Nearshoring kann mehr als nur billig

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Nearshoring kann mehr als nur billig
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DIENSTLEISTUNG / CALLCENTER
Nearshoring
kann mehr
als nur
BILLIG
Warum Callcenter-Dienstleistungen aus
Osteuropa mehr als eine Überlegung
wert sind
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DIENSTLEISTUNG / CALLCENTER
D eutsch e geset z gebu n g e n w ie d e r m in d e s tlo h n u n d
das son n t a g sa r bei t sver b o t, d e r s o zio d e m o g raf is ch e
Wandel u n d vo r a l l em d i e attrak tiv e n P re is e m o tiv ie re n
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chancen un d r i si ken d es n e a rs h o rin g s d e s Ku n d e n s e rvi ces sow i e der st el l en w e rt v o n c allce n te r- a g e n te n in
Osteurop a w er den gera d e v o r d e m h in b lick d e r s ch w ie rigen m ar kt ver hä l t ni sse in D e u ts ch lan d in te re s s a n t.
Trotz Mindestlohn: Callcenter-Agenten gehören in
Deutschland noch immer zu den Schlechtverdienern. Das
Image der Callcenter-Branche insgesamt lässt zudem zu
wünschen übrig. Zu viele Negativberichte dominieren die
eigentlich gute Arbeit, die Service-Agenten tagtäglich am
Telefon und im Netz leisten. Dieses Imageproblem und
andere Hürden wie Preisdruck, steigende Anforderungen
an den Kundenservice generell stellen Callcenter-Anbieter nicht nur vor Rekrutierungsproleme.
Kann das Outsourcing von Kundenservice-Dienstleistungen nach Osteuropa hierauf eine adäquate Antwort
sein? Wann und für welche Unternehmen ist Nearshoring
– wenn überhaupt – interessant? Der SQUT befragte
den verantwortlichen Geschäftsführer für die Märkte
Deutschland & Osteuropa bei Sitel, einen der TOP-Player
der BPOs zu deren Nearshoring-Strategie.
SQUT: Welche Unternehmen fragen bei Ihnen Kundenservice aus Osteuropa an? Und welche Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht vorhanden sein,
damit Kundenservice aus Osteuropa überhaupt erfolgreich durchgeführt werden kann?
C. Steinebach: Es sind in erster Linie Unternehmen, die
international aufgestellt sind bzw. die auf internationalen
oder zumindest europäischen Märkten agieren, die bei
uns auch die osteuropäischen Standorte anfragen. Wir haben hier Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen.
Beispielsweise betreuen wir unter anderem in Polen seit
über zehn Jahren ein globales Technologie-Unternehmen
mit multilingualem Kundenservice. Anfragende Branchen sind Handel und e-Commerce, Verbraucherelektronik, aber auch Unternehmen aus der Gesundheits- und
Finanzbranche. Auch Telekomanbieter gehören dazu.
Eine entscheidende Voraussetzung ist meines Erachtens
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nach eine stabile und einheitliche Prozessstruktur, auf
Basis derer sie für Kunden gleichbleibende Qualitätsstandards sicherstellen können – und das haben wir: Sitel folgt
dem Qualitätsstandard GOS, unserem Global Operating
System, das wir seit nahezu 30 Jahren weltweit kontinuierlich nutzen und weiterentwickeln und das im Übrigen
an COPC (Global Consulting and Training Certification)
Standards angelehnt ist. Wir stellen mit GOS sicher, dass
qualitativ hochwertige Dienstleistungen aufgrund stabiler
Prozesse an allen unseren 108 weltweiten Standorten gewährleistet sind. Das gilt ebenfalls für unsere Sitel Work@
Home Solutions™. Das Global Operating System (GOS) ist
unser definierter Grundstock, der im Detail vorgibt, wie
Sitel arbeitet und funktioniert, misst und verbessert. Und
das ist transparent und nachvollziehbar für jeden unserer
Kunden und natürlich auch für alle unsere Mitarbeiter.
