Ein astronomischer Besuch im Gutenberg

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Ein astronomischer Besuch im Gutenberg
Ein astronomischer Besuch im
Gutenberg-Museum
Von Bernd Pfeiffer, AAG Mainz
L’invention de l’imprimerie par
Gutenberg, en 1450, permit la diffusion
des traités astrologiques, des almanachs
et des éphémérides. Ces publications
allégeaient considérablement les calculs
fastidieux des astrologues. Elles
permirent, de plus, de diffuser
l’astrologie auprès d’un large public.
– Ein Lob der Druckkunst
aus einer Astrologiegeschichte [1]
Vorgeschichte
Im Rahmen des Gutenberg-Jahres 2000 sammelt die AAG Material über Sternbilder,
Mondkrater und Kleinplaneten, die im Zusammenhang mit Gutenberg stehen [2].
Doch weshalb benannten Astronomen himmlische Objekte nach Gutenberg, Ehrungen die oft Astronomen vorbehalten sind? Naheliegend ist, dass seine Erfindung dem neuerwachten Interesse an den Wissenschaften durch die Verbreitung
der wiederentdeckten antiken Literatur die Grundlage schuf und die rasche Veröffentlichung neuer Erkenntnisse ermöglichte. (Insbesondere sind in hoher Auflage
verbreitete Ideen von den Autoritäten nicht mehr so leicht zu unterdrücken wie im
Mittelalter! Als Beispiele seien die Reformation und das heliozentrische Weltsystem
genannt.). Die Astronomie als eine der ältesten Wissenschaften profitierte von dieser Entwicklung im besonderen Maße.
Unlängst fand ich die “Cambridge Concise History of Astronomy” [3], in der ein
Kapitel “Printing and the rise of Humanism” den frühen astronomischen Drucken
gewidmet ist. Die ersten Fachbücher wurden demnach 1474/5 von Johannes Regiomontanus (1436-1476) in einer eigens eingerichteten Druckerei verlegt, und zwar ein
Buch seines Lehrers G. von Peurbach (1423-1461) Theoricae novae planetarum, das an
das Lehrbuch Gerards von Cremona aus dem 12. Jahrhundert anknüpfte, und seine
Ephemerides astronomicae, die u.a. die Planetenstellungen für jeden Tag der Jahre 1475
bis 1506 auflisteten (Christoph Kolumbus bestimmte damit durch Beobachtung einer Mondfinsterniss auf Jamaika am 29.2.1504 den Längengrad.). Die Ephemeriden
fanden eine weite Verbreitung, da sie schnell von anderen Druckern kopiert wurden (s.u.). Der frühe Tod Regiomontanus 1476 verhinderte weitere Publikationen
seinerseits.
Mitteilungen – Probedruck
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Doch weshalb dauerte es eigentlich 20 Jahre bis ein Astronom die offensichtlichen
Vorteile der neuen Erfindung erkannte? Dies schien mir weiterer Nachforschungen wert. Langsam beschlich mich der Gedanke, ob der trotz allem recht geschäftstüchtige Gutenberg am Ende nicht selbst diese Marktlücke erkannt haben könnte.
Die Eingabe der Begriffe „Gutenberg AND Astronomie“ in Internet-Suchmaschinen
war nicht ergiebig. Doch nicht gleich verzagen! „Gutenberg AND Astrologie“ war
ein (erschreckender) Erfolg beschieden. Die lieben „Kollegen“ waren des Lobes voll
(s. Prolog), insbesondere vergaß keiner zu erwähnen, dass die ersten astrologischen
Drucke von Gutenberg höchstselbst hergestellt wurden!
Bei der Suche nach diesen Drucken stiess ich auf ein Script zur Medizingeschichte [4], in dem ein auf Astrologie basierender Aderlass-Kalender Gutenbergs als erstes
gedrucktes Medizinfachbuch genannt wird. Bei der Suche nach frühen astronomischen Druckwerken [5] fand ich Web-Seiten über einen Nachdruck der „Ephemeriden“ [6]. Darin wird ein Gutenbergscher Kalender beschrieben, in dem Voll- und
Neumondzeiten und Planetenstellungen alle 15 Tage verzeichnet waren.
