Bodies of Evidence

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Bodies of Evidence
Inhalt
I. Einleitung
7
II. All That Heaven Allows
Geschichte und Theorie der Star Studies
21
III. Stand And Deliver
Filmstars als Repräsentanten der Geschlechterordnung
35
IV. Caught in the Act
Körperbilder auf der Leinwand
48
V. A League of Their Own
Sechs Hollywood-Stars und ihre Geschlechtsrepräsentationen
58
V.1. A Dangerous Woman: Jane Fonda
59
V.2. The Natural: Robert Redford
95
V.3. The Lady Vanishes: Meryl Streep
142
V.4. Last Action Hero: Sylvester Stallone
177
V.5. Working Girl: Demi Moore
224
V.6. Man Trouble: Michael Douglas
256
VI. Schluss
294
VII. Literaturverzeichnis
297
VIII. Filmografien
315
#
V.5. Working Girl: Demi Moore
*
Wie konnte eine Schauspielerin, die sich in der Schmonzette Ghost in die Herzen der Zuschauer gespielt hatte, sich so verwandeln, dass sie inzwischen am glaubwürdigsten beim Liegestütz aussieht und in einer normalen Liebesszene so deplatziert wirkt wie einst John Wayne?
1
Das wäre eine Geschichte, die einmal erzählt werden müsste.
Es ist die Geschichte dieser Verwandlung und ihrer Bedeutungen, die in diesem Kapitel erzählt werden soll – einer Verwandlung, die sich im Verlauf eines knappen Jahrzehnts, von
1990 bis 1997, abgespielt hat und die sich als außergewöhnlich komplexe, riskante und provokante Geschlechtsrepräsentation lesen lässt.
Kein anderer amerikanischer Filmstar der neunziger Jahre wurde im populären Diskurs
mit solcher Vehemenz angegriffen wie Demi Moore: Ein Artikel des Internet-Magazins Salon titulierte sie 1997, gegen Ende ihrer Erfolgsphase, als «die Ein-Frau-Katastrophe, die
ganz allein eine ungeheuerliche Vulgarität zurück nach Hollywood gebracht hat».2 Neben
Vulgarität gehörten Ehrgeiz und Erfolgshunger, Verbissenheit, Härte, Berechnung und
Starrsinn, Egomanie, eine neureiche Gier nach Status und ein Hang zu Protz und Prunk (ihr
Spitzname lautete «Gimme Moore») sowie gnadenlose Selbstvermarktung zu ihrem Image.
Kein anderer weiblicher Star dieser Zeit zog derart heftige Reaktionen auf sich – Moore rief
ganz offensichtlich ein kulturelles Unbehagen hervor, welches sich in offenem, oft hämisch
gefärbtem Hass entlud und in öffentlichen Protesten gipfelte. «Moore hat sich zu unserer
höchstbezahlten und meistverachteten Filmschauspielerin entwickelt», stellte Newsweek
1997 fest und verortete die Darstellerin – ex negativo – gleich im Kontext einiger ihrer Zeitgenossinnen: «Sie ist die Anti-Julia-Roberts, die Nicht-Meg-Ryan, die Kontra-MichellePfeiffer.»3
In dieser Charakterisierung verbirgt sich unter anderem eine der gängigsten Tropen, die
Moores Image im populären Diskurs charakterisierten: die Unwahrscheinlichkeit ihres
Startums. Häufiger als bei anderen Stars wurde Moores «Zugangsberechtigung» zu ihrem
Status in Frage gestellt. Über welche «Aura», welches «Charisma» sie schon verfüge? Welche
Zugkraft sie für die Zuschauer besitze? Die Willkürlichkeit, mit der ihr eine Attraktivität für
bestimmte Rezipienten zu- oder wieder abgesprochen wurde,4 lässt darauf schließen, dass
die Debatte über die Legitimität ihres Star-Status eine tiefergehende Irritation verdeckte:
Die unausgesprochene Prämisse lautete eigentlich, dass Moore kein Star sein dürfe. Wenn
ihr überhaupt eine Star-Qualität zugestanden wurde, dann war es der Sex-Appeal ihres Körpers und ihrer rauen, dunklen, stereotyp als «rauchig» charakterisierten Stimme.
*
1
2
3
4
Dieses Kapitel ist in einer wesentlich früheren Fassung bereits als Aufsatz in der Filmzeitschrift Montage/AV (2/1997) erschienen.
Turan 1997, C8.
Seipp 1997.
Kroll 1997.
