Mit der Cuba-Bibel durch Fidels Reich

Transcrição

Mit der Cuba-Bibel durch Fidels Reich
SEITE 24
DONNERSTAG, 27. FEBRUAR 2014
BÜCHER
K3_RS
MITTELBAYERISCHE ZEITUNG
Vor und
nach dem
Glück
BELLETRISTIK Yasmina Reza
schreibt übers Käsekaufen –
und die richtige Beerdigung.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
VON ANNA RINGLE-BRÄNDLI, DPA
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Der Streit eskaliert an der Käsetheke
im Supermarkt: Robert legt Ziegenkäse und Morbier in den Einkaufswagen.
Seine Frau Odile mag lieber Schweizer
Käse. Robert will sich aber nicht mehr
anstellen – die Kundenschlange ist zu
lang. Odile ist beleidigt. Robert denkt:
„Wenn ich zweimal Entschuldige bitte
sagen würde, könnten wir mehr oder
weniger normal in den restlichen Tag
starten, nur hab ich überhaupt keine
Lust, diese Worte auszusprechen.“
Odile stellt sich aus Trotz selbst an der
Theke an. Es wird immer lauter – jetzt
fehlt nur noch die Prügelei.
„Alltagsschnipsel“ sind es, die die
französische Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin Yasmina Reza
in ihrem jüngsten Roman „Heureux
les heureux“ aneinanderreiht. Das
Buch ist nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Glücklich die
Glücklichen“ auf dem Markt. In 21
Szenen erzählen wechselnde Protagonisten von ihrem Leben in Ehen, Beziehungen oder als Einzelgänger. Reza
gelingt es gewohnt brillant, die Geschichten hinter den Geschichten zu
platzieren. Es geht um Einsamkeit,
Verlorenheit und Hoffnung, eingebettet in Alltagsszenen, die urkomisch
sind. Die Autorin arbeitet das plötzliche Umschwenken von Situationen
heraus, oft auch das Eskalieren. Die
Personen, die aus der bürgerlichen
Schicht in Paris stammen, geraten immer wieder in Turbulenzen, gehen
aber nie unter.
Ernest etwa hat ganz andere Probleme als das Käsekaufen. Wenn er mal
stirbt, möchte er, dass seine Asche in
einen Fluss gestreut wird. Aber seine
Frau ist strikt dagegen. „Jeannette hätte gern, dass wir zusammen beerdigt
werden, damit die Besucher unsere
beiden Namen sehen. Jeannette Blot
und ihr liebender Gatte, ordentlich in
Stein gemeißelt. So möchte sie für immer die schmachvollen Zeiten unseres
Ehelebens auslöschen. Früher, wenn
ich die Nacht woanders verbracht hatte, zerknitterte sie meinen Schlafanzug, bevor das Zimmermädchen kam.“
Der Ton des Buchs erinnert manchmal an Rezas berühmtes Theaterstück
„Der Gott des Gemetzels“, das Regisseur Roman Polanski mit HollywoodStars verfilmt hat. Der neue Roman
lädt ein, sich das Buch auch als Film
vorzustellen. Bei den Protagonisten
wird deutlich, dass sie wohl mal glücklich waren, oder hoffen, es wieder zu
werden. Die 54-jährige Reza, die auch
mit den Stücken „Kunst“ und „Drei
Mal Leben“ Weltruhm erlangt hat und
zu den meistgespielten zeitgenössischen Theaterautoren zählt, sagte über
den neuen Roman: „Alles bewegt sich,
alles verändert sich, wie das Wasser eines Sturzbachs. Der Bach bleibt der
gleiche, aber das Wasser, aus dem er
besteht, ist nie dasselbe. So ist auch das
menschliche Leben: zerbrechlich, unbeständig, wechselhaft.“
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
➜ „Glücklich die Glücklichen“, Carl Hanser Verlag, München 2014, 176 Seiten,
17,90 Euro
Amischlitten, die 60 und mehr Jahre auf dem Buckel haben, bestimmen das Straßenbild in Havanna.
