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Evolution der Rederei Eine Entwicklung der Talkshow in Deutschland von «Je später der Abend» zu «Britt» von Christian Richter (fertiggestellt im März 2011) -- AUSZUG -- für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an: Christian Richter [email protected] | www.christv.net Jegliche weitere, auch teilweise, Veröffentlichung ist mit dem Autor abzusprechen! 1 1. Einleitung 1.1 Fragestellung „Tussen-Alarm bei Bärbel: So sexy wie ich ist keine!“ 1, „Schwabbelsex - Seit ich dick bin, geht bei mir die Post ab!“2, „Zahltag - Wir haben gepoppt, jetzt will ich deine Kröten!“3, „Sperma-Quiz - Wer ist der Vater von meinem Kind?“ 4 oder „Super-Moppel XXL - 120 Kilo Erotik pur!“ 5 sind nur einige Beispiele für die Themen, die seit Ende des Jahrtausends öffentlich in nachmittäglichen „Talkshows“ besprochen wurden. Immer wieder beanstandeten die Landesmedienanstalten die Nichteinhaltung des Jugendschutzes in den Sendungen. So wurde gegen den Kanal Sat.1 ein Bußgeld in Höhe von 100.000 DM wegen einer Ausgabe von «Sonja» 6 mit dem Titel „Hilfe, mein Kind schlägt mich“ verhängt. „In der Sendung wurde ein ca. elfjähriges Mädchen als Talkgast von der eigenen Mutter, vom Studiopublikum und auch von der Moderatorin angegriffen und sichtlich in die Enge getrieben“, hieß es in der Begründung 7. Die Show „Jungs auf die Knie! Sexgöttinnen bei Britt“8 wurde beanstandet9, weil dort offen über riskante Sexualpraktiken gesprochen wurde, ohne dass diese kritisch hinterfragt wurden10. Der Vorsitzende des Medienrats der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) Klaus Kopka sagte damals öffentlich über eine RTL-Talkshow: „Was bei Hans Meiser läuft, ist unter aller Sau.“11 Später äußerten sich selbst die Protagonisten kritisch über ihre damaligen Programme. Die ehemalige RTL-Moderatorin Birte Karalus gestand in einem Interview: „Nie wieder würde ich eine Nachmittags-Talkshow machen. [...] Es gab Augenblicke, da stand ich im Studio und habe mich geschämt. Sinnloser Krawalltalk! Da zog sich mir der Magen zusammen.“ 12 Und auch der Sprecher des Senders ProSieben gab zu: „Wir haben Folgen ausgestrahlt, die wir «Bärbel Schäfer» vom 23. Februar 2001 «Britt» vom 02. Februar 2005 3 «Franklin» vom 29. April 2004 4 «Oliver Geissen Show» vom 24. November 2004 5 «Britt» vom 04. März 2011 6 «Sonja» vom 25. April 1997 7 Reufsteck, Michael, und Niggemeier, Stefan (2005): Das Fernsehlexikon – Alles über 7000 Sendungen von Ally McBeal bis zur ZDF-Hitparade. München: Wilhelm Goldmann Verlag, S. 1120 8 «Britt» vom 17. April 2001 9 von der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt 10 „Medienwächter kritisieren Sex und Gewalt im Privat-TV“ in: SPIEGEL ONLINE vom 04. Dezember 2001: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,171023,00.html [aufgerufen am 09. März 2011] 11 „Hans Meiser schlägt zurück“ in: SPIEGEL ONLINE 13/1999 vom 30. März 1999: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,15283,00.html [aufgerufen am 09. März 2011] 12 Reufsteck/Niggemeier, 2005, S. 157 1 2 2 heute nicht mehr ausstrahlen würden. Nachmittagsprogramm nichts zu suchen haben.