PDF-Datei - Zentralbibliothek Solothurn
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Der vorliegende Aufsatz ist erschienen in: Literarische Narrationen der Migration Europa – Nordamerika im 19. Jahrhundert. Hg. Wynfrid Kriegleder; Gustav-Adolf Pogatschnigg. Wien: Praesens, 2012. (Sealsfield-Bibliothek ; Bd. 9) Signatur ZBS: NB 23763 Publiziert mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber. Verena Bider und Katharina Eder Matt „Nicht wahr, ein sauberer Kerl, dieser Yankee?” Die Aphorismen aus Nordamerika des Solothurner Volksschriftstellers Josef Joachim aus dem Jahre 1866 1 Kürzlich ist in der Zentralbibliothek Solothurn ein bisher unveröffentlichter Text des Solothurner Volksschriftstellers Josef Joachim über eine Reise nach Amerika neu entdeckt worden. Er wird hier erstmals ediert. Joachims Bericht ist interessant als Beispiel für eine ungewöhnliche Literarisierung des Erlebnisses Amerika: Der Autor verarbeitet seine Erfahrungen direkt und unmittelbar in zwei poetischen Versuchen und, mittelbar, in einem essayistisch gestalteten Hauptteil. Der Text interessiert aber auch insofern, als er innerhalb des Werks des einst in der Schweiz und in Süddeutschland höchst erfolgreichen Autors die früheste uns bekannte schriftstellerische Äusserung darstellt und thematisch und formal eine Sonderstellung einnimmt. Die sorgfältige Transkription, die editorische Notiz und der Kommentar stammen von Katharina Eder Matt. Ein erster Blick auf die Aphorismen Der Text mit dem Titel Aphorismen aus Nordamerika ist keine Aphorismensammlung im Wortsinn 2. Er ist auch nicht eine eigentliche „literarische Narration“, sondern, im umfangreichen Hauptteil, ein betont sachlicher Bericht. Der Autor deutet darin seinen Aufenthalt in Amerika zur Studienreise um und verarbeitet damit schreibend eine schwierige Erfahrung. 1 2 Für kritische Durchsicht und wesentliche Anregungen danke ich den Herren Dr. HansRudolf Binz, M.A. Ian David Holt und dipl. Bibl. Felix Nussbaumer, Zentralbibliothek Solothurn. Joachim verwendet den Begriff „Aphorismen” wohl anstelle von „Aperçus”. 1 Die Tagung der Internationalen Sealsfield-Gesellschaft in Bergamo im Jahre 2010 nahmen wir zum Anlass, eine vollständige Edition erstellen zu lassen, als Basis für eine spätere genauere Betrachtung der Aphorismen. Ausgangspunkt war u.a. die Frage, ob sich im vorliegenden Text eine Beziehung zum Werk oder zur Person von Charles Sealsfield feststellen lasse 3 . Eine solche Beziehung ist nach eingehender Prüfung des Textes und anderer Quellen nicht zu belegen. Neben diese erste Frage gesellte sich die zweite, eher regionalhistorisch interessierende Frage, ob der Autor in den Aphorismen Aufschlüsse über seine legendäre Reise und den Aufenthalt in Amerika gebe. Man weiss nämlich kaum etwas über Joachims konkrete Absichten und Hoffnungen, über seine Reiseroute und seine Erlebnisse. Es hat sich sehr bald herausgestellt, dass die Aphorismen auch dazu wenig Material liefern. Tatsächlich gibt Joachim zwar indirekte Hinweise auf die Reise, und er macht Bemerkungen, die aus eigener Anschauung stammen und auf eigenen Erlebnissen beruhen müssen, doch vermeidet er alles Persönlich-Biographische. Josef Joachims Aphorismen sind es aus anderen Gründen dennoch wert, einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt zu werden: Der Text interessiert literaturhistorisch als neu aufgefundenes Beispiel für die literarische Gestaltung des Erlebnisses Amerika. Er ist auffällig und wohl einzigartig in seiner Zusammenstellung verschiedener Textsorten. Zwei poetische, betont subjektive Texte rahmen einen zentralen essayistischen Prosatext ein. Eine Hymne zu Beginn drückt allgemeine Hoffnungen eines Einwanderers aus, ein Schlussgedicht Trauer, Reue und Heimweh eines gescheiterten lyrischen Ichs. Der Hauptteil vermittelt mit seinen Daten und Fakten Objektivität in der Art von Reiseliteratur des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, wird jedoch aufgelockert durch Einschübe von Anekdoten und kleinen Genreszenen, persönlichen Erlebnissen und Urteilen, wie wir sie aus Auswandererbriefen kennen. 4 3 4 Ein indirekter Bezug hätte sich über Alfred Hartmann (1814-1897) ergeben können, einen Solothurner Schriftsteller, Verfasser vielgelesener historischer Romane und Dorfgeschichten, Mitbegründer und „Altgeselle” der „Töpfergesellschaft”, einer Vortragsgesellschaft. Er war mit Sealsfield näher bekannt gewesen, und er war es, welcher der literarischen Welt 1865 – ein Jahr vor Joachims Amerikareise – die wahre Identität des in Solothurn verstorbenen Österreich-Amerikaners mitteilte (Ein aufgeklärtes Literaturgeheimniss, in: Die Gartenlaube, 1865, 6). Joachim seinerseits stand mit Hartmann in Kontakt, sicher belegt allerdings nur für die Zeit nach seinem Aufenthalt in Amerika. Laut Flury (Anm. 6) sei Joachim mit Hartmann sogar befreundet gewesen; in Hartmanns Autobiographie Rückblicke, Solothurn 2011, hg. v. Monika Hartmann und Verena Bider, wird Joachim allerdings nicht erwähnt. Gesammelt u.a. in: Leo Schelbert / Hedwig Rappolt: „Alles ist ganz anders hier”. Schweizer Auswandererberichte des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem Gebiet der Vereinigten Staaten. Zürich: Limmat-Verlag 2009. 2 Für die regionalhistorisch interessierte Öffentlichkeit ist der Text ein neues und überraschendes Stück Literatur, überraschend insofern, als Joachim in seinen späteren Werken seinen Aufenthalt in Amerika nur einmal verwertet hat. Schliesslich hat der Text wohl eine besondere migrationsgeschichtliche Bedeutung: Er ist wahrscheinlich in Amerika geschrieben worden. Joachim ist im März 1866 nach Amerika abgereist und am 22. Januar 1867 im Bezirkshauptort Balsthal wieder aktenkundig geworden; er selbst gibt die Zeit der Nieder- oder der Reinschrift der Aphorismen auf dem Manuskript mit „Nov. 1866” an. Eine Untersuchung des Papiers und des Papierformats könnte sichereren Aufschluss geben. 5 Was Joachim dazu bewogen hat, den Text in der vorliegenden Form zu verfassen, und was er ursprünglich damit bezweckte, wissen wir nicht. Über Joachims eigene Einschätzung der Aphorismen informiert Richard Flury in seiner Biografie 6: Ein Freund Joachims, Josef Spiegel, habe die Aphorismen gekannt; Joachim habe sie später einem anderen Freund, dem Balsthaler Kleinverleger Othmar Baumann, geschenkt, unter der Bedingung, dass sie nie veröffentlicht würden. Gerne wüsste man mehr über die Umstände, unter denen Joachims Aphorismen entstanden, rezipiert und tradiert worden sind. Es ist zu hoffen, dass gelegentlich weitere Quellen auftauchen. Über Leben und Werk von Josef Joachim (1834–1904) Der erfolgreiche solothurnische Volksschriftsteller Josef Joachim wurde am 4. April 1834 in Kestenholz, Bezirk Gäu, im schweizerischen Kanton Solothurn als siebentes Kind des Landwirts Johann Joachim und seiner Frau Anna Marie Elisabeth Pfister geboren. Dorfpfarrer Peter Dietschi, in Kestenholz tätig von 1831 bis 1841, ein um das solothurnische Schulwesen verdienter Mann, der später Domherr und Gymnasiallehrer in Solothurn wurde, förderte den begabten Knaben, indem er ihm erlaubte, die Bibliothek des Pfarrhauses zu benutzen. Sicher hat es sich dabei um Teilbestände ad usum delphinorum der im Pfarrhaus untergebrachten Bibliothek des Dekanats Buchsgau gehandelt, von der später die Rede sein wird. Josef Joachim besuchte die Volksschule im eigenen Dorf, danach in der benachbarten Gemeinde Neuendorf die Bezirksschule, einen kurz zuvor neu eingeführten Typus der Sekundarstufe I, der auf das Gymnasium in der Kantonshauptstadt vorbereitete. Anschliessend verbrachte er ein Jahr beim Pfarrer des katholischen Neuenburger Städtchens Le Landeron, um seine Kenntnisse der französi5 6 Vgl. Katharina Eder Matts Kommentar zur Transkription. Richard Flury: Josef Joachim. Leben und Werke des solothurnischen Bauerndichters. Solothurn: Kommissionsverlag Vogt-Schild 1945. – Der Solothurner Komponist Richard Flury (18961967) war mit einem Sohn von Joachims Freund Josef Spiegel aus Kestenholz befreundet. 3 schen Sprache zu vertiefen. Damit war Joachims Ausbildung abgeschlossen; den Besuch der „höheren Lehranstalt” in Solothurn erlaubte der Vater nicht. Josef Joachim sollte Landwirt werden. Er fügte sich. Als nach einer kantonalen Verfassungsrevision im Jahr 1856 die RadikalLiberalen an die Macht gelangten, begann sich auch Joachim politisch zu betätigen, zunächst als Friedensrichter, später, 1865, als Kantonsrat. In den Sitzungen des Kantonsparlamentes setzte er sich u.a. für die geplante Bahnlinie durch das Gäu ein, die den Verkehrsknotenpunkt Olten mit der Kantonshauptstadt Solothurn verbinden sollte. Im Jahre 1858 verheiratete sich Joachim mit Elisa Fuchs, einer Schwester des neuen Pfarrers Johann Fuchs. Die Familie wuchs rasch: neunzehn Kinder wurden insgesamt geboren, wovon elf kurz nach der Geburt starben. Schon bald stellten sich ökonomische Schwierigkeiten ein, Joachim verspekulierte sich und geriet in eine hoffnungslose Lage. Am 22. Dezember 1865, also im Jahr seines Einzugs in den Kantonsrat, versuchte er, sich mit einer gefälschten Unterschrift zu retten; als die Sache im März 1866 bekannt wurde, floh er nach Amerika. Er wollte wohl eine neue Existenz aufbauen, doch gelang ihm das aus unbekannten Gründen nicht. Er kehrte in die Schweiz zurück, wo er inzwischen zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, stellte sich der Polizei und wurde am 22. Januar 1867 inhaftiert. Nach Bittgesuchen von Verwandten und Freunden wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Joachim kehrte auf seinen Hof zurück und versuchte, sich wieder zu integrieren. Durch seinen Schwager Pfarrer Johann Fuchs, seit 1864 Bibliothekar des Dekanats Buchsgau, kam Joachim zu ausgiebiger Lektüre, sicher aus der genannten, im Pfarrhaus aufgestellten überaus reichhaltigen Bibliothek des Dekanats Buchsgau, die nicht nur mit antiken Klassikern und theologischen Schriften, sondern auch mit französischer Literatur der Aufklärung und frühen Ausgaben deutscher Klassiker und Romantiker ausgestattet war. 7 Laut seinem Biographen Flury lieh sich Joachim viele „belletristische Bücher” aus. Um welche Werke es sich dabei gehandelt hat, ist nicht bekannt. Im alphabetischen Katalog, den Pfarrer Fuchs 1865 angelegt hat, fehlen Namen, die man aus verschiedenen Gründen erwartet hätte, wie zum Beispiel Hebel, Auerbach, Sealsfield oder Alfred Hartmann. Von Gotthelf waren immerhin die Bilder und Sagen aus der Schweiz, Solothurn 1843, vorhanden. Neben der sonntäglichen Lektüre und der Arbeit auf dem Bauernhof engagierte sich Joachim im kulturellen Projekt „Jung Gäu”, einer Vereinigung, die regelmässig Versammlungen mit wissenschaftlichen und literarischen Vorträgen ab7 Die wohl seit 1730 systematisch aufgebaute, u.a. durch Schenkungen von Priestern und stadtsolothurnischen Patrizierfamilien ausgestattete Dekanatsbibliothek Buchsgau in Kestenholz wurde im Jahre 2011 der Zentralbibliothek Solothurn übergeben. Vgl. Ian David Holt: [Vorläufiger interner] Bericht über die Dekanatsbibliothek Kestenholz, Zentralbibliothek Solothurn 2009. 4 hielt. Vielleicht hat er in diesem Rahmen einmal auf der Grundlage seiner Aphorismen über Amerika berichtet? Mitte der 1870er Jahre ergab sich für Joachim überraschend die Möglichkeit, publizistisch tätig zu werden. Einer von Joachims Freunden, Lehrer Josef Spiegel, wies den Herausgeber des 1871 gegründeten Balsthaler Boten auf den schreibgewandten Landwirt hin. Ab 1876 lieferte Joachim für dieses Blatt Artikel über die verschiedensten Themen, beispielsweise über die Korrektion des Flüsschens Dünnern, aber auch über moderne landwirtschaftliche Methoden in Amerika. Ab 1879 fungierte Joachim sogar als Redaktor des Blattes. Schon bald erschienen die ersten belletristischen Texte aus Joachims Feder, Geschichten aus dem ländlichen Alltag, als Fortsetzungen in verschiedenen Blättern. Schon 1881 gab Joachim im Selbstverlag das erste Buch heraus, zwei Erzählungen, die er unter dem Titel Aus Berg und Thal: Bilder und Geschichten aus dem Schweizerischen Volksleben zusammenfasste. Die Wahl des Gesamttitels ist eine späte Referenz an Gotthelfs romantisierende Bilder und Sagen aus der Schweiz und Alfred Hartmanns Variation Erzählungen aus der Schweiz. Joachim stellt sich mit seinem Titel programmatisch in diese Reihe. Tatsächlich lehnen sich seine Geschichten in Fabel und Motivik an Gotthelf an; in Bearbeitung und Gestaltung orientiert er sich am volkstümlichen Hartmann. Joachim rezipiert aber auch die grossen formalen Neuschöpfungen der Literatur der Klassik: Der Roman Der Herrenbauer 8 beispielsweise ist der Entwicklungsroman eines jungen Mannes, der nach schwerwiegenden Fehlentscheidungen, unter anderem als Kantonsrat, seinen beruflichen Weg, die richtige Ehefrau und eine ihm angemessene Position in Politik und Gesellschaft findet. Joachims Fabeln sind einfach. Er erzählt linear, gliedert durch regelmässige Höhepunkte, wie es Fortsetzungsromane verlangen. Auch andere Merkmale der Volksliteratur sind zu finden, insbesondere der Einsatz der direkten Rede, die einfache Sachverhalte umständlich in ausgedehnten Dialogen ausbreitet. Mundart oder mundartliche Wendungen sollen dabei Authentizität und Lokalkolorit vermitteln. Wo Joachim auf eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Kenntnisse zurückgreift, gelingen ihm treffende Szenen und Bilder. Seine besondere Aufgabe sah Joachim darin, zwischen Bewahrung und Fortschritt zu vermitteln. Solothurn befand sich im Wandel vom Agrar- zum Industriekanton. Die jahrhundertealte politische und soziale Ordnung der Alten Eidgenossenschaft war zwar schon 1798 mit dem Einmarsch der Franzosen untergegangen, doch in der Mentalität städtisch-patrizischer und ländlich-wohlhabender Kreise lebte sie weiter. Joachim hingegen setzte auf die Errungenschaften der neuen Zeit. Für die 1876 in Betrieb genommene Gäubahn hatte er sich seinerzeit im Kantonsparlament eingesetzt; nun propagierte er in seinen Artikeln, aber auch in den belletristischen Werken den Einsatz moderner Technik in der Landwirtschaft, die er in Ame8 Joseph Joachim: Der Herrenbauer. Eine schweizerische Dorfgeschichte. Basel: Benno Schwabe 1899. 5 rika kennengelernt hatte. Gleichzeitig versuchte er, nach dem Vorbild der Romantiker, die untergehende ländliche Kultur für die Nachwelt literarisch festzuhalten, indem er etwa detailliert einen Tag auf einem Bauernhof 9 oder, in der Erzählung „Lonny, die Heimatlose” 10, Szenen aus dem Leben von Fahrenden schilderte. Die späteren Jahre Joachims waren geprägt von gesundheitlichen Schwierigkeiten. Ein Unfall führte am 30. Juni 1904 zu seinem Tod. Auch Joachims spätere Werke erschienen oft zunächst als Fortsetzungsromane, zunehmend auch in renommierten Zeitungen wie dem Berner Bund, den Basler Nachrichten oder der Neuen Zürcher Zeitung. Der einflussreiche Feuilletonredaktor des Bundes, Josef Viktor Widmann, zählte zu Joachims Förderern. 11 Grössere Verlage wie Schwabe in Basel und Huber in Frauenfeld wurden so auf ihn aufmerksam. Die erfolgreiche Lonny beispielsweise wurde bei Schwabe verlegt, erlebte eine Übersetzung ins Französische 12 und eine zweite deutschsprachige Auflage. Eine Gesamtausgabe zu Lebzeiten hingegen kam nicht zustande, offenbar wegen schwieriger Beziehungen zwischen dem Schriftsteller und seinen Verlegern. Nach dem Tod des Schriftstellers verblasste sein Ruhm schnell. Ganz vergessen ging Joachim freilich nie: Im Jahre 1920 dramatisierte der Solothurner Komponist Edmund Wyss, der mit Joachim noch bekannt gewesen war, Lonny, die Heimatlose und komponierte dazu musikalische Einlagen 13. Der Komponist Richard Flury, der Wyss’ Werk instrumentiert hatte, erarbeitete auf der Basis von Archivstudien und breit angelegten Befragungen von Zeitgenossen die oben genannte Biographie des Schriftstellers; sie erschien 1945. Zum 150. Geburtstag Joachims gab die Regionalhistorikerin Elisabeth Pfluger den Band Lonny und ausgewählte Erzählungen 14 heraus, mit Kurzbiographie und einer Bibliographie. Im Jahre 1995 veröffentlichte die Solothurner Theaterpädagogin Elisabeth Delsen eine Mundartbearbeitung des „Lonny”-Stoffs. 15 In jüngs9 10 11 12 13 14 15 Joseph Joachim: Ein Tag aus dem Bauernleben. In: Aus Berg und Thal: Bilder und Geschichten aus dem Schweizerischen Volksleben. 1881-1889. Joseph Joachim: Lonny, die Heimatlose. Erzählung aus dem schweizerischen Kultur- und Volksleben in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Basel : Benno Schwabe 1889. (2. Aufl. 1898). Ruedi Graf: Literarisches Leben und Schaffen. In: Geschichte des Kantons Solothurn 1831-1914. Hg. v. Regierungsrat des Kantons Solothurn. Band 4.2: Landschaft und Bevölkerung; Wirtschaft und Verkehr; Gesellschaft; Kultur. Solothurn: Lehrmittelverlag Kanton Solothurn 2011. Joseph Joachim: Lonny, la Bohémienne. Esquisse de la vie et des moeurs du peuple suisse dans la première moitié de ce siècle. Traduit de l’allemand par A.-B. Clément. Neuchâtel : Attinger frères 1889. Textausgabe: Wyss, Edmund: Lonny, die Heimatlose. Drama in 5 Akten, unter Benützung der gleichnamigen Erzählung von Josef Joachim. Musik (Liedereinlagen, Tänze und Melodramen) vom Verfasser. Aarau: H.R. Sauerländer 1920. Joseph Joachim: Lonny und ausgewählte Erzählungen. Gedenkausgabe zum 150. Geburtstag. Herausgegeben von Elisabeth Pfluger und Felix Furrer; mit Zeichnungen von Cäsar Spiegel. Solothurn: Aare 1984. Elisabeth Delsen: Lonny. Bühnenfassung in zwei Akten nach einer Erzählung von Joseph Joachim. Belp: Theaterverlag Elgg [1995]. 6 ter Zeit ist Material aus Joachims Werk in das Corpus einer volkstümlichen Sammlung von Mundartwörtern eingegangen, die 2009 im kleinen, auf Solodorensia spezialisierten Knapp-Verlag in Olten erschienen ist. 16 Im Jahr 2011 schliesslich wird derselbe Verlag in der Reihe „Solothurner Klassiker” ein von Hans Brunner, dem ehemaligen Leiter des Historischen Museums Olten, zusammengestelltes Auswahlbändchen mit Texten von Josef Joachim herausgeben, der neueste Beleg für Joachims langes Nachleben in der Region. Das Manuskript Aphorismen aus Nordamerika Katharina Eder Matt Editorische Notiz Bei der Transkription der Aphorismen aus Nordamerika dienten die vom Historischen Seminar der Universität Zürich (Ad fontes) herausgegebenen Transkriptionsregeln als Richtlinien. 17 Eigene Ergänzungen sind in eckige Klammern gesetzt, Unklarheiten mit [?] gekennzeichnet. Dank der sorgfältigen Handschrift von Josef Joachim konnten im ganzen 54seitigen Manuskript nur zwei Stellen nicht entziffert werden. Sie sind mit (...) bezeichnet. 18 Auf eine Zeilennummerierung wurde verzichtet. Die Zeilenenden sind mit Schrägstrichen ( / ) markiert. Um den Blocksatz nicht zu strapazieren, wurden im transkribierten Text kommentarlos einige wenige Worttrennungen vorgenommen. Für die Textgliederung verwendet Joachim keine Überschriften, zentrierte Schlussstriche trennen die einzelnen inhaltlichen Einheiten (Kapitel), hervorgehobene Wörter oder Satzteile sind unterstrichen. Diese beiden Darstellungselemente wurden vom Original übernommen. Auf Seite 22 hat der Autor nur einmal eine grundsätzliche Aussage als rhetorische Frage zentriert. Sie wurde auch bei der Transkription ins Zentrum der Zeile gesetzt und lautet: „Nicht wahr, ein sauberer Kerl, dieser Yankee?”. 16 17 18 Markus Husy / Heinz Studer (Mitarb.) / Elisabeth Pfluger (Mitarb.): As nüüt eso. Es Wörterbuech für d Mundart vom soledurnische Gäu. Meh als 3000 Wörter und Wändige / Verfasser: Markus Husy ; Lektorat: Heinz Studer ; Berootig: Elisabeth Pfluger. Olten: Knapp 2009. Transkriptionsregeln für das ICT-Projekt, Ad fontes, Einführung in den Umgang mit Quellen im Archiv. Hg. v. Roger Sablonier. Historisches Seminar der Universität Zürich, angepasste Fassung vom 25.5.2003. Abrufbar unter: www.adfontes.unizh.ch. [letzter Zugriff: 2. Mai 2011] Seite 12 im zweitletzten und Seite 41 im dritten Absatz 7 Die Rechtschreibung ist nicht immer korrekt und auch nicht konsequent. Partizipien können sowohl auf „-irt” wie auch auf „-iert” enden. 