Darüber hinaus brauchen sie natürlich auch gut ausgebildetes Personal mit hoher Sprach- aber auch mit entsprechender emotionaler Kompetenz – das heißt, mit dem
notwendigen Verständnis für unterschiedliche kulturelle
Eigenheiten – eine gute Infrastruktur, einen
effektiven und effizienten Zugang zu
Ressourcen, politische Stabilität – das
sind lediglich die Basisvoraussetzungen. Wir wachsen seit über
zehn Jahren mit unseren Standorten in Polen, Bulgarien und
Serbien. Heute arbeiten mehr
als 2.000 Mitarbeiter an diesen
Standorten für uns. Das heißt
für mich: Wir machen hier einiges
richtig.
Ausbildung und Förderung in den Vordergrund stellen.
Damit erreichen wir nicht nur eine gleichbleibende, hohe
Qualität, sondern auch eine hohe Motivation der Mitarbeiter, was wiederum auf die Qualität der Leistung einzahlt. Von daher muss ich an dieser Stelle dem von Ihnen
gezeichneten Bild entgegentreten: Mit „billig“ im Sinne
von schlechter Leistung hat das nichts zu tun. Es ist aber
unbestritten, dass das Gehaltsgefüge in Osteuropa natürlich anders ist als das in Deutschland – insofern können
Leistungen natürlich preiswerter angeboten werden.
SQUT: Wie steht es um die Qualifikation der osteuropäischen Callcenter-Agenten? Welche Anforderungen werden an diese gestellt und wie wird die Qualität sichergestellt?
C. Steinebach: Viele unserer Mitarbeiter in den osteuropäischen Ländern verfügen über mehrere Bildungsabschlüsse und über exzellente Sprachkenntnisse. Wir haben dort gut ausgebildete, talentierte Mitarbeiter, die das
Service-Erlebnis, das wir unseren Kunden versprechen,
verstehen und auch jederzeit umsetzen können. Dazu gehören, neben der interkulturellen Kompetenz, Fähigkeiten wie
hohe Sprachkompetenz, sehr gute
Kommunikationskompetenz wie
z. B. die Fähigkeit zu aktivem
Zuhören, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Team und mit
unseren Kunden, um nur einiges
zu nennen.
Die Sitel-University, mit der Möglichkeit, Webinare – also virtuelle
Trainings – zu besuchen oder E-LearningAngebote zu nutzen, ist einer unserer wertvollen
Bausteine im Qualifikationsprozess. Insgesamt sind über
400 Trainingsmodule und Kurse hinterlegt, die von allen
Mitarbeitern der Firma Sitel genutzt werden können.
Wir machen hier
einiges richtig
SQUT: Nearshoring – bisher verbucht man
das schnell, wie das Outsourcing auch, mit Geld sparen und billiger, schlechterer Qualität. Was zeichnet
einen Qualitätsanbieter wie Sitel aus, wenn es um
die Verlagerung von Callcenter-Dienstleistungen
nach Osteuropa geht?
C. Steinebach: Wie gesagt, es kommt vor allem darauf an,
konsistente Servicequalität sicherzustellen. Die hat viele
Facetten, von Sprachkenntnissen bis hin zur Emphatie.
Sitel ist im Nearshoring nach Osteuropa nicht zuletzt
deshalb so erfolgreich, weil wir hier zwei grundsätzlich
wichtige Elemente verbinden: das globale Qualitätsmanagement und unseren HR-Ansatz „People First“ – der
Mensch zuerst, bei dem wir die Mitarbeiter und deren
SQUT: Warum „nur“ Nearshoring? Warum nicht auch
Offshoring?
C. Steinebach: Bei der Entscheidung für eine On-, Nearoder Offshore-Strategie ist es wichtig, kulturelle Unterschiede zu verstehen und diese bei der Lösungsfindung
zu berücksichtigen. Kulturelle Unterschiede sind eines
der häufigsten Probleme für diejenigen Unternehmen, die
nach Indien und in andere asiatische Länder auslagern.
