Schmitt und Sombart. Der Briefwechsel von Carl Schmitt mit
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Schmitt und Sombart. Der Briefwechsel von Carl Schmitt mit
D GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE DA ALLGEMEINES; EPOCHEN DGAA Deutschland Personale Informationsmittel Carl SCHMITT - SOMBART <Familie> Briefwechsel EDITION 15-3 Schmitt und Sombart : der Briefwechsel von Carl Schmitt mit Nicolaus, Corina und Werner Sombart / hrsg. von Martin Tielke in Zsarb. mit Gerd Giesler. - Berlin : Duncker & Humblot, 2015. - 263, [4] S. : Ill., Faks. ; 24 cm. - ISBN 978-3-428-14706-9 : EUR 39.90 [#4290] Die Familie Sombart hatte ein besonders intensives Verhältnis zu Carl Schmitt. Dies spiegelt sich in dem hier erstmals vollständig (soweit erhalten) abgedruckten Briefwechsel des Nationalökonomen Werner Sombart, seiner rumänischstämmigen Frau Corina1 sowie des Sohnes Nicolaus Sombart,2 der später mit eigenwilligen Schmitt-Interpretationen von sich reden machte,3 um von seinen sexuellen Eskapaden zu schweigen.4 Nicolaus Sombart schrieb auch sehr aufschlußreich über Kaiser Wilhelm II.,5 doch sind seine kulturgeschichtlich interessantesten Bücher wohl die drei Erinnerungswerke Jugend in Berlin 1933 - 1943 (1984), Pariser Lehrjahre 1951 - 1954 (1994) sowie Rendezvous mit dem Weltgeist (2000), in denen sich auch zahlreiche Erwähnungen Schmitts finden. Eine Edition der Briefe des Schmitt-Sombart-Komplexes6 ist auf jeden Fall lohnend, denn an der intensiven Beziehung des Staatsrechtlers zu Nicolaus 1 Siehe dazu auch Rumänische Reise : ins Land meiner Mutter / Nicolaus Sombart. - Berlin : Transit, 2006. - 256 S. ; 21 cm. - ISBN 978-3-88747-209-2 : EUR 18.80. 2 http://www.sombart.de/ [2015-08-30]. 3 Die deutschen Männer und ihre Feinde : Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos / Nicolaus Sombart. - München ; Wien : Hanser, 1991. - 399 S. ; 23 cm. - ISBN 3-446-15881-2. 4 Journal intime 1982/83 : Rückkehr nach Berlin / Nicolaus Sombart. - Berlin : Elfenbein, 2003. - 212 S. ; 21 cm. - ISBN 3-932245-60-1. 5 Wilhelm II. : Sündenbock und Herr der Mitte / Nicolaus Sombart. - Berlin : Verlag Volk und Welt, 1996. - 245 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 3-353-01066-1. 6 Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/1073296040/04 läßt sich in besonders anschaulicher Weise erfassen, was es bedeuten konnte, im eigentlichen Sinne ein Schüler Schmitts zu sein. Nicolaus Sombart wurde in sehr jungen Jahren nachhaltig durch den persönlichen Umgang mit dem brillanten Mann geprägt, dessen Stellung zum Nationalsozialismus und zu den Juden aber auch eine große Hypothek für all jene darstellte, die sich von seinen Gedanken angeregt fanden. Sombart hat sich denn auch zunehmend kritisch mit den Konzeptionen Schmitts auseinandergesetzt. Gleichwohl bleibt Sombart Teil einer Faszinationsgeschichte, die geistesgeschichtliches Interesse beanspruchen darf. Diese Faszination ging freilich in der Wirklichkeit weitaus weniger von Schmitts Briefen als vielmehr von seinen Gesprächen aus, was diesem zweifellos auch sehr bewußt war. Daher suchte er in wichtigen Fragen auch das Gespräch, von dem er offenbar glaubte, es sei nicht in Briefform reproduzierbar. Denn „die briefliche Erörterung irgendeines Themas liefert einen selbst (und das Thema) viel zu sehr an Kausalitätsklappereien aus, indem sie Frage und Antwort in Ursache und Wirkung verunstaltet. Das ist kein Gespräch, keine Schwingung und keine Strahlung“ (S. 22). Und unmittelbar auf die vorliegende Edition bezogen kann man auch den folgenden Kommentar etwas später in demselben Brief lesen: „Die heutige Methode der