Die Blaustirnamazone
Transcrição
Die Blaustirnamazone
Problemvogel Blaustirnamazone? Vor einiger Zeit fuhr ich zu einer Fachtagung für Papageienschutz. Am Abend vor der Tagung trafen sich ein Teil der Referenten und mehrere Teilnehmer zu einem gemütlichen Beisammensein. Im Laufe des Abends lernte ich den Betreiber eines Gnadenhofs für Papageien kennen, und es entstand eine angeregte Diskussion, die in dem Satz gipfelte: „Alle Blaustirnamazonen beißen!“ Ich war schockiert: Der Ruf einer ganzen Papageienart wurde mit einem einzigen Satz ruiniert. Blaustirnamazonen sind beliebte Heimvögel. Sie haben ein ansprechendes Äußeres, sind hochintelligent und schließen sich eng an den Halter an. Ihre Begabung, Töne nachzuahmen und auch sinnvoll einzusetzen, ist beeindruckend. Sie sind zäh und überleben sogar jahrelange Fehlhaltungen. Dennoch werden sie so häufig wie kaum eine andere Papageienart in Auffangstationen abgegeben. Warum ist das so? Die Heimat unserer Blaustirnamazonen liegt in Südamerika. Dort bewohnen sie trockene Galeriewälder und Savannen mit lockerem Baumbewuchs. Nahrung ist in diesem Lebensraum schwer zu finden, und so haben sich die Blaustirnamazonen zu Nahrungsgeneralisten entwickelt, die nahezu alles fressen, was sie finden können. Bisweilen sind die natürlichen Nahrungsressourcen so knapp, dass die Tiere zu wandern beginnen. Neben dem Nahrungsmangel müssen sich die Blaustirnamazonen aber auch mit dem Mangel an Brutbäumen auseinandersetzen. Die wenigen geeigneten Nisthöhlen müssen sie sich mit anderen Papageien und höhlenbewohnenden Säugetieren und sogar mit Insekten wie Bienen und Wespen teilen. Hinzu kommen Fressfeinde wie Schlangen, die das Nest ausräumen wollen. Nicht jede Höhle ist für die Jungenaufzucht geeignet, und entsprechend vehement werden geeignete Brutplätze gegen andere Bewerber verteidigt. Da der Lebensraum der Blaustirnamazonen so karg ist, liegen die Bruthöhlen der einzelnen Paare in der Regel sehr weit auseinander. Je weniger Nahrung die Vögel in ihrem Lebensraum finden, desto energischer verteidigen sie ihn gegen Konkurrenten. Quelle: WP-Magazin 6/2007 Während die Blaustirnamazonen während der Brutzeit wenig gesellig sind und sich auf die Paarbeziehung konzentrieren, suchen sie außerhalb der Brutzeit den Kontakt zu anderen Amazonen. Viele Augen sehen mehr als zwei, und vielleicht weiß ja der Nachbar, wo man noch etwas zu fressen findet. Wie groß diese Ansammlungen werden können, ist noch unklar; Freilandnachweise, in denen von mehr als 50 Individuen berichtet wird, sind selten. Ob sich die Amazonen bei ausreichend vorhandener Nahrung auch zu sehr großen Schwärmen mit mehreren hundert Tieren zusammenfinden, ist ungewiss. Diese lockeren Gruppen zerfallen sehr schnell wieder, so dass stabile soziale Beziehungen nicht entstehen. Es fällt daher schwer zu entscheiden, ob der Nahrungsmangel oder der Feinddruck ein Grund für die Schwarmbildung nach der Brutzeit ist. Blaustirnamazonen beginnen beim Einsetzen der Regenzeit mit der Balz. Dies ist logisch, denn kurze Zeit später werden aufgrund des Regens zahlreiche Pflanzen blühen, und sobald die Eier ausgebrütet sind, stehen die ersten Hülsen, Schoten und Früchte zur Verfügung. Über die Aufzuchtrate bei Blaustirnamazonen im Freiland wissen wir nur sehr wenig. Der Druck, der in diesem Lebensraum aber hierhin auf den Elterntieren in diesem Lebensraum lastet, dürfte enorm sein. Junge Blaustirnamazonen verlassen mit 9 bis 10 Wochen das Nest und begleiten ihre Eltern. Man nimmt an, dass die Jungvögel ihre Eltern mit ungefähr neun Monaten verlassen und eigene Wege gehen. Das Leben der Blaustirnamazonen im Freiland ist also keineswegs gemütlich, sondern ausgesprochen hart. Freilandaufnahmen