Size matters – auf die Größe kommt`s an!
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Size matters – auf die Größe kommt`s an!
Verpackungstechnik Size matters – auf die Größe kommt’s an! Abbildung 1: Die Mini-Faltbox ist die neueste Produktinnovation des Behälterproduzenten AyKasa. Durch eine Beschränkung auf ein Inhaltsvolumen von 4 Liter ist sie auf das Abpacken von Kleinmengen abgestimmt. Diese wird beim Produzenten befüllt und geht nach dem Transport samt der Verpackung bis zum Endverbraucher. Damit kann das Umpacken von Großmengen eingespart werden. Dies und die großzügige Belüftung begünstigen die Langzeitqualität des Inhalts. Foto: Ay-Kasa Polimer A.S. Wer hätte angenommen, dass rund zehn Prozent des vom Produzenten gelieferten Obsts und Gemüses auf dem Weg zum Konsumenten beim Umpacken und Verteilen beschädigt wird oder schlichtweg verloren gehen? Oder dass empfindliche Ware verdorben ankommt, weil sie in zu großen Mengen und zu dicht gepackt versandt wird und dadurch „erstickt“. Eine Lösung für beide Probleme bietet das neue Verpackungssystem des türkischen Unternehmens Ay-Kasa. Es ist die „Mini-Klappbox“, mit der Kleinmengen den gesamten Weg vom Produzenten bis zum Endverbraucher optimal geschützt zurücklegen können und die nach der Entleerung zahlreiche Optionen zur Nachnutzung bietet. Das oberösterreichische Werkzeugbauunternehmen Haidlmair hat für Ay-Kasa ein effizientes Produktionssystem entwickelt. Arbeitsteilung und Spezialisierung sind die Eckpfeiler der modernen Wirtschaft. Dies gilt letztendlich auch für die landwirtschaftliche Produktion. In klimatisch begünstigten Anbaugebieten wird das Obst und Gemüse produziert, das dann über engmaschige Logistiknetze oft über weite Distanzen zu den Verbrauchern transportiert wird. Schnelligkeit hat dabei oberste Priorität, schließlich handelt es sich um sehr begrenzt haltbare Güter. Um die Zeitspannen bis zum Eintreffen an derVerkaufsstelle zu minimieren, kommt es auf möglichst kurze Umschlagszeiten an. Deshalb wird in möglichst großen Mengenlosen abgepackt. Die dafür eingesetzten Transportbehälter sind auf die Abmessungen der Europalette mit einer Stellfläche von 1200 800 mm abgestimmt. Als üblicher Konsens für die Obst- und Gemüselogistik hat sich die Unterteilung der Stellfläche in vier Teilmengen etabliert. Dem entsprechend wer- 80 den heute überwiegend Transportkisten mit einer 600 mm x 400 mm großen Grundfläche verwendet. Es gibt sie in vielen Ausführungen, Typen, Höhen und Designs, aus Karton, Holz oder Kunststoff, starr oder klappbar. Doch so gut auch das Logistikkonzept auf den schnellen und kostengünstigen Langstreckentransport abgestimmt ist, so wenig unterstützt es am Zielort die Verteilung zum Endverbraucher. Der Grund ist wiederum die Größe der Transportkisten mit einem Fassungsvolumen zwischen 35 und 50 Litern, abhängig von der Höhe der Seitenwände. In jedem Fall übersteigt dieses Volumen die durchschnittliche Einkaufsmenge eines Endverbrauchers. Deshalb Abbildung 2: Die Obst- und Gemüseprodukte können direkt von der Transportpalette ohne zusätzliches Umpacken zum „point-of-sale“ in das Verkaufsregal gehen. Inhalt und MiniFaltbox gehen als Verkaufseinheit zum Kunden. Die leere Box bietet dem Käufer einen attraktiven Zweitnutzen als Aufbewahrungsbox. Foto: Ay-Kasa Polimer A.S. müssen die Transportmengen aufwändig umgepackt werden, entweder zu Endverbrauchsmengen oder in Regalbehälter für den Individualmengenverkauf. Während dieser zusätzlichen Arbeitsschritte werden die Nachteile der traditionellen Transportlogistik offensichtlich. Es sind die Mengenverluste durch die notwendige Selektion von beschädigter oder qualitativ beeinträchtigter Ware. Die Schadmengen entstehen entweder im Laufe der