Manchmal wurde ihr unterstellt, dass Frauen sie nicht schätzten, weil ihr «Superwoman»-Image Neid erzeuge; so behauptete eine Journalistin: «Demis unermüdlicher Ehrgeiz, sich zu verbessern und weiterzukommen, macht sie den
meisten Frauen, die nicht um vier Uhr früh auf dem Stepper stehen, nicht gerade sympathischer» (Lippert 1997, 32).
Dann wieder wurde ihre Fan-Basis gerade unter weiblichen Zuschauern verortet und zugleich spekuliert, dass Männer
"
Sexuelle Attraktivität allein aber wird im populären Diskurs (der darin seine bürgerlich-moralischen Werte verrät) gewöhnlich nicht als ausreichendes Kriterium für Startum
gewertet; sie muss sich paaren mit Eigenschaften wie Unschuld und Verletzlichkeit (Marilyn
Monroe), Witz und Chuzpe (Mae West), Intelligenz und Gefährlichkeit (Sharon Stone)
oder auch Unsicherheit und Natürlichkeit (Julia Roberts), um sich zu einem Bild zu runden,
dem Starqualitäten zugesprochen werden. Moores Image hingegen fehlten solche zusätzlichen Attribute; darum wurde ihr unterstellt, sie habe sich ihr Startum gleichsam «erschlichen»,5 wie die Einleitung eines US-Filmkritikers zur Rezension einer ihrer Filme, dem Militärdrama G.I. Jane (1997), deutlich macht:
Wie die von ihr gespielte Figur ist auch Moore eine Frau, der niemand zugetraut hätte, dass sie
ihr selbstgestecktes Ziel erreichen würde – ein Star zu werden … Bei ihrem Aufstieg haben
weder Talent und Charisma eine Rolle gespielt noch die Art von Star-Aura, die ein Publikum
zum Träumen bringt. Dafür ist ihre Ausstrahlung zu harsch und zu streng. Moore hat offensichtlich geglaubt, dass sie unsere Gunst einfach dadurch erobern kann, dass sie sich bei jedem
erdenklichen Anlass in der Öffentlichkeit zeigt und uns die Symbole ihres Erfolgs unter die
6
Nase reibt, bis wir ihr abnehmen, dass sie ein echter Star ist.
Doch unzweifelhaft war Moore in den neunziger Jahren ein Filmstar, zeitweise sogar die
höchstdotierte weibliche Darstellerin Hollywoods (und damit der Welt): Für Striptease
erhielt sie 1996 eine Gage von 12,5 Millionen Dollar, damals ein Rekord für weibliche Stars.
Moore war in Haupt- oder wichtigen Nebenrollen in einigen der wirtschaftlich erfolgreichsten Filme der frühen bis mittleren neunziger Jahre vertreten (Ghost [1990], A Few Good
Men [1992], Indecent Proposal [1993], Disclosure [1994]); insgesamt spielten ihre
Filme mehr als eine Milliarde Dollar ein, darunter nahmen die vier zuletzt erwähnten jeweils mehr als 100 Millionen Dollar ein.7 Mit diesen Einspielergebnissen platzierte sich
Moore jahrelang auf allen Ranglisten der einflussreichsten Figuren der US-Filmindustrie.
1995 wählte die Filmzeitschrift Premiere sie zur mächtigsten Schauspielerin Hollywood;8
und noch 1999 wurde Moore von der Zeitschrift Forbes auf dem achten Platz in einer Liste
der 20 erfolgreichsten Schauspielerinnen geführt.9 Jedoch herrschte in Hollywood stets
Skepsis, ob sie genügend Star-Qualität besitze, um ein Publikum ihretwegen ins Kino zu locken: Die genannten Erfolgsfilme Moores boten populäre männliche Hauptdarsteller auf
(Tom Cruise und Jack Nicholson in A Few Good Men, Robert Redford in Indecent
Proposal, Michael Douglas in Disclosure), einige darüber hinaus sexualpolitisch provokante Szenarien (Indecent Proposal, Disclosure). Filme dagegen, die allein auf Moore
in der Hauptrolle zugeschnitten waren (The Juror [1996], The Scarlet Letter [1993],
Striptease [1996], G.I. Jane und Passion of Mind [2000]), waren ausnahmslos an der
Kinokasse nicht erfolgreich.
Darum war im Falle Moores der außerfilmische Teilbereich ihres Images weitaus wichtiger dafür, dass – und wie – sie als Star definiert wurde (Abb. 8a.d). Anders als etwa bei Meryl
5
6
7
8
9
von ihrer aggressiv-selbstbewussten Sexualität zu sehr eingeschüchtert würden, um an Moore Gefallen zu finden. Gelegentlich wurde die These aufgestellt, dass «Männer sie haben wollen und Frauen sie sein wollen» (Williams 1997, 18).
nicht zuletzt durch ihre Ehe mit dem Action-Star Bruce Willis, den sie 1987 heiratete. Das Paar wurde 2000 geschieden.