Tagebuch- und Briefpublikationen hat dem Briefwechsel seine Unmittelbarkeit genommen, seine Präsenz, auf die es mir allein ankommt“ (S. 23). Die Faszination, die für Sombart von Schmitt ausging, kommt sehr gut in einem hier abgedruckten Brief an Schmitts Frau zum Ausdruck: „Sie wissen, dass die entscheidende Begegnung meines Lebens diejenige mit Carl Schmitt gewesen ist; ein Verführer, ein Magier, hat er mein Denken verzaubert, durch die Jahre hindurch hat es in immer neuen Verwandlungen den Gesetzen dieses Zaubers gehorcht; ich glaube, dass es der Zauber ist, der den Zugang zu den Geheimnissen entsiegelt“ (S. 214). Unbeschadet der erwähnten Bedenken gegen Briefpublikationen, die natürlich ihre Gültigkeit behalten, sind doch Briefe die nächstbeste Möglichkeit, näherungsweise bestimmte Gesprächszusammenhänge zu rekonstruieren. Daher ist die Zahl einschlägiger Briefwechselpublikationen gerade im Falle Carl Schmitts recht hoch.7 Im vorliegenden Fall läßt sich so rekonstruieren, 7 Siehe etwa zuletzt Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt : (1926 - 1974) / hrsg. von Dorothee Mußgnug, Reinhard Mußgnug und Angela Reinthal. In Zusammenarbeit mit Gerd Giesler und Jürgen Tröger. - Berlin : Akademie-Verlag, 2007. - XII, 592 S. ; 25 cm. - ISBN 978-3-05-003535-2 : EUR 49.80 [9388]. - Rez.: IFB 07-2-574 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz106021141rez.htm - WerkstattDiscorsi : Briefwechsel 1967 - 1981 / Carl Schmitt ; Hans-Dietrich Sander. Hrsg. von Erik Lehnert und Günter Maschke. - Schnellroda : Edition Antaios, 2008. XVI, 510 S. : Ill. - ISBN 978-3-935063-28-9 : EUR 44.00 [#0212]. - Rez.: IFB 091/2 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz281989400rez1.htm - "Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts" : Briefwechsel Carl Schmitt - Rudolf Smend 1921 - 1961 ; mit ergänzenden Materialien / Carl Schmitt ;Rudolf Smend. Hrsg. von Reinhard Mehring. [Veröff. unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Verlagsbeirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.]. - Berlin : Duncker & Humblot, 2010. 208 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3-428-13394-9 : EUR 28.00 [#1463]. - Rez.: IFB wie sich Sombart von den geschichtsphilosophisch ausgerichteten Interessen der Dissertationszeit (Saint-Simon) hin zu einer kulturgeschichtlichen Beschäftigung mit der Zeit des Wilhelminismus und der Verschränkung politischer und sexueller Komplexe um Max Weber, die Richthofen-Schwester, Otto Groß und schließlich auch Schmitt selbst verschiebt. Auch wenn der Briefwechsel zwischen Schmitt und Sombart schließlich distanzierter wird, weil Schmitt merkt, daß der jüngere Sombart zunehmend eigene Wege geht, die auch mit der kritischen Absetzung von Vatergestalten wie Schmitt verbunden sind. Anfangs aber enthalten die Briefe zahlreiche interessante Hinweise, einerseits auf Studienthemen Sombarts, der sich nach seiner Dissertation über den Frühsozialisten Saint-Simon mit der Idee einer Habilititation über den Soziologen Ballanche trug (aus der aber dann wegen anderer Ablenkungen und beruflicher Verpflichtungen nichts wurde), andererseits auf Seiten Schmitts bibliographische Anregungen und pointierte Charakterisierungen, etwa im Zusammenhang mit dem beide interessierenden Text von Herman Melville, Benito Cereno, mit dem sich Schmitt auf merkwürdige Weise identifizierte. Während der offizielle Betreuer von Sombarts Dissertation, die nie veröffentlicht wurde, Alfred Weber, der Bruder Max Webers, war, entstand schon daraus eine Spannung zu Schmitt, der von Alfred Weber nicht viel hielt und es später auch als grotesk ansah, als Nicolaus diesen