“ Haben Sachen gezeigt, die im 13 Das Genre Talkshow hat in ihrer Ausprägung als tägliche Nachmittagssendung folglich extreme Züge angenommen, die oft unter dem Schlagwort „Schmuddeltalk“ zusammengefasst wurden. Diese radikale Entwicklung ist vor allem deswegen verwunderlich, weil die Gattung zunächst ganz harmlos begann. „Es soll alles ganz gemütlich sein“14, kündigte der erste15 deutsche Talkmaster Dietmar Schönherr vor der Einführung des Konzepts an. Seine Sendung «Je später der Abend» setzte mit ihrer Premiere im März 1973 den Startpunkt für die Verbreitung des Genres in Deutschland. Seitdem erfuhr es verschiedene Ausdifferenzierung und hat sich dabei unter anderem in die umstrittenen Daily Talkshows entwickelt. Es stellt sich daher die Frage, wie aus der jungfräulichen Art des Redens in den 70er Jahren die späteren Schmuddelsendungen werden konnten. Gleichzeitig scheint es untersuchenswert, wieso ein Format, in dem nur geredet wird – also einen alltäglichen Vorgang zum Inhalt hat – sich über 40 Jahre gegen andere bildgewaltige und spektakuläre Trends bis heute behaupten konnte. Aufschluss über diese Fragen soll neben einer historischen Rekonstruktion einiger bisheriger Entwicklungslinien auch ein ausführlicher Vergleich der ersten Talkshow «Je später der Abend» mit einer aktuellen Folge der täglichen Nachmittagsshow «Britt» liefern. Er wird zeigen, dass sich das Konzept stark gewandelt und an heutige Sehgewohnheiten, Erwartungen und Anforderungen angepasst hat. Reufsteck/Niggemeier, 2005, S. 84 „Plausch mit Rosa“ in: Der SPIEGEL Nr. 38/1973, S. 167 und Brunst 2005, 13 15 diese Aussage ist umstritten und wird im weiteren Verlauf der Arbeit näher erläutert 13 14 3 1.2 Begriffsbestimmung und Hinweise zum methodischen Vorgehen 1.2.1 Zum Begriff „Talkshow“ Eine Ausarbeitung zum Thema „Talkshows“ wirft automatisch die Frage auf, was genau darunter zu verstehen ist. Vor diesem Problem stand am 18. März 1973 auch der Moderator Dietmar Schönherr als er die erste16 Talkshow im deutschen Fernsehen eröffnete. „Eine Talkshow - was ist das? Darüber zerbrechen sich seit einiger Zeit die Fernsehmacher in den verschiedenen Anstalten die Köpfe. Sie haben sicherlich viel darüber gelesen und gehört. [...] Talk kommt von to talk, reden, und das Ganze ist also eine Rederei.“17 So einleuchtend diese simple Definition zunächst klingen mag, so beschreibt sie das Format nicht annähernd genau. Schaut man sich eine aktuelle Fernsehzeitung 18 an, findet man hinter Sendungsnahmen wie «Beckmann», «Markus Lanz», Anne Will», «Britt», «Hart aber fair», «Unter Uns», «NDR Talkshow» oder «Nachtcafé» den Vermerk „Talk“ oder „Talkshow“. Sendungen, die wenn man sie anschaut, eine recht heterogene Zusammenstellung bilden. Der Autor Harald Keller bemerkt daher, dass sich „gerade das Talkshow-Genre [...] durch eine schwer zu fassende Vielfalt“ auszeichnet19. Entsprechend stellen Michael Steinbrecher und Martin Weiske in der Einleitung ihres Buches die nachvollziehbare Frage, „warum [...] «Live» als Talkshow [gilt] und «Wetten, dass..?» nicht? Getalkt wird auch dort, und die Gäste sind häufig die gleichen.