Macht Werbung dick? - ernährungs umschau

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Macht Werbung dick? - ernährungs umschau
In der Diskussion
Macht Werbung dick?
Einfluss der Lebensmittelwerbung auf Kinder und Jugendliche1
Joerg M. Diehl, Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen
Erhebungen in Deutschland wie in anderen westlichen Industrieländern lassen keine Zweifel mehr zu, dass die Prävalenz von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen im letzten
Jahrzehnt beständig angestiegen ist und inzwischen – speziell in
den unteren Sozialschichten – Ausmaße einer „Epidemie“ angenommen hat [5, 17, 23, 27, 39, 42, 44]. Übergewicht und Adipositas stellen jedoch nicht nur ein ästhetisches Problem (für die Betroffenen
und deren Umgebung) dar, sondern sie erhöhen z. T. deutlich das Risiko für eine große Anzahl von Krankheiten, deren spätere Behandlung das Gesundheitssystem mit erheblichen Kosten belastet. Daher
drängt sich mehr denn je die Frage auf, welche Faktoren als ursächlich für die Verbreitung der jugendlichen Fettleibigkeit anzusehen
sind und wie deren Bekämpfung am effektivsten zu gestalten ist.
Einleitung
Ein Kind wird „dick“, wenn es „zu viel
isst“, d. h. dauerhaft mehr Energie zuführt als es verbraucht [12]. Als Schuldige für das verbreitete Überessen im
jüngsten Bevölkerungsteil kommen
drei Gruppen in Betracht: die Kinder
und Jugendlichen selbst, ihre Eltern
oder ihre Umwelt. Da das Verhalten
speziell von Kindern jedoch noch
stark durch Personen und Einflüsse
aus ihrer Umgebung geprägt ist, stellt
sich hier primär die Frage, welche Verantwortung den Einflussfaktoren außerhalb des Kindes für dessen falsche
Ernährungsgewohnheiten zukommt.
Die Lebenswelt von Kindern und
Jugendlichen ist in der heutigen Zeit
in hohem Ausmaß von Waren, deren
Aneignung und deren Verbrauch geprägt. Wenn in diesem Zusammenhang die Frage auftaucht, warum die
junge Bevölkerungsgruppe bestimmte (möglicherweise ungünstige) Konsumgewohnheiten an den Tag legt, ist
es naheliegend anzunehmen, dass das
Verhalten in mehr oder minder großem Umfang durch die Hersteller und
Anbieter der Waren und insbesondere
durch die massive Bewerbung ihrer
Produkte determiniert ist.
1
Überarbeitete Fassung eines Vortrags anlässlich der
BLL-Jahrestagung „Lebensstil und Gesundheit – Ernährung und Bewegung“ am 29. April 2004 in Berlin
40
Der Nahrungs- und Genussmittelsektor stellt hier keine Ausnahme dar. Der
erwachsene wie der jugendliche Konsument sieht sich einer bereits unüberschaubaren Anzahl von (meist
wohlschmeckenden) Produkten gegenüber, die ihm – durch ihre schiere Existenz, mehr noch jedoch durch
die begleitenden Werbemaßnahmen –
zum Verzehr anempfohlen werden.
Aus diesem Grunde ist es psychologisch verständlich, wenn Verbraucherschützer und Gesundheitspolitiker zu
dem (schnellen) Schluss gelangen,
dass viele Kinder deshalb zu viel und
so viel Falsches essen, weil ihnen die
Nahrungsmittelhersteller dies ständig
in ihrer Werbung nahe legen.
Die Überzeugung „Die Werbung ist
schuld“ – begleitet von dem Glauben,
dass Kinder und Jugendliche den Aufforderungen dieser Macht keinen Widerstand entgegen bringen können
und alles ausführen bzw. essen und
trinken, was ihnen ans Herz gelegt
wird – führt dann nicht ohne Logik zu
der Forderung, die als verderblich erkannte Herstellung und Bewerbung
bestimmter Food-Produkte zu reglementieren oder gar ganz zu verbieten:
„Ulrike Höfken von Bündnis 90/Die
Grünen sieht dagegen die Ernährungsindustrie als Mitverantwortliche.
Sie hob hervor, dass die Politik nicht
billigend in Kauf nehmen werde, wenn
Menschen mit Cola und Hamburgern
,krepieren‘.“ [27]
„Ferner sollte die Werbung für solche Produkte, die insbesondere bei
Kindern gesundheitsschädliche Wirkungen mit sich bringen, wie z. B.
Süßigkeiten, Tabakwaren und alkoholische Produkte, ganz eingestellt werden.“ [4]
Der Gedanke, mit einem Verbot der
Werbung für bestimmte „schädliche“
Nahrungs- und Genussmittel das Problem der vielen „dicken Kinder“ entscheidend eindämmen zu können, ist
nicht ohne Faszination. Er bietet zudem den Vorteil, dass die Eltern der
Kinder (und auch Letztere selbst) aus
einer möglichen Mithaftung am Übergewicht des Nachwuchses entlassen
werden können.
Aber selbst ein Nachdenken über
wie immer geartete Werbebeschränkungen setzt – sofern gesellschaftspolitisches Handeln und Entscheiden
auf rationaler Basis erfolgen soll – eigentlich voraus, dass für die angenommene negative Wirkung der FoodWerbung ausreichend empirisch-wissenschaftliche Evidenz vorliegt. Dies
ist jedoch keineswegs der Fall. Die Frage, ob die unter Alltagsbedingungen
stattfindende Werbung für Nahrungsund Genussmittel entscheidend für
die Ausbreitung des Übergewichts unter Kindern und Jugendlichen (mit-)
verantwortlich ist, ist nämlich bisher
Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
In der Diskussion
weder ausreichend untersucht noch
beantwortet worden.
