfung
Für die schriftliche Überprüfung sind die von den Rahmenrichtlinien für den Jahrgang 10
vorgesehenen verbindlichen wie nicht verbindlichen „Aufsatztypen“ gleichermaßen geeignet.
Die erforderliche komplexere Aufgabenstellung kann zum einen in einer additiven Form
realisiert werden, d. h. durch eine inhaltliche (z. B. einen Vergleich mit einem vorher gelesenen Text) oder methodische (z. B. abschließende Stellungnahme zu einem Aspekt
der vorangehenden Textanalyse) Zusatzaufgabe, wobei diese Ergänzung den Schülerinnen und Schülern der Lerngruppe, die Deutsch nicht als schriftliches Überprüfungsfach
gewählt haben, aber am gleichen Tag ihre Klassenarbeit mit den anderen – nur eine
Unterrichtsstunde weniger – schreiben, nicht zur Bearbeitung vorgelegt wird. Diese Zusatzaufgabe muss aber integrativer Bestandteil der Gesamtaufgabe sein, so dass deren
gedanklich-thematische Geschlossenheit gewahrt bleibt.
Der komplexere Anspruch wird jedoch zum anderen zumeist immanent in der Aufgabenstellung enthalten sein und sich in einem höheren Niveau erweisen hinsichtlich
–
sprachlich-stilistischer Gestaltung,
–
Aufbau und Strukturierung der Gedankenführung,
–
der Interpretationsschärfe und –tiefe und
–
einer differenzierteren Reflexion (v.a. bei produktionsorientierten Schreibanteilen).
2.2
Korrektur und Bewertung
Die Bewertung unterliegt der besonderen pädagogischen Verantwortung der Beurteilenden.
Zu bewertende Schülerleistungen sind Kenntnisse und Fähigkeiten, aber auch prozessorientierte und kreative Leistungen. Die Leistung der Schülerin oder des Schülers ist
grundsätzlich als Ganzes zu beurteilen.
Die Beurteilung der Leistung geht aus von den Anforderungen, die in der Aufgabenstellung enthalten sind, und orientiert sich an den erwarteten Schülerleistungen. Leistungen,
die in sinnvoller Weise von den Erwartungen abweichen, müssen in die Bewertung einbezogen werden, sofern sie im Rahmen der Aufgabenstellung liegen.
8
Für die Aspekte der Bewertung schriftlicher Leistungen sowie für die Bewertung der
sprachlichen Richtigkeit in der deutschen Sprache und die äußere Form gelten die Aussagen in den Rahmenrichtlinien für das Fach Deutsch.
Bei der Korrektur werden in Randvermerken Vorzüge und Mängel der Arbeit im inhaltlichen, sprachlichen und methodischen Bereich gekennzeichnet und kommentiert.
Im Übrigen gelten für die Korrektur schriftlicher Lernkontrollen auch hier die Aussagen in
den Rahmenrichtlinien.
9
3
Mündliche Überprüfungen
3.1
Allgemeine Hinweise
Die mündliche Überprüfung wird als Einzel- oder auch als Gruppenüberprüfung mit bis
zu drei Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Als Einzelprüfung dauert sie in der Regel 15, als Gruppenprüfung in der Regel 30 Minuten. Der mündlichen Überprüfung liegt
eine schriftlich formulierte Prüfungsaufgabe zugrunde, die sich auf die vorangegangenen
Unterrichtsgegenstände im Jahrgang 10 bezieht, soweit sie bis zum Zeitpunkt der Überprüfung im Unterricht behandelt worden sind. Sie sollte so angelegt sein, dass die Schülerin oder der Schüler im ersten Teil Gelegenheit erhält, sich zu der in der Vorbereitungszeit bearbeiteten Prüfungsaufgabe in zusammenhängendem Vortrag zu äußern. In
diesem Teil der Überprüfung sollte sich die prüfende Lehrkraft weitgehend zurückhalten
und nur dann eingreifen, wenn dies aus pädagogischen oder prüfungspsychologischen
Gründen oder zur Klärung des Verständnisses notwendig erscheint. Im zweiten Teil der
Überprüfung sollte mit der Schülerin oder dem Schüler ein Gespräch geführt werden, das
über die im Vortrag zu lösenden Aufgabenstellungen hinausgeht und größere fachliche
Zusammenhänge zum Gegenstand hat.
Ziel der mündlichen Überprüfung ist es also, der Schülerin oder dem Schüler Gelegenheit zu geben, sich zu einer Prüfungsaufgabe sachlich zutreffend zu äußern, Lösungen
strukturiert vorzutragen und zu präsentieren sowie in einem Gespräch weitergehende
Fragestellungen zu erörtern.
Der mündlichen Überprüfung geht eine individuelle Vorbereitungszeit von zwanzig Minuten unter Aufsicht voraus. Im Falle einer Gruppenüberprüfung ist darauf zu achten,
dass sich jede Schülerin und jeder Schüler zu dem für alle gleichen Prüfungsthema mit
in der Regel für alle gleichen Aufgabenstellungen angemessen äußern kann. Dabei ist
vorab zu klären, welcher Prüfungsgegenstand sich für eine Gruppenüberprüfung eignet.
Über den Verlauf der mündlichen Überprüfung ist eine Niederschrift vom nicht prüfenden
Mitglied des Fachprüfungsausschusses anzufertigen. Hierzu gehören der Vortrag der
Schülerin oder des Schülers ebenso wie die Fragestellungen der Fachprüfungsausschussmitglieder und die sich daraus ergebenden Ausführungen.
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Zur Vorbereitung auf die mündliche Überprüfung sind die Schülerinnen und Schüler
rechtzeitig zu beraten; bei Bedarf sollten ihnen vorbereitende Übungsmöglichkeiten gegeben werden; dies gilt insbesondere für den Fall der Gruppenüberprüfung.
3.2
Fachbezogene Hinweise
In der mündlichen Überprüfung zeigt der Prüfling seine Fähigkeiten, ein Material - in der
Regel wird es sich im Fach Deutsch um einen Text handeln – anhand einer vorgegebenen Aufgabenstellung sachgerecht zu untersuchen und auszuwerten.
Wie auch die schriftliche Überprüfung bezieht sich die mündliche Überprüfung auf die
Unterrichtsgegenstände des Jahrgangs 10. Sie sollte auf der Grundlage eines nicht zu
langen Textes erfolgen. Denkbar sind alle Textsorten, mit denen im Unterricht gearbeitet
worden ist.
Text und Aufgabenstellung
Der Text ist Grundlage für den ersten Teil der Überprüfung; das Prüfungsgespräch sollte
damit im Zusammenhang stehen.
Der Text muss für die Aufgabe ergiebig, im Umfang und im Schwierigkeitsgrad der kurzen Vorbereitungszeit angemessen sein. In der Regel wird der Umfang daher deutlich
geringer sein, als es bei schriftlich zu bearbeitenden Aufgaben der Fall ist, damit die
Schülerin oder der Schüler die Möglichkeit hat, sich mit dem Text während der Vorbereitungszeit intensiv auseinander zu setzen. In jedem Falle sollte vermieden werden,
dass sich die Leistungen in der mündlichen Überprüfung auf das bloße Wiedergeben von
Kenntnissen beschränken.
Die Aufgaben für die schriftliche und für die mündliche Überprüfung unterscheiden sich
grundsätzlich im Umfang und in der Anlage der Aufgabenstellung.
Grundlage für eine gute Leistung ist die sorgfältige Erarbeitung eines Textes. Auf einer
solchen Grundlage kann im Prüfungsgespräch eine Erweiterung und Vertiefung oder erforderlichenfalls auch die Nachfrage nach Kenntnissen erfolgen.
Aufgabenstellungen, die gezielt die Anforderung enthalten, Kenntnisse vorzubringen
oder die bereits über die Erarbeitung des Textes hinausführen, erscheinen weniger geeignet, da sie von der intensiven Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Text abhalten und statt dessen den Versuch provozieren können, in der Vorbereitungszeit alle
Kenntnisse zu reorganisieren, die im Zusammenhang des Arbeitsauftrags für möglicherweise nützlich gehalten werden. Anstelle selbständiger Überlegungen würden die Leistungen auf allgemeine Aussagen oder reproduktive Aspekte reduziert.
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Vorzuziehen sind daher Aufgabenstellungen, die auf die gründliche Erarbeitung des vorgelegten Textes mittels eines geeigneten Arbeitsauftrags zielen. Auf diese Weise wird
die beste Basis für die flexible Weiterführung der Überprüfung im Prüfungsgespräch erzielt, und es erhöhen sich die Chancen, allen Stufen von Leistungsfähigkeit gerecht werden zu können.
Über die Texterarbeitung hinausgehende Schritte, soweit sie nicht ohnehin von der
Schülerin oder dem Schüler schon in den Vortrag einbezogen worden sind (weitergehende Fragen, Themenübergriff, Vergleiche, Urteile), sollten für das Prüfungsgespräch eingeplant werden.
Prüfungsablauf
Die Schülerinnen und Schüler müssen mit der Anforderung vertraut sein, sieben bis acht
Minuten zusammenhängend zu einem von ihnen erarbeiteten Gegenstand zu sprechen.
Übung im Unterricht ist erforderlich, um die Fertigkeiten zu entwickeln, im zusammenhängenden freien Vortrag Ergebnisse möglichst sicher zu präsentieren sowie auf Fragen,
Impulse, Hilfen des Prüfenden in einem längere Zeit dauernden Gespräch einzugehen,
das einen Gegenstand vertiefend behandelt und darüber hinaus in Zusammenhänge
stellt.
Da die Überprüfung im Wesentlichen der Herausarbeitung eines Textverständnisses
dient, dürfte es im Fach Deutsch nur bedingt möglich sein, eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit gleicher Aufgabenstellung zum gleichen Text zu prüfen.
Vorstellbar ist aber, dass eine Gruppe von bis zu drei Schülerinnen oder Schülern einen
Text unter verschiedenen Aspekten erarbeitet, indem die einzelnen Prüflinge sich z.B.
jeweils mit verschiedenen Figuren auseinander setzen. Im Prüfungsgespräch erfolgt
dann die gemeinsame Erarbeitung einer Interpretation. Auch bei einer solcherart konzipierten Aufgabe ist aber mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, dass die beteiligten
Schülerinnen und Schüler vor gleich schwierige Anforderungen gestellt werden und gleiche Chancen haben, das von ihnen jeweils Erarbeitete einzubringen.
Beurteilung
Neben den fachlich-inhaltlichen Gesichtspunkten ist auch das kommunikative Verhalten
des Prüflings für die Beurteilung von Bedeutung. Auch dabei ist der Stand der Entwicklung und des Trainings von Fertigkeiten zu beachten, wie er im Jahrgang 10 erzielt werden kann. Für die Aspekte der Bewertung mündlicher Leistungen gelten die Aussagen in
den Rahmenrichtlinien sinngemäß.
