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Musik mit Behinderten an Musikschulen
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Inhaltsverzeichnis
Hilfe
Gitarrenspiel mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger
Behinderung
Bernhard Fuchs / Bruno Szordikowski
Wer mit Schülern mit geistiger Behinderung zusammenarbeitet wird als erstes feststellen,
daß deren geistige und körperliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sehr viel
unterschiedlicher ausgeprägt ist als bei nichtbehinderten Schülern. Es ergeben sich daraus
u.a. folgende Konsequenzen:
Der Lehrer wird in der Regel nicht auf ein standardisiertes Lehrwerk zurückgreifen
können. Vielmehr wird er sein Material aus verschiedenen Lehrwerken
zusammentragen, um gemäß dem Motto von Werner Probst "aus den ersten 5 Seiten
eines Lehrwerkes 50 zu machen".
Er wird, mehr noch als bei nichtbehinderten Schülern, dem Bedürfnis Rechnung tragen
müssen, möglichst sofort mit der Gitarre ein musikalisches Erfolgserlebnis zu haben.
Fragen zur Haltung und Musiklehre treten dagegen in den Hintergrund.
Aufgrund der o.g. Heterogenität muß der Lehrer für jeden Schüler individuell seinen
Lehrweg bestimmen. Dies betrifft besonders die Entscheidung darüber, ob die Gitarre
als Akkord- oder Melodieinstrument zu erlernen ist.
Deshalb möchten wir beide Wege grob skizzieren, wobei wir weniger von den
technischen Erfordernissen des Instrumentes als von der möglichst unmittelbaren Lust am
Musikmachen ausgehen. Dies gilt vor allem für die Methode, die Stimmung der
Gitarrensaiten in Moll- bzw. Durakkorde (Skordatur) zu verändern, die auch für den
Gruppenunterricht besonders geeignet ist.
Spiel mit Skordatur
1. Die Saiten werden nach D-Moll gestimmt
Die Gitarrensaiten werden nach D-A-d-f-a-d' gestimmt, so daß sie zusammenklingend
einen D-Moll Akkord ergeben. Alle sechs Saiten können jetzt mit dem Daumen ruhig und
regelmäßig durchgestrichen werden. So kann sich die rechte "Spielhand" allmählich an die
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Gegebenheiten der Gitarre, vor allem Saitenspannung und -abstand, gewöhnen, ohne durch
die ganz anders gearteten Greifbewegungen der linken Hand durcheinandergebracht zu
werden.
Auf diese Weise können eine ganze Reihe Lieder und Melodien begleitet werden, wie
etwa "Kol Dodie, Kol Dodie" (Israel), "Hab' mir geschnitzt ein Weidenpfeiflein" (Finnland)
oder natürlich auch das bekannte "Fing mir eine Mücke heut'".
Zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang auch einige Lieder von Gerda Bächli, wie
"Tanz der wilden Pferde", "Indianerlied" oder das "Uhulied", weil sie neben ansprechenden
Melodien und Texten einen hohen Aufforderungscharakter zur weiteren Bewegungs- und
Spielgestaltung haben.
Je nach Größe der Gruppe kann auch das sog. kleine Schlagwerk hinzugezogen werden.
Dadurch können verschiedene rhythmische Akzente und Klangmöglichkeiten erzielt werden.
Innerhalb von "Bruno's Band" (s.u.) ist so eine Percussionsgruppe entstanden.
Die Melodiestimme wird in der Regel der Lehrer übernehmen. Toll ist es natürlich, wenn
ein Schüler, der Melodiespiel lernt, hinzugezogen werden kann.
Die Sologitarre von
Carola Doose wird
verstärkt
2. Der Kapodaster wird eingesetzt
Durch den Einsatz von Kapodastern können auch Lieder mit zwei und mehr Akkorden
begleitet werden, indem jeweils ein Teil der Gruppe den Kapodaster aufsetzt. In der o.g.
offenen Stimmung in D-Moll ergeben sich z.B. die Möglichkeiten:
- Kapodaster im 2. Bund: E-Moll
- Kapodaster im 7. Bund: A-Moll
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Die Akkordwechsel zwischen den Gruppen müssen sorgfältig geübt werden. Bei dem
Beispiel "He ho spann den Wagen an" erfolgt der Wechsel im Metrum. Dadurch erleichtert
sich die Arbeit des Lehrers, den Einsatz zu geben. Hilfreich sind auch Stichworte im
Liedtext, auf die der Wechsel erfolgt. Es ist natürlich einfacher, wenn die Akkordwechsel in
längeren Abständen und/oder im regelmäßigen Wechsel durchgeführt werden. Häufige und
unregelmäßige Akkordwechsel verwirren die Schüler und manchmal auch den Lehrer.
Beispiel 1: H
" e, ho,
spann den Wagen an"
3. Der Finger greift einen Dur-Akkord
Jetzt wird die linke Hand ins Geschehen einbezogen. Durch das Aufsetzen des
Zeigefingers im 1. Bund der 3. Saite kann ein Dur-Akkord gespielt werden. Damit können
wieder verschiedene Lieder begleitet werden, z.B. "Meister Jakob". Durch den Einsatz des
Kapodasters erschließt sich ein breites Repertoire aus traditioneller und aktueller Musik.
Beispiel 2: Dur-Akkorde
("
Tom Dooley"
)
4. Akkordspiel mit regulärer Gitarrenstimmung
Erfahrungsgemäß ist das Akkordspiel in der Reihenfolge: A-Dur (Tonika), dann E-Dur
(Dominante) und anschließend D-Dur (Subdominante) am leichtesten zu lernen.
Man beginnt auch jetzt zunächst mit einem Akkord und kann evtl. auf alte Spielstücke
und Lieder zurückgreifen. Wenn die weiteren Akkorde eingeführt werden, können die
Akkordwechsel zunächst auch, wie oben beschrieben, auf einzelne Schüler, bzw. Gruppen
verteilt werden. Farbige Klebepunkte auf dem Griffbrett erleichtern das Wiederfinden der
Fingerpositionen.
Wenn dann andere Instrumente hinzukommen, läßt sich durch den Einsatz des
Kapodasters - bei Beibehaltung der Griffe - die Tonart verändern. Z.B. erreichen wir durch
das Aufsetzen im 3. Bund das allseits beliebte C-Dur.
Damit ist eigentlich eine schier unbegrenzte Auswahl an Liedern und Spielstücken
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möglich. Etwas mühsam, aber unbedingt erfolgversprechend ist es, bekannte Titel aus
Schlager und Pop einzurichten, z.B. "Living next door to Alice" (Smokie/H.Carpendale),
"Beinhart" (Torfrock), "My heart will go on" (Celine Cion, der Titelsong zum Film "Titanic")
oder z.Zt. "Big big world" (Emilia) oder "Sexbomb" (Tom Jones).
Robert Hackert ist seit einem
dreiviertel Jahr dabei. Er kann mit dem
rechten Daumen schon gut einzelne
Saiten treffen und lernt gerade seinen
ersten gegriffenen Ton. Der Kapodaster
dient in diesem Fall der Verkürzung der
Mensur (Erleichterung für die linke
Hand)
Melodiespiel
Zu diesem Thema gibt es eine Fülle von Lehrwerken. Da eh meist am besten ankommt
was auch dem Lehrer gut gefällt, wollen wir uns zu diesem Kapitel etwas knapper halten.