19 Auf Seite 17 ist im Zusammenhang mit der Beschreibung der Bodenschätze von „Oehl” und von „Öhl” die Rede, Fallfehler und unrichtige Satzkonstruktionen kommen vor. Um die Authentizität zu wahren, wurden solche „Ungereimtheiten” unkorrigiert übernommen. Richtigstellungen sind mit einem Gleichheitszeichen in eckige Klammern gesetzt [=...], Auffälligkeiten, die als Schreibfehler im transkribierten Text gelten könnten, mit [sic] gekennzeichnet, zum Beispiel Seite 14, wo Joachim in New York statt neapolitanische „neapolitansische” Winter vermisst. Kommentarlos korrigiert wurden die wenigen offensichtlichen Flüchtigkeitsfehler 20 sowie unbeabsichtigte Wortwiederholungen (ausgenommen beim Seitenwechsel). Fehlende Punkte auf Umlauten, die auch auf das Verblassen der Tinte zurückgeführt werden können, wurden ebenfalls kommentarlos ersetzt. Die Kürzungen für und (u, u., α) und oder (od.) wurden der besseren Lesbarkeit halber konsequent ausgeschrieben. 21 Die oft verwendete Abkürzung für Dollar (D oder D.) wird nur beim ersten Mal aufgelöst, diejenige für das Längen- oder Quadratmass Fuss ( ' ) jedoch häufiger erklärt, da Joachim das gleiche ApostrophZeichen auch bei Datums- und Altersangaben oder bei der genauen Bezeichnung geografischer Koordinaten verwendet. Siebenmal sind Ergänzungen zum Text an den Seitenrändern nachträglich sorgfältig eingetragen worden. Diese Nachträge wurden bei der Transkription als eigenständige Absätze mit dem Vermerk [Nachtrag ...] in den Text eingefügt. Joachim verwendet drei verschiedene Schreibweisen des doppelten S, bei deren Anwendung keine Konsequenz festgestellt werden konnte. Da es sich wahrscheinlich um Varianten desselben Typs handelt, wird das Doppel-S immer als ß (Zeichen für scharfes S oder Eszett) wiedergegeben. Die Anmerkungen enthalten Erläuterungen. Für die Übersetzung einzelner Dialektwörter wurde das Schweizerische Idiotikon konsultiert. 22 Beschreibung des Manuskripts Das Original der Aphorismen aus Nordamerika von Josef Joachim befindet sich seit 1993 im Besitz der Zentralbibliothek Solothurn (Geschenk von Prof. Dr. Paul Pro- 19 20 21 22 Z.B. regiert (Seite 42), varirt (Seite 43). Z.B. „geworben” statt geworden (Seite 42). Empfehlung von Ad fontes, Punkt 4 (vgl. Anm.1). Schweizerisches Idiotikon, Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, Bd.1-15, Frauenfeld 1881ff. 8 fos, Winterthur, Akzessionsnummer G 1993/248) und wird unter der Signatur S I 763 aufbewahrt. Das Manuskript (24,5 x 20,2 cm) ist fadengeheftet und in einen farbigen Karton geleimt. Das eigenwillige Farbmuster der Schutzhülle erinnert an hell- bis stark dunkelbraune Stoff-Falten, die sich quer über die ganze Fläche ziehen und von einem spinnwebenartigen helleren Muster überlagert werden. Der Umschlag ist stark beschädigt. Die Handschrift umfasst 54 Seiten. Das Papier ist dünn und transparent, so dass die Schrift der Rückseite jeweils durchscheint. Es handelt sich um insgesamt 13 Bögen, die einmal gefaltet, aufeinandergelegt und geheftet wurden. Jeder Bogen ist fortlaufend vierseitig beschrieben. Für das Titelblatt (Aphorismen aus Nordamerika – Aufzeichnungen eines Ausgewanderten) wurde ein einzelner halber Bogen zwischen den ersten der gehefteten Bögen und den Umschlag geleimt. Das Papier ist horizontal durchgehend bis zum Blattrand blau liniert (24 Linien pro Blatt). Es hat zahlreiche Stockflecken. Die Seitenränder sind vergilbt und beschädigt. Spuren ehemaliger Faltung sind zu erkennen. Die Handschrift wurde zu einem früheren Zeitpunkt einmal vertikal gefaltet. Der Falz ist sowohl auf dem Umschlag als auch auf den Papierbögen noch zu sehen. Ebenfalls gut sichtbar sind auf den beschriebenen Blättern drei ehemalige horizontale Falten, so dass angenommen werden darf, dass die Handschrift über eine gewisse Zeit (vor der Heftung?) zweimal quer zusammengelegt und auf diese Weise aufbewahrt oder transportiert wurde. Trotz der oben beschriebenen Beschädigungen ist das Manuskript in einem ziemlich guten Zustand. Der Text ist gut lesbar und bereitete bei der Transkription keine grossen Schwierigkeiten. Er wurde durchgehend mit schwarzer Tinte geschrieben. Josef Joachim hat eine sorgfältige, regelmässige und deutliche Handschrift ohne auffällige Besonderheiten. Korrekturen, Durchstreichungen oder Überschreibungen kommen fast gar keine vor. Man hat den Eindruck einer Reinschrift. Die sieben Nachträge sind in der gleichen sorgfältigen Schrift wie der Haupttext an den Seitenrändern platziert. Wörter und Satzteile, die hervorgehoben werden sollen, werden unterstrichen. Kapitelüberschriften fehlen, der fortlaufende Text ist aber jeweils durch zentrierte Schluss-Striche in 13 thematische Einheiten eingeteilt. 23 Er wird eingerahmt von einem Stimmungsbild am Anfang („Ob schön das Meer?”) und einem Heimwehgedicht am Schluss („Oft durch die Seele schwinget...”). Am Ende dieses Gedichts findet sich die Datierung „J.J. 1866”. Zu Beginn wird der Text sorgfältig auf die vorgegebenen 24 blauen Linien des Schreibpapiers gesetzt, im Laufe des Schreibprozesses werden die Seiten immer dichter beschrieben, so dass gegen Ende, zum Beispiel auf Seite 51, bis zu 46 23 Inhaltsübersicht s. am Schluss des Kommentars zum Text. 9 Textzeilen in kleinerer, aber durchaus stets gut lesbarer Schrift auf eine Seite zu stehen kommen. Fehlte es wohl an Papier? Die Paginierung hat Joachim selber vorgenommen. Er setzt die Seitenzahl ganz klein in die oberste rechte (ungerade Zahl) oder linke (gerade Zahl) Ecke und grenzt sie vom übrigen Text durch einen kleinen Bogen oder Strich optisch ab. Da die Ränder des Manuskripts zum Teil beschädigt sind, ist die Zahl nicht mehr überall erkennbar. Fehlende Seitenzahlen sind später mit Bleistift ergänzt worden. Kommentar und Inhaltsübersicht Josef Joachim wollte das Manuskript wohl nicht publizieren. Die sorgfältige thematische Gliederung schliesst jedoch Publikationsabsichten des 32-jährigen nicht aus. Die Aphorismen sind so konzipiert, dass sie in einem Wochenblatt oder einem ähnlichen Organ als Folge hätten erscheinen können. Auch der aus heutiger Sicht etwas bemühende Stil kommt am ehesten demjenigen zeitgenössischer Feuilletonbeiträge nahe. 24 Neben informativen Fakten stehen persönliche Stellungnahmen, die scherzhaft-anbiedernd, kritisch-gehässig oder sogar beleidigend sein können. Da solche Feuilleton-Artikel oft anonym erschienen, setzten sich die Autoren des 19. Jahrhunderts bei ihren persönlichen Meinungsäusserungen kaum Grenzen. Joachim beschreibt Nordamerika als Reisender, vermeidet es aber, seine Reiseroute und Orte, wo er sich länger aufgehalten hat, zu erwähnen. Der „lange Pfälzer”, der mit seinem „Späktiv” über das Meer schaut und das ersehnte Land erblickt, kommt später nie mehr vor. 25 Beim Lesen ist gut zu erkennen, wo aus eigener und wo aus fremden Quellen geschöpft wird. Seine persönlichen Erlebnisse beschreibt er detailliert und mit Engagement, gibt jedoch weder seine Reiseroute noch seinen Wohnort preis. Einen Hinweis, dass er sich in Pittsburgh und Philadelphia länger aufgehalten haben könnte, gibt die Beschreibung der trostlosen Sonntage unter der „Maine and Sunday-Law”: „Vergebens durchstreifst du die öden Straßen Philadelphia's oder Pittsburgs, umsonst klopfst du an die Thüren und Thore der Schenken und Bierstuben, um deinen vertrockneten Gaumen mit einem labenden Tropfen zu befeuchten, s'ist heut Sonntag, sagt der Wirth, nix kommt raus, vierzig Dollars Buße!”. 26 Zusammen mit New York und Wiedlisbach im Kanton Bern zählt er Pittsburg zudem auch „zu den schmutzigsten Städten der Welt” 27. Immer wieder stellt Joachim Vergleiche mit seiner Heimat an. Er setzt die 5th Avenue in New York, wo die „fashionable Welt” wohnt, mit der Solothurner „Gur24 25 26 27 Ab 1876 war Joachim Mitarbeiter, ab 1879 Redaktor des Balsthaler Boten. Seite 3 Seite 24. Seite 5. 10 zelengass” gleich, die Landschaft Nordamerikas erinnert an das „wellenförmige Hügelland” des Kantons Luzern und nur die Alpenwelt (der Schweiz natürlich) kann es an Schönheit noch mit der Prairie des Westens aufnehmen. Auf der langen Eisenbahnfahrt durch die Einöden Richtung Westen denkt er sehnsüchtig an die „blühenden Dörfchen”, die ihm bei Eisenbahnfahrten in der Heimat begegnet sind, und vermutet, dass die „Voreltern” des schlechten nordamerikanischen Weins „aus dem obern Leberberg” stammen. Entsetzlich ärgert er sich über ausgewanderte Schweizer, die ihre Muttersprache und ihr Heimatland verleugnen, „die Miserabeln!”. Diese Vergleiche könnten ein Hinweis darauf sein, dass er sich an das Zielpublikum in seiner Heimat, den Solothurner Leser, wenden wollte. Vielleicht ist es aber auch nur ein Indiz dafür, dass ihn seine Heimat nie wirklich losgelassen hat. Die Sehnsucht nach ihr kommt jedenfalls im Schlusswort und dem abschliessenden Heimweh-Gedicht bekenntnishaft zum Ausdruck. Wäre das Manuskript publiziert worden, hätte es dem Leser einen guten Einblick in die damaligen Verhältnisse Nordamerikas geboten. Leider verzichtete Joachim für seine Aphorismen auf Untertitel. Das hier aufgestellte Inhaltsverzeichnis dient als Übersicht und Orientierungshilfe bei der Suche nach einem bestimmten Thema. Die angegebenen Seitenzahlen entsprechen denen des Originalmanuskripts. Die „Kapitel” variieren im Umfang zwischen anderthalb bis fünfeinhalb Seiten mit Ausnahme des letzten Abschnittes, wo Joachim als landwirtschaftlicher Fachmann auf neun dicht beschriebenen Blättern ausführlich und mit differenzierter Sachkenntnis berichtet. Er nennt hier sogar zwei Quellen seiner Informationen, einen Pomologischen Bericht (über die nordamerikanischen Apfelsorten) und die Ackerbaustatistik des Staates Ohio. 28 Hymnisches Stimmungsbild „Ob schön, das Meer?” 1. Ankunft in New York und Beschreibung der Stadt 2. Reisen im Innern des Landes öffentliche Verkehrsmittel 3. Klima 4. Bodenschätze und Naturreichtum Charakterisierung verschiedener Einwanderergruppen 28 Seite 47. 11 Seite Seite 1-2 2-8 Seite 8-13 Seite 13-16 Seite 16-22 5. Kritik am „engherzigen Muckerthum” des Yankees Maine Law und Sunday Law 6. Religion 7. Bildungswesen und Kultur Stellung der Frau 8. Beschaffenheit der Städte und Häuser Beschreibung des Alltagslebens 9. Ehe- und Familienleben Sprache, Geschäft, Handel Reklame- und Zeitungswesen 10. Folgen des Bürgerkrieges 11. Sklavenemanzipation Politik und Verwaltung 12. Landwirtschaft, allgemeiner Überblick 13. Landwirtschaft Grösse der Farmen, Bodenpreise und Kaufakt beim Liegenschaftserwerb Beschaffenheit der Landstrassen Beschreibung der Gebäude Viehhaltung, Obst- und Ackerbau Landwirtschafts“maschinen” Geselligkeit und Gastfreundschaft Schlussgedanken und Heimwehgedicht 12 Seite 23-26 Seite 26-28 Seite 29-31 Seite 31-34 Seite 34-37 Seite 37-39 Seite 39-41 Seite 41-43 Seite 43-52 Seite 52-53 Josef Joachim Aphorismen aus Nordamerika. Aufzeichnungen eines Ausgewanderten Transkription Katharina Eder Matt [Umschlag Rückseite] [G 1993/248] [I] Aphorismen aus Nordamerika _________ Aufzeichnungen eines Ausgewanderten [ II leer] 13 1 - - - - - - Ob schön, das Meer? Ja göttlich schön im strahlenden Morgengewande, wenn Allmutter Sonne / ihren goldenen Schimmer ausbreitet auf die glitzernden, hüpfenden / Wellen; schön ist das Meer am sonnigen, lächelndem Tag', grausig / schön und ein Bild der gewaltigen Gottesmacht im tosenden Sturme – unver- /gleichlich, geheimnißvoll und schrekkhaft schön aber ist das Meer beim Nahen der / Nacht! Wer beschreibt den Anblick, wenn die Sonne scheidet, das heitere Tagesge/stirn? Von Wolke zu Wolke gesunken, taucht für halb in die Fluth ihr blutiges Antlitz, wie / ein entzündetes Schiff am Horizont sich neigt. Hinter uns verhüllt sich der Osten / in sein blaßes Sargtuch und regungslos erstirbt der Wind in den Segeln; / Schatten durchfliegen die Luft eilenden Laufs und unter der gräulichen Färbung vermählen sich / Himmel und Meere. Hinter uns Nacht, im Westen allein fluthet und wogt das Licht durch das / goldene Thor, die leicht verhüllende Wolke mit Purpur besäumend. Alles, die Schatten, / die Winde, die Fluth aus dem rauschenden Abgrund, scheint hinüber zu ziehn nach dem / Flammengewölb', als hätte die Welt und was ihr Leben beseelt, jetzt, wo das Licht hinstirbt, / Furcht vor dem Tode gefaßt. Dorthin ziehen die Möwen und Reiher, dorthin wogt der weiß- / geflokte Meeresschaum; und sie verfolgt mein Blick, in meiner Seele verbleichen auch / und sinken allmählig alle die Stimmen der Welt und der Lärm des Tages und Furcht und / Staunen erfaßt mich, jetzt, wo Sonne, Himmel und Meere ihre Abendandacht feiern[.] Licht, wo gehst du hin, wo zieht ihr hin, du flammenerschöpfte Kugel, Ostwind, / [2] Fluth und Wolken, Staub und Schaum und du Nacht, ihr brennenden Blicke und du Seele, wenn ihr es wißt, wo ziehen wir hin? Großes, göttliches All', zu dir! deß blaßender Funke die Sonn' ist; Ziel der Nacht / und des Tages, auch des Geistes Ziel bist du; himmlische Fluth und Ebbe des ganzen, all-/ weltlichen Gebens, du Meer des Lebens, in dem Alles versinkt! ________________ Wer beschreibt die freudige Aufregung der Paßagiere, wenn endlich nach / langer Fahrt das Schiffsorakel spricht: Heute noch bekommen wir Land zu sehen, / morgens früh jedenfalls sind wir in New York! Aller Sing und Sang und Scherz verstummt, lautlos / stehen die Gruppen auf dem Vorderdeck und Aller Blicke wettei14 fern, zuerst das / wunderbare Land zu sehen, wo die gebratenen Tauben wachsen und das seit Wochen schon / all unser Wachen und Träumen beherrschte. Endlich hat der lange Pfälzer[?] mit Hülfe / seines 'Späktivs' 29 in weiter Ferne einen grauschwarzen Streifen erspäht und / Kolumbus kann keinen größern Stolz empfunden haben, als der Lange bei seiner Ent- / deckung. Allmählig belebt sich das Meer, hunderte von Fischerbooten und unzählige Küsten- / vögel bekunden die Nähe des Landes, der Lootse steigt an Bord, die Streifen ver- / größern sich und rücken näher und nach einer langen, bangen Stunde paßiren / wir endlich den Sund von Long Island und gelangen in den Hafen von New York. New York liegt auf dem südlichen Ende der Manhattan Insel, 18 Meilen / vor der offenen See; sie hat auf der Westseite die Mündung des Hudson, auf der Ostseite / den Long Island Sund und nach Süden eine äußerst schöne Bucht. Mit Einschluß der kleinen / Meerenge, die Kills genannt, die sich westlich von Staten Island und die Bucht von Newark 3 erstreckt[,] hat der Hafen vier Ausgänge und ist so ungeheuer groß, daß er / wohl die Flotten der ganzen Welt bequem in sich bergen könnte. Die vielen Strömungen / verhindern die Anhäufung von Eis und daher wird die Einfahrt sehr selten durch Frost un- / zugänglich gemacht. Die Tiefe des Waßers gestattet selbst den größten Schiffen den / unmittelbarsten Zugang, während der eingegrenzte Raum der Meerenge die Errichtung / von Vertheidigungswerken sehr begünstigte; einige Monitors 30, die schwarz und träge / vor den Ausgängen liegen machen jede feindselige Annäherung vollends uner- / quiklich. Der Hafen von N.Y. ist rings von einer pittoresken Schönheit / umschloßen, die wirklich unser Auge entzücken; die Ufer sind mit Palästen / und Villen förmlich übersäet, die hohen Felsenufer des Hudson, auf ihren Rücken / zahllose Pavillons und Lustgarten tragend, vollenden die malerische Einfaßung, die / wohl von keiner der Welt überboten wird. Und doch vermag dieser Reiz der / Natur und der Kunst unser Auge nicht dauernd zu feßeln. Der Hauptreiz dieses / großen Bildes liegt doch im Anblick und Anstaunen deßen, was menschliches / Genie und des Menschen Kraft, was die Industrie aus diesem, für den Verkehr so überaus gü[n]stig- / en Waßerbecken gemacht hat. Der koloßale Kriegsbauhafen, die ungeheuern Werften für die / Handelsmarine, die zahllosen Docks, in denen die größten Dreimaster Versteckens /spielen können, die Unzahl von kasernenhaften (Waarenhäusern) Fruchtspeichern, die / die Riesen-Inselstadt rings umgeben, die tausende von Schiffen, vom riesigen / Schraubendampfer bis zu der Legion kleiner Boote, vom rußigsten Kohlen- / schiff bis zur eleganten Dampfÿacht, die theils träge ankern, theils in hastiger / Eile durch 29 30 Perspektivs. Panzerschiffe. 15 den Mastenwald schießen oder im süßesten far niente sich nach- / läßig von den kleinen Wogen schaukeln laßen – All dieß gewährt dem 4 dem Ankömmling ein Bild, großartig und zauberhaft, von dem sein erstaunter / Blick sich nicht losreißen kann. Des Nachts bieten die tausende von rothen, grünen, violetten, blauen, / in allen möglichen Nuancen schimmernden Schiffslichter, die theils stille sitzen, / theils kreuz und quer und geräuschlos an einander vorbeihuschen, einen feen- / haften Anblick; dazu der vom Gaslichte der Riesenstadt geröthete Himmel, der / vom leisen Windhauche herübergetragene, melancholische Negergesang eines / Ostindienfahrers oder die so beliebte türkische Musik der irischen / Matrosen – wir glauben uns in ein Mährchen versetzt aus 1001 Nacht! Hat der Ankömmling die langweilig chicanöse Zollvisitation / überstanden, so wird er einige Stunden in den Generalauswanderungs- / pferch, Castle Garden genannt, eingesperrt. Es ist dieß eine, mehrere Tausend / Menschen haltende, runde Halle, wo man sich waschen und die Läuse „abe / machen“ 31 kann. Auch befinden sich hier, Imformations-[sic]Controll- Placirungs und / andere Bureaux, allwo man allerlei guten Rath und Auskunft erhalten / und sein Go[e?]ld auswechseln kann und dieß alles unentgeldlich d.h. wen man / nicht beschwindelt wird. Dieses vom Staate errichtete Institut ist zum Schutze / unerfahren[e]r Auswanderer von unleugbarem Nutzen; für einen großen / Theil der Paßagiere aber ist es ebenso lästig, hier mehrere Stunden / nutzlos eingesperrt zu werden. Es wäre den angestellten Beamten zudem / zu rathen, ihre exemplarische Grobheit in etwas zu mildern die einem / meklenburgischen Landjunker zur Zierde gereichen würde. Endlich wird das Thor zum heißersehnten Eldorado erschloßen; / New York steht uns offen und wie drängt und stoßt man sich, Jeder will der erste 5 sein und doch – Viele kommen ja früh genug! Trotz ihrer vielen Prachtbauten und Marmorpalästen ist die Stadt N.Y. / (nebst) nächst Pittsburg (Pennsylvania) und Wiedlisbach (Ct. Bern) die schmutzigste der / Welt – dank des miserablen Straßenpflasters, das täglich von Millionen Pferden ge– / treten und von tausenden von Wagen aller Art befahren wird. Bei schlechtem / Wetter halbfußhoher Koth, bei trockenem aber, unausstehlicher Staub. Doch sind / alle Straßen New Yorks (sowie aller andern amerik. Städten) mit breiten und / reinlichen Trottoirs versehen. Pferdebahnen durchziehen alle Hauptstraßen und / werden von Gentlemen und Lady sowohl als vom Arbeiter tagtäglich 31 Wegmachen. 