Der König von Narnia

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Der König von Narnia
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
9. Dezember 2005
Der König von Narnia
C. S. Lewis’ Klassiker als trendiges Geschichtenrecycling
Buena Vista International präsentiert "The Chronicles of Narnia – The Lion, the Witch
and the Wardrobe" als vorweihnachtliches Event-Movie. Der amerikanische Grossverleiher hat dabei von den Marketing-Kampagnen zu "Harry Potter" und "Lord of the
Rings" gelernt. Die Vorweihnachtszeit hat sich für Fantasy-Filme als sehr guter Starttermin erwiesen. Kulturelle und religiöse Wurzelbehandlung ist angesagt.
Zum Schutz vor Bombenangriffen werden während Ende des zweiten Weltkrieges vier
Londoner Geschwister aufs Land geschickt, um bei einem Professor Unterschlupf zu
finden. Die geräumige Villa bietet sich für das Versteckspiel an und prompt schlüpft die
kleine Lucy in einen Wandschrank, schiebt sich zwischen Pelzmänteln hindurch, die zu
Tannenzweigen werden, und steht plötzlich in einem schönen, verschneiten Wald. Eine
Strassenlaterne taucht die Idylle in warmes Licht, ein Faun mit Regenschirm spaziert
vorbei und lässt vor Schreck ein Geschenk fallen. Dieser märchenhafte Einstieg weckt
Erwartungen beim Zuschauen. Bis die vier Geschwister Peter (William Moseley), Susan
(Anna Popplewell), Edmund (Skandar Keynes) und Lucy (Georgie Henley) den Weg nach
Narnia finden, ist die Erzählung bezaubernd. Sie freunden sich mit Faunen, sprechenden Bibern, Kentauern und dem Weihnachtsmann an. Sie beklagen mit Edmund einen
Verräter aus den eigenen Reihen, der den Süssigkeiten der weissen Hexe (Tilda Swinton) verfallen ist. Sie stellen sich mutig der finalen Schlacht und sie begegnen der messianischen Gestalt Aslan, dem grossen Löwen und Gegenspieler der weissen Hexe.
Debatten zwischen Lewis und Tolkien
Bereits J.R.R. Tolkien war sich bewusst, dass sein Freund Lewis mit "Narnia", obwohl
auch im Genre der Fantasy angesiedelt, etwas vollständig anderes als sein "Herr der
Ringe"-Epos schrieb. Im literarischen Debattierklub der "Inklings" in Oxford kritisierten
sie gegenseitig die zeitgleich entstehenden Manuskripte. Für Tolkien war "The Lion, the
Witch and the Wardrobe" ein nicht ernst zu nehmendes Leichtgewicht. Er warf Lewis
Impressum
Medienheft (vormals ZOOM K&M), ISSN 1424-4594
Herausgeber: Katholischer Mediendienst, Charles Martig; Reformierte Medien, Urs Meier
Redaktion: Judith Arnold, Adresse: Medienheft, Badenerstrasse 69, Postfach, CH-8026 Zürich
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vor, dass er es mit der Mythologie der Geschichte allzu locker nahm. Was Lewis so
scheinbar leicht von der Hand ging waren die Bildmetaphern, die Nonsens-Geschichten
und märchenhaften Verspieltheiten. Besonders bitter war für Tolkien, dass Lewis – im
Gegensatz zur Rezeption seines Werkes – sehr schnell zum Bestsellerautor aufstieg.
Die Narnia-Chronik gehörte bereits Ende der 1950er-Jahre zum festen Bestand der
Kinderliteratur im angelsächsischen Raum und wurde zum Fantasy-Klassiker. Seit
Ihrer Veröffentlichung wurde die Reihe in 29 Sprachen übersetzt und über 85 Millionen
mal verkauft. Doch ihre Popularität lässt sich ebenso auf ihren zeitlosen inhaltlichen
Wert zurückführen. Die Narnia-Chronik lebt einerseits von ihrer logisch-linearen Erzählstruktur und der fesselnden Handlung, andererseits von ihrer Fülle an stimmungsvollen Details und liebevoll gezeichneten Charakteren. Sowohl die Bücher wie auch der
Film enthalten viele religiöse und theologische Gedanken und Anregungen. Das Böse
und das Gute, Sünde und Versöhnung, Ethik und Handlungsorientierung, Tod und Auferstehung sind einige der theologischen Themen, die in die Erzählhandlung eingebunden sind.
Sowohl inhaltlich wie stilistisch lastet der Schatten von Herr der Ringe auf dieser Disney-Verfilmung des ersten Bandes. Ähnlich wie bei Tolkien geht es um den Kampf Auserwählter gegen das Böse. Dabei ist ein deutlicher christlich-religiöser Impetus bemerkbar. Die vier Menschenkinder – die als Adamssöhne und Evastöchter bezeichnet
werden – sind laut einer Prophezeiung dazu ausersehen, Narnia von der weissen Hexe
Jadis zu befreien, und schliessen sich dem weisen Löwen Aslan und seiner mittelalterlich ausstaffierten Kentauren-Truppe an. Die Erlöserfigur ist dabei deutlich christologisch besetzt: Der Löwe Aslan opfert sich stellvertretend für den Verräter Edmund, um
die Welt vor der Macht des Bösen zu bewahren. Er allein kann den immerwährenden
Winter der weissen Hexe beenden und die Weihnacht zurückbringen. Es gibt hier eine
regelrechte Auferstehung, die ein neues Zeitalter hereinbrechen lässt, in dem die Kinder als Herrscher über das Reich Narnia eingesetzt werden.