Da sind auch viele Fehler gemacht worden. Das heißt
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nicht, dass Offshoring zwingend immer problematisch
sein muss, aber die Outsourcing-Strategie muss ganz klar
zur Marke, zur Servicestrategie und zum gewünschten
Service Level eines Unternehmens passen. Das sind Punkte, die wir mit Kunden, die Offshore-Services anfragen, in
jedem Fall besprechen.
SQUT: Welchen Stellenwert hat Deutschland als
Standort für einen internationalen CallcenterDienstleister wie Sitel?
C. Steinebach: Deutschland ist einer der größten europäischen Märkte und daher für Sitel nach wie vor interessant.
Wir haben unter unseren Kunden viele namhafte, in Deutschland ansässige Unternehmen, die sich auch weiterhin Kundenservice in Deutschland wünschen.
Der Stellenwert ist also weiterhin
hoch und wir wachsen auch in
Deutschland dementsprechend.
Wir sind hier aktuell mit über
4.000 Mitarbeitern an acht
Standorten aktiv. Noch vor zwei
Jahren waren es „nur“ 3.500 Mitarbeiter an sieben Standorten.
stärkere und unmittelbare Verfügbarkeit von Waren und
Dienstleistungen zu einem gesellschaftlichen Trend geworden ist, dem sich kein Marktteilnehmer, das heißt
Hersteller, Händler und Dienstleister, verschließen kann.
Fast alles ist heute 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche an 365 Tagen im Jahr zumindest über das Internet
erhältlich. Im Internet gibt es aber keine Ladenöffnungszeiten. Daran müssen wir uns gewöhnen. Nicht zuletzt hat
dieser Trend ja auch neue Arbeitsplätze entstehen lassen.
Wir bieten heute einen vielfältigen Kundenservice an, um
für unsere Kunden die umfassende Erreichbarkeit für deren Verbraucher zu gewährleisten. Eine Erreichbarkeit des
Kundenservice lediglich von Mo – Fr von 09:00
Uhr bis 18:00 Uhr ist heute eben nicht
mehr zeitgemäß.
Die Frage also, die sich hinter der
Thematik der Sonn- und Feiertagsarbeit verbirgt, muss daher
auf einer gesellschaftspolitischen
Ebene geklärt werden. Wenn
dann der Kundenservice an
Sonn- und Feiertagen nicht gewünscht wird, müssen wir das zur
Kenntnis nehmen. Konsequenterweise gehören dann aber auch alle vergleichbaren Dienstleistungen wie frische Brötchen
am Sonntag, Last-Minute-Reisen, Late-Night-Shopping
oder Online-Bestellungen von Musik oder Büchern mit
Overnight-Service auf den Prüfstand. Die Frage, die sich
eigentlich stellt, ist die, in welcher Gesellschaft wir letztendlich leben wollen, und welche Rolle moderne Dienstleistungen in ihr zukünftig spielen sollen.
Und, ohne hier eine Drohkulisse aufbauen zu wollen: Wir
müssen der Tatsache ins Auge blicken, dass sich internationale Anbieter bzw. global aufgestellte Unternehmen natürlich nicht die Öffnungszeiten für ihren Kundenservice
vorschreiben lassen werden. In einer globalisierten Wirtschaft, von der auch Deutschland stark profitiert, sollten
Marktbeschränkungen gut durchdacht werden.
sOnntagsarBeitsVerBOt
SQUT: Wie geht Sitel mit dem Thema
Sonntagsarbeitsverbot um? Glauben Sie, dass deutsche Callcenter bald das Licht am Sonntag abschalten müssen? Wie wird Sitel darauf reagieren?
C. Steinebach: Wir sehen uns bzw. die Branche der BPOAnbieter und Kundenservice-Dienstleister hier nicht als
ersten Ansprechpartner. Denn die Thematik ist eine, die
eine Markt- und Gesellschaftsentwicklung widerspiegelt.