Taylor 1997.
Eine ausführliche Aufzählung der zur Analyse ausgewerteten Filme findet sich im Anhang in der Filmografie.
zit. n. Williams 1997, 18. Insgesamt landete Moore auf Platz 9 der Rangliste, vor männlichen Kollegen wie Clint Eastwood, Robert Redford oder Robin Williams. Ausgezeichnet wurden «die Schauspieler, die am meisten Einfluss darauf haben, welche Filme in Hollywood gedreht werden».
Quelle dieser Rangliste sowie aller Einspielergebnisse in diesem Absatz ist Goodall 2000, 169.
#
Streep wurde ihre Leinwand-Persona immer der Privat-Persona untergeordnet und auf diese
bezogen: Einzelne Rollen nahmen vor allem dann Einfluss auf Moores Gesamtimage, wenn sie
dem Bild von Moore «als Menschen» zu entsprechen schienen. Es gab, so zeigt die Materialrecherche, gerade Mitte der neunziger Jahre einen ungewöhnlich umfangreichen «Textkorpus»,
in dem dieses extradiegetische Image aus- und überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht wurde. So war das Zeichenagglomerat Moore äußerst präsent in bestimmten Segmenten des populären Diskurses, die Stars vor allem als Prominente produzieren:
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in der Boulevardpresse sowohl durch «halboffizielle» Fotografien, die sie bei Parties,
Premieren, Galas oder sonstigen Anlässen zeigten, wie durch Paparazzi-Schnappschüsse; außerdem durch Klatschgeschichten, die beispielsweise Gerüchte über Ehekrisen, Affären, schönheitschirurgische Eingriffe oder Moores Allüren verbreiteten;
in Frauen-, Unterhaltungs- und populären Filmzeitschriften durch immer neue
Glamour-Fotoshootings, die Moore regelmäßig auf die Titelblätter brachten,10 sowie durch Interviews, Drehberichte und Porträts;
im Fernsehen durch Talkshow-Auftritte, Interviews und sogar eine TV-«Dokumentation» ihres Lebens und ihrer Karriere;
und im Internet durch zahlreiche Fan-Websites, die vor allem Moores PinUp-Fotoserien vor dem Vergessen bewahrten.
Legt man die von Faulstich, Korte und anderen benannten Kriterien des Startums zu Grunde,
so erfüllte Moore demnach zumindest diejenigen des Erfolgs, des klar umrissenen Images
und weitgehend auch jenes der synchronen Kontinuität (definiert als «konstante Relation
zwischen der Film- oder Bildschirmpersönlichkeit und dem Star als ‹Menschen›»), wenngleich nur bedingt das Kriterium der diachronen Kontinuität (definiert als «Beständigkeit des
Erfolgs und des Starimages bei den Fans über einzelne Filmrollen oder Fernsehauftritte, oft
auch über längere Zeiträume oder ganze Karrieren hinweg»).11 Denn Moores Karrierebahn
ist (unter Vorbehalt eines Comebacks, das ich für unwahrscheinlich halte) innerhalb eines
sehr genau und eng umgrenzten Zeitrahmens verlaufen. In dieser Phase aber bot ihr Image
den Kristallisationspunkt für eine diskursive Verunsicherung, die sich, wie wir sehen werden,
in den USA an vielen gesellschaftlichen Schauplätzen niederschlug – unter anderem den Debatten um «sexuelle Korrektheit», um Pornografie, Schönheitschirurgie, Frauen im Militär,
Mutterschaft und Erwerbstätigkeit von Frauen, Abtreibungsrechte und «family values».
Es war eine Verunsicherung, die, so würde ich behaupten, selten als solche formuliert
wurde, da sie an grundlegende Paradigmen der Geschlechterordnung rührte. Vielmehr unterlag sie als Grundraster diversen gesellschaftlichen Diskursen, die darum kreisten, wie
Frauen zu sein, zu fühlen, zu denken und zu leben hätten. Diese Diskurse arbeiteten sich –
häufig in Form angestrengter Versuche, eine verbindliche normenkonstitutierende Praxis
zu etablieren – an einem Problem ab: Das Konstrukt «Frau» schien sich in den neunziger
Jahren nicht mehr fassen zu lassen. Weiblichkeit war unbeschreibbar geworden.