Ob und wann ein Schüler mit dem Melodiespiel beginnt, hängt natürlich von seiner
persönlichen Ausgangslage ab. Er bringt sich innerhalb der Gruppe
exponiertere Position und gleichzeitig werden auch die Ansprüche an die
und rhythmische Genauigkeit höher. Jetzt muß in jedem Fall auch
Andererseits kann die Fähigkeit zum Melodiespiel, besonders wenn es
eingesetzt wird, dem Selbstwertgefühl einen ungeheuren Aufschwung geben.
damit in eine
Fingerfertigkeit
geübt werden.
in der Gruppe
Zur Methode: Zunächst wird mit dem Daumen auf den leeren Saiten gespielt. Ob später
auf den Wechselschlag mit Zeige- und Mittelfinger umgestellt werden kann, erscheint für die
meisten unserer Schüler zumindest fraglich. Da aber das mehrstimmige Spiel sowieso nicht
angestrebt wird, können mit dem Daumen recht ordentliche Ergebnisse erzielt werden.
Zur Einführung der linken Hand eignet sich recht gut die Methode, wie sie von Teuchert
und anderen angeboten wird. Die Töne werden in der ersten Lage gegriffen. Die jeweils
neuen Positionen werden in einem Griffbrettdiagramm dargestellt.
Folgende Hilfestellungen haben sich in unserer Arbeit als probat erwiesen:
Die Tonnamen können in Großbuchstaben über/unter die Noten (möglichst im
Großdruck) geschrieben werden. Evtl. werden sogar nur Buchstaben gebraucht. Die
rhythmische Gestaltung kann dann durch oftmaliges Wiederholen erinnert werden.
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Überhaupt haben Wiederholungen bei unseren Schülern, insbesondere bei
erfolgreichen Stücken, einen hohen Stellenwert. Immer wieder erstaunt uns die
Begeisterung mit der selbst seit Jahren geprobte Nummern aufgenommen werden.
Man sollte sich nicht scheuen, auch radikal zu vereinfachen. Die in unserer Ausbildung
beigebrachte Ehrfurcht vor dem komponierten Werk ist hier völlig unangebracht.
Punktierungen, Triolen, komplizierte Abläufe u.ä. tragen nur zur Verwirrung bei.
Wichtig ist, daß bei bekannten Stücken der Wiedererkennungswert gehalten wird.
Etwas aufwendig für den Lehrer, für die Schüler aber sehr hilfreich, ist es, wenn ihnen
die Stücke mit Begleitung auf Tonbandkassette aufgenommen werden. Zu einigen
Lehrwerken werden auch solche Kassetten zum Mitspielen angeboten.
Bruno's Band
Seit 1983 besteht "Bruno's
Band" unter der Leitung von
Bruno Szordikowski an der
Musikschule Mülheim. Die
Band
ist
aus
dem
Gitarrenunterricht, wie oben
beschrieben, entstanden. Fünf
Gitarrenschüler,
ein
außerordentlich
begabter
Keyboardspieler
und
drei
Percussionisten spielen zusammen mit Lehrern (E-git., Akk., dr.), ehemaligen Schülern der
Musikschule - inzwischen selbst Musiklehrer (voc., b.) - und last not least Frau Szordikowski
(git.). Die Besetzung ist seit bald 20 Jahren im wesentlichen konstant geblieben. Das
Repertoire der Band orientiert sich an den Fähigkeiten der Schüler und umfasst Evergreens
(z.B. "Sentimental Journey"), Rock`n Roll ("Jonny B. Goode") und aktuelle Hits. Das
Leistungsniveau kann zwar nicht mit professionellen Bands verglichen werden, doch wird
dies durch eine hohe Begeisterungsfähigkeit wettgemacht. Davon profitieren auch die
nichtbehinderten Bandmitglieder. Zum 10-jährigen Jubiläum 1993 hat die Band auch eine
CD produziert, die über die Musikschule Mülheim (Tel. 0208/455-4300) bezogen werden
kann. Eine neue CD ist zum nächsten Jubiläum 2003 geplant.
Der Fachbereich Sonderpädagogik
Angeregt durch den großen Erfolg von "Bruno's Band" konnten wir vor acht Jahren den
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Fachbereich Sonderpädagogik einrichten, wodurch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
mit Behinderung auf eine breite Basis gestellt wurde. Hieraus wiederum entstanden weitere
Ensembles: Im "integrativen Kinderorchester" spielen Kinder und Jugendliche im Alter von
10 bis 15 Jahren Melodien aus dem Film-, Musical- und Popbereich. Die "Intec Blues Band"
kümmert sich mehr um neuen Gitarrenrock der etwas lauteren Art.
Mit deutscher Griffweise zum Erlebnis Musik ... Praxisbeispiel Blockflöte
Robert Wagner
Gerne nahm ich das Angebot an, einen Artikel für die Hauszeitschrift der
Blockflötenfirma Mollenhauer W
" indkanal"zum Thema Blockflötenspiel mit behinderten
Menschen zu schreiben. Da die Reaktionen darauf doch überaus positiv ausfielen, sollen
meine Gedanken auch in den hier vorliegenden Arbeitshilfen Eingang finden...
Bereits bei der 7iederschrift meines ersten Satzes geriet ich ins Stocken und ins Fragen:
1. Wie reagieren ein Fachorgan wie der Windkanal, die Blockflötenfirma Mollenhauer
oder die Blockflötistinnen und Blockflöter der Republik auf Einlassungen wie
Blockflöte in der Großgruppe, auf die deutsche Griffweise, auf Plastikflöten ...und 2.
welche Erwartungen und Vorstellungen, gründend auf welchen Vorerfahrungen mit
behinderten Mitmenschen hat der geneigte Leser? Wie bitte hat man sich einen (den)
behinderten Menschen vorzustellen? ...
2. Mehr noch, als dass meine langjährige Praxis "Instrumentalspiel mit behinderten
Menschen" mir Antworten gegeben hätte, lehrte sie mich fragen. Vielleicht liegt hierin
schon der Schlüssel versteckt, der die Tür zum Spezifischem der Behindertenarbeit
öffnet: Fragen hilft, sich gedanklich zu öffnen, eingeschulte Pfade zu verlassen,
unkonventionelle Methoden zu erproben und die Auseinandersetzung mit den Fragen
verführt dazu, neue unkonventionelle Fragen zu stellen:
Inwieweit fühlen wir Lehrer uns durch einen behinderten Schüler/ Mitmenschen selbst
behindert?
Behindert in unseren Möglichkeiten, behindert in unserer durch das Examen
bestätigten Lehrkompetenz, behindert in unserem Lehrauftrag, behindert in unserer
Mission der Blockflöte dem ihr gebührenden Platz im Reigen der Instrumente
freizukämpfen ...
So führen viele Fragen unweigerlich dazu, sich vor allem auch mit sich selbst zu
beschäftigen. Die Klärung eigener Ziele, die Wahrnehmung eigener Stärken und eigener
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Schwächen, muss einhergehen mit der Wahrnehmung der Schwächen, vor allem aber der
Stärken seiner behinderten Schüler. Jeder unterrichtlicher Strategie geht die Beobachtung
voraus.
Ein Lehr-"erfolg" hängt vielleicht mehr noch als bei der Unterrichtung von
nichtbehinderten Schülern von der Bereitschaft ab, Lehrziele noch stärker an die aus der
Wahrnehmung gewonnenen Einsichten über die Möglichkeiten des einzelnen Schülers zu
binden.
Die Darstellung unterrichtlicher Praxis vermag keine allgemeingültigen Lösungen zu
entwickeln, aber aus jeder Analyse von Praxis heraus, können wir unser eigenes
Handlungsrepertoire erweitern.