Fotos: Wolfgang Ziegler
Mit der Cuba-Bibel durch Fidels Reich
TOURISMUS Ein Reiseführer
der Sonderklasse: MZ-Redakteur Wolfgang Ziegler lotst Individualtouristen über die Zuckerinsel und erzählt über Geschichte, Kultur und Natur.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
VON HARALD RAAB, MZ
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
ser erstes Abenteuer auf Cubas Schlaglochpisten. Um es gleich vorweg zu sagen: Die alten Amischlitten, die 60 und
mehr Jahre auf dem polierten Autoblech haben, sind zwar eine nostalgische Augenweide, aber die reinsten
Dreckschleudern. Wenn mal kein Seewind die Straßen Havannas durchpustet, ist man in den leicht bläulichen
Nebel der Auspuffgase gehüllt. Die
Atemwegserkrankungen in der Stadt
steigen rasant. Neuwagen können die
Cubaner inzwischen zwar auch kaufen. Ein Mittelklassewagen, der bei
uns für 25 000 Euro zu haben ist, kostet sie sage und schreibe bis zu 250 000
CUC, eine Viertelmillion Dollar. Ein
Durchschnittscubaner verdient umgerechnet gerade mal 18 Euro im Monat.
Die Weihnachtsidee war zugegebenermaßen etwas prätentiös: Morgens am
Frankfurter Flughafen in die CondorMaschine steigen, um mittels Zeitverschiebung und Flugzeit von elf Stunden abends in Havannas Weltkulturerbe, der Catedral de la Virgen María
de la Concepción Inmaculata, eine karibische Christmette zu besuchen, danach ein Bummel durch die Altstadt
und ein Weihnachtsmenü im Dachterrassen-Restaurant des Hotels Sevilla
mit herrlichem Panoramablick auf das
Lichtermeer der Stadt.
Denkste! Der Flieger startete fünf
Stunden später. Statt Christmette
hoch oben Bordverpflegung aus Plasteschalen. Landung gegen 23 Uhr auf
dem Aeropuerto José Martí. Trotz sozialistischer Strenge ging die EinreiseGesichtskontrolle schneller als am
J.F.K.-Airport in New York. Die Beamten waren auch freundlicher. Dann
aber eine Stunde Schlangestehen vor
der Wechselstube. Pesos convertibles
(CUC) bekommt man in keiner deutschen Bank. Diese Zweitwährung auf
Cuba ist für Touristen bestimmt und
für alle, die sich abseits vom sozialistischen Alltag etwas leisten wollen –
und können. Sie ist dem Dollarkurs
angeglichen. Die Einheimischen haben den CUP, den cubanischen Peso,
24 Mal weniger Wert als der CUC.
Zweite unangenehme Überraschung: Bei der staatlichen Autovermietung war, trotz Vorbestellung und
Bezahlung, kein Wagen da. Den gäbe
es erst am nächsten Tag. Auf diese
Weise kamen wir in den Genuss, mit
einem Oldtimer, bei dem man sich
auch wirklich jeden Glamour dieser
Autobezeichnung wegdenken muss,
in die Stadt kutschiert zu werden. Un●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Begleiter für alle Lebenslagen
Aber dann ging alles wie geplant –
dank des „großen Ziegler“. Der ist genau 850 Gramm schwer, im blauen
stabilen und bebilderten Einband. Es
ist der besondere Cuba-Reiseführer aus
dem Michael Müller Verlag. Autor ist
Wolfgang Ziegler, Redakteur der Mittelbayerischen Zeitung und ein ausgewiesener, langjähriger Kenner des Inselstaats zwischen Atlantik und Karibik. Das gewichtige Werk ist jetzt gerade in dritter, vollständig überarbeiteter
Auflage erschienen. Der „große Ziegler“ ist zwar nicht ein Muss für eine
Cuba-Reise, doch so einen auf alle
Eventualitäten vorbereitenden Reisebegleiter findet man in deutscher
Sprache nicht wieder. Ohne ihn tourt
man mit weit mehr Risiken über die
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
REISEHANDBUCH CUBA
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
➤ Das Reisehandbuch Cuba von Wolfgang Ziegler ist im Dezember 2013 im
Michael Müller Verlag, Erlangen, bereits
in der dritten Auflage erschienen – die
nach Verlagsangaben schon wieder zur
Hälfte verkauft ist.
➤ Das Buch hat 792 Seiten, 216 farbige
Abbildungen, eine herausnehmbare Cuba-Karte und ist zum Preis von 26,90
Euro im Buchhandel erhätllich, ISBN
978-3-89953-826-7.
➤ Für die Recherchen hat der Autor in
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
turparadies Viñales mit seiner atemberaubenden Farbenpracht, ob in Cienfueges, der UNESCO-Welterbestadt im
Süden, oder in Trinidad mit seiner kolonialen Pracht und seinem traumhaften Strand, der Playa Ancón.
Eine gute und preiswerte Unterkunft, karibische Gaumenfreuden, Cuba libre, ein Mojito mit frischer Minze
oder andere Rum-Mixgetränke – das
hält Leib und Seele zusammen, ist aber
nicht alles. Aber alles, was zur Befriedigung dieser primären Wünsche gehört, ist in diesem Reiseführer ausführlich beschrieben: Hotels, Restaurants, Bars, Nachtclubs.
Insel. Zumal jetzt in der Umbruchzeit
der sozialistischen Republik. Die Privatinitiative des quirligen Inselvolks
ist ein wenig entfesselt worden. Private Beherbergung in den Casas Particulares ist jetzt nicht mehr nur auf zwei
Zimmer beschränkt. Außerdem dürfen private Restaurants jetzt mehr als
vier Tische haben. Das heißt in der Praxis: Das Schlepperwesen blüht, nicht
nur in Havanna. Schnell kann man in
einer Tourifalle landen. Man muss
schon wissen, wo es Qualität gibt und
was seinen angemessenen Preis hat.
Wolfgang Ziegler bietet auf seiner
Website www.vistcuba.de wissenswerte Reisetipps und vor allem für alle
Städte und Touristenziele ein ausgesuchtes und selbst geprüftes Angebot
an Privatunterkünften an. Für 20 bis
35 CUC pro Zimmer und Nacht
Schnäppchen mit Gütegarantie. Vor
Ort hat er zwei Mitarbeiterinnen, die
dafür sorgen, dass die Buchungen zuverlässig klappen. Die Kommunikationswege sind immer noch problematisch, vor allem über das Internet.
Im Hostal Peregrino im HavannaStadtteil Centro, nicht weit vom Malecón, der berühmten Flaniermeile am
Meer, und vom Capitolio, empfängt
uns cubanische Gastfreundschaft im
Kolonialstil. Elsa und Julio Roque bieten Rundumversorgung, haben Tipps
und Ratschläge für alle Touristensorgen, helfen, den Havanna-Aufenthalt
zu einem sicheren Reiseerlebnis zu
machen. Gleiche Erfahrungen macht
man in allen empfohlenen Casas, ob
bei Claudina Alvarez Duartez im Na●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Das sicherste Reiseland der Karibik
Nicht minder wichtig sind freilich für
den Touristen Geschichte und Kultur
Cubas. Komprimiert, aber nicht zu
knapp gibt Wolfgang Ziegler zuverlässig und detailliert Auskunft, führt zu
den vielen architektonischen Sehenswürdigkeiten, Museen, Naturparks
und den Stränden. Dabei blendet er die
soziale Situation mit den Alltagsproblemen der Menschen nicht aus. Das
System mit seinen Ritualen drängt
sich den Touristen nicht auf. Die Polizisten sind hilfsbereit. Cuba ist in der
Karibik das sicherste Reiseland.