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4
Aufgabenbeispiele
Die nachfolgenden Aufgabenbeispiele orientieren sich an den von den Rahmenrichtlinien
vorgesehenen Aufsatzarten. Sie sollen Möglichkeiten vorstellen für diese beiden komplexeren Aufgabentypen, für die mit zusätzlicher Teilaufgabe (Beispiele Nr. 1, 3, 4, 8)
und für die, in denen das qualitative „Mehr“ der Aufgabenstellung immanent ist (Beispiele Nr. 2, 5, 6, 7, 9).
Aufgabenbeispiel 1
Aufgabenart: Vergleich zweier motivgleicher Gedichte
Aufgabenstellung
1.
Interpretiere das Gedicht „Straßenbild“. Prüfe dabei, wie und ob Form, Sprache und
Aussage einander entsprechen.
2.
Vergleiche damit, welche Eindrücke die „Straßenbilder“ in Georg Trakls „Die schöne
Stadt“ hervorrufen.
3.
Überlege, ob du deine Vorstellungen und Erfahrungen von Stadtleben in diesen Gedichten bzw. in einem von ihnen noch wiederfindest.
Emil Nicolai
Straßenbild
Ein Menschenhauf – ein Schutzmann – und ein Karren
und auf dem Karren ein betrunk’nes Weib.
Notdürft’ge Kleidung deckt den magern Leib –
die Nase spitz, wie eines Giebels Sparren.
5
10
Die Menge gafft – und tut der Dinge harren,
die sich entwickeln ihr zum Zeitvertreib. –
Und mancher Schimpf trifft das betrunk’ne Weib,
des Augen glasig in die Leere starren.
Sie griff zur Flasche in des Lebens Not,
als ihr das Herz umkrallt der Ohnmacht Gram;
die Kinder weinten: „Mutter! – Hunger! – Brot!“
Nun deckt die blassen Wangen brennend Rot
wie in des Unglücks unbewußter Scham –
Der Karren rollt. Ein Opfer – lebend tot.
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Georg Trakl
Die schöne Stadt
Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen
Traumhaft hasten sanfte Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen.
5
10
15
20
Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder,
Großer Fürsten schöne Schilder.
Kronen schimmern in den Kirchen.
Rösser tauchen aus dem Brunnen.
Blütenkrallen drohn aus Bäumen.
Knaben spielen wirr von Träumen
Abends leise dort am Brunnen.
Mädchen stehen an den Toren,
Schauen scheu ins farbige Leben.
Ihre feuchten Lippen beben
Und sie warten an den Toren.
Zitternd flattern Glockenklänge,
Marschtakt hallt und Wacherufen.
Fremde lauschen auf den Stufen.
Hoch im Blau sind Orgelklänge.
Helle Instrumente singen.
Durch der Gärten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.
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Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmen müde Lider
Durch die Blumen an den Fenstern.
Zum Text
Emil Nicolai (Lebensdaten nicht ermittelbar): Straßenbild. In: Sammlung „Im steinernen
Meer. Großstadtgedichte“, 1910. In: Deutsche Großstadtlyrik..., Reclams Universitätsbibliothek Bd. 9448, -52/52a/b. Stuttgart 1973.
Georg Trakl (1887 – 1914): Die schöne Stadt. In: G. Trakl, Das dichterische Werk. München 1972.
Unterrichtsvoraussetzungen
Zu den verbindlichen Aufsatzarten im Jahrgang 10 zählen die Rahmenrichtlinien die Interpretation eines Gedichts, auch den Vergleich zweier motivgleicher Gedichte.
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Die Aufgabenstellung erwächst aus der Unterrichtseinheit „Lyrik“, Thema: Stadt/Großstadt; die Arbeit muss nicht am Ende des Vorhabens stehen, da sich sonst ein Beispiel
für modernere Gestaltungsformen zum Vergleich anböte. Hier soll aber gerade die traditionelle Formgebung als konstitutives Mittel für Aussage wie auch Wertung der Gedichte
erkannt und nachgewiesen werden.
Die abschließende, die Aufgaben erweiternde Stellungnahme greift zurück auf die Methode des abwägenden Argumentierens, wie sie mit der Aufsatzform der Erörterung geübt worden ist.
Erwartete Leistungen
In Teilaufgabe 1 wäre aufzuzeigen, wie die Regelmäßigkeit des Sonetts in 5-füßigen
Jamben zu der Krassheit der sozialen Anklage in häufig elliptischer, nichts beschönigender Sprache in einem überaus deutlichen Kontrast steht, dessen Bewertung allerdings
offen ist.
Gegenüber der hektischen Moment-Aufnahme des Nicolai-Textes steht die wachsende
Ruhe und Stille, aber auch hoffnungsfrohe Erwartung, die der lyrische Sprecher beim
Gang durch die Stadt (Salzburg) vom späten Nachmittag bis in die beginnende Nacht
erlebt. Nicht verlangt, aber als besondere Leistung wäre anzuerkennen, wenn die Wirkung dieser Atmosphäre durch Verweise auf die formale Gestaltung des Gedichts gestützt würde – wie auf die identischen Reime, die ausschließlich weiblichen Endungen,
die fehlenden Artikel (im Gegensatz zur Überschrift) am Zeilenbeginn, dadurch das trochäische Metrum, auf Parallelismus und Chiasmus der Syntax, die Onomatopöie der Alliterationen, die sanften Farben des verklingenden Tages und v. a. die akustischen Signale.
Die dritte Teilaufgabe weitet die Frage nach der subjektiven Wertschätzung der beiden
Gedichte aus zu einer die textbezogene Interpretation übergreifenden Aufgabenstellung
und gibt zugleich Raum für persönliche Erfahrungen und Vorstellungen über das Leben
in der Stadt in dem weiten Feld zwischen Desillusionierung und Zukunftsoptimismus.
Wichtiges Beurteilungskriterium ist die Bewahrung des Bezugs zu den voranstehenden
Ergebnissen.
15
Aufgabenbeispiel 2
Aufgabenart: Gedichtinterpretation
Aufgabenstellung
Schreibe einen Interpretationsaufsatz und bearbeite im Rahmen deines Aufsatzes folgende Aufgaben:
1. Beschreibe den inhaltlichen und formalen Aufbau des Gedichts.
2. Analysiere das Gedicht, indem du seine Bilder und die Sprache, auch Satz- und
Zeilenbau untersuchst sowie den Titel erklärst.
3. Zeige, wie du das Gedicht und seine Bilder verstehst. Begründe deine Deutung.
Karl Krolow
Der Augenblick des Fensters
Jemand schüttet Licht
aus dem Fenster.
Die Rosen der Luft
blühen auf,
5
und in der Straße
heben die Kinder beim Spiel
die Augen.
Tauben naschen
von seiner Süße.
10
Die Mädchen werden schön
und die Männer sanft
von diesem Licht.
Aber ehe es ihnen die anderen sagen,
ist das Fenster von jemandem
15
wieder geschlossen worden.
Zum Text
Das 1955 von Karl Krolow (1915 – 1999) verfasste Gedicht ist das erste von zweien, die
unter dem Titel „Jemand“ zusammengefasst sind. Eine Eigeninterpretation findet sich in:
Karl Krolow: Ein Gedicht entsteht. Frankfurt/M. 1973.
16
Unterrichtsvoraussetzungen
Die Interpretation eines Gedichts ist eine der für den Jahrgang 10 laut Rahmenrichtlinien
verbindlichen Aufsatzarten.
Die Aufgabe bezieht sich auf eine Unterrichtseinheit „Lyrik“, in der die in der neunten
Klasse erarbeiteten Kenntnisse der Textanalyse vertieft und gesichert wurden. Die
Schülerinnen und Schüler sind mit moderner Lyrik vertraut; außerdem wurde Lyrik des
Barock und des Expressionismus gelesen, die Schülerinnen und Schüler können auch
mit ungewöhnlicher Bildlichkeit umgehen.
Erwartete Leistungen
Erwartet wird, dass sich die Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Aufsatzes nach
der in den Teilaufgaben gegebenen Folge richten.
Der Überblick über den Inhalt muss die Abfolge des Geschehens deutlich machen: die
Tat eines „Jemand“ (Z. 1 f), die Auswirkungen dieser Tat (Z. 3-12) und die Zurücknahme
(Z. 13-15). Der formale Aufbau sollte knapp beschrieben werden: Der Text besteht aus
15 reimlosen Zeilen ohne Metrum; auf diese 15 Zeilen verteilen sich fünf Sätze, eigentlich sechs, da einer der Sätze aus zwei Hauptsätzen besteht. Das Gedicht ist also einerseits von Zeilensprüngen geprägt, andererseits enden alle Sätze mit der Zeile. Alle Sätze
bis auf den letzten sind einfach gebaut.
Bei der Textanalyse sollen die Schülerinnen und Schüler Fachbegriffe benutzen und zeigen, dass sie fähig sind, auf sensible Art mit der Metaphorik eines Textes umzugehen,
ohne vorschnell zu „Lösungen“ zu greifen.
Die Dreiteilung des Vorgangs muss sich im Aufbau des Aufsatzes niederschlagen, die
drei Teile sollten jeder für sich untersucht werden:
Die beiden ersten Zeilen beschreiben die Bedingung der Veränderungen in einem überraschenden Bild: das „Schütten“ des Lichts kann verstanden werden als ein sehr schnell
vollzogenes Öffnen eines Fensters; es ist auch möglich, die Großzügigkeit des Vorgangs
zu betonen.
Die fünf Veränderungen, die folgen, sind von unterschiedlich verschlüsselter Art. Zeile
3 f beschreibt die Veränderung der Atmosphäre in einem Bild, das die Synästhesie des
Anfangsbildes vertieft. Die folgenden vier Bilder zeigen die Reaktionen von Mensch und
Tier, in Zeile 5 f einfach beschrieben, in Zeile 6 f wieder in einer Synästhesie. Die Schülerinnen und Schüler sollen die einzelnen Metaphern analysieren, Begriffe aufeinander
beziehen, die Stufen der Sensibilisierung beschreiben. Die Bewertung wird bestimmt von
der Genauigkeit und Adäquatheit des Vorgehens.
17
Der letzte Satz, eingeleitet mit „Aber“, erzeugt die Flüchtigkeit des Vorgangs. Hier verlangt der Text ein Eingehen auf Satzbau und Tempus.
Die Schülerinnen und Schüler sollten auch die Zeilensprünge beachten, die die Sätze in
Satzglieder unterteilen und so das schrittweise Entstehen der Bilder im Kopf des Lesers
bestimmen.