16 benützt; / Fahrpreiß 6 Cents ohne Unterschied der Distanz. Man kann sich einen an- / nähernden Begriff von der Größe der Stadt machen, wenn man be- / denkt, daß z.B. die Neustadt, wenn ich nicht irre, neunzehn Avenues hat und jede / 100200 Straßen in sich schließt. Die alte Stadt ist unregelmäßig, der neue / Stadttheil jedoch monoton regelmäßig gebaut. Reich an arthitektonischer 32 / Schönheit ist der Broadway, auch bildet er den komerziellen Mittelpunkt der / Stadt. Die fashionable Welt aber, die N.Yorker Gentry wohnt in der / fünften Avenue (zu deutsch: Gurzelengaß 33); es ist dieß New Yorks Faubourg / St. Germain und steht diesem an Pracht und aristokratischem Air (auch N.Y. hat / seine Aristokratie, die des Dollars nämlich!) gewiß nicht nach. An Sehenswürdigkeiten sind ferner zu bemerken: der Central / Park, wo das reiche New York zu Roß, zu Wagen und zu Fuß sich zeigt, glänzt / und sich amüsirt; die prachtvollen Anlagen, Fontaines, See'n, Pavillions, Platt- / form[en], Statuen etc. haben schon Millionen Dollars verschlungen und doch ist die / Sache erst angefangen; die City Hall mit Park; die Academy of Music, Barnum's 6 Museum, wo man alle dagewesenen und nicht dagewesenen Merkwürdig- / keiten der Welt um lumpige 30 Cents sehen kann; der Atlantic Garden, / eine koloßalle, domartige Trinkhalle vis-à-vis dem (deutschen) Bowery Theater; / welche bequem zweitausend Menschen ein Plätzchen gönnt, wo sie einige Gläser / des wirklich vortrefflichen Biers zu Gemüthe führen können; in dieser Halle befindet / sich das berühmte große Orchestreon (Musikuhr), ein staunenswürdiges[?] Kunst / werk, das in Karlsruhe verfertigt, etwas über zweihundert tausend Gulden ge- / kostet hat und die komplizirtesten Musikpiecen mit ungemeiner Präzision und Wohllaut / aufführt. Die größte Merkwürdigkeit der Stadt aber ist ihre riesenhafte kommerzielle / und industrielle Thätigkeit, die uns vom ersten bis zum letzten Augenblick in / Erstaunen setzt und die wirklich jeder Beschreibung spottet. New York ist nicht nur / das Thor, sondern auch die Metropole in kommerzieller, socialer und politischer / Beziehung. Paris c'est la France. Alle Demi-Grosisten und Detailisten des Ostens und / Westens beziehen ihre Waaren ausschließlich aus N.Y. Oeffentliche Brunnen besitzt N.Y. keine, so wenig wie alle übrigen Städte / Nordamerikas; dagegen versieht das riesige Waßerreservoir sämtliche Küchen / und Stuben der Stadt mit genügendem Waßer, das aber in seiner Eigenschaft als / Trinkwaßer viel zu wünschen übrig läßt. Die Polizey, in Uniform und Organi- / sation der englischen nachgebildet und aus Policemens und Dedectivs (geheime) bestehend, / rühmen sich seit einiger Zeit und dieß mit Recht einer anerkennens32 33 Architektonischer. Wichtige Geschäftsstrasse in Solothurn, offizieller Name: Gurzelngasse. 17 werthen / Virtuosität, immer noch aber ist N.Y. das Eldorado der Taschendiebe und / Gauner und nicht selten finden Raubmorde statt auf offener Straße. / In gewiße Stadttheile wagt sich ein ehrlicher Mann selbst bei Tage nur ungern, 7 Nachts gar nicht, namentlich berüchtigt sind die Fife Points, wo Elend, Schmutz / und Verbrechen ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Prachtvolle Kauf- und / Schmuckläden wetteifern mit denen von Paris und London; ebenso die Hôtels und / Restaurants; ungewöhnlich zahlreich sind die sog. Cafe's chantants, aus jeder dritten / Hausthüre (Souterrain) dringt Musik, gar oft in des Wortes schändlichster / Bedeutung, an unser entsetztes Ohr und wir gerathen unwillkührlich auf / die begründete Vermuthung, N.Y. sei die musikalischste Stadt der Welt und / kein Wunder, daß die Ratten so selten. New York ist größtentheils aus Backstein erbaut, doch muß derselbe / in den fashionablen Stadttheilen nach und nach dem Sandstein und Marmor weichen. / An der Ecke des Broadway und der City Hall wird gegenwärtig ein / Börsengebäude aus pur Eisen und weißem Marmor erbaut, ein wahrer / Prachtbau, der wohl Millionen kosten wird. Sehr viele Häuser haben / glatte Dächer und überhaupt zeigt der N. Yorker sehr viel Vorliebe / für den italienischen Baustÿl, obwohl der „Himmel” sehr wenig Italienisches / an sich hat. – Die Stadt zählt bereits mit Einschluß von Brooklin / über eine Million Einwohner, wovon gut 1/3 deutscher Zunge oder / Abstammung sind. Die Bevölkerung nimmt in riesenhaftem beispiellosem / Verhältniß zu, über 20% jährlich und aller menschlichen Berechnung / nach wird New York in wenigen Jahren die größte Stadt der / Welt sein und 5-6 Mill. Einwohner zählen! Dann wird sie die Nachbarstädte / Hobocken[,] Brooklin und Williamsburg inkorporirt haben (Soloth[urn] – Feldbrunnen) und / das jetzige New York blos die City der Riesenstadt bilden. ________________ 8 Der erste, überwiegende Eindruck, den Amerika auf den / Inlandreisenden macht, ist die geographische Enormität des Landes, mit / andern Worten, es wird uns, die wir an unsere kleinlichen europ. / Distanzverhältniße gewöhnt sind, fast bange zu Muthe, wenn wir vom / schwankenden Dampfroße 3-4 Tage und Nächte westwärts ge- / schleppt werden. Wir fürchten jede Stunde ans Ende der Welt zu gelangen, / oder doch wenigstens in den stillen Ocean geschmießen zu werden, / und doch ist dieser ja noch viele tausend Meilen weit entfernt! Ja diese / kontinentale Enormität setzt uns wirklich in Staunen und Bewunderung / und un18 willkührlich drängt sich uns der Gedanke, die Ueberzeugung / auf, daß hier noch Viele, Viele Platz finden, daß, wem's draußen / zu enge wird, nur herkommen soll; hier kann er noch Plätzchen finden, / wo 30 Meilen im Umkreise ihm kein Nachbar lästig wird. Ferner frappirt uns der seltsame Kontrast zwischen Natur und Cultur, / wie sie in verschiedenartigsten Bildern an unserm Auge vorübergleiten. / Hier schöne, kultivirte Farmen mit schönen und wüsten Häusern, prachtvollen / Obst- und Blumengärten, und dann auf einmal zwanzig Meilen langer, / naturwüchsigster Urwald. Sumpf und Gestrüpp – dann wieder Cultur / und so fort in wundersamstem Farbenwechsel. Oft glaubt man sich / mitten in unermeßlichen Urwald versetzt, nirgens keine Spur von / Menschenhand, der Fisch im rieselnden Wildbach, der[sic] Eichhorn und der braune / Hase blicken uns neugierig zutraulich an, die riesigen Schwammeichen, / Hikory's und Wallnußbäume, die dem tosenden Sturme zum Opfer gefallen, / sie bleiben unberührt liegen, kein profaner Axtstreich stört ihren Todesschlaf, 9 – da, mitten im jungfräulichen Urwald zeigt sich plötzlich eine Lichtung, das / Dampfroß pfeift (od. vielmehr heult!) und gleich halten wir am improvisirten / Bahnhofe eines weißangestrichenen, funkelnagelneuen Landstädtchens, feine / Gentlemens führen nach der neuesten Pariser Mode aufgeputzte Ladies / spaziren, während auf der Piazza muntere Kinder spielen, eine Heerde / Säue mit Wohlbehagen sich in der Pfütze wälzt, einige magere Kühlein / ihre tägliche Nahrung suchen und um das Bild vollständig zu machen, einige / häßliche Negerbuben durch Quälereien einer Heerde Gänse und Enten zu / einem fürch[t]erlichen Conzert aufmuntern; rechts die Piazza (gewiß / Franklin Place oder Washington Place genannt) oder vielmehr Pfütze begrenzend, / prangt ein Hôtel im buntesten Oelfarbenschmuck, links steht ein vorwitz- / iger Beer Saloon und ein Schmiedshop, während der monströse Schilt eines / entfernter stehenden Bretterhauses uns bedeutet, daß hier ein Kaufmann seine / Schätze aufgespeichert hat; wir haben just noch Zeit, auf den an jenem / Pferdestall angeklebten Plakaten die Worte „Theater” oder „Circus” zu entziffern / und fort gehts und in drei Minuten befinden wir uns wieder mitten in der / Wüsteneÿ. Dieser komische Kontrast wiederholt sich vor den Augen des Reisenden / in den verschiedenartigsten Variationen. Die ewigen, unvermeidlichen und unästhetischen Fencen (hölzerne / Zäune) beeinträchtigen die landschaftlichen Schönheiten sehr, ja sind für das / Auge geradezu beleidigend. Was die allgemeine (individuelle darf man doch nicht wohl sagen), landschaftliche Phÿsio- / gnomie Nordamerika's betrifft, so finden wir wohl einige Staaten mit ansehnlichen / Höhenzügen durchzogen, wie die Alleghanis in Pennsylvania, Virginia und Kentuky 19 10 welche mit ihren fruchtbaren und waßerreichen Thälern und Thälchen einige / recht hübsche Parthien darbieten, ebenso die Felsengebirge und Schwarzen / Berge in Oregon und Californien; doch zeigt es sich seinem Hauptcharakter / nach als wellenförmiges Hügelland wie z.B. im Ct. Luzern, oft hunderte / von Meilen weit, so daß diese Eigenschaft zur Monotonie wird. – Besonders / reich an pittoresken Parthien und Naturschönheiten ist Kentuky, erinnere / nur an die weltberühmten Mammouth 34 Höhlen, die Typhon Brücke etc. Will man aber die Natur in ihrer großartigsten Großartigkeit / bewundern, so gehe man nach dem Westen und sehe die Prairien. Die Prairien! / Mehr als tausend Quadratmeilen, unabsehbar und mit oft mannshohem / Grase bedekt, liegen sie vor unserm erstaunten Auge ausgebreitet, / ein riesenhafter grüner Teppich, dupfeben nur hie und da erhebt sich / ein kleines Wäldchen, gleich einer Oase, aus der Graswüste, als seien / sie zum besondern Schmucke dieser großartigen engl. Anlage hingepflanzt / worden. Unzählige Vieheerden, von denen man oft nichts als den Kopf / oder das hochgehobene Schwanzende aus dem hohen Grase hervorlugen sicht, / schwelgen hier im Paradiese der Rindviehcher. – Nur ihr grellster / Gegensatz, die Schweizer Alpenwelt kann an großartiger Naturschönheit / mit den Prairien wetteifern. An Binnensee'n und Flüßen und Strömen hat Nord Amerika bekanntlich / keinen Mangel, doch haben die Letzteren gewöhnlich ein schmutzig gelbes / Aussehen, mit Ausnahme des Mißisippi, des „Königs der Ströme”, der seine / Gewäßern von den kristallhellen und fischreichen Quellen Minnesotta's und Wisconsin's / herleitet und mit seinen hundert Inseln und hohen malerischen Ufern einen wirklich 11 majestätischen Strom bildet. An öffentlichen Verkehrsmitteln ist Nordamerika das reichste / Land der Welt. Es hat so viele Eisenbahnen, wie ganz Europa zusammen, / tausende von Dampfschiffen bedecken die Flüße und See'n und selbst das / ehrwürdige Institut der Postkutschen spinnt den Faden weiter in solche, / mitleidenswürdige Nebennester, die der Dampf hochmüthig bei / Seite gelaßen. Die Eisenbahnwägen haben bekanntlich den schweizerischen / als Modell gedient und sind mit Schlaf- und Toiletteappartements, Abtritte, / Waßer-behälter, kurz mit allem Comfort eingerichtet; wegen des miser- / ablen Spurbettes aber holpern und schwanken die Waggons so merkwürd- / -ig grauselich, daß an Behaglichkeit 1° Qualität nicht zu denken ist 34 Mammoth. 20 und / der ersehnte Schlaf erst dann möglich ist nachdem dreißig Stunden / tüchtig ballotirt 35 worden und [man] tüchtig müde ist. – Die Dampfboote / aber, die niedlichen, phantastisch gebauten, zweistöckigen, schwimmenden / Pavillions sind mit überreichem Luxus ausgestattet und äußerst kom- / fortabel, Conversations-, Eßund Rauchsalons mit Glacen 36 und Sammtteppiche, / vorzügliche Betten, gute Beheitzung, kurz Alles, was[=um] eine Flußfahrt / sehr angenehm zu mache[n]; auch sind die Preise der Konkurrenz wegen / sehr billig. Auf der Bahn kostets ungefähr 2 Cents per Meile. Bekanntlich fahren die amerik. Eisenbahnen und Dampfschiffe / ungemein schnell, erstere 30-40 Meilen p[ro] Stunde. Man thut deßhalb / gut [daran], bevor man eine längere Dampfreise antritt, erst das Leben ver- / sichern zu laßen. Den[n] trotz der fast täglichen Unglücksfällen, können / die Schiffskapitäne von der häßlichen Liebhaberei, Wettfahrten zu 12 zu machen, nun einmal nicht laßen und sind die Bahngesellschaften nicht zu bewegen, / die Bahnbauten solider herzustellen, einzuzäunen und Bahnwächter an- / zustellen. [Nachtrag am rechten Seitenrand:] Die Bahnlinien sind nirgends eingezäunt oder bewacht, ebenso wenig die Uebergänge, Jedermann kan[n] selbst zusehen, / daß er nicht überfahren wird. Daher steht bei Uebergängen geschrieben: „Look out for the Locomotive!” („Paß auf ”.) „Bahnwächter anzustellen,” explizirte mir jüngst ein Bahn- / beamter, „würde in Amerika nicht bezahlen[=rentieren], für unsre Bahnen / brauchte es 50'000 Mann, à 1000 D[ollar]. jährlich [,]macht 50 Millionen. / Der Mann würde in dieser Zeit in einem andern Wirkungs- / kreise gewiß 2000 D verdienen, z.B. als Farmer, / dieß macht 100, zusammen 150 Mill.D. diese ungeheure Summe / gienge für die Kultur total verloren.” – „Aber die vielen / Menschenopfer?” „Diese bezahlen wir à ganz todte Person 10'000 D. / und beide Partheien kommen billig eweg 37.” – Was kann man gegen / diese Yankee Rechnung einwenden? – Die Eisenbahnkunstbauten sind, / um mich kurz auszudrücken (meist aus Holz) derart konstruirt, als wollte man just / „Fallen richten”. Und es klingt wie Ironie, wenn z.B. die Baltimore Ohio R.R. 38 / Comp., welche jüngst wieder zwei Dutzend Menschen Arme und Beine brechen ließ, heute / in den Zeitungen sich vernehmen läßt, wie folgt: „Die große National-Reiseroute ist jetzt / wieder offen für Frachtbeförderung und Reisende. Die zerstörten Waggons sind durch neue / sehr komfortable ersetzt worden 35 36 37 38 Geschüttelt. Spiegeln. Weg. Rail Road. 21 und da die Strecken und der Schienenweg wieder in / dauerhaftem Zustande sind, so dürfte sich der wohlerworbene gute Ruf(!) der Bahn in Be- / zug auf Schnelligkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit mehr als bewähren. Zu den unvergleichlich / pittoresken Scenerien, welche diese Bahn dem Reisenden bietet, gesellen sich nun noch zahlreiche, / durch die neulichen W(...) (etwa der Eisenbahnunfall?) bemerkenswerthe Punkte .... etc „. Der oben angedeutete Kontrast zwischen Natur und zwar von der aller- / vernachläßigsten Sorte und des Menschen Spur und Kunst und Kultur zeigt sich überall im Osten 13 und Westen, in Süd und Nord. Bruder Jonathan hat halt solch' ein Ueberfluß an Boden weit und / breit, daß er sich bis jetzt nur die allerbesten Plätzchen ausgewählt hat, um sein Nestchen / zu bauen. [Nachtrag am linken Seitenrand:] Das Areal der Ver.Staaten ist Summa 3'250'000 Quadrat Miles, mit ca. 40 Mill. Einw.; in den Staaten kommen durchschnittlich 17 Einwohner auf die Quadrat Meile, / in den (westl.) Territorien kommen dagegen vier Quadrat Meilen auf einen Einwohner. Er baut daßelbe ganz hübsch und fein und beachtet es wenig, daß eine territorielle Ent- /fernung von vielleicht hundert Meilen ihn von seinem nächsten Nachbar trennt; hat er ja das / Dampfroß und den Konversationsdraht, die überallhin folgen, wo drei Hüttchen stehn. Morgen / ist's eine Stadt. Der Europäer, der gewöhnt ist, auf seinen Bahnexkursionen unabläßig / eine Reihe hübscher Städte, blühender Dörfer (z.B. Inkwÿl) und Weiler an seinem verwöhnten / Auge vorübergleiten zu sehen und alle zehn Minuten an einem Bahnhöfchen anzurücken, findet / es hier auffallend, oft zwei bis drei Stunden wie die Windsbraut dahinzusausen, ohne zu / einem „Depot” zu gelangen. Nichts als Busch und Wald und Sumpf, hie und da durch eine Lichtung unter- /brochen, die ein fleißiger Ansiedler zu Wege gebracht. ________________ Ueber das Klima Nord-Amerikas zu reden ist eine delikate Sache. Hier herrschen so / zu sagen alle Klima's der ganzen Welt. Nirgends wie hier hat die Witterung so unaus- / stehliche Launen und namentlich haben die Ost und Nordweststaaten viel darunter zu leiden. So / können wir in kurzer Zeit tropische Hitze und kurz darauf arktische Kälte, afrikanische / Tage und sibirische Nächte, den Sommer von Neapel und den Winter von Koppenhagen erleben. Bisweilen / treten so wunderliche und plötzliche Aenderungen in der Temperatur und dem Verhalten der Witterung / überhaupt ein, daß man auf die Vermuthung gerathen möchte, die Natur sei in der Zeitrechnung irre / geworden. 22 [Nachtrag am Seitenende:] Den 20' Nov. d.J. zeigte der Thermometer 15[°] R[éaumur]., den 21' noch 3°. Es ist bezeichnend, daß der Amerikaner stets – selbst bei einer Hitze von 120° F[ah-renheit]. – sein / Flanellhemd auf dem Leibe trägt, eine Vorsichtsmaßregel, deren Nichtbeachtung gar oft verdrißliche / Krankheiten, namentlich das kalte Fieber nach sich zieht. Es entsteht hier sehr oft ein Kampf warmer und kalter Luftströmungen, wie es in der alten / Welt sehr selten ist. Im Sommer erlebten wir einen solchen Kampf häufig genug. Der Himmel ist 14 ist klar; die Sonne sendet ihre sengendsten Strahlen hernieder auf uns arme Menschenkinder, / die wir uns in den kühlenden Schatten eines Baumes flüchten. Da tritt mit einem Mal gänzliche / Windstille ein. Es wird auch im Schatten unerträglich heiß und beängstigend. Kein Blättchen / rührt sich mehr – da mit einem Mal erhebt sich ein heftiger Wind, der Staub auf der / Straße wirbelt tanzend in die Runde, am Firmamente bilden sich plötzlich Wolken, die Bäume / schütteln ihre Kronen und eh' man sich's versieht, ist Sturm, Gewitter und heftiger Regen da, / gar oft verbunden mit einem tüchtigen Schloßenschauer, der die heiße Luft wieder der- /gestalt abkühlt, daß du heimgehen und einen warmen Tschoppen 39 anziehen darfst. – New York, / obschon unter dem nämlichen Breitegrad wie Neapel, hat des Sommers wohl einer tropische[n] Hitze, / aber nichts weniger als eines neapolitansischen[sic] Winters sich zu erfreuen; sondern der Winter / schwingt sechs volle Monat sein eisiges Zepter so gut wie in Norddeutschland. So ist's in / allen Ost und Nordweststaaten. Der Mißisippi friert bis St.Louis hinunter jeden / Winter so tüchtig zu, daß er mit Roß und Wagen befahren wird und eine Schlitten- / parthie auf dem River gilt zu den köstlichsten Wintergenüßen. Nordamerika kennt keinen Frühling, jenes allmählige Aufthauen, jenes / fast unmerkliche Zunehmen der Sommerwärme, welche die schüchternen Veilchen und / Schlüßelblümchen aus ihren Schlupfwinkeln zum bescheidenen Dasein hervorlockt und jedem / Strauch und Baum sein grünes Kleid umhängt, bedächtig und genau wie es im Ordnungs Kalendarium / des Frühlinggottes eingeschrieben steht – kein Frühling wie in Mitteleuropa. Hier herrscht / der Winter mit trotziger Gebehrde bis Mitte April, ja er ist im Stande, am Maitage / noch einen tüchtigen Schneesturm über Steppen zu jagen – zum Abschiedsgruß. Sein Ab- / ziehen aber gleicht dann einer Flucht; ihm auf dem Fuße folgt die Sonne und sendet ihm / ihre glühendsten Strahlen nach; in acht Tagen prangt die Natur in ihrem herr- / lichsten Schmucke, der Sommer ist da. Der Herbst ist in Amerika in der Regel ungemein 39 Jacke. 23 15 mild und dauert oft bis Weihnacht. Folgende meteorologischen Vergleichungen als Commentar: Neapel, 40° 51' Breite, 16,7° C. mittlere Jahrestemperatur. 