Um sich einer (endgültigen) Antwort auf die allgemeine Frage „Macht
Werbung dick?“ (d. h. verleitet die
Food-Werbung Kinder dazu, ständig
mehr zu essen, als sie benötigen) zu
nähern, bedarf es der Untersuchung
einer Reihe von Vorfragen und -stufen:
Welche Art von Werbung ist primär gemeint und von Interesse: Werbung im
Fernsehen, in Print-Medien, am POS?
In welchem Umfang sind Kinder und
Jugendliche dieser Werbung ausgesetzt? Für welche Art von Food-Produkten wird in welchem Ausmaß geworben? Welche Kriterien der Werbewirkung sollen herangezogen werden?
Die erste Frage ist dabei relativ
schnell beantwortet. Der von Kritikern
behauptete schädliche Einfluss bezieht sich fast ausschließlich auf die
Food-Werbespots im Fernsehen, nicht
zuletzt, weil im Vergleich dazu in den
(von Kindern und Jugendlichen rezipierten) Print-Medien relativ wenig
Lebensmittelwerbung enthalten ist.
Auch Kinder erleben Werbung hauptsächlich über das Fernsehen. So gaben
auf die Frage „Woher kennst du Werbung?“ 95 % der Kinder dieses Medium an (und nur jeweils 7 % Zeitungen
und Zeitschriften) [45].
Dass die jugendlichen Konsumenten am besten über das Fernsehen zu
erreichen (und über andere Medien
nur wenig beeinflussbar) sind, zeigt
sich auch in dem Sachverhalt, dass im
Jahr 2002 vom Bruttowerbeaufwand
der Schokolade- und Süßwarenhersteller (582 Mio. €) 91 % in die TV-Werbung geflossen sind [22]. Die Untersuchung der Wirkung von Food-Wer-
bung kann sich somit auf die Analyse
der Nahrungs- und Genussmittelwerbung im Fernsehen konzentrieren.
Fernsehgewohnheiten von
Kindern und Jugendlichen
Das Ausmaß der im Fernsehen zulässigen Werbung ist in Deutschland gesetzlich geregelt. Dabei sind den
durch Gebühren finanzierten Sendern
(dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ARD und ZDF) relativ starke Beschränkungen auferlegt: Keine Werbung an Sonntagen und bundesweiten Feiertagen sowie nach 20 Uhr.
Werktags sind (im Jahresdurchschnitt)
höchsten 20 Minuten Werbung zulässig, pro Stunde höchstens 12 Minuten.
In den dritten Programmen darf keine
Werbung gesendet werden. Erwartungsgemäß unterliegen die (werbefinanzierten) Programme privater Sender geringeren Einschränkungen. Hier
wird lediglich verlangt, dass die Werbung nicht mehr als 20 % der täglichen
Sendezeit ausmacht und 12 Minuten
pro Stunde nicht übersteigt [31].
Aus diesen unterschiedlichen Auflagen lässt sich ableiten, dass Kinder,
die überwiegend das erste, zweite
oder gar ein drittes Programm einschalten, nur in geringem Umfang der
Fernsehwerbung ausgesetzt sind,
während mit dem Verfolgen von Sendungen in privaten Kanälen wesentlich mehr Kontakte mit Werbe- und
damit auch Food-Spots einhergehen.
Weiterhin gilt: Ein Kind, das täglich
viel (bei Privaten) fernsieht, ist mehr
Werbung ausgesetzt als ein Kind, das
wenig Zeit vor dem Fernseher verbringt.
Abb. 1: Durchschnittlicher täglicher Fernsehkonsum verschiedener Altersgruppen in Ost- und Westdeutschland im Jahr 2003
(senkrechte Achse: in Minuten; Zahlenreihen: in Stunden) [7, 12]
Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
Zur Abschätzung des Ausmaßes von
Werbekontakten bei Kindern und Jugendlichen sind deshalb Daten zum
täglichen Fernsehkonsum sowie zu
den von ihnen präferierten TV-Sendern von Interesse. Abbildung 1 zeigt
hier die durchschnittliche tägliche
Sehdauer in Abhängigkeit vom Alter.
Es wird zum einen deutlich, dass
selbst jüngere Kinder einen nicht
unerheblichen Teil ihrer Zeit vor dem
Fernsehgerät verbringen; für viele ist
fernsehen zur liebsten Freizeitbeschäftigung geworden. Zum anderen
aber lässt sich feststellen, dass die vielgescholtene junge Generation im Vergleich zu ihren „Vorbildern“ eine fast
schon verantwortungsbewusste Mediennutzung an den Tag legt. „Fernsehen bis der Arzt kommt“ ist eher für
ihre Eltern und Großeltern charakteristisch.
Auch die wiederkehrende Behauptung, mit dem Fernsehkonsum von
Kindern und Jugendlichen sei es in
den letzten Jahren „immer schlimmer“ geworden, hält einer Konfrontation mit den Fakten nicht stand. Abbildung 2 zeigt, dass auf sämtlichen Stufen des Kindesalters die tägliche Sehdauer seit 1992 erstaunlich konstant
geblieben ist. Das in diesem Zeitraum
permanent angestiegene Übergewicht
bei Kindern kann somit nicht mit dem
Fernsehkonsum in Korrelation gebracht werden. Eine stetige Zunahme
der Sehdauer ist nur bei Personen „ab
14“ festzustellen, wobei hier der Zuwachs primär auf das Fernsehverhalten der älteren Generation zurückgeht.