Manipulation oder schon vorher durch eine zu dichte Befüllung, kombiniert mit einer schlechten Belüftung in den Primärtransport-Kisten. Kleine Boxen statt großer Kisten Diese Probleme abzustellen und den Produzenten ein Hilfsmittel zur Sicherung des Produktionswerts anzubieten, war die Motivation für Cem Karakullukçu, den Gesellschafter und technischen Leiter des türkischen Unternehmens Ay-Kasa, zur Entwicklung eines neuartigen KleinmengenVerpackungssystems. Die Grundidee war, die Kleinmengenkommissionierung vom Ende der Logistikkette zum Produzenten und damit an den Anfang der Logistikkette zu verlagern und den Manipulationsaufwand am Zielort mit all seinen Nachteilen einzusparen. Die Vorgabe dabei war, die Kleinmengen genauso effizient auf der Langstrecke transportieren zu können, also durch optimale Nutzung der Europalette. Und die Kleinmengenbehälter sollten samt Inhalt direkt bis zur Verkaufsstelle gehen und die Warenpräsentation unterstützen (Abbildungen 1 und 2). Trotz kleiner Abmessungen sollten sie faltbar und so hochwertig sein, dass sie analog zu den großen Faltboxtypen in einem Kreislaufsystem verwendbar wären. Wenn Österreichische Kunststoffzeitschrift 3/4 2010 Verpackungstechnik Abbildung 3: Die Mini-Box ist nicht nur ein guter Transportschutz, sondern sie passt durch ihre kompakten Abmessungen in alle handelsüblichen Kühlschränke. Foto: Ay-Kasa Polimer sie aber beim Konsumenten verblieben, sollten sie ihm einen nachhaltigen Mehrwert bieten, zum Beispiel als multifunktionale Aufbewahrungsboxen (Abbildung 3). Doch, wie klein konnte die „Mini-Faltbox“ werden? Die Antwort kommt vom „Erfinder“ Cem Karakullukçu: „Wir suchten einen Teilungsraster, der einerseits Obstund Gemüse in möglichst viele Endverbrauchermengen unterteilt, andererseits die Stellfläche optimal ausnützt. Unter der Annahme, dass der Endverbraucher ein bis eineinhalb Kilogramm einkauft, was einem Volumen von rund vier Litern entspricht, entschieden wir uns letztendlich für eine Unterteilung in 21 Teilmengen. Dies ergibt drei Reihen zu je sieben Boxen. Daraus abgeleitet ergeben sich Behälteraußenmaße von 266 mm 171 mm.“ Neu in dieser Behälterklasse ist, dass es sich dabei um Faltboxen handelt. Damit sollten wiederum die Logistikkosten bei der Teileversorgung gesenkt werden, und zwar bei der Belieferung der Gemüseproduzenten mit Neuteilen und der Einrichtung eines Kreislaufsystems. Immerhin lässt sich durch das Zusammenfalten der leeren Boxen das Transportvolumen auf ein Sechstel reduzieren. Somit passen bei Annahme einer maximalen Gesamthöhe einer Logistikeinheit (Palette mit Ladung) von 2,5 Metern bis zu 22 Lagen oder 462 Miniboxen übereinander (Abbildung 4). Wenn die Boxen als Leerware zum Produzenten geliefert werden, passen auf eine Palette rund 1 900 Stück. Dies ergibt pro Lastwagen mehr als 60 000 Miniboxen! Haidlmair entwickelt rationelles Produktionssystem Als das oberösterreichische Werkzeugbauunternehmen Haidlmair, Marktführer bei Spritzgießwerkzeugen für Getränkekisten und Logistikcontainern mit der Idee konfrontiert wurde, ging es nicht um die technische Machbarkeit an sich, sondern um Abbildung 4: Mit ihren Ausmaßen (mm) von 266 171 105 ist die Ay-Kasa-Mini-Box optimal auf die Palettenlogistik abgestimmt. Auf eine 800 1200-Europalette passen pro Beschickungsebene 21 Stück (3 7 Stück). Abhängig vom Füllgewicht können bis zu 6 Behälterlagen (= 126 Miniboxen) auf einer Palette gestapelt werden. Foto: Ay-Kasa Polimer Österreichische Kunststoffzeitschrift 3/4 2010 das effizienteste System zur Herstellung. Der Haidlmair-Projektleiter Roland Gradauer beschreibt die Ausgangssituation: „Die Herausforderung war, ein Produktionskonzept zu konzipieren, mit dem die Mini-Box im Kostenwettbewerb neben der Standardbox bestehen könnte. Sie sollte all das können, was die große Faltbox auch kann, das heißt alle Prüfstandards bezüglich Stapelfähigkeit und Belastbarkeit erfüllen, dabei möglichst leicht sein und auf dem gleichen Kostenniveau produzierbar sein.