Streicheleinheiten

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Streicheleinheiten
CARBON̘BREMSBELÄGE
Auflösungserscheinung: Schon
nach wenigen Mess-Bremsungen
auf dem TOUR-Prüfstand ist dieser
Belag weitgehend verschlissen
Streicheleinheiten
Felgen aus Carbon erfordern spezielle Bremsbeläge. Auf der
Straße und im Labor mussten sieben Typen beweisen, ob sie ordentlich
verzögern, oder ob sie die Felgen nur zart streicheln
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TOUR 3 | 2008
ǺǫǾǺ Dirk Zedler
ǬǵǺǵǹ Markus Greber
S
Die Flanken vieler Carbonfelgen verändern sich durchs Bremsen.
Dann ändern sich Ansprechverhalten und Bremskraft
Schlauchreifen- und die Drahtreifen-Laufräder aufgelegt.
Mit dabei ist auch der Korkbelag von Corima, den Radprofis sei Jahren bevorzugen.
Der Test in Praxis und Labor
Kombiniert haben wir die Beläge mit unterschiedlichen
Felgen sowohl über tausende Kilometer auf der Straße als
auch auf der Prüfmaschine im Labor. Die Fahrtests sollten
Auskunft geben über die Dosierbarkeit, die Geräuschentwicklung, den Verschleiß und die Bremskräfte, die mit
den Belägen erreichbar sind.
Unsere erste Erkenntnis: Im Vergleich zu Bremsen
auf Aluminium zeigt auch die aktuelle Generation der
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Rückschritt
Wer sich auf ein Rennrad mit CarbonLaufrädern setzt, muss sich darüber im
Klaren sein, dass er ein Rad fährt, dessen
Bremsverhalten nicht zeitgemäß ist. Auf
trockener Straße bremst es mäßig, bei Regen
fast gar nicht. Auf langen Abfahrten birgt die
schlechte Wärmeableitung von Carbon zudem
das Risiko, dass die Felge beschädigt wird,
sich teilweise auflöst und möglicherweise
sogar plötzlich der Schlauch platzt. Hier sind Dirk Zedler
vor allem die Hersteller der Carbon-Laufräder
gefragt, neben dem Streben nach immer weniger Gewicht und besserer
Aerodynamik auch das Bremsverhalten ihres Laufrades als wichtiges
Entwicklungsziel zu formulieren und in Zusammenarbeit mit den
Bremsen- bzw Belagherstellern auch zu erreichen. Die gültige
CEN-Norm kann für solche Entwicklungen allerdings nicht die Richtschnur sein: Sie sieht für Bremssysteme eine Test-Geschwindigkeit
von 12,5 km/h vor. Dieses Tempo eines Hobbyläufers hat mit einer
rasenden Abfahrt im Radsport nicht viel gemein.
Dipl.-Ing. Dirk Zedler, Fahrradsachverständiger, www.zedler.de
3 | 2008 TOUR
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GRIESHABER
ie sind ein Synonym für Schnelligkeit: Carbonlaufräder. Die aggressive Optik, der satte Sound beim
Treten, die sekundenschindende Aerodynamik; dazu
die neidischen Blicke der Vereinskollegen ... Ganz entziehen kann sich der Faszination der glänzenden FaserRundlinge wohl kein Rennradfahrer. Oft reicht die
Begeisterung jedoch nur bis zum ersten Bremsmanöver.
„Ich bin schon zweimal neben der Straße gelandet und
hatte noch mehrere brenzlige Situationen, trotz passender Carbon-Bremsbeläge“, gibt Jürgen Falke, Produktmanager bei Fahrradhersteller Merida, offen zu. „Das
kannte ich gar nicht mehr. Das letzte Mal ist mir das in
den 80er-Jahren mit Campagnolos Deltabremse auf hart
anodisierten Alu-Felgen passiert. Und
da hat’s geregnet.“ Seitdem hat sich
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viel getan: Die Bremsen sind besser
Im Test der Bremsbeläge für Carbongeworden – dank steifer Bremszangen
felgen gibt es keinen Sieger – allenfalls mit wenig Lagerspiel in den Gelenken,
Empfehlungen. Verwenden Sie die vom winkelverstellbarer Belagshalter und
optimierter Belagsmischungen. Bei
Laufrad-Hersteller empfohlenen Beden Alu-Felgen ist es neben der Legieläge, probieren Sie im zweiten Schritt
rung vor allem das Überdrehen der
die gelben Beläge von Swiss-Stop –
danach beginnt das Rätselraten. Unser Bremsflächen nach dem Biegen und
Zusammenfügen des Felgenprofils,
Rat: Setzen Sie Carbon-Laufräder nur
bei gutem, stabilem Wetter ein, im Re- was das System aus Bremse und Felge
gen geht die Bremsleistung gegen Null. auf ein hohes Niveau gehoben hat.