In der Gunst der Kinder und Jugendlichen liegen die Privatsender ein-
Abb. 2: Entwicklung der durchschnittlichen täglichen Sehdauer
(min) in verschiedenen Altersgruppen von 1988 bzw. 1992 bis
2003 [12, 32]
41
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deutig vor den öffentlich-rechtlichen
Programmen. Abbildung 3 macht dies
deutlich. In einer von uns 2003 durchgeführten Erhebung an 1 720 Schülern
allgemein- und berufsbildender Schulen (Alter: 11–18 Jahre) hatten diese
die Rangplätze 1 bis 5 für die von ihnen am liebsten gesehenen Sender
anzugeben. Die beliebtesten Programme stammen sämtlich von privaten
Anbietern, während ARD, ZDF oder
gar ein drittes Programm nur selten
unter den „ersten Fünf“ genannt wurden. Diese auch in anderen Studien
berichtete Bevorzugung der privaten
Programme bedeutet, dass Kinder,
wenn sie fernsehen, auch der umfangreichen Werbung in Privatsendern
ausgesetzt sind.
Art und Umfang
der Food-Werbung
Für eine Analyse der (primär) an Kinder und Jugendliche gerichteten Nahrungs- und Genussmittelwerbung
sind die von Privatsendern am Wochenende ausgestrahlten Programme
von besonderem Interesse, da hier die
Sendungen zumindest an den Vormittagen speziell auf das junge Publikum
zugeschnitten sind. Eine 1999 vorgenommene Auswertung der Wochenendsendungen von RTL zeigte, dass
die an Kinder gerichtete Food-Werbung – entsprechend dem o. g. umfangreichen Werbeetat der Süßwarenindustrie – von Spots für Süßigkeiten
PRO 7
RTL
RTL 2
und Süßspeisen dominiert wird [8].
Insgesamt waren für die von der Werbung zum Verzehr empfohlenen Nahrungs- und Genussmittel drei Eigenschaften typisch: Es waren überwiegend Snackartikel, die spontan zwischen den festen Mahlzeiten konsumiert werden sollten, und es handelte
sich um Produkte, die in der Regel einen hohen Zucker- und/oder hohen
Fettgehalt aufwiesen.
Eine für den Ernährungsbericht
2000 vorgenommene Analyse der an
Kinder gerichteten Food-Werbung
brachte ähnliche Ergebnisse: Die
meisten Spots bewarben Süßwaren,
gefolgt von Spots für Zerealien, Fast
Food und salzige Snacks [35]. Die für
die deutschen Privatsender festgestellte Art der Nahrungs- und Genussmittelwerbung unterscheidet sich dabei
praktisch nicht von der aus anderen Industrieländern beschriebenen
Food-Werbung [18, 20, 26, 33, 41].
Die beim Fernsehen auf das Kind
eindringende Anzahl von Werbespots
für Nahrungs- und Genussmittel kann
teilweise erheblich sein. Die Auswertung von 1999 zeigte, dass bei RTL innerhalb einer Stunde bis zu 20 FoodSpots ausgestrahlt werden [8]. Angesichts dieses Umfangs an Werbung sowie der Art der beworbenen Produktpalette verwundert es nicht, dass an
der Food-Werbung von Seiten der Ernährung- und Gesundheitserziehung
seit längerem mehr oder minder heftige Kritik geübt wird.
SAT 1
ARD
ZDF
Lesebeispiel: 42 % sahen am liebsten PRO7, 20 % gaben SAT1 als drittliebsten
Sender an, während das ZDF bei 90 % der Befragten nicht unter den fünf beliebtesten Sendern genannt wurde.
Abb. 3: Beliebtheit verschiedener TV-Programme bei 11- bis 18-Jährigen. Anzugeben
war, welches Programm am »liebsten« [1], »zweitliebsten« [2] usf. gesehen wurde.
42
Diese Kritik richtet sich dabei nicht
gegen einzelne Produkte eines bestimmten Herstellers, sondern gegen
den Eindruck und die Wirkung der Gesamtheit der gesendeten Food-Spots.
In ihrer schwächeren Form bemängeln die Vorwürfe, dass nicht genügend für empfehlenswerte und „gesunde“ Lebensmittel und Ernährungsweisen geworben werde. Schärfer formuliert lautet die Kritik, dass die
Food-Werbung fast ausschließlich
„ungesunde“ Lebensmittel propagiere, die den Kindern und Jugendlichen, die sie aufforderungsgemäß
konsumieren, letztlich schaden würden.
Bei einer Diskussion dieser Vorwürfe und möglicher Entgegnungen
scheint es sinnvoll zu berücksichtigen,
dass das kritisierte Gesamtbild der
Food-Werbung keinen einzelnen Verursacher oder Verantwortlichen hat
und es somit auch keine intendierte
Gesamtwirkung – im Sinne der „Empfehlung“ einer mehr oder minder gesunden Ernährungsweise – gibt. Die
Food-Werbung ist das (letztlich unkoordinierte) Produkt einer Vielzahl von
meist konkurrierenden Herstellern.
Und als weiterer Aspekt sollte berücksichtigt werden, dass die Food-Werbung – wie die zitierten Analysen zeigen – primär Produkte bewirbt, die
vom jugendlichen und erwachsenen
Konsumenten nicht unter dem Aspekt
der „Ernährung“ gesehen, sondern zu
Genusszwecken gegessen oder getrunken werden.
Das Gros der Food-Werbespots
empfiehlt somit primär den Verzehr
bestimmter „Genussmittel“ (in für Genussmittel geeigneten Konsumsituationen und -mengen) – es wird nicht
versucht, die gezeigte Produktpalette
als irgendwie geeignete GesamtErnährungsweise darzustellen. Dabei
ist natürlich nicht zu bestreiten, dass
ein bestimmter Anteil von Kindern
und Jugendlichen angesichts der Vielzahl von Spots z. B. für Süßwaren und
fetthaltige Snacks zu dem irrigen Eindruck gelangen könnte, dass es gut
oder zumindest unproblematisch sei,
sich (in großen Mengen) überwiegend
oder ausschließlich von diesen „Lebensmitteln“ zu ernähren.
