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KODIKAS / CODE
Ars Semeiotica
Volume 32 (2009) No. 3 – 4
Gunter Narr Verlag Tübingen
Rhetorik der Konkretisierung:
Zur Darstellung von Gewalt in Hans Rosenplüts Die
Wolfsgrube und Herrands von Wildonie Die treue Gattin
Susanne Reichlin
Die Darstellung von Gewalt ist in den spätmittelalterlichen Mären häufig mit der Konkretisierung von konventionalisierten Metaphern oder literarischen Topoi verknüpft. So fällt z.B. in der
Wolfsgrube von Hans Rosenplüt neben dem Ehebrecher, der als Wolf bezeichnet wird, auch das
gleichnamige Tier in die Grube. In der Treuen Gattin wiederum sticht sich die Ehefrau, nachdem ihr Mann ein Auge verloren hat, ebenfalls ein Auge aus, um die ‘Gleichheit’ der Liebenden
zu restituieren. Die genauere Analyse solcher ‘Konkretisierungen’ macht deutlich, dass es dabei
nicht um eine Rückführung einer ‘übertragenen’ auf eine ‘primäre’ Bedeutung geht, sondern um
Prozesse der Analogisierung, Verschiebung und Überlagerung tradierter Sinnstiftungen, die so
reflektiert und weiterentwickelt werden. Zugleich kann dieses Spiel mit der Übertragung und
Verlagerung von Bedeutungsfeldern seinerseits historisiert werden, indem die durch die
Konkretisierung implizierten normativen und epistemologischen Hierarchisierungen in den
Blick genommen werden.
Violence goes in late medieval short-stories, called Mären, often together with a ‘rhetoric of
concreteness’, e.g. traditional metaphors are used in their corporeal meaning. After, in the
Wolfsgrube from Hans Rosenplüt, the adulterer is called a wolf, the animal shows up and mixes
with the plans of the betrayed husband. Later in the story the husband castrates the adulterer and
turns his genitals into a piece of jewellery, which he then donates to the adulteress and her
maiden. The literary tradition of the metonymic gift is so transformed into a corporeal and
symbolic punishment. But the emphasis of the symbolic punishment results not from the
merging of the two meanings, but from their displayed difference. Likewise the analysis of Die
treue Gattin from Herrand von Wildonie shows, how the ‘rhetoric of concreteness’ doesn’t
consist in the reduction of a metaphoric meaning to a literal one, but in the processes of generating analogies, as well as in the displacement and transference of traditional sayings.
Der Mediävist Hans Fischer hat 1968 in einer einflussreichen Monographie eine Gruppe von
Kurzerzählungen in spätmittelalterlichen Sammelhandschriften als Mären bezeichnet und als
eigene Gattung bestimmt.1 Obwohl die Texte z.T. dieselben Stoffe wie Boccaccios Novellen
erzählen, wählt er nicht die Bezeichnung ‘mittelalterliche Novellistik’, sondern den mittelhochdeutschen Ausdruck ‘Märe’, um damit zu markieren, dass die Texte in ihrem eigenen
Bezugshorizont zu verstehen sind und nicht im Vergleich mit den Novellen Boccaccios als
defizitär abgewertet werden sollen. Die Gruppe der Texte, die er mittels eines nicht unproblematischen Klassifikationssystems2 als Mären bestimmt, ist jedoch alles andere als
homogen. Es finden sich darunter sowohl moralisch-exemplarische Erzählungen von einem
‘richtigen’ höfischen Verhalten als auch Geschichten von Sexualität, Gewalt und Betrug, die
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nicht oder nur ansatzweise didaktisch domestiziert werden. Es gibt Texte, die von der wahren,
aber unerfüllten Liebe erzählen, und solche, die ihre Pointen mittels sexueller oder fäkaler
Komik erzielen. Was die Texte jedoch übergreifend auszeichnet – wenn es sie auch nicht
klassifikatorisch von anderen kleinepischen Formen abgrenzt –, ist ihr variantenreicher
Zugriff auf überlieferte literarische Muster. Die Texte entstehen durch Variation und Rekombination eines Inventars an literarischen Topoi, Metaphern und Erzählmustern, das durch
die klassische höfische Literatur ausgebildet und durch die Mären selektiert worden ist. Man
kann diese Texte deshalb auch als serielle bezeichnen. Damit ist aber v.a. in den späten
Sammelhandschriften ein kasuistisches Erzählprinzip verbunden: Dieselbe Frage oder
derselbe Problemkomplex werden in verschiedenen Erzählungen aus unterschiedlichen Sichtweisen verhandelt.3
Dieser Umgang mit überlieferten Erzählelementen könnte eine Möglichkeit darstellen, die
Frage nach der historischen Entwicklung der Textgruppe weniger von inhaltlichen und stärker
von formalen Kriterien her anzugehen.4 Da diese große Entwicklung hier aber nicht skizziert
werden kann, soll bei einem spezifischen Phänomen der Bezugnahme angesetzt werden,
nämlich bei der Konkretisierung von überlieferten Topoi oder Metaphern. In all den verschiedenen Ausprägungen der Mären lässt sich die rhetorische Strategie beobachten, traditionelle Wendungen ‘beim Wort zu nehmen’. An zwei inhaltlich, zeitlich und vom Erzählmuster
her weit auseinander liegenden Texten soll deshalb im Folgenden untersucht werden, wie sie
überlieferte Erzählelemente konkretisieren und welche Effekte sie damit erzeugen. Zugleich
ist zu klären, wie und ob überhaupt – ausgehend von den Texten – zwischen einem konkreten
und einem übertragenen Sprechen unterschieden werden kann.
In einem größeren Rahmen ist mit dieser Frage das Spannungsverhältnis zwischen der
Darstellung des Konkreten und der Konkretheit des Darstellens verbunden. Denn die Schilderung von so genannt Konkretem wie Sexualität oder Gewalt kann – so ist man sich meist
einig – nicht unabhängig von den Mitteln ihrer Darstellung analysiert werden. Die Umkehrung dieser Schlussfolgerung bereitet jedoch schon mehr Schwierigkeiten: Funktioniert eine
‘Rhetorik der Konkretisierung’ themenunabhängig oder ist sie zugleich auf die Emphase, die
mit dargestellter körperlicher Gewalt einhergeht, angewiesen? Eine Untersuchung solcher
Fragen steht unter dem Vorbehalt, dass sowohl die Konkretheit des Referenzobjekts, das die
Medialität der Darstellung transzendiert, als auch die dem Signifikanten eigene Materialität
den Rezipienten grundsätzlich entzogen bleibt.5 Doch möchte ich hier nicht erneut dieses
vieldiskutierte Entzugsverhältnis thematisieren, sondern nach den medienspezifischen und
historischen Formen des Darstellens von Konkretem (hier insbesondere von Gewalt) fragen.
Denn sobald man einzelne Darstellungen von Gewalt näher betrachtet, werden die vielschichtigen Bezüge sichtbar, die die Darstellung des Konkreten erst ermöglichen. Es wird
deutlich, dass das Konkrete in narrativen Texten im Unterschied zu anderen Medien wie z.B.
der Photographie6 stärker prozessual gedacht werden muss. Konkretes realisiert sich – so kann
für die hier analysierten Texte vorausgreifend postuliert werden – als textuelle Bewegung der
Konkretisierung, die jedoch nur dank einer Abgrenzung von einem Abstrakten, Übertragenen
oder Scheinhaften zu Stande kommt – eine Abgrenzung, die je nach Text diskursiv und
semantisch anders besetzt wird und deshalb auch Möglichkeiten für eine Historisierung des
Konkreten eröffnet.
Rhetorik der Konkretisierung
1.
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Die Wolfsgrube von Hans Rosenplüt
Ich beginne mit dem späteren der beiden Texte, der Wolfsgrube, die in fünf von sechs
Handschriften dem Nürnberger Handwerkerdichter Hans Rosenplüt zugeschrieben wird.7
Die Erzählung beginnt so, wie viele andere Mären enden, nämlich damit, dass ein edelman
erfährt, dass seine Frau ihn in der kommenden Nacht mit dem Pfaffen betrügen will. Der
Ehemann gräbt vor seiner Hintertür eine Grube, die er mit Ästen bedeckt und vor die er als
Köder eine Gans hängt. Dann versteckt er sich mit seinem Knecht und beobachtet die Grube.
Als erstes kommt ein Wolf, der sich die Gans schnappt und hineinfällt. Dann kommt der
ehebrecherische Pfarrer, der über die Hintertür zur Frau schleichen möchte, und gleichfalls in
die Falle tappt. Als der Pfarrer nicht kommt, schickt die Frau die Magd los, damit sie den
Pfarrer hole. Auch sie fällt sogleich in die Grube. Da die Magd ausbleibt, fürchtet die Ehefrau, sie vergnüge sich mit dem Pfarrer; sie geht los und tappt ebenfalls in die Falle. Nun erst
erklärt der Edelmann die Jagd für beendet.8 Er lässt die Verwandten kommen und zeigt ihnen
die Ehebrecher. Die Frau bittet um Vergebung und die Verwandten stiften in einer rechtlich
konnotierten Aussprache zwischen den beiden Sippen “frid und sun” (V. 151). Obwohl die
Verwandten auch für den Kleriker bitten (V. 157), lässt der Ehemann ihm beide Hoden
abschneiden. Der eine wird an eine Kette geschmiedet und der Magd um den Hals gehängt.
