Langfassung der Bemerkung Nr. 54

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Langfassung der Bemerkung Nr. 54
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Bundesministerium der Verteidigung
(Einzelplan 14)
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Kat. B
Bundesverteidigungsministerium finanziert Projekte der Bekleidungsgesellschaft mit
5 Mio. Euro ohne rechtliche Grundlage
(Kapitel 1407 Titel 553 19)
54.0
Das Bundesverteidigungsministerium hat mehrere technische Projekte der Bekleidungsgesellschaft – sie stattet die
Truppe z. B. mit Uniformen aus – mit insgesamt 5 Mio. Euro finanziert. Hierfür gab es keine rechtliche Grundlage. Das
Bundesverteidigungsministerium kann zudem nicht ausschließen, dass es für ein Projekt mehr zahlte, als es kostete. Der
Forderung des Bundesrechnungshofes, die Umstände der Finanzierung aufzuklären, ist es nicht nachgekommen.
54.1
Im Jahr 2002 gründete der Bund, vertreten durch das Bundesverteidigungsministerium, zusammen mit zwei privaten
Unternehmen die LH Bekleidungsgesellschaft mbH (Bekleidungsgesellschaft) mit Sitz in Köln. Hauptaufgabe der Bekleidungsgesellschaft ist die bedarfsgerechte und effiziente Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
mit Bekleidung, z. B. Uniformen. Der Bund hält 25,1 % der Anteile an der Gesellschaft.
Zeitgleich mit der Bekleidungsgesellschaft wurde als deren 100-prozentige Tochter die LHD Group GmbH gegründet.
Sie soll mit dem Verkauf von Firmen- und Sicherheitsbekleidung ein gewinnbringendes Geschäft mit Kunden außerhalb der Bundeswehr betreiben. Seitdem hat die Bekleidungsgesellschaft weitere Tochterunternehmen gegründet.
Die Bundeswehr ist alleinige Kundin der Bekleidungsgesellschaft. Ein Vertrag regelt die Einzelheiten der Geschäftsbeziehung. Hiernach finanziert die Bundeswehr neben den Kosten für den Kauf der Bekleidung auch den weiteren
Aufwand der Bekleidungsgesellschaft. Hierzu gehören z. B. die Kosten für die Ausgabe, Rücknahme und Aufbereitung
der Bekleidung. Die Bekleidungsgesellschaft kalkuliert ihre Kosten jährlich im Voraus und unterbreitet der Bundeswehr ein Angebot, das von der Preisbildungs- und Preisprüfungsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen geprüft wird.
Auf dieser Grundlage vereinbaren die Bundeswehr und die Bekleidungsgesellschaft einen Festpreis. Weichen die
tatsächlichen Kosten der Bekleidungsgesellschaft hiervon später ab, bewirkt dies keine höhere oder niedrigere Zahlung
der Bundeswehr. In den Festpreis sind auch die Finanzierungskosten für Kredite einkalkuliert, die die Bekleidungsgesellschaft z. B. zur Vorfinanzierung von Beschaffungen benötigt.
Für die Vertragsabwicklung war auf Seiten der Bundeswehr bis zum Jahr 2012 das Bundesamt für Wehrverwaltung
(BAWV) zuständig. Es bezahlte u. a. die gelieferte Bekleidung, stimmte den Bedarf ab und vereinbarte mit der Bekleidungsgesellschaft den Festpreis. Im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr gingen diese Aufgaben auf das
Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr über. Im vorgesetzten Bundesverteidigungsministerium ist ein Fachreferat für den Aufgabenbereich Bekleidung zuständig.
Im Jahr 2012 prüfte der Bundesrechnungshof die Geschäftsbeziehungen zwischen der Bundeswehr und der Bekleidungsgesellschaft.