Die anfangs gestellte Frage „Macht
Werbung dick?“ möchte somit im
Grunde geklärt wissen, ob ein (zu)
großer Teil der Kinder und Jugendlichen die Food-Werbung fälschlicherweise für eine Aufforderung zum unmäßigen und überwiegenden Konsum
der beworbenen Produkte hält – und
Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
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dieser Aufforderung nicht genügend
widerstehen kann.
Untersuchung der Wirkung
von Food-Werbung
Wie in allen Produktbereichen werden
auch bestimmte Food-Produkte (z. B.
Schoko-Riegel) in der Regel von mehreren Herstellern angeboten und im
Fernsehen beworben. Bei der Frage
nach der Wirkung der Werbung für
beispielsweise einen neuen SchokoRiegel „C“ muss nun zwischen zwei
möglichen Effekten unterschieden
werden. Im einen Fall verschiebt die
(effektive) Werbekampagne für „C“ lediglich die Anteile auf dem Riegelmarkt. Die beeinflussten Kinder verzehren nun gehäuft „C“ – und entsprechend seltener die bisher angebotenen Riegel „A“ und „B“. Das Gesamtniveau des Riegelkonsums würde somit
nicht steigen.
Der andere denkbare Effekt der
Werbung für den Riegel „C“ wäre eine
Erhöhung des Gesamtverzehrs an Riegeln – die angesprochenen Kinder und
Jugendlichen konsumieren „C“ nun
zusätzlich zu den bisher verzehrten
Mengen von „A“ und „B“. Für die (kritische) Beurteilung der Wirkung von
Food-Spots ist entscheidend, welcher
Effekt überwiegend eintritt (sofern die
Werbung überhaupt wirkt). Die Vorwürfe an die Nahrungs- und Genussmittelwerbung gehen hier davon aus,
dass die Werbung eine (massive) Erhöhung des Gesamtkonsums bewirkt,
die Kinder und Jugendlichen also
durch die Food-Spots veranlasst werden, mehr und zu viel an Süßigkeiten, fetthaltigen Snacks und anderen „ungünstigen“ Produkten zu verzehren. In diesem Falle würde Werbung – in bestimmtem Umfang – die
Jugend „dick machen“. Der umgekehrte Schluss wäre dann, dass Kinder
und Jugendliche ohne die Food-Werbung weniger der „ungünstigen“ Produkte verzehren würden – und im
Durchschnitt auch weniger „dick“
wären.
Werbekampagnen verfolgen primär
das Ziel, den Abverkauf der beworbenen Marken zu steigern [15]. Wie weit
diese Absicht von den Herstellern bestimmter (bereits existierender oder
neuer) Food-Produkte durch die Werbung im Fernsehen erreicht wird, ist
für Außenstehende schwer direkt zu
beurteilen, da die Absatzzahlen vor
und nach den Werbekampagnen in
der Regel nicht öffentlich zugänglich
sind.
Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
Es gibt jedoch indirekte Evidenz,
dass (nur) mit entsprechend massiver
Bewerbung im Fernsehen Food-Produkte erfolgreich im Markt etabliert
oder gehalten werden können. Neue
oder modifizierte Nahrungs- und Genussmittel werden von den Herstellern häufig in ganzseitigen Anzeigen
in der für den Lebensmittelhandel
konzipierten
Lebensmittel-Zeitung
(LZ) angekündigt. Für diese Anzeigen
typisch sind neben der Vorstellung des
Produkts die hervorgehobenen Hinweise, dass dessen Einführung mit
massiver TV-Werbung unterstützt
wird und dass dies (quasi unausweichlich) zu einer erheblichen Umsatzsteigerung beim Einzelhandel
führen wird. In Tabelle 1 sind für 12
Anzeigen aus den verfügbaren LZAusgaben des Jahres 2004 die entsprechenden Aussagen zusammengestellt.
Es kann davon ausgegangen werden,
dass die von den Herstellern versprochenen – werbungsbedingten – Umsatzsteigerungen auf ausreichend
früheren Erfahrungen mit der Wirkung ihrer TV-Werbung basieren und
mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen werden. Fernsehwerbung ist somit
in der Lage, bei Kindern und Jugendlichen den Konsum bestimmter FoodProdukte (massiv) zu beeinflussen. Ob
dies durch Marktanteilverschiebung
oder durch Erhöhung des Gesamtkonsums geschieht, ist allerdings an Hand
der „Daten“ in Tabelle 1 nicht zu entscheiden.
Die Frage, ob Food-Spots auch den
Gesamtkonsum an den beworbenen
Produkten erhöhen, kann man untersuchen, indem man Gruppen von Kindern mit unterschiedlich hohem Werbekontakt hinsichtlich ihres Konsum
an den beworbenen Artikeln vergleicht. Wenn eine Dosis-Wirkungsbeziehung besteht, müssten Kinder, die
viel Werbung ausgesetzt waren, mehr
von den Produkten verzehren als Kinder mit wenig Kontakten. Außerdem
müsste, wenn ein hohes Ausmaß an
Werbung zu einem (zu) hohen Verzehr
bei den Kindern führt (d. h. wenn Werbung „dick macht“), die Gruppe mit
den meisten Kontakten die „schwerste“ sein.
