Meine Jahre als Vorstand in der Industrie gaben viel Gelegenheit
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Meine Jahre als Vorstand in der Industrie gaben viel Gelegenheit
Meine Jahre als Vorstand in der Industrie gaben viel Gelegenheit zur Beobachtung großer Schwächen unserer Marktwirtschaft. Die Vorstandsarbeit für Siemens und Carl Zeiss waren supertolle Aufgaben, aber als ich danach dann in zehn Aufsichtsräten saß und dabei die Finanzbranche von innen erlebte, stieg ich aus, um meine Erfahrungen für eine Marktwirtschaft einzusetzen, die Werte auch über das Gesetz hinaus respektiert. Wie meine Skepsis zum Heute entstand, habe ich der GAZETTE aufgeschrieben. die Gazette DAS POLITISCHE KULTURMAGAZIN NUMMER 29 / FRÜHJAHR 2011 Der Niedergang des Amerikanischen Imperiums D, AU: 9 Euro, CH: 14 Fr ABBAU EINER MILITÄRMASCHINE Chalmers Johnson Die Christliche Rechte IN GOD WE TRUST Manfred Brocker Monsantos Samen-Monopol DIE WELT IST NICHT GENUG Ananth Sayanan Unsichtbares Komitee DER KOMMENDE AUFSTAND dazu ein Interview mit Stéphane Hessel und Jean Lacouture Themen Neues aus der Wirtschaft Ein Manager steigt aus Es ist nicht recht vorstellbar, dass unsere erfolgreichen Manager nicht wissen, was sie tun. Sie sind zweifellos klug genug, um zu wissen, dass die gegenwärtige Wirtschaftsweise den Planeten nur gierig ausbeutet und den kommenden Generationen ein menschenwürdiges Leben unmöglich macht. Es ist auch nicht recht vorstellbar, dass unsere Manager einfach böse sind. Warum tun sie dann, was sie tun? Hier gibt einer von ihnen, der ganz oben mit dabei war, eine ehrliche Antwort. Von Peter H. Grassmann B Sallicio, Wikimedia eautify America, get a haircut" (Für ein schöneres Amerika: Lass dir die Haare schneiden), so stand es in riesigen Buchstaben auf einer großen, fensterlosen Hauswand nahe der Harvard University, dazu das Bild eines langhaarigen Hippie, Werbung: So lieben wir etwas fettleibig, unrasiert, aber den Times Square. fröhlich selbstbewusst. War das die Aktion eines frustrierten Millionärs, dem die immer länger werdende Haarpracht der opponierenden Jugend zu viel wurde, oder nur eine Werbung der Friseur-Innung, die mit dem neuen Haarstil ihre Felle davonschwimmen sah? Das war 1968. Wenige Monate war ich nun in USA. Noch unsicher und wie mit Kinderaugen sah ich eine Welt vor mir, die hektischer war als die gewohnte, laut und merkwürdig von sich selbst überzeugt. Werbung war hier überall. Jede Nachrichtensendung war mehrfach davon unterbrochen, genau wie jede andere Sendung im noch jungen Fernsehen. Diese Werbung entsprach den modernen Lehren der Sozialpsychologie. Anfangs hatte es mich überrascht, dass es solche Kurse am Massachusetts Institute of Technology (MIT) überhaupt gab, aber bald wurde mir klar, 48 warum. Es ging um die neueren Ergebnisse der Verhaltenspsychologie und ein genaueres Verständnis von Gruppendynamik, die Einordnung des Individuums durch Motivation, das Erschließen seiner Leistungskraft und seiner Kreativität. Menschen seien emotional, und wer erfolgreich sein wolle, müsse Emotionen für sich nutzen können. Diese Vorlesungen verfolgte ich mit Begeisterung. Jede Seite des Lehrbuchs versah ich mit Randbemerkungen. Die Erkenntnisse waren nicht gut oder schlecht, sie waren einfach wichtig für Führungsaufgaben. Sie lehrten das Nachdenken über den anderen, über seine Gefühle, seine soziale Einbindung und seine Motivation, sie stärkten Empathie und Menschenkenntnis. Aber sie zeigten auch, wie stark hier die Emotion im Vordergrund steht, wie sehr sie gerade im Marktgeschehen zu gebrauchen ist, ja die Vernunft fast ausschalten kann. Dass damit Märkte steuerbar werden und die Kundschaft den kritischen Blick verliert, war