Den anderen hängt der Ehemann über das Ehebett und verlangt von seiner Frau, jeden Tag
davor zu “lesen”, damit ihr ihr “unrecht” in Erinnerung bleibe (V. 177; 175).
Diese Erzählung berichtet einerseits von handfester Gewalt,9 verbindet dies aber andererseits mit einer ‘Rhetorik der Konkretisierung’, die so genannte ‘übertragene’ Bedeutungen
beim Wort nimmt. Dies wird bereits am Beginn hörbar, als kurz von den Ehebruchsplänen der
Frau berichtet wird:
sein frau [des Adeligen, d.V.] sich heimlich des vermaß,
das sie einem pfaffen zu ir zilt.
dem wolt sie leihen iren schilt,
darein man mit solchen spern sticht,
davon man selten awee spricht. (V. 6–10)10
In verschiedenen Mären wird die im Minnesang geläufige Metaphorik des Liebeskriegs
aufgegriffen, um Sexualität darzustellen. Meist besteht der Witz der Szenen darin, dass die
Metaphorik ausführlich entfaltet wird: Rüstung und Angriffe der beiden Kämpfenden werden
detailliert beschrieben und dabei wird kontinuierlich mit der zugleich enthüllenden und
verbergenden Zweideutigkeit der Sprachbilder gespielt.11 In der Wolfsgrube ist hingegen der
Liebeskrieg nur dann kurz Thema, als der geplante Ehebruch eingeführt wird. Dennoch wird
auch hier – in einer eindeutigen Zweideutigkeit – vom Speer gesagt, er sei von einer solchen
Art, dass man von ihm selten spreche (V. 10). Geradezu programmatisch wird somit zwischen
unterschiedlichen Bedeutungsfeldern des Gesagten unterschieden und signalisiert, dass es hier
nicht um ein militärisches, sondern um ein sexuelles Bedeutungs- oder Konnotationsfeld
gehen soll. Durch dieses Explizit-machen des Nicht-Explizierten wird die Aufmerksamkeit
der Lesenden darauf gerichtet, ob und wie das hier bloß Angedeutete in der Folge konkretisiert, bzw. näher beschrieben wird.
Dieses Spiel mit verschiedenen Bedeutungsfeldern wird in der Folge anhand der titelgebenden Wolfsgrube fortgesetzt.12 Der Ehemann erklärt dem Knecht, er hätte einen Wolf
gesehen, der nach Gänsen spähe, und möchte diesem das Handwerk legen. (V. 23–25). Die
übertragene Bedeutung dieser Aussagen ist weit verbreitet. In Anlehnung an Mt. 7.15 (die
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Rede vom “Wolf im Schafspelz”) wird in mehreren Mären der Ehebrecher mit einem Gänse
reißenden Wolf verglichen, und auch die Identifizierung von Gans und Frau ist beliebt.13
In der Wolfsgrube verknüpft der Ehemann die Rede vom Ehebrecher als Wolf mit der
Jagdmetaphorik. Aus dem Fallen-Stellen (V. 124) ergibt sich die Rede vom gefangenen
“wild[]” (V. 76) und vom “wilpret[]” (V. 97). Doch erneut wird hervorgehoben, dass die
verschiedenen Bedeutungsebenen nicht widerspruchslos ineinander aufgehen: Die Magd, so
der Ehemann, sei ein Wildbret, das man weder brät noch kocht.14
Der Witz der Jagdmetaphorik besteht aber nicht nur im Changieren zwischen konkreter
und übertragener Bedeutung, sondern auch in ihrer traditionell unterschiedlich besetzbaren
Symbolik. Denn neben der konkreten Jagd auf Tiere und der übertragenen auf Ehebrecher15
steht die Jagd im Minnesang und in der Folge auch in den Mären für die sexuelle Jagd.16
Diese Konnotation ist so dominant, dass sie hier kaum ausgeblendet werden kann. Vielmehr
scheinen wir es mit einem hinterlistigen Erzählen zu tun zu haben, das bei der Rache immer
auch die Schande (den Ehebruch) präsent hält, die die Rache nötig gemacht hat.
In diesen Szenen zielt der Text nicht auf ein kohärentes Ineinander-Aufgehen von konkreter und übertragener Bedeutung, sondern auf die dissonante Überlagerung verschiedener
intertextuell ausgebildeter Bedeutungsfelder. Diese dissonante Überlagerung wird noch
dadurch gesteigert, dass als erstes ein Wolf in die Falle des Ehemannes geht. Die Rede vom
Wolf im Schafspelz wird somit handlungsweltlich konkretisiert: Statt dem in der Rede des
Ehemannes primär intendierten übertragenen Signifikat (Ehebrecher) fällt das wörtliche
(Wolf) in die Grube. Dadurch wird aber keineswegs das Bedeutungsspektrum auf die konkrete Bedeutung festgelegt, weil gleich darauf auch der Ehebrecher gefangen wird. Es liegen
sodann der konkrete und der übertragene Referent nebeneinander in der Grube. Dies wird in
der Folge für weitere Übertragungen genutzt: Der Ehemann sagt zu seinen Verwandten, er
hätte “drei menschen und ein wildes tier” gefangen (V. 136). Der Wolf (bzw. der Signifikant
‘Wolf’), der zuerst als bloß metaphorischer Signifikant eingeführt wurde und dann pointenreich zu einem konkreten Gegenstand der Handlung wurde, wird so erneut in einen symbolischen Übertragungsprozess hineingezogen: Seine kulturelle Symbolik als reißerisches
Raubtier wird aktualisiert und auf die drei Menschen in der Grube übertragen, um sie zu
desavouieren. Das Märe interessiert sich somit für den Wolf weder in seiner konkreten noch
in seiner übertragenen Bedeutung, sondern für die Verschiebungen zwischen den verschiedenen Bedeutungsfeldern, die dank des Signifikanten ‘Wolf’ vorgenommen werden können.
Diese Verschiebungen sind deshalb so wirkungsvoll, weil sie nicht nur die symbolische
Ökonomie des Erzählten, sondern auch die Handlungswelt betreffen.
Auch die anderen Figuren der Erzählung schildern ihre Situation in einer übertragenen
Sprechweise. Der in die Grube gefallene Pfaffe meint, dass ein teuflischer Koch ihm das
Essen gehörig versalzen habe (V. 66–69) und die Ehefrau schickt die Magd mit der Forderung
los, der Pfaffe solle kommen, solange der Krämer noch offen habe und die Ware noch
käuflich sei (V. 87–89). Die (mehrfach besetzte) Jagdmetaphorik wird somit in Bezug zu
anderen Bildfeldern gesetzt, die – im Falle des Kochs – dasselbe Geschehen aus einer anderen
Perspektive darstellen. Dabei ergeben sich bildliche Verbindungen zwischen der versalzenen
Suppe des Pfaffen und dem Wildpret des Ehemannes, das sich nicht kochen lässt. Ähnlich wie
bei der Jagdmetaphorik, die gleichzeitig die sexuelle Jagd und die Jagd auf den Ehebrecher
konnotiert, werden auch hier Ehemann und Ehebrecher einander angeglichen: Beide erscheinen als Verlierer, die den erstrebten Genuss nicht erreichen können. Während jedoch
dem Pfaffen die Suppe von einem Dritten versalzen wird, hat der Ehemann etwas erjagt, das
er nicht seinen Wünschen entsprechend zubereiten kann.
Rhetorik der Konkretisierung
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Die Krämermetaphorik der Ehefrau wiederum spielt auf das in anderen Erzählungen
beliebte Erzählmuster an, bei dem der Ehebrecher sich den Ehebruch mittels Geschenken
(Geld oder Wertgegenstände) erwirbt. Mit der Krämermetaphorik wird so konnotativ auf den
Teil der Handlungsfolge angespielt, der gewöhnlich im Zentrum der meisten Ehebruchsschwänke steht: Die Anbahnung des außerehelichen Liebesverhältnisses, die Strategien, mit
denen der Ehebruch zu verdecken versucht wird, und die Aufdeckung des Ehebruches durch
den Ehemann.17 Bei Rosenplüt wird dieser Hauptteil der meisten Schwankerzählungen auf die
metaphorische Ebene verschoben, auf der ihr jedoch zugleich auch eine paradigmatische
Funktion zukommt: Sie weist auf das Ende voraus, wo der literarischen Tradition der Liebesgabe erneut eine wichtige Rolle zukommt.
