Erlaubte Spionage in Down Under

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Erlaubte Spionage in Down Under
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Erlaubte Spionage in Down Under
Rudern Olivia Wyss trainiert seit einigen Monaten zusammen mit den besten Ruderern
Neuseelands
Die Zofingerin Olivia Wyss weilt zurzeit in Neuseeland und absolviert dort einen
mehrmonatigen Sprachaufenthalt. Daneben bereitet sie sich unter professionellen
Bedingungen auf die bevorstehende Rudersaison vor. In ihrem Bericht zeigt sie auch auf,
warum der Rudersport in Neuseeland einen viel grösseren Stellenwert hat und wie der
Nachwuchs gefördert wird.
OLIVIA WYSS, HAMILTON/NEUSEELAND
Ich bin nun schon seit drei Monaten in Neuseeland und geniesse die Zeit down under in vollen Zügen.
Die Gastfamilie, bei der ich wohne, lebt in Hamilton direkt am Waiakto River, dem mit 425 km längsten
Fluss Neuseelands. Auf diesem Gewässer rudern aber nur die «Schoolkids». Hier zeigt sich der erste
grosse Unterschied zum schweizerischen Rudersport: Schulrudern ist weitverbreitet und wird stark
gefördert. Dadurch kommen sehr viele Schüler in Kontakt mit dem Rudern und werden allenfalls sogar
«entdeckt», um den Sport auch ernsthaft auszuüben. Viele dieser Schulboote nehmen auch an Regatten
teil und bringen so das Rudern näher zu der Bevölkerung. Nationalsport in Neuseeland ist aber ganz klar
Rugby – um so schlimmer war für die «Kiwis» das frühe Ausscheiden der «All Blacks» am World Cup in
Paris im Oktober.
Unbegründete Skepsis
Anfangs war ich etwas skeptisch, ob die Reise an das andere Ende der Welt meinen Trainingsaufbau für
die Saison 2008 beeinträchtigen könnte. Inzwischen sind aber meine Zweifel verflogen. Ich habe gut und
schnell Anschluss gefunden in der Regionalauswahl, einer Gruppe von zehn Athletinnen, die für die
Aufnahme in die Nationalmannschaft trainieren und, wie ich, die U23-Weltmeisterschaften 2008 in
Brandenburg als Ziel haben.
Trainiert wird nicht nur in der eigenen Bootsklasse, sondern abwechslunsgweise vom Einer bis zum
Achter. Dies ist für mich eine sehr wertvolle Abwechslung zum üblichen Einer-Training in der Schweiz. Im
Grossboot kann man die grössten technischen Fortschritte machen, denn das Rudern im Team hilft das
Gefühl für Boot und Crew zu fördern. Zudem ist es eine grosse Motivation, jeden Tag von neuem die
gleichen Kilometer «abzurudern».
Ich hatte die Möglichkeit, ein Langstrecken-Achterrennen zu bestreiten, was nach anfänglichen Bedenken
sogar richtig Spass machte.
Training auf der WM-Strecke von 2010
Wir trainieren auf dem Lake Karapiro, wo nach 1978 im Jahr 2010 erneut die Weltmeisterschaften
stattfinden werden. Auch dies ist eine spezielle Erfahrung, weil dies, ähnlich wie der Rotsee, ein von
vielen Ruderern sehr hoch- geschätzter See ist.
Da auch die Elite-Nationalmannschaft dort trainiert, ist es keine Seltenheit, neben Weltklasseruderern
wie Mahe Drysdale (mehrfacher Skiff-Weltmeister), den Evers-Swindell-Twins (Olympiasiegerinnen im
Doppelzweier 2004) oder Emma Twigg (Skiff-Weltmeisterin U23) zu rudern. Im Gegensatz zum
Schweizer Rudersport wird hier vieles professioneller angegangen: Die Nationalmannschaften werden im
März definitiv gebildet, dann ziehen die Athleten in Häuser nahe dem Lake Karapiro, um sich intensiv auf
die Titelwettkämpfe vorbereiten zu können. Die Elite-Mannschaft verbringt sogar, je nach Austragungsort
der WM, drei Monate «overseas» – alles bezahlt von Rowing New Zealand.
In der Schweiz hingegen kann der Selektionsprozess bis wenige Wochen vor dem Wettkampf
hinausgezögert werden, was für die Athleten das Trainieren schwierig macht.
Da ich den Tag hindurch nicht arbeiten und nur wenig lernen muss, kann ich mehr und konzentrierter
trainieren. Dies ist insbesondere von Vorteil, weil das erste Training bereits um 6 Uhr morgens beginnt.
Dies ist zwar hart, doch ich bin überzeugt, dass diese Einheiten und der gesamte Trip nach Neuseeland
nicht nur meine physische, sondern vor allem auch meine mentale Verfassung stärken wird. Das Training
hier ist sehr wettkampforientiert und darauf ausgerichtet, dass auch unter Druck noch die beste Leistung
http://epaper1.ztdigital.ch/data/2007120604660html/htmlstories/ZOT_0612_SPZ02_...
06.12.2007
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erbracht werden kann. Für mich kommt weiter dazu, dass es sehr motivierend ist, einmal in einem
anderen Umfeld und mit so vielen motivierten und auch erfolgreichen Sportlern zu trainieren.
Gestärkt zurück in die Schweiz
Gleichzeitig bekomme ich auch mit, dass es auch in der Schweiz vorwärtsgeht. Tim Foster, der neue
Head-coach des Schweizerischen Ruderverbands, hat positive Veränderungen in die
Trainingskoordinierung und -kontrolle eingeführt. Ich freue mich auf die Rückkehr, auch wenn es hier
schön warm ist und das harte Training viel Spass macht, denn ich bin überzeugt, dass ich dank der
«mentalen Stärkung» und den erholsamen Tagesabläufen in Down Under stärker geworden bin. Ich fühle
mich jedenfalls gut und konnte vor Kurzem an einer Regatta auf dem Lake Karapiro ein Skiff-Rennen
über 2000 Meter für mich entscheiden.
Obwohl ich auch weiterhin keine Freundin des Ergometers (Trockenrudergerät) bin, habe ich auch hier
eine neue persönliche Bestzeit aufgestellt und meinen bisherigen Rekord um 12 Sekunden verbessert.
Gespannt bin ich nun natürlich auf meinen ersten Vergleich mit den Schweizer Athleten nach meiner
Rückkehr.
© Zofinger Tagblatt | Ausgabe vom 06.12.2007
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