offensichtlich. Emotionale Gruppendynamik ist eben genauso bestimmend wie die reine „Vernunft”. Im Grunde ging es um das reale Funktionieren der Marktwirtschaft. Dass die geringe Bedeutung der Vernunft gegenüber so gesteuerten Emotionen zwangsläufig die Bedeutung von Werten erhöht, liegt auf der Hand. Werte aber schienen in USA dennoch wenig gefragt zu sein. Das Land lebte von seinem Überfluss, es hatte zwei Weltkriege gewonnen, war wirtPeter H. Grassmann ist heute Vorstandsvorsitzender der UmweltAkademie. DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 Themen schaftlich stark, innovativ, erfolgreich und selbstbewusst. Anders als zu Beginn seiner Geschichte ging es hier nur noch um Wachstum, Konsum und wirtschaftlichen Erfolg, und das schien Werteorientierung genug. So mischte sich in die Bewunderung für Innovationskraft und Wirtschaftsstärke der USA bald eine gehörige Portion Skepsis über dieses Gesellschaftssystem mit seiner Verherrlichung von Geschäft und globalem Herrschaftswillen. Entgegen dem nationalen Anspruch erschien mir dieses System nicht als überzeugendes Vorbild und nicht einfach kritiklos nachahmenswert. Trotzdem war mir klar: Die USA würden bald mein wichtigster Markt werden, wie für viele andere Exporteure der deutschen Industrie auch. Ohne Erfolg in den USA kein Weltgeschäft: Das war und ist stehende Regel. Wer am MIT studiert hat, trägt in der Hochtechnologie-Branche das Markenzeichen des Besonderen und hat damit beste Karriere-Voraussetzungen. Und so erhielt ich schon nach wenigen Jahren die Verantwortung für das Großgeräte-Geschäft der Siemens-Medizintechnik und damit Berührung mit fast allen Ländern und Kulturkreisen. Es ging um teure Anlagen, um Großaufträge. Das öffnete überall Türen. Kommunalpolitiker, Krankenhausplaner, manchmal Minister und besonders die Ärzteschaft waren neugierig auf diese neuen, kostspieligen Apparate und Methoden und suchten den persönlichen Kontakt. Und überall ergaben sich Gelegenheiten, neben dem Beruf auch die Besonderheiten des politischen und des gesellschaftlichen Systems kennenzulernen, in Südamerika genauso wie in der Sowjetunion oder in Japan. Die Flugkilometer addierten sich auf mehrere Millionen, und die Kombination von Geschäftsgesprächen und tieferen Einblicken in die politische Situation in so vielen Ländern war faszinierend für ein gesellschaftlich neugieriges Auge. Vorstand dabei mit den großen Kontakten selbst zu befassen. Nun, ich zog es vor, nicht Spanisch zu lernen, dadurch auszuweichen und mich auch in Lateinamerika auf meine Rolle als Technischer Vorstand zu konzentrieren und diese Praktiken anderen zu überlassen. Aber es waren Probleme, die bedrückend, ja deprimierend wirkten, denn er hatte recht: Es wurde überall dramatisch bestochen. Moderne Medizintechnik ist, wie gesagt, ein Geschäft mit oft millionenschweren Anlagen. Somit waren in Südamerika Geschäfte ohne Korruption schlicht unmöglich. Die staatliche Ordnung war nicht stark genug, sie zu verhindern. Ansätze zu Demokratie und sozialer Ordnung wurden fast überall zynisch durch den Machterhalt der Eliten unterdrückt und dieser durch staatliche Ineffizienz und Scheinbürokratie unterstützt. Es war offensichtlich: Exportierbar waren allein unsere Produkte, aber unser System einer geregelten sozialen Marktwirtschaft und repräsentativen Demokratie reüssierte dort nicht. Nur ein starker Staat kann das für eine gute Marktwirtschaft notwendige Ordnungssystem sichern, ein Staat noch in den Kinderschuhen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Amigos weltweit „Sie müssen Spanisch lernen”, hatte mein erster Chef schon kurz nach Amtsantritt gemahnt. Seine Begründung allerdings erzeugte Skepsis. Denn es ging um die in dem von ihm aufgebauten