“20 Um also über Talkshows sprechen zu können, muss geklärt werden, welche Merkmale sich abseits der bloßen „Rederei“ dahinter verbergen. In Kenntnis der Tatsache, dass es angesichts einer immer stärkeren Ausdifferenzierung des Genres schwer fällt, eine allumfassende und abschließende Abgrenzung vorzunehmen, haben Christian Schicha und Jens Tenscher in der Einleitung ihrer Aufsatzsammlung „Talk auf allen Kanälen“ fünf wesentliche Gemeinsamkeiten identifiziert: diese Aussage ist umstritten und wird im weiteren Verlauf der Arbeit näher erläutert Keller, Harald (2009): Die Geschichte der Talkshow in Deutschland. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 231; dort zitiert er ein Transkript der ersten Ausgabe 18 konkret: „TV Guide“ Nr. 5/2011 – gültig vom 26. Februar bis 11. März 2011 19 Keller 2009, 13 20 Steinbrecher, Michael, und Weiske, Martin (1992): Die Talkshow: 20 Jahre zwischen Klatsch und News – Tips und Hintergründe. München: Verlag Ölschläger GmbH, S. 11 16 17 4 die zentrale Relevanz des Bausteins "Gespräch", das den inhaltlichen und formalen Ablauf der Sendung bestimmt, die Schlüsselrolle des Gastgebers bzw. Moderators, die Anwesenheit mindestens eines, oftmals jedoch mehrerer Gäste, der Seriencharakter, d.h. eine bestimmte Ausstrahlungssequenz (zumeist täglich oder wöchentlich) sowie das häufig vorhandene Studiopublikum21 In der Einleitung seines Buches „Talkshows im deutschen Fernsehen: Konzeptionen und Funktionen einer Sendeform“ nennt Matthias Fley weitere Kriterien. Unter anderem macht er zwei im Bild sichtbare Personen, die miteinander reden, sowie deren lokale Einheitlichkeit22 zur Bedingung. Gesprächssendungen mit Live-Schaltungen (wie etwa oft bei «Larry King Live») oder mit Anrufern (sogenannte Call-In-Sendungen wie z.B. «Domian») werden von seiner Definition daher nicht erfasst. Dieser Unterschied in den Definitionen ist insofern unerheblich, als dass beide Ansätze darüber hinaus in den oben aufgezählten Punkten übereinstimmen und die in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich besprochenen Formate von beiden erfasst werden. Schicha und Tenschers Katalog vermag jedoch nicht das angesprochene „Wetten, dass..?“-Problem zu lösen. Dies gelingt hingegen Fley, indem er fordert, dass in einer Talkshow ein überwiegender Teil der Sendung aus Gesprächen bestehen muss. Im weiteren Verlauf seiner Ausarbeitung nennt er einen Gesprächsanteil von mindestens 60 Prozent23. Die Kombination aus beiden Festlegungen soll für die folgende Untersuchung gelten. 1.2.2 Arten von Talkshows Die angesprochene Vielfältigkeit des Genres macht auch eine Unterteilung in einzelne Arten schwierig, zumal viele Vertreter Mischformen oder Grenzgänger darstellen. Zudem schwanken manche Formate je nach Ausgabe in ihrer Ausrichtung. Daher lassen sich verschiedene Einteilungsmöglichkeiten finden. Tenscher, Jens, und Schicha, Christian (Hrsg.) (2002): Talk auf allen Kanälen: Angebote, Akteure und Nutzer von Fernsehgesprächssendungen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 10; darin wird verwiesen auf (Berghaus, Margit, und Staab, Joachim Friedrich (1995): Fernsehshows auf deutschen Bildschirmen. Eine Inhaltsanalyse aus Zuschauersicht. München: Reinhard Fischer, S. 25) 22 vgl. Fley, Matthias (1997): Talkshows im deutschen Fernsehen: Konzeptionen und Funktionen einer Sendeform. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer, S. 20) 23 vgl. Fley 1997, 100 21 5 Harald Keller benennt in seinem Buch „Die Geschichte der Talkshow in Deutschland“ beispielsweise folgende Subgenres politische Talkshow Unterhaltungs-Talkshow Prominenten-Talkshow Ratgeber-/Lebenshilfe-Talkshow Konfrontations-/Combat-/Streit-Talks (auch Confrontational-Talkshow) Bekenntis-Talkshow (auch Confessional-Talk) Late-Night-Show Jugend-Talkshow24 Dabei orientiert er sich stark an den konkreten inhaltlichen Schwerpunkten der Sendung. Steinbrecher und Weiske folgen dieser Einteilung insofern, als dass sie explizit die Untergenres „Confessional-Talk“ und „Confro-Talk“25 benennen und erläutern. „Confessional-Talk“ definieren sie als „Talkshows, in denen nicht-prominente Gäste über gesellschaftliche Tabuthemen sprechen“ und „Confro-Talks“ als Format, „bei dem über ein kontroverses Thema in einer künstlich angeheizten Ringkampfatmosphäre gestritten wird“26. Matthias Fley teilt die Formate hingegen eher nach der Anzahl ihrer Themen und Gesprächspartner ein. So identifizierte er drei Typen, nämlich athematische, monothematische und polythematische Sendereihen. In der ersten Gruppe, also den athematischen Sendungen, orientieren sich die Gesprächsinhalte an den Gästen und die Themen variieren von Gast zu Gast. Demnach würde diese Gruppe am ehesten der klassischen Form der Talkshow in den 1970er Jahren entsprechen. Als späteres Beispiel benennt er die «Harald Schmidt Show»27. Hingegen behandeln monothematische Reihen nur ein einziges Thema oder einen Themenkomplex pro Sendung. Die Gäste sind eingeladen, weil sie aufgrund ihres Expertenstatus, ihrer Funktion oder eigenen Erfahrungen etwas zum Thema beitragen können. Daily Talkshows wie «Arabella» und «Fliege» werden als typische Vertreter genannt 28. Werden innerhalb einer Sendung mehrere unterschiedliche Themen angesprochen, wobei der Themenwechsel durch einen Moderator angekündigt wird, liegt nach Fley Keller 2009, 20 Steinbrecher/Weiske 1992, 131ff 26 Steinbrecher/Weiske 1992, 109 27 vgl. Fley 1997, 52 28 vgl. Fley 1997, 54 24 25 6 eine polythematische Sendung vor. Ein Themenwechsel ist dann auch häufig mit einem Gästewechsel verbunden. «Schreinemakers Live» wird als Beispiel vorgestellt29. Oft ist auch eine Einteilung schlicht nach den Sendezeiten oder Häufigkeiten ihrer Ausstrahlung zu finden. Demnach heißen die Vertreter dann „Sunday Morning Show“, „Daytime Talkshow“, „Daily Talk“ oder „Late Night Show“. Tückisch ist dabei jedoch, dass sich mit einzelnen Begriffen wie etwa “Daily Talk” oder “Late Night Show” konkrete Sendekonzepte mit festen inhaltlichen Merkmalen verbinden30. Das Problem wird auch an dieser Stelle nicht zu lösen sein, es sollte dadurch nur ein Eindruck der Komplexität des Themas vermittelt und die wichtigsten Begriffe eingeführt werden. 1.2.3 Gegenstand der Analyse Auch wenn sich inhaltliche Aspekte nachfolgend nicht völlig ausklammern lassen, wird sich die Untersuchung vorrangig auf formale Kriterien wie Abläufe, Umsetzungen und räumliche Gegebenheiten konzentrieren. Es soll also nicht darum gehen, wie gesprochen wird, sondern eher wie das Gespräch verpackt, vorbereitet, gefördert oder gehemmt und inszeniert wird. Konkrete Gesprächsanalysen bleiben also bewusst außer Acht. 1.2.4 Zur Methode des Vergleichs Es wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit einen ausführlichen Vergleich zwischen