In dieser Schlussszene geht es zwar weiterhin um die Verschiebungen zwischen konkreten
und übertragenen Bedeutungen, doch wird diesmal von gegenständlichen Körperteilen
ausgegangen. Der Ehemann schneidet dem Pfaffen die Hoden ab und verarbeitet sie zu
Schmuckstücken.18 Der eine Hoden wird als Anhänger an eine Kette geschmiedet, der andere
zu einem Objekt verarbeitet, das sich an die Wand hängen lässt.19 Die abgeschnittenen Hoden
sind somit einerseits Resultat eines körperlichen Gewaltaktes und halten diesen indexikalisch
präsent, andererseits werden sie durch die Verarbeitung symbolisch neu aufgeladen. Der
Kettenanhänger verweist auf die topischen Liebesgaben (“kleinât”), die Frauen in höfisch
ausgerichteten Erzählungen als Liebeszeichen erhalten.20 Das Schmuckstück, das gewöhnlich
Teil der Liebeskommunikation ist, wird so vorab mit den Folgen des Ehebruchs kontaminiert.
Dadurch wird der Symbolbereich der Liebeskommunikation mit den materiellen Spuren des
Ehebruchs überschrieben und seiner Eindeutigkeit beraubt (i.e. Liebesgaben können künftig
nicht mehr nur ‘reine’ Liebe bedeuten, sondern erinnern an den Ehebruch). Da Liebesgaben
in den Mären jedoch nicht nur unschuldige Liebeszeichen sind, sondern oft auch Tauschobjekt, um minne materiell zu erwerben, steht der Kettenanhänger auf der Erzählebene
zugleich für die Käuflichkeit der Frau. Er deutet an – was ebenfalls aufgrund der knappen
Erzählweise ausgespart worden ist, aber typisches Handlungsmuster vieler Mären ist –, dass
die Frau sich die Hilfs- und Kupplerdienste der Magd möglicherweise mittels Geld erkauft
hat.21 Erneut werden so zentrale Handlungselemente anderer Ehebruchsmären nicht mehr auf
der Handlungsebene erzählt, sondern nur noch konnotativ eingespeist – mit dem Effekt, dass
die Auseinandersetzung mit der Erzähltradition nicht mehr primär durch die Rekombination
von Erzählmustern geschieht, sondern auf der Ebene von sich überlagernden Bedeutungs- und
Konnotationsfeldern stattfindet.
Auch beim zweiten Schmuckstück besteht die Pointe darin, dass dessen indexikalischmaterielle und dessen symbolische Bedeutung eine intrikate Mischung ergeben: Der Hoden
wird im Schlafzimmer über das Bett gehängt, und die ehebrechende Frau soll jeden Tag davor
“lesen”. Der Hoden nimmt so geradezu den Platz des Kruzifixes oder eines anderen privaten
Andachtsobjektes ein. Denn “lesen” (V. 177) steht in diesem Kontext wohl primär für das
Lesen des Psalters oder des Stundenbuchs, wozu auch die Blickbeziehung zu einem Andachtsobjekt gehört. Beim zweiten Schmuckstück wird somit nicht die Liebeskommunikation,
sondern die private Kommunikation mit Gott mit den Folgen des Ehebruchs kontaminiert.
Damit wird die Frau einerseits daran erinnert, aufgrund ihrer Sünde besonders intensiv für ihr
Seelenheil zu beten. Andererseits wird aber auch das tägliche Gebet von der Erinnerung an
die eine Sünde dominiert, und der Ehemann oder – stärker diskursgeschichtlich formuliert –
die Ehenorm verschafft sich Zugang zu einem Bereich der Innerlichkeit und privaten Frömmigkeit, der nur schlecht kontrolliert werden kann. Im Unterschied zum Pfaffen, der nach
dem Prinzip des ius talionis bestraft wird,22 zielt die Bestrafung der beiden Frauen gerade auf
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die Überschreitung einer solchen rückwärtsgewandten Spiegelstrafe. Der Ehebruch wird in
den Objekten nicht repräsentiert, sondern diese zielen auf eine materielle Einschreibung des
Vergangenen in Zeichenprozesse der Zukunft.
Am Beginn der Wolfsgrube wird mittels der Differenz zwischen vordergründig übertragenem Reden und dessen Konkretisierung den Rezipienten suggeriert, das ‘Reden’ bzw.
Erzählen ließe sich auf ein Nicht-Sprachliches hin überschreiten. Im weiteren Verlauf der
Erzählung wird jedoch deutlich, dass die Sprache nicht auf etwas Konkretes hin transzendiert
werden soll, sondern die Differenz zwischen übertragenem und konkretem Sprechen produktiv gemacht wird, indem sie Verschiebungen und Projektionen zwischen verschiedenen
Konnotationsfeldern sowie deren Überlagerung ermöglicht. So besteht die Pointe beim Wolf
nicht nur darin, dass die gegenständliche Bedeutung einer konventionalisierten Redeweise
sichtbar gemacht wird, sondern darin, dass die vordergründig semantische Bewegung der
Konkretisierung die Handlungsebene prägt: Der Wolf ist nicht nur Element der Erzählebene
(discours), sondern plötzlich auch Teil der Handlungswelt (histoire). Im zweiten Teil wiederum löst der konkrete Wolf (V. 136) auf der Handlungsebene eine neue Übertragungsbewegung aus, die abschließend dazu dient, den Wolf zum Sinnbild eines (zu verurteilenden)
Verhaltens zu machen. Betrachtet man jedoch nicht nur den Wolf, sondern auch die damit
verknüpfte Jagdmetaphorik, stößt man mit einem dualen Modell von konkreter und übertragener Bedeutung schnell an Grenzen.23 Denn die Jagd aktualisiert in dieser Erzählung
sowohl verschiedene übertragene Bedeutungsfelder (sexuelle Jagd; Jagd auf den Ehebrecher)
als auch verschiedene gegenständliche Formen der Jagd (Jagd als ‘Fallen-Stellen’; Jagd im
Wald). Diese verschiedenen Bedeutungsfelder der Jagd gehen nicht stimmig ineinander auf,
sondern erzeugen Inkongruenzen, die z.T. gezielt hervorgehoben werden. Dadurch kann
einerseits Komik und eine die Figuren desavouierende Zweideutigkeit erzeugt werden.
Andererseits stehen die verschiedenen Bedeutungsfelder auch für verschiedene literarische
Traditionen von Erzählmustern und Topoi, die durch die Konfrontation der Bedeutungsfelder
als literarische Muster reflektiert werden.
Von einem theoretischen Standpunkt aus, insbesondere in Bezug auf die Metapherntheorie, muss zweifelsohne betont werden, dass weder der wörtlichen noch der übertragenen
Bedeutung ein Primat zukommt, sondern dass es sich dabei um verschiedene, prinzipiell
gleichrangige Bedeutungssysteme handelt. Blickt man dagegen auf die Texte, lassen sich
(historisch spezifische) Hierarchisierungen der verschiedenen Bedeutungsfelder beobachten.
In der Wolfsgrube werden z.B. gewohnte oder wahrscheinliche gegen ungewohnte oder
weniger wahrscheinliche Bedeutungen ausgespielt. Ebenso wird in narrativer und persuasiver
Hinsicht den materiellen Bedeutungen eine höhere Evidenzkraft zugeschrieben als den
ungegenständlichen. Solche Hierarchisierungen gilt es historisch auszuwerten. Diskursgeschichtlich ist z.B. nach den semantischen Besetzungen des Konkreten und Übertragenen,
aber auch nach den mit einer solchen Unterscheidung einhergehenden epistemischen Implikationen zu fragen. Literaturhistorisch wiederum ist zu beobachten, auf welch unterschiedliche Weise mit solchen Konkretisierungs- und Übertragungsbewegungen Bedeutungssysteme miteinander verknüpft werden und welche Reflexionsfiguren damit verbunden sind.
Blickt man deshalb nochmals zurück auf die Wolfsgrube, so lässt sich das Verhältnis des
ersten zum zweiten Teil als eine Art Reflexionsfigur auf den Prozess der Konkretisierung hin
lesen. Im ersten Teil der Erzählung, bei der Gefangennahme der Ehebrecher, bildet die
Figurenrede den Ausgangspunkt eines Prozesses des Konkretisierens, der sich auf die
Handlungswelt auswirkt. Im zweiten Teil dagegen, bei der Bestrafung der Ehebrecher, spielt
die Figurenrede keine Rolle mehr, sondern der Übertragungsprozess geht von den Hand-
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lungen des Ehemannes aus. Die Hoden des Ehebrechers werden vom Ehemann in der Handlungswelt gewaltsam isoliert und dadurch sowohl in der Handlungswelt als auch auf der
Erzählebene zu Signifikanten gemacht, denen durch die Verarbeitung neue Bedeutungsfelder
eingeschrieben werden.24 Bezieht man diese beiden Teile der Erzählung aufeinander, so wird
deutlich, dass die im ersten Teil beobachtete ‘Rhetorik der Konkretisierung’ nicht unabhängig
vom Signifikant gedacht werden darf, dessen Materialität und dessen Herstellung die Bedeutungsprozesse, in die er verstrickt ist, mitbestimmen. Umgekehrt darf aber auch nicht die den
Signifikanten materiell eingeschriebene indexikalische Bedeutung als das ‘eigentlich’
Konkrete verstanden werden, da dieses – wie der Blick auf den ersten Teil zeigt – immer auch
bereits als Auseinandersetzung mit literarischen Topoi und Motiven gelesen werden muss.25
Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Erzählung sich in einem selbstreferentiellen
Spiel verstrickt, dem keine den literarischen Diskurs überschreitende Relevanz zukommt.