In welchem Umfang ein Kind „im
Allgemeinen“ der Food-Werbung ausgesetzt ist, d. h. wie viele Food-Spots
es imWochendurchschnitt etwa sieht,
lässt sich allerdings in groß angelegten
Fragebogenerhebungen nicht direkt
erfassen. Man behilft sich statt dessen
in der Regel mit der Erfassung und
Heranziehung des Fernsehkonsums
[vgl. 21]. Da Kinder in vielen Ländern
ausschließlich und in Deutschland
(aus freien Stücken) meist private Pro-
Tab. 1: Ankündigung von neuen Food-Produkten in Anzeigen der Hersteller in der Lebensmittel-Zeitung. Wiedergegeben: Aussagen zum Zusammenhang zwischen TV-Werbeunterstützung und zu erwartender Umsatzsteigerung.
Milka Schokolade: Der Berg ruft – Ihr Umsatz kommt! ... Riesen Unterstützung:
Circa 1 Mrd. Kontakte durch Präsenz im TV auf Pro 7, Sat1 und Kabel1.LZ Nr.14
Ritter Sport Schokolade: Garantiertes Umsatzplus! ... Schneller Bekanntheitsgrad
durch reichweitenstarke TV-Werbung.15
Müller Froop Quark-Creme: Jetzt listen und luftig locker Gewinne machen! ...
TV-Werbepower ... über 1 Mrd. TV-Kontakte.15
Lift Apfel-Schorle: Noch mehr Schwung für Ihren Umsatz! ... Neuer, aufmerksamkeitsstarker
TV-Spot. ... Massive Werbepower mit über 600 Mio. Kontakten.17
Wrigley Bubble Tape Gum: ... bewegt die Kids und bringt Ihren Umsatz ins Rollen. ...
Coole TV-Kampagne mit 28 Mio. Kontakten bei den 6 bis 12-jährigen Kids.17
Onken FitnessJoghurt/-Drink: Erfolgreicher Fitness-Nachwuchs für Ihren Umsatz! ...
Starker TV-Auftritt ... ca. 200 Mio. Kontakte.18
Müller Saft + Molke Drink: Die Flasche macht Asche! ... Volle Pulle Werbepower:
TV-Kampagne ... ca 1 Mrd. Kontakte.18
Milram Wackel-Drink, Joghurt, Brause: Neues Marktpotential im Segment Kinder. ...
coole TV-Spots mit über 160 Mio. Kontakten.18
Pringles Dippers & Dips: Starke Marke - starker Abverkauf. ... massive TV-Unterstützung
mit ca. 530 Mio. Brutto-Kontakten.24
Ritter Sport Schokolade: Aktives Konzept - Aktive Absatzsteigerung. ... TV-Unterstützung
mit über 400 Mio. Kontakten.25
Milka Schoko-Weihnachtsmänner: Mit Milka zum Umsatzplus! ... Volle Werbepower
mit über 185 Mio. TV-Kontakten.27
Chio Chillerz Knabber-Snacks: ... einzigartige Knusperkissen für knackige Umsätze. ...
70 Mio. TV-Kontakte.LZ Nr. 32
43
Verzehrshäufigkeit
In der Diskussion
Abb. 4: TV-Konsum und durchschnittlicher Gesamtverzehr von im Fernsehen beworbenen Food-Artikeln. Effekte bei Jungen und Mädchen statistisch signifikant (P<0,01);
Effektstärke jeweils Eta2 = 0,12.
gramme verfolgen, ist die Annahme
berechtigt, dass Kinder um so mehr
der Food-Werbung ausgesetzt sind, je
mehr sie fernsehen.
Eine valide Erfassung des allgemeinen wöchentlichen Fernsehkonsums
ist allerdings auch nicht ohne Schwierigkeiten. Die häufig gestellte (einfache) Frage „Wie viele Stunden siehst
du im Durchschnitt fern“ produziert
zwar bei jedem Kind irgend eine Zahl,
deren Gültigkeit speziell bei jüngeren
Kindern jedoch mit Sicherheit zweifelhaft ist.
Aus diesem Grunde wurde in unserer Studie den befragten 1720
Schülern ein Stunden-Zeitraster vorgegeben, für die Wochentage von
12–13 bis 23–24 Uhr und für Samstag/Sonntag von 6–7 bis 23–24 Uhr.
Bei jedem Stundenzeitraum hatten die
Befragten anzugeben, ob sie hier nor-
Zusammenfassung
Macht Werbung dick?
Einfluss der Lebensmittelwerbung auf Kinder und Jugendliche
J. Diehl, Gießen
Wie in anderen Industrieländern verbringen auch Kinder in Deutschland große
Teile ihrer Freizeit vor dem Fernsehgerät, wobei sie vorwiegend die werbereichen Sendungen privater Kanäle verfolgen. Dort sind sie in erheblichem Umfang der Werbung für Süßwaren und fettreiche Snacks ausgesetzt. Gesundheitspolitiker und Verbraucherschützer sehen das Anpreisen einer derartig „ungünstigen“ Nahrungspalette als bedeutsame Mitursache für das ständig zunehmende Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen an.
Eine Analyse der vorliegenden empirischen Evidenz kann diesen Verdacht jedoch nicht erhärten. Während in den letzten 10 Jahren das Übergewicht bei
Kindern beständig ansteigt, ist der Fernsehkonsum in diesem Zeitraum bemerkenswert konstant geblieben. Von der Nahrungsmittelindustrie selbst werden
Belege geliefert, dass Fernsehwerbung für neue, modifizierte oder bestehende
Produkte deren Marktanteil massiv erhöhen bzw. auf einem gewünschten Niveau halten kann. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass durch die an Kinder gerichtete Werbung deren Gesamtverzehr von Süßwaren und Snacks erhöht wird.