In diesem Sinne will ich nachfolgend - bewusst wissenschaftliche Ansprüche
zurückstellend - von mir erzählen und nehme in Kauf, mich als Dilletant zu outen, als
Liebhaber von Musik und Mensch. Die Blockflöte soll dabei nicht zu kurz kommen, doch ist
sie aber für mich / uns nicht Lebensziel, sondern eher ein Angebot hin zur Musik.
Noch mehr Schock (?) vorweg gefällig: Ich unterrichte u.a. im Klassenverband einer
Schule zur individuellen Lebensbewältigung (Lebenshilfe) 10 geistig behinderte
Jugendliche im Alter von 15-21 Jahren.
Die Schüler stammen aus Jugoslawien, Italien, Rumänien, der Türkei, aus Rußland und
aus Deutschland. Alle sprechen mehr oder weniger gut, manche deutsch. Wir spielen auf
Plasikflöten mit deutscher Griffweise. In der Gruppe sind Schüler, die bereits seit 8 Jahren
bei mir Unterricht nehmen und andere die seit 7 Monaten mit dabei sind. Alle Schüler sind in
der Lage nach Buchstaben (s.u.) im 5 - Tonraum (g´- d´´) vom Blatt zu spielen, manche auch
von c´ - e´´. Manche, so bestätigt es die Sonderschullehrerin, können nur "meine" fünf
Buchstaben, sind also sonst nicht in der Lage zu lesen. Eine Zeitlang haben wir uns auch mit
echten Noten beschäftigt. Seit ich darauf wieder verzichtet habe, vertragen wir uns alle
wieder. Die rhythmisch exakte Umsetzung von Melodien kostet uns etwas Kraft, macht aber
Fortschritte. Ist das Stück bekannt, fällt es - wie zu erwarten - leichter. Die Rhythmussprache
hilft oft weiter. Die Schüler haben alle ein Instrument in der Schule und hatten alle ein
Instrument zuhause. Häusliches Üben findet quasi nicht statt. Alle, ich schließe mich
ausdrücklich ein, haben viel Spaß. Wir spielen alles: vom Kinderlied bis zum Popsong. Bei
vielen Schulveranstaltungen sind wir ein gern gehörter Beitrag.
Auf die Gefahr hin, als ein mit der Blockflöte Zwangsbeglückung treibender Missionar
verkannt zu werden, noch einige ungeschützte Feststellungen aus der Reihe "So ist es in der
Praxis": Ich unterrichte im Beisein der Klassenleiterin 60 min in der Woche. (Eine zweite
Lehrkraft im Gruppenunterricht mit Behinderten ist oft unerlässlich!!) Wir, die
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Klassenleiterin und ich, haben die Schüler nicht gefragt, ob sie musizieren möchten oder ob
sie Blockflöte mögen. (Nebenbei, wurden Sie gefragt, ob Sie im Erdkundeunterricht auch die
Flussläufe unserer Erde kennenlernen wollen?) Sollte tatsächlich ein Totalverweigerer
auftauchen, was in den nunmehr 15 Jahren, in denen ich behinderte Menschen unterrichte,
noch nicht geschehen ist, muss ich ...
... mir etwas einfallen lassen.
Nach soviel Besonderheiten meiner "Lage", nunmehr doch der Versuch nach etwas mehr
Übertragbarkeit. Falls Sie feststellen sollten, dass das Nachfolgende nicht nur für Behinderte
zutrifft:
... stimmt.
Grundsätzliches:
Musikalische Parameter (Metrum, Rhythmik, Dynamik ...) sind in jedem Menschen
angelegt, das Bedürfnis nach Musik in jedem Menschen vorhanden
Musikalischer Ausdruck kann auch ganz leise im Inneren des Menschen stattfinden.
Ein Lehrplan für die ganze Klasse macht wenig Sinn.
Jeder Mensch ist ein Unikat und soll es auch bleiben dürfen.
Jeder Mensch kann etwas.
Es ist die vordringliche Aufgabe des Lehrers das Können des Schülers wahrzunehmen.
Das Können des Menschen gilt es zu stärken und dem Schüler bewusst zu machen.
"Neues" muss mit dem Weltbild des Schülers und seinen Kenntnissen und Fähigkeiten
verknüpfbar sein.
Es gilt Gelegenheiten zu schaffen, das Können anzuwenden und es anderen zu zeigen.
Schwierigkeiten, die den Lernerfolg behindern:
Die Ungeduld des Lehrers
Die Vergesslichkeit des Lehrers
bezüglich
seiner
eigenen
(frühkindlichen)
Lernstrategien, z.B. Probieren geht über studieren.
Der zu frühe Perfektionsanspruch des Lehrers
Der Druck von Außen: Öffentlichkeit, Kollegen, Schulleitung, Eltern ...
Die Ungeduld der Schüler, maßgeblich bestimmt durch eigene Hörgewohnheiten
perfekt gestylter und gepresster Musik
Das oft wenig förderliche (soziale) Umfeld der Schüler:
Musizieren zählt nicht als Wert
wenig Bereitschaft und Vermögen in die Ausbildung zu investieren
eigenes Musizieren wird den Schülern nicht zugetraut.
diesbezügliche Anstrengungen finden keine Unterstützung
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Motivationstäler werden nicht nachhaltig gemeinsam durchschritten
Ungeübtheit von Metrik (und Rhythmik)
Mangelhafte Eigenwahrnehmung
Mangelnde Präsenz im Hier und Jetzt
Instrumentalspiel mit Behinderten heißt vor allem, sich auf den anderen Menschen
einzulassen.
Von seinen Fähigkeiten auszugehen und ihm ein Angebot zu machen, seine Möglichkeiten
zu erweitern. Kommt auf Seiten des Schülers die Motivation hinzu, das / sein Instrument zu
spielen, lassen sich für die meisten Handicaps Lösungen finden. Wenn, ja wenn wir nur das
Puzzleteil individuellen Könnens entdeckt haben, an dem wir, Schüler und Lehrer,
gemeinsam anknüpfen können.
"Lernen heißt Verknüpfen" - ein Beispiel aus meiner
Unterrichtspraxis
Ich wähle ein Beispiel aus meiner Praxis mit der oben beschriebenen Gruppe geistig
Behinderter. Eine konkrete Unterrichtssequenz und die spezifische Lerngeschichte der
Gruppe kann hier natürlich nur in Ausschnitten wiedergegeben werden.
Die ersten Töne bereiten meist keine Probleme:
1 - Fingerton (H)
2 - Fingerton (A)
3 - Fingerton (G)
C und D werden von dem Gekonnten abgeleitet, also:
"C wie A, nur ohne Zeigefinger"
"D wie C, nur ohne Daumen"
In welcher Sprache und Symbolik man die Töne benennt, ob "1-Fingerton" oder "H"
hängt von den Schülern und deren Auffassungsmöglichkeiten ab. Oft biete ich beides parallel
an und jeder Schüler sucht sich aus dem Angebot die Sprache, die er versteht.
Sortieren der Töne nach der Tonhöhe: H G A D C
Welcher Ton ist der tiefste Ton? Lehrer spielt, Schüler zeigen die Tonhöhen mit der Hand
in der Luft. Warnung: Dieses Spiel muss langwierig geübt werden und bringt anfangs oft
ähnliche Ergebnisse wie die Frage des Lehrers wie alt er wohl sei (20, 80, 100, über 100 ..?)
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Der Lehrer fixiert das Ergebnis an der Tafel: Der besseren Deutlichkeit wegen verwende
ich für unsere Symbolschrift nur Großbuchstaben, die ich untereinander aufschreibe.
Ergebnis:
Die Schüler spielen die Tonfolge von unten nach oben und umgekehrt.