Weil es für uns mit dem Weihnachtsprogramm in Havanna nichts
geworden ist, musste es ein Silvesterabend im Hotel National de Cuba sein.
Es mal richtig krachen lassen. Einmal
feiern wie einst die Mafiabosse mit
Frank Sinatra, Ava Gardner, Errol
Flynn oder Nat King Cole.
Ein Jahreswechsel
hoch über dem
Malecón, heiße
Rhythmen, Sambashow – Luxus
pur, aber ziemlich weit weg
von der Realität
der Cubaner. So
ist das Leben.
●
Mietwagen, Überland-Bussen und
Privat-Taxen bisher insgesamt fast
30 000 Kilometer in Cuba zurückgelegt. Bei einer West-Ost-Ausdehnung
von 1250 Kilometern bedeutet dies: Er
hat die Insel 24 Mal komplett durchstreift.
➤ Neben dem Reisehandbuch Cuba ist
von Wolfgang Ziegler auch der City-Guide Havanna erschienen. Ein Reiseführer Varadero & Havanna ist
in Vorbereitung.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
MZ-Redakteur und
Cuba-Kenner Wolfgang Ziegler führt
durch Cuba.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
BUCHTIPPS IN KÜRZE
Die französische Schriftstellerin YasFoto: Peer Grimm dpa
mina Reza
Frühstück mit Freud
Mann mit Glasknochen
Globalesisch oder was?
Donnerstags bei Kanakis
Der Maler Lucian Freud (1922-2011)
machte es Biografen schwer; einmal
setzte er einen Gangster auf einen Reporter an. Da erging es Geordie Greig
besser. Der Journalist traf sich zehn
Jahre lang regelmäßig mit dem Maler.
Sein Buch „Frühstück mit Lucian
Freud“ liegt auf Deutsch vor. Die Biografie zeichnet einen beeindruckenden, aber auch egomanischen Mann.
Raúl Aguayo-Krauthausen warf den
Schlagball nur drei Meter weit und
fristete auf Kuschelparties eine Randexistenz, weil ihn Mädchen mieden.
Der Mann mit den Glasknochen erzählt in „Dachdecker wollte ich eh
nicht werden“ sein Leben – ohne Verbitterung. Der Gründer des Vereins Sozialhelden legt eine nachdenkliche,
meist aber unterhaltsame Lektüre vor.
Jürgen Trabant macht eine eher düstere Bestandsaufnahme zur Situation
der europäischen Sprachen. In seinem
Buch kritisiert der Sprachwissenschaftler vor allem die europäischen
Eliten und ihren Hang zu einem globalen Englisch oder Globalesisch. Ob der
Trend zur Gleichmacherei wirklich so
groß ist, wie der Romanist befürchtet,
darf bezweifelt werden.
Elisabeth de Waal, die Großmutter des
Schriftstellers Edmund de Waal („Der
Hase mit den Bernsteinaugen“), war eine Wanderin zwischen den Welten.
Die jüdische Baronesse lebte Jahre im
Exil. Ihr Roman kreist um die Heimatstadt Wien; er schildert jüdische Emigrantenschicksale in einem Nachkriegs-Wien zwischen Nostalgie, Verdrängung und Neuanfang.
➜ Geordie Greig: Frühstück mit Lucian
Freud. Nagel & Kimche Verlag Zürich,
272 Seiten, 21,90 Euro
➜ Raúl Aguayo-Krauthausen: Dachdecker wollte ich eh nicht werden. Rowohlt
Verlag, 256 Seiten, 14,99 Euro
➜ Jürgen Trabant: Globalesisch oder
was? C.H. Beck Verlag München, 240
Seiten, 18,95 Euro
➜ Elisabeth de Waal: Donnerstags bei
Kanakis, Paul Zsolnay Verlag Wien, 336
Seiten, 19,90 Euro

Documentos relacionados