Jeder diskursive Versuch der Definition eines hegemonialen Feminitätskonzepts, sei es
anhand von feministischen oder von konservativ-patriarchalen Ideologemen, scheiterte daran, dass mit gleicher Berechtigung das Gegenteil behauptet werden konnte (und wurde).
10
11
unter anderem Cigar Aficionado Herbst 1996, Esquire 5/1993, George 7/6/1996, Harper’s Bazaar 8/1997, InStyle 9/1997, Interview 7/1996, McCalls 3/1996, People Weekly 24/6/1996, 13/7/2998, 6/9/1999, Premiere 4/1991, Redbook 1/1993, Rolling
Stone 9/2/1995, Vanity Fair 8/1991, 8/1992, 12/1993.
Faulstich u.a. 1997, 12.
$
Die Kategorie «Frau» hatte sich in der Phase des so genannten Postfeminismus soweit aufgelöst, dass ihr kaum noch eine feste Bedeutung zuzuweisen war. Stattdessen herrschte ein
Pluralismus der Weiblichkeitskonzepte, in dem die Kategorie verschwand in ethnischen, sexuellen, klassenspezifischen, altersspezifischen, religiösen und regionalen Zersplitterungen
sowie in ideologischen Differenzen gerade in Bezug auf Familienpolitik (pro/contra Abtreibung, pro/contra Erwerbstätigkeit von Müttern).
Weiblichkeit als Performance
Diesen Zerfall der Gewissheiten darüber, was eine «Frau» ist, (re-)produzierte Moore in ihrer Geschlechtsrepräsentation. Sie verkörperte Weiblichkeit in ihrem Image ostentativ
nicht als ontologische Tatsache, sondern offenbarte die Performativität dieser Weiblichkeit. Über Moore könnte man, in Abwandlung von Judith Butlers Formulierung, sagen:
«Die verschiedenen Akte der Weiblichkeit bringen überhaupt erst die Idee der Weiblichkeit
hervor: Ohne diese Akte gäbe es keine Weiblichkeit.» In Moores Image war geradezu als Topos angelegt, dass Geschlecht erst im Prozess seiner Herstellung entsteht, in den Akten der
Geschlechtsidentität – und damit in der Herstellung eines Körperbildes.
Dies galt ganz unmittelbar für die erwähnten Glamour-Fotostrecken, in denen Moore
als Produkt einer offensichtlichen, über ihren Körper vollzogenen Performance inszeniert
wurde. Dass der Star-als-Subjekt sich erst in der Repräsentation konstituiert, wurde an diesen außerfilmischen Texten besonders deutlich. Die Inszenierungen verfügten zum einen
über einen hohen ikonischen Wert, zum anderen (re-)produzierten sie Weiblichkeit auf unterschiedlichste Weise: Moore erschien als Vamp, als Dame, als Mädchen von nebenan, als
Femme Fatale oder als Pin-Up-Girl – und zwar nicht in verschiedenen, aufeinanderfolgenden Phasen ihrer Karriere (wie etwa Fonda), sondern gleichzeitig. Anders als bei anderen
Filmstars hatten die Inszenierungen insofern nicht das Ziel, ein «natürliches», vertrautes Bild
des Stars herzustellen; vielmehr verwandelte sich Moore (fast wie Cindy Sherman in ihrer
«Stills»-Fotoserie) immer wieder spielerisch in eine «andere» Frau. Bei manchen Repräsentationen ging diese Verwandlung so weit, dass es schwerfiel, Moore zu erkennen – damit gefährdete sie, was sicher nicht unproblematisch war, die unmittelbare ikonische «Evidenz»,
welche ihre Kohärenz als Individuum und damit die Geschlossenheit ihres Images verbürgte. Moores außerfilmische Verkörperung von Weiblichkeit(en) zeichnete sich also durch eine erhöhte Performativität aus, welche die Produktion von Geschlecht gleichsam thematisierte.
Solche Verwandlungen charakterisierten auch ihr intradiegetisches Image: Moores Weg
von der zarten, zaghaften Witwe in Ghost über die ehrgeizige Managerin in Disclosure
zur muskelbepackten, fast kahl geschorenen Soldatin in G.I. Jane lässt sich als ein Schaulaufen durch weibliche Geschlechtskonzepte der neunziger Jahre lesen (Abb. 77a–c) – und in
einem ihrer bislang letzten Filme, Passion of Mind, wurde gar die Unbestimmbarkeit von
Weiblichkeit auf der narrativen Ebene durchgespielt: Darin nämlich stellte Moore eine Frau
dar, die zwischen zwei parallelen Leben pendelt, einem als verwitwete Hausfrau und Mutter
im ländlichen Frankreich und einem als alleinstehende Karrierefrau in der Großstadt New
York, ohne zu wissen, welches davon das «eigentliche» ist, und ohne das richtige Leben vom
falschen trennen zu können. Dadurch erhielten beide Lebensentwürfe der weiblichen
Hauptfigur den Status von Möglichkeiten, zugleich ging ihnen aber die Gewissheit verloren,
dass Weiblichkeit so und nicht anders gelebt werden müsse.