Die Entwickler von Carbonlaufrädern
aber scheinen sich zu deren Bremseigenschaften bisher wenig Gedanken gemacht zu haben.
Denn montiert man statt der Aluminiumfelgen solche
aus Carbon, verwandelt sich ein und derselbe Bremsbelag
vom braven Diener zum zickigen Faulpelz. Nicht selten
packen die Bremsen kaum noch zu, kreischen aber umso
lauter. Sie sprechen ungleichmäßig an, lassen sich nur
mäßig dosieren und verschleißen rasend schnell.
Die Schwächen der Carbonfelgen beim Bremsen, die
sowohl vom Material als auch vom Herstellungsverfahren
herrühren, versuchen die Hersteller mit speziellen Belägen auszugleichen. Das ist in der Tat nicht einfach, denn
Carbon leitet Wärme schlecht ab, und die Oberflächen
der Felgen variieren stark. Manche Hersteller lackieren
die Felgen, bis sie perfekt glänzen – auch die Bremsflanken. Andere setzen auf den puristischen Charme des
Werkstoffs. Poren und raue Stellen auf neuen Felgen sind
dann kein Mangel, sondern zeugen davon, dass der Harzanteil reduziert wurde, um das Gewicht zu senken.
Den einen Belag, der auf allen Carbonfelgen gut
bremst, gibt es also mutmaßlich nicht. Wir wollten also
wissen, ob es zumindest Konzepte gibt, die akzeptabel auf
verschiedenen Carbonoberflächen funktionieren, ob
speziell auf eine Marke abgestimmte Beläge generell besser bremsen, oder ob allesamt lediglich Streicheleinheiten
verteilen anstatt zuzubeißen.
Sechs Hersteller von Bremsbelägen für Carbonfelgen
schickten ihre Produkte zum TOUR-Test, darunter waren
Modelle zur Nachrüstung ohne bestimmte Empfehlung
ebenso wie Klötzchen für speziell ausgewiesene BelagFelgen-Paarungen, etwa bei Campagnolo. Die Italiener
haben sogar zwei verschiedene Belagstypen für ihre
CARBON̘BREMSBELÄGE
Bremskräfte im Vergleich
600
Alu-Felge Mavic
Ksyrium ES mit
Shimano Dura Ace
550
500
450
Campagnolo
Hyperon Clincher
mit Swissstop Yellow
King, trocken
400
Bremskra [N]
Spezialbeläge für Carbon auf allen Testfelgen eher mäßige
Ergebnisse. Weder Dosierbarkeit noch Bremsleistung
halten dem direkten Vergleich stand. Vor allem gibt es
kaum Konstanten im Bremsverhalten: Funktioniert ein
Belag auf einer Felge gut, kann das auf einer anderen
schon wieder ganz anders aussehen.
Corimas Korkbelag spricht auf allen Felgen vergleichsweise sanft an, kann aber kaum zulegen, er verzögert
relativ schwach. Das weiche Ansprechen dürfte neben
der Hitzebeständigkeit auch der Grund sein, warum
Profis den Belag bevorzugen, denn im dicht gepackten
Peloton führen abrupte Bremsmanöver fast sicher zum
Massensturz. Shimanos Standardbelag für AluminiumFelgen aus der Dura-Ace-Bremse, den wir zum Vergleich
mitgetestet haben, rupft dagegen regelrecht an vielen
Felgen und führt zu ungewolltem Überbremsen. Der
„Yellow King“ von Swissstop hinterlässt auf den meisten
Felgen einen akzeptablen bis guten Eindruck, verzögert
ordentlich und verschleißt verhältnismäßig wenig. Einige Laufradhersteller liefern diesen Belag inzwischen
serienmäßig mit, Tune zum Beispiel stattet seine
„Skyline“-Laufräder damit aus. Allerdings hinterließ
der „Yellow King“ im Test auf der Reynolds-Felge des
Tune-Rades ungleichmäßige gelbe Abriebspuren, die
wieder entfernt werden mussten.