Nach der möglichst genauen Untersuchung folgt die Auseinandersetzung mit der Aussage. Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler klar zwischen Analyse und Deutung
unterscheiden können. Die Formulierung der Teilaufgabe betont die Offenheit des Textverständnisses. Der Text kann als Vorgangsbeschreibung verstanden werden: ein Abend
in einer Vorstadtstraße. Möglich ist auch eine Übertragung: das Gedicht z.B. als poetologischer Text über die Wirkung von Poesie.
Die Interpretation muss begründet und nachvollziehbar sein.
Darüber hinaus können die Schülerinnen und Schüler ihre Haltung dem Text gegenüber
darlegen.
Aufgabenbeispiel 3
Aufgabenart: Interpretation einer Kurzgeschichte auf analytische Weise
Aufgabenstellung
1.
Interpretiere die Geschichte, indem du
–
den Verlauf der Begegnung des jungen Mannes mit dem Herrn auf der Parkbank textnah untersuchst,
–
daraus die Problemlage des jungen Mannes erschließt
–
und – unter Berücksichtigung des Titels und der Wirkung – die mögliche Wirkungsabsicht der Autorin ableitest.
2.
18
Überprüfe an ausgewählten Merkmalen die Gattung des Textes.
Helga M. Novak: Eis
5
10
15
20
25
30
35
Ein junger Mann geht durch eine Grünanlage. In einer Hand trägt er ein Eis. Er lutscht.
Das Eis schmilzt. Das Eis rutscht an dem Stil hin und her. Der junge Mann lutscht heftig,
er bleibt vor einer Bank stehen. Auf der Bank sitzt ein Herr und liest eine Zeitung. Der
junge Mann bleibt vor dem Herrn stehen und lutscht.
Der Herr sieht von seiner Zeitung auf. Das Eis fällt in den Sand.
Der junge Mann sagt, was denken Sie jetzt von mir?
Der Herr sagt erstaunt, ich? Von Ihnen? Gar nichts.
Der junge Mann zeigt auf das Eis und sagt, mir ist doch eben das Eis runtergefallen, haben Sie da nicht gedacht, so ein Trottel?
Der Herr sagt, aber nein. Das habe ich nicht gedacht. Es kann schließlich jedem einmal
das Eis runterfallen.
Der junge Mann sagt, ach so, ich tue Ihnen leid. Sie brauchen mich nicht zu trösten. Sie
denken wohl, ich kann mir kein zweites Eis kaufen. Sie halten mich für einen Habenichts.
Der Herr faltet seine Zeitung zusammen Er sagt, junger Mann, warum regen Sie sich
auf? Meinetwegen können Sie soviel Eis essen, wie Sie wollen. Machen Sie überhaupt,
was Sie wollen. Er faltet die Zeitung wieder auseinander.
Der junge Mann tritt von einem Fuß auf den anderen. Er sagt, das ist es eben. Ich mache, was ich will. Mich nageln Sie nicht fest. Ich mache genau, was ich will. Was sagen
Sie dazu?
Der Herr liest wieder in der Zeitung.
Der junge Mann sagt laut, jetzt verachten Sie mich. Bloß, weil ich mache, was ich will. Ich
bin kein Duckmäuser. Was denken Sie jetzt von mir?
Der Herr ist böse.
Er sagt, lassen Sie mich in Ruhe. Gehen Sie weiter. Ihre Mutter hätte Sie öfter verhauen
sollen. Das denke ich jetzt von Ihnen.
Der junge Mann lächelt. Er sagt, da haben Sie recht.
Der Herr steht auf und geht.
Der junge Mann läuft hinterher und hält ihn am Ärmel fest. Er sagt hastig, aber meine
Mutter war ja viel zu weich. Glauben Sie mir, sie konnte mir nichts abschlagen. Wenn ich
nach Hause kam, sagte sie zu mir, mein Prinzchen, du bist schon wieder so schmutzig.
Ich sagte, die anderen haben nach mir geworfen. Darauf sie, du sollst dich deiner Haut
wehren. Laß dir nicht alles gefallen. Dann ich, ich habe angefangen. Darauf sie, pfui, das
hat du nicht nötig. Der Stärkere braucht nicht anzufangen. Dann ich, ich habe gar nicht
angefangen. Die anderen haben gespuckt. Darauf sie, wenn du nicht lernst, dich durchzusetzen, weiß ich nicht, was aus dir werden soll. Stellen Sie sich vor, sie hat mich gefragt, was willst du denn mal werden, wenn du groß bist? Neger, habe ich gesagt. Darauf
sie, wie ungezogen du wieder bist.
Der Herr hat sich losgemacht.
Der junge Mann ruft, da habe ich ihr was in den Tee getan. Was denken Sie jetzt?
19
Zum Text
Der Aufgabenstellung liegt die Kurzgeschichte zugrunde von Helga M. Novak (*1935):
Eis, in: H. M. Novak, Geselliges Beisammensein. Prosa. Neuwied/Berlin 1968.
Unterrichtsvoraussetzungen
Der Aufgabenvorschlag entspricht der in den „Rahmenrichtlinien als „nicht verbindlich“
aufgeführten „Interpretation eines erzählenden ... Textes (Kurzgeschichte ...)“. Aufgabe 2
ist hier die erweiterte Aufgabenstellung für die schriftliche Überprüfung.
Die Klausur steht am Ende einer Unterrichtseinheit zur Gattung „Kurzgeschichte“, in der
mehrere thematisch gebundene Kurzgeschichten interpretiert und die gängigen Merkmale erarbeitet worden sind.
Die Klausur knüpft formal an die Behandlung von Kurzgeschichten in Jahrgang 9 und
thematisch an eine Unterrichtseinheit zur psychosozialen Situation junger Menschen
heutzutage Anfang Jahrgang 10 an.
Erwartete Leistungen
Zur ersten Aufgabe:
1. Spiegelstrich: Verlauf der Begegnung: Aufschaukelung von provozierender Kontaktaufnahme, Selbstdarstellung, -entblößung, -inszenierung einerseits und distanzierenden
Reaktionen (Höflichkeit, unwirsche Abwehr, empörter Abbruch) andererseits.
2. Spiegelstrich: Problemlage des jungen Mannes: - Situation: Einsamkeit, Isolation bei
materieller Abgesichertheit. – Verhältnis zur Mutter: geprägt von Hilflosigkeit, Wankelmut, Verwöhnung in der mütterlichen Erziehung; Vater bleibt unerwähnt. Schwankend
zwischen Kontaktsuche und Provokation.
3. Spiegelstrich: - Titel: lesbar als Symbol zwischenmenschlicher Isolation; Doppeldeutigkeit von (Speise-)Eis. – Wirkung: Komik, Provoziertheit, Mitleid u.a.m. – Mögliche
Wirkungsabsichten: Gefährdung gerade junger Menschen durch Einsamkeit, Generationenbarrieren, Wandel gesellschaftlicher Umgangsformen, Erhellung durch Gelächter
u.a.m.
Zur zweiten Aufgabe:
Hier greifende bzw. in Frage gestellte Kurzgeschichtenmerkmale: Alltäglichkeit der Begegnungssituation im Park sowie der Sprache vs. Unalltäglichkeit des Gesprächsverlaufs
sowie der Provokationen (z.B. Berufswunsch „Neger“); Offenheit des Schlusses trotz
Pointe; Doppeldeutigkeit des Titels als Symbol; Schicksalsbruch je nach Auslegung der
Schlusspointe; Mischwirkung und Leerstellendichte.
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Aufgabenbeispiel 4
Aufgabenart: Textproduktion auf der Grundlage eines fiktionalen epischen Textes
Aufgabenstellung
Am Ende des Romans „Der Richter und sein Henker“ von Friedrich Dürrenmatt erfährt
der Leser, dass Tschanz tot aufgefunden worden ist. Er wurde in seinem Wagen von einem Zug überrollt. Gehe davon aus, dass Tschanz seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat und einen Abschiedsbrief für Bärlach hinterlässt, aus dem die Motive für seinen
Selbstmord hervorgehen.
1. Verfasse einen entsprechenden Abschiedsbrief Tschanz’.
2. Erläutere, wie der von dir verfasste Brief auf Bärlach wirken soll. Begründe dies, indem du auf deine Gestaltung des Briefes eingehst.
Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker (Auszug)
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«Sie verstellen sich», keuchte er, «Sie sind nicht krank! »
Der andere antwortete nicht sofort. Zuerst lachte er, und dann beschäftigte er sich mit
dem Salat, jedes Blatt einzeln genießend. Tschanz wagte nicht, den grauenvollen Alten
ein zweites Mal zu fragen.
«Ja, Tschanz», sagte Bärlach endlich, und seine Augen funkelten wild, «ich habe mich
verstellt. Ich war nie krank», und er schob sich ein Stück Kalbfleisch in den Mund, aß
weiter, unaufhörlich, unersättlich.
Da begriff Tschanz, daß er in eine heimtückische Falle geraten war, deren Türe nun hinter ihm ins Schloß schnappte. Kalter Schweiß brach aus seinen Poren. Das Entsetzen
umklammerte ihn mit immer stärkeren Armen. Die Erkenntnis seiner Lage kam zu spät,
es gab keine Rettung mehr.
«Sie wissen es, Kommissär», sagte er leise.
«Ja, Tschanz, ich weiß es», sagte Bärlach fest und ruhig, aber ohne dabei die Stimme zu
heben, als spräche er von etwas Gleichgültigem. «Du bist Schmieds Mörder.» [...]
«Das werden Sie mir nie beweisen können», lehnte sich Tschanz verzweifelt auf.
Der Alte reckte sich in seinem Stuhl, nun nicht mehr krank und zerfallen, sondern mächtig
und gelassen, das Bild einer übermenschlichen Überlegenheit, ein Tiger, der mit seinem
Opfer spielt, und trank den Rest des Champagners aus. [...]
«Du selber brachtest die Indizien herbei, die ich brauchte. Du hast dich verraten, als du
mir das Leben rettetest.»
«Als ich Ihnen das Leben rettete! Darum fand ich die Bestie nicht mehr», antwortete
Tschanz mechanisch. «Wußten Sie, daß Gastmann einen Bluthund besaß?»
«Ja. Ich hatte meinen linken Arm mit einer Decke umwickelt.»
«Dann haben Sie mir auch hier eine Falle gestellt», sagte der Mörder fast tonlos. [...]
Tschanz hörte dem unerbittlichen Schachspieler zu, der ihn mattgesetzt hatte und nun
sein grauenhaftes Mahl beendete. Die Kerzen brannten unruhiger, das Licht flackerte auf
den Gesichtern der zwei Männer, die Schatten verdichteten sich. Totenstille herrschte in
dieser nächtlichen Hölle, die Dienerinnen kamen nicht mehr. Der Alte saß jetzt unbeweglich, er schien nicht einmal mehr zu atmen, das flackernde Licht umfloß ihn mit immer
neuen Wellen, rotes Feuer, das sich am Eis seiner Stirne und seiner Seele brach.
