Der schmale Grat

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Der schmale Grat
Der schmale Grat
USA 1998 Produktion: Phoenix Pictures Produzenten: Robert Michael Geister, John Roberdeau, Grant Hilf Regie und Buch: Terrence
Malick, nach einem Roman von James Jones Kamera: John Toll Musik: Hans Zimmer Schnitt: Billy Weber, Leslie Jones, Saar Klein
Darsteller: Sean Penn (Sergeant Edward Welsh), Adrien Brody (Fife), Jim Caviezel (Soldat Witt), Ben Chaplin (Soldat Bell), George
Clooney (Captain Charles Bosche), John Cusack (Captain Jon Gaff), Woody Harrelson (Sergeant Keck), Nick Nolte (Lieutenant Colonel
Gordon Tall), Elias Koteas (Captain Staros), John Travolta (General Quintard), John Savage (Sergeant McCron) Länge: 170 Min. Verleih:
Twentieth Century Fox
Seit 20 Jahren hat er keinen Film mehr gemacht: Terrence Malick, Regisseur von „Badlands" (fd 20 728) und „In der Glut des Südens" (fd
22 049). Dennoch besitzt er eine weltweite Fangemeinde, die das Internet schon Monate vor der Premiere von Malicks neuem Film mit
Fragen und Diskussionen füllte. Wird sich „Der schmale Grat" neben dem anderen Kriegsfilm der jüngsten Zeit, Spielbergs „Der Soldat
James Ryan" (fd 33 341), behaupten können? Ob geschäftlich, das muss sich noch herausstellen; aber künstlerisch ist es keine Frage mehr.
War Spielbergs Antikriegsfilm im Kern auch ein Loblied auf die Tapferkeit der Veteranen, so ist Malicks Film eine philosophische
Einkreisung der existentiellen Situation des Menschen in einer entmenschlichten Umgebung. Beide beschäftigen sich mit dem Zweiten
Weltkrieg, beide beschreiben Ereignisse an vorderster Front - und könnten
doch verschiedener nicht sein. Kann man in Spielberg den Realisten sehen, der auch noch das kleinste Detail eines unmenschlichen
Kampfes Mann gegen Mann „richtig" und „wirklichkeitsnah" auf die Leinwand bringen wollte, so tritt einem in Malick ein Regisseur
gegenüber, dessen Ziel es zu sein scheint, die Zerstörung der Unschuld durch den Menschen und dessen selbstverursachtes Leiden am
Beispiel einer Infanterie-Einheit in geradezu mythische Dimensionen zu transzendieren.
Die Handlung ist dem 1962 publizierten Roman von James Jones entliehen, der zwei Jahre nach seinem Erscheinen schon einmal verfilmt
wurde („Sieben Tage ohne Gnade", Regie: Andrew Marton, fd 13 636). Beschrieben wird darin die blutige Schlacht der Amerikaner gegen
die Japaner auf der Pazifikinsel Guadalcanal im Jahr 1943 und insbesondere die verlustreiche Einnahme einer strategisch wichtigen
Anhöhe durch die amerikanische Infanterie, genauer gesagt durch die „C¬for-Charlie-Company". Wer von Malick eine getreue
Verfilmung des Romans erwartet, wird enttäuscht; er benutzt die Figuren und Konstellationen des Buches vielmehr, um sie in eine
weitläufige Umschreibung des Kampfeinsatzes zu integrieren, in der jeder einzelne nur punktuelle Bedeutung hat, während Malicks
philosophierende Perspektive zum eigentlichen Thema und Mittelpunkt des Films wird. Wenn man will, gibt es noch fünf Personen, an
denen man sich festhalten kann: die beiden Soldaten Witt und Bell, Sergeant Welsh, Captain
Staros und Lieutenant Colonel Tall. Die Stars von John Travolta bis George Clooney - tauchen nur in winzigen Chargenrollen auf.
Lieutenant Colonel Tall ist der ehrgeizige, rücksichtslose Antreiber hinter den Linien, gegen den Staros mehrmals vergeblich aufbegehrt.
Die Anhöhe muss eingenommen werden, auch wenn die Einheit dabei draufgehen sollte. Eine Stunde des fast dreistündigen Films dauert
der Kampf. Doch das Entscheidende, das Malicks Film ausmacht, vollzieht sich in dem Rest der Zeit.
Beginnend mit dem Unruhe stiftenden Bild eines lauernden Krokodils und mächtig drohendem Orgelklang ä la „2001- Odyssee im
Weltall" (fd 15 732), lässt sich „Der schmale Grat" danach erst einmal Zeit zur Kontemplation über ein paradiesisches Idyll, das weit
jenseits unserer Erfahrungswelt liegt und das Malick während des Films immer wieder als Bezugsgröße zitiert, um die horrende Arroganz
und Bestialität dieses Krieges in die richtige Proportion zu rücken. Die letzte Stunde nach dem Kampfgeschehen ist eine Darstellung der
Folgen und Auflösungserscheinungen, die das Monstrum Krieg bedingt. Was am Anfang als Haltepunkt, als Trost oder als Ideal dienen
konnte, zerfällt in seine prosaischen Bestandteile und wirft die Überlebenden auf sich selbst zurück. ,.Dieses große Unheil, woher kommt
es, wie hat es sich in unsere Welt gestohlen? Wie haben wir das Gute verloren, das uns gegeben war?" Dies ist eine der vielen Fragen, mit
denen Malick sein Publikum entlässt. Es sind diese Selbstgespräche und Meditationen im Hintergrund des Geschehens, die den Atem des
Films ausmachen. Die Stimmen von acht Soldaten, meist die von Witt und Bell, dienen Malick dazu, die episodische Struktur seines Films
zu einen und ihn in einer großen Ellipse zum Anfang zurückkehren zu lassen, zu einem Anfang allerdings, in dem das Bild des
bedrohlichen Krokodils, an das man sich erinnert, nun eine definierbare Bedeutung besitzt.