4,13 Mio. Euro für IT-Projekt
Für ein IT-Projekt zahlte das BAWV der Bekleidungsgesellschaft am 28. Dezember 2011 4,13 Mio. Euro. Der Bundesrechnungshof stellte hierzu fest:
Am 25. November 2011 informierte das BAWV das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums darüber, dass
von den im Jahr 2011 für Zahlungen an die Bekleidungsgesellschaft zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln
4,13 Mio. Euro nicht benötigt werden. Drei Tage später sagte das Bundesverteidigungsministerium der Bekleidungsgesellschaft zu, ein Projekt zur Einführung eines neuen IT-Systems zu finanzieren. Dieses IT-System unterstützt z. B.
die Einkaufsprozesse, die Bestandsplanung und die Qualitätssicherung. Noch im laufenden Jahr sollte die Bekleidungsgesellschaft die Kosten bis zu 4,13 Mio. Euro in Rechnung stellen. Am nächsten Tag übersandte das Bundesverteidigungsministerium dem BAWV eine knapp sieben Seiten lange Projektbeschreibung und eine ergänzende
Folienpräsentation. Diese undatierten und nicht unterschriebenen Unterlagen bezeichnete das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums als Projektantrag. Ohne weitere Begründung oder Belege stellte die Bekleidungsge-
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sellschaft dem BAWV noch am selben Tag 4 130 000,01 Euro für das IT-Projekt in Rechnung. Am folgenden Tag, dem
30. November 2011, wies das Bundesverteidigungsministerium das BAWV an, die bis dahin nicht verbrauchten
Haushaltsmittel für das IT-Projekt der Bekleidungsgesellschaft zu verwenden.
Das BAWV forderte die Bekleidungsgesellschaft auf, prüffähige rechnungsbegründende Unterlagen vorzulegen. Die
Bekleidungsgesellschaft legte daraufhin Rechnungen ihrer Auftragnehmer vor. Das BAWV konnte die Rechnungen
jedoch nicht zweifelsfrei dem IT-Projekt zuordnen. In den vom Bundesrechnungshof stichprobenweise eingesehenen
Rechnungen enthielten die Angaben zum Zahlungsgrund häufig ungebräuchliche Abkürzungen und waren deshalb nur
für die Bekleidungsgesellschaft verständlich. Handschriftliche Vermerke und Berechnungen der Bekleidungsgesellschaft deuteten darauf hin, dass Rechnungsbeträge teils sie selbst, teils ihre Tochterunternehmen betrafen.
In zwei Berichten an das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums erhob das BAWV Einwände gegen die
Zahlung, die dieses ohne nähere Begründung zurückwies. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 wandte sich daraufhin der Präsident des BAWV an die zuständige Abteilungsleitung des Bundesverteidigungsministeriums. Er vertrat
die Auffassung, dass die für eine Zahlung notwendige Feststellung der sachlichen Richtigkeit der Rechnung nur durch
das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums getroffen werden könne. Nur dort lägen die erforderlichen
Kenntnisse über das Projekt vor. Weiterhin legte er dar, dass eine Zahlung dem in der Bundeshaushaltsordnung festgelegten Verbot einer Vorleistung widerspreche, weil das IT-System erst im Jahr 2013 in Betrieb genommen werden
sollte und deshalb keine Gegenleistung für eine Zahlung vorhanden sei. Noch am gleichen Tag zeichnete die Leitung
des Fachreferates des Bundesverteidigungsministeriums die Rechnung der Bekleidungsgesellschaft „sachlich und
rechnerisch richtig“. Daraufhin bezahlte das BAWV die Rechnung.
In ihrer Antwort an den Präsidenten des BAWV vertrat die zuständige Abteilungsleitung des Bundesverteidigungsministeriums später die Auffassung, dass dem BAWV „die erforderlichen Kenntnisse zur sachlichen Feststellung der Rechnung“ vorgelegen hätten. Die Zahlung widerspreche auch nicht dem Verbot einer Vorleistung, da die Bekleidungsgesellschaft die Rechnung für bereits ausgeführte und genutzte Teilleistungen aus dem IT-Projekt gestellt habe, das sich
in mehrere Teilprojekte aufgliedere.
Gutschrift über 913 000 Euro
Für das Geschäftsjahr 2009 bot die Bekleidungsgesellschaft der Bundeswehr ohne vertragliche Verpflichtung eine
Gutschrift über 913 000 Euro an. Grund für diese Gutschrift waren ihre im Vergleich zum vereinbarten Festpreis
weitaus geringeren tatsächlichen Kosten.
Das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums vereinnahmte die Gutschrift nicht für den Bundeshaushalt.