350
300
Campagnolo
Hyperon Clincher
mit Corima-Belag
250
200
150
Campagnolo
Hyperon Clincher
mit Swissstop Yellow
King, nass
100
50
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
120
Handkra [N]
Drastisch: Bei immer gleicher Handkraft von 100 Newton bremst auch die beste
Kombination aus Carbonfelge und Belag viel schlechter als eine Alu-Felge. Bei Nässe
(blaue Kurve) ist kaum noch Bremskraft vorhanden, die Bremse schwer zu dosieren
Carbon-Bremsbeläge im Vergleich
HERSTELLER
Modell
Typ Bremsschuh
Preis (für vier Stück)
Bezug/Info
Gewicht pro vier Stück
Materialstärke
MESSWERTE
Bremskraft auf Reynolds ̌1̍
Verschleiß*
Bremskraft auf Campagnolo (1)
Verschleiß*
Bremskraft auf Roval (1)
Verschleiß*
Bewertung
(1)
Bremskraft bei einer
Handkraft von 100 N
BBB
CAMPAGNOLO
CAMPAGNOLO
CORIMA
BBS-03CC
Campagnolo
15 Euro
Sport Import
0 44 05/92 80 11
www.sportimport.de
22 Gramm
10,2 mm
Clincher C2
Campagnolo
32 Euro
Campagnolo
0 21 71/20 69 53 19
www.campagnolo.com
26 Gramm
9,9 mm
Tubular T3
Campagnolo
37 Euro
Campagnolo
0 21 71/20 69 53 19
www.campagnolo.com
26 Gramm
10 mm
Composite Brake Pads
Shimano
30 Euro
Tri-Techno
0 61 02/1 72 47
www.corima.com
8 Gramm
8,5 mm
330 Newton
hoch
345 Newton
gering
335 Newton
gering
Auf allen Testfelgen liefert der
Belag eine hohe Bremsleistung,
auf Reynolds ist allerdings der
Verschleiß hoch, was bei dem
vergleichsweise günstigen Preis
hinnehmbar scheint.
275 Newton
gering
280 Newton
gering
305 Newton
gering
Der Belag soll laut Campa
nur auf den HyperonDrahtreifenfelgen eingesetzt
werden. Dort liefert er ein
durchschnittliches Ergebnis und
lässt sich gut dosieren.
260 Newton
gering
305 Newton
gering
270 Newton
gering
Das Modell für Campas
Schlauchreifenfelgen liefert
auf der Campa-Oberfläche eine
höhere Verzögerung als auf
den beiden anderen Felgen. Im
Praxistest gute Dosierbarkeit.
230 Newton
gering
215 Newton
gering
220 Newton
gering
War lange Zeit der einzige
Carbon-Bremsbelag, der nicht
schmolz. Die Bremsleistung ist
die schwächste im Vergleich.
Relativ gut zu dosieren,
extrem leicht.
* nach dem Prüfablauf mit festgelegten Messbremsungen, Abnutzung des verfügbaren Materials: 0 – 8 Prozent = gering, 9 – 16 Prozent = mittel, 17 – 24 Prozent = hoch
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TOUR 3 | 2008
Auf dem Bremsenprüfstand wurden alle Beläge auf
jeweils drei verschiedenen Felgen getestet. Bei einer Geschwindigkeit von 45 km/h wurde über eine Kraftmessdose eine Handkraft von 100 Newton in den
Bremshebel eingeleitet, und die Kraft gemessen, mit
der die Bremse die Felge verzögert. Mit 100 Newton
Handkraft erzielen gute Rennradbremsen auf AluFelgen Bremskräfte von etwa 500 bis 600 Newton.
Damit verzögern auch schwere Fahrer ihr Rad in
steilem Gefälle ordentlich.
Nach dem Prüfablauf, der aus einer festgelegten Anzahl von Einbrems- und Messvorgängen bestand, haben
wir außerdem den Verschleiß ermittelt. Zum Vergleich:
Normale Bremsbeläge auf Alu-Felgen zeigen nach diesem
Prüfablauf in der Regel noch keinen messbaren Verschleiß, während die Carbonbeläge bis zu 20 Prozent
ihres nutzbaren Materials einbüßen – in der Tabelle haben wir das mit „hoch“ bewertet.