Es ist nichts außergewöhnliches, dass, spielt der Lehrer von unten nach oben,
manch ein Schüler das genaue Gegenteil hört.
Erst werden die Möglichkeiten von der Tafel abgespielt, dann auswendig.
Manchmal ist es nötig und ratsam, dass der Lehrer die Töne spielt und die Schüler
jeden Ton an der Tafel mitzeigen. (Unterrichtsprinzip: Frustrationserlebnisse vom
Instrument fernhalten)
Wer kann die Tonfolge auswendig sagen? Aufwärts, abwärts. Das werden
nicht alle können, doch sollte man die Verbalisierung, wo es möglich ist einfordern, da
dadurch andere Zentren im Gehirn aktiviert werden.
Lehrer spielt die Folge D C H A G A H G (abwärts, ein Stück aufwärts und Sprung nach
unten). Wer kann die Folge mitzeigen, wer sie spielen? Wer auswendig?
Lehrer schreibt die Folge aufgeteilt in 2 Zeilen an die Tafel:
Empfehlenswert ist, sich zu vergewissern, dass die Begriffe 1". Zeile" und 2". Zeile"
verstanden und richtig zugeordnet werden. Die Schüler rufen sich hierzu gegenseitig auf:
W
" ie heißt der Ton: 1. Zeile, 3. Ton?"
Um das gemeinsame Fortschreiten von
Symbol zu Symbol zu erreichen, lassen wir
uns zwischen den Tönen ausreichend Zeit
und sprechen gemeinsam: D 2 3 4 | C 2 3 4
..., danach sprechen und klatschen ("X") wir
gemeinsam: D X X X | C X X X ..., danach
spielt der Lehrer den Ton und die Schüler
klatschen
(2 3 4).
Aufgabenwechsel:
Schüler spielen, Lehrer klatscht (erst ein
Schüler im Wechsel mit dem Lehrer,
danach alle Schüler gleichzeitig).
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Die Schüler spielen wie oben beschrieben die erste Zählzeit eines Taktes, der Lehrer füllt
den Rest des Taktes spielend auf und das Lied "Ein Vogel wollte Hochzeit machen" erklingt.
"Wer kennt das Lied?"
Der Lehrer vervollständigt die Takte schließlich an der Tafel.
Jeder Schüler entscheidet sich für einen Takt, den er ganz spielen will, und tut dies. Der
Lehrer spielt bei den ersten Durchgängen das ganze Stück, die Schüler bringen sich zur
gegebenen Zeit mit ihrem Takt ein, später spielt der Lehrer nur die Takte, die von den
Schülern nicht erfasst werden.
Wenn die Schüler wollen/können, entscheiden sie sich für einen, zwei .. weitere Takte,
die sie ganz spielen. Bei anderen Takten spielen sie nur die erste Zählzeit....
Wichtig:
Verbleibt ein Schüler auf einer Stufe unserer methodischen Reihe stehen, auch gut. Er
füllt dann eben diese Rolle aus oder bekommt eine Spezialaufgabe mit Instrumenten des
kleinen Schlagwerks, einer Pauke oder einer Conga. Damit trägt er zu einer interessanten
Gestaltung unseres Arrangements bei und festigt unabhängig von der Blockflöte seine
Klangvorstellung.
Irgendwann, der Lehrer regt dies immer wieder vorsichtig an, will der Schüler sich an der
nächsten Stufe erproben.
Alle Schüler bestimmen den Umfang ihrer Beteiligung am Stück selbst. Das Stück "lebt"
aber immer als Ganzes im Inneren. Ohne viel über schwierige Stellen (z.B. die Achtelnoten)
zu sprechen, werden auch diese Stellen intuitiv erfasst und (manchmal) umgesetzt.
Das Instrumentalspiel wird durch die Arbeit am Stück vielfältig mit dem Körper
vorweggenommen und wie bei einem gemeinsamen Puzzlespiel üblich zusammengesetzt.
Jeder fügt den Puzzlestein ein, den er als passend für sich und das Stück erkennt.
Je größer die Gruppe, ich rate am Anfang zu 3 - 4 Schülern, desto vielfältiger und schöner
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ist das gemeinsame Klangerlebnis. Der Einzelne ist nicht überfordert, jeder hat aber Raum
sich selbst zu fordern.
Der Sonderrolle der Musik als "Kunst in der Zeit" wird Rechnung getragen indem
möglichst von Anfang an das Stück im Zusammenhang "erlebt" wird, freilich ohne den
Anspruch, alles spielen zu müssen.
Und wie war das jetzt mit der deutschen Griffweise?
Manche Schülern intonieren mittlerweile so richtig, dass mich das falsche f selbst gewaltig
stört. Das sind allerdings die fittesten Schüler, die schaffen nun auch die barocke Griffweise
("Das neue f geht wie das tiefe c, nur ohne Mittelfinger der rechten Hand").
Meinen nächsten Kurs fange ich wieder mit der deutschen Griffweise an. Sie ist - ich
kann nur für mich sprechen - logischer und führt ohne Schaden anzurichten eher zum
Erlebnis Musik.
Oder - schon wieder muss ich fragen - "wäre ein Chirurg besser in seiner Tätigkeit,
wenn er als Kind nicht mit Holzbausteinen, sondern mit einem Skalpell gespielt hätte?"
I"ch soll einem behinderten Kind Blockflötenunterricht erteilen. Geht das, wie geht
das, wie lange dauert das, gibt es Literatur, welcher Lehrplan, welche Lehrziele sind
erreichbar ...?"
In meiner Beratungspraxis von
Instrumentallehrern aus dem ganzen
Bundesgebiet erreichen mich immer
wieder Fragen nach Lösungen bei
einer Erst-"Konfrontation" mit
behinderten Schülern. Oft antworte
ich mit Gegenfragen:
W
" elche Behinderung liegt vor, wie
alt ist der Schüler, wer will, dass
das Kind Blockflöte spielt, will es
das Kind selbst ...?"
Über die Frage W
" as ist durch die Behinderung behindert?"nähern wir uns dem
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Grundsätzlichen:
Behindert ist nie der Mensch!
Jeder Mensch ist ein Unikat. Behindert sind einzig seine Möglichkeiten z.B. zu
lernen, sich zu bewegen, zu hören, zu sehen... Durch auf den jeweiligen Menschen
abgestimmte Methoden kann es gelingen, dem Menschen mehr Möglichkeiten zu
(er-)öffnen.
Integrative Ensembles mit Veeh-Harfen, Gitarren und Flöten
Otto Kondzialka
D
" ie vom Gymi sind einfach blöd, erst heißt es, der Oberstufenchor ist montags,
dann legen die den auf Donnerstag!!!! wo wir doch hier bandworkshop Probe
haben. Die singen ab jetzt ohne mich!"
Soweit der Kommentar einer Gymnasiastin aus meinem " bandworkshop".
Was bindet wohl ganz normale Musikschüler an unsere Gruppe, die derzeit aus sieben
Kindern und Jugendlichen der Lebenshilfe-Tagesstätte und aus einer wechselnden Anzahl,
(je nach Bedarf 2 bis 10) GitarrenspielerInnen aus meinen Spielkreisen besteht?
Jugendliche in dem Alter machen solche Dinge normalerweise nicht mehr dem Lehrer
zuliebe, oder damit sie später mal in den Himmel kommen, sondern (so zunehmend meine
Vermutung), weil sie Spaß daran haben, das zu tun was sie da tun, und weil sie es freiwillig
und selbstbestimmt tun dürfen und nicht müssen. Der integrative Aspekt dieser Gruppe ist
mir dabei aus mehreren Gründen wichtig:
Um mit geistig behinderten Jugendlichen Musik machen zu können, die auch deren
Ansprüche an "richtige Musik" erfüllt, ist es sehr hilfreich Spieler mit "richtigen
Instrumenten" dabei zu haben, das musikalische Geschehen hat dadurch sofort einen
soliden Boden und bringt anhörbare Ergebnisse (immer aus der Blickrichtung der
Kinder gesehen).