9° Winter, 25° / Sommer, Differenz 16,0°; Boston, 42° 21' Breite, 9,3° C mittl. Jahrestemperatur, 3,3° Winter 21,3° / Sommer, Diff. 18,5°. Es hat unter der gelehrten Welt schon viel Kopfbrechens gegeben, dieses meteorolog. / Räthsel zu lösen und diese auffallenden Abweichungen erklärlich zu machen, ohne daß die geäußerten / Ansichten zu einer annähernden Uebereinstimmung gelangt wären. Die wahrscheinlichsten / Gründe dürften folgende sein: Während Italien und Südeuropa überhaupt durch die / Hochalpen vor den rauen Nordwinden geschützt ist, muß Nordamerika diesen Schutz / total entbehren, ja die fünf großen See'n begünstigen noch die Paßation der Polar- / winde ungemein. Die einzige natürliche Schutzwehr, welche dieselben aufhalten oder / doch ihre verheerende Wuth zähmen könnten, die großen, mächtigen Wälder des Ostens / sind und werden niedergehackt. Dieser Frevel hat sich schon fürch[t]erlich gerächt und / einsichtsvolle Männer sinnen darauf, wie diesem Uebel auf dem Wege der Gesetz- / gebung gesteuert und Einhalt geboten werden könne. Doch ist diese Aufgabe eine / ungemein schwierige, da alle Wälder ausschließlich in Privatbesitz und Zwangsmaß- / regeln schlechterdings unanwendbar sind. – Die atlantischen Küsten entbehren / der wohlthätigen Küstenwinde. Im Kampfe der Polar- mit den / Aequatorial-Luftströmungen gewinnen erstere bereits immer die Oberhand; der / Kampf geschieht nicht über einander, sondern geht hier neben einander vor sich. / Der kalte und der warme Luftstrom treffen sich in der Nähe der Erdoberfläche, wechseln und / wälzen sich über die Länder hin und her und verursachen so die verschiedenen Wetter, 16 zum großen Aerger der Wetterpropheten. Dieß meiner Ansicht nach die wichtigsten Motive der wetterwend- / ischen Lage Nordamerikas; und sie finden ihre Bestätigung durch das Beispiel / Kaliforniens, das durch seine stillen Buchten und hohe Gebürge geschützt, sich eines / unvergleichlichen Klimas, eines immerwährenden Frühlings zu erfreuen hat. ________________ Der Naturreichthum Nordamerika's ist bewunderungswürdig und / unerschöpflich. Die edlen Metalle der Vereinigten Staaten können als unbe- / rechenbar bezeichnet werden. Obgleich ihre Ausbeute nach großartigem / Maßstabe kaum erst 24 begonnen hat, bringen die verschiedenen Minen / mehrere hundert Millionen jährlich ein[.] Die Bleiminen der Staaten / Illinois und Missouri, die Kupferminen am Ober-See, die Kohlengruben / Pennsylvaniens, Ohio's, Maryland und einiger andere[r] Staaten sind geradezu / unerschöpflich. Eisen wird in sämtlichen Staaten von Maine bis Georgia, / vom atlant. Ocean bis zum Mißisippi in vorzügl. Menge und Güte gefunden. / Alles für Kunst und Manufaktur nöthige Rohmaterial besitzt Nordamerika im / Ueberfluß. Ein Beispiel dieses fabelhaften Naturreichthums: der Eigenthümer / eines großen Eisenwerks in Ohio kaufte sich eine vernachläßigte Farm / von 160 Acres um 5000 D., nachdem er zuvor Bohrversuche auf Kohlen / gemacht hatte. Wirklich fand sich in geringer Tiefe ein[e] Kohlenbank von / 7 - 10'[=Fuss] Tiefe. Einige Fuß tiefer entdekte man später noch ein Eisenerzlager 17 von ungewöhnlicher Ausdehnung und Reichthum; so daß nun auf der / sonnigen Oberfläche gepflügt und der goldene Weizen gezogen, im dunkeln / Schooß der Erde aber gehämmert und gehackt und Wagen an Wagen Braun- / und Eisenstoff ans Tageslicht befördert werden! Ist Faktum. Und erst das Oehl! Jenes Erzeugniß der unterirdischen Chemie, welches seit / der Sündfluth oder einer noch fernern, längst entschwundenen Periode im dunkeln Schacht / verschloßen, des Zauberers wartet, der ihren Bann löse. Der Bann ist gebrochen, der / Yankee bohrt die Erde an, wie der Küfer das Weinfaß und ein dunkler schmutziger Strom / treibt armsdick und Haus hoch in die Luft und füllt die tausende von Tonnen mit güldenem / Öhl, die Taschen des Yankee aber mit güldenen Thalern. Und welch' ein Reichthum liegt da / vergraben, wie wird überall gebohrt und gesondet und noch läßt sich die Unmaße / Petroleum nicht einmal annähernd berechnen denn immer werden neue Öhlregionen / entdeckt. Die Staaaten Pennsylvania und Ohio gleichen einem einzigen, großen Öhlgemälde. / Alles macht in Oehl, Öhl ist das Losungswort, durch Öhl wird der Yankee reich, fehlt / aber die Spekulation d.h. bohrt er an einer öhllosen Stelle, so ist dieß gewöhnlich seine / letzte Oehlung, den[n] nach Oehl bohren, meist zig[?]tausende vonfuß[?] tief, kostet Geld und Manchem schon ist / das letzte Tröpflein Oehl dabei ausgegangen. Die Nordamerikaner bildet[sic] nicht nur die „größte[”] / Nation der Erde, sie ist auch die „erleuchtetste” denn sie hat Öhl in Hülle und Fülle, sie darf / ihr Licht leuchten laßen in alle Welt hinaus und Mÿriaden Scheffel sind nicht im Stand / daßelbe zu verhüllen. In Kalifornien und Pickes Peak wird dasjenige Metall gewonnen, aus welchem / die Götzenbilder gemacht werden. Wenn die Höhe und Stärke der Waldbäume als Maßstab gilt für die Frucht- / barkeit und Produktivität des Bodens, so hat das Erdreich der neuen Welt in seinen 25 18 herrlichen, unvergleichlichen Waldungen sich selbst das lobendste Zeugniß ausgestellt, das / herrlichste Denkmal gesetzt. Wirklich bieten sie einen majestätischen und fremdländischen / Anblick, diese mächtigen Weiß-,Schwamm[-], und Schwarzeichen, der 100'[=Fuss] hohe Pappel- oder / Tulpenbaum (Liriodendrum tulpifera), die gemeine Akazie (90' hoch)[,] die geheimniß- / volle, träumerische Sycamore (80 - 90'[)], der riesige Hickory, der Roth-, Weiß-, Schwarz- / und Sumpfkastanienbaum und die weiße Ceder (80'); ferner die wunderschöne „Rothblüthe”, der Kaffebaum (Gymnocladus Canad.), die Catalpa, der Berg- und Große lorbeer (25'), / die rothe Maulbeer[e] (Ohio, 70'), der Wallnußbaum (bis 90')[,] der Zuckerahorn, das schön/ blühende „Gundsholz” (Cornus alternifolia), der Saßafras (offizinalis) etc. Wurzel und Rinde / der zwei letztern Species werden hier allgemein als blutreinigende Arzneimittel an- / gewandt und hoch geachtet. – Canada hat seine prächtigen Tannen und Fichten, die Nadel- , / Berr-[?], Roth[-] und Flußbirke und die 100' hohe Tamorak-Lerche. In Ost- und Mittelamerika / treffen wir überall die wilde Rebe, sich von Baum zu Baum schwingend; Wildkirschen / und Wildpflaumen sind in den Wäldern sehr zahlreich und bilden nebst den Nüßen die Haupt- / anziehungskraft für die liebe naschhafte Jugend. An eigenthümlichen Waldvögeln besitzt Nordamerika den Whipperwill (amerik. / Nachtigall), den Spott-, Roth- und Kirschenvogel; außerdem beinahe alle europäischen mit / mehr oder weniger Abweichungen. Die Singvögel dagegen sind sehr spärlich, Sperlinge giebts / gar keine und es ist neuerdings der Versuch gemacht worden, welche zu importiren. Die Jagd ist hier völlig frei, auch ist der Amerikaner kein so erschreklicher Nimrod, / wie man glauben möchte und hier rechtfertigt sich aufs Neue der Spruch: Jedes Verbot reizt. Das / Hochgewild ist in den Oststaaten wegen Mangel an großen zusammenhängenden Waldungen so / rar geworden, wie in Europa; Tauben, Enten[,] Schnepfen, Rebhühner, Trut- und Prairiehühner, / sowie die wilden Gänse leben hier und schweben in 19 entzückender Menge und kokettiren so eigentlich um die Aufmerksamkeit des / Jägers; daß das benambsete Federvieh gebraten umherfliegt, das zu behaupten aber ist Uebertreibung. Die Vereinigten Staaten, durch Colonisten engl. Ursprungs gegründet, / haben zunächst die Sitten und Gebräuche der Engländer ange- / nommen. In Hinsicht der Erbauung der Häuser, der Hauswirthschaft, der / geselligen Verhältniße, der moralischen und religiösen Ansichten, welche der Grund- / stein jeder Gesellschaft sind, ähneln sich die Sitten in der Union mehr denen / Englands, als Frank26 reichs oder Deutschlands. Indeßen, der Einfluß des China's, / die Vermischung verschiedener Nationen und ferner die freisinnigen, / politischen Institutionen haben dem[sic] gesellschaftl. Charakter der gegenwärtigen / Bevölkerung wesentlich verändert und zu einem spezifisch nationalen ge- / stempelt. Obwohl in ihren Grundzügen identisch, so bemerken wir in den ver- / schiedenen Landestheilen doch einen Unterschied in Charakter und Sitten der / Bewohner. Die New-Engländer (Pennsylvania/Maine, Connecticut, Maßachusetts und / New York) zeichnen sich vorzüglich durch gute Erziehung, Unternehmungsgeist, aus- / dauernde, zähe Thätigkeit, durch Pünktlichkeit in allen Geschäftszweigen, vorzüglich / aber durch ihre puritanische Denkungsart, strenge Moral, Heilighaltung / des Sonntags und durch Festhalten an den Meinungen und Grundsätzen, in denen / sie erzogen worden, aus. Sie werden des Geizes beschuldigt, indeßen / steht doch soviel fest, daß es keinen zweiten Staat der Welt giebt, wo / so viel Geld für die Kirche und mildthätige Anstalten frei- / willig gegeben wird, wie in N.England. Den eigentlichen Yankee aber, den verschmitzten, heuchlerischen 20 Humbugmacher par excellence finden wir in den Mittel, West und Nordweststaaten. / Hier wächst er zu tausenden im Freien, wird groß, trägt Kanonenstiefel, kaut / Tabak und wird reich und nährt dabei den wunderlichen Gedanken, seine Nation sei / die erste der Welt und darin hat er in gewißer Beziehung nicht ganz Unrecht. – Es ist ein sonderbarer Kauz, dieser Yankee! Ungemein thätig, / Alles versuchend, Alles wagend, gutmüthig, eitel, grob, unbegrenzt / gastfreundlich, kopfhängerisch-gottesfürchtig – macht er sich nicht / das geringste Bedenken, dich um tausende von Dollars zu beschwindeln, / Stehlen aber gilt ihm als Greuel. In keinem andern Lande wird / der gemeine Diebstahl so sehr verachtet und so hart bestraft wie hier, / während der großartigste Betrug durchaus nicht entehrt, ja oft / Beifall erndtet, wenn er recht ingeniös vollführt worden. Es gehört / gewißermaßen sogar zu den noblen Paßionen, einen tüchtigen / Bankerutt zu machen, wie aus einem Briefe einer Amerikanerinn / an ihren Sohn zu ersehen ist: „Robert, ich höre nicht viel Rühmliches von / dir. Während dein, blos zwei Jahre älter, Bruder Pitt schon einen / Bankerutt von 70'000 D. affektiert hat und bereits an einem zweiten / arbeitet, machst du, wie mir scheint, den Faullenzer. So kann's nicht gehen. / Du hast ein schönes Geschäft und ich erwarte des Bestimmtesten bis Neujahr / einen kleinen Bankerutt von wenigstens 15'000 D.” – Sparsam, oft geizig, / übt er dagegen eine unbegrenzte Gastfreundschaft gegen Bekante und / Unbekannte; er stattet sein Haus mit übertriebenem Luxus aus und Commfort, / hat aber kein Geld, um eine Thüre an den Kuhstall anzuschaffen; er / belegt Flur und Zimmerböden mit kostbaren Carpets (Teppiche), findet aber keine / Zeit, den fußtiefen Morast vor und neben dem Hause, den er doch täglich / durchwaten muß, trocken zu legen; er 27 trägt einen zerlumpten Rock / am Leibe und einen unbeschreiblichen Hut auf dem Kopfe und paßionnirt für / goldene Uhren und pfundschwere ditte[=dicke] Ketten. Er läßt sich jeden Tag rasiren, / frisiren und einöhlen und schnäuzt die Nase, selbst bei Tische und in Gesellschaft mit / den bloßen Fingern, wobei er eine seltene Virtuosität und Grazie entwickelt. 21 Er ist ein raffinirter Geschäftsmann ein gewandter Rechner, ein / leidenschaftlicher Politiker, würde aber sicherlich in bittere Verlegenheit / gerathen, müßte er entscheiden ob Australien in Deutschland liege oder / ein integrirender Theil des Königreichs Dänemark bilde. Der Yankee ist im höchsten Grade Kosmopolit, ihn bindet's / nicht an die Heimath Schwelle „mit tausend Banden”. Mit dem 14ten Altersjahr zieht er meist von dannen, von der Mutter mit einigen / Thalern von Vater mit guten Rathschlägen beschenkt. Wohlgemuth / und unbeirrt blickt er hinaus in die große, weite Welt, von der er / schon so viel geträumt; er lernt gegen Lohn (hier wird keinem Lehrlohn / bezahlt, im Gegentheil) die Schusterei oder Schneiderei, oder geht in eine / Faktorei oder wird Gehülfe in einer Spekhandlung und nacheinander / Matrose, Koch, Farmer, Kaminfeger und Zuckerbeck, Kohlengräber / oder Caßier bei einer Provinzialbank und wills einige Zeit nicht anders / gelingen so widmet er sich der Grobschmiedekunst oder wird Methodisten- / Pfarrer oder Menschen- und Vieharzt: und es müßte wunderlich gehen, wenn / er nicht die Sphäre entdekt hätte, wo er in zwei Jahren seine 25'000 D. / „werth ist”. Gemüthlichkeit und Geselligkeit kennt der Yankee nicht, Gesang liebt er nicht, / wenn er selbst einmal singt, so kann man darauf schwören, daß es nur geschieht, / um die Pferde anzutreiben. Wo andere Leut' das Gemüth haben, trägt er / sein Pocket book (Geldbeutel) und wenn auch andere Tugenden geschätzt und geehrt / werden, so wird der eigentliche Werth eines Mannes doch nur nach / seinem Vermögen gemeßen. So sagt der Amerikaner stets: „Dieser / Mann ist so und so viel tausend Dollars werth". Der allmächtige Dollar! – Für die schätzenswerthen Eigenschaften eines Mannes (nebst Reichthum), / hat der Amerikaner zwei Eigenschaftswörter. „Er ist ein smarter Mann[”] / will so viel sagen, als dieß ist ein heller Kopf, anschicklich, behend und läßt / sich vom Teufel nicht erwischen, überhaupt ein Kerl ders zu Etwas bringen / wird; ist dieser smarte Mann dazu noch ein „finer Man” (höflich, geschmeidig), / so ist damit Alles gesagt, was man Rühmenswerthes sagen kann, das / non plus ultra eines vollendeten Amerikaners. Der Amerikaner ist ferner, um das Sündenregister voll zu / machen, stolz und hoffärtig und blickt mit Verachtung und Mitleid herab 28 22 schaut auf Alle die „grün” (Spottname für alle Einwanderer) und farbig sind. Nicht wahr, ein sauberer Kerl, dieser Yankee? Und doch, wie generös verschwenderisch ist er, wie spendet / er mit vollen Händen, wenn er einmal reich geworden. Da sieht / man kein Vornehm-Filzigthun europ. Herrschaften; er speist, / tränkt und bezahlt alle Untergebenen fürstlich und auf ein halbes Dutzend / Dienstboten mehr oder weniger kommt's ihm nicht an; selbst wenn er sie nicht / braucht. Er weiß nichts von Hochwohlgeboren und begnügt sich mit / dem einfachen „Sir”, schilt man ihn noch Cäpt'n oder gar Colonel, so schwimmt / seine Eitelkeit in höchster Wonne. Wenn er giebt, so giebt er mit vollen Händen / und es ist für den Amerikaner ein stolzes, beruhigendes Gefühl, wenn / er und mit vollem Recht, sagen kann: In diesem ganzen, großen Reiche, unter diesen vierzig / Mill. Menschen ist (mit Ausnahme einiger berüchtigter Stadtviertel New Yorks) keiner, der / unverdient Hunger leiden, keiner, der obdachlos schlafen muß! – Kein Land der / Welt, nicht einmal England kann sich solch' großartiger, von mildthätiger Hand / gestifteter Armen-, Waisen[-], und Krankenasÿlen rühmen, wie Nordamerika. Der Yankee / ist ein friedlicher, charmanter Nachbar. Will Einer ein Haus bauen, oder ist er von / Unglück betroffen worden, stehen ihm Hand und Pferd und Wagen seiner sämtlichen / Nachbarn zur Verfügung. Stirbt ein Familienvater, so darf die hinterlaßene / Witwee[sic] nicht bange haben, daß sie und ihre Kindlein verhungern oder nur darben müßen. Freilich ist sein großartiger Wohlthätigkeitssinn nicht immer auf Rechnung / eines überweichen Herzens zu schreiben, vielmehr giebt er oft zwei Dollars, / weil eben sein Nachbar, der ja nicht reicher ist, als er, einen gegeben hat. Das deutsche Element, das nebst dem irischen den größten Theil der Einwanderer / ausmacht, wäre sehr geeignet, vermöge seiner Bildung, Geselligkeit und überwieg- / -end harmlos-idealistischen Anschauungsweise einen, die schroffen / und realistischen Seiten des Angloamerikaners, mäßigenden und günstigen Einfluß / auszuüben. Auch finden wir in allen Gauen und namentlich in Städten sehr ehren/ werthe Deutsche, die durch Gründung geselliger Vereine, Theater-, Gesang-, / Lese-, Musik[-] und Turnvereine, durch humanistisch-wißenschaftlichen Unterricht / dem puritanischen Vorurtheil und Skeptizismus des Yankee zu trotzen wagen. / Viele aber, leider der große Haufen ziehen es vor, sich zum Sateliten deßelben / zu machen, äffen seinen Gewohnheiten und Manieren sorgfältigst nach und sprechen / lieber ein häßliches Kutscher-Englisch, als ihr ehrliches Deutsch, ja, daß ich es sagen / muß, man trifft sogar viele Deutsche und Schweizer, die ihre Muttersprache und / ihr Heimathland verleugnen, die Miserabeln! ________________ 29 23 Wohl die häßlichste „Gewohnheit” des Yankee ist sein engherziges Muckerthum 40; / diesem verleiht er den vornehmlichsten Ausdruck in der sog. Liquor oder / Maine Law und in der Sunday Law (Gesetze über den Verkauf geistiger / Getränke und Heilighaltung des Sonntags). Daß seine puritanische Erziehung und wohlfeile Bigotterie den Amerikaner / mehr als Andere den Lehren und Grundsätzen der Mäßigkeitsapostel zugänglich / und empfänglich machen würde, war vorauszusehen; daß er sich aber zu einer / solchen Rasereÿ gegen alles „Geistige”, wie solches im Liquor Gesetz aus[-] / gedrükt ist, hinreißen ließ, ist wahrhaft unbegreiflich – wüßte man nicht, / daß man [in] gewißen Kreisen sich dieser Popanz bedient um „in Politik zu / machen[„]. Die Maine Law verbietet alles Ausschenken von Brantenwein / und aller alkoholhaltiger Getränke, worunter auch das Lagerbier ver- / standen ist (welches doch häufig nichts weniger als berauschend!). Wein, Dünnbier / und Limonade sind in Gnaden pardonniret. Und doch, o Wunder! wird wohl / in keinem Lande so viel Brandÿ und Lagerbier getrunken, wie in den / United States. Männiglich liebt es, Morgens nüchtern sein Tröpflein / Bitters zu trinken und auch während des Tages hie und da an diversen / Schnäppsern zu nippen oder seine Kehle an einem Glas schäumenden / „Lager” zu kühlen; Alle trinken, mit dem Unterschied jedoch, daß die Einen / gar kein Hehl daraus machen, während die Andern nur „im kühlen / Schooß der Erde” oder daheim im verschloßenen Kämmerlein ihren Nectar schlürfen. / Letztere nennen sich Temperenzler oder Mäßigkeitsvereinler. Die Heuchler! / Wie verdrehen sie die Augen und sprechen ihren Abscheu aus und ihr Mitleid / über die sündige Mitwelt, die in ihrer Verblendung nicht einsehen will, daß / in jedem Tropfen Spiritus und auf jedem schäumenden Bierglase ein Teufelchen / sitzt. Während manch einer dieser Eiferer eine allerliebste Nase im Ge- / sicht trägt, die roth wie ein Karfunkel, welches Kolorit schwerlich vom Waßer- / trinken herrührt, vielmehr mögen alter französischer Cognac und unzählige / Gläschen holländischer Gin seinem Aushängeschild zu dieser Illumination verholfen / haben. Auf die Uebertretung des angeführten Gesetzes durch die Schenkwirthe ist eine große Strafe – bis 40 D. – gesetzt. Ich schreibe mit Vorbedacht „ange- / führt”, denn wohl noch nie ist ein Gesetz gräubelechter 41 angeführt worden, als / diese Liquor Law. Denn, was der Verstand der Verständigen nicht sieht, das / findet in Einfalt der amerik. Schenkwirth aus; er verkauft seinen Brandy / als „Wein” und den Whisky als „Regenwaßer” welches auszuschenken ja nicht ver[-] / boten und es ist ergötzlich, wie sämtliche Kunden auf diese oder andere seltsame 40 41 Heuchlerische Frömmigkeit. Zweideutig. 30 24 Nomenklatur eingegangen. Auch wird in solchen Gegenden und Städten, / wo die Verworfenen numerisch die Oberhand haben, namentlich im Westen, / das Kind beim wahren Namen gerufen und ungescheut getrunken, / was eben schmekt; und wehe dem Denunzianten, sei er Polizist oder / Laie! er wird getheert und gefedert [Nachtrag am Seitenende:] Ein sehr beliebtes und gewöhnliches Verfahren der Linchjustiz (Volksjustiz[)], das / Opfer wird entkleidet, am ganzen Körper mit Theer bestrichen und dan[n] in einer Maße / Federn herumgewälzt und so aufgeputzt auf einer Tragbahre in den Gaßen herum getragen! und kann sich das Liedlein singen: / Morgen muß ich fort von hier! Während sich in Europa jedes Kind die ganze saure Woche herzlich auf / den kommenden Sonntag freut, der ja für alle Müh und Entbehrung reichlich entschädigt, / sieht man hier in Amerika dem Sabathe nur mit Schauer und Bangen entgegen. Mag es zweckmäßig, ja aller wärts empfehlenswerth sein, daß von Staats- / wegen die öffentlichen Belustigungen auf ein geziemendes Maß beschränkt, / daß namentlich der Sonntagvormittag, als der öffentlichen Gottesverehrung ge- / wicht 42 , vor Profanation und Störung geschützt werde, so konnte es doch nur / dem bornirten, dummpfiffigen Muckerthum Alt- und Neuenglands einfallen, durch / tÿrannische Gesetze alle, auch die unschuldigsten, Sonntagsvergnügen zu untersagen. / Diese Prohibition erstreckt sich sowohl auf aller öffentl. Handel und Verkehr, als / auf das Oeffnen und Besuchen der Wirthshäuser und öffentlichen Lokale, ja sogar alles / Singen, Pfeifen und Musiziren ist strenge untersagt und wenn drei Personen auf / der Straße beisammen stehen, können sie darauf zählen, daß der erste, beste Policemen / sie auseinander gehen heißt. So ist der vom Schöpfer zur Ruhe und Erholung bestimmte Tag hier zu einem / aschgrauen, entsetzlich nüchternen Gähr- und Fasttage geworden und es ist nicht zu ver- / wundern, wenn die meisten Selbstmordversuche des Sonntags stattfinden – Ver- / gebens durchstreifst du die öden Straßen Philadelphia's oder Pittsburgs, umsonst / klopfst du an die Thüren und Thore der Schenken und Bierstuben, um deinen ver- / trockneten Gaumen mit einem labenden Tropfen zu befeuchten, s'ist heut / Sonntag, sagt der Wirth, nix kommt 'raus, vierzig Dollars Buße! Und der Yankee, der gottesfürchtige Gentlemen, wie bringt der denn den Sonntag / zu, wirst du fragen? wollen mal sehen. Nachdem erst zu einer späten Morgenstunde die fromme Persönlichkeit ihr / Nachlager verlaßen und in diversen Steaks und Shops nebst obligaten Zuthaten die / richtige andächtige Stimmung sich erworben, wird eines der unzähligen Morgen42 Geweiht. 