Südamerika-Geschäft „unvermeidbare” Korruption und die Notwendigkeit, sich als DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 49 Themen Diese Fehlentwicklungen junger und schwacher Staaten wurden indes von den klassischen Industriestaaten wohlwollend gefördert. Die auf Kapitalflucht spezialisierten Länder, wie die Schweiz oder Luxemburg, überboten sich beim Schutz des Bankgeheimnisses. Nummernkonten gehörten zum Routineangebot, und fast alle Industriestaaten erlaubten die steuerliche Absetzbarkeit der sogenannten „Nützlichen Aufwendungen”, und über die Geldflüsse in die genannten Länder wurde großzügig hinweggesehen. Besonders nachdenklich machte dabei der Vergleich mit ganz anderen Ländern. In der Sowjetunion zum Beispiel war Korruption kein Thema, mangels eines freien Bankensystems, mangels frei konvertierbarer Währung und wohl auch wegen gegenseitiger Bespitzelung. Kleine Geschenke auf Auslandsreisen, die gab es schon, aber Korruption im großen Stil nicht. Während der reale Sozialismus also am Unterbinden von Besitz und der darauf aufbauenden „Gier” scheiterte, war diese in Lateinamerika wiederum so ausgeprägt, dass Kapitalexport, schnelles Geschäft und eben Korruption an oberster Stelle standen. Kein Wunder, dass dort linke Untergrund-Organisationen wie die gefürchteten Montoneros das politische System bekämpften. Aber weder die sozialistische Doktrin noch irgendein anderes unserer Gesellschaftssysteme hatte die Kraft einer überzeugenden Ordnung für diese Schwellenländer, weder der amerikanische „Traum” noch unsere Demokratie. Marktwirtschaft und Demokratie hatten fundamentale Systemschwächen, die nicht aus dem System heraus von selbst ausheilten und gegen die der Einzelne machtlos war. Auch die japanische Kultur war kein Allheilmittel: Sie setzte zwar auf das alte konfuzianische Verständnis von Gemeinwohl und Loyalität, aber auch ihre Besonderheiten passten wenig auf junge Schwellenländer und waren ohne jahrhundertelange Tradition nicht übertragbar. Ändern konnte ich das nicht. Das sieht für einen „Industriekapitän” – wie unser Lateinlehrer Manager respektvoll genannt hatte – nicht anders aus als für jeden anderen. Persön50 liche Haltung mischt sich dann mit Mitläufertum, man pflegt ein Mitschwimmen im Strom, der geborgene Gleichmäßigkeit bietet, manchmal mit überraschenden Wirbeln auch zur Nachdenklichkeit mahnt, ohne dass man deshalb gleich einen Anlass sieht, nach neuen Ufern zu suchen. Das Mitschwimmen im Strom ist Existenzgrundlage und legt nicht nahe, Frau und Familie in ein exotisch anderes Leben zu zwingen. Die Skepsis angesichts der Unvollkommenheit unserer Zivilisation war da, aber nirgends war ein zufriedenstellender Endzustand zu erkennen, überall überwog soziale Ausgewogenheit bei unausgewogenen Machtstrukturen; Geld und kurzsichtige Wirtschaftsinteressen bestimmten das Geschehen. Sollte ich deshalb aber den Lebensoptimismus aufgeben, „aussteigen”? Das hatte keinerlei Logik. Andererseits: Fehler akzeptieren zu müssen, gesellschaftlichen Problemen hilflos gegenüberzustehen, passte auch nicht zu meinem Charakter. Meine Skepsis suchte Ausgleich und Ventil. Und so begann ich zu schreiben. Ich begann mein Wunschbild eines anderen Gesellschaftssystems zu entwickeln. Man baut sich so ein zweites Innenleben auf, denkt immer wieder darüber nach, wie die Alternativen aussehen könnten. Viele Seiten füllten sich. Nur für mich, für meinen inneren Frieden entstand ein Gesellschaftsmodell, wie die Marktwirtschaft besser zu steuern und die Demokratie weiter zu entwickeln wäre. Für diese Überlegungen schienen mir die zentralistisch organisierten, sozialistischen Staaten ein Ausgangspunkt. Die Unruhe eines Gorbatschow lag in der Luft, während