Neue strahlenbiologische und strahlenepidemiologische

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Neue strahlenbiologische und strahlenepidemiologische
Neue strahlenbiologische und
strahlenepidemiologische
Erkenntnisse zum Kataraktrisiko
durch Einwirkung
ionisierender Strahlung
Wolfgang-Ulrich Müller
Institut für Medizinische
Strahlenbiologie
Universitätsklinikum Essen
Aufbau des Auges
Aufbau der Augenlinse
Katarakt-Formen
Totaltrübung
anterior
anterior
kortikale
subkapsuläre
Katarakt
Katarakt
nukleäre
posterior
posterior
Katarakt
Katarakt (Grauer Star)
Untersuchungstechnik:
Spaltlampe
Nachteil: Graduierung sehr subjektiv
Untersuchungstechnik:
Scheimpflugkamera
Vorteil: Objektive
Graduierung möglich.
Scheimpflugkamera-Aufnahme
Einflussfaktoren
Geschlecht (höheres Risiko bei Frauen)
Genetische Prädisposition (familiäre Anamnese)
Erkrankungen (Diabetes mellitus, Hypertonie,
Hypercholesterinämie)
Nikotin
Medikamente (Steroidhormone und Analoga)
Mechanische Einwirkungen („Tennisball“-Trauma)
Verletzungen der Linsenkapsel (Fremdkörper,
Operationen)
Chronische Aderhautentzündungen
Infrarot-, UV-Strahlung (berufliche Exposition,
Freizeitgewohnheiten)
Ionisierende Strahlung.
Geschlechts- und
Altersabhängigkeit
Erkenntnisse aus Tierversuchen
zum Mechanismus der Entstehung
strahleninduzierter Katarakte
Zunächst Abnahme der Teilungsaktivität im
Linsenepithel.
Dann eine überschießende Teilungsaktivität
mit zahlreichen abnormen Zellen.
Volumenzunahme der Linsenepithelzellen
und der Linsenfasern.
Auflösung der organisierten Struktur der
Zone, in der die Faserbildung beginnt.
Akkumulation untypischer, teilweise
kernhaltiger Faserzellen.
Wo ist nun das Problem?
Bis vor Kurzem ging man (insbesondere auch
ICRP) davon aus, dass die Katarakt eindeutig
ein deterministischer Effekt ist mit
Schwellendosen von
0,5 bis 2 Gy nach akuter
und
5 bis 6 Gy nach chronischer
Exposition.
An diesen Werten orientierte sich auch der
Grenzwert für die Augenlinse von 150 mSv
im Jahr für beruflich Strahlenexponierte bzw.
15 mSv im Jahr für die allgemeine
Bevölkerung.
Woher kommen Hinweise, dass
diese Vorstellung nicht richtig ist?
Hiroshima/Nagasaki
Liquidatoren Tschernobyl
beruflich strahlenexponierte Personen (z.B.
„Radiologic technologists“ USA),
Patienten nach diagnostischer und/oder
therapeutischer Bestrahlung,
Gruppen mit hoher Strahlenexposition aus der
Umwelt (z.B. Piloten und Astronauten).
Gemeinsame Merkmale dieser Studien
Es konnte kein Schwellenwert nachgewiesen
werden, unterhalb dessen eine Schädigung der
Augenlinse mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann.
Die niedrigsten gemessenen bzw.
rekonstruierten Dosen bewegen sich in einem
Bereich von 5-100 mGy.
Die Ergebnisse gelten für kurzzeitige und für
chronische Expositionen.
Beispiel: Hiroshima/Nagasaki
(Minamoto et al. IJRB 80 (2004) 339)
Erste Veränderungen bei 200 mSv
Beispiel: Tschernobyl-Liquidatoren
(Worgul et al. Rad. Res. 167 (2007) 233)
Untersuchte
Personen
(12 Jahre nach
dem Unglück)
Prä-Katarakte
8607
Stadium 1+2
1967 (23,0%)
Stadium 3-5
2211 (32,7%)
15 ( 0,2%)
90% jünger als 55 Jahre!
Was bedeutet dies für den
Grenzwert von 150 mSv im Jahr?
20 Berufsjahre unter Ausnutzung der 150 mSv
im Jahr führen zu einer Gesamtdosis von 3 Sv.
In verschiedenen Studien wurde eine statistisch
signifikante Erhöhung der Katarakthäufigkeit
nach etwa 0,5 Sv gefunden.
Das relative Risiko beträgt etwa 1,5 nach einer
Exposition mit 1 Sv.
Damit bewirken 3 Sv nach heutigem
Kenntnisstand mehr als eine Verdoppelung des
spontanen Kataraktrisikos.
Vor diesem Hintergrund ist ein Grenzwert von
150 mSv im Jahr kaum zu rechtfertigen.
Empfehlungen der SSK
Anpassung der Regelungen in den Verordnungen an
die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Erfassung der Linsendosis bei Tätigkeiten mit
signifikanter Linsenexposition. Schutzmaßnahmen.
Einbeziehung der Augenlinse in die medizinische
Überwachung bei potentieller Linsenexposition.
Erforschung der Mechanismen (insbesondere
genetische Prädisposition, Dosis-Wirkungsbeziehung).
Empfehlung der ICRP
Absenkung des Grenzwertes
von 150 mSv im Jahr auf
20 mSv im Jahr für beruflich
Strahlenexponierte.
Problem für BK 2402 Verfahren
Erste BK 2402 Anzeigen liegen vor.
Es gibt bisher nur wenige Daten zu altersund geschlechtsabhängigen
Risikofaktoren nach Einwirkung
ionisierender Strahlung.
Damit ist es zur Zeit nicht möglich,
Verursachungswahrscheinlichkeiten zu
berechnen.
Alterstrend in Hiroshima/Nagasaki
(Nakashima et al. Health Physics 90 (2006) 154)
Zusammenfassung
Die neuen strahlenepidemiologischen und
strahlenbiologischen Erkenntnisse weisen
darauf hin, dass das Katarakt-Risiko nach
Einwirkung ionisierender Strahlung bisher
deutlich unterschätzt wurde.
Eine intensivere Messung der AugenlinsenDosis ist unumgänglich und verbesserte
Schutzmaßnahmen sind notwendig.
Ob die sehr drastische Empfehlung der ICRP,
den Grenzwert auf 20 mSv im Jahr zu
reduzieren, auf der Basis des aktuellen
Wissensstandes sinnvoll ist, ist fraglich.