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«Sie haben mit mir gespielt», sagte Tschanz langsam.
«Ich habe mit dir gespielt», antwortete Bärlach mit furchtbaren Ernst. «Ich konnte nicht
anders. Du hast mir Schmied getötet, und nun mußte ich dich nehmen.»
«Um Gastmann zu töten», ergänzte Tschanz, der mit einem Male die ganze Wahrheit
begriff.
«Du sagst es. Mein halbes Leben habe ich hingegeben, Gastmann zu stellen, und
Schmied war meine letzte Hoffnung. Ich habe ihn auf den Teufel in Menschengestalt gehetzt, ein edles Tier auf eine wilde Bestie. Aber dann bist du gekommen, Tschanz, mit
deinem lächerlichen, verbrecherischen Ehrgeiz, und hast mir meine einzige Chance vernichtet. Da habe ich dich genommen, dich, den Mörder, und habe dich in meine furchtbarste Waffe verwandelt, denn dich trieb die Verzweiflung, der Mörder mußte einen anderen Mörder finden. Ich machte mein Ziel zu deinem Ziel.»
«Es war für mich die Hölle», sagte Tschanz.
«Es war für uns beide die Hölle», fuhr der Alte mit fürchterlicher Ruhe fort. [...]
«Sie wußten, daß ich es war, der Sie überfiel?» sagte Tschanz tonlos.
«Ich wußte das vom ersten Moment an. Alles was ich tat, geschah mit der Absicht, dich
in die äußerste Verzweiflung zu treiben. Und wie die Verzweiflung am größten war, gingst
du hin nach Lamboing, um irgendwie die Entscheidung zu suchen.»
«Einer von Gastmanns Dienern fing an zu schießen», sagte Tschanz.
«Ich habe Gastmann am Sonntagmorgen gesagt, daß ich einen schicken würde, ihn zu
töten.»
Tschanz taumelte. Es überlief ihn eiskalt.
«Da haben Sie mich und Gastmann aufeinander gehetzt wie Tiere!»
«Bestie gegen Bestie», kam es unerbittlich vom anderen Lehnstuhl her.
«Dann waren Sie der Richter, und ich der Henker», keuchte der andere.
«Es ist so», antwortete der Alte.
«Und ich, der ich nur Ihren Willen ausführte, ob ich wollte oder nicht, bin nun ein Verbrecher, ein Mensch, den man jagen wird!»
Tschanz stand auf, stützte sich mit der rechten, unbehinderten Hand auf die Tischplatte.
Nur noch eine Kerze brannte. Tschanz suchte mit brennenden Augen in der Finsternis
des Alten Umrisse zu erkennen, sah aber nur einen unwirklichen schwarzen Schatten.
Unsicher und tastend machte er eine Bewegung gegen die Rocktasche.
«Laß das», hörte er den Alten sagen. «Es hat keinen Sinn. Lutz weiß, daß du bei mir
bist, und die Frauen sind noch im Haus.»
«Ja, es hat keinen Sinn», antwortete Tschanz leise.
«Der Fall Schmied ist erledigt», sagte der Alte durch die Dunkelheit des Baumes hindurch. «Ich werde dich nicht verraten. Aber geh! Irgendwohin! Ich will dich nie mehr sehen. Es ist genug, daß ich e i n e n richtete. Geh! Geh!»
Tschanz ließ den Kopf sinken und ging langsam hinaus, verwachsend mit der Nacht, und
wie die Türe ins Schloß fiel und wenig später draußen ein Wagen davonfuhr, erlosch die
Kerze, den Alten, der die Augen geschlossen hatte, noch einmal in das Licht einer grellen
Flamme tauchend.
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Zum Text
Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker. Textabdruck nach der Ausgabe des
Rowohlt Taschenbuch Verlags. Hamburg 1955, S. 111-117 (Auszüge).
Der Textumfang (810 Wörter) ist vertretbar, da der Text den Schülerinnen und Schülern
aufgrund ihrer Lektüre des gesamten Romans bekannt, keine systematische Analyse, die
ein breites Spektrum von Untersuchungsaspekten berücksichtigen müsste, gefordert und
die Untersuchung vielmehr nur in einem begrenzten, durch die Aufgabenstellung vorgegebenen Rahmen zu leisten ist.
Unterrichtsvoraussetzungen
In den Rahmenrichtlinien wird für den Aufgabenbereich „Umgang mit Texten – Fiktionale
Texte“ unter anderem die Behandlung eines Romans oder einer längeren Erzählung des
20. Jahrhunderts gefordert. Als mögliche Lektüre wird Dürrenmatts Roman „Der Richter
und sein Henker“ genannt.
Mit dieser Aufgabe soll ein Beispiel dafür gezeigt werden, wie aus einer Unterrichtseinheit zu diesem Roman der im Jahrgang 10 obligatorische Aufsatztyp der produktionsorientierten Aufgabenstellung entwickelt werden kann. Die Konzeption ist so angelegt, dass
für die Bearbeitung des ersten Teils der Aufgabe – den Gestaltungsauftrag – zwei Unterrichtsstunden veranschlagt werden können. Der zweite Teil der Aufgabenstellung ist im
Rahmen einer weiteren Unterrichtsstunde lösbar. Es ist denkbar, dass dieses Thema sowohl von denjenigen Schülerinnen und Schülern bearbeitet wird, die eine reguläre Klassenarbeit schreiben müssen (nur Gestaltungsauftrag) als auch von denjenigen, die sich
für Deutsch als Fach der schriftlichen Überprüfung entschieden haben (Gestaltungsauftrag und zusätzliche Reflexionsaufgabe), da für die Bewältigung des zweiten Aufgabenteils nicht allein ein höherer Zeitbedarf vorliegt, sondern auch eine verstärkte Verknüpfung mit Fertigkeiten, die in anderen Unterrichtszusammenhängen vermittelt und geübt
worden sind.
Die konkretisierenden Angaben zu den unterrichtlichen Voraussetzungen beschränken
sich, soweit sie den Gegenstand betreffen, auf den Verlauf der Unterrichtssequenz
selbst: Der Roman ist von den Schülern vollständig gelesen worden, die Behandlung im
Unterricht weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Die letzten Abschnitte,
also vor allem das Gespräch zwischen Tschanz und Bärlach, in dessen Verlauf der
Kommissar seinem Mitarbeiter eröffnet, dass er ihn als Täter entlarvt habe, sind noch
nicht Gegenstand des Unterrichts gewesen.
Adressatenbezogene Schreibformen sind im vorangegangenen Schuljahr, den Rahmenrichtlinien für den Jahrgang 9 entsprechend, behandelt und in der ersten Hälfte des Jahr-
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gangs 10 erweiternd und vertiefend geübt worden (vgl. Erscheinungsformen und Wirkung von Sprache).
Darüber hinaus zählt zu den Voraussetzungen, dass sowohl der analytische Umgang mit
Texten als auch der Typus des Aufsatzes mit produktionsorientierter Aufgabenstellung
geübt worden sind.
Erwartete Leistungen
In dem Text werden die Zusammenhänge, die die Auflösung des Falles Schmied umfassen, vorwiegend aus Bärlachs Perspektive dargestellt. Dies schlägt sich unter anderem
darin nieder, dass die Anteile der beiden Personen an der wörtlichen Rede, die die vorliegende Textstelle bei weitem dominiert, höchst ungleich verteilt sind. Den ausführlichen
Erklärungen Bärlachs stehen sehr kurze verbale Reaktionen Tschanz’ gegenüber; es
sind nur wenige Äußerungen, von denen kaum eine mehr als zehn Wörter umfasst. Diese Äußerungen spiegeln im Wesentlichen das Entsetzen Tschanz’ darüber wider, dass er
sich als durchschaut erkennen muss. Die Entwicklung seiner seelischen Verfassung wird
vorwiegend indirekt zum Ausdruck gebracht. Es wird angedeutet, dass sie sich von der
Bestürzung, überrumpelt worden zu sein, über den Versuch der Auflehnung und einen
halbherzigen, sogleich wieder zurückgenommenen Ansatz von aggressivem Verhalten
zur Resignation wandelt, womit durchweg das Entsetzen über die Lage, in der er sich
nach und nach klarer erkennt, einhergeht.
Dies wird in erster Linie aus den redebegleitenden Verben und aus einigen expliziten
Kennzeichnungen deutlich, mit denen die Reaktionen Tschanz’ vom Erzähler gekennzeichnet werden. Die folgenden exemplarisch angeführten Verben sind stets auf Tschanz
als Subjekt bezogen:
„keuchte“ (1); „lehnte sich ... verzweifelt auf“ (15); „antwortete ... mechanisch“ (21 f)
„sagte ... tonlos“ (24, 45); „taumelte“ (52); „antwortete ... leise“ (65); „ließ den Kopf sinken
und ging langsam hinaus“ (69).
Entsprechende Erarbeitungsschritte müssen vorausgehen, wenn die Schülerinnen und
Schüler die Aufgabe lösen. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt allerdings nicht diskursiv, sondern auf dem Wege der Gestaltung eines Abschiedsbriefs, den Tschanz an
seinen Gesprächspartner verfasst haben könnte.
Die Schülerinnen und Schüler müssen auf der Grundlage der ihnen aus der Lektüre bekannten Umstände, dass Tschanz der gesuchte Täter ist, dass Bärlach ihn durchschaut
hat usw., herausarbeiten, dass Bärlach Tschanz seine Verachtung spüren lässt. Tschanz
muss erkennen, dass alle Pläne und Hoffnungen, die er mit seiner Tat verknüpft hatte,
nun hinfällig sind: sein Verlangen, die Lebensstellung des ermordeten Schmied einzu-
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nehmen, indem er dessen berufliche Position, seine Freundin (als Symbol des Erfolgs im
privaten Leben), sein Auto (als materiellen Wertgegenstand und auch als Statussymbol)
übernimmt. Tschanz’ Selbstbild des fähigen, aber nicht entsprechend anerkannten Kriminalbeamten wird zerstört, weil er erfahren muss, dass ein anderer ihn nicht allein
durchschaut hat, sondern ihn sogar weitgehend als Instrument für eigene Ziele einsetzen
konnte, ohne dass er selbst dies wiederum gemerkt hätte. Sein Selbstbild schlägt daher
um: Er muss sein bisheriges Bild von sich als Selbstüberschätzung, seine bisherigen
Urteile als Fehlurteile erkennen.
Der Brief der Schülerinnen und Schüler müsste zum Ausdruck bringen, dass vor allem
der Verlust der Selbstachtung Tschanz existentiell erschüttert und ihm jede Grundlage
für das weitere Leben zu nehmen scheint. Daher kann er auch keinen Weg in einer
Flucht sehen, die ihn allenfalls vor einer äußeren Verfolgung durch rechtsstaatliche Institutionen bewahren könnte, nicht aber vor seinem eigenen Selbst.