ich hinsichtlich unserer eigenen Reformfähigkeit äußerst skeptisch war (und noch heute bin). Mein Lieblingsthema war: Wie könnte der reale Sozialismus zu einem besseren System geführt werden, das unsere Schwächen vermeiden und zugleich die Schwächen des Sozialismus überwinden würde. Hunderte von Seiten füllte ich im Laufe der Jahre mit langen Kapiteln über einen anderem Umgang mit Kapital, eine andere Definition des Eigentums, die Trennung von Kapital und verbrauchbaren DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 Dank guter Erfolge galt ich immer als ein Mann für Hochtechnologie-Geschäftsbereiche. Und das führte dann zu einer Überraschung. Der Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens bot mir die Führung von Carl Zeiss an. Dieser renommierte Optikkonzern war durch die Eingliederung eines Teils seiner alten Aktivitäten in Jena in Schwierigkeiten geraten. Eine Sanierung stand an. Die Rede war von der Notwendigkeit, zweieinhalbtausend Mitarbeiter in Ost und West zu entlassen. Hart, aber die Aufgabe reizte mich: komplexe Optiksysteme für die Halbleiter-Industrie und Biotechnologie, das berühmte Brillenglasgeschäft, Messtechnik, Planetarien, ein bunter Strauß technologisch äußerst interessanter Produktgebiete – und Carl Zeiss war eine Stiftung. Es gab hier keinen Aktionär, keinen privaten Eigner, Carl Zeiss gehörte sich selbst, verpflichtet auf ein Statut zu sozialer Fairness, zu Anstand im Geschäftsleben. Das versprach neue Erfahrungen, trotz der Last der Sanierung sagte ich zu. Bald war mir klar: Das war überhaupt keine neue Welt, trotz dieser ungewöhnlichen Eigentumsstruktur konnte Carl Zeiss ebenso erfolgreich funktionieren wie jede andere Firma auch, nur etwas weniger „getrieben”, etwas weniger hektisch. Das Fehlen einer „Kapitalseite”, also von Aktionären und Investoren, hatte keinen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter. Das Gegenteil war der Fall: Motivation und Geschäftswille waren hier insgesamt besser, leidenschaftlicher als anderswo. Sicher, ohne hart fordernde Aktionäre hatte man zu lange DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 regioweb.de Mitteln, ein anderes Erbrecht, ein anderes Bankensystem und eine stärkere innere Steuerung der Wirtschaft. Immer ging es dabei um Möglichkeiten, den Gemeinschaftssinn in den Mittelpunkt zu stellen. Solches Schreiben war mir oft Ausgleich, wenn ich wieder irgendwelche Schocks durch Korruptionserfahrungen, sozialistische Dogmatik oder USA-typische Marktentwicklungen zu verdauen hatte. Gorbatschows übereilte Umstellung auf eine de facto rein kapitalistische Marktwirtschaft ohne eine stark ordnende Staatsmacht bereitete solchen Träumen ein jähes Ende. Aber bald kam eine andere, eine neue persönliche Herausforderung, zum Grübeln blieb keine Zeit. Ein Ort der Mitbestimmung gewartet mit der notwendigen Sanierung, hatte man den hinhaltenden Widerstand der Betriebsräte nicht überwunden. Die Betriebsräte? Anfangs sah ich in ihnen nur den verlängerten Arm der Gewerkschaften. Auf die war ich nicht gut zu sprechen. Zu sehr hatten sie nun mehrere Jahrzehnte lang nur die Rechte der Festangestellten verteidigt ohne Rücksicht auf die Beschäftigungskraft der Gesamtwirtschaft und hatten damit mehrere Wellen hoher Arbeitslosigkeit ausgelöst. Aber diese Betriebsräte hier, sagte ich mir, vertraten die Belegschaft, die fünfzehntausend Mitarbeiter von Carl Zeiss, und deren Interesse war identisch mit meinem: Das Unternehmen sollte überleben, mit Opfern zwar, aber auch mit einer positiven Zukunft. Man musste mit ihnen doch reden können. Das tat ich, ausführlich. Immer klarer wurde: Zwischen den Interessen der Gewerkschaft – hier der IG Metall – und denen der Betriebsräte gab es einen