Das, was ich den intuitiven Zugang zur Musik nenne, wird wesentlich erleichtert durch
die Teilnahme meiner Instrumentalisten aus den Spielkreisen.
Für meine nichtbehinderten Schüler springen dabei ein paar wichtige Lernprozesse
heraus, die nicht nur mit sozialem Lernen zu tun haben, sondern die durchaus gesunde
egoistische Bedürfnisse abdecken: so lernten meine Gitarrenspieler z.B. ziemlich
schnell, nach Akkordsymbolen zu begleiten, verschiedene Pickings zu verwenden,
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schnell auf verschiedene musikalische Anforderungen zu reagieren (mach doch mal
den Capodaster in den 5. Bund und spiele das Ganze dann in G-Dur), sie lernten
zuzuhören und musikalisch zu reagieren, wenn das metronomische Tempo mal
abweicht. Vor allem haben sie Spaß daran Dinge zu spielen, die ohne allzugroßem
Übeaufwand dann gut zusammen klingen.
Dabei muß ich gestehen, daß die neuere musikalische Entwicklung der Popmusik (Hip
Hop, Rap, Tecno, Acid Jazz) bei mir keine tieferen und unterrichtsverwertbaren Eindrücke
hinterlassen hat, so daß wir wirklich bloß altbackene Songs von Bob Dylan und den Beatles,
aus verschiedenen Bereichen der internationalen Folklore entlehnte Schinken und einige 500
Jahre alte Hits mit Bordunbegleitungen für die Gruppe aufbereiten und spielen.
Warum ich gerade auf die Veeh- Harfe kam?
Wie so oft spielte der Zufall eine
gewisse Rolle: An der Tagesstätte der
Lebenshilfe gab es ein Instrument, das
dort auf einem Schränkchen ein
Schattendasein fristete, nachdem der
Leiter der Tagesstätte einfach immer
weniger Zeit hatte, sich im Einzelnen mit
den
Jugendlichen
und
ihren
musikalischen
Bedürfnissen
zu
beschäftigen. Dieses Instrument lieh ich mir für die Musikschule aus, hatte natürlich erst mal
meine typischen Musiklehrervorbehalte gegen das Instrument, das durch den
vorgezeichneten Weg auf dem Unterlegblatt die Melodie ermöglichte. Gedanken wie: Ist das
überhaupt ein wirkliches Instrument? Ist das nicht völlig unkreativ, einfach Punkte auf einem
Blatt nachzuspielen? - Assoziationen mit den alten Ausmalbüchern und "Malen nach Zahlen"
kamen mir in den Sinn mit den ganzen gewichtigen pädagogischen Bedenken, die man so als
Sachwalter der Kreativität unbedingt haben zu müssen glaubt.
Es gelang!...
1. ... meine kreativitätspädagogischen Gedanken hintanzustellen,
2. ... einigen meiner Jugendlichen eine komplette Melodie auf dem Instrument zu spielen.
Damit war der Anfang gemacht, die Freude bei allen Beteiligten war groß, die
gemeinsame Entdeckungsreise in eine neue Instrumentengruppe begann. Ich hatte keine
Ahnung, daß es fertige Notenmappen für das Instrument gibt, Vorlagen zum schnellen
Schreiben von Noten, ja sogar ein Computerprogramm zur Notation - also mußte ich alles
selbst "erfinden": Notationsweise, Farbcodes für kurze und lange Noten,
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Unterrichtsmethoden für die Vermittlung der rhythmischen Werte.
Wir bestellten für die Musikschule ein eigenes Instrument, das mir Herrmann Veeh auf
meinen Wunsch diatonisch baute. Die Vorteile überwiegen für mich auch nach zweijährigem
parallelen Gebrauch des chromatischen und des diatonischen Instrumentes: Unkompliziertere
Handhabung für die Spieler und für mich, der ich die Instrumente stimmen muß. Die leichte
Einschränkung, daß manchmal ein Fis oder B gebraucht wird ist mit einer kleinen
Umstimmaktion für den betreffenden Ton in wenigen Sekunden erledigt. Leider ist
serienmäßig noch kein diatonisches Instrument verfügbar, doch ich werde hartnäckig
dranbleiben, daß es irgendwann doch im Programm ist.
Die wichtigste Entdeckung kam wieder zufällig: Durch das Mitmachen zweier
Flötistinnen, die auf Tenor, Alt und Baßflöte die Melodien mit- und vorspielten, erreichten
wir für die Veeh- HarfenspielerInnen einen viel direkteren, sozusagen intuitiven Zugang zum
Rhythmus. Das Gespür für Auftakte, lange Noten, schnelle Passagen kam nicht vom
allwissenden Musiklehrer der das Ensemble dirigiert, sondern praktisch schräg von der Seite
her von den MitspielerInnen. Das Erfassen rhythmischer Strukturen geht also nicht alleine
und ausschließlich über die kognitive Schiene, sondern über das Hörerinnern, das Gespür für
die richtige Stelle, wo ein Ton hingehört.
Als das klar geworden wa,r stellte ich meinen Unterricht mit dem bandworkshop auf eine
völlig andere Grundlage. Das, was mir vorher wie "Malen nach Zahlen" vorgekommen war,
entpuppte sich als nicht weniger kreativ als der abstrakte Zugang über Tonhöhen und
rhythmische Zeichen (Noten) also über eine reine Symbolschrift.
Als jemand der auch ein Bein im Jazz hat und Interesse an allen möglichen Richtungen
der Weltmusik, wo das Notenlesen eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle spielt, fühlte
ich mich plötzlich auf neue Art zu Hause, weil diese Art des Musiklernens mir selbst sehr
vertraut ist.
Vorspielen, nachsingen, nachspielen.
Musizieren begreife ich immer mehr als kommunikativen Prozess, bei dem es darum geht
zwischen den Spielern selbst, auch zwischen Musikmachenden und Zuhörern ein
kommunikatives Feld aufzubauen, in dem dann die gemeinsame Musik aufgehoben ist. Dies
als vorrangiges Ziel immer vor Augen, kann man dann völlig undogmatisch und offen alle
möglichen Klangerzeuger in das Geschehen einbauen, und damit auch alle möglichen Spieler,
die diese Klangerzeuger musikalisch bewegen.
Musik = Bewegung!
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Vor dem Hintergrund dieser Gleichung (die ich seit vielen Jahren als festes Axiom mit mir
herumtrage) ist der eingezeichnete Weg auf einer Veeh-Harfe ein genau so legitimes und
praktisches Mittel zum lebendigen Musizieren wie es eine in abstrakter Notenschrift
abgefaßte Partitur ist. Beides gibt eine Handlungsanweisung zum Spielen, das eine etwas
konkreter lesbar, das andere etwas abstrakter gestaltet.
So gesehen ist die Veeh-Harfe eine wunderbare Möglichkeit Menschen aktiv an der
Musik teilhaben zu lassen, denen der Weg über die abstrakte Symbolschrift sonst verwehrt
wäre. In unserem folklore-bandworkshop haben wir jedenfalls viel Freude, seit wir dieses
Instrument in unsere Gruppe mit aufgenommen haben.
Ach so, was ist eigentlich eine Veeh- Harfe?