Die psychische Verfassung muss sich auch in der sprachlich-stilistischen Gestaltung des
Briefes niederschlagen.
In der Erläuterung der Wirkungsabsicht müssen die Inhalte und die sprachlichen Gestaltungsmittel in ihrer Wechselbeziehung gesehen werden. Besonders wichtig ist es dabei,
dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur die Inhalte des Briefes in anderer Form wiedergeben, sondern dass die Entscheidungen, die bei der Gestaltung des Briefes getroffen wurden, begründet werden. Dabei kann auch auf die Textvorlage zurückgegriffen
werden, z.B. auf die oben zitierten redebegleitenden Verben.
Da die Anforderungen an die Gestaltung am klarsten durch einen Beispielaufsatz vermittelt werden können, wird hier ausnahmsweise für den gestaltenden Teil der Aufgabe
die Lösung einer Schülerin des Jahrgangs 10 beigefügt, in welcher die Anforderungen in
besonderer Weise erfüllt sind.
Mögliche Schülerlösung der ersten Teilaufgabe:
Bärlach!
Nun lastet auf dir noch ein Tod. Du hast mich hintergangen, benutzt, übertroffen, erniedrigt. Mich erfüllen Scham und Verachtung vor mir selbst, vor meiner Selbstüberschätzung, meiner Einfältigkeit, die dich mich benutzen ließen. Mein Leben ist nichts wert,
denn mir gelingt rein gar nichts. Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll, noch
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wohin mich nun wenden. Nirgendwo auf dieser Welt, auf keine Weise kann ich mich je
von der Schmach befreien, die du mir bereitet hast. Nur der Tod kann sie mir nehmen.
Ich will ganz ehrlich sein in diesem letzten Brief. Du hast mich haushoch übertroffen, wie
du mich geschickt hinters Licht geführt hast. Ich habe nichts geahnt, war somit eine ge-
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eignete Waffe. Dein Henker für den Erzfeind. Du hast mich benutzt, kaltherzig, wohl10
überlegt, gezielt. Hast mich behandelt wie eine Waffe, von oben herab, keiner Erklärung
wert. Alles, was ich noch fühle, ist diese totale Erniedrigung. Nichts konnte dir Respekt
vor mir einflößen.
Dabei war es der perfekte Mord. Ich lieferte Tathergang, den Verdächtigen, das Motiv.
Aber du hast mich durchschaut und mir meine Unvollkommenheit, meine Unfähigkeit in
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aller Schärfe vor Augen geführt. Ich weiß nun, dass nichts mich zu Schmied machen
kann, nichts mich wie ihn werden lässt. Ich habe sein Auto, seine Freundin, seinen Posten – und bleibe doch der alte Tschanz, voll von Selbstverachtung und Selbstmitleid,
jemand, dem niemand Respekt zollt, egal, wie sehr ich mich anstrenge, jemand, den
niemand achtet und bewundert, egal, wie geschickt ich die schwierigsten Fälle löse. Mir
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wird immer der Makel mangelnder Bildung anhaften, mich werden immer alle belächeln,
als schlau, aber leider nicht für höhere Posten geeignet.
Doch Bärlach, dich trifft die größte Schuld. Du warst der Richter, der herabsieht auf seinen Henker, ihn missachtet, ihn benutzt. Nützlich, aber widerwärtig, das bin ich für dich.
Vielleicht hätte ich mich in der neuen Beachtung, die ich erfuhr, sonnend, zufrieden leben
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können, wenn auch in mir immer Zweifel und die alte Selbstverachtung genagt hätten.
Doch mit dem Gefühl des nun zum Henker degradierten, als Waffe benutzten, sich selbst
überschätzenden Dummkopfes, das du mir gegeben hast, kann ich nicht leben. Ich
schäme mich vor mir selbst, meiner Dummheit, meiner Berechenbarkeit. Der Tod ist der
einzige Ausweg aus der Ecke, in die du mich gedrängt hast.
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Tschanz
Aufgabenbeispiel 5
Aufgabenart: Interpretation einer Dramenszene auf produktionsorientierter Basis
Aufgabenstellung
Stell dir vor, du würdest als Regisseur im Rahmen einer Inszenierung des Dramas „Maria
Stuart“ von Friedrich Schiller die Szene IV,4 einrichten.
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Gib dem Darsteller von Leicester in Form eines Vortrags Hilfestellung und Anweisungen,
damit er diese Rolle in dieser Szene gemäß deinen Vorstellungen – 1. von der Situation
und 2. von der Figur – spielen kann. Ziehe, um deine Auffassung dem Schauspieler zu
verdeutlichen, den Wortlaut des Textes heran.
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LEICESTER: Ich bin entdeckt, ich bin durchschaut – Wie kam
Der Unglückselige auf meine Spuren!
Weh mir, wenn er Beweise hat! Erfährt
Die Königin, daß zwischen mir und der Maria
Verständnisse gewesen – Gott! Wie schuldig
Steh ich vor ihr! Wie hinterlistig treulos
Erscheint mein Rat, mein unglückseliges
Bemüh’n, nach Fotheringhay sie zu führen!
Grausam verspottet sieht sie sich von mir,
An die verhaßte Feindin sich verraten!
O nimmer, nimmer kann sie das verzeihn!
Vorherbedacht wird alles nun erscheinen,
Auch diese bittre Wendung des Gesprächs,
Der Gegnerin Triumph und Hohngelächter,
Ja selbst die Mörderhand, die blutig schrecklich,
Ein unerwartet ungeheures Schicksal,
Dazwischenkam, werd i c h bewaffnet haben!
Nicht Rettung seh ich, nirgends! Ha! Wer kommt!
MORTIMER kommt in der heftigsten Unruhe und
blickt scheu umher:
Graf Leicester! Seid Ihr’s? Sind wir ohne Zeugen?
LEICESTER: Unglücklicher, hinweg! Was sucht Ihr hier?
MORTIMER: Man ist auf unsrer Spur, auf Eurer auch,
Nehmt Euch in acht.
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LEICESTER: Hinweg, hinweg!
MORTIMER: Man weiß,
Daß bei dem Grafen Aubespine geheime
Versammlung war –
LEICESTER: Was kümmert’s mich!
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MORTIMER: Daß sich der Mörder
Dabei befunden –
LEICESTER: Das ist Eure Sache!
Verwegener! Was unterfangt Ihr Euch,
In Euren blut’gen Frevel m i c h zu flechten?
Verteidigt Eure bösen Händel selbst!
MORTIMER: So hört mich doch nur an.
LEICESTER in heftigem Zorn: Geht in die Hölle!
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Was hängt Ihr Euch, gleich einem bösen Geist,
An meine Fersen! Fort! Ich kenn Euch nicht!
Ich habe nichts gemein mit Meuchelmördern.
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MORTIMER: Ihr wollt nicht hören. Euch zu warnen komm ich,
Auch Eure Schritte sind verraten –
LEICESTER: Ha!
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MORTIMER: Der Großschatzmeister war zu Fotheringhay,
Sogleich nachdem die Unglückstat geschehn war,
Der Königin Zimmer wurden streng durchsucht,
Da fand sich LEICESTER: Was?
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MORTIMER: Ein angefangner Brief
Der Königin an Euch –
MORTIMER: Worin sie Euch auffordert, Wort zu halten,
Euch das Versprechen ihrer Hand erneuert,
Des Bildnisses gedenkt –
LEICESTER: Tod und Verdammnis!
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MORTIMER: Lord Burleigh hat den Brief.
LEICESTER: Ich bin verloren!
Er geht während der folgenden Rede Mortimers
verzweiflungsvoll auf und nieder.
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MORTIMER: Ergreift den Augenblick! Kommt ihm zuvor!
Errettet E u c h errettet s i e – Schwört Euch
Heraus, ersinnt Entschuldigungen, wendet
Das Ärgste ab! Ich selbst kann nichts mehr tun.
Zerstreut sind die Gefährten, auseinander
Gesprengt ist unser ganzer Bund. Ich eile
Nach Schottland, neue Freunde dort zusammeln.
An Euch ist’s jetzt, versucht, was Euer Ansehn,
Was eine kecke Stirn vermag!
LEICESTER: steht still, plötzlich besonnen: Das will ich.
Er geht nach der Türe, öffnet sie und ruft.
He da! Trabanten!
Zu dem Offizier, der mit Bewaffneten hereintritt.
Diesen Staatsverräter
Nehmt in Verwahrung und bewacht ihn wohl!
Die schändlichste Verschwörung ist entdeckt,
Ich bringe selbst der Königin die Botschaft.
Er geht ab.
MORTIMER steht anfangs starr für Erstaunen, faßt sich
aber bald und sieht Leicestern mit einem Blick der tiefsten
Verachtung nach:
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Ha, Schändlicher – Doch ich verdiene das!
Wer hieß mich auch dem Elenden vertrauen?
Weg über meinen Nacken schreitet er,
Mein Fall muß ihm die Rettungsbrücke bauen.
- So rette dich! Verschlossen bleibt mein Mund,
Ich will dich nicht in mein Verderben flechten.
Auch nicht im Tode mag ich deinen Bund,
Das Leben ist das einz'ge Gut des Schlechten.
Zu dem Offizier der Wache, der hervortritt, um ihn
gefangenzunehmen.
Was willst du, feiler Sklav der Tyrannei?
Ich spotte deiner, ich bin frei! Einen Dolch ziehend.
OFFIZIER: Er ist bewehrt – Entreißt ihm seinen Dolch!
Sie dringen auf ihn ein, er erwehrt sich ihrer.
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MORTIMER: Und frei im letzten Augenblicke soll
Mein Herz sich öffnen, meine Zunge lösen!
Fluch und Verderben euch, die ihren Gott
Und ihre wahre Königin verraten!
Die von der irdischen Maria sich
Treulos, wie von der himmlischen, gewendet,
Sich dieser Bastardkönigin verkauft –
OFFIZIER: Hört ihr die Lästrung! Auf! Ergreifet ihn.
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MORTIMER: Geliebte! Nicht erretten konnt ich dich,
So will ich dir ein männlich Beispiel geben.
Maria, heil’ge, bitt für mich!
Und nimm mich zu dir in dein himmlisch Leben!
Er durchsticht sich mit dem Dolch und fällt der Wache in
die Arme.
Zum Text
Friedrich Schiller (1759-1805): Maria Stuart, IV.4. Aus: Bibliothek deutscher Klassiker
(Bd. 5), Aufbau-Verlag Berlin/Weimar 1984.