wesentlichen Unterschied. Betriebsräte ließen sich vielleicht instrumentalisieren, aber nur bis zu einem bestimmten Grad, bis zur Überlebensfrage. Dann wurden sie Unternehmer und sprachen die gleiche Sprache wie ich: die der Zukunftssicherung, sprachen nur noch im Interesse der Belegschaft, ohne Ideologien. So lernte ich den Wert ideologiefreier Mitsprache schätzen. Das war eine neue Erkenntnis, weit über das nur Betriebliche hinaus. Man muss sich Zeit nehmen und bereit sein, dem anderen Gesichtspunkt zuzuhören. Das schafft Akzeptanz – und die besseren Lösungen. 51 Themen Die Sanierung von Carl Zeiss war erfolgreich, ein Nachfolger stand bereit. Ich konnte mich zurückziehen ohne das Gefühl, einer Aufgabe ausgewichen zu sein. Nach sechs Amtsjahren war ich ein freier Mann, gut versorgt mit mehr als einem „Grundeinkommen”, offen für neue Pläne, aber auch für die angefragten Aufsichtsund Beiratsmandate. Noch ahnte ich nicht, dass ich nun einer Welt der Gier, dem Hunger der Finanzwelt begegnen würde. Es wurde ein Schock. Ausscheidende Vorstände sind die Lieblinge der Investmentbranche. Sie haben Erfahrung, sind gut vernetzt und respektiert, sie verleihen das Siegel der Seriosität. Und so hatte ich bald zehn Aufsichtsratsmandate, drei bei großen Firmen und sieben bei kleineren, sogenannten Start-ups. Das sind die, die sich ständig die Geschichte der Microsoft-Aktie erzählen oder auch die von eBay, Amazon oder Google. Die Vertausendfachung der Anfangsinvestition in einem Jahrzehnt. Schon der erste Einsatz eigenen Geldes machte mich zum Papiermillionär – allerdings mit Verkaufsverbot für zwei Jahre. Die Hauptinvestoren konnten sich einen zweistelligen Millionengewinn ausrechnen. Aber es kam anders. Der Aktienwert verfiel, zu sehr hatte man beim ersten Börsengang geprahlt. Das Geschäft entwickelte sich gut, aber übertriebene Erwartungen konnte man naturgemäß nicht erfüllen. Immerhin, viel Geld aus dem Börsengang war in der Firmenkasse, die Mittel zu einem sauberen Geschäftsaufbau waren da. Aber die Hauptinvestoren hatten es eilig, wollten an das Geld. Sie warfen uns externe Aufsichtsräte raus und setzten ihre eigenen Leute ein. Bald fehlten der Firma acht Millionen, herausgezogen über falsche Titel und Verschiebung über mehrere Konten. Später war ich froh, wenigstens in etwa meinen Einsatz gerettet zu haben. Einige der Strohmänner wurden verurteilt, aber die eigentlichen Drahtzieher blieben ungeschoren. Hinter all diesen Firmen standen gute, ausbaufähige Geschäftsideen. Es galt nur, den immer schwierigen Weg zwischen positivem Erwerbsstreben und schnell zugreifender Gier 52 sauber zu gehen. In allen sieben Fällen haben da die Investoren versagt, es wurde getrickst, falsch gespielt und betrogen. Es zählte nur das eine: Wie kommt man schnell an die Börse und, sobald dort gelistet, wie manipuliert man Kurse so, dass daraus rasche Megagewinne werden, ohne Rücksicht auf das Später. Weder die Finanzaufsicht noch die Gerichte kamen mit der Situation zurecht. Ich dankte ab und zog mich aus allen Aufsichtsratsmandaten zurück. In jenem Sommer sah ich Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit, in europäischer Uraufführung auf dem Piazza Grande in Locarno, gesponsert vom schweizerischen Wetterdienst. Ein herrlicher Abend unter freiem Himmel, eigentlich romantischste Stimmung. Dennoch, ich war tief betroffen. Hier war sie wieder, die Trägheit einer ganzen Generation in einer unheiligen Allianz mit den Mächtigen der Wirtschaft, die sich von Öl und Gas als billigen Energiequellen nicht trennen wollten. Energie gab es genug, Sonne, Wind, geologische Wärme, da sind weder Öl noch Gas notwendig. Und als Ingenieur ist man erzogen, Risiken vorzubeugen. Es ist nicht so