Denn die erzählerische Intensität, die durch die Übertragungs- und Konkretisierungsprozesse
erzeugt wird, steht offensichtlich auch im Dienste von nicht-literarischen Diskursen, die an
der Profilierung und Sicherung von Ehe- und Geschlechternormen interessiert sind. Dies wird
u.a. am Epimythion erkennbar. Der Erzähler sagt, er schenke diese Erzählung “allen reinen
frauen” (V. 179), damit sie sich an diese Begebenheit erinnern, und dadurch ihre Ehre in
Zukunft nicht gefährden (V. 180–193). Indem er die Erzählung als Geschenk präsentiert, das
den Ehebruch verhindern soll, wird die Erzählung mit dem Kettenanhänger und dem Andachtsobjekt, die der Ehemann den beiden Frauen gibt, parallelisiert. Die Erzählung erscheint
damit ebenfalls als eine Erziehungsmaßnahme, die über den Verweis auf Vergangenes
zukünftige Handlungen zu beeinflussen sucht. Zumindest für die nachgeborenen Rezipienten26 wird hörbar, dass die durch Übertragungs- und Konkretisierungsvorgänge erzeugte
Intensität auch diskursive Gewalt ausüben kann.
2.
Die treue Gattin von Herrand von Wildonie
Im Folgenden sollen die Konkretisierungs- und Übertragungsprozesse anhand einer weiteren
Geschichte analysiert werden, die thematisch einem ganz anderen Themenbereich zuzuordnen
ist. Herrands von Wildonie Erzählung Die treue Gattin27 berichtet von der ‘wahren Liebe’
eines Ehepaars. Die Erzählung gehört zu den Texten, die Hans Fischer als “höfisch-galante
Mären” bezeichnet hat. Gemäß Fischer stehen diese Texte in der Tradition des höfischen
Romans und berichten von der “Bewährung” der Helden auf dem Feld “der beiden courtoisen
Kardinaltugenden chevalerie und amour” (Fischer 1983: 109). Davon ausgehend kann man
die Erzählung zugleich als Teil einer literarischen Tradition ansehen, die damit experimentiert, wie Liebe erzählend dargestellt, d.h. wie etwas nicht per se Sichtbares narrativ wahrnehmbar gemacht wird.
Die Erzählung Die treue Gattin beginnt mit der topischen Schilderung eines perfekten
Ehepaares.28 Der Erzähler beschreibt zuerst die Schönheit der Frau (V. 25–37), mit der
zugleich höchste Tugendhaftigkeit einhergeht. Dann wechselt der Erzähler zur Beschreibung
des Mannes, aber bricht hier sogleich mit den Erwartungen der Rezipienten. Er beschreibt
rhetorisch effektiv die Hässlichkeit des Mannes (V. 41–47). Diese Hässlichkeit wird jedoch
– wie der Erzähler anfügt – weder von der Frau noch von der Umgebung des Ritters groß
beachtet, weil dessen Tugendhaftigkeit alles überstrahlt.
Der tugendhafte Ehemann zieht in einen Krieg und ihm wird von einem ‘Neider’ ein Auge
ausgestochen. Der Ritter leidet nicht am physischen Schmerz, aber daran, dass diese Verlet-
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zung seiner Frau Schmerz bereiten wird (V. 89–94). Er schickt seinen Neffen als Boten zu
seiner Frau und lässt ausrichten, dass er bisher schon “niht ein flætic man” (V. 103)29 gewesen, jetzt aber so verstümmelt sei, dass er ihr für immer fernbleiben wolle. Er würde sonst “ir
schœnem lîbe, ir varwe klâr” nur eine “marter” (V.121f.) sein. Die Frau erschrickt und sagt
dem Boten, sie wolle ihm ein “kleinât” (V. 185) für ihren Mann mitgeben. Sie geht in ihre
Kammer und sticht sich ein Auge aus. Sie bringt dem Boten blutüberströmt das Auge und
sagt, wenn ihr Mann glaube, sie sei weiterhin zu schön (“ze wolgetân”, V. 200) für ihn, dann
werde sie sich noch das zweite ausstechen. Der Ehemann ist entsetzt, doch ein Bekannter sagt
ihm, er solle sich freuen, dies sei ein Treuebeweis (V. 229f.). Er stimmt dem zu und kehrt zu
seiner Frau zurück. Der Erzähler schließt damit, dass viele, die die Frau bis dahin wegen ihrer
Schönheit gerne angesehen hatten, sie nun wegen ihrer Treue noch lieber ansehen würden.30
Bei allen Differenzen zur Wolfsgrube fällt doch auf, dass beide Texte grundsätzlich durch
die Konkretisierung von übertragenen Redeweisen geprägt sind. Wie zu zeigen sein wird,
kann das ausgestochene Auge in der Treuen Gattin als Konkretisierung dreier literarischer
Liebeskonzeptionen gelesen werden, die dadurch thematisiert und reflektiert werden:
Das dem Boten mitgegebene Auge, das von der Frau als “kleinât” (V. 185) bezeichnet
wird, ruft erstens die Tradition der Liebesgabe auf.31 Denn in vielen höfischen Liebeserzählungen werden Liebesgaben dahingehend inszeniert, dass der Liebende in dem von ihm
verschenkten Objekt (metonymisch) präsent ist. Indem z.B. das Objekt dem Schenkenden
gehört (hat) und sich aufgrund seiner Singularität von anderen Objekten unterscheidet,
verweist es nicht nur auf den Schenkenden, sondern dieser scheint geradezu einen Teil von
sich wegzugeben und dadurch trotz körperlicher Entfernung der Geliebten nah zu bleiben.32
In der Treuen Gattin wird diese metonymische Relation nun als eine körperliche realisiert.
Wenn die Ehefrau sich das Auge aussticht, gibt sie dem Boten ganz wörtlich einen Teil von
sich mit auf den Weg. Doch im Unterschied zu den meisten metonymischen Liebesgaben ist
an ihrem Körper sichtbar, dass ihr etwas fehlt. Die Konkretisierung der metonymischen
Relation macht sichtbar, dass die metonymische Operation zwar dank der Suggestion einer
materiellen Relation Emphase erzeugt, dass sie sich aber dennoch von einer körperlichen
Gabe unterscheidet.33
Mit der Selbstverstümmelung der Frau wird zum zweiten aber auch auf das Liebesideal
der Verausgabung angespielt. Wenn die Ehefrau sich wünscht, dass das Unglück sie getroffen
hätte (V. 175–178), und sie zugleich sagt, “wan âne in sô bin ich tôt” (V. 182),34 dann wird in
z.T. topischen Formeln auf eine Liebeskonzeption der absoluten Liebe angespielt: Die
Liebenden erfahren sich als eine Einheit und dementsprechend kann der eine Liebende auch
ohne den anderen nicht leben.35 Jeglicher Wert, jeglicher Sinn entsteht erst durch den Bezug
zum anderen Liebenden (Horizontübernahme) und deshalb ist der eine Liebende immer
bereit, sich für die Liebe bzw. den anderen Liebenden hinzugeben. Mehrere höfisch-galante
Mären konkretisieren dieses Liebesideal, das v.a. durch den Tristan Gottfrieds geprägt
worden ist, mittels der Schilderung des Liebestodes.36 Der wirkliche oder geglaubte Tod des
einen Liebenden führt zum Tod des anderen. Die postulierte Einheit der Liebenden zeigt sich
daran, dass die Trennung nicht überlebt, aber durch den Tod überwunden wird. In der Treuen
Gattin wird jedoch bei der Verstümmelung der Frau der Fokus nicht (wie in den meisten
Liebestod-Erzählungen) auf die chiastische Zwei-Einheit der Liebenden, sondern auf die
Verausgabung gelegt.37 Die absichtliche Verletzung der Frau ‘beweist’ (“erzeiget”) – gemäß
dem Text – ihre “triuwe” (V. 229f.). Das heißt, es wird körperlich manifest, dass die Frau
keinen eigenen Wert und kein autonomes Begehren hat, sondern diese immer vom Ehemann und dessen Befinden abhängig sind.38 Dies wird einerseits als vorbildhaftes Verhalten
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dargestellt, andererseits wird erkennbar, dass die ideale Verausgabung keineswegs geschlechtlich neutral ist, sondern primär von der Frau gefordert wird. Dementsprechend wird
die drohende Trennung nicht wie in vielen Liebestodgeschichten durch die Gesellschaft oder
unbeeinflussbare Umstände erzwungen, sondern kommt durch eine vom Text als Fehleinschätzung gezeichnete Überzeugung des Mannes zustande. Er misst der äußerlichen Erscheinung bzw. dem Liebesideal der äußeren Gleichheit zu viel Gewicht zu, was zu einer –
gemäß dem Normhorizont des Textes – unnötigen Verausgabung führt.39
Damit ist bereits der dritte Liebestopos angesprochen, der mittels des ausgestochenen
Auges konkretisiert wird, nämlich die Gleichheit der Liebenden. In vielen höfischen Liebeserzählungen spiegelt sich die Schönheit des einen Liebenden in der des anderen. Manchmal
sind die Liebenden am gleichen Tag geboren oder tragen ähnliche Namen. Oft ist die Gleichheit aber auch eine ungegenständliche: Die beiden Liebenden empfinden ähnlich, handeln
auch getrennt voneinander gleich oder werden mittels paralleler Formulierungen beschrieben.40 Diese Symmetrie-Erscheinungen wollen narrativ evident machen, dass die
Liebenden füreinander bestimmt sind. Dementsprechend ist es unabdingbar, dass die handlungsweltlichen Gleichheits-Merkmale nicht von den Liebenden selbst erzeugt werden,
sondern ihre Verursachung durch eine providente Macht bewirkt wird oder dieser zugeschrieben werden kann.