31 / blätter, die besonders geistreich und zur Bildung unsrer Seele sehr geeignet sind, in / die Hand genommen. Oder auch werden die schadhaften und blöden Greenbaks / (Papiergeld) aus dem Taschenbuche ausgesucht, gezaggt[?] und geflickt. Unterdeßen / kommt die Zeit heran, wo der Gottesdienst in der Kirche beginnt. Unser Held 25 hat selbstverständlich einen eigenen Familienstuhl in der fashionabelsten Kirche / der Stadt; ja er trug sogar in eigener Person zur Erbauung des Gottes- / hauses bei, das jetzt mit koketter Front und getünchten, die Glasmalerei nachahmenden / Fenstern ein Mixtum compositum aller nur denkbaren, die Baustÿle aller / Völker und Jahrhunderte representirenden Architektur bildet. Mit jedem Glocken- / schlag, der zu seinen Ohren schallt, fühlt sich seine Seele höher gehoben. Es ist gewißer- / maßen eine Quittung jedesmal, die der fromme Mann von der religiösen und dankbaren / Bewohnerschaft des Kirchensprengels vorgelegt wird, ein dankender Zuruf jener / Minderreichen, die zwar einige Cents sonntäglich für einen Kirchensitz, aber nicht / tausende zur Erbauung einer Kirche beitragen können. Im Geiste sieht er sich / selbst schon als eine Art von Heiligen und gesteht sich zum wenigsten: „I am a very / honourable and religious man!” Freilich paßt zu dieser edlen Begeisterung, zu dieser / vollständigen abnégation de soi-même, nicht ganz eine kleine arrière pensée, die / der sehr Erenwerthe[sic] selbst im Momente seiner religiösen Wäche 43 nicht zurückdrängen / kann; es ist ihm nämlich, als ob [ihm] im tiefsten Grunde der Seele ein kleiner Kobold, / ein neckendes Teufelchen kichernd zuriefe: [„]ei, ei, frommer Freund, denkst du auch / an die Senators-, City Majorsoder Coronersstelle, die du durch deine hervorragende / Betheiligung am Kirchenbau erworben hast, du Spekulant?” – Doch die Zeit drängt, die / Glocken haben aufgehört ihre Quittungen dem frommen Kirchenbauer vorzulegen, / My Lady und die jungen Mißes haben ihre Toilette vollendet. Das rauscht und glitzert und / glänzt! Das war aber auch ein schwierig Ding, eine wichtige Aufgabe, Alle so / beisammen zu haben, daß es ein harmonisches Ganzes bilde. Endlich zieht die ganze / Familienschaar in gespreizter Ordnung zum Gotteshause hin. Da sitzt sie denn im / Tempel und das edle Familienhaupt, das die ganze Woche geschachert, gefeilscht und Handel / getrieben, glaubt das Geschäft am Sonntag, in einer andern Form freilich, fortsetzen / zu können. Er hat der Firma „Gott & Comp im Himmel” ein Blatt seines Contobuches eröffnet / und trägt nun in das „Soll” mit kaufmännischer Bedächtigkeit all' die außerordentlichen / Thaten ein, die er sich gut zu schreiben berechtigt glaubt, als da sind: $ 100 für Sonntags- / schulen, [Nachtrag am linken Seitenrand:]$ 6'000 für Kirchenbau, $ 200 für innere Mißion, 43 Wachheit. 32 dreimaliger sonntäglicher Kirchengang und dadurch dem Mob (Pöbel) gegebenes / gutes Beispiel, Abscheu vor – schlechtem – Lagerbier und nachgemachtem – Brandy, / Aufrechthaltung des höchsten Anstandes durch äußerste Discretion bei Unterhaltung einer / – eines armen schönen Waisenmädchens, u. s. w. Auf das Haben dieses Blattes kommt / dagegen, was selbst der verstockteste Sünder doch nicht anders als mit Lug und Trug, scheinbarer / Ehrenhaftigkeit, Mangel an Intereße für irgend welche andern Zwecke, als Befriedigung / persönlicher Eitelkeit und Habsucht bezeichnen kann und sich gestehen muß. So stellt er seine Konto- / berechnung auf. Der Geistliche, ists ein Methodist oder Paptist, wettert von der Kanzel herab mit / wüthenden Gebehrden und in fulminanten Worten über den Sündenpfuhl der Menschheit. Dieses / Augenverdrehen, Toben und Wüthen, wie sich's die Mehrzahl der amerikanischen Prediger zur / Gewohnheit gemacht haben, ist ergötzlich und plausibel für den, – der sich entfernen darf; / einen ganzen Sermon auszuhalten muß eine Qual sein und das edle Familienhaupt / glaubt deßhalb auch, einen ziemlichen Betrag dem Conto der Handelsfirma zur / Last dafür stellen zu dürfen, daß er die Pastoralpredigt jedesmal zu Ende hört. Ist dann der / Gottesdienst vorüber, so wird das Hauptbuch geschloßen und dieselbe Erscheinung und daßelbe Ver- / fahren wiederholt sich Nachmittags, doch sind seine Leiden dabei, im Gegensatz zum Morgen, 26 bedeutend gemildert, denn nach dem exquisiten Mittageßen überfällt ihn in den / heiligen Räumen gar bald ein andächtiger Schlumer. – Abends empfängt er Visite / oder geht in Compagnie zu befreundeten, verwandten Seelen, wo zu der Habana / sich franz. und spanische Weine geselle[n] und genoßen werden, bis – der Himmel klar / wird und feierlich, so ganz als wollt er öffnen sich. Das ist der Tag des Herrn! Der Arbeitsmann, der Familienvater - Proletarier, der die ganze Woche hart / gearbeitet und sich aller weitern Erholung und Zerstreuung beraubt sieht, weiß nichts / beßeres zu thun, als Nachmittags sich auf's Bett hinzustrecken, bis seine steifen Glieder / noch steifer werden, wenn er nicht vorzieht, was meist der Fall ist, sich einen / ingrimmigen Whiskyrausch anzutrinken, wozu er sich Samstag Abends den Stoff / vorsorglich verschafft hat. Beßer daran freilich ist der Farmer, dem doch die Mucker seine freie schöne / Gottesnatur nicht rauben oder vergiften konnten. Aller Post-, Eisenbahn- und Telegraphenverkehr ist des Sontags gänzlich ein/ gestellt, was in gewißen Situationen sehr verdrießlich, ja peinlich werden muß. / Alle Theater, Conzerthallen sind geschloßen, alle Vereinsversammlung[en] ja alle öffentl. / Vorlesungen sind verboten. 33 Was zur Zeit der unwürdigsten Reaktion in europäischen Monarchien, was / selbst das vom finstern Muckerthum beeinflußte Ministerium Manteuffel nicht / erreichen konnte, hat – es ist lächerlich zu sagen – eine republikanische Legis- / lative beschloßen und vom Volke erwählte Gouvernore bestätigt! Man könte die / Sache höchst komisch finden, hätte sie nicht vom socialen und sittlichen Gesichtspunkte aus / ihre höchst tragische Seite. Die Temperenz- und Sonntagsfrage steht in inniger Be- / ziehung zur innern Politik resp. Partheÿstellung in den Vereinigten Staaten. So / lange die republikanische Parthei die Herrschaft führt, bleiben die Temperenzgesetze / aufrecht, sie steht und fällt mit ihnen. Kein Gouvernor, kein Senator wird nominirt, / der nicht zum Voraus zur Maine and Sunday Law schwört und sie strenge zu handhaben / verspricht ( bei der radikalen Parthei nämlich). Man wird diese Behauptung belächeln, ja bezweifeln, / und doch ist sie nur zu wahr. Vielorts bestehen förmliche enragirte Maine Law Leagues / (Waßertrinker Klubbs), die einen mächtigen Einfluß ausüben und denen zu widerstehn die / große Menge entweder zu gutmüthig oder – da namentlich die Geldmänner und das Pfaffen- / thum sie protegiren – zu schwach ist. In einigen Staaten, namentlich in den westlich des Mißisippi gelegenen, hat das / Volk, seiner Urkraft sich bewußt, diese hemmenden und unsinnigen Gesetze einfach zu / ignoriren begonnen, geht Morgens in die Kirche und Nachmittags singt, musizirt und tanzt / es und geht Abends ins Theater und Niemand wagt mehr, es davon zu hindern. Hoffen wir also, daß die Vernunft endlich siegen und einem Zustande ein Ende / machen wird, welcher der Natur und den Bedürfnißen gesitteter Menschen so wenig ent- / sprechend ist; daß deß freien Menschen freier Wille sein bestes Temperenzgesetz und / der Sontag, nachdem der religiösen Pflichten genug gethan, auch noch das werde, wozu / er vom Heilande eingesetzt worden: „Freut Euch mit den Fröhlichen!” – ________________ Religion ist in Nordamerika ein sehr gesuchter Artikel und es wird jährlich / sehr viel verbraucht; ich sage dieß ausdrücklich, um das in Europa vielverbreitete 27 Vorurtheil zu widerlegen, als sei der Amerikaner irreligiös oder indifferent. Niemand ist mehr zu Grübeleien aufgelegt als der Puritaner und in / keinem andern Lande ist die Sektirerei so groß, wie in Nordamerika. / Die alte protestantische Mama hat so viele Töchtern geboren und in die weite / Welt geschikt, daß sie wohl nicht mehr alle kennen würde und einige haben sich so / lüderlich aufgeführt, daß sie gewiß sich ihrer schämen würde, wenn's sie's vernähme. / Nebst den Katholiken und Lutheranern, hausen hier und vegetiren: Methodisten, Presby- / teria34 ner, Baptisten, Papisten, Episcopale, Quäcker, Shackers, Herrenhuter, Jansenisten, / Weinbrenner, Amische Brüder, Albrechtskinder, Millerheads, Rabisten (große Colonie bei / Pittsburgh, Pennsilv.), Zoariden (Colonie in Tuscarawas County, Ohio), Mormonen etc. Alle / diese Sekten halten darauf, nebst eigenen Ritus, der oft verrückt genug ist, noch eigene / Priester (Patriarch, Ältester, Sprecher) und eigene Tempel zu besitzen. In kleinen Städtchen / von kaum 1000 E[inwohnern]. finden wir oft 5-6 Kirchen, wenn anders man diese, oft in sehr / mode[rn]stem Stÿle erbauten hölzernen Häuser so nennen will, sowie eben soviel Gottes- / äckerchen, damit ja der Gläubige auch nach dem Tode noch mit den Ketzern nicht in Be- / rührung zu kommen brauche. Die verschiedenen Sekten, oder vielmehr ihre Priester, thun auch, wie es geziemend ist, / in christlicher Duldsamkeit sich gegenseitig soviel möglich – chicaniren. Die Vereinigte Staaten Constitution gewährt vollständige Glaubens- und Gewißens- / freiheit. Dieß hat für den Staat den weitern Vortheil, daß er keine Staatskirche zu / protegiren und für keine zu „blechen” hat. Fehlt den Rathsherren deßhalb auch die Gelegenheit, / über Landpfarrhofzimmerreparaturen intereßante und schöne Reden zu halten. – Oft gehören Eltern und Kinder verschiedenen Sekten an. Gefällts Einem nicht mehr, / d.h. kommt er zu beßerer Erkenntniß, so sattelt er um und begiebt sich zu einer / andern Sozietät. Ja diese „beßern Erkenntniß” ergreift oft ganze Kirchgemeinden, / die dann in corpore und in rührendster Eintracht ihrer bisherigen Religionsart Valet sagen / und sich nach einer andern, bequemern umsehen. So las man verfloßenen Sommer / im Cincinati Volksfreund u.a. Blättern, daß „die freie deutsch-lutherische Kirchgemeinde / Osh Kosh (Wisconsin) sich vom Sÿnodalverbande losgesagt und sich sammt dem Pfarrer, dem / Turnvereine angeschloßen. Sehr gewißenhafte (oder -lose?) Eltern laßen ihre / kleinen Kinder nicht taufen „es als Tÿrannei betrachtend, denselben diese oder jene / Religion aufzuzwängen, wenn sie mal groß seien und verständig, können sie dann selbst wählen.” Die Kirchgemeinden stellen ihre Prediger nur auf eine bedingte Frist an, in / den meisten Fällen hat der Aspirant zuvor eine Musterpredigt zu halten, von der ge/ wöhnlich das Resultat seiner Bewerbung abhängt. Ein deutscher Prediger wurde von Freunden / nach Davenport (Iowa) eingeladen, um sich einer sehr angesehenen, hirtenlosen Heerde / vorstellen zu laßen d.h. zu musterpredigen. Er that dieß, indem er in glänzendem / schwungvollen Vortragen seine Freude ausdrückte zu einer so aufgeklärten und gebildeten / Gemeinde sprechen zu dürfen. Hierauf entwickelte er in beredten Worten seine Ansichten / über das Christenthum, „das eine sehr nützliche moralische Einrichtung sei, die wesentlich / alle Wahrheiten enthalte, die über überweltliche Dinge erkannt werden können, da es aber / keine endgültige Autorität über die Vernunft besitze und jedenfalls ein Gegenstand / für freieste, wißenschaftliche Kritik sei; daß der Aberglaube an die Gottheit und über- / sinnli35 chen Wunder des Weisen von Nazareth gottlob mehr und mehr schwinde. Es gereiche ihm / zum größten Vergnügen, zu wißen, daß die E. Versammlung seine Ansichten so voll- / ständig theile etc.” – Kaum zu Hause angelangt, kommen seine Freunde herangestürzt 28 und schildern ihm ihre eigene Ueberraschung und die Entrüstung und das Mißfallen der / ganzen Kirchgemeinde über den freidenkerischen und frivolen Text seiner heutigen / Rede. „Aber man hat mir doch gesagt”, rief der bestürzte Mann, / „die Mitglieder dieser Gemeinde seien die freien” „sind so orthodoxe und fromme / Leut, wie welche in den Vereinigten Staaten sind”, fiel ihm sein Freund ein, „und / wenn es dir nicht gelingt, durch eine zweite, besonnenere Predigt dich in ihrer / Gunst zu rehabituliren, so ist alle Pastoralanwartschaft dahin.” In einem zweiten / Vortrage, der ihm nur mit Widerstreben gewährt wurde, desavouirté er nun / seine, durch unrichtige Voraussetzung über die religiöse Anschauungsweise seiner / E.E. Zuhörer bestimmten und in der ersten Predigt entwickelten Grundsätze, bekämpfte / sodann das moderne Heidenthum und die freigeistische Tendenz der Neuzeit und – ward Pfarrer / zu Davenport. Es ist begreiflich, daß kleinere Kirchgemeinden (Sekten) ihre Priester nur spärlich / besolden können; viele der Letzteren sehen sich deßhalb genöthigt, um ihr Auskommen / zu machen, nebst ihrem Prediger- noch ein anders Handwerk zu treiben, das ihnen Brod / verschafft, was eben nicht sehr schwer fällt, da die meisten früher Schuster oder Kleiderkünstler / waren, andere treiben Landwirthschaft. Besonders „geschikte” Herren versehen oft wohl / gar zwei Pfarreien – wohlverstanden, verschiedener Religion – zur gleichen Zeit; sie unter- / richten Kinder lutherisch, presbÿterianisch oder methodistisch, wie es eben verlangt wird, / gegen anständige Bezahlung. Bei dem exzentrischen, kraft- und saftlosen Treiben der Sektirerei ist es / daher nicht zu verwundern, daß die katholische Confeßion durch ihre kompakte, / abgerundete Organisation über alle übrigen triumphirt und täglich Proselÿten / macht. Sie wird geleitet von einem mächtigen, hierarchischen Regiment, von / Erzbischöfen, Kardinälen und zahlreichen Bischöfen und Subalternen; sie besitzt, namentlich / in großen Städten wirklich prachtvolle Tempel mit reichen Dotationen, einem / durchschnittlich ausgezeichneten Kirchengesang (, der als in diesem Genre fast einziger Kunst- / genuß auch von vielen Protestanten besucht wird), reiche Frauenklöster und gute Bildungs- / anstalten. Nur schade, daß die größte Zahl der katholischen Priester, meist Irländer / und Franzosen, so ungebildete Zeloten sind, die von der Kanzel herab nur immer / schimpfen und sich Ausdrücke erlauben, die gewiß in keinem europäischen Seminar / gelehrt worden. Schließlich noch ein Anekdötchen: Ein angesehener Farmer lud mich eines / Sonntags ein, mit ihm eine evang. Busch-Kirche (Kirche auf dem Lande) zu besu36 chen. / Es fand sich eine beträchtliche Menge Andächtiger ein, die meisten zu Pferd oder zu Wagen. / Die Kirche bestand aus einem großen Blockhaus, ohne sonderlichen Schmuck oder Ver- / zierung, aber wunderschön gelegen mitten im maÿestätischen Urwalde. Als der / Prediger erschien, sah er sich eine Weile wie suchend ringsum und fragte dann die / Nächststehenden, wo denn die Kanzel hingekommen. Es entspann sich sodann in der / Versammlung eine lebhafte Discußion über das Verschwinden des quaest. Möbels; / als ein breitschultriger Kentuckier dahergekeucht kam, die vermißte / Kanzel auf dem Kopfe tragend: sie hatte bei einem in der Nähe abge- / haltenen Meeting als Rednerbühne dienen müßen. – Dieser kleine Zwischen- / oder vielmehr Vorfall hatte keine weitern Folgen und störte die andächtige / Stimmung der Gemeinde nicht im Geringsten. ________________ 29 Für den öffentlichen Unterricht wird in den Vereinigten Staaten, namentlich seit / zwei Dezennien sehr Rühmliches, ja Ueberraschendes geleistet. Jedem Township (3 Quadrat Meilen) / in dichtbevölkerten Gegenden jeder Section (1 Quadrat Meile) sogar wurde vom Staat / ein Schulhaus gebaut und wird von ihm unterhalten. Auch das Lehrpersonal wird / vom Staate angestellt und besoldet, der Betrag aber zu zwei Dritttheile[n] auf die / Schulkinder repartirt. Die Besoldung der Primarlehrer varirt von 200-800 Dollars, / das wöchentliche Schulgeld pro Primarschüler 15-20 Cents. Die Lehrer werden von / der Schulkommißion geprüft und empfohlen und leisten durchschnittlich sehr Befriedigendes, / namentlich glaube ich bei den Schülern Allgemein eine ungemein schöne und kräftige Handschrift / wahrgenommen zu haben. Die Schulbücher sind sehr zweckmäßig und praktisch, die für An- / fangsschüler mit hübschen Illustrationen versehen. Schulzwang herrscht aus territoriellen / Gründen keiner, auch einen einheitlichen Schulplan hab ich nicht bemerkt. Außerdem werden eine Menge, namentliche deutsche, Privat- oder Spezial- / schulen gehalten; denn noch immer gefällt sich der Staat darinn, das deutsche Element, / das doch sehr beträchtlich ist, und seine Bedürfniße vollständig zu ignoriren. Diese / kleinliche Selbstsucht des Yankee zeigt sich ferner darinn, daß er keine fremden / Sprachen lernt und dieselben nur mit Widerstreben duldet, überhaupt in seiner / Abneigung gegen alle „Grünen” (Einwanderer), namentlich Deutsche, welches / Gefühl eher als Haß und Neid, denn als Verachtung zu deuten ist; denn er weiß nur / zu gut, daß puncto Wißenschaft und Kunst der „Dutchman” ihm weit überlegen ist. Wenn der Primarunterricht ein sehr ausgebreiteter und erfolgreicher und / tüchtiger genannt werden kann, so läßt sich das Nämliche von den höhern / Unterrichtsanstalten nicht sagen. Wohl wuchern eine Menge sog. Colleges, sind / aber bloße Privatunternehmen, um Geld zu machen und leisten ungefähr, was die / 37 Schweiz. Pensionnate, es wird Anstand und guter Ton gelehrt und es sind diese Anstalten / wegen ihrer Kostbilligkeit nur reichen Sprößlingen zugänglich. Von Staatswegen / existiren, so viel mir bekannt, nur einige, aber ausgezeichnete politechnische / Schulen, eigentliche Hochschulen, nach Europäischen Begriffen, existieren keine. [Nachtrag am Seitenende:] Soeben wird mir versichert, in Philadelphia bestehe seit Kurzem eine ausgezeichnete / juristische und mediz. Fakultät, ob dem so sei, laß ich dahin gestellt. Die Bezirksschule Grenchen würde hier eine ganz famose Universität sein! Glückliches, hochherziges Land, Amerika! Du bist erhaben über elende / Schulfuchserei und gelehrte Pedanterie der alten Welt. Du kennst keinen / tÿrannischen Schulzwang der edlern „Gewerke”. Will Einer Doct.Med. / werden, hört er ein Semester oder zwei Anatomie und Klinik in der „Akademie” / zu Cleveland oder St.Louis, läßt sich dieß bescheinigen und der Doctor ist fix und / fertig. Sich Dr. schelten laßen und zu praktiziren steht übrigens Jedem frei, / ohne sich prüfen zu laßen, denn hier herrscht volle Gewerbefreiheit; die meiste / Inklination hiefür zeigt sich bei importirten Barbieren und Badern, auch / Hufschmiede schwärmen häufig hiefür. – Willst du Advokat werden, so brauchst / du dich nicht erst Jahre lang mit den „Alten”, mit Justinian und den „gemeinen / Deutschen” herum zu balgen oder gar in todten Sprachen zu reden, all' dieß / heidnische Zeug ist hier Luxus. Du studirst während eines kalten Winters die / State Law und die Common Law, eröffnest eine „Office”, läßest dir einen tüchtigen / Aushängeschild malen und der Advokat ist geboren. Legst du gar noch eine, / nicht allzu rigurose Staatsprüfung ab, so darfst dich „Lawer” (Rechtanwalt) (Attorney at Law) nennen. 30 Der Amerikaner ist ein schlauer Handelsmann und Spekulant, ein ausgezeichneter / Ingenieur und Baumeister, ein tüchtiger Handwerker, ein vortrefflicher National- / Ökonom und im Maschinenbau und in der höhern Mechanik hat er eine Meisterschaft / errungen, die ihm von keiner andern Nation bestritten werden kann. Doch höhere / Wißenschaft, klaßische Bildung und schöne Künste weiß er nicht gehörig zu schätzen, / noch dieselben sich anzueignen. Amerika hat verhältnißmäßig nur wenig tiefe / gebildete Männer, an großen Staatsleuten ist es wahrhaft arm und die wenigen / berühmten Gelehrte[n], Dichter, Ärzte, Advokaten und Schriftsteller haben ihre Bildung / meist im Auslande geholt oder doch dort wenigstens den Impuls, die Weihe dazu empfangen. / Die Nationalliteratur ist noch sehr arm, Bücher ästhetischen und streng wißenschaft- / lichen Gehalts werden, weil ihm das Verständniß abgeht, vom Volke wenig ge- / sucht; desto beliebter sind Unterhaltungsschriften und es fiel mir auf, nebst den / englischen Originalwerken sehr viele Uebersetzungen italienischer und spanischer / Autoren zu finden. 