Unterrichtsvoraussetzungen
Der Aufgabenvorschlag entspricht dem in den Rahmenrichtlinien als „verbindlich“ aufgeführten „Aufsatz mit produktionsorientierter Aufgabenstellung“. Er ist ausgelegt für eine dreistündige Überprüfung und sperrt sich einer Verkürzung für eine zweistündige
Klausur.
Das Drama ist als Gesamttext von der Klasse gelesen worden. Der historische Hintergrund ist bekannt. Handlung, Ort und Zeit, Konflikt und Konfliktparteien, einzelne Szenen
(u.a. III,4), die Figuren der beiden Königinnen nach Herkunft, Motivik, politischer Lage
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und Verhalten sind bereits besprochen worden, ohne in allen Fassetten erfasst zu sein.
Akt IV und V waren noch nicht Gegenstand des Unterrichts.
Wie ein Drama auf der Bühne realisiert wird – die Aufgabe von Regisseur, Darstellern,
Bühnen- und Kostümbildnern, Technikern usw. –, ist am Ende des Jahrgangs 9 anhand
einer Besprechung des „Hauptmanns von Köpenick“ (einschließlich Video) thematisiert
und anhand von Spielversuchen erprobt worden. Dass der Regisseur seine Anweisungen
aus der Verdeutlichung der Situation und der Anlage der Figur entwickelt, ist bekannt.
Erwartete Leistungen
Der „Regisseur“ sollte dem Darsteller zunächst die Situation erläutern, in welcher der
sich als Rolle befindet: Vorzimmer im Palast zu Westminster; Leicester glaubt sich in
seinem Doppelspiel mit den beiden Königinnen von Burleigh durchschaut und fürchtet,
dass ihm vorgeworfen wird, die Königin Elisabeth nach Schloss Fotheringhay gelockt zu
haben, um Maria den Triumph über Elisabeth und deren Demütigung zu ermöglichen;
mehr noch, sogar Drahtzieher des – fehlgeschlagenen – Mordanschlags auf Elisabeth zu
sein; er fürchtet ihre Rache. Leicesters Verdacht bestätigt sich vollends, als der flüchtige
Mortimer ihn vor Burleigh warnt, ihm als Beweis aus Marias entdecktem Brief an ihn Marias Heiratsversprechen zitiert und ihn auffordert, Maria zu retten. Leicester überlegt, wie
er sich retten kann. Er ruft überraschenderweise die Wache, um Mortimer als „Staatsverräter“ verhaften zu lassen. Damit kann er sich den gefährlichen Mortimer vom Halse
schaffen und steht als Entdecker einer Staatsverschwörung und als Retter Elisabeths da.
Mortimer durchschaut Leicesters niedrige Motive. Er tötet sich selbst.
Leicester befindet sich in einer lebensbedrohlichen Situation und versucht sich auf Kosten Mortimers zu retten. Existenzbedrohung und -angst, menschliche Skrupellosigkeit
und der rettende Schachzug treiben in dieser Szene einen Menschen zum charakterlichen Offenbarungseid.
Wie soll der Darsteller einen solchen Menschen im Spiel charakterisieren? Er erweist
sich hier als ehrgeiziger Emporkömmling, intrigant und machtlüstern, im Dilemma zwischen Elisabeth und Maria, trotz der Lebensangst kalt bilanzierend und berechnend,
skrupellos, schlau und egoistisch, über Leichen gehend. Entsprechend sollten die Erläuterungen für den Darsteller erfolgen und sich in Anweisungen hinsichtlich Sprechweise,
Stellung, Gang, Auftreten, Gestik und Mimik niederschlagen.
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Aufgabenbeispiel 6
Aufgabenart:
Szeneninterpretation und Figurencharakteristik mit produktionsorientierten Anteilen
Aufgabenstellung
Max Frisch: Andorra - Stück in zwölf Bildern
1.)
Stelle in knapper Form zusammen, was du über den Lehrer Can weißt.
2.a)
Ordne die Szene „Vordergrund“ (zwischen Bild 8 und 9, S. 77 f.) ebenfalls knapp
in den Handlungsverlauf ein!
2.b)
Verdeutliche die Reaktionen des Lehrers – vor allem auch sein jeweiliges Schweigen - , indem du seine Gedanken in kurze innere Monologe fasst!
2.c)
Erläutere diese inneren Monologe und erkläre damit die Bedeutung dieser Szene
für Cans Lebensweg!
3.)
Ist Can ein „Teufelskerl“ (4. Bild, S. 38) oder ein Versager?
Begründe dein Verhältnis zu dieser literarischen Figur!
Zum Text
Max Frisch: Andorra – Stück in zwölf Bildern. Bibliothek Suhrkamp. Frankfurt/Main 1961.
Die Aufgabenstellung setzt die Kenntnis des gesamten Werkes voraus, dessen Lektüre
die Rahmenrichtlinien für die Jahrgänge 9 und 10 empfehlen. Die Figur des zaudernden,
zerrissenen Lehrers ist die gebrochenste und damit vielleicht am schwierigsten zu beurteilende in dem Stück; ihre Beschreibung, Charakterisierung und Bewertung stellen damit, wenn sie angemessen erfolgen sollen, besondere Anforderungen an das differenzierende moralische Urteilsvermögen der Schülerinnen und Schüler.
Unterrichtsvoraussetzungen
Die Rahmenrichtlinien verlangen für den Jahrgang 10 einen „Aufsatz mit produktionsorientierter Aufgabenstellung“; diese Vorgabe wird in dem Aufgabenbeispiel verknüpft mit
der nicht verbindlichen „Interpretation eines ... dramatischen Textes (... evtl. im Zusammenhang des Gesamtwerks)“, verbunden mit der bereits aus Jahrgang 9 bekannten
„Personencharakteristik.“
Der erhöhte Anspruch dieser Aufgabenstellung liegt gerade in dieser ihrer Komplexität.
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Erwartete Leistungen
Teilaufgabe 1 setzt eine souveräne Textkenntnis voraus und das Vermögen, komplexere
Zusammenhänge sinnvoll zu ordnen und präzise zusammenzufassen.
Nach der knappen inhaltlichen Einordnung der Szene verlangt die Textarbeit in Teilaufgabe 2 nicht nur nach dem Erkennen des Wendepunkts für Can, sondern setzt mit den
produktionsorientierten Anteilen (die Aufgabenformulierung fordert Kenntnis der Mechanismen des inneren Monologs; sollten sie noch nicht erarbeitet worden sein, wäre die
Aufgabenstellung unschwer entsprechend zu ändern) auch noch ein subtileres Einfühlen
in die literarische Figur voraus; diese Empathie wie ihre sprachliche Umsetzung sind wesentliche Kriterien der Bewertung der Schülerleistung.
Entsprechendes gilt für die Bearbeitung der Teilaufgabe 3, die Extrempositionen benennt, zwischen denen eine differenzierte moralische Beurteilung gefunden werden soll.
Aufgabenbeispiel 7
Aufgabenart: Textgebundene Problemerörterung
Aufgabenstellung
1.
Benenne das Problem, zu dem die Autorin in dem vorliegenden Text Stellung
nimmt, und arbeite heraus, welche Auffassung sie vertritt und wie sie argumentiert.
2.
Überprüfe die Auffassung der Autorin und entwickle daraus eine eigene begründete
Stellungnahme.
Barbara Bondy: Schule und Gegenwelt [gekürzt]
Sechzehn-, Siebzehn-, Achtzehn-, Neunzehnjährige in der Schule; sie denken, auf eine
Kurzformel gebracht: "Warum soll ich meine Zeit mit Lesen verplempern, solange ich etwas Besseres zu tun habe?"
Das ist ein Ausgangspunkt. Diese Existenzform: am Tisch sitzen, allein, in der Stille, über
5
ein Buch gebeugt, die Augen wandern über die Seiten - diese Möglichkeit des Existierens
erscheint ihnen im genauen Sinn abwegig.
Man sage ihnen, kein Gymnasium, keine andere höhere Schule wäre zu bestehen ohne
Lesen, die meisten Fächer fielen in sich zusammen wie Kartenhäuser ohne Bücher, ohne
viele Bücher, kein Unterricht könne ihnen dieses Wissen in die Gehirne zaubern - sie lä-
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cheln, voll guten Willens. Unfähig zu formulieren, warum sie die Aufnahme von entschei-
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denden Inhalten verweigern, bleiben sie wie kleine Fesselballone angepflockt an ihre
Wünsche: durch soviel Welt zu treiben wie möglich.
Umgang mit Büchern also findet, freiwillig, nicht statt. Das irdische Vergnügen an der
Lektüre ist offensichtlich beendet. Sie lesen zuweilen, um Spannung und Ablenkung zu
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spüren; Bücher dienen dann als "Radiergummi fürs Gehirn", es gibt viele, die diese
Funktion restlos erfüllen. Unbekannt scheint der Wunsch, Zusammenhänge zu erfahren,
die die Zeiten gliedern, die Natur erschließen oder Kunst entstehen lassen.
Diese Jugendlichen sind Medienkinder. Am Fernsehen vor allem nehmen sie teil, meist
maßlos. Weniger um Inhalte aus Bildern zu lernen, Kenntnisse aus dieser Vermittlung zu
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ziehen, was als Anregung und Ergänzung zuweilen möglich wäre, sondern weil sie vor
dem Schirm Unlustgefühle verlieren. Das ist ihre Erfahrung. Sie werden auf die einfachste und handlichste Weise abgelenkt. Eine Unmenge Stoff drängt sich an, ein Spannungshöhepunkt folgt dem nächsten. Dem wiederum sinkenden Gefühl nach Programmende ist nur die gesteigerte Sucht des nächsten Tages entgegenzusetzen. Eine Abwehr
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findet nicht statt. Wo sollten sie die gelernt haben, vor allem, von wem? Das gleiche gilt,
versteht sich, für den Konsum aller anderen Medien auch, nur ist das Fernsehen quantitativ das entscheidende Erlebnis.
Die Folge: Ihre Köpfe sind besetzt.
Treffen sie dann, in der Schule beispielsweise, auf große Texte, deren Wesen unter an-
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derem darin besteht, daß der natürliche Rhythmus von steigender und sinkender Flut,
Lust und Lähmung, Fülle und Leere widerspiegelnd eingehalten wird, neigen sie zur Abwehr. Nicht die Sprache, nicht die Inhalte machen ihnen vor allem zu schaffen, sondern
die Abwesenheit von Dauerhöhepunkten, von geballten, starken Reizen.
Zum Text
Barbara Bondy: Schule und Gegenwelt. In: Süddeutsche Zeitung vom 16./17.10.1976.
Entnommen aus: Michael Krejci/Rudolf Schmitt: Texte erfassen beschreiben erklären erörtern. Buchners Verlag. Bamberg 1982.
