Merkblatt zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten
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Merkblatt zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten
Merkblatt zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten zivilprozessualer Streitigkeiten Zivilprozesskosten und HINWEIS AUF WICHTIGE RECHTSPRECHUNGSÄNDERUNG I. Betriebsausgaben Für Unternehmer ist es selbstverständlich, das Zivilprozesskosten, die sich aus unternehmensbezogenen Zivilrechtsstreitigkeiten ergeben, sich ertragsteuerrechtlich als Betriebsausgabe darstellen und umsatzsteuerrechtlich ggf. auch zum Vorsteuerabzug berechtigen. II. Werbungskosten Aber auch für Verbraucher sind Zivilprozesskosten ggf. als Werbungskosten anzusehen, soweit sie einen Bezug zu einer der Einkunftsarten nach dem Einkommensteuergesetz haben. 1. Bezug zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Zu denken ist an die Kosten eines Arbeitsgerichtsstreits, in dem gegen eine Kündigung geklagt oder Lohnrückstände eingeklagt werden. Erfasst werden aber auch Prozesskosten um Verdienstausfallentschädigungen nach Verkehrsunfall oder anderen Schädigungen, da diese nach § 24 Nr. 1 lit a EStG einkommensteuerpflichtig sind 2. Bezug zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Der Vermieter kann ebenfalls die Kosten z.B. einer Räumungsklage oder Streitigkeiten wegen Mietrückständen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ansetzen, ebenso auch Prozesskosten bei Streitigkeiten mit Handwerkern, Hausverwaltern etc. betreffend das Mietobjekt. 3. Einkünfte aus Kapitalvermögen Rechtsverfolgungskosten, die mit der Erlangung, Einziehung, Verteidigung und Besteuerung der Kapitalerträge zusammenhängen, sind ebenfalls Werbungskosten. Rechtsverfolgungskosten. die sich auf den Vermögensstamm beziehen, gehören hingegen zur privaten Lebenssphäre und sind keine Werbungskosten. 4. Einkünfte aus sonstigen wiederkehrenden Bezügen Rechtsverfolgungskosten zur Durchsetzung oder zur Abwehr von sonstigen steuerpflichtigen Bezügen können ebenfalls steuerlich Werbungskosten sein. Zu denken ist z.B. an Streitigkeiten über Leibrenten oder Unterhaltsansprüche, die dem Realsplitting unterliegen, aber auch an sozialrechtliche Streitigkeiten über steuerpflichtige Rentenversicherungsansprüche. III. Rechtsverfolgungskosten als außergewöhnliche Belastungen § 33 Einkommensteuergesetz „ Außergewöhnliche Belastungen“ enthält folgende Regelung: 1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. (2) 1Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. 2Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben dabei außer Betracht; das gilt für Aufwendungen im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 7 und 9 nur insoweit, als sie als Sonderausgaben abgezogen werden können. 3Aufwendungen, die durch Diätverpflegung entstehen, können nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. 1. Wann entstehen Zivilprozesskosten zwangsläufig? 1.1. Auffassung der Rechtsprechung Bisherige Rechtsprechung des III. Senats am BFH Zivilprozesskosten entstehen dann zwangsläufig, wenn der Prozess notwendig ist, um den Verlust der Existenzgrundlage zu verhindern (BFH- Urteil vom 9.5.1996, III R 224/94, BStBI 1996 II 5. 596) den Kernbereich des menschlichen Lebens berührt (BFH-Urteil vom 27.8.2008, III R 50/06, BFH/NV 2009 5. 553) Geänderte Rechtsprechung des VI. Senats am BFH Zivilprozesskosten entstehen dann zwangsläufig, weil streitige Ansprüche aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen und abzuwehren sind (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (BFH-Urteil vom 12.5.2011, VI R 42/10, BStBI 2011 II S. 1015). Einschränkung durch das Finanzgericht Hamburg Zivilprozesskosten entstehen dann zwangsläufig, wenn der Prozess notwendig ist, um den Verlust der Existenzgrundlage zu verhindern durch ein unfreiwillig eingegangenes Rechtsgeschäft aus einer Zwangslage heraus entstanden ist (Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 24.9.2012, 1 K 195/11, EFG 2013 5. 41, Revision beim BFH unter Az. X R 34/12) 1.2. Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzministeriums Die Finanzverwaltung wendet die zu Gunsten des Steuerpflichtigen geänderte Rechtsprechung des BFH nicht an, weil der Verwaltung keine Instrumente zur Verfügung stünden, die Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses einzuschätzen und weil eine erhebliche Anzahl von Fällen betroffen ist. BMF v. 20.12.2011 - IV C 4 - S 2284/07/0031: 002 (BStBl 2011 I S. 1286) Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen; Anwendung des BFHUrteils vom 12. Mai 2011 – VI R 42/10 – „Mit Urteil vom 12. Mai 2011 – VI R 42/10 – (BStBl 2011 II S. 1015) hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind, wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass die Rechtsverfolgung oder -verteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter Bezugnahme auf die Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder bitte ich, Folgendes zu beachten: Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. Mai 2011 ist über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Nach der langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs galt bislang in Übereinstimmung mit der Verwaltungsauffassung, dass Kosten von Zivilprozessen regelmäßig nicht zwangsläufig erwachsen und daher keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen. Eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen kam nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Mit seiner neuen Entscheidung hat der Bundesfinanzhof seine Rechtsauffassung geändert und lässt den Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen dann zu, wenn die Prozessführung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für eine eindeutige, zuverlässige und rechtssichere Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses bzw. der Motive der Verfahrensbeteiligten stehen der Finanzverwaltung keine Instrumente zur Verfügung. Betroffen von dieser neuen Rechtsprechung ist eine erhebliche Anzahl von Fällen. Im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Neuregelung der steuerlichen Berücksichtigung von Zivilprozesskosten, die auch die rückwirkende Anknüpfung an die bisher geltende Rechtslage einschließt, können daher grundsätzlich Prozesskosten auch für eine Übergangszeit nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.“ 1.3. Handlungsvorschlag für die Praxis 1.3.1.: Einspruch und Ruhen des Verfahrens? In Bezug auf das beim BFH unter dem Az. X R 34112 anhängigen Verfahren kann im Einspruchsverfahren auf die gesetzliche Verfahrensruhe gem. § 363 Abs. 2 S. 2 AO verwiesen werden. 1.3.2.: Eigenes Klageverfahren? Vor dem Hintergrund einer möglichen Gesetzesänderung mit Rückwirkung für alle noch offenen Fälle ist zu überlegen, ob Einspruchsverfahren nicht zeitnah abgeschlossen werden sollten, damit die Gerichte noch vor der Gesetzesänderung über die Rechtsfrage entscheiden können. Das Problem liegt dabei darin, dass bei Anwendung der günstigen BFH-Rechtsprechung durch die erste Instanz möglicherweise die Revision zugelassen wird mit der Gefahr der Rechtsprechungseinschränkung durch den BFH selbst. Sollte das Finanzamt in Fällen, in denen die gerichtliche Klärung gesucht wird, Einsprüche nicht bearbeiten, ist über Untätigkeitsrechtsbehelfe nachzudenken. 2. Zur Höhe der Abzüge wegen außergewöhnlicher Belastung Im Unterschied zu Werbungskosten ist bei außergewöhnlichen Belastungen eine zumutbare Belastung zu überschreiten, so dass sich eine steuerliche Abzugsfähigkeit erst für den Mehrbetrag der Aufwendungen ergibt. Die zumutbare Belastung beträgt bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte 1. bei Steuerpflichtigen, die keine Kinder haben und bei denen die Einkommensteuer a) nach der Grundtabelle, b) nach der Splittingtabelle zu berechnen ist; 2. bei Steuerpflichtigen mit a) einem Kind oder zwei Kindern, b) drei oder mehr Kindern bis 15 340 EUR über 15 340 EUR bis 51 130 EUR über 51 130 EUR 5% 4% 6% 5% 7% 6% 2% 3% 4% 1% 1% 2% des Gesamtbetrags der Einkünfte. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern und einem Gesamtbetrag der jährlichen Einkünfte von 30.000 EUR kann diese Voraussetzung daher schon bei Prozesskosten jenseits der 900,00 EUR erfüllt sein. Prozesskosten sind dabei die Zahlungen an den eigenen Rechtsanwalt, Zahlungen an das Gericht für Gerichtskosten und Auslagen für Zeugen und Sachverständigen, aber auch der eigene Aufwand für den Prozess Fahrtkosten zum Rechtsanwalt und zum Gericht, Kinderbetreuungskosten wegen Wahrnehmung von Gerichtsterminen u.v.a.m. Andere außergewöhnliche Belastungen, z.B. aus Heilbehandlungskosten, können bei der Berechnung der zumutbaren Belastung ebenfalls berücksichtigt werden und zu einem Überschreiten der zumutbaren Belastung führen. Damit ggf. bei höheren Einkünften oder Alleinstehenden die deutlich höheren Beträge der zumutbaren Belastung überschritten werden, kann es sich empfehlen, die Zahlungen in einem Jahr zu konzentrieren, z.B. auch durch Vorschusszahlungen. BITTE SPRECHEN SIE UNS AN, WENN SIE IN DIESER HINSICHT ERGÄNZENDEN BERATUNGSBEDARF HABEN. LETZTLICH IST IMMER EINE EINZELFALLBEURTEILUNG ERFORDERLICH. Bayreuth, den 17.03.2013 Klaus Dierkes Rechtsanwalt Fachanwalt für Steuerrecht Fachanwalt für Medizinrecht