In der Treuen Gattin ist das Liebes- bzw. Eheideal der Gleichheit von Beginn an Thema:
Die beiden Ehepartner gleichen sich darin, dass beide vollkommen tugendhaft sind und die
gleiche aufopfernde Haltung dem anderen gegenüber einnehmen. Beide denken nach dem
Unglück des ausgestochenen Auges in erster Linie an den Schmerz des anderen. Den Ritter
bekümmert, dass seine Frau betrübt sein wird (V. 90–94), die Frau betont, dass sein Schmerz
auch der ihre ist (V. 158f.).41 Ebenso gründet die zentrale Problemkonstellation der Erzählung
auf diesem Liebesideal, das in Bezug auf das Aussehen der beiden Ehepartner nicht erfüllt ist.
Der tugendhafte Ehemann ist im Unterschied zur tugendhaften Frau hässlich. Die Erzählung
nutzt diese punktuelle Nichtübereinstimmung, um innere gegen äußere Werte auszuspielen:
Was zählt, so der moralisierende Tenor der Erzählung, sind einzig die inneren Werte. Dementsprechend empfindet die vorbildhafte Frau ihren Mann nicht als hässlich, sondern “er
dûhte sî schœne als Absolôn / und sterker danne Sampsôn” (V. 49f.).42 Äußere Werte, so der
Erzähler bereits zu Beginn, gelten nur dann, wenn sie an innere Werte gekoppelt sind.43 Ihr
Mangel kann jederzeit durch innere Werte wettgemacht werden, wie bereits am Beginn in
Bezug auf den Ehemann konstatiert wird.44 Dies wird am Ende erneut bekräftigt, wenn die
einäugige Ehefrau dem Erzähler zufolge lieber angesehen wird als die anfänglich makellose,
weil sie ihre “triuwe […] erzeiget het” (V. 268f.).45
Doch diese eindeutigen Aussagen des Erzählers werden dadurch konterkariert, dass es
gerade die äußerliche Verstümmelung, aber auch die äußere Angleichung ist, die sowohl den
Ehemann als auch die Rezipienten von der Treue und damit den inneren Werten der Frau
überzeugt. Intradiegetisch wird so die innerliche Liebe erst dank ihrer Veräußerlichung zur
gesicherten Evidenz. Analog plädiert die Erzählung zwar mit all ihrer argumentativen Kraft
für das Primat der inneren Werte, auf die sich die liebenden Eheleute unabhängig vom
äußeren Schein konzentrieren sollen. Doch die narrative Evidenz dieser Position wird durch
die körperliche Konkretisierung der Liebesideale der Symmetrie und der Verausgabung
erzeugt und gründet damit auf der körperlichen Darstellung von als innerlich postulierten
Werten.
Man kann dies als grundsätzliche Paradoxie der Darstellung eines nicht-körperlichen
Wertes lesen, da dieser nur mittels Medien thematisiert werden kann, die wiederum aufgrund
Susanne Reichlin
288
ihrer materiellen Eigengesetzlichkeit die Konzeption eines von jeglicher Körperlichkeit
unabhängigen Wertes untergraben. Zugleich lassen sich daraus aber auch spezifischere
Schlüsse für das Märe ziehen. Die treue Gattin ist Teil einer Gruppe von höfisch-galanten
Mären, die die Innerlichkeit der Liebe propagieren, dies aber narrativ mittels der körperlichen
Konkretisierung von Liebestopoi bewerkstelligen (insbesondere Liebestod und somatische
Symptome). Die Steigerung der Innerlichkeit wird somit erstens durch eine Veräußerlichung
der Liebesdarstellung erreicht. Zweitens wird aber auch erst durch das In-Szene-Setzen von
Verinnerlichungs- und Veräußerlichungsprozessen eine Vorstellung von ‘Innen’ und ‘Außen’
als zwei voneinander unabhängigen Bereichen etabliert. Dass eine solche Vorstellung nicht
per se gegeben ist, macht der Vergleich mit dem denselben Stoff erzählenden Märe Das Auge
deutlich.46 Wenn sich die Frau hier ein Auge aussticht, geht es um die Wiederherstellung einer
Liebeseinheit, die durch den “zwivel” des Mannes gestört worden ist.47 Es fehlt im Vergleich
mit der Treuen Gattin die Entgegensetzung von äußeren und inneren Werten, so z.B. der
Erzählerkommentar bei der Schönheitsbeschreibung der Frau (Treue Gattin, V. 28–30) sowie
am Ende die Bemerkung zur gesteigerten Schönheit der verstümmelten Frau (V. 265–272).
Dieser Vergleich zeigt, dass dem Konkreten sowie den Prozessen der Konkretisierung je nach
dem dahinter liegenden epistemischen System eine andere Rolle und Bedeutung zukommt.48
Während im Auge durch die Konkretisierung der Liebesideale eine bedrohte körperlichseelische Einheit wiederhergestellt wird, wird in der Treuen Gattin eine Liebeskonzeption der
Innerlichkeit mittels einer spurhaften Veräußerlichung der Liebe dargestellt.49
Im Unterschied zu den konkretisierten Elementen der Wolfsgrube handelt es sich bei
denen der Treuen Gattin nicht bloß um abgeschliffene Metaphern oder literarische Topoi,
sondern um Liebeskonzeptionen, die Inhalt und Form eines Textes prägen. Denn Liebesideale
wie die Verausgabung oder die Gleichheit der Liebenden werden nicht nur wahlweise zur
Darstellung eines Stoffes herangezogen, sondern strukturieren diesen formal und generieren
ihn inhaltlich. Dadurch wird in der Treuen Gattin erkennbar – was aber prinzipiell auch für
die Beispiele der Wolfsgrube gilt –, dass es sich sowohl bei der Übertragung als auch bei ihrer
Konkretisierung um textuelle Bewegungen handelt, denen man mittels einer statischen
Analyse der Semantik nicht gerecht wird, weil sie immer auch narratologische Implikationen
haben. Zugleich könnte dies aber auch erklären, weshalb der Vorgang der Konkretisierung
sich so gut dazu eignet, überlieferte Topoi und Erzählweisen zu thematisieren und zu reflektieren.
3.
Resümee
Trotz der unterschiedlichen Erzählmuster und normativen Tendenzen gleichen sich die
Wolfsgrube und Die Treue Gattin darin, dass sie übertragene Redeweisen konkretisieren.
Traditionelle Metaphern und Topoi der höfischen Literatur werden ‘beim Wort genommen’
und körperlich in Szene gesetzt. Dabei geht es den Texten aber nicht um eine Aufdeckung
einer wie auch immer gearteten primären Bedeutung, sondern vielmehr um die Bewegung des
Verschiebens von Bedeutungsfeldern bzw. die Projektion eines Bedeutungsfeldes auf ein anderes. Denn damit werden u.a. Inkongruenzen und Erwartungsbrüche erzeugt, die wiederum
komische Effekte haben können; es werden Topoi oder Semantiken umbesetzt und so überlieferte literarische Muster reflektiert. Zugleich werden dadurch neue Handlungselemente
gewonnen. Denn mit der Rekonkretisierung ist ein Ebenenwechsel verbunden (von der
semantischen auf die Handlungsebene), der Auswirkungen auf die Handlungswelt hat.