Unterrichtsvoraussetzungen
In den Rahmenrichtlinien für den Jahrgang 10 werden für den Aufgabenbereich
„Sprechen und Schreiben“ eine Reihe konkretisierender Vorgaben gemacht. Eine davon
lautet: „textgebundene Erörterung mit Stellungnahme“.
Unter den vorgeschlagenen, wenn auch nicht als verbindlich deklarierten Aufgabentypen
für den Jahrgang 10 wird entsprechend angeführt: „Erörterung (dialektische Problemerörterung oder einfache textgebundene Erörterung)“.
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Mit der folgenden Beispielaufgabe soll eine Möglichkeit gezeigt werden, eine Erarbeitung
eines nicht zu schwierigen gedanklichen Textes mit einer textgebundenen Erörterung zu
verknüpfen.
In den vorangegangenen Unterrichtssequenzen sind die Anforderungen an die strukturierende Erarbeitung eines nichtfiktionalen Textes und an eine Erörterung eingehend behandelt worden. Insofern geht die Aufgabe über eine Lernkontrolle zum Abschluss einer
Unterrichtseinheit hinaus: Mehrere, im Jahresablauf an verschiedenen Stellen vollzogene Lerneinheiten des Jahrgangs 10 werden miteinander verknüpft. Bereits im vorangegangenen Jahrgang ist die Erörterung Gegenstand des Unterrichts und einer Lernkontrolle gewesen (in den Rahmenrichtlinien wird der Aufsatztyp „Erörterung“ für den Jahrgang 9 verbindlich vorgegeben). Im Jahrgang 10 werden die damals bereits vermittelten
Fertigkeiten wieder aufgegriffen und an Texten mit einem Schwierigkeitsgrad, der dem
Jahrgang angemessen ist, vertieft und verfestigt. Dazu gehören: die Fertigkeiten, einen
nichtfiktionalen Text - z. B. aus der Zeitung - im Hinblick auf die darin eingenommene
Position zu untersuchen, die Thesen, die zugehörigen Argumente und die Mittel, mit denen auf diesen Ebenen jeweils Plausibilität oder jedenfalls Wirkung erzeugt werden soll,
herauszuarbeiten.
Im ersten Halbjahr des Jahrgangs 10 haben die Schülerinnen und Schüler zudem Romane eigener Wahl vorgestellt und in diesem Zusammenhang unter anderem ihre Leseerfahrungen reflektiert, so dass auch inhaltliche Bezüge zum vorangegangenen Unterricht bestehen.
Durch die Formulierung der Teilaufgabe, die auf die Texterarbeitung zielt, soll zum Ausdruck kommen, dass die Anforderungen der Texterarbeitung mit einem paraphrasierenden Vorgehen nicht erfüllt werden können.
Der Arbeitsauftrag zur Erörterung soll dazu anhalten, sich mit dem weiter auseinander zu
setzen, was zuvor erarbeitet worden ist, also an die differenzierte Argumentation anzuknüpfen. Damit soll die Chance erhalten werden, dass die Schülerinnen und Schüler in
der Differenziertheit und im Anspruch ihrer eigenen Argumentation nicht oder nicht zu
weit zurückfallen.
Erwartete Leistungen
Als Problem, zu dem Stellung bezogen wird, könnte das Leseverhalten Jugendlicher genannt werden, insbesondere die Frage, unter welchen Bedingungen Jugendliche noch
lesen.
Zentrale These: In der Gegenwart lesen Jugendliche nicht freiwillig Bücher, ausgenommen lediglich solche, die Spannung oder Ablenkung bringen sollen.
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Diese These wird verknüpft mit weiteren Thesen, die zugleich als Argumente für die
zentrale These dienen sollen: Das Verhalten der Jugendlichen sei durch das Medium
Fernsehen geprägt, das in hohem Maße Jugendliche anziehe. Dies wird mit den Argumenten begründet, dass das Fernsehen durch das dichte Aufeinanderfolgen von Spannungshöhepunkten Ablenkung biete und Unlustgefühle verlieren lasse. Dadurch – so ein
weiteres Argument, das als Behauptung stehen bleibt – werde eine Sucht hervorgerufen.
Eine Abwehr der Jugendlichen gegen diese Erscheinungsformen sei denkbar. Allerdings
finde nur die Abwehr gegen Texte statt, in denen eine Ballung der Reize ausbleibe.
Als weitere Bestandteile des Argumentationsganges können folgende Behauptungen genannt werden, die nicht eigens belegt werden und daher den Charakter von Thesen tragen:
Bedeutende Texte, deren Behandlung unter anderem Aufgabe der Schule ist, seien –
anstelle der Folge von Spannungshöhepunkten – durch einen wechselnden Verlauf der
Spannungskurve gekennzeichnet.
These: Abwehr gegen die andere Erscheinungsform sei nicht gelernt worden und finde
daher auch nicht statt. Diese These erweist sich daher als eine Prämisse, es wird von
(unausgesprochenen) grundlegenden Annahmen über den Menschen ausgegangen.
Eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen.
Besonders hoch einzuschätzen wären solche Ansätze, die bereits das zugrunde liegende
Menschenbild als diskussionsbedürftig erkennen. Dies ist im Jahrgang 10 nur in Ausnahmefällen auf dem Wege einer ausdrücklichen abstrakten Benennung dieser Ebene
zu erwarten. Doch werden leistungsfähige Schülerinnen und Schüler durchaus erkennen,
dass es nicht selbstverständlich ist, pauschal die Jugendlichen so zu kennzeichnen, dass
sie ständig die dichte Aufeinanderfolge von Spannungshöhepunkten suchen.
Weitere Anknüpfungspunkte: Die fehlende Differenzierung der Autorin und damit die
Verallgemeinerung, die die Unterstellung enthält, alle Jugendlichen verhielten sich so,
wie es im Text behauptet wird. In diesem Zusammenhang kann im einzelnen die Richtigkeit der Teilbehauptungen geprüft werden, etwa
–
die Wirkung des Fernsehens auf Jugendliche,
–
dass die Jugendlichen an der von der Autorin zugestandenen möglichen bildenden,
Kenntnisse erweiternden Funktion des Fernsehens kaum interessiert seien,
–
dass Lesen nur noch der Ablenkung diene.
Ein wesentlicher Ansatz zur Auseinandersetzung liegt darin, die eigene Leseerfahrung
einzubeziehen.
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Aufgabenbeispiel 8
Aufgabenart: Strukturierende Inhaltsangabe mit Stellungnahme
Aufgabenstellung
1.
Fasse den folgenden Zeitungsartikel in einer Inhaltsangabe zusammen, in der du
auch den Argumentationsgang und die Intention des Autors aufzeigst.
2.
Verfasse in Form eines Leserbriefs eine Stellungnahme zu diesem Artikel.
Ekkehard Böhmer: Schrille Schmierer [gekürzt]
Die Deutsche Bahn AG hat den Kampf offenbar aufgegeben: Ob Eilzug, Interregio oder
S-Bahn - kaum ein Zug, in dem nicht Wagen mit bunten Spraybildern oder Krakelzeichen
versehen durch die Gegend führen. Aufgegeben hat offenbar auch so mancher Hausbesitzer: Wozu noch die Hauswand mit frischer Farbe überpinseln lassen, wenn sie ein paar
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Tage später doch schon wieder mit neuen Zeichen überdeckt ist. Die Stadt Hannover ist
längst davon abgekommen, Graffiti an öffentlichen Gebäuden ... sofort wieder entfernen
zu lassen. Einzig das hannoversche Verkehrsunternehmen Üstra lässt noch die Reinigungskolonnen anrücken. Das kostet dann auch eine halbe Million Mark im Jahr.
Warum die Graffiti auch entfernen lassen, entrüsten sich die jungen Leute, die sie an-
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bringen. Sie seien doch Kunst, und mehrere Museen hätten sich ihrer in Ausstellungen
schon angenommen. Es gibt auch Erwachsene, die diese Ansicht vertreten. Von einer
neuen Form der Jugendkultur ist da die Rede, und vom seelenlosen Beton der Städte,
die es in frohen Farben menschlicher zu gestalten gelte. Wessen Haus es trifft, spricht
prosaischer von Schmierereien, und für das Strafgesetzbuch ist der Tatbestand der
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Sachbeschädigung erfüllt...
Kunst oder Schmiererei? Ganz so eindeutig kann die Antwort auf diese Frage nicht ausfallen. Graffiti sind auch keinesfalls etwas Neues. Über das Alltagsleben im antiken Pompeji beispielsweise wüssten wir viel weniger, wenn nicht damals schon die Häuserwände
als Informationsträger genutzt worden wären. Aber womit wir es heute zu tun haben, das
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ist doch nach Qualität und Quantität etwas anderes. ...
Diese Graffiti sind aus Amerika gekommen und wurden dort von sozial benachteiligten
Jugendlichen aus einer Protesthaltung heraus geschaffen. Hier sind die Maler meist der
Hip-Hop- und Rapmusik-Szene zuzurechnen. Und es geht auch nicht um eine Kunst allein um der Kunst willen. Mindestens so stark lockt der Reiz des Verbotenen, und so sind
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auch bisher alle Versuche von Städten und Verkehrsunternehmen gescheitert, die Verbreitung der Graffiti dadurch einzudämmen, dass man den Malern Freiflächen zur Verfü-
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gung stellt. „Anerkennung findet man als Künstler nur“, hat ein Angehöriger der Szene
gesagt, „wenn man illegal sprayt.“
Dass es echte Graffiti-Künstler gibt, ist keine Frage, und dass die Museen sie ausstellen,
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ist auch berechtigt. Diese Kunst ist in der Tag eine Ausdrucksform des industriellen Zeitalters. Man arbeitet in Kolonnen: einer fertigt Skizzen an und entwirft Umrisse, fürs „Grobe“, die Ausfüllung, sind dann andere zuständig. Die Farben sind vorgefertigt ... Und
auch die Ergebnisse dieser Kunst sehen weitgehend gleichförmig aus - selbst wenn Angehörige der Szene diese Behauptung wohl nicht unterschreiben würden ...
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Und genau hier fangen die Probleme mit dieser Kunst im öffentlichen Raum an. Sie überzieht das Land mit einem Einheitsbrei - von Flensburg bis Konstanz. Mögen es Eisenbahnwagen und -stationen sein, Klinkerbauten oder Betonwände, Jugendstilhäuser oder
historische Denkmäler, warm verputzte Wände oder Glasscheiben - die Graffiti machen
alles gleich, ihrer Aufdringlichkeit kann der Blick nicht ausweichen, sie bestimmen das
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Gesicht eines Gebäudes bis hin zur massiven Vergewaltigung von Architektur. Und neben den Bildern tun dies vor allem die „tags“, jene Krakeleien, die einmal Signierzeichen
und Reviermarkierungen waren, heute aber meist zum puren Schmierdilettantismus entartet sind.