Vielmehr beauftragte es die Bekleidungsgesellschaft mit technischen Änderungen an zwei Hochregallagern. Die
Ausgaben hierfür sollte die Bekleidungsgesellschaft mit der Gutschrift verrechnen. Die Finanzierung der technischen
Änderungen aus dem Bundeshaushalt war dem Fachreferat im ministeriellen Entscheidungsprozess zuvor nicht gestattet worden. Im Juni 2012 legte die Bekleidungsgesellschaft eine Endabrechnung über 850 000 Euro vor und kündigte
an, den Restbetrag aus der Gutschrift zu überweisen.
54.2
Der Bundesrechnungshof hat beanstandet, dass es für die Finanzierung des IT-Projekts keine rechtliche Grundlage gab.
Soweit Kosten der Bekleidungsgesellschaft nicht in den Festpreis einfließen, regelt der Vertrag nur den Fall, dass die
Bekleidungsgesellschaft eine Vergütung erhält, sofern sie nach gesonderter Beauftragung Leistungen für den Bund
erbringt. Die Abrechnung von in der Vergangenheit entstandenen Kosten ohne zuvor erteilten Auftrag steht mit dieser
Regelung nicht im Einklang.
Die dem BAWV vorgelegten Unterlagen haben als Grundlage für eine Zahlung nicht ausgereicht. Sie beschreiben den
Projektgegenstand und -verlauf zu ungenau, und es fehlt der Bezug zu den von der Bekleidungsgesellschaft vorgelegten
Rechnungen. Im Unterschied zur Darstellung der zuständigen Abteilungsleitung des Bundesverteidigungsministeriums
verfügte das BAWV nicht über die erforderlichen Kenntnisse zur Feststellung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Rechnung. Auf welcher Grundlage die Leitung des Fachreferates des Bundesverteidigungsministeriums
diese Feststellung treffen konnte, erschließt sich nicht.
Der Umstand, dass das IT-System nach den Angaben im Projektantrag erst im Jahr 2013 in Betrieb genommen werden
sollte, spricht für die Rechtsauffassung des BAWV, die Zahlung stelle eine nach der Bundeshaushaltsordnung unzulässige Vorleistung dar. In den dem Bundesrechnungshof vorgelegten Unterlagen findet sich keine Bestätigung für die
Darstellung der zuständigen Abteilungsleitung, die Bekleidungsgesellschaft habe nur bereits genutzte Teilleistungen
aus dem IT-Projekt in Rechnung gestellt.
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Das Bundesverteidigungsministerium sollte den Eindruck vermeiden, dass sein Fachreferat die Finanzierung des
IT-Projekts erst und nur deshalb zum Ende des Jahres 2011 vorangetrieben hat, um den Haushaltsansatz zugunsten der
Bekleidungsgesellschaft auszuschöpfen. Der Bundesrechnungshof hat das Bundesverteidigungsministerium daher
aufgefordert, alle Abläufe und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Finanzierung des IT-Projekts aufzuarbeiten
und rechtlich umfassend zu würdigen.
Der Bundesrechnungshof hat weiterhin beanstandet, dass das Fachreferat des Bundesverteidigungsministeriums die
von der Bekleidungsgesellschaft gewährte Gutschrift nicht vereinnahmte, sondern „am Bundeshaushalt vorbei“ mit
Ausgaben für technische Änderungen an Hochregallagern verrechnen ließ. Das Vorgehen verstößt gegen elementare
Grundsätze des Haushaltsrechts. Insbesondere sind Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Dieser Verstoß
wiegt nach Ansicht des Bundesrechnungshofes besonders schwer, weil dem Fachreferat die Finanzierung der Maßnahmen aus dem Bundeshaushalt zuvor nicht gestattet worden war. Dem Fachreferat hätte klar sein müssen, dass es die
Finanzierung der Maßnahmen auf ordnungsgemäße Weise sicherstellen muss und die Gutschrift hierfür nicht in Frage
kommt.