Zahlreiche Studien konnten keine signifikante Beziehung zwischen Fernsehnutzung und Gewichtsstatus feststellen. Weiterhin war in den meisten Erhebungen
der Konsum von stark beworbenen Food-Produkten bei den übergewichtigen
Kindern nicht höher als in den schlankeren Vergleichsgruppen. Konkrete Erfahrungen in Kanada und Schweden haben zudem deutlich gemacht, dass Werbeeinschränkungen und -verbote ohne jeden Einfluss auf die Ausbreitung des
Übergewichts bei Kindern und Jugendlichen sind.
Ernährungs-Umschau 52 (2005), S. 40–46
44
malerweise 0 = (fast) nie, 1 = selten, 2 =
manchmal, 3 = oft oder 4 = sehr oft
fernsehen. Eine Summation über
sämtliche Stundenzeiträume ergab
dann einen Index für den wöchentlichen Fernsehkonsum.
Zur Erfassung des Verzehrs der in
den TV-Spots häufig beworbenen Produktgruppen wurde den Befragten folgende Liste vorgelegt: Bonbons, Schokoriegel/-waffel/Müsliriegel, Creme-/
Milchschnitte, Fruchtjogurt/-quark/
Fruchtmus, Schoko-/Milchpudding,
Lutscher, Schokolade, Nuss-NugatAufstrich, Kuchen/Stückchen, Eis,
Fruchtgummi, Cornflakes, Kekse, Kaugummi, Pommes frites, Hamburger,
Erdnüsse, Chips und Pizza/Pizzastück. Bei jedem Artikel war dann anzugeben, wie häufig er normalerweise
verzehrt wird: 0 = (fast) nie, 1 = einmal
im Monat, 2 = einmal in der Woche, 3 =
öfters in der Woche, 4 = einmal am Tag
oder 5 = öfters am Tag. Eine Summation über sämtliche Artikel ergab dann
einen Index des Gesamtverzehrs an
den beworbenen Produktgruppen.
Zur Analyse des Zusammenhangs
zwischen TV-Nutzung und der Verzehrshäufigkeit der beworbenen Produkte wurden an Hand des wöchentlichen Fernsehkonsums fünf annähernd gleich große Gruppen gebildet
und diese bei Jungen und Mädchen
hinsichtlich ihres durchschnittlichen
Verzehrs verglichen. Abbildung 4 stellt
die aufgetretenen Beziehungen grafisch dar. Es zeigt sich bei beiden Geschlechtern, dass Jugendliche, die
mehr fernsehen (und damit auch
mehr Werbung für die untersuchten
Produkte ausgesetzt sind), die beworbenen Produkte signifikant häufiger
verzehren.
Der hier festgestellte Zusammenhang zwischen der Höhe des Fernsehkonsums (und damit der Häufigkeit
der Werbekontakte) und dem Verzehr
der beworbenen Food-Artikel steht allerdings in gewissem Gegensatz zu Befunden im Ernährungsbericht 2000
[35]. Dort ergaben sich keine Hinweise, dass Kinder und Jugendliche
grundsätzlich größere Mengen von im
Fernsehen besonders häufig beworbenen Produkten verzehren, wenn sie
selbst häufiger und intensiver fernsehen und Werbespots solcher Produkte
besser wiedererkennen können.
Die Frage, ob das Ausmaß des Fernsehkonsums mit dem Gewichtsstatus
bzw. dem Grad des Übergewichts von
Kindern und Jugendlichen in bedeutsamer Beziehung steht, war bereits
mehrfach Gegenstand von UntersuErnährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
In der Diskussion
chungen. Dabei zeigte sich in der
Mehrzahl der Studien mit steigendem
TV-Konsum eine mehr oder minder
starke Zunahme des (Relativ-)Gewichts, meist erfasst über den BodyMass-Index [3, 6, 11, 19, 35, 42]. Es
existieren allerdings auch eine Reihe
von Erhebungen, in denen kein signifikanter Zusammenhang zwischen TVKonsum und Gewichtsstatus festgestellt werden konnte [1, 10, 24, 28, 36,
38, 43].
In der vorliegenden Erhebung wurde der Gewichtsstatus der Jugendlichen (getrennt für Jungen und Mädchen) über ihre jeweilige prozentuale
Abweichung vom Längen-Sollgewicht
bestimmt. Bei dem anschließenden
Vergleich der TV-Konsum-Gruppen
hinsichtlich ihres Gewichtsstatus ergaben sich weder bei den Jungen noch
bei den Mädchen statistisch signifikante Mittelwertsunterschiede. Jugendliche, die mehr fernsahen (und
damit mehr Food-Spots ausgesetzt
waren), konsumierten zwar häufiger
die beworbenen Produktgruppen, sie
waren jedoch nicht „schwerer“ als Jugendliche, die weniger Zeit vor dem
Fernsehgerät verbrachten. Unsere Daten bestätigen somit die Ergebnisse
der Studien, die keinen Zusammenhang zwischen TV-Konsum und Gewichtsstatus finden konnten.
Bei Jugendlichen mit hoher positiver Abweichung vom Längen-Sollgewicht ging das „Über“-Gewicht offensichtlich nicht auf einen häufigeren
Konsum der im Fernsehen beworbenen Produktgruppen (Süßigkeiten +
Desserts + sonstige süße Artikel + Fast
Food/salzige Snacks) zurück, denn
weder bei Jungen noch bei Mädchen
unterschieden sich die nach dem Gewichtsstatus gebildeten Gruppen signifikant in ihrem durchschnittlichen
Verzehr. Untergewichtige konsumierten Süßigkeiten, Fast Food, salzige
Snack usf. in gleichem Umfang wie
Übergewichtige. Die nicht zu Tage getretene Beziehung zwischen Gewichtsstatus und Verzehr lässt sich
auch umgekehrt formulieren: Ein insgesamt hoher Konsum der beworbenen Produktgruppen geht nicht (automatisch) mit Übergewicht oder gar
Adipositas einher.
Die Annahme oder Behauptung,
dass Übergewichtige so viel Körperfett
angesammelt haben, weil sie (ständig)
zu viele – und von der TV-Werbung
häufig empfohlene – „Dick-Macher“
wie Süßwaren, Fast Food und salzige/fetthaltige Snacks vertilgen oder
präferieren, wird nicht nur durch unErnährungs-Umschau 52 (2005) Heft 2
sere Daten widerlegt bzw. nicht bestätigt, sondern auch durch eine nicht
unerhebliche Anzahl anderer Studien,
die ebenfalls keine signifikanten Konsumunterschiede zwischen Über- und
Normalgewichtigen bzw. sonstigen
Gruppen mit unterschiedlichem Gewichtsstatus feststellen konnten. Eher
ergaben sich schon Hinweise, dass
Übergewichtige z. B. einen niedrigeren Süßwarenkonsum aufweisen [9,
13, 16, 30, 34, 37, 40]
Die von Kritikern gehegte Vermutung, dass ein erheblicher Teil der Kinder und Jugendlichen dem (ernährungsphysiologisch
„ungünstigen“)
Gesamteindruck der Werbung für Lebens- und Genussmittel unkritisch gegenübersteht und der Meinung ist,
hier würden durchweg Komponenten
einer „guten“ Ernährung empfohlen,
die man unbesorgt ausschließlich und
in großen Mengen konsumieren könne, erfährt durch die in Tabelle 2 wiedergegeben Daten keine Unterstützung. Den von uns befragten 11- bis
18-jährigen Jugendlichen waren Aussagen zu 3 Dimensionen der Einstel-
lung zur Food-Werbung vorgegeben,
auf die sie jeweils zweifach abgestuft
zustimmend oder ablehnend reagieren konnten. Es zeigt sich, dass diese
Altersgruppe in der Mehrheit eine
durchaus kritische (teilweise sogar
misstrauische) Haltung gegenüber der
im Fernsehen gezeigten Lebensmittelwerbung hat und über ihr häufiges
Auftauchen während des Programms
keineswegs begeistert ist. Die Mehrheit der Jugendlichen scheint verstanden zu haben, dass die Food-Werbung
eben primär „Genussmittel“ anpreist,
die man umsichtig, nicht ausschließlich und auch nicht in übermäßigen
Mengen zu sich nehmen sollte.
Diskussion und Fazit
Es kann weder bezweifelt noch geleugnet werden, dass (genügend massive) Fernsehwerbung für bestehende,
modifizierte oder neue Food-Produkte
den angesprochenen Kindern und Jugendlichen die beabsichtigten Produktinformationen liefert und einprägt, ihre Präferenzen plangemäß
Tab. 2: Einstellung zur Food-Werbung bei 11 bis 18-jährigen Jugendlichen. Antwortverteilungen (in %) bei den vorgegebenen Items. Antwortkategorien: trifft überhaupt
nicht zu [–2], trifft wenig zu [–1], trifft etwas zu [+1], trifft voll zu [+2].
Einstellungsdimension / Items
–2
–1
+1
+2
Glaubwürdigkeit und Nützlichkeit der Food-Werbung
Ohne die Fernsehwerbung würde man kaum erfahren,
was es Leckeres zu essen und zu naschen gibt.
24
33
32
11
Die Ess-Sachen, für die geworben wird, sind gut für
unseren Körper, weil sie oft viel Milch/Vitamine/
Mineralstoffe enthalten.
26
45
24
5
Die Werbung möchte einem behilflich sein bei der
Auswahl gesunder Ess-Sachen und Getränke.
31
39
24
6
Die Werbung gibt einem die besten Tipps,
was man essen oder trinken sollte.
42
42
14
3
Misstrauen gegenüber der Food-Werbung
Wenn man alles isst, was einem die Werbung
empfiehlt, dann wird man dick
7
14
22
57
Die Ess-Sachen, die uns die Fernsehwerbung empfiehlt,
enthalten oft zu viel Fett und Zucker.
5
15
37
43
Wenn man sich gesund ernähren will, dann sollte
man nicht die Sachen essen, für die im Fernsehen
dauernd geworben wird.
11
21
35
34
Die Werbung überredet einen, Sachen zu kaufen,
die man nicht essen oder trinken sollte.
16
26
34
24
Unterhaltsamkeit der Food-Werbung
Die Fernsehwerbung für Ess-Sachen und Getränke
macht Spaß und bringt einen oft zum Lachen.
45
33
17
4
Ohne die Werbung für Ess-Sachen und Getränke
wäre das Fernsehen langweiliger.
63
23
10
4
Die Fernsehwerbung für Ess-Sachen und Getränke
ist meistens nervig.
7
14
26
53
Nach der Werbung ist man meistens froh,
dass sie vorbei ist und der Film weitergeht.
3
4
8
85
Instruktion: Nachfolgend findest du Aussagen und Sätze über die Fernsehwerbung für Ess-Sachen und Getränke. Du
sollst bei jeder Aussage durch Ankreuzen einer Zahl zeigen, wie weit das, was gesagt wird, für diese Fernsehwerbung
zutrifft.
45
In der Diskussion
verändert und – meist zumindest – zu
einem (stärkeren) Verzehr des Beworbenen führt. Es ist auch nicht abzustreiten, dass die in der Food-Werbung
insgesamt angebotene Palette an Nahrungs- und Genussmitteln keine gesunde und empfehlenswerte Kostform
darstellt. Aber, darauf wurde hingewiesen, in der Food-Werbung werden
primär einzelne Genussmittel (konkurrierender Hersteller) angepriesen,
sie propagiert keine komplette „Ernährungsweise“. Und es kann den
hauptsächlich Werbenden (wie den
Süßwarenherstellern) nicht angelastet
werden, dass es so wenig Spots für
Gemüse, Obst oder Vollkornprodukte
gibt.
Die entscheidende (und zu Anfang
gestellte) Frage aber ist: Bewirkt die
Food-Werbung letztlich, dass die angesprochenen Kinder und Jugendlichen so viel von diesen Dingen zusätzlich konsumieren, dass sie „dick“ und
„dicker“ werden?
Ein erheblicher Teil der dargestellten Evidenz spricht direkt gegen diese
Vermutungen. Die Prävalenz und das
Ausmaß von Übergewicht ist im letzten Jahrezehnt deutlich gestiegen, der
tägliche Fernsehkonsum von Kindern
(und damit die Anzahl Food-Werbespots, denen die sie ausgesetzt waren)
ist dagegen gleich geblieben. Die eigene Erhebung konnte, wie auch eine
Reihe anderer Studien, keinen Zusammenhang zwischen Fernseh- (und
damit Werbungs-)Konsum und Gewichtsstatus feststellen. Weiterhin
wies in der eigenen Erhebung wie
auch in anderen Studien der Gewichtsstatus keine Beziehung zur
Höhe des Verzehrs an solchen Produkten auf, die im Fernsehen (stark) beworben wurden. Und laut Ernährungsbericht 2000 verzehrten die Kinder, die viel Zeit vor dem Fernseher
verbrachten und Werbung gut wieder
erkennen konnten, im Durchschnitt
nicht mehr von den beworbenen Produkten als die Kinder mit geringem
TV-Konsum [35].
Im Gegensatz dazu stieg bei den
von uns untersuchten Jugendlichen
die Häufigkeit des Konsums beworbener Produkte mit der Fernsehnutzung
an. Dies ist jedoch kein zwingender
Beleg dafür, dass dieses (mit höherem
TV-Konsum einhergehende) Mehr an
Werbung zu einem stärkeren Verzehr
der beworbenen Artikel führt. Bei einem bedeutsamen Teil der in unserem
Konsumindex
zusammengefassten
Produkte (wie Erdnüsse, Chips, Gummibärchen und sonstige Süßigkeiten/
46
-waren) handelt es sich um Artikel, die
bevorzugt während des Zuschauens
verzehrt werden. Dadurch würde der
erhöhte Konsum dieser Snack-Artikel
(möglicherweise allein) durch die längere Fernsehzeit bewirkt. Die Befunde
von FRANCIS et al. [14] sprechen für eine solche Erklärung des gefundenen
Zusammenhangs.
Eine Reihe von Studien hat, im Gegensatz zu anderen (s. o.), zweifelsohne eine (mehr oder minder deutliche)
direkte Beziehung zwischen der Höhe
des Fernsehkonsums und dem Grad
des Übergewichts feststellen können.
Allerdings lässt sich auf Grund des
korrelativen Charakters der Daten
nicht entscheiden, auf welche von 4
möglichen Ursachen der Zusammenhang zurückgehen könnte [vgl. 21]:
Wer mehr fernsieht, sieht mehr
Werbung, isst mehr (und zu viel)
von den beworbenen Produkten –
und setzt Übergewicht an.
Wer mehr fernsieht, ist weitgehend
inaktiv, verbraucht weniger (zu wenig) Energie – und wird übergewichtig.
Wer mehr fernsieht, konsumiert begleitend dazu mehr energiehaltige
Snacks und Getränke – und nimmt
zu auf Grund dieser überhöhten
Nahrungszufuhr.
Und als weitere Möglichkeit ist eine Umkehrung der Verursachung
denkbar: Je übergewichtiger Personen sind, um so lieber geben sie
sich „Tätigkeiten“ hin, die (wie
fernsehen) wenig Aktivität erfordern und Energie verbrauchen.
Die wahrscheinlichste Ursache der
Beziehung dürfte ein kombiniertes
Wirken der Faktoren 2 und 3 – u. U. im
Verbund mit 4 – sein: Je höher der
Fernsehkonsum, um so geringer der
Energieverbrauch – bei gleichzeitig
höherer Kalorienaufnahme.
Zwei weitere Sachverhalte, auf die
ASHTON [2] hinweist, sprechen gegen
die Food-Werbung als Haupt- oder
Mitverursacher des Übergewichts bei
Kindern und Jugendlichen. Seit 1980
ist in der kanadischen Provinz Quebec
an Kinder gerichtete Nahrungs- und
Genussmittelwerbung verboten. Die
in dieser Provinz festgestellte Verbreitung des kindlichen Übergewichts unterscheidet sich jedoch in nichts von
der Prävalenz in den Provinzen ohne
eine solche Beschränkung der Werbung. Ähnliches gilt für Schweden, wo
an Kinder gerichtete Food-Werbung
seit über 10 Jahren ebenfalls verboten
ist. Ein Effekt auf die Verbreitung des
Übergewichts bei Kindern und Jugendlichen ließ sich nicht feststellen.
Die eingangs gestellte Frage „Macht
Werbung dick?“, ist die Food-Werbung
(mit-)verantwortlich für die epidemische Ausbreitung des Übergewichts
bei Kindern und Jugendlichen, lässt
sich somit relativ eindeutig beantworten: Es liegen keine wissenschaftlich
gesicherten Belege dafür vor. Eine Beschränkung der an Kinder gerichteten
Food-Werbung oder ein gänzliches
Verbot würde deshalb – das ist gleichermaßen eindeutig – keine rationale
Basis haben und Deutschlands Jugend
mit Sicherheit nicht schlanker machen.
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Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Joerg M. Diehl
Fachbereich Psychologie und
Sportwissenschaft
Justus-Liebig-Universität Gießen
Otto-Behaghel-Str. 10
35394 Gießen
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