Die Tatsache, dass sich die Geschlechtlichkeit eines Stars aus ungezählten Akten der Geschlechtsidentität zusammensetzt, aus immer neuen Repräsentationen, in denen Ge-
%
schlechtskonzepte an der Körperoberfläche
(re-)produziert (und wieder verworfen)
werden können, diese Tatsache hat das Zeichenagglomerat Demi Moore insofern in
den neunziger Jahren inner- wie außerfilmisch unermüdlich vorgeführt. Eine Geschlechtsrepräsentation, die auf vergleichbare Weise gefährliche Spiele mit den hegemonialen Weiblichkeitskonzepten spielte,
fand sich nur bei dem Popstar Madonna,
nicht jedoch bei anderen Filmstars. Auch
darin war Moore in der Tat die Anti-JuliaRoberts, die Nicht-Meg-Ryan, die KontraMichelle-Pfeiffer. Mit ihren demonstrativen Offenlegungen der Performativität von
Geschlecht (re-)produzierte sich in Moores
Image die gesellschaftliche Erfahrung, dass
die Kategorie «Frau» zunehmend undefinierbar wurde. Bezeichnenderweise warf ihr
die Zeitschrift New York vor: «Demi Moore
hat ihre Karriere auf Geschlechtsstunts aufgebaut.»12
Ich behaupte, dass es ihre Verkörperung
dieser Erfahrung war, die Demi Moore ihren Star-Status verschaffte. Doch diese Erfahrung war zu bedrohlich, um diskursiviert zu werden; stattdessen wurde sie anhand von Symptomen – den erwähnten gesellschaftspolitischen Debatten – verhandelt. Moores zeitgenössisches Image fungierte insofern, anders etwa als das Stallones,
nicht ausdrücklich als Kristallisationspunkt
Abb. 77a–c Wandlung eines Geschlechtsimaeines
Diskurses über Geschlechtskonzepte.
ges: Demi Moore in GHOST (mit Patrick Swayze), DISCLOSURE und G.I. JANE (von oben
Vielmehr spiegelten sich in ihrem Status als
nach unten)
«Negativ-Star» jenes Unbehagen und jene
Verunsicherung, die im diskursiven Raum keinen unmittelbaren Ausdruck finden konnten.
Was Moore verkörperte, wurde im populären Diskurs dadurch abgewehrt, dass sie «entmenschlicht», pathologisiert und als proletarisch denunziert wurde.
Die These, dass die gesellschaftliche Relevanz von Moores Image vor allem darin lag,
gleichsam als «Blitzableiter» einer geschlechterpolitischen Verunsicherung zu fungieren,
bietet auch eine Erklärung für die Kurzlebigkeit ihres Star-Ruhms. Sobald sich die Krisenstimmung abbaute, die mit dem neuen Pluralismus der Weiblichkeitskonzepte verbunden
war, verlor Moore ihre Funktion als Star. Insofern lässt sich G.I. Jane als letzter Versuch lesen, mit einem «extremen» Weiblichkeitskonzept noch einmal eine solche Gender-Krise zu
produzieren. Der Versuch sollte scheitern, da Moores Geschlechtsrepräsentation so weit
12
Lippert 1997, 32.
&
außerhalb des Spektrums hegemonialer Feminitätskonzepte angesiedelt war, dass sie die
Geschlechterdichotomie an sich bedrohte – und daher im populären Diskurs von vornherein ausgegrenzt wurde.
Im Folgenden will ich genauer untersuchen, wie Demi Moores Körperrepräsentationen
die Performativität von Geschlecht thematisierten und an welche heiklen diskursiven Kontexte ihr Image dabei im einzelnen rührte. Dazu analysiere ich sechs Aspekte ihrer Geschlechtsrepräsentation: den artifiziellen Körper, den athletischen Körper, den proletarischen Körper, den «unmöglichen» Körper, den sexualisierten Körper und den schwangeren
Körper. Schon dass diese Aufsplittung problemlos möglich ist, schon dass sich palimpsestisch Körperrepräsentation über Körperrepräsentation schichten lässt, so dass immer wieder neue Verbindungen aufscheinen, verrät den Konstruktcharakter, der Moores Image zugleich relevant und problematisch machte.