Der Test belegt die in der Praxis gefühlte Vielfalt. Manche Beläge bremsen auf einer Felge akzeptabel, auf einer
anderen katastrophal, aber grundsätzlich erreicht keine
Belag-Felgen-Paarung auch nur annähernd die Leistung
wie auf gängigen Alu-Felgen. Im Klartext: Bei einer Vollbremsung ist der Bremsweg mit Carbonfelgen bei identischen Bedingungen ungefähr doppelt so lang.
Noch schlechter wird die Bremsleistung bei Nässe.
Der erste Zug am Bremshebel bringt fast keine Verzögerung. Erhöht man die Handkraft, bahnt sich der Belag
zwar irgendwann den Weg durch den Wasserfilm auf der
Bremsflanke, packt dann aber möglicherweise so aggressiv zu, dass das Rad blockiert.
Nach mehr als 12.000 Kilometern auf der Straße und
etlichen Stunden im Labor hinterlässt dieser Test eine
gewisse Ratlosigkeit. Selten ist ein TOUR-Test mit mehr
Fragen als Antworten zu Ende gegangen – das Bild der
Bremsleistung diverser Beläge auf den verschiedenen
Felgen ist völlig uneiheitlich. Fest steht: Das Epoxydharz
der Felgen, die Kohlefasern oder der gern aufgebrachte
Klarlack sind Materialien, die zum Bremsen generell we■
nig geeignet sind.
Beläge für
Carbonfelgen
harmonieren nicht
mit Alu-Felgen:
Dieses Paar hat
nach wenigen
Kilometern etliche
Alu-Partikel aus
den Bremsflanken
gerissen
KOOL̘STOP
SWISSSTOP
ZIPP
SHIMANO
HERSTELLER
KS-DURACF-04
Shimano
25,40 Euro
Kool-Stop Europe B.V.
00 31/5 97 52 29 44
www.koolstop.com
22 Gramm
8,8 mm
Yellow King
Shimano
34,60 Euro
T&S Vertriebs GmbH
0 71 25/93 76 76
www.tunds.com
34 Gramm
9,9 mm
Shimano Brake Pad
Shimano
44 Euro
Tri-Dynamic
0 83 87/92 44 20
www.tridynamic.de
20 Gramm
8,7 mm
BR-7800
Shimano
9,90 Euro
Paul Lange & Co.
07 11/2 58 83 22
www.paul-lange.de
26 Gramm
9,9 mm
Modell
Typ Bremsschuh
Preis (für vier Stück)
Bezug/Info
270 Newton
hoch
240 Newton
hoch
250 Newton
mittel
Der graue Belag sieht aus wie
ein normaler Bremsklotz für
Alu-Felgen, schmilzt auch so,
wenn er warm wird. Die Bremskräfte auf allen Testfelgen
waren durchweg mäßig.
315 Newton
gering
320 Newton
gering
255 Newton
gering
Gute Bremsleistung auf Campaund Reynoldsfelge, dazu noch
wenig Verschleiß, schwach
dagegen auf Roval. Unter den
Carbon-Bremsbelägen einer,
den man ausprobieren sollte.
285 Newton
hoch
250 Newton
gering
225 Newton
gering
Formgleich mit denen von
Kool-Stop und ähnlich schwach
in der Bremsleistung. Auf der
Reynolds-Felge hoher Verschleiß, ansonsten angenehm
gering. Teuer.
285 Newton
hoch
375 Newton
gering
310 Newton
gering
Zum Vergleich: Shimanos
Standard-Belag für Alu-Felgen
bremst mit am stärksten, ist
aber extrem schwer zu dosieren.
Selbst im Trockenen blockiert
die Bremse leicht – Sturzgefahr!
Gewicht pro vier Stück
Materialstärke
MESSWERTE
Bremskraft auf Reynolds (1)
Verschleiß*
Bremskraft auf Campagnolo (1)
Verschleiß*
Bremskraft auf Roval (1)
Verschleiß*
Bewertung
Testlaufräder: Campagnolo Hyperon Clincher, Tune Skyline mit Reynolds-Felge, Roval Rapide SL Carbon
3 | 2008 TOUR
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