den Sendungen «Je später der Abend» (1973 bis 1978) und «Britt – Der Talk um eins» (seit 2001) geben, um zu verdeutlichen, welche Veränderungen das Konzept der Talkshow in diesem besonderen Fall durchlaufen hat. Man mag dieser Vorgehensweise entgegnen, dass der Vergleich hinkt, weil zwei gänzlich unterschiedliche Ausprägungen des Genres verglichen werden. So verschieden die beiden Sendungen auch zunächst erscheinen mögen, so ist ihnen jedoch gemein, dass sie das Gespräch zwischen Menschen als zentralen Bestandteil haben. Es wird also vor allem darum gehen, wie unterschiedlich das „Reden“ inszeniert sein kann und welche Auswirkungen sich mit der unterschiedlichen Inszenierung 29 30 vgl. Fley 1997, 56 vgl. Keller 2009, 21 7 ergeben. Zusätzlich wird ein Vergleich auch deswegen legitimiert, weil sich beide Sendungen selbst unter dem Begriff „Talkshow“ subsumieren. Im Folgenden werden quasi zwei Schnitte in die Fernsehgeschichte gemacht und diese beiden Stichproben miteinander verglichen. Bei dieser Methode kann es sich dadurch lediglich um einen Vergleich zwischen Momentaufnahmen handeln. Eine Gegenüberstellung zwischen anderen Sendungen würde sicher ein anderes Bild ergeben. Diese Verfahrensweise birgt das Problem in sich, dass keine Entwicklungsprozesse beleuchtet werden können, also der Weg zwischen den beiden Einschnitten verborgen bleibt. Um jedoch verstehen zu können, wie aus der Sendung «Je später der Abend“ in den 1970er Jahren eine Sendung wie «Britt» im Jahr 2011 werden konnte, wird nachfolgend auch versucht, die Entwicklungsgeschichte des Formats in Deutschland samt seinen Wurzeln in den USA zu rekonstruieren. 1.2.5 Die besondere Bedeutung von «Je später der Abend» für die deutsche Fernsehgeschichte «Je später der Abend» soll aus mehreren Gründen der Ausgangspunkt für den Vergleich und die Entwicklung des Genres in Deutschland sein. Der Hauptgrund liegt darin, dass sie allgemein als erste deutsche Talkshow gilt 31. Diese Aussage ist jedoch etwas umstritten. Matthias Fley beispielsweise behauptet, dass es „bereits in den ersten Jahren des deutschen Fernsehens [...] einige Sendungen [gab], die aus heutiger Sicht eindeutig als Talkshow klassifiziert würden, allein der Begriff war noch nicht vorhanden“32. Schicha/Tenscher bezeichneten sie deswegen lediglich als erste „nicht-politische Prominenten-Talkshow“33. Trotz Kenntnis früherer deutscher Gesprächsformate nennen Steinbrecher und Weiske «Je später der Abend» dennoch als „die erste Talkshow“34. Auch in der Rekonstruktion von Stefano Semeria wird sie eindeutig als „erste Talkshow im deutschen Fernsehen“ bezeichnet35. Aller dieser Vorbehalte zum Trotz, kann allerdings unstrittig festgehalten werden, dass es sich bei «Je später der Abend» um die erste Sendung handelt, die sich selbst als Talkshow bezeichnete und damit einen gewollten Bezug auf die amerikanischen vgl. „Je später der Abend“ in: Wikipedia.de (http://de.wikipedia.org/wiki/Je_sp %C3%A4ter_der_Abend [aufgerufen am 09. März 2011]) 32 Fley 1997, 22 33 Schicha/Tenscher in: Tenscher/Schicha (Hrsg.) 2002, 11 34 Steinbrecher/Weiske 1992, 141 35 „Die Daytime Talkshow - Zur Erfindung eines Genres in den USA und dessen Adaption in Deutschland“ von Stefano Semeria in: Tenscher/Schicha (Hrsg.) 2002, 