als PDF - Katharina von der Leyen

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27. FEBRUAR 2005
AUSGABE 9/05
Stil
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SEITE 71
OSCARNAC
WELTamSONNTAG 71
GROSSE AUFTRITTE
Mit einem Fuß im Western
Robust, verläßlich und
handgemacht: Echte
Cowboystiefel sind
Klassiker. Jetzt werden
sie bunt und modisch,
bedauert Katharina
von der Leyen
D
ie ersten echten
Cowboystiefel begegneten mir vor
fünfundzwanzig
Jahren in einer
kleinen Propellermaschine auf dem
Weg nach Salt Lake City. Der Besitzer der Stiefel hatte Schwierigkeiten, seine Beine vor
sich zu verstauen, weshalb die Stiefel – havannabraun, sehr spitz mit
schrägen Absätzen – praktisch auf
meinem Schoß lagen, und ich hatte
fast eine Stunde Zeit, sie zu betrachten: Das war kein Straßenstaub, der
an den Stiefeln klebte, das war Präriesand und original Kuhmist.
Der Stiefelträger hatte Hände,
die offensichtlich Zupacken gewohnt waren, er roch nach
Schweiß, Freiheit und Abenteuer
und sah unglaublich romantisch
aus. Als er später aufstand, entfernte er sich mit diesem wiegenden
Gang, den man nur in Cowboystiefeln hat. Stiefel, die für Männer gemacht sind, die nur kurze Strecken
zu Fuß zurücklegen, vom Pferd in
den Saloon, oder zum nächsten
Showdown.
Große Rinderherden sind nur
noch schwer zu finden, dafür sieht
man Cowboystiefel wieder überall.
Zwischen Manhattan und Düsseldorf trifft man auf AsphaltCowboys, die keinen Bullen von
einer Milchkuh unterscheiden
könnten, aber spitze Stiefel über die
Pflastersteine tragen. Entdeckt man
jemanden mit ollen, ausgetretenen
Cowboyklassikern, ist das nicht länger ein Zeichen dafür, daß man es
mit einem stilresistenten Altrocker
zu tun hat, sondern eher dafür, daß
dieser Mann schon vor zwanzig
Jahren Geschmack hatte.
Jenseits der Prärien haben auch
Designer wie John Richmond, Gucci oder Anna Sui den Klassiker wiederentdeckt. Auf ihren Laufstegen
sind diverse Westernstiefel unterwegs. Und das ist gut, denn in
Cowboystiefeln steht man sicher
auf dem Boden der Tatsachen und
bis zur Wade sind sie eine echte
Stütze. Das zeigt sich vor allem in
Kombination mit Sommerkleidern:
Cowboystiefel verleihen die Aura
von weitem Land und besagtem
Abenteuer selbst im Bus.
Natürlich haben die Designer die
Stiefel etwas verfremdet, sonst wä-
Cowboystiefel sind die einzige Möglichkeit für Männer, Absätze mit Würde zu tragen
re es ja keine Mode: Aus groben Arbeitsstiefeln wurden Ausgeh-Boots.
Repräsentierstiefel aus Schlangen-,
Eidechsen- oder Straußenleder.
Edel, teuer und gut. Die Schäfte
sind schmaler und höher als beim
traditionellen Modell, die Absätze
oftmals richtig hoch.
Die englische Designerin Judy
Rothchild, die ihre Stiefel bei R. Soles auf der Londoner King’s Road
verkauft, brachte als erste CowboyBoots auf die Laufstege. Sogar in
Rock-Chick-Farben wie Rosa, Hellblau und Weiß. Alle möglichen
Leute, die von den Boulevard-Blättern für Stil-Ikonen gehalten werden, wurden seitdem darin gesehen
– Anjelica Huston etwa, Posh und
David, Sheryl Crow, Geri Halliwell
und Heidi Klum.
Wobei deutlich gesagt werden
muß: Bunte Cowboystiefel stehen
auf der gleichen Stufe wie Bauchnabel-Piercings. Die Idee mag ja lustig
sein, aber die Grenze zum schlechten Geschmack ist fließend.
Die richtige Farbe ist also
Braun, sogar sehr helles, das
mit der Zeit dunkler wird. In
den USA werden bunte
Cowboystiefel jedenfalls nur
von Dolly-Parton-Lookalikes
und Republikanern auf Wahlpartys getragen.
Cowboystiefel sind Klassiker, und das sollte jeder bedenken, bevor er sich so
etwas aus läppischen Mode-
Gründen anschafft: In Cowboystiefeln lebt man. „No plastic, no paper,
no nails!“ lautet das Motto der großen, alten Bootmaker, und das hat
seine Gründe: Die spitz zulaufenden Stiefelkappen dienen dazu, reibungslos in die Steigbügel hineinzukommen und außerdem standhalten zu können, wenn einem mal ein
Pferd auf die Zehen tritt. Deshalb
dürfen sie nicht aus Plastik sein: das
wird brüchig. Die Muster auf den
Schäften verstärken den Spann und
geben seitlichen Halt. Nägel rosten
mit der Zeit, und damit verrottet
der ganze Stiefel.