38 Faßen wir den Kulturzustand des amerik. Volkes im Allgemeinen / ins Auge, so muß uns die Ueberlegenheit der amerik. Frauen über die / Männer, was Geist, Bildung und Erziehung betrifft, in Staunen und Bewunderung ver- / setzen. Während der Knabe oft schon im 12-14ten Altersjahre die Schule verlaßen / und zu Schaufel und Spate[n] oder zu einem Handwerk greifen muß, führt die junge / Miß ihren Schulbesuch fort und vervollständigt ihre Bildung noch in einem der vielen / Ladies Colleges. Diese, stets von Frauen geleitete Anstalten ertheilen einen, die / Männer-Colleges weit überflügelnden, ausgezeichneten Unterricht. Sehr geschätzt sind die / katholischen „Schwesterninstitute["], und werden, da ohne positives Verlangen kein Religions- / unterricht ertheilt wird, von Zöglingen aller Konfeßionen besucht. Viele Frauen eignen sich sogar eine gewiße klaßische Bildung an und / amerik. Schriftstellerinnen und Dichterinnen sind nicht selten. Zwei Dritttheile der Primar- / schulen werden von Lehrerinnen geführt, Frauen halten öffentliche Vorlesungen, / Frauen werden zu Telegraphen- und Postbeamten gemacht, promoviren als Med. Doctorinnen, / ja wie die Zeitungen berichten, tauchen hie und da Frauen als (öffentl.) Predigerinnen auf. Es ist daher begreiflich, daß die hiesigen Frauen bei ihrer geistigen Ueber- / legenheit sowohl im öffentlichen- als Privatleben einen, in der alten Welt ungekannten / und unmöglichen Einfluß auf die Männer, auf die socialen, ja sogar politischen Verhält- / niße, ausüben. Begreiflich ist ferner, daß sie das Höchste anzustreben suchen und nach / „Emanzipation” rufen. Es besteht bekanntlich ein sehr zahlreicher amerik. „Frauenverein für Gleichheit / der Rechte” und die Präsidentinn deßelben Mrs. Lucretia Mott hat soeben einen Aufruf / zu einer Convention dieses Vereins erlaßen, welche am 20' und 21' Nov. zu Albany abgehalten / werden soll. Auf dem Programm dieser Convention steht der Antrag: die Constitution / solle dahin amendirt werden, allen Bürgern ohne Unterschied der Race und des Geschlechts / das Stimm- und Wahlrecht zu geben. „Der Geist des Zeitalers”, heißt es in dem Aufruf, / „treibt uns, einen Schritt vorwärts zu thun und die Rekonstruktion dieser Union ist ein / umfaßenderes und weitergehenderes Werk als die bloße Restauration des Südens sein / würde. Sie ist die Erhebung der ganzen Nation zu einer praktischen Verwirklichung / unserer republikanischen Idee.” Wer weiß, wie bald wir auf den grünen Kisten der / Congreßhalle Reifröke sitzen oder gar die United States aus einem Boudoir des „Weißen / Hauses” ihre Befehle empfangen sehen werden, wer weiß! Thatsächlich sind sie schon emanzipirt, Frauen begleiten ihre Männer in die Meetings / und auf ihren politischen Rundreisen, intrigieren und schreiben Pampflete auf 39 31 öffentliche Wahlen; und in ihren Gardinenpredigten werden sie vermuthlich nebst Moral, / auch noch höhere Poletik 44 doziren. Einige Blaustrümpfe haben sich sogar in öffentlichen polit. / Reden versucht und das Publikum enthusiasmirt. Die amerik. Frauen tragen meist den angelsächsischen Tÿpus, ihr Gesicht regel- /mäßig fein und blaß, die Gestalt schlank und schmächtig – aus lauter Duft gewoben. In ihrer / Jugend sind sie sehr schön, altern aber schnell und dann sind sie das Gegentheil von schön. / Sie heirathen sehr früh, beim 22ten Altersjahr, zählen sie wenn nicht unter die Haube gebracht, / schon zu den alten Jungfern. In Cincinaty deklarirte sich eine 16jährige Lady vor / Gericht als Witwee[sic] und Mutter von zwei Kindern! Augenscheinlich übt das Clima einen / beschleunigenden Einfluß auf die Frühreife der Damen aus, mit dem 14ten Jahr ist das Mädchen erwachsen. Die Amerikanerin ist putzsüchtig, naschhaft, eitel, schwärmt für Spazierenund / Compagniefahren, für Theater und Ball. Sie läßt sich vom Mann bedienen und des Morgens / das Feuer anmachen. Daß Frauen den Männern die Stiefel wischen oder die Toilette- / artikel zurecht machen ist in Amerika unerhört (Ich rede wohlverstanden nur von / Eingeborenen). Sie hat nichts gemein, mit dem deutschen Hausmütterchen, dem gutmüthig- / sorglichen. So wie es der Mann einbringt, spendet sie das Geld mit vollen Händen. / Fehlt dieß aber, treten Unglücksfälle ein, kommt der Mann in Armuth und Noth, dann / zeigt sich die Amerikanerin in ihrer angeborenen Energie und heroischer Opfer- / willigkeit. Ohne zu murren oder zu hadern, legt sie sich die größten Entbehrungen / auf und während der Gatte vielleicht in ferne Regionen zieht, um Gold zu holen / oder Verdienst zu suchen, schafft und ringt, näht und hungert die zurückgebliebene, / um sich und ihre Kinder anständig durchzubringen, und fremde Hülfe anzusprechen, / gälte ihr als Schande. Ich habe zarte Frauen pflügen und Früchte dreißig Meilen / weit auf den Markt fahren sehen. Die Stellung der Frauen in den Vereinigten Staaten ist jedenfalls / ein Zeichen des allgemeinen Zustandes der Gesellschaft und deren sittlichen / Charakter. Auf den Straßen, bei öffentlichen Versammlungen, im Theater, / in der Kirche, im Eisenbahnwagen wird nicht ein Mann getroffen, der nicht / vor den Frauen bescheiden zurückträte oder ihnen seinen Platz bescheiden / überließe und dieß geschieht sowohl in den Staaten Minesotta, Texas und Californien / , als in den Staaten New York und Georgia, vom bärtigen Hinterwäldler so gut, / wie vom Gentlemen. Eine Frau, sie sei verheirathet oder nicht kann überall / die weiteste Reise unternehmen von einer Grenze der Union bis zur Andern, / ohne daß sie auf dem Steamboote oder Eisenbahn Beleidigungen oder Demüth- / igungen zu ertragen hätte. 44 Politik. 40 ________________ Die Städte Nordamerikas unterscheiden sich von denen der alten Welt / durch ihre planmäßige Eintheilung, die Breite der Straßen und durch die durchweg / leichte und gefällige Bauart der Häuser. Die Städte wachsen hier förmlich aus / dem Boden. Irgend ein reicher Spekulant kauft sich an irgend einem günstig- / scheinenden Platze 1-2 Quadrat Meilen Land, gewöhnlich an einem Fluß oder [einer] Eisen- / bahn, läßt durch einen Geometer den Städtplan ausfertigen, Straßen, offene / Plätze und die Bauloose ausstecken und der Anfang ist gemacht, freilich ein kleiner, / denn es gilt nun, Leute und Capital und vorzüglich Industrielle herbei zu locken; pompöse / Auskündungen werden nicht gespart, ein Hôtel, ein Kaufladen und ein Schmiedshop 32 werden hingebaut und, um Muth einzuflößen, einige Bauloose vorab um / geringen Preiß verkauft, ja oft geschenkt, bis das Geschäft beßer geht. / Sind eine ansehnliche (oft sind sie sehr „unansehnlich”) Anzahl Häuser gebaut / und bewohnt, läßt sich die junge Stadt als Corporation einregistriren, / wählt ihre Stadbeamten, baut Schulhaus und Kirche und wenn's gut geht, zählt / die Stadt in drei Jahren tausend und in fünf Jahren zehntausend / Einwohner, nennt sich City, besitzt eine Bank und ein Theater und die Leut' / tragen den Kopf hoch wie die Grenchener, wenn der La Côte gerathen. Geht / es aber nicht gut, wollen die Capitalisten und Geschäftsleute sich nicht herbei- / laßen und ist folglich schlechter Verdienst, so ziehn die guten Leute, die das / Cadre der zukünftigen Großstadt bilden sollten, wieder fort wo's beßer, beßer ist und überlaßen ihre Block- und Bretterhäuser den Ratten und dem wilden Gethier. Die Straßen sind 50-100' [=Fuss] breit; da von Straßenanlage (Steinbett, Be/ kiesung oder Pflaster) gewöhnlich keine Rede ist und dieselben für Fußgänger die / meiste Zeit unpraktikabel sind, werden überall Trottoirs aus Holz oder / Backstein gebaut. Die Häuser in jungen Städten bestehen gewöhnlich aus ge- / sägten Balken und Brettern (Framehouse), haben einen sehr gefälligen Bau- / stÿl und werden stets mit heller Oelfarbe angestrichen, was den Städten / einen sehr heitern Anblick verleiht. Sie werden sehr flüchtig gebauten[sic] und halten / selten länger als 15-20 Jahre. Die Bauloose sind ungefähr 1/2 Acre groß und er- / lauben dem Eigenthümer sich noch einen Stall für Pferd, Kuh und Hühner zu bauen / und ein hübsches Blumengärtchen fehlt bei keinem Hause. Kuh, Pferd, Hühner / und Schweine läßt der Städter frei laufen und ihre Nahrung suchen und kommen des / Abends hübsch heim, theils um Extrafutter zu bekommen, theils, die Kühe nämlich, um / gemolken zu werden. Vieh trifft man in allen Straßen, auf den grasigen / Promenaden und vor den Thoren, es wälzt sich wohllüstig im Kothe und streicht die / vorübergehenden Crinolinen und nimmt den zornigen Tritt eines Damenfüß41 chens / für Schmeichelei; es gehört so zu sagen mit zu der Bevölkerung und eine / amerik. Stadt ohne Vieh ist gar nicht zu denken. Glückliche Städterinn! Die du / Milch von der eigenen Kuh und nicht vom wäßerigen Milchträger, Eier von / deinem Geflügel und Schinken von deiner Sau beziehen kannst, wie wird dich die / ehrbare Bürgersfrau beneiden, die all' dieß aus zweiter und dritter, oft / schmutziger Hand beziehen muß. Die Häuser sind durchschnittlich klein und zweistöckig und werden gewöhnlich / nur von einer Familie bewohnt – ein großer Vorzug vor den kasernen- / haften Miethshäusern europäischer Städte. In kleinen Städten und auf dem Lande / sind sie meistens nur ein Zimmer tief und somit sonnig und hell. So elegant im Aüßern, / ebenso komfortabel und wohnlich sind sie im Innern, Bodenteppiche (Carpets), große / Fenstervorhänge, Canapé und Schaukelstuhl fehlen in keinem, auch nicht geringsten / Häuschen. Der Eintritt ins Haus geschieht stets durch die Küche; diese ist groß / und hell und dient zugleich als Parlor, Eß- Wohn und Arbeitszimmer der Familie. / An die Küche grenzt das Besuchszimmer. Koch- und Heizöfen sind ausschließlich von / Gußeisen; erstere sind äußerst geschmackvoll und praktisch eingerichtet, letztere / aber zieh ich uns[e]rn ehrwürdigen Kachelöfen mit ihrer sanften und gleichmäß- / igen Wärme weit vor. Die Betten sind ungemein weitläufig und hübsch, / bieten aber, da die Matrazen hart und nur die Kopfkißen Federn enthalten / ein miserables Lager. Dieß ist wenigstens in den Gasthöfen der Fall. 33 Dieweil ich just von den Betten spreche, kann ich nicht unerwähnt laßen, daß in / der neuen Welt eine gewiße Art europäischer Hausthiere nicht gedeihen und / sich aklimatisiren wollen, die Flöhe nämlich; dafür besitzt Amerika ein / Surrogat, das jenen an Leistungsfähigkeit und Ausdauer in Nichts nachsteht, / nämlich die Wanzen. Dieses niederträchtige, lichtscheue Vieh ist hier zu Lande / so grausenhaft allgemein und zahlreich und dabei so merkwürdig ungezogen und / blutdürstig, daß –, o es schaudert Einen beim bloßen Gedanken! Die großen Städte enthalten allen Luxus, Komfort der europäischen, / doch bieten sie zu wenig Abwechslung in ihrer Phÿsiog[no]mie und entbehren des so / köstlichen, historischen Reizes, der den Besucher anlockt und feßelt. Wer eine Stadt ge- / sehen, hat alle gesehen. In den Städten ist gegen Feuersgefahr trefflich gesorgt; es be- / stehen überall gut organisirte Feuerkorps, Dampfspritzen sowie Waßerbehälter sind zahl- / reich vorhanden. Auf dem Lande aber, wo die Häuser einzeln stehen, läßt man / eben brennen, was brennt. Die Kaufläden der großen Städte, namentlich Luxus- / und Schmuckläden wetteifern an Reichthum und Eleganz mit denen Londons und Paris. / Ein Laden (Store) auf dem Lande aber ist eine wahre Kuriosität. Sie enthalten / alle Bedürfniße der Haus und Landwirthschaft in buntem Durcheinander und wir finden / in der einen und nämlichen Store Spe42 zerejwaaren und Drogerien, Pferdegeschirr / und Damenhüte, Speck, Schmalz und Glacehandschuhe, Besen, Küchengeschirr und Lorgnetten, / Wagenschmier und Pommade, Porzellan und Petroleum, Krinolinen und Kanonenstiefel, / Glaswaaren, Whisky, Kartoffel und Leckerli etc. etc. aufgehäuft. Der amerik. / Handelsmann hat nur einen fixen Preis und läßt durchaus nicht feilschen und markten. Sehr verschieden von den europäischen sind die hiesigen Gasthäuser und Schenklokale. / Die Gaststuben enthalten außer dem Counter (hinter welchen der Wirth sich gleichsam verschanzt) ein Dutzend Stühle und einem / Spieltischchen kein anderes Mobiliar. Der Yankee tritt ohne Gruß noch Gegengruß / ein, geht auf das Buffet los und leert das geforderte Glas Bier, Wein oder Schnapps / in einem Zuge aus und streckt sich dann, auf zwei Stühle die Beine hoch gehoben, so daß sie / mit seinem Körper einen spitzen Winkel bilden. Dann greift er nach der / Zeitung oder prüft die Schärfe seines Sackmeßers an einer Stuhllehne. Es wird / gewöhnlich über Politik und Tagesfragen discutirt und mitunter sehr lebhaft und un/ gezwungen; das Singen sowie jede Art Ausgelaßenheit im Wirthshaus ist / gegen gute Lebensart. Auch wird man selten einen arg Betrunkenen sehen. Es giebt keine Nationaltrachten, alle Klaßen der Gesellschaft kleiden / sich bequem und nach der Pariser Mode und dieß giebt der Nation das Ansehen der / Gleichheit. Die amerikanische Küche zeichnet sich mehr durch Ueberfluß und Manig- / faltigkeit als durch Delikateße aus. Fleisch bildet den Hauptbestandtheil der drei / täglichen Mahlzeiten nebst Thee oder Kaffe und (gesalzener) Butter. Suppe mag der Yankee / nicht eßen und allfällige Fleischbrühe wird – ausgegoßen; desto mehr liebt er Kuchen (pie), / Eingemachtes und Süßplatten. Süße Butter wird zu allen Mahlzeiten gegeßen, dagegen / werden die Speisen mit Fett (zerlaßenen Speck) zubereitet. Bei Tische sieht / der Yankee aus wie ein grimmiges Raubthier; da ist keine Rede von Diniren. / Stumm und hastig verschlingt er gleichsam die vorgesetzten Speisen, als wollte man / sie ihm stritig machen. Er häuft sich den Teller mit einem thurmhohen Haufen 34 von einem Halbdutzend Gerichte zugleich und was ihm nicht behagt, läßt er / fein übrig. Niemand versteht es beßer wie er, die von Natur feind- / seligsten Nahrungsmittel und Getränke, Milch und Schweinefleisch, Schinken und Honig, / Maisbrei und Braunbier, Aepfelschnitz und Gurkensalat, Wein und Mandelkuchen / etc. zu einem friedfertigen, großen Ensemble zu vereinen, ohne daß / sein Speisesack dawider sich aufrührerisch zu benehmen scheint. – Die Speisen / werden gewöhnlich alle zugleich aufgetragen; es wird servirt, kein Teller / gewechselt und das „Hilf dir selbst” gilt bei Tische als höchste Potenz. Der Amerikaner / ißt, wie sein Onkel, der Engländer, ungewöhnlich viel, ohne dabei besonders fett / zu werden, was sich daraus erklären läßt, daß er hart arbeitet und die / Nahrungsmittel nicht 43 die substantielle Nahrhaftigkeit besitzen, wie die europäischen. / In Europa bekommen die Bauern oft den Knochenkrampf, hier leiden / sie an Magenkrampf und Dispepsia. Der Amerikaner raucht wenig und nur Cigaren und das ist sehr artig / von ihm. Dagegen kaut er Tabak und das ist hinwieder schauderhaft unartig, / besonders in Gegenwart von Damen. Von Morgen bis Abend sieht man ihn / den häßlichen Knäuel im Munde hin und her schieben und bearbeiten; von Zeit zu Zeit / spuckt er dann einen Strahl brauner Jauche aus und renommirte Kenner / (Gentlemens) suchen sich in der Kunstfertigkeit zu überbieten, denselben in Regenbogen/ form so weit möglich zu treiben. Um die Böden und Teppiche vor diesen eckel- / haften Entleerungen zu schützen, steht deßhalb auch bei jedem Schauckelstuhl in / fashionabeln Häusern und bei jedem Rathsseßel im Courthouse ein Napf des / Spuckes. ________________ Die Ehe wird in gesetzlicher Hinsicht nur als ein Civilakt betracht- / et und es kann jeder Friedensrichter diesen Akt vollziehen; jedoch wohnt / diesen Verbindungen nicht selten ein Geistlicher bei. Auf dem Lande geschieht / der Trauungsakt gewöhnlich im Hause der Braut, in Städten findet diese / Feierlichkeit oft in der Kirche statt. In einigen Staaten ist die öffentliche / Auskündung vorgeschrieben, in den meisten ist sie nicht nothwendig, sondern der / Heirathskanditat holt sich Morgens auf dem Bezirksamt seine Erlaubniß (wobei, / er keine Ausweispapiere vorzulegen hat). Nachmittags geht er mit der Braut zum / Friedensrichter, der sie dann kopulirt und die Sache ist in Ordnung und kostet blos 1 1/2 D. / Eine nach den Gesetzen eines Einzelstaates vollzogene Ehe hat indeßen in / sämtlichen Staaten volle Gültigkeit. Es bedarf auch öfters nur des Nachweises des / Zusammenlebens zweier Personen, um als Mann und Frau anerkannt zu werden. / Ehen und Geburten werden nur auf spezielles Verlangen einregistrirt / und Legitimationspapiere werden nur bei Prozeßen und zweifelhaften Erbsansprüchen / verlangt. Die Civilbehörde resp. Ortspolizei bedarf ihrer nicht. – Die Pflichten / der Ehe werden selten verletzt und geschieht dieß nie ungestraft. Da es sehr / leicht ist, durch Arbeit eine Familie zu ernähren, so ist die Zahl der ehe- / losen - Männer gering. Unerfüllte Eheversprechen werden hart ge- / ahndet, bis 500 D. Buße oder entsprechende Gefängnißstrafe; ebenso thätliche / Mißhandlung und böswilliges Verlaßen. Wenn Einer seine eilfte Frau hei- / rathet, wie es jüngst in der Indiana paßirt, und die andern zehn leben noch / und es hat keine gerichtliche Scheidung stattgefunden und sind sothanermaßen 10/11 / geprellt, so wird der Uebelthäter auch hart bestraft, wenn sie ihn erwischen, 35 die Justizbehörden nämlich. 44 Das Verhältniß zwischen Eltern und Kinder enthält gewöhnlich nichts von / jener elegisch süßlichen Sentimentalität und Zärtlichkeit, wie sie in europäischen / Familien vorherrschend ist, puritanischer Ernst und strenge Religiösität, sowie / das Streben, die Kinder frühzeitig an eine gewiße Selbständigkeit und Energie / zu gewöhnen, sind die leitenden Grundzüge des amerik. Familienlebens und der / Kindererziehung. Die Söhne verlaßen frühzeitig das Elternhaus, um sich ein / eigenes Geschäft zu gründen; und es verursacht dem Papa durchaus kein Bedenken, / noch Zagen, dieselben tausende von Meilen weit zu wißen, weiß er ja daß sie / smart genug sind und unfehlbar reich werden müßen und daß ihm zuerst auch so / geschehen. Die Söhne sind mit dem 21ten die Töchtern mit dem 18ten Altersjahr emanzipirt. Die Landessprache ist bekanntlich die englische und die Einwanderer, welche / irgend Geschäfte treiben wollen, müßen sich zum voraus mit dieser / Sprache vertraut machen. Die meisten Anlagen hinzu zeigen die Deutschen, / am übelsten sind die Franzosen daran. Kinder lernen sie über- / raschend schnell, meistens in zwei Monaten können sie schon geläufig / englisch pappeln 45[.] Der Sprachgebrauch hat mit den Anschauungen und den ganzen Geistes / und Gemüthsrichtungen eines Volkes mehr zu thun, als viele Leute glauben. / Wenn man hier zu Lande so oft sagen hört: „er ist so und so viel tausend / Dollars werth”, so muß man sich nicht wundern, denn oft ist das Geld der / einzige Werth, den solch ein „Glücklicher” besitzt, und er würde thatsächlich / gar nichts werth sein, wenn man ihm seine Dollars rauben wollte. / Es wird von Manchem behauptet, daß er 100'000 D. werth sei, für deßen / Person Niemand fünf Cents bezahlen würde. – Der Ausdruck: / „er macht Geld” ist im ganzen Lande gäng und gäbe und doch ist das / Geldmachen im eigentlichen Sinne den Privatpersonen verboten und mancher Falschmünzer / sitzt wegen diesem Verbrechen hinter Schloß und Riegel. Das Glück bindet sich glücklicherweise nicht an äußeren Besitz; / das wahre Glück wohnt oft häufiger in armen Hütten als in Palästen, / doch wäre es thöricht läugnen zu wollen, daß Reichthum, daß Gold / zu einem glücklichen Leben wesentlich beitragen, wenigstens ist / zur Genüge erwiesen, daß ein besitz- und geldloser Zustand uns in den / meisten Fällen wenig entzükt, sondern als ein sehr trostloser und / unerquiklicher bezeichnet werden kan[n]. Sagt ja Goethe so wahr: „Das Beste in der Welt Ist ohne Dank, Gesunder Mensch ohne Geld ist halb krank.” Die Kunst „viel Geld zu machen” ist am Ende in diesem jungen und reichen / Lande nicht sehr schwer. Wenn Einer sein ganzes Dichten und Trachten / darauf verwendet, kein zu enges Gewißen hat und ihn das Glück ein / Bischen begünstigt, 45 Plappern. 