“ Nun waren die Konstrukteure gefragt. Deren Rezept zur Herstellkostenreduktion war ein „Familienwerkzeug“, mit dem vier Mini-Boxen in einem Schuss produziert werden könnten. Die Idee war, die 20 Einzelteile der vier Teilesets puzzleartig zu verschachteln und so die Plattenmaße des Spritzgießwerkzeugs minimal zu halten, in jedem Fall nur unwesentlich größer werden zu lassen, als für die Standard-Klappboxen (Abbildungen 5 und 6). Roland Gradauer ergänzt: „Beim Heißkanalsystem kam es auf den optimalen Kompromiss zwischen Fließweglänge und den einzelnen, sehr unterschiedlichen Teilevolumina an. Es sollten alle 20 Formteile simultan in Minimalzeit gefüllt werden. Um das zu erreichen, werden für die großvolumigen Bodenplatten mit jeweils zwei Düsen, die Seitenteile jeweils mit einer Düse angespritzt. In Summe sind dies 24 Düsen (Abbildung 7). Als Ergebnis des präzisen Volumenabgleichs im Heißkanalsystem, kann die benötigte Schließkraft trotz vergleichsweise insgesamt größerer projizierter Formteilfläche auf gleichem Niveau, wie bei der 600 mm x 400 mm-Standardgröße nämlich bei 1 100 Tonnen das sind 11 000 kN gehalten werden. Da wir letztendlich durch die geringeren Wanddicken der Einzelteile und die Aufteilung Abbildung 5: Zur rationellen Produktion der „Mini-Faltbox“ hat Haidlmair ein „Familien-Werkzeug“ konzipiert, mit dem vier komplette Faltboxen aus insgesamt 20 Einzelteilen in einem Schuss hergestellt werden können. Foto: Haidlmair 81 Verpackungstechnik Abbildung 6: Die gemeinsam produzierten vier Teilesets der Mini-Faltboxen sind für die optimale Raumökonomie im Spritzgießwerkzeug ineinander verschachtelt und werden mittels Roboter entnommen. Foto: Ay-Kasa Polimer des Einspritzvolumens in mehr Teilmengen als bei der Standardbox einen Zykluszeitvorteil herausholen konnten, war das gemeinsame Ziel erreicht, nämlich eine neue Mehrfunktionsverpackung zu wettbewerbsfähigen Konditionen produzieren zu können.“ Die Einzelteile der vier Miniboxen werden gemeinsam von einem Entnahmeroboter entnommen und an einer Montagevorrichtung außerhalb der Spritzgießmaschinen übergeben. Kundennutzen gesteigert, Prozesskosten gespart. Abbildung 7: Zur simultanen Anspritzung der insgesamt 20 Einzelteile der 4 Boxen wurde ein Heißkanal-System mit 24 Anspritzdüsen vorgesehen. Die Bodenplatten der Boxen werden wegen des vergleichsweise großen Volumens mit je zwei Düsen gefüllt. Foto: Haidlmair 82 Ay-Kasa Mitbesitzer Cem Karakullukçu fasst die die Vorteile des Systems zusammen (Abbildung 8): „Wo könnte das Sprichwort ‚Small ist beautiful’ besser passen, als zur neuen Mini-Box. Sie sieht nicht nur gut aus, sondern sie erschließt ein bisher vernachlässigtes Einsparpotenzial. Mit den kleinen Packungsgrößen gelingt es, die Logistikkette bis zum Endverbraucher Abbildung 8: Ay-Kasa Geschäftsführer Cem Karakullukçu mit „seinem“ Haidlmair-Spritzgießwerkzeug für die von ihm entwickelten Mini-Boxen. Foto: Ay-Kasa Polimer zu verlängern, Verteilkosten zu sparen, die Qualität der transportierten Produkte und die Präsentation zu verbessern und dem Endverbraucher zusätzlich zum Inhalt auch noch einen nachhaltigen Mehrwert mitzugeben. Wahrlich eine stolze Bilanz, die nicht viele Verpackungsinnovationen in ähnlicher Kombination aufweisen können. Dass wir unser Ziel erreicht haben, ist nicht zuletzt ein Verdienst der HaidlmairTechniker, deren System die zugesagte Produktivität auch im Dauerbetrieb unter Beweis stellt.“ Österreichische Kunststoffzeitschrift 3/4 2010