Ein etwa zithergroßes Instrument mit
14 bis über 30 Saiten (je nach Hersteller
und Baumuster), das als Tischharfe
schräg vor sich liegend gespielt wird mit
den Fingern oder mit dem Plektrum
(unsere bevorzugte Variante). Auf die
Decke des Instrumentes unter die Saiten
kann man ein Blatt legen, auf dem
eingezeichnet ist wo angezupft werden
muß (siehe Foto). Es müssen dann hauptsächlich noch die rhythmischen Werte erarbeitet
werden, um recht einfach und schnell zu einer Melodie zu gelangen.
Am besten ist: Selbst ausprobieren!! Das Instrument erklärt sich dann von selbst.
Hier noch die Anschriften von Herstellern der Instrumente, die auf diese Weise eingesetzt
werden können.
Veeh- Harfe, Johanna Krauß, Ochsenfurter Straße 32, 97258 Gülchsheim, 09335/328
Fränkische Tischharfe, Werkstatt für Behinderte, Auhof, 91161 Hilpoltstein,
09174/99361
C.A.B. Records, Unterer Kaulberg 30, 96049 Bamberg, 0951/54899
"...wie, da kommen auch Behinderte?" - Projektarbeit als
praxiserprobter Weg zur Integration
Angelika Neuse / Claudia Schmidt
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Wenn in einer Musikschule auch Menschen mit Behinderungen unterrichtet werden, stellt
sich über kurz oder lang die Frage nach Art und Intensität der Integration von behinderten
und nichtbehinderten Schüler/innen. Voraussetzung für integrative Prozesse sind Interaktion
und Kommunikation. Erfahrungen im Umgang miteinander können nur im persönlichen
Kontakt entstehen. Es müssen darum Situationen geschaffen und genutzt werden, die
Begegungen möglich machen, beispielsweise durch ein Musikschulcafe, gemeinsame
Konzerte und andere Projekte. Zwei praxiserprobte Beispiele für ein integratives
Miteinander sollen in diesem Artikel vorgestellt werden.
Zunächst aber zum Begriff "Integration". Der Duden unterscheidet mehrere
Bedeutungen, von denen die folgenden im Zusammenhang mit der Integration behinderter
Menschen wichtig sind:
1. Die Wiederherstellung einer Einheit (Vervollständigung des Ganzen)
2. Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer
gesellschaftlichen Einheit
3. der ein selbständiges 7ebeneinander zu einem
zusammenschließende Prozeß (z.B. europ. Integration)
übergeordneten
Ganzen
(Duden Bd. 5, Fremdwörterbuch, Mannheim 1974)
Ein selbständiges ;ebeneinander ist die Voraussetzung für den Kontakt untereinander
und kann demnach bereits eine Form von Integration sein - die Musikschule als
"übergeordnetes Ganzes" (vgl. 3) bietet musikalische Freizeitgestaltung für alle,
selbstverständlich auch für behinderte Menschen. Der Klassik liebende Pianist (mit
Kontaktlinsen), der (phongeschädigte) Rock-Gitarrist, der Folk-liebende Akkordeonist (mit
Down Syndrom) - alle sind Musikschulschüler.
Will man vom Nebeneinander zum gemeinsamen Musizieren kommen, ein Anspruch, den
jede Musikschule als zur Musik (-ausbildung) gehörend mit einem breiten Spektrum an
Ensembles, Orchestern, Bands und anderen Angeboten umsetzt, verdeutlicht die zweite
Bedeutung von Integration, dass dies in Form eines gleichberechtigten Miteinander
geschehen muss. Dabei ist ohne die Einzigartigkeit jedes Einzelnen und die Notwendigkeit,
die Verschiedenheit der Menschen zu respektieren, kein Miteinander möglich (nach
Begemann).
Jeder bringt sich und seine persönlichen Möglichkeiten beispielsweise im Rahmen eines
gemeinsamen Projektes ein, wobei Musik als nonverbale Sprache ein besonders geeignetes
Medium ist. Ein Miteinander bedeutet nicht das Warten auf die Schwächsten - jeder hat das
Recht auch innerhalb des übergeordneten Ganzen, beispielsweise eines integrativen
Ensembles individuell gefordert und gefördert zu werden. Mit Hilfe innerer Differenzierung
kann "jede beteiligte Person nach Maßgabe ihrer Wahrnehmungs-, Denk- und
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Handlungskompetenzen" (Feuser 1990) mitarbeiten.
Für das gemeinsame Musizieren bedeutet dies, dass jeder Mitspieler sich auf der Ebene
seines Leistungsstandes einbringen kann. Das Orchester erklingt nur mit verschiedenen
Stimmen als Ganzes, es sollten nicht alle die erste Geige spielen. Im Zusammenspiel müssen
darum auch nicht alle das gleiche Niveau haben, um zu einen befriedigenden gemeinsamen
Klangergebnis zu kommen. Auch eine Stimme mit 3 Tönen hat ihre Berechtigung und ist
wichtig für den Gesamtklang.
I"ntegrative Musikgruppen sind für erfolgreiche Kontakte zwischen behinderten
und nichtbehinderten Menschen besonders geeignet, da die Kontakte auf
freiwilliger Basis und ohne Leistungsdruck von außen zustande kommen und die
Beteiligten ein gemeinsames Ziel in Form gelungenen Musizierens verfolgen"
(Kraus 1999).
Nach der Untersuchung von Kraus führten die Kontakterfahrungen in diesem Kontext bei
den nichtbehinderten Musiker/innen in der Regel zu positiven Einstellungen gegenüber
behinderten Menschen.
Eigentlich ist dieses Verständnis von "Integration" auch ein immer wieder und
notwendigerweise zu leistender Brückenschlag zwischen den verschiedenen Fachbereichen
(MGA trifft das Blasorchester, das Jugendsinfonieorchester gestaltet einen Auftritt mit der
Big Band, Einzelunterricht gewöhnte Klavierschüler musizieren in Kammermusikensembles
und Jazzbands etc.), wie ihn eine lebendige Musikschule braucht und der für viele
Kollegen/innen letztlich anregender verläuft als zunächst angenommmen (na gut, wenn es
sein muß, organisiere ich das XY-Konzert mit Kollege Z zusammen).
Ein Fachbereich "Sonderpädagogik" wäre genauso zu behandeln: zunächst organisiert er
seine fachbereichsspezifischen Unterrichtsangebote, um dann seine Schülerschaft innerhalb
der Musikschule in "weiterführenden" Kontakt zu bringen und somit in das Musikschulleben
zu "integrieren".
Geeignete Formen für erste und auch weiterführende Erfahrungen im Miteinander
reichen dabei von Projekten mit zeitlicher Befristung (beispielsweise gemeinsame Konzerte,
einmalige Workshops jeder Musikrichtung, Probenwochenenden/Fahrten, Gestaltung
besonderer Feste) bis zum langfristigen Aufbau integrativer Ensembles und Bands. Durch
vielerlei gemeinsame Projekte und auch durch das musikschuleigene Cafe als ungezwungene
Begegnungsmöglichkeit entstehen an der Musikschule Bochum seit Jahren persönliche
Kontakte. Das aufeinander-zu-gehen braucht Zeit und Gelassenheit, aber es ist letztlich eine
Chance auch voneinander zu lernen. Denn:
Es ist normal, verschieden zu sein!