Rhetorik der Konkretisierung
289
Die beiden untersuchten Mären setzen solche Konkretisierungs- und Übertragungseffekte
jedoch zu unterschiedlichen Zwecken ein und gehen dabei auch in verschiedener Weise mit
den überlieferten literarischen Mustern um. Die dem 15. Jahrhundert entstammende Wolfsgrube lässt sich in dieser Hinsicht relativ leicht historisch verorten: Der Text steht in seinem
Umgang mit den literarischen Topoi deutlich für eine späte – typische Nürnbergerische –
Entwicklung des Märenerzählens. Die literarischen Topoi, die ausgewählt und umbesetzt
werden, entstammen fast alle der Tradition des Märenerzählens und nicht wie bei der Treuen
Gattin der höfischen Literatur. Die knappe Erzählweise setzt voraus, dass der typische
Erzählverlauf des Ehebruchschwankes bekannt ist, denn traditionell zentrale Handlungselemente werden nur noch auf der metaphorischen Ebene angedeutet und nicht mehr erzählt.
Dabei rufen sich die Konkretisierungs- und die Übertragungsbewegung gegenseitig geradezu
hervor: Denn um etwas als etwas Konkretes zu präsentieren, wird es gewöhnlich aus dem
Erzählgeschehen hervorgehoben und dadurch isoliert. Genau diese Isolierung bereitet aber
– wie anhand der Schmuckstücke deutlich wurde – eine zukünftige Übertragungsbewegung
vor, da die Isolierung etwas aus dem Kontinuum herausstellt und so zu einem möglichen
Signifikanten macht. Durch solche Umschlagseffekte wird ein syntagmatischer Sog erzeugt.
Bei jedem Konkretisierungs- oder Übertragungsprozess bleiben die bereits aktualisierten
Bedeutungsfelder am Signifikant haften und interagieren mit dem neuen Kontext und dessen
semantischen Werten. Dies alles untermauert, dass das Konkrete (zumindest in den hier
untersuchten Erzählungen) nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern als Teil von sich
bedingenden Konkretisierungs- und Übertragungsprozessen zu verstehen ist.
Die historische Einbettung der Treuen Gattin Herrands von Wildonie bereitet mehr
Probleme als die der Wolfsgrube. Bereits die Ausgangsbedingungen sind schwieriger, da der
im 13. Jahrhundert entstandene Text nur in einer Fassung des 16. Jahrhunderts überliefert ist,
so dass unklar bleibt, ob und welche Veränderungen gegenüber dem Text des 13. Jahrhunderts vorgenommen wurden. Dennoch fällt auf, dass im Unterschied zur Wolfsgrube fast
immer auf höfische Erzählelemente zurückgegriffen wird. Mittels der Konkretisierung werden
ganze Handlungsmuster zu einzelnen Bildern verdichtet und dadurch können auch ausgedehnte Handlungsmuster des epischen Erzählens in die Kurzerzählung integriert werden. In der
Treuen Gattin wird diese Technik ihrerseits nochmals verdichtet, indem das ausgestochene
Auge als Konkretisierung von mehreren unterschiedlichen höfischen Erzählmustern lesbar
wird. Dennoch gehen diese verschiedenen Traditionsstränge auch im höfisch-galanten Märe
nicht kohärent ineinander auf, sondern werden mittels dissonanter Zwischentöne je einzeln
reflektiert. Stärker noch als bei der Wolfsgrube wird dabei deutlich, dass die konkrete Bedeutungsebene eine sekundäre ist, die sich ohne die vorangehende Erzähltradition nicht verstehen
lässt. Die Konkretisierung ist jedoch auch in der Treuen Gattin nicht der Zielpunkt, sondern
führt zu neuen Übertragungen. Dabei werden die Bewegungen des Konkretisierens- und
Übertragens mit einem spezifischen Körpermodell korreliert: Die Übertragung erscheint als
Verinnerlichung, die jedoch erst durch die Konkretisierung – im Sinne einer Veräußerlichung
des Inneren – wahrnehmbar und darstellbar wird. Diese Korrelation hat – so kann man
vermuten – langfristig zur Folge, dass die Evidenz des Körperlichen neu zur Disposition
steht.50 Dagegen wird in der Wolfsgrube den Prozessen der Konkretisierung eine eigene
Evidenz und Memoria-Funktion zugeschrieben. Sie werden sowohl in der Handlungswelt als
auch auf der Rezipientenebene dazu benutzt, Ehenormen in zukünftige Handlungen einzuschreiben.
290
Susanne Reichlin
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Anmerkungen
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Diese von Fischer (1983: 35–63) als “Gattung” bezeichnete Textgruppe definiert er anhand der Abgrenzung von
anderen Gattungen: Neben den geistlichen Erzählungen sind dies u. a. die Fabeln, die Minnereden und die
Exempla.
Fischers Gattungskonzeption wurde von verschiedenen Seiten heftig kritisiert und hat die Forschungsdiskussion
lange dominiert; vgl. dazu die Zusammenfassungen bei Ziegeler (1988: 9–13); Grubmüller (2006: 11–31);
Reichlin (2009: 13–16). Hier soll nicht die Gattungsfrage im Vordergrund stehen, sondern untersucht werden,
wie die von Fischer als Märe bezeichneten Texte mit überlieferten Erzählelementen umgehen.
Vgl. zur Serialität und Kombinatorik u. a. Fischer 1966: XII; Ortmann/Ragotzky (1988: 108f.); zum kasuistischen Erzählen Friedrich (2005: 231f.); zum Kasuistischen in den Sammelhandschriften Westphal (1993:
20–59, 67–80 u. ö.).
Vgl. den überzeugenden, aber stark inhaltlich ausgerichteten Versuch einer Gattungsgeschichte von Grubmüller
(2006: 77–248).
Vgl. Mersch (2001: 283–381). Vgl. auch die frühen Texte Barthes’, der in literarischen Texten den “effet de
réel” als eine “referentielle Illusion” beschreibt. Die funktionslosen Elemente einer Beschreibung würden einen
solchen Effekt auslösen, weil sie konnotativ Wirklichkeit einspielten (Barthes 2006: 171).
Von der Photographie ausgehend wird sogenanntes Konkretes vielfach als indexikalische Spur konzipiert; vgl.
Barthes (1989: 73–131).
Rosenplüt lebte in Nürnberg von ca. 1400–1460. Er hat ein relativ umfangreiches und charakteristisches Werk
an Sprüchen, Fastnachtsspielen, geistlichen und weltlichen Erzählungen sowie Liedern hinterlassen; vgl. dazu:
Glier 1992; Glier 1988; Reichel (1985: 59–153). Zitiert wird nach Fischer (1966: 202–209), der der Leithandschrift Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Cod. 5339a (datiert auf 1471–1473) folgt; vgl. zu dieser
Handschrift und zur Überlieferung Fischer (1966: 202); Reichel (1985: 29, 50, 54, 56f.); Westphal (1993:
97–100, 213–217). Die Übersetzungen lehnen sich an die Übersetzung von Spiewok (1982: 76–80) an.
V. 122f.: “nu hab wir es gar. / nu vach wir nimer auf dise nacht.” (“So nun haben wir sie alle. Mehr werden wir
diese Nacht nicht mehr fangen”).
In Bezug auf die Gewaltdarstellungen stehen sich zwei Forschungspositionen gegenüber. Ein Teil der Forschung
liest die Gewaltdarstellung als didaktisch funktionalisiert. Sie diene ex negativo der Darstellung der ‘rechten’
Eheordnung oder der Warnung vor der Schlechtigkeit der Frau; vgl. mit Bezug zur Wolfsgrube Tuchel (1998:
272–276); Beine (1999: 302–324). Die andere Seite weist zu recht darauf hin, dass die Exzessivität der Gewalt
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in solchen didaktischen Botschaften nicht aufgeht, auch wenn diese z.B. im Epimythion explizit formuliert
werden. Grubmüller (2006: 245) deutet die Gewalt deshalb als “Lust an der Gemeinheit” (in Anlehnung an Von
Bloh 2001: 87) sowie als “Grenzüberschreitungen”, die er als “Ausdruck einer Epochenerfahrung” deutet; vgl.
auch die Deutungen der Wolfsgrube bei Blamires (1976: 103, 106, 111); Bachorski (1998: 266–269). Die
Rhetorizität der Sexualitäts- und Gewaltdarstellungen hebt Hoven hervor (1978: 257–259, 339); vgl. auch
Kiening 2008, der betont, dass die Gewaltdarstellungen in den Mären zwischen Selbst- und Fremdreferenz
changieren.
“Die Frau scheute nicht davor zurück, einen Pfaffen zu sich zu bestellen. Dem wollte sie ihren Schild leihen, in
den man mit solchen Speeren stößt, von denen man nur selten spricht.”