über Max stellte (S. 253). So besorgt Sombart für Schmitt das Buch von Leo Strauss über die Tyrannis, zu dem auch Kojève einen Beitrag geliefert hat (den sowohl Sombart als auch Schmitt kannten), worauf Schmitt antwortet, dieser Beitrag Kojèves sei das beste am Buch, „während Leo Strauß [sic] leider zu einem dünnblütigen Akademisten geworden ist, was er früher nicht war“ (S. 64). Diese Einschätzung hätte Strauss sicherlich amüsiert. Interessant ist auch, daß Sombart einmal an Schmitt berichtet (schon 1979, im letzten Brief der Korrespondenz), er habe in Freiburg sehr interessante Gespräche mit Heinrich Meier geführt, in denen er offenbar seine These entwickelte, Schmitts Politische Theologie II sei eine Art Parodie (S. 140), womit er dann bald auf dem Weg hin zu seiner eigenwilligen Schmitt-Auslegung gelangte. Die Spannungen, die sich zwischen Schmitt und Nicolaus Sombart entwikkelten und die zu längeren Pausen im Briefwechsel führten, spiegeln sich auch im Briefwechsel Schmitts mit Corina, erkennbar etwa an der Irritation, die Schmitt angesichts eines Essays von Nicolaus über Ernst Jüngers Ar- 10-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz327860707rez-1.pdf - Jacob Taubes - Carl Schmitt : Briefwechsel mit Materialien / Herbert Kopp-Oberstebrink ; Thorsten Palzhoff ; Martin Treml (Hrsg.). - Paderborn ; München : Fink, 2012 [ersch. 2011]. - 327 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 978-3-7705-4706-7 : EUR 39.90 [#2435]. - Rez.: IFB 11-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz281580464rez-1.pdf - Briefwechsel : 1926 - 1981 ; mit ergänzenden Materialien / Carl Schmitt ; Ernst Rudolf Huber. Hrsg. von Ewald Grothe. - Berlin : Duncker & Humblot, 2014. - 617 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3428-14170-8 : EUR 79.90 [#3887]. - Rez.: IFB 14-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz416148328rez-1.pdf beiter8 verspürte, eine Irritation, die ihm offenbar zunehmend ein ernsthaftes Gespräch zumindest in Briefform verunmöglichte. Neben dem viele familiäre Dinge berührenden Briefwechsel mit Corina, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte und immer auch Reminiszenzen an die gemeinsame Berliner Zeit wachrief, fällt der Briefwechsel mit Werner Sombart vergleichsweise schmal aus; er besteht nur aus elf Schreiben, davon nur zwei von Schmitt. Hier sei nur der längere Brief erwähnt, in dem Werner Sombart auf die Lektüre des Leviathan-Buches eingeht, das im Hause Sombart intensiv rezipiert wurde. Interessant ist schließlich auch Sombarts emphatische Kritik an Schmitts Verwendung des Volksbegriffs, wobei er auf seine eigenen „endgültigen“ Ausführungen in seinem Spätwerk Vom Menschen verweist (S. 186). Selbstverständlich ist ein Verzeichnis der Briefe und Abbildungen vorhanden, desgleichen ein Personenregister. Der informative Anhang des sehr lesenswerten Bandes enthält einen Briefauszug, in dem Schmitt an Erwin von Beckerath über seine zwiespältigen Eindrücke von der Beisetzung Werner Sombarts 1941 berichtet, ein Gedicht von Nicolaus Sombart, einen Brief von Nicolaus an Schmitts Frau, eine bisher nicht veröffentlichte Rezension von Nicolaus zu Max Webers Wissenschaftslehre, einen Auszug eines Briefe von Hanno Kesting an Schmitt, in dem es um Sombart und seine Ambitionen geht, einen Brief von Sombart an seine Mutter, in dem er seine Situation in Paris schildert, sowie ein Gedicht von Corina Sombart. Außerdem wurde sinnvollerweise eine chronologische Auswahl der Schriften von Nicolaus Sombart beigegeben.9 Martin Tielke, der sich bereits mit mehreren Publikationen und Edition zu Carl Schmitt einen Namen gemacht hat und dem