173 31 8 Vorgänger herstellte. Frühere Formate liefen noch unter dem sperrigen Titel Gesprächssendung. Erst mit «Je später der Abend» kam der Begriff „Talkshow“ also nach Deutschland. Moderator Dietmar Schönherr selbst führte ihn in der Eröffnung der ersten Ausgabe ein: „Talkshow ist etwas, was wir alle nicht kennen. Ich hoffe, Sie haben Lust, es gemeinsam mit mir und mit unserem Publikum hier kennenzulernen“36. Darüber hinaus prangte der Begriff „Talkshow“ (gleichwertig zum eigentlichen Sendetitel) in der Dekoration der Show37. Selbst der oben erwähnten skeptischen Haltung von Matthias Fley ist zu entnehmen, dass auch er der Sendung die erste Verwendung des Begriffs zurechnet. Darüber hinaus war es jene Sendung, die einen ersten „Talkshow-Boom“ auslöste und mit ihren zahlreichen Nachahmern das deutsche Fernsehen nachhaltig veränderte. Bereits im Jahr 1975 – also rund anderthalb Jahre nach der ersten deutschlandweiten Ausgabe von «Je später der Abend» - befürchtete der SPIEGEL einen „Boom auf allen Kanälen“ und kündigte, nachdem das Konzept „in Deutschland wahrhaftig heimisch geworden ist“, einen „Redeschwall ohnegleichen“ an, der sich im Jahr 1976 in „rund 100 Talk-Programmen“38 niederschlagen sollte. In seiner „Geschichte der Talkshow in Deutschland“ bezeichnet Harald Keller die Sendung als „Vorreiter“39, während Matthias Fley sie zusammen mit anderen Sendungen immerhin als „Prototyp“40 charakterisiert. Die Autorin Klaudia Brunst spricht der Sendung – konkret der 19. Ausgabe vom 30. Oktober 1974 in ihrem Buch „Je später der Abend... Über Talkshows, Stars und uns“ gar „die eigentliche Initiation der Talkshow in Deutschland“ zu41. Ähnlich bedeutend fassen Michael Steinbrecher und Martin Weiske ihre Rolle wie folgt zusammen: Fley 1997, 21 vgl. Foto 01, 03, 05 im Anhang 38 „Talk-Shows: Boom auf allen Kanälen“ in: Der SPIEGEL Nr.52/1975, Seite 106 39 Keller 2009, 321 40 Fley 1997, 25 41 Brunst, Klaudia (2005): Je später der Abend... Über Talkshows, Stars und uns. Freiburg: Verlag Herder, S. 25 36 37 9 „Obwohl Programme mit Interview- und Diskussionselementen sowie Prominentenpräsentation keine absolute Neuheit waren, kann die Einführung von "Je später der Abend" durchaus als eine Zäsur im deutschen Fernsehen bezeichnet werden. Allein das gewaltige Echo auf diese Sendereihe veranlaßte alle anderen Fernsehanstalten, alte Talkideen wiederzubeleben und bestehende Projekte zu beschleunigen.“42 Diese herausragende Rolle billigten ihr auch die heutigen Redakteure der Landesrundfunkanstalten zu. Als die ARD im April 2010 ihren 60. Geburtstag feierte, wurden anlässlich dieses Jubiläums besonders bedeutende Sendungen wiederaufgeführt. Neben Showklassikern wie «Am laufenden Band», «Was bin ich?» und «Einer wird gewinnen» wurde auch eine Ausgabe von «Je später der Abend» als einer der wichtigsten Höhepunkte aus der 60jährigen Geschichte wiederholt. An der besonderen Bedeutung der Sendung für das deutsche Fernsehen besteht also flächendeckende Einigkeit, wodurch sie (trotz einiger Vorgänger) als Ausgangspunkt für den folgenden Vergleich dienen soll. --- Ende des Auszugs --für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an: Christian Richter [email protected] 42 | www.christv.net Steinbrecher/Weiske 1992, 142 10