Der artifizielle Körper
Im populären Diskurs fanden sich nahezu obsessive Auflistungen von chirurgischen Eingriffen, die Moore (angeblich) hatte ausführen lassen, sowie fotografische Vorher-/Nachher-Gegenüberstellungen ihres Körpers. Die Frage «Wie vielen Schönheitsoperationen hat
sich Demi Moore wirklich unterzogen?» zitieren selbst die Herausgeber der akademischen
Filmzeitschrift The Velvet Light Trap in ihrer Einleitung zu einem «Star»-Heft exemplarisch
als eines jener Geheimnisse, die Zuschauer gern gelüftet sähen.13 Auch der Verfasser einer
populären Biografie Moores, ansonsten eher hagiographisch eingestellt, gestand verschämt
ein:
[E]s gab zahlreiche Gerüchte, dass sie noch mehr Schönheitsoperationen hinter sich habe –
eine Fettabsaugung an Hüften, Bauch und Po und, bei anderer Gelegenheit, eine Brustvergrößerung und später dann eine Brustverkleinerung. Sie selbst bewahrte würdevolles Schweigen
14
über diese Dinge.
Der Autor selbst hingegen konnte sich einer weniger würdevollen und reichlich heuchlerischen Zusatzbemerkung nicht enthalten: Ihre Situation, so notierte er, «wurde dadurch
verschlimmert, dass die Star-Gaffer von Hollywood beharrlich darauf hinwiesen, dass eine
Brust höher saß als die andere».15 Ähnlich wie um Cher, Michael Jackson oder auch Sharon
Stone kristallisierte sich um Moore ein Diskurs der physischen Artifizialität, der an Grundlagen der Geschlechterordnung rührte.
Die Prämisse der Butlerschen Gender-Theorie, dass Geschlecht und Subjektstatus sich
durch körperliches Handeln performativ herstellen, ist bisher kaum – jedenfalls nicht in
dieser Terminologie – in den populären Diskurs eingesickert. Jedoch hat ein ganz anderes
Phänomen die Vorstellung ins gesellschaftliche Bewusstsein getragen, dass der Körper ein
diskursiver Effekt ist, der sich anhand von normativen (Geschlechts-)Vorgaben produziert:
der Boom der plastischen Chirurgie. In diesem Boom werden die Kräfte der Macht sogar
sehr drastisch deutlich, denn die plastische Chirurgie zielt auf nichts anderes ab als darauf,
an der Körperoberfläche normativ vorgegebene Geschlechtskonzepte zu (re-)produzieren.
Wer sich der plastischen Chirurgie aussetzt, will seine Geschlechtsrepräsentation optimie13
14
15
Lane/Murray/Shortes 1997, 1.
Goodall 2000, 28.
ebda.
'
ren. Bei dieser Selbstmaterialisierung handelt es sich selbstredend nicht um eine (unbewusste, unwillkürliche und unaufhörliche) Performativität im strengen Sinne Butlers, zumal die
Rhetorik der Chirurgie-Befürworter sich gerade auf eine «Wahlfreiheit» und «Entscheidungsmöglichkeit» des Subjekts stützt, das seinen Körper modellieren will. Aber auch der
Machbarkeitsdiskurs der plastischen Chirurgie verweist darauf, dass Weiblichkeit oder
Männlichkeit kulturell produziert werden und sich im Körper das materialisiert, was diskursiv gefordert und präferiert wird.
Wirkt ein Körper also so offensichtlich artifiziell wie der Moores, erzwingt er die Verabschiedung von einer langen, sexistischen Ideengeschichte des «Naturwesens Weib». Ähnlich
der Performance-Künstlerin Orlan (wenngleich ohne deren dezidiertes Programm) entlarvte Moore mit ihrer nahezu hysterischen Jagd nach dem «schönen Körper» die Gemachtheit des Geschlechtsideals, das immer flüchtig bleibt und gerade auf Grund seiner Unerreichbarkeit zum Ideal (jenseits der Wirklichkeit) avanciert: Der Effekt war, dass dieser
«schöne Körper», der von den Medien ansonsten als natürlich und normal repräsentiert
wird, plötzlich in seiner Konstruiertheit offenbar wurde. So wurde «Demis sexy neuer Körper» vom National Enquirer präsentiert,16 in Gestalt eines Fotos, das (anlässlich des Filmstarts von Striptease) eine großbusige, fettfreie, muskulöse Moore in einem strassbesetzten
Bikini zeigte, zusammen mit einer Zeile, die quasi eine Handlungsanleitung versprach und
zugleich auf die Konstruiertheit von Moores Physis verwies: «Wie sie ihn sich zugelegt hat.»