vor allem die Bemühungen zu danken sind, Schmitts private Bibliothek zu rekonstruieren,10 hat auch mit diesem Band, der in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler erarbeitet wurde, wieder ein wichtiges Informationsmittel zu Schmitt vorgelegt. Dafür verdient er Lob und Dank und die Ermutigung, weitere interessante Schmitt-Korrespondenzen vorzulegen. Außerdem ist Tielke an der Neuedition eines der wichtigsten Schmitt-“Bücher“ beteiligt, nämlich am Glossarium, dessen Erstausgabe zwar sensationell, aber auch von Transkriptionsfehlern und 8 Vgl. Die Autorität des Zeugen : Ernst Jüngers politisches Werk / Peter Trawny. - 1. Aufl. - Berlin : Matthes & Seitz, 2009. - 206 S. : Ill. ; 23 cm. - (Blaue Reihe Wissenschaft ; 7). - ISBN 978-3-88221-643-1 : EUR 22.80 [#0726]. - Rez.: IFB 101 http://ifb.bsz-bw.de/bsz30312802Xrez-1.pdf 9 Es wäre auch bei einer Auswahl aus thematischen Gründen unbedingt noch zu ergänzen (darin sind einige der einzeln aufgeführten Essays nachgedruckt): Nachdenken über Deutschland : vom Historismus zur Psychoanalyse / Nicolaus Sombart. - Orig.-Ausg. - München ; Zürich : Piper, 1987. - 213 S. ; 19 cm. - (Piper ; 596). - ISBN 3-492-10596-3. 10 http://www.carl-schmitt.de/download/biblio-cs.pdf [2015-09-06]. - Siehe auch Schmittiana : Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts / hrsg. von der CarlSchmitt-Gesellschaft. - Berlin : Duncker & Humblot. - 24 cm [#2430]. - N.F. 1 (2011). - 343 S. : Ill. - ISBN 978-3-428-13688-9 : EUR 48.00. - Rez.: IFB 11-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz019052332rez-1.pdf Druckfehlern geprägt war. Man darf daher auf diese Publikation gespannt sein!11 In seinem Nachwort bietet Tielke einen sehr guten Überblick über die Korrespondenz, schildert die ambivalente Stellung Werner Sombarts zum Nationalsozialismus, weist auch auf die bildende Wirkung von Schmitts Frau für Nicolaus hin, die ihn mit der modernen Kunst bekannt machte. Vor allem aber zeichnet er anschaulich das Psychodrama nach, als das man die Beziehung zwischen Schmitt und Nicolaus zweifellos verstehen muß. Letzterer glaubte, Schmitt besser zu verstehen als jeder andere, verstieg sich dabei aber in Deutungen, die eher Kuriositätswert haben. Neben der persönlichen Dimension bzw. auf eigenartige Weise verschränkt mit ihr steht auch die grundlegende politische Differenz, die in Sombarts europapolitischem Engagement zum Ausdruck kam, mit dem Sombart wesentliche Kategorien des politischen Denkens von Schmitt verabschiedete (S. 249). Tielke weist noch darauf hin, daß Schmitt als letztes Buch vor seinem Tode 1985 Sombarts Jugend in Berlin 1933 - 1943 las und anstrich (S. 255), und er macht abschließend auch auf den wichtigen Umstand aufmerksam (den jeder wird bestätigen können, der wie der Rezensent den alten Sombart noch kennenlernen konnte), daß die „positiven Züge von Nicolaus Sombart dagegen – seine Courtoisie und Großzügigkeit, seine Begabung zur Freundschaft, auch seine Hilfsbereitschaft besonders Jüngeren gegenüber“ im Briefwechsel notwendigerweise im Hintergrund bleiben (S. 255). Die Anschaffung des gediegenen Bandes kann allen empfohlen werden, die ein intensiveres Interesse an Carl Schmitt und dem Netzwerk seiner Beziehungen haben. Till Kinzel QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz44484015Xrez-2.pdf 11 Glossarium : Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958 / Carl Schmitt. - 2. Aufl., erw., berichtigte und kommentierte Neuausg. / hsg. von Gerd Giesler. - Berlin : Duncker & Humblot, 2015 (Sept.). - XIV, 557 S. ; 24 cm. - ISBN 978-3-42814486-0 : EUR 69.90. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen.