Rede von Barbara Frischmuth / PDF, 29 KB

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Rede von Barbara Frischmuth / PDF, 29 KB
Barbara Frischmuth
LAUDATIO / Klüger
Sehr verehrte, liebe Ruth Klüger, werte Präsidentin des Natonalrats, meine Damen
und Herren,
Es ist mir eine Freude anlässlich der Verleihung des „Österreichischen Ehrenkreuzes
für Wissenschaft und Kunst I. Klasse" eine Frau zu würdigen, der man schon als
Kind ihrer Herkunft wegen jegliche Ehre, abgeschnitten hat. Kein Wunder, dass Sie,
Ruth Klüger, in Ihren Texten auf das Wort Ehre, das es sogar zu einem Begriff
gebracht hat, nämlich den Ehrbegriff, nicht sonderlich gut zu sprechen sind. Noch
dazu, wenn sich bei näherer Beschäftigung mit der Ehre herausstellt, dass dieser
Begriff meist zu Lasten von Frauen in Gebrauch steht.
Grimms Wörterbuch spricht einerseits von Ehre als Schmuck, Zier, Blüte, Glanz,
Wert und Ruhm, aber auch Schamhaftigkeit und sittlicher Anstand gehören zum
Benennungsradius dieses Wortes. Nebenbei erfahren wir, dass Ehre auch die
Bedeutung von Schleier oder Tuch hatte, mit demirau das Gesicht oder andere Teile
des Leibes verhüllte, die sehen zu lassen sie sich scheute. Es gab sogar so etwas
wie die Badehr der Weiber und als innere Empfindung drückte Ehre Scheu und
Scham aus. Also Ehre mit allem Drum und Dran, bis hin zum Ehrenmord, sprich
Duell. Da ist natürlich der Ehrenmann vermerkt, jedoch keine Ehrenfrau, bloß eine
Ehrenjungfrau, wir wissen schon, was damit gemeint ist. Und wes Geschlechts die
Ehrenleute waren, ist längst bekannt bis hin zur Ehrenwerten Gesellschaft.
Je eifriger man die Ehrbegriffsbildung bis in ihre Verästelungen verfolgt, desto
enttäuschender sind die aufgeführten Bedeutungen für uns Frauen. Auf einer
bestimmten Ebene bedeutet das Wort Ehre so viel wie Furcht, eine
Doppelbedeutung, aus der die Ehrfurcht hervorging. Eine weitere Bedeutung, die mir
für den heutigen Anlass angebrachter erscheint, ist die von Ehre und Ehrung als
Gabe, im Sinn von sie jemandem zu verehren, zu schenken. Und so, liebe Ruth
Klüger, wird auch die Ehre leichter, die so ein Kreuz zu transportieren hat, so dass
man sie unbeschwert entgegennehmen kann, als verdiente Auszeichnung und - ich
möchte fast sagen - als Bitte um Zugehörigkeit, die Sie sich einst so gewünscht
hatten und die, das haben Auszeichnungen so an sich, viel zu spät erfolgt.
Es ist nicht leicht, Ihnen und Ihrem Werk, vor allem den beiden Prosabänden „weiter
leben" und „unterwegs verloren" - und sei es selbst durch bewundernde Zustimmung
- gerecht zu werden. Es bedeutet erst einmal, Sie auf Ihren Reisen zu begleiten,
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nicht nur zu den verschiedenen Ortschaften (Sie selbst zitieren Peter Weiß, der nach
einem Besuch in Auschwitz das Lager als seine Ortschaft bezeichnete), sondern
auch in Ihre Zeitschaften, um zu vermittein, was ein Ort in der Zeit ist, zu einer
gewissen Zeit, weder vorher noch nachher. In Zeitschaften, in die Sie sich nie
freiwillig hineinbegeben hätten, sondern die Ihnen zugefügt wurden, ohne dass Sie
dagegen irgendetwas tun hätten können, außer überleben zu wollen. Und das als
zwölf- als dreizehnjäriges Mädchen in Auschwitz-Birkenau und danach in GroßRosen.
„Es gibt gelegentlich Unterstellungen", sagten Sie in Ihrer Gedenkrede im Frühjahr
hier im Parlament, „dass wir gar nicht wussten was los war. (Aber) wir haben nicht
somnabulistisch vor uns hin gedöst, wir waren hellwach, wir Kinder, vielleicht nie
wieder so hellwach wie damals."
Gerade dieses Hell-wach-Sein damals hat es Ihnen ermöglicht, so von AuschwitzBirkenau zu sprechen, dass man sich etwas darunter vorstellen kann. Nicht die
maschinelle Produktion von Leichen und wie Menschen zu Millionen im Gas erstickt
sind, so weit reicht unsere, meine Vorstellungskraft nicht, aber wie es war zu
hungern, Durst zu leiden und zu frieren, im Schatten einer großen allumfassenden
Angst zu leben und dennoch den Verstand nicht zu verlieren, Gedichte zu schreiben,
um die Zeit zu vertreiben, mit Versen, die diese Zeit einteilten. „Denn", schreiben Sie
„ist die Zeit schlimm, kann man nichts Besseres mit ihr tun, als sie zu vertreiben, und
jedes Gedicht wird zum Zauberspruch."
Nie noch habe ich ein beeindruckenderes Plädoyer für die Existenz von Gedichten
gelesen als Ihres, wenn Sie schildern, wie sie schon vorher im normalen Leben
unangenehme Zeiten z. B. den Besuch beim Zahnarzt mit Hilfe Schiller'scher
Balladen vertrieben haben. Danach dann die Zeit des endlosen Stehens auf dem
Appellplatz, wo Sie wieder und wieder „Die Kraniche des Ibykus" memorierten.
Eben diese Berichte aus der Alltäglichkeit des Grauens berühren einen zutiefst, weil
man in ihnen, indem man sie sich, auf eigenen wesentlich harmlosere Erfahrungen
aufbauend, vorstellt und vorstellen kann, und dabei einen Schatten der Wahrheit
erspäht. Einer Wahrheit, die man nur im Konkreten, im einigermaßen
Nachvollziehbaren erkennen kann und nicht im Abstrakten oder im Bereich der
überhängenden Zahlen, die im Vorstellungsvermögen keine Entsprechung haben.
Aus dem von Ihnen Erzählten kann man sich nicht emotional ausklinken, wie ich es
oft auch an mir beobachtet habe, wenn ich aufs Unvorstellbare verwiesen wurde.
Ihre Bemerkung (die mir schon vor Jahren in einem Buch von Erika Weinzierl
untergekommen ist), nämlich dass Juden keine Hunde mehr halten durften, hat in mir
eine geradezu kindliche Wut und einen körperlich spürbaren Trotz aufbrechen
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lassen, nicht weil ich Hunde so lieben würde, sondern weil dieser Eingriff in die
private Lebensgestaltung - eins der Grundrechte des Menschen überhaupt - aus
menschenverachtender Willkür mir blitzartig - d . h. ohne den Weg über irgendwelche
zeitgeschichtlichen Erwägungen - klarmachte, wie tief der Rassismus bereits ins
Alltägliche eingedrungen sein musste, ansonsten würde man auf eine solche Idee
doch gar nicht kommen.
Was Ihre Erinnerungsarbeit auszeichnet, verehrte Ruth Klüger, der Sie sich trotz aller
Missfallensäußerungen (auch darüber berichten Sie in Ihren Büchern) immer gestellt
haben ist, dass Sie den Holocaust beziehungsweise die Shoah niemals als etwas
Schicksalhaftes, Verhängtes, Unausweichliches gelten ließen, sondern es immer als
Menschen von Menschen Zugefügtes gesehen haben, das nur deshalb so
unbegreiflich erschien, weil sein Ausmaß jedes Maß überschritten hatte und seine
Grausamkeit sich der Technik bediente, die Menschen dafür entwickelt hatten.
Ausgehend von freien Entscheidungen, die in den Dokumenten der
nationalsozialistischen Führungsriege nachzulesen sind.
Ihre Unbestechlichkeit in puncto Sachlichkeit führt dazu, dass man Ihnen
vertrauensvoll folgt, bis in Ihr Privates hinein, das sich als ebenso ambivalent erweist
wie das Leben überhaupt. Und das liegt nicht nur daran, dass Sie meinen, Frauen
wüssten mehr über Gut und Böse als Männer, die das Gute oft trivialisierten und das
Böse dämonisierten. Ihnen ist es in Ihren Büchern und Reden gelungen, beides zu
vermeiden, das Gute auch im Alltäglichen auszumachen und dem Bösen, selbst
wenn es zu seiner höchsten Gewalt aufläuft, zwar Rtätselhaftigkeit, nicht aber
außermenschliche Macht zuzugestehehn.
Das ist, so merkwürdig das klingen mag, ermutigend. Es ermutigt einen, sich nicht in
die Lethargie des Unausweichlichen fallen zu lassen, sondern die Augen
aufzumachen, um zu sehen, wo der Rassismus bereits wieder an Terrain gewinnt.
Geld, Öl, Land sind nicht nur Dinge, die wir brauchen, sondern auch
Menschenvernichtungsauslöser, wenn um sie gekämpft wird. Auch sie haben nichts
Dämonisches an sich, sondern erweisen sich als von Menschen gemachte Popanze,
an die man nicht zu glauben braucht und deren Machtanspruch unschwer zu
enttarnen ist, nämlich als Gier, übersteigerter Energiebedarf und
Überlegenheitswahn.
Dieses Enttarnen hat naturgemäß etwas mit Literatur zu tun. Es stimmt, dass die
Sprache uns spricht (nur zu oft spüren wir selbst, wie uns so ein präformierter Satz
auf der Zunge liegt), aber das heißt nicht, dass man ihr nicht auf die Schliche
kommen kann, wenn man bei der Sache bleibt beziehungsweise der Sache
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nachgeht. Ich stimme Ihnen auch als Autorin zu, wenn Sie in „Frauen lesen anders"
eine Literaturtheorie monieren, derzufolge alle Literatur sprachbezogen sei (was
sollte sie sonst sein, da sie doch ausschließlich in der Sprache stattfindet und somit
in den Prozess ihrer ständigen Erneuerung eingebunden ist? Aber Sprache ist nicht
das Einzige, worauf sie sich bezieht) und man uns belächeln würde, wenn wir uns
mit Inhalten auseinandersetzten. (Wie wir wissen, kann Sprache und somit Literatur
gar nicht ohne Inhalte auskommen. Schließlich lässt sich die Bedeutung eines
Wortes nicht vom Sprachgebrauch trennen).
Eine solche Literaturtheorie lehne außerästhetische, z. B. moralische, Überlegungen
als nichtliterarisch und daher unzulässig ab. (Eine Literaturtheorie, die etwas als
unzulässig ablehnt, ist eben Theorie und nicht Literatur, die sich ohnehin und zum
Glück ihre Regeln selbst erstellt, das macht sie ja zur Literatur im Gegensatz zur
Wissenschaft.)
Ich hoffe wie Sie, dass das Bedürfnis der Leser und Leserinnen nach Identifzierung,
das von der genannten Literaturtheorie ebenfalls negiert wird, nicht nachlassen,
sondern höchstens komplexer und umfassender werden möge.
Denn genau das empfinde ich bei der Lektüre Ihrer Bücher, nämlich ein Bedürfnis
nach Identifizierung, nicht im früheren, kindlichen Sinn von So-sein-Wollen wie Sie,
sondern im Sinn eines Findens von Gemeinsamkeiten, die bei der Lebensweise
beginnen, dem Verhältnis zur Mutter, zu Ehemann und Kindern, bis hin zu
literarischen und künstlerischen Vorlieben, der Fähigkeit zur Freundschaft und dem
Eingehen auf die Gender-Problematik usw.
Um beim Suchen nach Gemeinsamkeiten auch das Nicht-Gemeinsame als das
Unterschiedliche erkennen zu können, es sogar als notwendig zu erachten,
schließlich leben wir in einer Welt von Individuen und nicht von Klonen. Zum Glück
nich von Klonen.
Ich halte es für mehr als gerechtfertigt, dass Sie sich gegen die Experten in Sachen
Ethik, Literatur und Wirklichkeit, Adorno vorweg, verwahren, die fordern, man möge
über, von und nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben. „Die Forderung muss
von solchen stammen", sagen Sie, „die die gebundene Sprache entbehren können,
weil sie diese nie gebraucht, verwendet haben, um sich seelisch über Wasser zu
halten ... Gedichte sind eine bestimmte Art von Kritik am Leben und könnten Lesern
beim Verstehen helfen. Warum sollten sie das nicht dürfen? Und was ist das
überhaupt für ein Dürfen und Sollen? Ein moralisches, ein religiöses? Welchen
Interessen dient es? Wer mischt sich hier ein?"
Und Sie sprechen sich auch gegen die Forderung aus, sich nur an Hand von
Dokumenten zu informieren oder den Holocaust ausschließlich mit Hilfe hermetischer
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Lyrik zu verarbeiten, wie z. B. Paul Celan sie geschrieben hat. Denn Lyrik dieser Art
setze Vorkenntnisse voraus, die sich nicht jeder aneignen kann, geben Sie zu
bedenken und: „Wer mitfühlen, mitdenken will, braucht Deutungen des Geschehens.
Das Geschehen allein genügt nicht"
Auch in dieser Hinsicht verweigern sie die Verdrängung des dokumentierten,
mörderischen Geschehens ins Dämonische, nicht Benennbare oder ins Abstrakte.
Deswegen sind die Gedichte, die Sie sich als Kind mangels Papier und Stift im Kopf
zusammengereimt und erst später niedergeschrieben haben, so wichtig, Nicht nur
weil sie Zeugnis von einem Geschehen ablegen, an dem Sie in einer Art Zeitschaft
mit ilhrer panischen Angst teilhatten, sondern weil sie unmittelbarer als jedes
historische Dokument oder jede hermetische Lyrik das Mitfühlen und Mitdenken
einfordern.
„Es sind Kindergedichte", schrieben Sie, „die in ihrer Regelmäßigkeit ein
Gegengewicht zum Chaos stiften wollten, ein poetischer und therapeutischer
Versuch, diesem sinnlosen und destruktiven Zirkus, in dem wir untergingen, ein
sprachlich Ganzes, Gereimtes entgegenzuhalten, also eigentlich das älteste
ästhetische Anliegen."
Und so, wie Sie sich der Bevormundung durch die Experten für Ethik, Literatur und
Wirklichkeit, in Ihrer Wahrnehmung fast durchwegs Männer, zur Wehr gesetzt
haben, haben Sie sich auch den An- und Zumutungen durch die Vertreter jenes
hoffentlich auslaufenden Modells Patriarchat entzogen und klargemacht, dass auch
die Vergottung des Männlichen aus ihrer Tarnung als Beschützer und
Respektsperson geholt werden kann, und ein um seine Stellung bangender
Konkurrent zurückbleibt.
Sie waren die erste Ordinaria in einem German Department, und das von 1980 bis
1986 in Princeton. Hut ab, kann ich da nur sagen. Ein weiterer Grund, zuzuhören,
was eine Frau, die als Kind im Konzentrationslager Groß-Rosen Gedichte schrieb
und als Erwachsene Universitätsprofessorin an einer der bekanntesten EliteUniversitäten der USA wurde, zu dieser unserer Welt zu sagen hat.
„Werdet streitsüchtig, sucht die Auseinandersetzung" schreiben Sie an einer Stelle in
„weiter leben", und ich glaube diese Aufforderung richtig zu verstehen, wenn ich
meine, dass es eine Aufforderung zum Zuhören und zum Miteinander-Reden ist, zum
Mitfühlen und Mitdenken, von dem schon die Rede war und zur Deutung des
Geschehens, damit wir ein besseres Gespür dafür bekommen, wohin Ausgrenzung,
Verächtlichmachung und Absolutheitsansprüche führen können, auch heute, auch
hier, auch sonst überall.
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In diesem Sinne danke ich Ihnen dafür, dass Sie das - wie ich meine - heilsame
Streitgespräch nie abgebrochen haben.
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