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Im Nachfolgenden sollen zwei integrative Projekte der Musikschule Bochum vorgestellt
werden:
Die Veranstaltungsreihe "Mi-Ma-Mu" als jeweils zeitlich begrenztes Projekt
Die integrative Band "Just Fun" als dauerhafte Form
Veranstaltungsreihe "Mi-Ma-Mu":
Die Mit-Mach-Musik öffnet 1-2 Mal jährlich ihre "Werkstatt"-Tore und lädt alle
Musikschulschüler im Alter von 6-12 Jahren ein, im Laufe eines Samstagnachmittags ein
kleines Musiktheaterstück zu erarbeiten. Die teilnehmenden Kinder können sich entscheiden,
ob sie in einer Kleingruppe mit dem Schwerpunkt Musikinstrumente oder Bewegung/Tanz
oder Theater oder kreatives Gestalten einen Teil der zu diesem Zeitpunkt noch nicht
bekannten Geschichte erarbeiten wollen. Nach circa 1 ½ stündiger Arbeit in den
verschiedenen "Werkstätten" werden alle Gruppenarbeiten zu einem bunten Ganzen
zusammen gesetzt. Die "Generalprobe" ist dabei gleichzeitig die Uraufführung für
interessierte Zuschauer (vorwiegend Schülereltern), sowie die "Belohnung" und
"Geheimnislösung", weil jeder Einzelne endlich die gesamte Geschichte erlebt, zu der er
einen Teil beigetragen hat. Diese Teile erlauben entsprechend viel Differenzierung, wobei
sich die Kleingruppen nicht nach Alter oder Schwere der Behinderung bzw.
Nichtbehinderung zusammensetzen, sondern allein nach persönlichem Interesse. Die
Kleingruppen werden geleitet von Lehrer/innen der Musikschule unter Mithilfe von
Zivildienstleistenden und Praktikantinnen sowie einzelnen Gästen von außen (oft Lehrer
einer kooperierenden Sonderschule). Innerhalb der Musikschule ist es dabei möglich, immer
wieder andere Musikschulkollegen als Mitarbeiter zu gewinnen. So kommen Kollegen aus
dem Bereich Musikunterricht mit behinderten Schülern, der MFE/MGA und
Instrumentallehrer/innen zusammen, so dass auch hier ein sich gegenseitig bereicherndes
Miteinander entsteht.
Das übergeordnete Thema muss dabei so ausgewählt sein, dass es sich gut in
"Einzelbildern" erarbeiten lässt (lineare Struktur). Die Einzelbilder stellen die Inhalte für die
Kleingruppenarbeit dar und werden durch ein Grund-Motiv rondoartig verbunden, am besten
durch ein immer wiederkehrendes Lied ("Refrain"), das dieses Motiv benennt (z.B. Suche
nach einem Freund). Gegebenenfalls ergänzt ein Erzähler kurze, die Einzelbilder
verbindende Texte. Lineare Geschichten erleichtern auch sehr das eventuell notwendige
Kürzen oder Dazuerfinden weiterer Einzelbilder, so dass sie hinsichtlich Gruppengrößen und
Anzahl variabel angepasst werden können.
Ein Klassiker für solch ein Thema ist sicherlich die Geschichte von Swimmy (L. Lionni),
einem kleinen Fisch, der sich nach dem dramatischen Verlust seiner Freunde auf den Weg
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durch das weite Meer macht. Dabei begegnen ihm viele wundersame Meeresbewohner, die
man in einer "Musikwerkstatt" unterschiedlich erarbeiten kann. Die Kleingruppen haben
dabei jeweils einen identischen kleinen "Papp-Swimmy" und überlegen sich eine Gestaltung
für ihren Teil der Geschichte. So kann die Musikinstrumentengruppe die "schillernden"
Quallen akkustisch tanzen lassen und eine entsprechende Musik dazu erfinden, eventuell
sogar mit besonderen Instrumenten. Natürlich ließe sich auch der dramatische Anfang mit
den großen Raubfischen musikalisch leicht umsetzen. Die Bewegungsgruppe gestaltet
vielleicht einen "Tanz der Seeanemonen" zur von der Gruppenleitung vorgegebenen Musik.
Theaterinteressierte Kinder können mit Hilfe von Tüchern und anderen Requisiten ebenfalls
vielerlei Meeresbewohner darstellen, beispielsweise den riesenlangen Aal, an dem Swimmy
vorbei schwimmt. Und die "Bastelfans" schaffen mit "Algenartigen" Girlanden und Tüll die
stimmungsvolle Bühnendekoration oder mit vielen Pappfischen aus Neonkarton
(schwarzlichtfähig!) die kleinen Freunde von Swimmy, die sich mit etwas Übung im
Abschlussbild zu einem großen Riesenfisch zusammen stellen und zur Überraschung für alle
plötzlich zusätzlich mit einer Schwarzlichtröhre angestrahlt werden. Das alles verbindende,
refrainartige Lied kann durch eine Textumdichtung zu einer bekannten Melodie entstehen, in
der erzählt wird, dass Swimmy allein ist und auf der Suche nach neuen Freunden durchs
weite Meer schwimmt.
Hier wurde exemplarisch die Geschichte von Swimmy ausgewählt in der Annahme, dass
sie den meisten Leser/innen geläufig ist und sich entsprechend schnell die persönliche
Vorstellungskraft und Phantasie daran entzünden, eigene Gestaltungsideen zu entwickeln.
Mittlerweile sind viele Geschichten (oft nach Bilderbuch-Vorlagen) mal mehr, mal weniger
"textgetreu" in Mit-Mach-Musik-Veranstaltungen erarbeitet und umgesetzt worden. Immer
waren behinderte Kinder dabei, jeder fand seinen Platz mit seinen individuellen
Möglichkeiten, sich einzubringen. Es gibt mittlerweile fast so etwas wie ein Stammpublikum
und es macht allen Beteiligten immer wieder viel Spaß - eine Projektform, die sich bewährt
hat!
"Nachtrag": Übrigens ist die Geschichte von Swimmy ein gelungenes Beispiel für
Integration. Jeder kann seine Eigenart behalten (hier: verschiedene Farben), jeder wird für
das Miteinander gebraucht und hat seinen unverwechselbaren Platz im "Gesamtklang" (hier:
Riesenfisch).
Just Fun - integrative Band der Musikschule Bochum
Mittwoch Nachmittag in der Musikschule: Jan spielt mit dem Saxophon die Stimme des
Keyboarders Lars im 6 - Tonraum mit, improvisiert anschließend über einen Moll- Blues,
begleitet von einer Rhythmuscombo, während Heike Vibraslap spielt und Nicole Melodika.
Break vom Schlagzeuger. Lars beginnt seine Improvisation auf den schwarzen Tasten
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(Pentatonik - mit Hilfe der Transposetaste in allen Tonarten spielbar) mit den Worten: "Jan,
(ich) spiele jetzt mit Gefühl und Phantasie, is´ wichtig!".
Jan studiert Wirtschaftswissenschaften und Lars arbeitet in einer Werkstatt für
Behinderte. Sie sind zwei von achtzehn Mitgliedern der integrativen Band "Just Fun". Eine
integrative Band, die wie viele Bands in diesem Bereich eine ungewöhnliche
Instrumentalbesetzung vorweisen kann: von der Melodika bis zum Saxophon, von der Gitarre
bis zum Cello, von der Rassel bis zum Drumset. Keyboard- und Akkordeonsounds wechseln
sich ab mit Mundharmonika und Posaunenklängen. Für den vocalen Einsatz sorgt ein
Rapper.
Neben gecoverten Songs aus dem Pop-, Rock- und Jazzbereich ("Mission Impossible" Schifrin, "Lady Madonna" - The Beatles, "Peter Gunn Theme" - Blues Brothers, ,"Spain" Che Corea) spielt die Band mittlerweile mehr und mehr eigene Stücke. Der individuelle
Charakter und die musikalischen Kompetenzen der einzelnen Musiker/innen sind dabei
Ausgangspunkt der Arrangements und bestimmen den "Just Fun"-eigenen Stil. Wichtig ist die
Einbeziehung aller, auch der behinderten Bandmitglieder in den Kompositionsprozess sowie
die individuelle Herangehensweise der einzelnen Musiker/innen an ihr Instrument.