entscheidend, wie der Klimawandel genau aussieht. Das physikalisch belegbare Risiko genügt als Handlungsanleitung. Die Bevölkerungsexplosion wird von unserer Zivilisation nicht beherrscht; gefordert sind Nachhaltigkeit und der Respekt vor Ressourcen, ohne die eine Katastrophe programmiert ist. Wenn der Mensch ein Inferno auslöst, hilft nur noch Glück. Das war mir wohl hold, als ich die Bombenangriffe auf Dresden überlebte. Noch heute habe ich das Brummen des Bombers im Ohr, dessen Bombe im Nachbarhaus einschlug. Kurz danach flohen wir vor den anrückenden Sowjets auf den großväterlichen Landsitz südlich von München, in die amerikanische Zone. Das bedeutete Freiheit, wenn auch alles Hab und Gut zurückblieb. Das glückliche Ende einer Periode, die eine ganze Generation in Schuld brachte. Den Blick für Generationenverantwortung hat diese Katastrophe offensichtlich nicht geöffnet. Sonst könnte das dramatische Risiko DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 Themen der Klimaveränderung nicht seit Jahren so heuchlerisch behandelt werden. Energieangebote sind eine Markt- und Technologiefrage, keine unabänderlichen Gegebenheiten. Es braucht eigentlich nur „vernünftige” Märkte. Da aber Märkte unvernünftig sind, kann man ihnen allein die Lösung nicht überlassen. Zusätzlicher Ordnungswille ist erforderlich, aber der staatliche Ordnungsrahmen allein wird die Lösung nicht bringen. Es wird wieder notwendig, dass die Unternehmen selbst sich stärker um Werte, um gesellschaftliche Problembereiche kümmern. Das gilt für einen rascheren Ausstieg aus der CO2-Falle genauso wie für andere Probleme. Der Bürger erwartet, dass sich die Wirtschaft selbst um Generationengerechtigkeit kümmert, um Ressourcengleichgewichte, die Erhaltung des Globus, Fairness und Ehrlichkeit und um das Vererben eines gesellschaftlichen Systems, das der Jugend Optimismus und Zukunft gibt. Es braucht die Bereitschaft der Wirtschaft zu einem eigenen, von innen heraus gestützten Ordnungsrahmen. Dieser Traum treibt mich, meine jahrelangen Erfahrungen einzusetzen für etwas, das der Gesetzgeber nicht bieten kann: die Fähigkeit der Wirtschaft, werteorientiert zu kooperieren und Fehlentwicklungen zu unterdrücken auch ohne staatliche Intervention. Eine neue Form einer werteregulierten Marktwirtschaft mit mehr Mitsprache der Zivilgesellschaft und einem anderen Modell der Bürgerbeteiligung auch in politischen Entscheidungen. Eine Wirtschaft, in der Ehrbarkeit wieder zählt. Ich bin überzeugt, es ist ein wichtiger, ein richtiger Teil der Antwort. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Hätte ich früher aussteigen, mich früher engagieren sollen? Ein Ausstieg in den erfolgreichen Berufsjahren war wohl nicht die Antwort. Mein Ruf wäre verhallt. Aber ein sofortiger Umstieg und ein Selbstbekenntnis nach der Beendigung des Vorstandsvorsitzes bei Carl Zeiss hätte das Interesse der Medien ideal mobilisiert, heute eine der Voraussetzungen, um gehört zu werden. Stattdessen erlag ich den Verlockungen der vielen Aufsichtsratsmandate (ein harmloses Vergeuden der neuen Freiheit), statt den Kampf für die Weiterentwicklung unserer maroden Marktwirtschaft aufzunehmen. Aber die Aufgabe blieb. Es nagt an mir, auf die geschilderte Weise fast ein Jahrzehnt verloren zu haben. Ein Jahrzehnt, in dem eine Gesellschaft versagte, ein Jahrzehnt, in dem der Druck zum Wandel zu gering war. Freiheit kann wie ein Rausch sein, sie kann süchtig machen. Deshalb hat man Gesetze und Wertenormen erfunden – um die Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes wertvoll, lebenswert zu machen. movies.uip.de „Die Trägheit einer Generation in einer unheiligen Allianz mit den Mächtigen der Wirtschaft” DIE GAZETTE 29, Frühjahr 2011 53