Ein Nachmittag im Museum
An einem regnerischen Sonntag beschloss ich dann recht spontan mich ins wiedereröffnete Gutenberg-Museum aufzumachen, denn vielleicht hat man da ja ein
Exemplar. Insbesondere findet ja dieses Jahr die Jubiläums-Ausstellung Gutenberg:
aventur und kunst mit zahlreichen Leihgaben aus der Zeit bis 1500 statt. Als erstes
erstand ich den Ausstellungskatalog: sehr schwer und durchaus informativ, jedoch
beim Rundgang wenig hilfreich.
Es wurde tatsächlich ein anregender Nachmittag angesichts des weitgefächerten
Verlagsangebots schon so bald nach der Erfindung (auch wenn man verständlicherweise in all den Schätzen nicht blättern kann).
Trotz langem Suchen und Befragen aller Aufsichtspersonen konnte ich keinen
Kalenderdruck Gutenbergs entdecken. Einen Eindruck gibt jedoch ein späterer Einblattdruck, ein Almanach für Mainz zum Jahre 1492 aus der Offizin Friedberger. (Eine
Abbildung findet sich auf Seite 229 des Ausstellungskatalogs [7].) Die Drucker wussten die Kenntnisse der Angehörigen der 1477 gegründeten Universität für sich zu
nutzen. Dieser Almanach wurde von Magister Petrus Hernßheymer, medicinaru licentiatus berechnet und enthält auf einem Blatt Angaben über Mondphasen und nach
Monaten geordnete Aderlass-Ratschläge.
Für die „Meenzer Narren“ sind mehrere Ausgaben von Sebastian Brants Bestseller Das Narrenschiff ausgestellt, das zuerst 1494 in Basel erschien und dessen Erfolg
nicht zuletzt auf den zahlreichen Holzschnitten beruhte [7, S. 436–439]. Den Bezug
zur Astronomie stellt in diesem Fall der Kleinplanet (5896) Narrenschiff her.
Etwas ermüdet von all den herrlichen Drucken (und dem schweren Katalog) fand
ich ganz zum Ende der Ausstellung noch eine Vitrine mit Werken aus der venezianischen Offizin Erhard Ratdolts. Wie erwähnt, fand ich Hinweise auf Gutenbergs
Kalender auf Web-Seiten über einen Ratdoltschen Calendario nach den „Ephemeri-
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des“ [5, 6]. Zu meiner freudigen Überraschung sah ich eine deutsche Ausgabe des
Buches, das ich am Abend zuvor im Web nur virtuell gesehen hatte, zum Greifen
nahe!
Ein weiteres Buch Ratdolts hat Bezüge zu Mainz. Aufgeschlagen lag die 1484 gedruckte Ausgabe von Ptolemaeus’ „Tetrabiblos“ in lateinischer Übersetzung Opus
Quatripartitum, seu de apotelesmatibus et judiciis astrorum, libri iv, der Grundlage der
Astrologie. Dieses Buch gehört der Stadtbibliothek und stammt aus den Sammlungen des ehemaligen Jesuiten-Kollegs. Dieser Orden hat sich unbestreitbar große Verdienste um die Astronomie erworben, die Astrologie war ihm anscheinend jedoch
auch nicht ganz fremd.
Studium des Katalogs
Am Abend fand ich dann im Katalog noch manche Überraschung:
In einer Ausstellung kann man von jedem Buch leider immer nur eine Seite ansehen. Da man früher oft mehrere Bücher zusammengebunden hat, bekommt man
nur einen verschwindenden Teil zu Gesicht. So enthält das gerade zuvor genannte
Buch mit dem Quadripartitum praktischerweise noch die erste gedruckte Version der
Alfonsinischen Tafeln, mit denen man seit 1250 Planetenstellungen berechnete (auch
Kopernikus bediente sich ihrer). Der in der gleichen Vitrine ausgestellten Kosmographie des Pomponius Mela (aufgeschlagen eine antike Weltkarte) ist das um 1220
geschriebene Astronomie-Lehrbuch des Johannes de Sacro Bosco De Sphaera Mundi
beigebunden, das bis ins 17. Jahrhundert benutzt wurde [7, S. 406].
Im Katalog ist das einzige erhaltene Fragment des Aderlass- und Laxierkalenders aus
der Pariser Bibliothèque Nationale aufgeführt (siehe [7, S. 336] und Bild 1, aus [8]).
An das davor aufgelistete Exponat (das Fragment zum Weltgericht) kann ich mich genau erinnern, das Kalenderfragment war entweder so unauffällig, dass ich es übersehen habe, oder nicht von Paris ausgeliehen worden. Schade!