Dass der Sinn für Stadtästhetik dadurch beleidigt wird, dass Buntsandstein und Natur-
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stein unwiderruflich geschädigt werden, weil die Farben in die Poren einziehen, das
scheint nicht zu interessieren. Er könne die Meinung anderer überhaupt nicht verstehen,
hat ein ertappter Graffiti-Maler gesagt. Und das ist es wohl. Hier offenbart sich eine
Mentalität der Rücksichtslosigkeit und des Egozentrismus: Ich will, dass du mich zur
Kenntnis nimmst, und ich lasse dir keine Wahl, weil ich dir (ästhetisch) eine aufs Auge
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knalle! Und wenn alles nichts hilft, kann man die „tags“ ja immer noch in die Fenster von
Geschäften und Bahnen einritzen.
Insofern ist die Graffiti-Malerei wohl nur ein Teil weit schlimmerer Probleme, die uns derzeit plagen.
Zum Text
Ekkehard Böhmer: Schrille Schmierer. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom
26.05.1994 (gekürzt).
Unterrichtsvoraussetzungen
Für den Jahrgang 10 ist der Umgang mit Sachtexten (u.a. informierende, appellierende
Texte) ein verbindlicher Unterrichtsinhalt. Die Zusammenfassung nicht zu schwieriger
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gedanklicher Texte sowie die textgebundene Erörterung mit Stellungnahme sollen geübt
werden.
Die vorliegende Aufgabe bezieht sich auf entsprechende Unterrichtseinheiten. Eine inhaltliche Vorbereitung des Themas ist nicht erforderlich, da der Text wichtige Informationen vermittelt. Die Schülerinnen und Schüler können aus ihrer persönlichen Erfahrung
diese Informationen ergänzen.
Das Schreiben von Leserbriefen wurde im Unterricht geübt.
Erwartete Leistungen
Zu Aufgabe 1
Die Inhaltsangabe muss in der indirekten Rede verfasst sein. In der Einleitung werden
Verfasser und Titel genannt sowie das Thema des Textes definiert („Kunst oder Schmiererei?“). Die Inhaltsangabe sollte den Aufbau des Textes deutlich machen: Beginn mit
einer anschaulichen Einführung ins Thema, Stellen der Themafrage, Verweis auf ein historisches Beispiel und Erläuterungen in Bezug auf Herkunft und Anfertigungsweise der
Graffiti, Hinführung zur These („Einheitsbrei“) und Erweiterung der Kritik („Egozentrismus“), darauf aufbauende Schlussfolgerung (letzter Absatz). Die Güte der Arbeit zeigt
sich an den Fähigkeiten der Verfasser zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu trennen,
Argumente, Erläuterungen und Beispiele zu unterscheiden, die im Text berücksichtigten
Gegenargumente zu erkennen.
Zu Aufgabe 2
Der Leserbrief sollte sich auf zwei Aspekte beziehen: Der Verfasser argumentiert relativ
einseitig, obwohl er Gegenargumente berücksichtigt. Die Schülerinnen und Schüler können sich mit seiner Sprache kritisch auseinander setzen. Außerdem ist eine Stellungnahme zur Themafrage gefordert. Eine gute Arbeit dürfte darüber hinaus auch auf die
weiterführende These (Rücksichtslosigkeit und Egozentrismus) eingehen.
Im Leserbrief wird keine textgebundene Erörterung erwartet, sondern eine Meinungsäußerung.
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Aufgabenbeispiel 9
Aufgabenart: Strukturierende Inhaltsangabe mit Stellungnahme (Verfassen einer Rede)
Aufgabenstellung
Die Diskussion über die Einführung von Entwicklungsberichten hält weiter an. Es ist
möglich, dass über kurz oder lang auch Gymnasien in solche Überlegungen einbezogen
werden.
Stelle dir vor, das Thema „Einführung von Lernentwicklungsberichten“ sei Tagesordnungspunkt der nächsten Schülerratssitzung. Du hast die Aufgabe, alle Mitglieder des
Schülerrats auf der Grundlage des vorliegenden Zeitungsartikels über den Sachverhalt
und die im Artikel angeführten Argumente zu informieren und anschließend eine engagierte Stellungnahme vorzutragen.
Du kannst selbst entscheiden, ob du für Lernentwicklungsberichte oder für die Beibehaltung der Zeugnisnoten sprechen willst.
Aufgabe: Verfasse einen ausformulierten schriftlichen Entwurf für deine Rede vor dem
Schülerrat auf Grundlage des Zeitungsartikels „Entwicklungsberichte statt Noten - Pläne
für Grund- und Hauptschulen sowie Orientierungsstufen.“
Niedersachsen will mit Beginn des nächsten Schuljahres Lehrern an mehreren Schultypen Alternativen zu den Zeugnisnoten anbieten.
Anstelle der Noten können an Grund- und Hauptschulen sowie an Orientierungsstufen
Lernentwicklungsberichte für die Schüler geschrieben werden.
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Das kündigte am Donnerstag der Sprecher des Kultusministeriums in Hannover, HeinzGunter Morell, an. Realschulen und Gymnasien sind von dem Angebot ausgeschlossen.
Bei Hauptschulen gilt es bis einschließlich der achten Klasse.
Lernentwicklungsberichte würden bisher an Gesamtschulen bereits seit rund 20 Jahren
angewendet. Voraussetzung für das Alternativmodell sei an jeder Schule, dass die Ge-
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samtkonferenz der Lehrer sowie Eltern- und Schülervertretung zustimmen, sagte Morell.
Die CDU-Landtagsfraktion forderte die SPD-Landesregierung auf, den geplanten Erlass
zurückzuziehen. Nach Ansicht ihres bildungspolitischen Sprechers, Horst Horrmann, ist
die Vergleichbarkeit der Leistungen von Schülern untereinander ohne Noten nicht mehr
gegeben. Auch der Landesverband der FDP hält Noten für besser. Der Schulexperte der
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SPD-Landtagsfraktion, Eckhard Fasold, nannte die Kritik unverständlich. Die Maßnahme
sei Teil der Bemühungen der Landesregierung, die Eigenverantwortlichkeit der Schulen
zu erhöhen.
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Auch bei Eltern- und Lehrerverbänden ist der Erlassentwurf umstritten. Der Landeselternrat stimmte nach eigenen Angaben erst zu, als ihm Veto-Rechte für die Elternvertreter
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zugestanden wurden. „Die meisten Schulen werden trotzdem weiterhin Noten in die
Zeugnisse schreiben“, sagte Landeselternratssprecher Jürgen Werner. Noten seien aussagekräftiger, könnten von Eltern besser gelesen werden und machten nicht so viel Arbeit wie Berichte.
„Lernentwicklungsberichte können besser auf Leistungen der einzelnen Schüler eingehen
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und sind daher pädagogisch sinnvoller“, begründete dagegen Ministeriumssprecher Morell das Angebot. Eine Ziffer auf dem Zeugnis sage wenig über die Entwicklung eines
Schülers über ein ganzes Jahr aus.
Der Philologenverband Niedersachsen hielt dagegen: „Hier ist eine große Kluft zwischen
Anspruch und Wirklichkeit“, betonte Geschäftsführer Rainer Starke. Bei Klassen mit rund
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30 Schülern könnten die Lehrer nicht individuell für jeden einen Bericht schreiben.
Zwangsläufig würde auf standardisierte Texte zurückgegriffen.
Zum Text
Der Artikel stammt aus der Braunschweiger Zeitung vom 15. Dezember 1995.
Unterrichtsvoraussetzungen
Für den Jahrgang 10 ist der Umgang mit Sachtexten (u.a. informierende, appellierende
Texte) ein verbindlicher Unterrichtsinhalt. Die Zusammenfassung nicht zu schwieriger
gedanklicher Texte, die textgebundene Erörterung mit Stellungnahme sowie das Vorbereiten und Vortragen eines Referats sollen geübt werden. Die vorliegende Aufgabe bezieht sich auf entsprechende Unterrichtseinheiten.
Eine inhaltliche Vorbereitung ist nicht erforderlich, da der Text die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler direkt berührt. Formen der Rede sollten im Unterricht behandelt
worden sein.
Erwartete Leistungen
Der Entwurf muss sich deutlich in zwei Abschnitte gliedern: Bericht und Stellungnahme.
Die Schülerinnen und Schüler sollen zeigen, dass sie bestimmte Muster z.B. der Publikumsansprache verwenden können. Die Rede braucht eine Einleitung und eine Schlussbemerkung, der Übergang vom berichtenden Teil zur Stellungnahme sollte möglichst
geschickt vorgenommen werden. Der Adressatenbezug der Rede muss erkennbar sein.
Die Einleitung kann die Information über die mögliche Einführung von Lernberichten an
Gymnasien berücksichtigen. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Zeitungsberichts für
die Zuhörerinnen und Zuhörer.
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Der berichtende Teil der Rede muss folgende Aspekte enthalten:
–
Absichtserklärung der Landesregierung und die Bedingungen für die Einführung von
Lernberichten;
–
Argumente für die Lernberichte: bessere Darstellung der einzelnen Schülerleistungen, eigenverantwortliche Entscheidung der Schulen für oder gegen Lernberichte;
–
Argumente gegen die Lernberichte: mangelnde Vergleichbarkeit der Leistungen, höhere Aussagekraft von Noten, höherer Arbeitsaufwand der Lehrkräfte, zwangsläufige
Standardisierung auch der Lernberichte;
–
Darstellung der Befürworter (Landesregierung, SPD-Fraktion), Gegner (CDU, FDP,
Philologenverband, weitgehend der Landeselternrat).
Eine gute Darstellung gliedert die Argumente nach Aspekten wie Sinn der Lernberichte,
Aussagekraft, Arbeitsaufwand.
Falls dies nicht schon in der Einleitung erwähnt wurde, müsste jetzt die Information über
die mögliche Einführung von Lernberichten an Gymnasien gegeben werden.
In der Stellungnahme kann geschickt darauf verwiesen werden, dass der Zeitungsartikel
keine Informationen über Reaktionen von Schülerseite enthält. Daran kann sich eine
Überlegung über die Bedeutung der Noten für Schülerinnen und Schüler anschließen.
Die Stellungnahme sollte Argumente aus dem Zeitungsartikel aufgreifen und durch Erläuterungen, z.B. eigene Erfahrungen, unterstützen oder abschwächen. Es können auch
neue Argumente gefunden werden. Die Art der Einführung (bis zum Schuljahrgang 8 und
dann nur für Hauptschulen) kann außerdem kritisiert werden. Wichtig ist, dass die Verfasserin oder der Verfasser sich auch den Argumenten stellt, die dem eigenen Standpunkt entgegen stehen. Eine gute Arbeit baut die Stellungnahme schlussfolgernd auf.
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