Wer in der zweiten Hälfte des Filmes ein Déjà-vu-Erlebnis hat, gehört wahrscheinlich
zur überwiegenden Mehrheit. Regisseur Andrew Adamson inszeniert mit einem grossen
Respekt für die Vorlage und situiert die Erzählweise in den cineastischen Erzählformen
der 1940er-Jahre. Das geht bis in die Farbdramaturgie und die Kostüme hinein. Die
Endschlacht lehnt sich stark an Peter Jacksons "Lord of the Rings"-Trilogie an. Ebenfalls in Neuseeland gedreht und mit demselben Team realisiert kommt die visuelle
Ähnlichkeit augenfällig daher. Auf der positiven Seite wirkt die archaische Kraft der
schottischen "Highlanderin" Tilda Swinton äusserst attraktiv. Sowohl als Hexe im weissen Pelzmantel als auch im Fell-Outfit als Opferpriesterin verkörpert sie die Faszination des Bösen kongenial zur literarischen Vorlage. Allein diese aussergewöhnliche Performance rettet den Film nicht. Es braucht auch vom Publikum den erklärten Schritt
durch den magischen Wandschrank, um in dieser Welt voll und ganz aufzugehen.
Kulturelle Wurzelbehandlung
Der Fantasy-Film ist für das Kino unverzichtbar, weil er darstellt, wofür unsere prosaische Alltagswelt keine Bilder hat. Die Gattung "Fantasy" wird in der Literatur erstmals
1949 erwähnt. Sie beruht auf dem urmenschlichen Streben, seinen Tagträumen und
Hirngespinsten mit technischem Geschick auf die Sprünge zu helfen. Es geht meistens
um Märchen und fantastische Parallel-Welten. Dazu gesellen sich Untergattungen wie
Horror-, Science-Fiction- und Animationsfilm: Filme über Tarzan, Dracula, King Kong
und das Leben Jesu. Sicher ist, dass kulturelle und religiöse Wurzelgeflechte im FantaMedienheft – 9. Dezember 2005
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sy-Film eine zentrale Rolle spielen: Drachen, Zauberer, magische Schwerter, Elfen,
Hexen, Zwerge, Sagen, Mythen, Fabeln und Märchen sind der Stoff, von dem die Gattung
lebt. Sie ist auch vielfach mit religiösen Mythen aufgeladen. Hier spielt der "Erlösermythos" eine wichtige Rolle. Auch der stellvertretende Tod durch ein Selbstopfer gehört zu
diesem Grundbestand.
Trend zum Geschichtenrecycling
Medienangebote dienen als mythologischer Diskursraum. Dabei sind in diesem intertextuellen Geflecht des Geschichtenrecyclings vor allem die Fantasy-Filme im Trend. Es
ist nicht zufällig, dass "Lord of the Rings", "Harry Potter" und die "Chroniken von Narnia" ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit ins Kino kommen. Es gibt in dieser Zeit des
Jahreskreises ein besonderes Bedürfnis, sich nochmals über die wichtigen Mythen und
Gründungsgeschichten zu verständigen. Viele Menschen tun dies ohne den Rückgriff
auf die Angebote der christlichen Kirchen. Doch das religiöse Bedürfnis, dramatische
Geschichten über die Erschaffung der Welt, die Erlösung vom Bösen und die Auferstehung in einem neuen Leben zu erleben ist tief verankert. Das Schauen und Erleben
einer neuen Welt ist wichtig, gibt Freiräume und setzt kreative Kräfte frei. Und doch ist
es ein Merkmal der aktuellen Filmadaptionen, dass sie wenig neues Erfinden, sondern
auf bestehende Geschichten und Erzählungen zurückgreifen. Literarisch kundige Geschmäcker mögen die oftmals derbe Kost, die uns das Kino bietet, vielleicht nicht goutieren. Doch liegt es vielleicht daran, dass die Traumfabrik Hollywood auf Teufel komm
raus die alten Rezepte immer wieder aufkocht. Es mangelt dabei nicht am Fantastischen, wohl aber gelegentlich an erzählerischer Fantasie.
Charles Martig ist Filmpublizist und Geschäftsführer des Katholischen Mediendienstes in Zürich.
Credits:
"The Chronicles of Narnia – The Lion, the Witch and the Wardrobe" ("Die Chroniken von Narnia –
Der König von Narnia"), Regie: Andrew Adamson, Besetzung: Tilda Swinton, William Moseley,
Anna Popplewell, Skandar Keynes, Geogie Henley, Verleih: Buena Vista, Filmwebsite:
www.narnia.ch.
Kinostart: 8. Dezember 2005
Literatur:
Clive Staples Lewis: Die Chroniken von Narnia. Gesamtausgabe mit den kolorierten Originalillustrationen von Pauline Baynes. Überreuter-Verlag 2005.
Markus Mühling: Gott und die Welt in Narnia. Eine theologische Orientierung. Vandenhoeck &
Ruprecht, Göttingen 2005.
Links:
Filmwebsite:
http://www.narnia.ch
Zu den "Chroniken von Narnia":
http://de.wikipedia.org/wiki/Chroniken_von_Narnia
Zu C.S. Lewis als Professor für Literatur in Cambridge und vielseitiger Schriftsteller:
http://de.wikipedia.org/wiki/Clive_Staples_Lewis
Filmkritik von Charles Martig zu "Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs":
http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k21_MartigCharles.html
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