Vgl. zum Motiv des Liebeskriegs Kohler 1935; Wenzel (1995: 426–431). Vgl. auch das Märe Die zwei
Kaufleute von Ruprecht von Würzburg (Gutknecht 1966: 51–109, V. 750–778). Vgl. den nach Motiven
geordneten Überblick über konkretisierte bzw. “realisierte” Metaphern in der mittelalterlichen Literatur bei
Ruberg 1976.
Vgl. die verschiedenen Überschriften der einzelnen Handschriften in Fischer (1966: 202).
Explizit und reflektiert geschieht der Vergleich in Der kluge Knecht des Strickers (Grubmüller 1996: 10–29,
V. 215–225); vgl. weitere Beispiele bei Beine (1999: 301–324); zum Vergleich von Frau und Gans vgl. die
Erzählung Das Gänslein (in Grubmüller 1996: 648–664); vgl. zur Deutung des Wolfes Bachorski (1998: 268f.),
der den konkreten Wolf als Verkörperung des “naturhaften Triebs” liest.
V. 96–98: “laß uns got danken und loben, / das er uns wilprets heint beret, / und des man doch keins seudt noch
pret.” (“Lass uns Gott preisen und Dank sagen, dass er uns heute Nacht so reich Wildbret zuführt, das man aber
weder kocht noch brät”).
Es gibt einige Mären, in denen der Ehemann vorgibt, auf die Jagd zu gehen, und dann den Ehebruch entdeckt
oder den Ehebrecher tötet: Der Pfaffe in der Reuse von Heinrich von Pforzen (Niewöhner 1967: 208–222); Das
Herzmaere von Konrad von Würzburg (Grubmüller 1996: 262–295).
Z. B. im Sperber (Grubmüller 1996: 568–589) wird mit dem getauschten Jagdvogel angedeutet, dass der Ritter
gegenüber dem Mädchen sexuelle Jagdgelüste hat. Dies wird im Häslein (Grubmüller 1996: 590–617) dahingehend variiert, dass der Ritter mittels eines Sperbers einen Hasen jagt, der dann anstelle des Vogels zum
Tauschobjekt wird (V. 21–36). Im Zurückgegebenen Minnelohn von Heinrich Kaufringer (Sappler 1972: 53–72)
wird ebenfalls mit der Zweideutigkeit der Jagdmetaphorik gespielt, wenn der Ehemann, der vom Ehebruch weiß,
die Frau und den Ehebrecher alleine lässt und auf die Jagd geht (V. 589–594).
Vgl. die spätere Bearbeitung des Stoffes durch Hans Sachs Der Pfaff in der Wolfsgrueben (Goetze 1893:
298–300), der – obwohl er für den Stoff insgesamt weniger Verse (62 gegenüber 192 bei Rosenplüt) braucht –
diese Handlungselemente wieder ganz traditionell der Reihe nach erzählt, vgl. V. 1–7. Vgl. bzgl. des Tauschs
von minne gegen Geschenke in Mären generell Reichlin (2009: 115–235).
Die Verwandten der Frau bitten nicht nur um Gnade für die Frau, sondern auch für den Ehebrecher (V. 157). Der
Ehemann stimmt dieser Forderung – indem er sie affirmativ wiederholt – zu und legitimiert seine kommenden
Handlungen dadurch, dass er einen weiteren Ehebruch des Pfaffen verhindern wolle; V. 159–162: “wer pöslich
dint, dem sol man lan, / als ie die weisen haben getan, / idoch sol man im geben zu, / das er sein fürbaß nimer tu”
(“Wer Böses tut, dem soll man verzeihen, so wie es die Weisen seit jeher getan haben. Aber man soll zugleich
verhindern, dass er solches erneut tun kann”). Hier wird somit auch mit der Diskrepanz von Wort und Tat
gespielt.
Diese ‘Veredelung’ der Hoden kommt bei Rosenplüt neu zum Stoff hinzu; vgl. z.B. das Fabliau Le prestre et
le leu (Von den Boogard/Noomen 1994: 159–162), das mit der Kastration endet; zur Stoffgeschichte vgl.
Frosch-Freiburg (1971: 142–144, hier 144). Das Motiv der Veredelung der kastrierten Geschlechtsteile findet
sich jedoch prominent in Kaufringers Die Rache des Ehemannes (Grubmüller 1996: 738–768); vgl. dazu, insbesondere zur selbstreflexiven Dimension der veredelten Objekte Friedrich (1996: 10–16).
‘kleinôt/kleinât’ bedeutet eine Goldschmiedearbeit oder Schmuck bzw. etwas von hohem Wert. Vgl. dazu sowie
zur literarischen Tradition der Liebesgaben Anm. 32.
Die Bestechung der Magd durch die Ehefrau findet sich u. a. im Märe Die zwei Kaufleute von Ruprecht von
Würzburg (Gutknecht 1966: 51–109, V. 693–700); ebenso bei Herrand von Wildonie, Der betrogene Gatte
(Fischer 1969: 10–21, V. 181–193), wo eine Verwandte der Ehefrau bestochen wird.
In Kaufringers Die Rache des Ehemannes (in Grubmüller 1996: 738–768) wird auch die ehebrecherische Frau
durch eine solche Spiegelstrafe bestraft: Der Ehemann zwingt den Liebhaber, dass er ihr die Zunge ausbeißt (V.
379–393).
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Susanne Reichlin
23 Es gehört zum Konsens moderner Metapherntheorien die Unterscheidung zwischen einer “eigentlichen bzw.
wörtlichen und einer uneigentlichen bzw. figurativen” Bedeutung abzulehnen; vgl. dazu Wellbery (1997: 195,
197). Es stellt sich jedoch die Frage, ob nur die Hierarchisierung, die mit dieser Unterscheidung impliziert ist
(wenn entweder der ‘eigentlichen’ oder der ‘uneigentlichen’ Bedeutung das Primat oder gar eine Ursprungsfunktion zugeschrieben wird) zu kritisieren ist oder auch die Unterscheidung selbst. Wellbery betont bspw. “die
formale Notwendigkeit […], daß eine Unterscheidung getroffen werden muß, damit überhaupt Aussagen über
die Metapher gemacht werden können”. Dies führt zur Beschreibung der Metapher (in Anlehnung an Derrida)
als “Einheit der Differenz” bzw. als “Thematisierung der Grenze als Paradoxie” (201f.). In diesem Sinne soll hier
die Unterscheidung zwischen einer konkreten und einer übertragenen Bedeutung nicht vorausgesetzt werden,
sondern es ist zu untersuchen, ob und wie die Texte solche Unterscheidungen vornehmen und sie allenfalls auch
paradoxieren. Für die konkrete Analyse ist es zudem hilfreich, mit Black (1968: 25–47) davon auszugehen, dass
mittels der Metapher die für ein spezifisches Bedeutungsfeld charakteristischen Verhältnisse (“system of
things”) auf ein anderes Bedeutungsfeld projiziert werden (ebd.: 44f.); vgl. auch die prägnante Ausformulierung
und Weiterentwicklung dieses Gedankens bei Wellbery (1999: 145f. u. ö.). Von mediävistischer Seite vgl. die
Arbeiten von Köbele (2000: 214), die die Metapher “jenseits analogisierender Veranschaulichung ansiedelt und
den metaphorischen Prozess […] als Zusammenspiel gegenläufiger Tendenzen begreift.”
24 Der Erzähler beschreibt zuerst die Taten des Ehemannes (Kastration; Verarbeitung der Hoden zu Schmuckstücken per Auftrag) und fügt dann an, zu welchem Zweck sie getan worden sind (V. 168–170; 174–178). Er
schreibt somit den Taten einen vom Ehemann intendierten Zweck zu, womit den Objekten weitere Bedeutungen
zugeschrieben werden, bzw. die Bedeutungsstiftung gelenkt wird.
25 So verweist diese Kastration intertextuell auf eine Reihe weiterer Kastrationsgeschichten (vgl. dazu Tuchel
1998: 223–288) und steht gleichfalls im Kontext des Experimentierens mit ‘Spiegelstrafen’ als ein die Erzählung
strukturierendes Motiv; so z.B. in den Mären Der Zehnte von der Minne von Heinrich Kaufringer (Sappler 1972:
131–139) oder im Schneekind (Grubmüller 1996: 82–93).
26 Vgl. zur Unterscheidung zwischen der Perspektive der nachgeborenen und der zeitgenössischen Rezipienten
Müller (2000: 480f.).
27 Die Erzählung ist unikal erst im Ambraser Heldenbuch (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Series
nova 2663) überliefert, das 1504–1506 auf Veranlassung von Kaiser Maximilian I. geschrieben worden ist.
Herrand II. von Wildonie lebte ca. 1230–1278/82; vgl. dazu Grubmüller (1996: 1064f.) und Curschmann 1981.
Von dem steirischen Adeligen sind im Ambraser Heldenbuch vier Erzählungen überliefert; die bisherige
Forschung hat diese Texte oft sehr eng aufeinander bezogen; vgl. Curschmann (1966: 69–79) und Deighton
1988; hier wird der Text dagegen stärker im Kontext der höfisch-galanten Mären betrachtet, er wird jedoch auch
mit der einzig überlieferten Schwankerzählung Herrands, Der betrogene Gatte (Anm. 21), verglichen. Zitiert
werden Text und Übersetzung nach Grubmüller (1996: 96–111), der die Edition von Fischer (1969) übernimmt.