Diese kulturelle Zumutung, sich mit der Tatsache auseinandersetzen zu müssen, dass
Weiblichkeit sich nur im «weiblichen» Handeln manifestiert, wurde in Moores Fall noch
dadurch verschärft, dass sie nicht nur auf die Performativität von Geschlecht an sich verwies, sondern zugleich auf die Zwänge, die dieser Performance innewohnen. Zu Moores
Image gehörte nicht nur der «schöne Körper», den sie auf der Leinwand und auf Fotografien
präsentierte, sondern auch – dafür sorgte der populäre Diskurs über ihre Operationen – die
(schmerzhafte) Geschichte seiner Entstehung, die Geschichte der Arbeit und Kasteiung, die
hinter der Selbstregulierung stehen, des Selbsthasses und der Angst vor dem Versagen.17
Dass die Performativität von Geschlecht ja nicht Freiheit bedeutet, sondern eine Selbstnormativierung und Selbstregulierung, die eine ununterbrochene Unterwerfung unter die hegemonialen Normen des Diskurses vollziehen, demonstrierte Moore mit einer Drastik, die
entlarvende Wirkung hatte und die Zwanghaftigkeit der normativen Geschlechterordnung
in den Vordergrund stellte. «Normen augenfällig zu machen statt sie zu naturalisieren», argumentiert John Fiske,
ist eine potenziell subversive semiotische Praxis; denn es sind die naturalisierten und damit
unsichtbaren Normen, die ihr ideologisches und disziplinierendes Werk am effektivsten
vollbringen. Indem der Diskurs sich als unsichtbar und natürlich ausgibt, macht er sich
glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit wird in dem Maße geschwächt, in dem die Diskursivität
18
in den Vordergrund gerückt wird.
Die Norm der «Natürlichkeit» aber, wie sie etwa Marilyn Monroe perfekt verkörperte, wurde im hegemonialen Diskurs über Weiblichkeit umso verzweifelter verteidigt, je offensichtlicher anhand von Moore, Cher und vielen anderen wurde, dass die angeblich natürliche
16
17
18
Ausgabe vom 28. November 1995.
Diese These wird auch dadurch gestützt, dass Moores gestörtes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper und die Überwindung ihres Körperhasses explizit in ihrem Image thematisiert wurden, vor allem durch Selbstaussagen des Stars in Interviews (vgl. Bennetts 1993, 131).
Fiske 1989, 94.
!
Abb. 78a–d «Waffen eines Psychokillers»? Moore beim Tanz vor dem Spiegel in STRIPTEASE
Feminität nur ein diskursives Konstrukt war; darum wird bis heute offensichtliche Artifizialität mit Verachtung und Ablehnung geahndet.19 Debra Gimlin spricht vom «Schandfleck der Inauthentizität», der schönheitsoperierten Frauen anhafte, was impliziert, dass die
Authentizität von Erscheinung und Identität nur von nicht-operierten, also «naturbelassenen» Frauen erreicht werden kann; und sie führt aus, dass durch die kosmetische Chirurgie
zwar der Körper «normaler» (den Schönheitsnormen entsprechender) erscheine, dafür
aber der Charakter «verdächtig» werde und im Anschluss daran das Selbst nicht mehr der
Norm entspreche: «Der inakzeptable Akt der plastischen Chirurgie ersetzt den normativen
Körper als Charaktermaßstab.»20 Aus diesem Grund bewahren Filmstars bis heute im Allgemeinen Stillschweigen – das angeblich «würdevolle Schweigen» – über Akte plastischer
Chirurgie. (Hingegen gibt es Selbstauskünfte über athletische Selbstregulierung, da diese,
wie wir sehen werden, als «Leistung» und damit als eine positive Veräußerlichung von Charakterwerten gilt.)
Insofern kann es nicht überraschen, dass der Diskurs über ihre chirurgischen Eingriffe
überwiegend negative Komponenten in Moores Image einfließen ließ. Die Ablehnung
drückte sich darin aus, dass zahllose außerfilmische Texte Moore in das semantische Feld
des (traditionell unweiblichen) Krieges und Kampfes stellten, häufig kombiniert mit ihrer
Entmenschlichung zu einer seelenlosen Maschinerie. Die Rezensentin der New York Times
erklärte sarkastisch, in Striptease sehe Moore so hilflos aus wie «eine gezündete Granate»,21 eine andere Kritikerin beschrieb Moores Körper als «menschlichen Torpedo»,22 und
ein weiterer Reporter sah «titanische Härte» in ihrem Leib.23 Vor allem auf Moores Brüste
19
20
21
22
23
Allerdings scheint sich diese Norm zu wandeln. Bordo berichtet von der Enttabuisierung in amerikanischen Medien, die
unter anderem die «knifestyles» der Reichen und Berühmten zelebrieren (Bordo 1991, 108).