zeigen meist schlanke und drahtige Vögel, die nach allen Seiten sichern oder aber fressen. Spielaufnahmen, wie wir sie von australischen Kakadus oder großen Aras bisweilen kennen, sucht man bei Blaustirnamazonen vergebens. Lediglich die längere Beschäftigung mit Nahrung, also das Zerbeißen und Zerkauen einer Frucht oder eines Blattes wird man häufiger beobachten können. Den Weg in unsere Haushalte haben Blaustirnamazonen jahrelang über Importe von Wildfängen gefunden. Die Tiere, welche die Strapazen des Fangs und des Transports überlebt hatten, besaßen meist ein sehr stabiles Immunsystem und überstanden auch die Quarantäne ohne Probleme. Mit diesen Vögeln zu züchten, bereitete keine großen Schwierigkeiten, und es ist daher kein Wunder, dass Blaustirnamazonen über viele Jahre hinweg in großer Zahl in den Handel kamen. Die nachgezogenen Tiere finden in unseren Haltungen ganz andere Bedingungen vor als ihren freilebenden Vorfahren. In der Regel sind die Jungvögel gut genährt, wachsen meist mit Geschwistern auf und brauchen sich um das tägliche Brot keine Gedanken zu machen. Im Freiland müssen die ausgeflogenen Jungvögel recht bald den Altvögeln folgen, um zu lernen, was es wo zu fressen gibt. Unsere Jungvögel in der Haltung haben viel Zeit zum Spielen, bedienen sich am Napf und sind ständig auf der Suche nach Unsinn, den sie anstellen können. Sind Blaustirnamazonen noch jung, so geht von ihnen ein unglaublicher Charme aus. Ihre schwarzen Knopfaugen und ihr neugieriges und freundliches Wesen ziehen jeden Papageienliebhaber in ihren Bann. Kein Wunder also, dass viele Blaustirnamazonen in diesem Alter einen Käufer finden. Wie die meisten großen Papageien kommen auch Blaustirnamazonen mit ein bis zwei Jahren in die Pubertät. Sie trainieren die Balz, zeigen erstes Territorialverhalten, und die Kontaktrufe werden lautstark und lange geübt. Aus dem verspielten kleinen Papagei wird eine kräftige Amazone mit enormem Durchsetzungswillen, und in diesem Alter zeichnen sich die ersten Probleme ab. Viele Amazonen fangen an zu schreien oder beißen ihre Halter. Neben der Demütigung, die solche Bisse für den Halter bedeuten können, kommt es zu einem erheblichen Vertrauensverlust zwischen Halter und Papagei. Werden Halter stundenlang angeschrien, entstehen Aggressionen, die sich irgendwann in Wutausbrüchen entladen. In beiden Fällen ist ein Teufelskreis in Gang gesetzt worden, der seinen Anfang in der Jugendphase des Vogels hat. Blaustirnamazonen leben, wie wir oben gesehen haben, in einem sehr kargen Lebensraum. Fragt man die Halter auffälliger Amazonen, wie diese gefüttert werden, so antworten sie meist, dass eine Körnermischung die Hauptnahrung darstelle. Bisweilen fressen diese Blaustirnamazonen sogar bis zu 90 Prozent Körnerfutter. Betrachten wir vor diesem Hintergrund einmal die körperliche Statur dieses Vogels: Die Beine der Blaustirnamazone sind kurz und O-förmig. Mich erinnern auf dem Boden laufende Amazonen immer ein wenig an John Wayne! Solche Beine sind ideal, um in Büschen und im Geäst der Bäume zu klettern, aber denkbar ungeeignet, um auf dem Boden schnell und zielstrebig zu laufen. Der Körper der Blaustirnamazone ist kurz und kompakt. Fliegen diese Vögel, so werden sie zwar sehr schnell, die Eleganz eines australischen Sittichs haben sie aber nicht. Hinzu kommt, dass solch ein Körper vom Boden schlechter und langsamer abhebt. Der Feinddruck ist also für eine am Boden fressende Amazone sehr hoch. [...] Copyright: Hildegard Niemann, PBC Der vollständige Artikel ist im WP-Magazin 6/2007 erschienen. Diese Ausgabe ist gegen EInsendung von EUR 4,– in Briefmarken der Deutschen Post beim ArndtVerlag, Brückenfeldstraße 28, 75015 Bretten, bestellbar.