45 so muß er früher oder später zum Ziele gelang- / en. Die Kunst aber, das erworbene Vermögen weise zu genießen / scheint in diesem Abendlande sehr schwer zu sein. Bei wie vielen / der hiesigen Millionäre, Halb- und Viertelmillionäre sehen wir die 36 Sorge, die rastlose Hast deutlich auf dem Gesichte ausgeprägt! Sind sie / glücklich – verstehen sie ihre Glücksgüter zu genießen? Ach, die Armen / haben ja nicht einmal Zeit sich diese Frage zu stellen – das Busineß / (Geschäft) hält sie gänzlich im Joche und sie rennen und jagen rastlos wie / ein gehetztes Wild, um tüchtig, „Geld zu machen” und noch mehr werth zu / werden, bis sie eines Tages von lachenden Erben in silberbeschlagenen / Särgen auf den Kirchhof gefahren werden, wo sie die Zeit finden, die sie / sich im Leben nicht gegönnt. Bei der maßenhaften Einwanderung aus Deutschland ist es be- / greiflich, daß die deutsche Sprache vielerorts, vorzüglich im Westen, / als Umgangssprache festen Fuß gefaßt hat. Freilich müßen bei dem / Gemengsel 46 die verschiedenen deutschen Idiome verschwinden und wohl / nirgends in der Welt wird das schriftoder hochdeutsch so allgemein / gesprochen wie in Nordamerika. Schweizerbauern sind in dieser Hinsicht / oft übel genug daran und mancher Appenzeller od Glarner schimpft / weidlich über diese „verbrännte dütsche Schwii - koge 47, wo nit emol dütsch chönnid!” Das Annonce- und Reklameunwesen steht wohl nirgends, nicht einmal in Frankreich, / in solcher Blüthe, wie hier. Die Amerikaner haben darin das Unmögliche geleistet, / auch scheinen sie von der Wirksamkeit deßelben fest überzeugt zu sein. Barnum / sagt in seiner Selbstbiographie: „Annoncire dein Geschäft, thu'es tüchtig und ordentlich / und scheu dich nicht, das Maul recht voll zu nehmen. Homöopathische Dosen reichen nicht / aus. Nimm die volle Mixtur und sie wird helfen. In diesem Lande, wo Jedermann / Zeitung liest, muß man einen dicken Schädel haben um nicht einzusehen, daß Annonciren / das sicherste und wohlfeilste Mittel ist, zum Publikum zu sprechen und sich Kunden zu erwerben. / Es ist wie das Saatkorn, während es in der Erde liegt, weint es.” So räth Barnum, / der Fürst des Humbugs, der Schwindelkönig, das größte Genie New-Englands und daß er / seine Pappenheimer kennt, hat er bewiesen, indem er sich vom Ladenschwengel zum / Millionär emporgeschwungen durch lauter „Puff ”, wie er selbst gesteht. Schon die drei Ellen / langen, mit den grellsten Farben aufgetragenen Lettern auf Wirtshausschildern [und von] Handels- /firmen machen auf den bescheidenen Europäer einen verwunderlichen Eindruck. / Giebel, Gartenmauern und Scheuern, kurz alle Ecken und Fläcken sind mit riesen- /haften In- und Aufschriften und Plakaten 46 47 Durcheinander. Rohes Schimpfwort. 46 förmlich überdeckt und Besitzer von Eckhäuser / müßen sich durch richterl. Verbote schützen, sonst werden ihnen Fenster, Mauern / und Thüren bis ins oberste Stockwerk überklebt. In New York findet man des Morgens / die Trottoirs und Rinnsteine mit Plakaten bedekt, läßest du deine Kalesche eine halbe / Stunde unbewacht stehen, im Nu ist sie bunt tapezirt, ja wenn du nicht auf- / paßest, wird dir ein Plakat an einem Angelhacken an die Nase geheftet, wer / weiß? – Der Inhalt dieser Plakate besteht gewöhnlich in Anpreisung irgend einer / wunderbaren Medizin, eines unübertrefflichen Wangenpulver[s] einer famosen Schuh- / wichse, spottbillige Ausverkäufe 100% unter dem Fabrikpreise, oder in Conzert-, / Picnic- oder Seiltänzerannoncen etc. Längs der Pennsylvania Central und Great Western / Bahn, von New York bis Chicago, sind die Zaunbretter alle halb Meilen mit „Hoofeland's / Stomach Bitters” und dann wieder „Mutual Benefit Life Insurance” u.A. bemalt – 1500 Meilen weit! / In den Zeitungen in welchen gewöhnlich eine volle Seite der Reclame offen steht, suchen / sich namentlich die Heilkünstler in Selbstverherrlichung zu überbieten. Dieser jammert, / daß tausende zu Grunde gehen, [„]weil sie seinen ärztlichen Rath nicht nachsuchen”, Jener 37 „heilt die hartnäckigsten Uebel in wenigen Stunden” und „hat besondere Appartements für / Herren und Damen” und ein Anderer gar „tödtet die Krankheiten in ihrer Wurzel(sic)”. / Diese stereotÿpen Zeitungsreklamen und Annoncen, gar oft mit feinen Bildern geziert, und mit in die Augen springenden Buchstaben gedruckt, sind sehr geistreich und rührend. Die Zeitungen sind Universallektüre, wie wohl in keinem andern Lande und die / politischen Gespräche bilden in jedem Alter und unter allen Verhältnißen eines der größten / Vergnügen. Der Amerikaner ist unübertreffflich in Erfindung politischer Schlagwörter / und die Preße ist so frei, mitunter sehr gemein und grob zu werden. Selbst der Handels- / Courier ist im Vergleich zu den hiesigen Provinzialblättern nur ein Stümper. Die / meisten Blätter sind (wie mir wiederholt versichert worden) von einer Partei, Coterie oder / Privaten besoldet, soll[ch]e Schimpfereien und absurde Geschichtchen über die Persönlichkeit ihrer / Gegner, dieß ist der rothe oder vielmehr der drekkige Faden, der sich durch einen großen Theil / der hiesigen Preße zieht und beim Durchlesen derselben, wäre man beinahe anzunehmen / versucht, die United States hätten extra all' die schlechtesten Kerls ausgesucht, um sich von / ihnen regieren zu laßen. Selbst über Se[ine] Excellenz, den Präsidenten, und am meisten noch / über ihn, werden in der Preße Äußerungen gethan, die einem deutschen Unterthan dem Minister / gegenüber wenigstens ein Dutzend Mal das Leben kosten würde, nebst Einstellung im / Aktivbürgerrecht. So wird Andy Johnson, „der Zufall des Zufalls”, „die Schande aller / ehrlichen Schneider”, wohl tausendmal per Woche als „schwarzer, ehrloser Verräther” / titulirt, und „für den der hänferne Strick die beste Kur wäre”, und merkwüdig, Präs. Johnson / wird, wie man sagt, noch dick und fett dabei. – Letzthin rechnete ein angesehenes Blatt / ei47 nem hohen Beamten nach, daß derselbe ein Vermögen von 150'000 D. besitze das vor / seinem vor 3 Jahren erfolgten Amtsantritt nachweislich blos aus 5000 D. bestanden, / während seine Jahresbesoldung doch nur 6000 D. betrage; das Journal fordert den Mann / auf, öffentlich Rechenschaft über seinen ungewöhnlichen Vermögenszuwachs abzulegen „oder man / nehme an er hab aus öffentl. Kaßen gestohlen, wofür auch aller Grund vorhanden”[.] / Sehr galant und naiv, nicht wahr? ________________ Der letzte Krieg hat sehr viel Unheil angerichtet und Jahrzehnte noch wird man / seine Nachwehen verspüren. Eine der traurigsten Folgen ist die überhand genommene De- /-moralisation, der Mangel an öffentlichem Zutrauen und die Corruption der Staatsmänner und / Beamte[n]. Es ist eine tausendfach bewiesene Thatsache, daß der schreckliche Krieg aus gemeiner / Gewinnsucht und niederträchtigster Spekulation in die Länge gezogen, daß Generale bestochen, / Schlachten verloren und tausende von armen Soldaten geopfert wurden, um des leidigen / Gewinns willen. Noch hört man Geschäftsleute schamlos ihr Bedauern aussprechen, daß / der Krieg und mit ihm die „gute Zeit” so bald aufgehört hätten. Die Armenadministration / muß in wahren Spitzbubenhänden gewesen sein: Während der nominelle Etat der / Unionsarmee auf 900'000 Mann angegeben, verpflegt und bezahlt worden, bestand sie / in Wirklichkeit blos aus einem Drittel weniger. Tausende marodirten, raubten und / sengten und können auch jetzt nach vollendetem Kriege nicht ganz von ihrem angewöhnten Banditenleben / laßen. Mit den Rekruten wurde ein förmlicher Handel getrieben. Aus purem / Patriotismus nahmen tausende einige Hundert Dollars Handgeld, desertirten und nahmen / wieder Handgeld u.s.w. Monate lang wurde kein Corpsappell gehalten. Den Soldaten / waren alle geistigen Getränke streng verpönt[=verboten] und besoffene Generale / führten die Truppen in die Schlacht. Schlachtberichte wurden bübisch gefälscht so daß / selbst der gute Papa Lincoln nicht mehr recht daran glauben mochte. (So sagte 38 er einmal beim Durchlesen eines neuen Siegesbülletins; „Diese Depeschen / mahnen mich an jenen Bauer in Illinois, der dem Doctor berichtete, seine / kranke Frau habe keine gute Nacht gehabt; sie leide furchtbar am Durchfall / und habe während der Nacht 100 Mal vom Nachtstuhl Gebrauch machen müßen. / „ „Hundert mal” ”, rief der Doctor, „ „das ist ja unmöglich, unerhört!” ” „ „Ja” ”, rektifizirte / der Bauer, „ „es war die meiste Zeit nur Wind.” ” – So ist auch mit unsern Sieges- / berichten.”) Von den vielen Schändlichkeiten nur eine: Es wurde den Militair- / ärzten Prämien ausgesetzt für jede geglückte Amputation d.h. wenn der Amputirte / am Leben blieb. Diese, von edler Humanität diktirte, Verfügung wurde von einer / Anzahl Ärzte auf wahrhaft teuflische Weise ausgebeutet. Es überkam sie eine / wahre Amputationswuth, Arme und Beine wurden abgehackt, selbst bei den unbe- /48 deutendsten Fleischwunden und alles Protestiren und Sträuben des armen Opfers war ver- / gebens – nur um die Praemie zu kriegen; während Schwerverwundete unbeachtet / liegen blieben, war ein glückliches Resultat ja zweifelhaft gewesen! Der Uebel größtes ist die Schuld. Die Verein. Staaten haben in folge des letzten / Krieges eine Staatsschuldenlast bekommen, die jeden andern Staat nothwendig erdrücken / müßte (2600 Mill.D.); Nordamerika aber mit seinen wirklich unerschöpflichen Hilfs- / quellen wird seine Schulden in verhältnißmäßig kurzer Zeit tilgen. (Soeben lese / ich daß letztes Jahr 250 Mill. abbezahlt wurden). Freilich gehts dem Lande hart genug, / namentlich sind die Zölle sehr drückend. Das fatalste Erbe, das der Süden Krieg hinterlaßen ist das Papiergeld, / jene elenden schmutzigen Fetzen, die nun in den Vereinigten Staaten als / Werthmeßer gelten. Alles Gold und Silber ist aus der allgemeinen Circulation / verschwunden und in den[=die] Hände der Mäkler gerathen, welche damit Börsen- / maneouvres ausführen. Das Agio auf Gold schwankt zwischen 25-55%, war / früher aber auch schon 100-150%! Dazu noch häufige Fallimente großer Banken, / wodurch jedesmal eine Menge ausgegebener Banknoten werthlos werden. – / Die Gefahren, welche mit einem übermäßigen und beinah uneinlösbaren Papiergelde / verknüpft, sind, wodurch die Arbeit – die wahre Quelle des nationalen Reichthums – / verwundet und die Spekulation und Verschwendung auf's Höchste angeregt wird, / können nicht ausbleiben – Eine früher oder später eintretende Krisis muß die / nothwendige Folge davon sein. Ehe das Land in Wahrheit wieder prosperiren kann, muß die Baarzahlung / wieder aufgenommen, muß daß Papier vom Staate eingelöst werden, – was / selbstverständlich nur mit großen Opfern geschehen kann; muß ferner die Produktion / von ihrer hemmenden Fabriksteuer befreit werden und die Handelsbilanz / zwischen den Verein. Staaten und dem Auslande aufhören, zu Ungunsten der / erstern zu sein; müßen die Finanz- und alle andern öffentliche[n] Verwaltungen / in umsichtige und vor Allem ehrliche Hände gelegt und das öffentl. Zutrauen, / das einen so schrecklichen Stoß erlitten, wieder hergestellt und befestigt werden. Im Süden muß, zuverläßlichen Berichten nach; der Nothstand in Folge des / furchtbaren Bürgerkrieges ein schreckenerregender sein. Der offizielle Bericht / der Steuerbehörde von Georgia weist nach, daß dieser, an natürlichen Hilfs- / quellen reichste und vormals blühendste und wohlhabendste südliche Staat in folge des / Krieges vier Fünftel seiner ganzen Habe (Steuercapital) verloren hat. Nicht beßer / steht es, Texas allein ausgenommen, in den übrigen secedirten Staaten. Der Krieg 39 hat die Häuser und Scheunen niedergebrannt, die Ackerbauwerkzeuge zerstört und die arbeits- / fähigen Männer todt oder zu Krüppeln geschoßen. Die Baumwolle, sowie die übrigen Produkte / haben dieß Jahr nur eine sehr geringe Ernte geliefert. 49 Die reiche Klaße ist vernichtet, / die Pflanzer sind ruinirt; die Staatskaßen sind leer und die Staatsregierungen außer Stande, / wirksam zu helfen. Jetzt da sich die Leidenschaft und Aufregung ziemlich gelegt und einem ruhigern Nachdenken / Platz gemacht haben, beginnen viele Nördliche, wenn auch nicht gerade Sympathie, doch Mitgefühl / für den gefallenen Bruder im Süden zu hegen, eingedenk der Wahrheit, daß politische Mein- / ungen weit mehr eine Sache der Geburt und der Erziehung, als der ruhigen und leiden- / schaftslosen Ueberlegung sind; sie vermuthen sogar daß sie selbst, wären sie im Süden geboren, / mit den Gefühlen, den Ansichten und vielleicht mit den Vorurtheilen des Südens, die / gleichen Schiksale derer getheilt hätten, die so tapfer für das gefochten, was sie für ihr / Recht hielten. Und daß sie tapfer gefochten, ungleich tapferer als die Nördlichen, / müßen selbst ihre Gegner eingestehen. Ferner macht sich allgemein die Ueberzeugung / geltend, daß durch gegenseitige Nachgiebigkeit das Blutvergießen hätte vermieden / werden können, ja viele gehen noch weiter und behaupten geradezu, Präsident Buchanan fluch- / würdigen Andenkens habe die Südlichen zur Secession und Aufruhr geradezu ermuthigt und / sie in jeder Beziehung im Geheimen unterstützt! Wird der Süden, der gebändigte und niedergeworfene wohl je wieder ernstlich / zur Loÿalität zurückkehren? Sind die vielen Confiscirungen und der Ausschluß aus dem / Congress wohl geeignet, den stolzen Rittern des Südens eine beßere Meinung über / Neu England beizubringen? oder wird sich die Prophezeÿung jenes Staatsmannes erfüllen, / der von einer Rundreise heimkehrend seine Ansichten resümirte wie folgt: „der / Süden läßt seine Buben erst größer werden, unterdeßen lehrt er sie schießen und in sechs / Jahren wird er uns wieder den Krieg erklären. Er wird sich nie, nie mehr mit / uns vertragen und wir thun beßer, ihn ganz fahren zu laßen, ist unser Land ja groß / und mächtig genug!“ – ________________ Die Yankeés sind Politiker par excellence, wahre politische Kannengießer. / Die großen politischen Parteien sind über die Grundfragen keineswegs uneinig. / Alle billigen die republikanischen Institutionen und das durch die Verfaßung vorgezeich- / nete Sÿstem. Es hat nie eine monarchische Partei gegeben. Die Scheidung in zwei / große politische Heerlager, die Republikaner und die Democraten beruht, näher be- / sehen, auf blosem Partikularismus und Seßelreiterei. Hinzu muß nun auch die Neger- / frage dienen. Die Emanzipation der Sklaven in den Vereinigten Staaten muß, vom idealen / Standpunkte aus betrachtet, als eine große Errungenschaft, als Triumph der Menschlichkeit / angesehen werden und ist auch in diesem Sinne von allen Menschenfreunden lebhaft be- / grüßt worden. Nun aber, da das große Wort gesprochen und den Sklaven ihre / Feßeln abgenommen, erzeigen sich mehrere verdrießli50 che Häckchen, die wohl nicht genugsam / vorausgesehen worden sind. In vollkommener Unwißenheit auferzogen, von Natur / stupid, [Nachtrag am Seitenende:] Von vielen tausend Negern, die ich gesehen hab ich auffallend wenig intelligente / Physiognomien gefunden, vielmehr haben die meisten so wahrhaft thierische Gesichtszüge, das uns eckelt und schaudert. leichtsinnig und träge, wißen die Neger ihre so unerwartet gewonnene Freiheit nicht / zu ertragen und ihre Selbständigkeit weder zu begreifen noch zu wahren. Nachdem / der erste Freudenrausch vorüber und ihnen begreiflich gemacht worden, daß sie nun Arbeit 40 suchen, daß sie nun arbeiten sollten, um ihr Leben zu machen, da machten Viele / große Augen, glaubten sie ja, nun sei Alles überstanden und brauchten nicht mehr zu / schaffen. Und als die Arbeit schwer zu finden war, als der Hunger kam – da / sehnten sich viele nach den Fleischtöpfen Egÿptens, kehrten heim zu ihrem alten Herrn, / baten um Brod und sie wollten gerne wieder eintreten in das alte Verhältniß, / wo sie nichts zu sorgen brauchten. Ein großer Theil fiel in die Hände ehrloser / Spekulanten, die ihre Unwißenheit ausbeuteten, die Neger hart arbeiten ließen und / um den Lohn prellten, da sie weder rechnen konnten noch von den Geldsorten genügende / Kenntniße haben. Der weiße Knecht wollte nicht neben der schwarzen „Bestie” arbeiten, / noch weniger bei ihm schlafen, „stinke er ja wie die Moschusratten”; der Schwarze / mußte fort. Viele durchziehen die Union bettelnd und stehlend und keine Woche vergeht, / ohne daß nicht aus dieser oder jener Gegend von Raub und Mord und den scheußlichsten / Schandthaten, von Negern verübt, berichtet wird. So ist die Emanzipation, von der man sich so Vieles und Schönes versprochen, / für Viele zum Fluch geworden und für die wenigsten wird sie wirklich segenbringend / sein. Der Nÿmbus, welcher um das Wollenhaupt der Söhne Afrikas schwebte, beginnt / allmählig zu schwinden und man lernt einsehen, daß es mehr braucht, als eine / papierne Proklamation, um den Menschen wahrhaft frei zu machen. Der Unionsmann, / der für seinen schwarzen Bruder geschwärmt, entdekt nun allerlei bedenkliche Unarten / und Mängel an ihm und wagt zuletzt noch zu behaupten: „er ist doch keiner der / Unsrigen, s'ist, wie Oncle Pitt sagt, so 'ne Affenart.” Ja, Viele, die mit Wuth / gegen die Sklavenhalter gefochten, gestehen sich leise, daß den Pflanzern doch nicht ganz recht / geschehen, als man ihnen ihr schwarzes Eigenthum so ohne Weiters wegnahm, das sie / geerbt oder gekauft zu einer Zeit, wo Verfaßung und Gesetz es nicht nur nicht bestritt, sondern / sogar erlaubte und beschützte; daß sie nicht mehr und nicht weniger thaten, als die Könige und / Fürsten des civilisirten und humanen Europas täglich thun und noch dafür besungen werden. – Wahr / ist jedenfalls, daß man beßer gethan hätte, die Emanzipation der Neger, wie Lincoln / es zuerst beabsichtigte, nur successive einzuführen, 51 sie dafür geistig vorzubereiten / und fähig zu machen und die Kinder unterrichten zu laßen. – Auch wird bestimmt be- / hauptet, daß die haarsträubenden Berichte über die Behandlung der Neger seitens / ihrer Herren im Süden in Vielem sehr übertrieben, tendenziös übertrieben worden / sind, was die Neger selbst bestätigen; daß, wenn auch einige Scheusale von ihrer / Macht einen unmenschlichen Gebrauch gemacht haben, die Mehrzahl ihre Leute / human und ehrbar behandelten, gut kleideten und fütterten und ihnen einen religiösen / Unterricht ertheilen ließen, viele Pflanzer ihre Sklaven sogar ganz en famille behandelten. Doch dieß entschuldigt die Sklaverei keineswegs. Die sog. Negerfrage, wie sie aufgetaucht und gegenwärtig die politische / Tagesfrage bildet, betrifft das Stimmrecht der freien Neger. Die Republikaner und mit / ihnen die Majorität des Congresses möchte ihnen das Stimmrecht gewähren, um / ihrer Partei bei den bevorstehenden Congress- und Präsidentenwahlen den Sieg zu sichern. / Die weißen Bewohner der Südstaaten resp. die Pflanzer aber sollen wenigstens bis 1869 / nicht mitstimmen dürfen und überhaupt im Congresse keine Vertrettung haben, weil sie revoltirt / haben und Illoÿale seien. – Die Democraten und mit ihnen Präsident Johnson wollen / dieß nicht zugeben, wenigstens soll den Südlichen, da sie sich nun unterworfen und den / Eid der Treue geleistet, die versöhnende Hand geboten und das Stimm- und Wahlrecht / geboten werden. Sie weisen dabei auf das großmüthige und glückliche 41 Verfahren der Schweizer nach Besiegung des Sonderbunds. Es ist allerdings sehr / auffallend und wenig