Die ersten astronomischen Drucke mit beweglichen Lettern wurden also tatsächlich bereits von Gutenberg selbst hergestellt. Schon zeitgleich zum Bibeldruck stellte
er in einer (zweiten) Werkstatt mit vereinfachtem Typensatz zahlreiche kleine Büchlein und Einblattdrucke her (wie lateinische Grammatiken, Ablassbriefe, Kalender),
die bereits als Handschriften reißenden Absatz gefunden hatten und bei geringem
Kapitaleinsatz hohe und sichere Gewinnchancen versprachen. Er druckte verschiedene Kalender (Almanache), die neben den beweglichen Feiertagen die Zeiten für
Neu- und Vollmond und (teilweise) die Planetenstellungen alle 15 Tage angaben
(Diese Tradition lebt bis heute in den nautischen Almanachen oder den Himmelsjahrbüchern fort.). Mit ihrer Hilfe bestimmte man den astrologisch günstigen Zeitpunkt für kleinere medizinische Eingriffe, etwa Aderlass, Abführen oder die Einnahme von Medikamenten, was die allgemeine (und jahrhundertelange) Verbreitung erklärt. Der Aderlasskalender (s. Bild 1) formuliert diesen Verwendungszweck
gleich zu Beginn: Côiûctioês [et] opposicoês solis et lune ac inîucoês electîe nec nô dies pro
medicîs laxatiuis sumendis . . . [7]. Als reine Verbrauchsgüter sind allerdings nur weni-
Mitteilungen – Probedruck
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Bild 1: Fragment des Laxierkalenders aus der Bibliothèque Nationale, Paris. Abbildung aus [8, S. 223]
ge Fragmente überliefert, so vom sogenannten Türkenkalender von 1455 (ein Aufruf zum Kreuzzug gegen die Türken, die 1453 Konstantinopel erobert hatten), dem
Aderlasskalender von 1457 und einem „Astronomischen Kalender“ von 1457/8. Es
ist anzumerken, dass die Astronomiehistoriker diesen Druck auf das Jahr 1448 datieren [6, 9]. Da Gutenberg keines seiner Produkte signierte oder gar datierte, tappt
man ziemlich im Dunkeln und jedes Indiz ist willkommen. Die mitten in der zweiten Zeile von Bild 1 zu erkennende Jahreszahl MCCCLVII ist daher ein Glücksfall
für die Forschung, da Kalender auf das Jahr 1457 mit großer Wahrscheinlichkeit
1456 gedruckt wurden.
Epilog
Bis heute konnte man nicht herausfinden, ob Gutenberg eine der damals verbreiteten handschriftlichen Vorlagen verwandte (wie den „Leipziger Almanach“ [10])
oder ob die Daten speziell für diese Kalender berechnet wurden [9]. Eigene Aktivitäten auf diesem Gebiet sind nicht überliefert, doch was weiß man über ihn eh
mit Sicherheit? Sollte er denn mit diesem Johannes de Altavilla aus der Matrikel
der Erfurter Universität identisch sein, so hat er dort die Artes Liberales (oder sieben Freien Künste) belegt, zu derem zweiten Teil, dem Quadrivium, auch Astrono-
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Mitteilungen – Probedruck
mie/Astrologie gehörte. – Sollte man dann vielleicht Johannes Gutenberg posthum
zum Astronomen honoris causa ernennen?
Literatur
[1] http://www.club-internet.fr/teissier/
[2] http://student.physik.uni-mainz.de/~astro/gutenberg/
Welcome.html
[3] The Cambridge Concise History of Astronomy; ed. Michael Hoskin; Cambridge University Press, 1999
[4] http://www.josefsklinik.de/script/geschichte.htm
und
H. Schott, Chronik der Medizin, Chronik-Verlag, 1993
[5] http://www.kernchemie.uni-mainz.de/~pfeiffer/aag/gut/
astimpr.html
[6] http://sancho.ac.hmc.edu:8001/Humanities/HUM2D/hum2dt2/
index.htm
[7] Ausstellungskatalog Gutenberg, aventur und kunst, Mainz, 2000
[8] K. Sudhoff, Laßtafelkunst in Drucken des 15. Jahrhunderts; in: Archiv für Geschichte der Medizin, Band 1 (1907) 219-288
[9] E. Zinner, Entstehung und Ausbreitung der Copernicanischen Lehre, Beck,
1988
[10] W. Kokott, Syzygies as pivots: An unusal mid-fifteenth-century working ephemeris; in: Journal for the History of Astronomy XXIX (1998) 129
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