Ein Schwerpunkt der musikalischen Arbeit ist die Heranführung der Spieler an freie und
gebundene Improvisation: Freie Posaunen- und Mundharmonikasoli stehen neben
herkömmlichen Saxophonsoli. Einen anderen Schwerpunkt bildet die Komposition von
Klangfarben, die sich aus der immer wieder neuen instrumentalen Besetzung ergibt. So
wechselt die Akkordeonistin beispielsweise je nach Stück von ihrem eigentlichen Instrument
Akkordeon zu Posaune und Schlagwerk. Besondere Klangfarben bilden und ändern sich
durch den parallelen Einsatz von Vibraphon (E-Pad) und Steeldrum, Mundharmonika und
Akkordeon. Unterschiedliche Percussioninstrumente werden zur atmosphärischen wie zur
rhythmischen Begleitung eingesetzt. Der Song "Peter Gunn Theme" von den Blues Brothers
beispielsweise wird bestimmt durch ein rockiges E-Bass/Gitarren- Ostinato, über das alle
Instrumente das Thema spielen. Anschließend folgt ein Solo für 3 Mundharmonikas, gefolgt
von einem Wechselsolo Posaune - Rapgesang. Das Thema von "Mission Impossible" ist
geprägt durch den Saxophonsound. Akkordeon, Keyboard, Melodika und E-Pad ergänzen
mit atmosphärischen Klangfarben. Im Mittelpunkt dieses Arrangements steht außerdem ein
kollektives Percussion-Solo mit allen Musiker/innen.
J"ust Fun"
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26.08.2010 12:55
http://www.athmann.de/verlag/online/bams/bams203.htm#cap10
Wie alles begann...
1989 organisierte die Musikschule Bochum ein neues Ensembleangebot für behinderte
Schüler, die bereits 2 Jahre Unterricht auf ihrem Instrument erhalten hatten. Nach und nach
entstand das achtköpfige Ensemble "Die Notenband" mit den Instrumenten Keyboard,
Akkordeon, Melodika, Gitarre, Blockflöte, Stabspielen und Schlagwerk.
1995 gab es einen Leitungswechsel, der Musikstil Folklore, Gospels, Spirituals und
allgemein populäre Melodien ("Tanz der wilden Pferde", "Kol Dodi", "Freude schöner
Götterfunken", "Rock My Soul") wurde zunächst in Richtung "rockiger Schlager" erweitert.
Nach und nach kamen andere Stilrichtungen dazu.
Durch gemeinsame Workshops beispielsweise mit einer Musikschuljazzband, den
Streichern des Jugendsinfonieorchesters der Musikschule und auch durch Gastmusiker aus
dem Pop-, Rock- und Jazz-Bereich entstand die Idee, verstärkt integrativ zu arbeiten. Mehr
und mehr nichtbehinderte Musikschüler aus anderen Fachbereichen erweiterten die
Besetzung. Die Gruppe wuchs auch durch zunächst "dienstverpflichtete" Zivildienstleistende
der Musikschule und Praktikantinnen, die blieben bzw. später wiederkamen. Ergebnisse der
Projekte mit anderen Musiker/innen: viel Spaß, weitere Bandmitglieder und neue Ideen für
Arrangements. Die durch den Workshop-Charakter (freiwillige Teilnahme, zeitliche
Begrenzung) geprägten Begegnungen bieten den Vorteil, dass ein zwangloses Kennenlernen
der teilnehmenden Musiker/innen und somit auch der Bandmitglieder mit Behinderung
möglich ist. Daneben motivieren die gewonnenen Einblicke in verschiedene Stilrichtungen
sowie erste Erfahrungen mit Improvisation gerade auch die nichtbehinderten Musiker/innen
und machen (vielleicht) Lust auf mehr.
Wie andere Bands auch tritt "Just Fun" selbstverständlich nicht nur bei
musikschuleigenen Veranstaltungen vor Eltern und Freunden auf. Ganz "normale"
öffentliche Engagements für Kulturveranstaltungen, Stadtfeste oder im Sommertheater
Pusteblume Köln sind wichtig für das
(Normalisierungsprinzip)... YOU-Messe Essen
Selbstbewusstsein
aller
Musiker
Die Erfahrung nach 6 Jahren Ensembleleitung zeigt, daß durch eine Vielzahl von
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http://www.athmann.de/verlag/online/bams/bams203.htm#cap10
Projekten einerseits der Kontakt zu nichtbehinderten Musikern ausgebaut bzw. diese als
neue Bandmitglieder integriert wurden. Andererseits unterstützen diese gemeinsamen
Erlebnisse auch das Zusammenwachsen der Gruppe selbst, so dass aus einer Vielfalt von
individuellen Musikern längst eine Einheit geworden ist, in der die Frage nach Behinderung
und Nichtbehinderung nicht mehr relevant ist. Das vorläufige Ergebnis dieser Entwicklung:
18 Musiker/innen und ein Motto: J"ust Fun"
.
P.S.: Für alle, die es wagen wollen, eine integrative Band aufzubauen:
Man nehme
die Offenheit des Bandleaders für die Eigenarten, Besonderheiten und Fähigkeiten der
Bandmitglieder, notwendig für eine kreative Bandarbeit.
den Mut, Ideen auszuprobieren, um beispielsweise individuelle Arrangements zu
erstellen oder gemeinsam zu entwickeln. (Man kann, muss aber nicht vorher
Komposition studiert haben, man kann auch Robert Wagners Artikel über
Selbstverständliches Musizieren, Buchstabenbegleitung u.s.w. in diesem Buch lesen [s.
S. 45].)
die Motivation des Einzelnen als wichtiger an als dessen Begabung.
Literatur:
a) Quellenangaben:
E. Begemann: "Innere Differenzierung an der Schule für Lernbehinderte", Mainz 1987
G. Feuser: "Aspekte einer integrativen Didaktik..." in Eberwein (Hrsg.) "Behinderte und Nichtbehinderte
lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik", Weinheim/Basel 1994
C. Kraus: "Musik baut Brücken - integrative Musikgruppen an Musikschulen aus der Sicht mitwirkender
nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher", unveröffentlichte Diplomarbeit Dortmund 1999
b) Auswahl von Bilderbüchern mit linearer Erzählstruktur:
Leo Lionny: Swimmy, Friedrich Middelhauve Verlag Köln 1964
Tilde Michels/Reinhard Michl: Es klopft bei Wanja in der Nacht, Ellermann Verlag München 1985
Max Bolliger/Jürg Obrist: Der Hase mit den himmelblauen Ohren, Artemis Verlag Zürich und München
1987
Lieve Baeten: Die neugierige kleine Hexe, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1992
Mario Giordano/Sabine Wilharm: Ein Huhn, ein Ei und viel Geschrei, Eine Bauernhofgeschichte, Fischer
Taschenbuch Verlag Frankfurt/M. 1999
c) Integrative Bands - eine CD-Auswahl:
Station 17 "Genau so", Ev. Stiftung Alsterdorf, Hamburg
Spirit Steps "Spirit Steps", Theodor-Fliedner-Werk "Das Dorf", Mülheim 1997
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Brunos Band "Brunos Band", Musikschule Mülheim 1993
Die Regierung "Zäma", St. Gallen Schweiz 1995
Heart and Soul, London
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