54.3
Das Bundesverteidigungsministerium hat eingeräumt, die Entscheidungen zur Finanzierung des IT-Projekts könnten
nicht nachvollzogen werden, weil die durchgeführten Prüfungen und Bewertungen nicht hinreichend dokumentiert
worden seien. Das IT-Projekt sei eine vertragliche Verpflichtung der Bekleidungsgesellschaft zur stetigen Optimierung
der Prozesse. Für dessen Finanzierung gebe es keine gesonderte vertragliche Regelung. Die Kosten hätten in den
Festpreis einfließen müssen. Dies sei ursprünglich auch vorgesehen gewesen. Aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht habe das IT-Projekt unterbrochen werden müssen und die Bekleidungsgesellschaft habe die bis dahin angefallenen Kosten nicht in ihr Angebot für den Festpreis einbringen können. Dadurch sei ihr ohne eigene Einflussmöglichkeit eine unzumutbare Kapitalinanspruchnahme entstanden. Die Finanzierung des IT-Projekts stelle deshalb keine
unzulässige Vorleistung im Sinne der Bundeshaushaltsordnung dar. Später hat das Bundesverteidigungsministerium
erläutert, die Finanzierung des IT-Projekts habe zum Ziel gehabt, den Festpreis nicht mit Finanzierungskosten für
Kredite der Bekleidungsgesellschaft zu belasten.
Zur Verrechnung der Gutschrift hat das Bundesverteidigungsministerium ausgeführt, dass ohne die technischen Änderungen an den Hochregallagern die zeitgerechte Versorgung der Soldatinnen und Soldaten mit Bekleidung gefährdet
gewesen sei. Später hat es erklärt, es habe vermeiden wollen, dass die Bekleidungsgesellschaft ihm die Kosten der
technischen Änderungen – einschließlich der Finanzierungskosten – über den Festpreis in Rechnung stellt.
54.4
Die Erläuterungen des Bundesverteidigungsministeriums überzeugen den Bundesrechnungshof nicht. Das Bundesverteidigungsministerium finanzierte das IT-Projekt nicht planmäßig und nicht vertragskonform. Der zeitliche Ablauf,
die mangelhafte Dokumentation und die Höhe der Finanzierung sprechen für eine überstürzte Entscheidung zum
Jahresende 2011, als feststand, dass nicht alle für Zahlungen an die Bekleidungsgesellschaft zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel benötigt werden.
Entgegen seiner Erklärung kann das Bundesverteidigungsministerium wegen der mangelhaften Dokumentation nicht
ausschließen, dass die Bekleidungsgesellschaft Kosten des IT-Projekts in den Festpreis einkalkuliert hat. In diesem Fall
hätte die Bundeswehr für das IT-Projekt mehr gezahlt, als es kostete.
Weil das IT-System erst im Jahr 2013 in Betrieb genommen werden sollte, handelte es sich bei der Zahlung im Jahr
2011 um eine unzulässige Vorleistung. Selbst wenn die Bekleidungsgesellschaft zur Vorfinanzierung des IT-Projekts
Kredite aufgenommen hätte, würde dies keine unzumutbare Kapitalinanspruchnahme darstellen. In den von der Bundeswehr bezahlten Festpreis sind auch die Finanzierungskosten für Kredite einkalkuliert.
Auf welcher Grundlage die Leitung des Fachreferates des Bundesverteidigungsministeriums die „sachliche und rechnerische Richtigkeit“ der Rechnung der Bekleidungsgesellschaft bescheinigen konnte, obwohl die beigefügten Belege
dem IT-Projekt nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, bleibt offen.
Der Aufforderung, die Entscheidungen seines Fachreferates zur Finanzierung des IT-Projekts aufzuarbeiten und
rechtlich umfassend zu würdigen, ist das Bundesverteidigungsministerium nicht nachgekommen. Der Bundesrechnungshof hält es für dringend geboten, dass das Bundesverteidigungsministerium dies nachholt.
Auch die Ausführungen des Bundesverteidigungsministeriums zur Verrechnung der Gutschrift überzeugen nicht. Der
Hinweis auf die Dringlichkeit der technischen Änderungen an den Hochregallagern ändert nichts daran, dass die Gut-
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schrift vollständig für den Bundeshaushalt hätte vereinnahmt werden müssen. Das Bundesverteidigungsministerium
muss sicherstellen, dass es künftig auch in eiligen Fällen die haushaltsrechtlichen Bestimmungen beachtet.