Gimlin 2002, 104. Sicher speist sich die Ablehnung auch aus dem traditionellem judäo-christlichen Konzept des menschlichen Körpers als Abbild Gottes, das nicht willkürlich manipuliert werden darf.
Maslin 1996.
Lippert 1997, 32.
Kroll 1997.
!
wurde in martialischen – und maskulinistischen – Vergleichen abgehoben: «Moores kühnes
Mega-Dekolleté, das während der kurzen, aber entscheidenden Verführungsszene des Films
fast wie eine Waffe präsentiert wird, passt perfekt zu den anderen technologischen Wunderwerken des Films», schrieb – in einer Rezension von Disclosure – wiederum die Kritikerin
der New York Times, die zugleich auf die kriegerische Funktion («fast wie eine Waffe präsentiert») wie auf die artifiziell-industrielle Beschaffenheit («technologische Wunderwerke»)
des Mooreschen Körpers verwies.24 Ihre bereits zitierte Kollegin urteilte, Moores Brüste
passten in ihrem derzeitigen Zustand zum Rest ihres hypertrainierten «Robokörpers». Sie
seien «ein ausgesprochen einschüchterndes Machtsymbol, so etwas wie ein Gegenstück zu
Arnold Schwarzeneggers Zigarre».25 Ein anderer Kritiker beschrieb Moores Brüste ebenfalls
als martialische Gerätschaften: «Sie ragen einfach fest und stolz vor, wie Waffen, wie John
Waynes Gewehr, das ja auch eine Verlängerung seines Körpers war.»26 Die Bedrohlichkeit,
die für ihn offensichtlich von diesen «Waffen» ausging, verleitete denselben Autor dazu,
eine eher verspielt-narzisstische Szene, in der die von Moore verkörperte Figur in Striptease
halbnackt vor ihrem Wohnzimmerspiegel tanzt (Abb. 78a–d), in eine geradezu paranoide
Gewaltphantasie zu verwandeln: «Wie sie da vor dem Spiegel auf und ab stolziert, sieht sie
aus wie ein Psychokiller, der die Waffen überprüft, mit denen er gleich seine Opfer niedermachen wird.»27
Paradoxerweise wurde also die ideale Weiblichkeit, die durch Moores optimierte sekundäre Geschlechtsmerkmale (vor allem ihre «kühnes Mega-Dekolleté») signalisiert werden
sollte, als «männlich» und «phallisch» rezipiert. Die Gefährlichkeit ihres Silikonbusens hing
offensichtlich mit seiner Artifizialität zusammen, die (zu Recht) als funktionalistisch gelesen wurde: Er war zielgerichtet produziert worden, um buchstäblich als «Waffe der Frau» zu
wirken. Daher wurde er in den Formulierungen der Kritiker von Moores Körper morphologisch «abgetrennt» und zum eigenständigen phallischen Accessoire umgedeutet, vergleichbar John Waynes Gewehr, Arnold Schwarzeneggers Zigarre oder dem Waffenarsenal eines
psychopathischen Mörders.
Nicht als männlich, sondern als außerirdisch beschrieb der populäre amerikanische
Tageszeitungscartoon Doonesbury 1997 Moores artifiziellen Körper. Doonesbury spielte
auf die Tatsache an, dass Moores Geburtsort Roswell, New Mexico, zugleich als Ort einer
angeblichen Außerirdischen-Landung von 1947 bekannt ist. Zwei Figuren erörtern, ob
Moore vielleicht eine der Außerirdischen sein könne: «Glaubst Du, da besteht eine Verbindung?», fragt die eine. «Na ja, findest Du nicht, dass ihr Körper ein bisschen zu perfekt
ist?», argumentiert die andere. Demi Moore als Alien: Darin spiegelt sich zum einen die
Trope vom Selbst, das von der Norm abweicht, wobei in ihrem Fall die Abweichung von
der Normalität so fulminant ist, dass Moore gleich einer anderen Spezies zugeordnet wird.
Zum anderen aber verweist der Cartoon auf das kulturelle Unbehagen an der Vollkommenheit: Mit einem Körper, der «ein bisschen zu perfekt» ist, überschreitet Moore die anthropologischen Grenzen (des Möglichen) und erreicht den Schnittpunkt von Schönheit
und Monstrosität.
24
25
26
27
!
Maslin 1994a.
Lippert 1997, 32.
Leith 1996.
ebda.

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