28 Topisch ist vor allem auch die Eingangsformel “Ein rittter het ein schœne wîp, / diu was im liep als sîn lîp.” (V.
23f.: “Ein Ritter hatte eine schöne Frau, die liebte er wie sein Leben”), die bereits in Strickers Der begrabene
Ehemann (Grubmüller 1996: 30–43, V. 2) benutzt wird, um das Eheverhältnis zu problematisieren. Bei Stricker
wird damit die vollständige und blinde Hingabe des Mannes an die Frau kritisiert. Auch in der Treuen Gattin
wird mit der Formel gespielt. In V. 38 wird nämlich deren Wortlaut wieder aufgenommen, aber betont, dass die
Frau ihrem Mann nur “liep” ist, weil sie keinerlei “unzuht” (V. 37) bezichtigt wird.
29 Er sei “kein schöner Mann” gewesen.
30 V. 265–269: “Swer vor die frouwen gerne sach / durch die schœne, der man ir jach, / der sach sî nu vil lieber an /
durch die triuwe, die sî ir man / erzeiget het;” (“Alle, die die Dame vorher wegen ihrer vielgepriesenen Schönheit
gerne gesehen hatten, die sahen sie jetzt noch viel lieber wegen der Treue, die sie ihrem Mann erwiesen hatte”).
31 Diese Pointe fehlt in der stoffgleichen Erzählung Das Auge (Niewöhner 1967: 244–250), die wohl in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Die beiden Erzählungen weisen auf der Ebene der Formulierungen
nur geringe Ähnlichkeiten auf; welcher der beiden Texte der frühere ist, kann nicht eindeutig festgestellt werden;
vgl. dazu Williams-Krapp 1978; Grubmüller (1996: 1067); Curschmann (1966: 58, 71–75).
32 Vgl. zu den Liebesgaben in den mittelalterlichen Eneas-Romanen Oswald (2004: 145–174); Vgl. auch die Szene
mit dem Hündchen “petitcrü” im Tristan Gottfrieds von Straßburg (V. 15765–16402).
33 Zur Metonymie vgl. Wellbery (1999: 153f.).
34 “Denn ohne ihn bin ich tot”.
35 Wenn nach dem Unglück gesagt wird: “wan ir leit daz was daz sîn, / sîn leit was ouch ir leides pîn” (V. 93f.:
“Denn ihr Leid war das seine, sein Leid war auch ihr Schmerz”), dann wird die chiastische Einheit der Liebenden und ihre Verausgabungsbereitschaft mittels einer topischen Formulierung betont.
Rhetorik der Konkretisierung
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36 Vgl. die Mären Der Schüler von Paris (Grubmüller 1996: 296–335); Das Herzmaere (Anm. 15); Die Frauentreue (Grubmüller 1996: 470–491); Pyramus und Thisbe (Grubmüller 1996: 336–363); Hero und Leander (Von
der Hagen 1850: 317–330). Vgl. zur “Ästhetik des Liebestods” im Herzmaere Kiening 2007.
37 Auch bei der Frauentreue (Anm. 36) steht das Opfer (der bürgerlichen Ehefrau) im Vordergrund, die für einen
adeligen Ritter stirbt. Zum Vergleich der Treuen Gattin mit der Frauentreue vgl. Ortmann/Ragotzky (1988:
99–107).
38 Vgl. V. 262–264: “und solte ich tûsent ougen tragen / und gevielen dir diu niht, / sô solten sî mir sîn enwiht.”
(“Und wenn ich tausend Augen hätte und die gefielen Dir nicht, dann wären sie mir nichts wert”). Vgl. auch
V. 259f.: “sô solt du des getrouwen mir, / daz niuwan gên dir stê mîn gir;” (“[so] sollst Du mir darin vertrauen,
dass mein Wunsch sich auf nichts anderes richtet als auf Dich;”).
39 Vgl. dazu Ortmann/Ragotzky (1988: 91).
40 Pyramus und Thisbe sind im gleichnamigen Märe (Anm. 36) am gleichen Tag geboren und werden am gleichen
Tag sterben und sie sind so schön, dass “in niemant wær gelich” (V. 32–36, hier 34). Auch in Konrad Flecks
Flore und Blanscheflur (Sommer 1846) sind die Liebenden am gleichen Tag geboren und sterben am gleichen
Tag (V. 589–591, 7892–7894). Sie sehen sich so ähnlich, dass der eine Liebende bei Dritten die Erinnerung an
den anderen auslöst (u. a. V. 3041–3118); vgl. dazu auch Egidi (2008: 149–155). Vgl. aber auch die zweite
Erzählung Herrands von Wildonie Der betrogene Gatte (Anm. 21), in der das unterschiedliche Alter der beiden
Ehepartner (wie auch in anderen Mären) als ein Grund unter anderen für das Scheitern der Ehe dargestellt wird
(V. 28); vgl. dazu Deighton (1988: 116).
41 Ähnliches wird auch vom Mann gesagt, vgl. V. 93f.
42 “[E]r schient ihr schön wie Absalom und stärker als Samson”.
43 Der Erzähler fügt bei der topischen descriptio hinzu, dass es nur legitim sei, die Schönheit zu loben, weil sie mit
Tugendhaftigkeit gepaart ist (V. 28–30). In einer für die Schönheitskataloge der Mären höchst unüblicher Art
und Weise wird somit gleich am Anfang vor der Huldigung eines Außens gewarnt, dem kein Innen entspricht.
44 “dâ von [aufgrund seiner Ehrbarkeit, S. R.] wart sîn unflætikeit / in allen landen hingeleit.” (V. 65f.: “Deswegen
spielte seine Hässlichkeit überhaupt keine Rolle”).
45 Vgl. auch V. 270–272.
46 Auch der Heldenepik und der höfischen Literatur wird zugeschrieben, sie würden von einer Einheit oder
Korrespondenz von Innen und Außen ausgehen, die zum Problem werde, sobald sie nicht mehr gegeben sei.
Zugleich wird betont, dass es v. a. in der höfischen Literatur auch Figuren gibt, bei denen eine solche Korrespondenz nicht gegeben ist. Vgl. dazu Hahn 1977; Wenzel 1994; Müller (1998: 201–248).
47 Das Wort “zwivel” wird im Auge (Anm. 31) zu einer Art Leitwort, da es sehr oft wiederholt wird. Bereits am
Beginn fürchtet der Mann, seine Hässlichkeit betrübe die Frau und hätte bei ihr “zwivels wanc” zur Folge
(V. 63). Dann beschreibt der Bote das Verhalten des Mannes als “zwivel” (V. 162, 209). Wenn sich die Frau das
Auge aussticht, will sie diesen “zwivel” aus dem Weg räumen (V. 234, 248, 256).
48 In einer älteren Fassung des Stoffes werden die “oculi carnales” gegen die “oculi spirituales” ausgespielt: Hier
wird eine Nonne durch das Begehren eines Liebhabers bedroht und sticht sich deshalb die Augen aus. Vgl. die
Fassung von Jacques de Vitry (Crane 1890: 22); zu den anderen Fassungen ebd., S. 158; sowie zur Stoffgeschichte Grubmüller (1996: 1065–1067). Die Entscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Leben
findet sich im Auge (Anm. 31) wieder, aber in verkehrter Form. Der Ehemann will nach dem Unglück zum
Heiligen Grab pilgern und da um die “sælikeit” beider Ehepartner bitten (V. 215–217). Indem die Frau sich
das Auge aussticht, hält sie ihn davon ab.
49 Es gibt zudem bei Andreas Capellanus (Knapp 2006) einen Minnekasus, in dem gefragt wird, ob die Frau ihrem
Mann, der ein Auge oder ein anderes Körperteil verloren hat, die Umarmung verweigern darf (Buch II, Kap.
vii,35–36, XV). Im Unterschied zu den mittelhochdeutschen Erzählungen wird hier jedoch nicht mit der Treue,
sondern mit der Tapferkeit argumentiert. Frauen würden die Tapferkeit der Männer lieben und deshalb hätten
sie auch ihre Folgen zu tragen. Zugleich scheint mir, dass es im Minnekasus weniger um den Verlust von
Schönheit als um den der männlichen Potenz geht.
50 Liest man die Treue Gattin als Teil einer größeren Entwicklung, an deren Ende ein modernes Körperkonzept
als Hülle eines primären Inneren steht, dann provoziert dieses Körperkonzept – wie sich u.a. an den Prosaromanen der Frühen Neuzeit zeigen ließe (vgl. Braun 2001; Bennewitz 1991; Schulz 2001) – die Frage, wie
körperliche Reaktionen zu deuten sind.

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