Schon in „Badlands" hat Malick den sachlichen, unemotionalen Stil optisch irritierend durchsetzt mit lyrischen Einstellungen vereinzelter
Menschen in einer faszinierend schönen Umwelt, mit Bildern der Entfremdung und der Desolation - eine Eigenheit, die dann in „In der
Glut des Südens" zum beherrschenden Merkmal seiner Inszenierung wurde. Gleichzeitig bediente er sich stets des Off-Kommentars, um
eine Perspektive zu bekräftigen, für deren Konstituierung ihm die optischen Mittel nicht auszureichen schienen: der Verlust der Unschuld
in einer von Autorität und Gewalt bestimmten Umwelt. (Ja, Malicks Filme erinnern auch ein bisschen an die Blumenkinder der 60er
Jahre). An dieser „Technik" hat sich durch die 20jährige Abstinenz nichts geändert. Zwischen Szenen blutigen Kriegsgeschehens gibt es
immer wieder Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint; poetische Bilder des sich im Wind wiegenden Grases, exotischer Vögel
und bizarrer Baumgestalten. Es ist, als ob die Soldaten, die da in einen fast aussichtslosen Kampf getrieben werden, eine zweite Seele
hätten - die eine, die sich dem Feuer des Feindes entgegenwerfen muss, und die andere, die in der unwirklichen Schönheit eines verlorenen
Paradieses zurückbleibt. Diese Gespaltenheit wird nachdrücklich unterstützt durch die Monologe im Hintergrund, deren Meditationen die
Realität der Ereignisse zuweilen in halluzinatorischen Surrealismus verwandeln. Genau diese Ambivalenz macht Malicks
Unverwechselbarkeit aus, die „Der schmale Grat" - wie auch seine beiden früheren Filme - von allem unterscheidet, was sonst aus
Hollywood auf die Leinwand kommt.
Auch für ein Publikum, das die Verquickung von Realismus, Poesie und Metaphorik als Ausdruck einer faszinierenden individuellen
Fantasie akzeptiert, wird sich „Der schmale Grat' jedoch nicht als makelloses Werk darstellen. Malick hat angeblich 300.000 Meter Film
belichtet und musste sich während langer Tage und Nächte im Schneideraum von dem meisten Material trennen. Ganze Rollen, wie die
von Bill Pullman und Lukas Haas -wurden eliminiert, andere wie die von Adrien Brody auf wenige Minuten gekürzt. Es mag in Malicks
Absicht gelegen haben, sich nicht im herkömmlichen Sinn auf wenige profilierte
Hauptfiguren zu konzentrieren, sondern mit der Austauschbarkeit der Rollen den entpersönlichenden Einfluss des Krieges und die
Universalität des Zerstörerischen zu untermauern, deren stete Gegenwärtigkeit und deren Konsequenzen sein Film auf vielfältige Weise
aufzeigt. Dennoch muss bezweifelt werden, daß er von Anfang an darauf aus war, Personen so abrupt aus der Handlung zu entlassen, wie
es jetzt der Fall ist. Besonders im letzten Drittel des Films wird spürbar, daß Entwicklungen und Motivationen fehlen. Hatte man sich als
Zuschauer über zwei Stunden hin an den langsamen Fluß der Bilder und den kontemplativen Rhythmus des Kommentars gewöhnt, so
fallen im - immer noch eine dreiviertel Stunde langen Schlussteil harte Übergänge und offensichtliche Verkürzungen um so deutlicher auf.
Nur mühsam hält der Film das Gleichgewicht, und nur mit viel Fantasie lässt sich abschätzen, was Malick für dieses Schlusskapitel einmal
vorgeschwebt haben mag. So hat man es bei „Der schmale Grat" mit dem höchst seltenen Fall eines überlangen Films zu tun, dem man die
Freiheit gewünscht hätte, noch länger zu sein. Vielleicht erhält Malick ja einmal - wie unlängst Bertolucci für- Der letzte Kaiser" (fd 26
488) - Gelegenheit, aus dem Schnittmaterial eine weitere Stunde hinzuzufügen.
Franz Everschor
Der aufreibende Kampf einer amerikanischen Infanterie-Einheit gegen die Japaner um die Beherrschung einer strategisch wichtigen
Anhöhe auf der Pazifikinsel Guadalcanal (1943) als Zentrum eines unorthodoxen Kriegsfilms. Regisseur Terrence Malick verbindet
Motive aus dem Roman von James Jones mit einer poetischen Beschwörung unverdorbenen Lebens und zahllosen individuellen
Meditationen über den Sinn des Daseins und das Phänomen des Krieges. Der Film erreicht dabei keine letzte Geschlossenheit, verdient
aber dennoch die Beachtung eines für den eigenwilligen Stil aufgeschlossenen Publikums. Sehenswert ab 16.

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