Als Anbieter von Kundenservice-Dienstleistungen stellen
wir die relevante Logistik bzw. Infrastruktur bereit und
bieten den entsprechenden Kundenservice, damit Unternehmen den heutigen Kundenanforderungen gerecht
werden können. Die Anforderungen werden aber nicht
von uns getrieben. Das muss unterschieden werden.
Es ist heute ein unbestreitbares Faktum, dass die immer
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SQUT: Welche Nachteile sind beim Nearshoring
z. B. nach Bulgarien zu erwarten? Oder gibt es
für den Auftraggeber NUR Vorteile?
C. Steinebach: Mir fallen jetzt keine spezifischen Nachteile ein. Es ist hier sogar eher
so, dass das Rekrutieren von qualifizierten
Mitarbeitern dort wesentlich einfacher ist,
weil ein Job in der Callcenter-Branche dort
als Sprungbrett für eine erfolgreiche Berufskarriere angesehen wird.
Es ist aber auch nicht so schwarzweiß. Also: nur
Vorteile oder nur Nachteile. Wichtig für Unternehmen ist, sich genaue Gedanken über den Service Level
zu machen, mit dem man sich vom Wettbewerb absetzen
möchte. Kulturelle Kompatibilität hatte ich ja schon angesprochen. Auch die Sprachabdeckung ist unterschiedlich
und muss bei der Entscheidung für eine OutsourcingStrategie bedacht werden. Es kann auch sein, dass unterschiedliche LOBs (Line of Business) mit unterschiedlichen Outsourcing-Strategien beantwortet werden. Das
machen wir ja auch für unsere Kunden: Also es geht hier
nicht unbedingt um „und“ oder „oder“, sondern sowohl
als auch. In jedem Fall sollte die Entscheidung sorgfältig
vorbereitet sein.
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nur VOrteiLe?
SQUT: In welchen Ländern Osteuropas sind Sie aktiv?
C. Steinebach: Wir sind in Polen, Bulgarien und Serbien
tätig. Unser erstes Büro in Osteuropa haben wir im Oktober 2004 in Warschau eröffnet, wo wir jetzt seit über
zehn Jahren BPO-Leistungen anbieten. 2006 folgte mit
Sofia der erste Standort in Buglarien und 2011 haben wir
als erstes Callcenter-Unternehmen einen Standort in Serbien eröffnet. Unsere Branche hat in diesen Ländern einen
anderen Ruf als in Deutschland, was uns die Rekrutierung
von geeignetem Personal einfacher macht. Wir sind dort
willkommen und Sitel hat daher auch seit Mitte des letzten Jahrzehnts hohe Beträge in seine osteuropäischen
Standorte investiert und Arbeitsplätze geschaffen; das tun
wir aber auch in Deutschland.
SQUT: Wollen Sie weiterhin mit Nearshore-Standorten in Osteuropa expandieren?
C. Steinebach: Ja, Sitel verfolgt eine Erweiterungsstrategie.
Die Nachfrage nach Nearshoring-Kapazitäten ist derzeit
hoch und wir müssen uns natürlich dem anpassen, was
unsere Kunden von Sitel erwarten. Daher schließe ich
weitere Standorte in Osteuropa nicht aus. 
D ipl.-Kfm. Christian S t einebac h
G es c h äf t s f ü h rer D eu t s c hl a nd & O s t eu ro p a; S i t e l G m bH
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Diplo m K a u f ma n n
christian steinebac h ist Diplom
mit Fokus Finanz ierung / i tK und ve ra n tw ors e i t 2011 d a s
tet als gesc häftsführer der sitel gmbh se
profitable Wac hstum von insgesamt z wölf sta n d orte n i n
Deutsc hland, Bulgarien, Polen und serbien mi t me h r a l s
6.000 m i ta rb e i te rn .
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