Wer es ernst meint mit seinen
Cowboystiefeln, läßt maßfertigen.
Es müssen nicht die berühmtesten
Bootmaker sein, wie Richard Cook
in Stonenal, Texas, Nachfolger des
legendären John Reed. Oder Michael Anthony Carnacchi in Kalifornien – alles Einmannbetriebe,
die ihre Stiefel in 375 Schritten
selbst bauen. Dafür kosten sie auch
bis zu 7500 Dollar, je nach
Leder und Sonderwünschen. Bei Frommer-Boots
in Redmond, Oregon sind
sie etwas billiger. Dafür
gibt es dort Wartezeiten
von bis zu drei Jahren.
Für Männer jedenfalls
sind Cowboystiefel die einzige Möglichkeit, Absätze
mit Würde zu tragen. Und
so trägt auch George W.
Bush schwarze Maßstie-
fel aus Aal-Leder mit dem blauen
präsidialen Siegel zum Anzug. Auf
daß jeder nicht nur seine texanischen Wurzeln erkenne, sondern
merke, daß er der wichtigste Mann
im Land ist: Die US-Präsidenten
hatten von jeher ein Faible für spitze Stiefel. Truman, Eisenhower,
Welt am Sonntag: Menschen, die bis vor kurzem noch über Cowboystiefel gelacht haben,
stehen jetzt dafür bei
Ihnen Schlange. Warum?
Judy Rothchild: Western
Boots sind ein unverzichtbares Accessoire
für den derzeit angesagten Boho-Style, ein
schicker 70er-JahreHippie-Look. Im vergangenen Jahr haben
wir mehr Stiefel verkauft als je zuvor.
Seit wann gibt es sie
denn?
Seit 1974.
Gerade Stars sollen zu
Ihren Kunden gehören.
Nennen Sie Namen?
Sienna Miller, Kate Moss,
David Beckham ...
Was trägt Beckham?
Gerade heute hat er sich
ein paar sandfarbene
Stiefel mit Eidechsenleder nach Spanien schikken lassen.
Und die deutsche
Prominenz?
Ja, hier war ein Model.
Ach, ich bin so schlecht
mit Namen.
Klum?
Heidi Klum.
Genau.
Gibt es ein Kleidungsstück, zu dem Cowboystiefel untragbar sind?
Eigentlich nicht. Ich
finde, mann kann sie zu
Hot Pants, langen Kleidern und kurzen Röcken
genausogut kombinieren
wie zur Jeans. Obwohl,
ein Tabu gibt es: Sie
dürfen nicht zu Westernhüten, -gürteln
oder -hemden getragen
werden.
Was ist für Sie so faszinierend an
Cowboystiefeln?
Sie sind
Klassiker:
nie zeitgemäß, nie
unzeitgemäß. Und
jedes Paar
nimmt die
Jimmy Carter, Ronald Reagan und
Bill Clinton traten auch mit Vorliebe mit Westernstiefeln zur Krawatte auf. Was den erdigen Boot wohl
zum patriotischen Kleidungsstück
macht. Trotz nachweislicher Ranch
in Texas macht George W. Bush
nicht den Eindruck, als würde er
persönlich mit dem Lasso Kälber
aus dem Dreck ziehen. Aber die
Spitze passt gut zu seiner „KickAss“-Attitüde. Und sicher ist: Wo
immer er auch auftaucht, sind
Sumpf und Wüste, und was immer
er auch tut, läuft es doch meist auf
einen Showdown hinaus.
George W. Bush in
präsidialen Stiefeln,
Jude Laws Freundin
Sienna Miller und ein
Anna-Sui-Model
ebenfalls in Boots
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Des Cowboyhutes größter Feind
„R. Soles“ in der Londoner King’s Road ist die
berühmteste Adresse für
Cowboystiefel (www.
rsolesboots.com). Designerin Judy Rothchild
über den Western-Boom
und Beckhams Faible für
Eidechsenleder
national geogrphic/getty images; dpa; stardustfashion; action press
Persönlichkeit ihres
Trägers an – wie eine alte
Levis oder eine abgenutzte Lieblings-Lederjacke.
Welches Ihrer Modelle
gefällt Ihnen selbst am
besten?
Ich mag die ausgefallenen Sachen mit Blumen
oder aufwendigen Verzierungen, wie bei den
„L.A. Brown and Creme“.
Die trage ich eigentlich
jeden Tag.
Sind das auch die Bestseller?
Leider nicht. Die Klassiker verkaufen sich immer am besten. Aber die
langweilen mich inzwischen zu Tode.
Gibt es etwas, das Sie
einem Cowboystiefel
niemals antun würden?
Ich würde ihm nie High
Heels verpassen.
Das Gespräch führte
Sandra Winkler
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