konsequent, daß man dem ungebildeten, stupiden Neger, / der nicht einmal den in die Hand gedrückten Stimmzeddel lesen oder würdigen kann, / stimmen laßen will, just wie er aus dem Stalle getrieben worden, während der ge- / bildete Ausländer erst nach 5 jährigem Aufenthalte das Aktivbürgerrecht erwerben / kann. Die Ver. Staaten haben offenbar Mangel an hervorragenden Staatsmännern; / Douglas ist todt, Seward ein alter Mann und einen dritten (Loÿalen!) kennt man nicht. / Stevens ist nur ein gewandter Advokat und Wendell Philipps eine schlechte Karrikatur auf / Danton. – Bemerkenswerth ist die Offenheit und Keckheit, wie hier Persönlichkeiten / als politische Canditaten auftreten und ungescheut und mit allen Kräften auf ihre Ernennung / hin arbeiten – im Gegensatz zu schweizerischen Notabilitäten, die gerne etwas gespreizt / thun und „nur auf dringendes Verlangen ihrer Freunde” „sich für die Kanditatur hergeben”, / oder, wenn nichts mehr zu vis(...)iren ist, noch Bedenkzeit verlangen. Hier wird / kein erlaubtes und unerlaubtes Mittel außer Acht gelaßen, um den Erfolg zu sichern. / Wird ein Gouverneur gewählt, so ergeht es ihm, wie dem Herrn Jesus d.h. viel / Volk folget ihm nach – um eines der abfallenden Aemtlein zu erhaschen und zu erbetteln. / 52 Jeder Einzelstaat hat seine eigene Verfaßung, eigene Codex, Gouvernor / und Senat nebst Legion Unterbeamten. Jeder Staat ist politisch in so und so viel County's / diese wieder in Townships eingetheilt. Das County hat seinen Sheriff, seinen Judge / (Richter), einen Recorder oder Collector, einen County Clerk (Amtschreiber) und / drei Trustees (Verwaltungsräthe). Die Townships (Gemeinden, 3 Quadrat Meilen) haben einen / Friedensrichter, ein oder mehrere Constables, zwei Supervisors, einen Wegmeister / etc. Alle Beamten werden direkt durch Volks[abstimmungen] gewählt, gewöhnlich auf ein Jahr. Jedes / County hat seine selbständige Verwaltung, nicht aber die Townships; ihre Beamten / sind nur Exekutivbeamte des Sheriffs. Die Erbauung und der Unterhalt der öffentl. / Gebäuden und Straßen, Besoldung der Lehrer und Beamten, Armeekosten u.s.w. / werden alljährlich auf die Townships vertheilt und in Gestalt von Grund-, Ver- / mögensund Einkommensteuer von den Einwohnern eingezogen. Diese Steuern sind / seit dem Krieg in erschreckender Weise gestiegen. Wer früher 9-10 Dollars Steuer / bezahlte bezahlt jetzt 80-100 D. Das Civilprozeßverfahren ist, gleich dem englischen, ungemein weitschweifig / und kostbillig. Jede Stadt, die das City Recht erworben, hat ihre eigene Administration und / Gerichtsbarkeit und eigene Corporationsgüter. Einen Unterschied zwischen Bürger / und Ansaße kennt man hier nicht (o Schande!), auch werden heirathsfähigen Bürgerstöchtern / keine Diäten für Weißenstein- oder Rigikuren aus dem Almosenfonds verabfolgt / und gar von einem Thürgenenhaus 48 hat man hier noch keine Ahnung. ________________ Ein allgemeines Bild der amerikanischen Landwirthschaft zu geben ist sehr / schwierig, wo nicht unmöglich. Das hiesige Leben trägt einen so verschiedenartigen / Charakter und bietet dem Fremden so viel Neues und Ungewohntes, daß derjenige, der es / beschreiben will, nicht recht weiß, wo er anfangen oder aufhören soll. Die Existenz / der amerik. Landwirtschaft ist gewiß groß und solid genug, um die Aufmerksamkeit 42 zu feßeln; allein sie hat mehr einen flüchtigen als veränderlichen Charakter, wobei es / fast unmöglich wird, ihr eigentliches Wesen zu erfaßen. In jedem Staat, County, ja in jedem Township sehen wir alle Wirthschafts- / sÿsteme, von der ersten Klärung mit häßlichen Baumstümpen, schmutzigen Swamps / (Sümpfen), bis zu einer der japanesischen gleichkommenden Gartenkul48 Mundartliche Bezeichnung für das Alters- und Pflegeheim Thüringenhaus in Solothurn. 53 tur, angewandt. / Es giebt Männer, gebildete Landwirthe, die ihre Bauereien nach den neuesten wißenschaftl. / Grundsätzen bewirthschaften, getreu der durch die Wißenschaft und Erfahrung bewiesenen / Thatsachen, daß die Welt durch bestimmte Gesetze, nicht durch Willkühr regiert wird, und daß / jede Vernachläßigung derselben sich früher oder später rächen muß, – daneben Hunderte, / die einer wahren Raubwirthschaft, ohne Grundsatz noch Sÿstem, huldigen. Die reine Wahrheit ist demnach, daß die amerik. Landwirthschaft, in / Ermanglung eines einheitlichen Sÿstems, alle Sÿsteme umfaßt, die besten wie die / schlechtesten, was ebenso viel heißt, als daß es keine eigentliche amerikanische Land- / wirthschaft giebt, in keinem Staat, in keinem Bezirk, sondern ein Conglomerat / hergebrachter Uebungen und Gewohnheiten, die durch die Einflüße des Clima's und der / Arbeitskräfte mehr oder weniger modifizirt worden. Die Amerikaner sind ein nomadisches und doch ackerbautreibendes Volk. / Amerika hat eine ansiedelnde aber keine angesiedelte Bevölkerung; sie schweift / über eine ungeheure Landesstrecke und dieselbe, die Basis des landwirthschaftlichen / Wohlstandes, ist weit größer, als für die gegenwärtige Bevölkerung erforderlich. Seine kontinentale Maßenhaftigkeit ist der Hauptcharakter des Landes; dieß / drückt sich in allen lebendigen und leblosen Dingen aus, es wirft, um den Ausdruck / zu gebrauchen, seinen Schatten auf sich selbst, es spiegelt sich in seinem Leben ab und / wirft seinen Reflux auf seine Bewohner. Der Amerikaner ist mit einem be/ scheidenen Auskommen allein nicht zufrieden. Er will große Ausstellungen, riesenhafte / Produkte haben. Sie haben dieß alles errungen, zuletzt noch einen großen Krieg. / Sogar der Schuljunge kennt nur zumeist den Superlativ eines Adjectives und in / einem Schulbuche fand ich die Frage: „Welches sind die civilisirtesten / Nationen der Erde?” Worauf die Antwort: „die Vereinigten Staaten, Großbrittannien, / Frankreich und ein Theil(!) Deutschlands.” Keine Idee ist dem Yankee so beleidigend, als / daß ein Versuch gemacht wird, ihm seine Kontinentalität zu rauben, seine himmel- / schreienden Vorzüge streitig zu machen. Das Streben nach dem Großartigen ist / des Amerikaners nationaler Aberglaube. Es ist die Triebfeder aller seiner / Handlungen und es hat ihn angetrieben, schnell über den ungeheuren Kontinent / zu streifen, um ihn sicher ganz in die Hände zu bekommen. Deßhalb ist er zum / Nomaden geworden. Im Gegensatz zum europ. Bauer, der sein von den Ahnen / ererbtes Heimwesen als geheiligte Stätte ehrt, gleichsam als mit seiner Familie / identisch betrachtet und ohne die dringendsten Beweggründe um keinen Preis / veräußern würde, ist der Amerikaner stets bereit, seine Farm gegen Profit / zu entschlagen. Er wechselt seine Heimath, wie die Buben ihre Kappen. Er be/trachtet sie nur als zeitweiliger Aufenthaltsort und schenkt dem Lande nicht mehr / Aufmerksamkeit, als um einige gute Erndten zu erzielen unumgänglich / nöthig ist d.h. er pflügt, säet und erntet. 54 So mußte es denn kommen, daß man die amerik. Landwirthschaft / im Allgemeinen, so wie sie sich gegenwärtig zeigt, bei ihrem wahren 43 Namen und am deutlichsten als Raubwirthschaft bezeichnen kann. Dieser Umstand / ist kein beabsichtigter, sondern vielmehr ein zufälliger und der glänzende Erfolg / hat blos eine Ursache: die leichte Ausbeutung des landwirthschaftlichen Reichthums, / den der Holzwuchs von Jahrhunderten in den fruchtbaren Humus gelegt hat. / Der Amerikaner lebt darauf herrlich und in Freuden, er streift gleichsam / darüber hin, gehts nicht mehr, so zieht er weiter westwärts in den jung- / fräulichen Urwald. Er pflanzt Maris Multicaulis, oder Sorghum, oder / Baumwolle, oder Wilson's Riesenerdbeere, oder Longworth's Prolific oder / irgend Etwas, das große Ernten bringt und große Einkünfte, plan- und maßlos / Jahre lang fort, ohne darauf zu achten, daß diese Wirthschaft den Boden entkräftet, / und danach zu trachten, die demselben ausgesogene Phosphorsäure durch Düngung / wieder zu zu führen. Er wirthschaftet ja blos für seine Generation; er ver- / kauft Vieh, Schweine, Weizen, Stroh und Heu und denkt dabei nicht, wie viele / dem Erdreich das Leben erhaltende Elemente verloren und wie sie zu ersetzen. / Reicher an Gold, wird der Amerikaner ärmer an Boden, nominell / reicher, in der That ärmer. Die Noth hat Europa die Lehren der Wißen- / schaft im landwirthschaftl. Gebiete aufgedrungen; sie wird es auch hier / thun. Bis dahin aber, bis der wilde Yankee „zahm” geworden, wird noch eine / geraume Zeit verstreichen und unterdeßen, wird er so reich, daß – er die europäischen / Bauern als Pächter engagiren kann! – In den Ost- und atlantischen Küstenstaaten, wo die Bevölkerung / dichter und das Land ziemlich rar ist, findet man eine der europäischen gleich- / kommenden Landwirthschaft, sie kann sogar stellenweise musterhaft und ausgezeichnet / genannt werden. Die Gesetzgebung und Regierung fangen an, theils durch / Sicherung des Besitzstandes, Vermeßung des Landes, Beschätzung der Hausthiere, / theils durch oft sehr namhafte Beiträge für geologische und chemische Zwecke, Prämien / günstig auf die Landwirthschaft einzuwirken. Es bestehen eine Menge land- / wirthschaftlicher, zoologischer, botanischer und Kulturvereine. Auch ist in / vielen Staaten für Agrikultur-statistik von Staatswegen gesorgt. ________________ Die Arrondierung der Bauerngüter, wie sie in Amerika aus- / schließlich vorhanden ist, vereinfacht und erleichtert den Ackerbau ungemein; / die Bauersame hat in dieser Beziehung vor ihrer Kollegin in der alten / Welt einen ungeheuren, unberechenbaren Vortheil und wer längere Zeit / hier gebauert, würde sich draußen auf einem zerstückelten Hofe schwerlich / mehr zurecht finden können. 55 Das Land ist in Sectionen zu 640 Acres und diese wieder in Viertel / (Quarter) à 160 Acres vermeßen (1 Acre = 45,000 Quadrat ' [=Fuss]) und so von der Regierung als / Kongreßland verkauft worden. Die meisten Farmen bestehen aus einem Viertel, / doch giebts auch solche von 30, 40, 80, 100, 200 ja bis 600 Acres, in allen Fällen aber / sind sie an einem Complex und gut arrondirt. In den Ost- und Mittelstaaten besitzt / jedes ganze und halbe Viertel ein gewißes Quantum Holzland, gewöhnlich 10-20 Acres, jeden- / falls so viel als für alle Bedürfniße des Farmers ausreicht. Der Landpreiß für kulti- / virte Famen varirt gegenwärtig von 30100 Dollars pr[o] Acre, je nach ihrer / Beschaffenheit und Entfernung von einer Stadt oder Bahnhof. Kleinere Besitzungen / gelten verhält-nißmäßig mehr wie größere, weil mehr Nachfragen. Nicht selten wird 44 wird sämtliches Inventar sowie das Vieh etc[.] mitverkauft. Damit der Kauf / Gültikeit habe, muß die Frau des Verkäufers den Akt ebenfalls unterzeichnen. Der Kauf- / akt (Dead) wird im Courthouse (Bezirksschreiberei) eingefertigt, die Behörde über- / nimmt jedoch keinerlei Verantwortlichkeit für [den] richtigen Besitztitel, Hÿpothek- / anweisung etc. Der Käufer thut deßhalb gut, einen conc. Advokaten als Berather / beizuziehen. Diese übernehmen für 10 Dollars Mühewalt jegliche Garantie und man kann / darauf zählen. Der Kaufschilling wird entweder baar oder ratenweiß bezahlt. / Der Zinsfuß ist 6-12%. Immer aber muß eine gewiße Baarsumme als Angeld be- / zahlt werden. – Für alle Fälle ist dem Käufer Vorsicht anzuempfehlen, indem / Uebervortheilungen und Prellereien bei Landverkäufen nicht selten vorkommen. Durch Anlegung zweckmäßiger Landstraßen hat sich die Regierung ein / unsterbliches volkswirthschaftliches Verdienst erworben. Unzählige Parallelstraßen / von je ca. zweitausend fünfhundert Fuß Entfernung durchziehen das ungeheure / Land und vermitteln den Verkehr; so daß jede größere Farm direct wenigstens / an eine Straße grenzt. Dieselben sind 40-50' breit und meist unabsehbar schnur- / gerade, den[n] der Yankee fährt lieber über einen abscheulichen Hügel von 20% Steigung, / als daß er einen Umweg machte. Außer ihrer zweckmäßigen Eintheilung und achtungs- / werthen Breite, bieten aber diese Public Straßen keine weitern Vorzüge; von einem / eigentlichen Straßenbau ist natürlich keine Rede. Der Unterhalt der Straßen liegt den / Bauern ob, unter Leitung eines Wegmeisters und begreiflich geschieht nur das Allernothdürftigste. / Straßenmaterial wird selten verwendet und im Winter oder bei sonst schlechtem Wetter / werden die Wege gar oft so unergründlich weich, daß Fußgänger nicht mehr durch- / kommen können und die Farmer oft 2, ja 4 Pferde vor ihr Wägeli oder Chais'chen spannen / um in die Kirche oder in die Stadt zu fahren. In diesem Lande, wo jedermann Pferde hält, ist / übrigens ein Fußgänger eine wahre Rarität. – Die Brücken sind beinahe ausschließlich / von Holz und haben oft eine so zweideutige, verdächtige Phÿsiogno56 mie, daß es eine / ziemliche Dosis Todesverachtung erheischt, um darüber fahren zu dürfen. Der Farmer baut sich sein Haus so viel möglich auf den Mittelpunkt der Farm. / Es ist dieß entweder ein Block-, Frame-, Backstein- oder Steinhaus, je nach dem / Wohlstand, der sich bei ihm entwikkelt. Blockhäuser werden wenige mehr gebaut und dienen / jedenfalls nur als Provisorium; beliebter sind die Framehäuser, sind gewöhnlich / nach einem sehr gefälligen Stÿle erbaut und werden mit Oelfarbe angestrichen, bieten / aber wenig Schutz gegen Hitze und Kälte. Reiche Farmer bauen sich Häuser aus / Back-, Sand- oder Granitstein, oft wahre Paläste, in welche einzutreten kein Fürst / sich zu schämen hätte, statten sie mit vielem Luxus aus und umgeben sie mit prächtigen / Gärten und Anlagen. Solche Edelsitze sind sehr zahlreich und sprechen mehr als alle Worte / für die ungemeine vortheilhafte Stellung der hiesigen Bauersame und wir erstaunen, / Wenn man uns mittheilt: dieser Mann ist vor 15 oder 20 Jahren mit fünf Dollars Ver- / mögen ins Land gekommen! – Ist dem Amerikaner sein Haus zu schlecht, so baut / er sich eines neues, schöneres, läßt das alte Ding aber stehen, gebraucht es / als Speicher oder Hühnerhaus, er hat ja Platz genug und braucht damit nicht zu / geizen; und es ist für den Reisenden intereßant, auf einem Terrain oft 4-5 Wohn- / gebäude anzutreffen, vom Herrenhaus bis zur Hütte sich abstufend, gleichsam / als geoffenbartes Currulis vitae des Eigenthümers, als wollten sie dem Wanderer sagen: Sieh so hab ich angefangen! Die Scheuer bildet stets ein selbständiges Gebäude und steht einige Schritte 45 vom Hause ab; auf diese wird nicht soviel Sorgfalt verwendet, wie man's in / Europa gewöhnt ist, ja meist sind's nur miserable Bretterhütten, in die man sich schämen / sollte, ein ehrlich Stück Vieh einzusperren. Scheune, Schweineställe, Speicher, Fleisch-, / (Räucher-), Dörr-, Hühner- und noch ein anderes „Haus” bilden den Hofraum, in welchem / das Vieh sich herumtummelt und wo es gemolken wird. Der Umstand, daß bereits / in allen Gegenden Nordamerika's sich Untergrundwaßer vorfindet, begünstigt die Ansiedlung / und die Bequemlichkeit der Bewohner ungemein; das Waßer ist aber meistenorts hart und / kann nicht gut zum Waschen verwendet werden, weßhalb [sie] nebst den Sodbrunnen noch Cisternen / zum Auffaßen des Regenwaßers bauen. Gutes reines Quellwaßer (fließende Brunnen) sind / im Osten und in Mittelamerika selten, ausgezeichnetes Trinkwaßer aber hat das Fischreiche / Wisconsin und Minnesotta und dort findet man auch die Brunnkreße einheimisch. Die amerik. Rindviehrace ist klein, mager und unansehnlich und entlockt uns – in / Erinnerung an unser stolzes Schweizer Vieh – unwillkürlich einen Ausruf des Mitleids / und der Verachtung. Und doch ist seine Viehrace dem Amerikaner unbezahlbar und er würde / sie gegen keine andere der Welt vertauschen und mit Recht. Es ist unempfindlich gegen Hitze / und Kälte und Ungeziefer, kann unbeschadet Hunger und Durst aushalten, ist genügsam und sehr / Milchreich. Im Sommer auf 57 der, oft elenden, Weide, im Winter im Busch oder im Viehhof, gönnt / ihm der Yankee nur bei außerordentlicher Kälte oder starkem Schneefall eine Herberge / im Sogenannten Stall, der durchsichtig ist, wie ein Vogelbauer und es kriegt auch dann / keine andere Nahrung, als Stroh, Maisstroh und etwa einige Kolben Welschkorn, denn das meiste / Heu verkauft der Bauer in die Stadt. Und es krepirt nicht, wo doch Alles krepiren würde. / Wohl stellt es das braune Haar drei Zoll hoch in die Höhe und wird dünn und mager wie ein / Windhund; kommt aber der Frühling wieder und die saftige Weide, ists in drei Wochen wieder glatt / und fett und giebt wieder Ströme Milch, selbst wenn diese Wochenlang ausgeblieben. Der Amerik- / aner hält sein Vieh weit mehr um des direkten Nutzens willen, als um die Fruchtbarkeit / des Bodens zu erhalten oder zu vermehren. – Es sind schon häufig Versuche gemacht worden, / das hiesige Vieh mit englischem, so die Shorthowns, Devons, Heresford, Alderney und Durham Race / zu kreuzen. Die Resultate sollen aber nicht sehr ermuthigend gewesen sein und namentlich sollen / Importirte und Mischlinge in Bezug auf Dauerhaftigkeit weit nachstehen. Preiß für eine Kuh 4070 D. Mehr Sorgfalt wird der Pferdezucht gewidmet. Kein Land der Erde hat so viele Pferde, / wie Nordamerika. Auf 3 Einwohner kommt ein Pferd. Es ist ein leichtes, spitzel[?] Ding, / sehr intelligent, feinknochig, mit Sehnen von Stahl, blitzschnell, ausdauernd und genügsam. / Es kann 50-100 Meilen (3 Meilen = 1 Std.) per Tag zurücklegen, ohne Zwischenfutter, wenn es / nur zu trinken kriegt. Auch das Pferd kann sich hier keiner Verzärtelung rühmen, / vielmehr wird es absichtlich strapatzirt und abgehärtet. Es kriegt wenig Heu, desto / mehr Kurzfutter, Hafer und Mais. Die Bauern halten sich 3-10 Pferde und laßen sie außer / der Arbeitszeit ebenfalls auf die Weide gehen. Der Preiß für ein gutes Pferd ist 100-200 D., / ausgezeichnete Renner und Luxuspferde werden aber auch mit 500-1000 D. bezahlt. Kreuzungen / mit schweren Normänner und engl. Vollblut Hengsten werden häufig vorgenommen und mit vielem / Glück. Der 1860 eingeführte Hengst „Bonnie Scotland” kostete 10'000 Dollars Gold! Die Schweine sind sämtlich englischer Race (Suffolk u.a.). Amerika züchtet und mästet / eine solche Unmaße Schweine, daß, wäre der Ausdruck nicht ein Bischen trivial, man / es mit Fug und Recht das eigentliche Sauland nennen könnte. Doch wollen wir uns nicht länger / bei der Sauerei aufhalten, auch bei der großen Anzahl Esel gehen wir vorbei und / wenden uns zum frommen schaft Schaf. Die Schafzucht bildet einen Hauptfactor der nordamerik. Landwirth- 46 und ihr verdankt der Bauer zum größten Theil seinen außerordentlichen Wohlstand. / Ihr widmet der Amerikaner aber auch größtmögliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit. / Im Jahr 1801 wurden von einem Mr. Humphrey die ersten Merinosschafe / 58 eingeführt, Dummheit und Vorurtheil wollten aber eine rationelle Schafszucht lange / nicht aufkommen laßen; erst in den 1840er Jahren erhielt die Sache neuen Impuls. / Jetzt besitzt der Staat Ohio allein über 6 Millionen Schafe, wovon 1/3 Vollblut / Merinos. Für ausgezeichnete Merinos Racen-Böcke werden 1000-5000 Dollars per Stück / bezahlt! Auch die einheimischen (englischen) Schafe werden sehr geschätzt, so die Leicester, / South Downs, Cotswolds und vorzüglich die feinwollige und sehr mastungsfähige Dischley Race. / Das Shropshire Riesenschaf gibt bis 26 lb Wolle, kleinere, feine Racen aber durchschnittlich / nur 7 lb (jährlich nur eine Schur wegen rauhem Klima). Das lb Wolle gilt 40-90 Cents. / Ein einjähriges Mutterschaf wiegt in der Regel 125-180 lb. Ein ausgestellter Bock / wog 364 lb! Es giebt Bauern, welche 1000 und mehr Schafe halten, welche Einnahme! / Zudem ist die Schafszucht mit sehr wenig Mühe verbunden und sie begnügen sich mit / der magersten Weide; – Ich sehe nicht ein, warum man in der Schweiz, namentlich / im Jura die Schafszucht im größern Maßstabe nicht auch einführen könnte, umso eher, / da hiesige praktische Schafszüchter in der Ansicht übereinstimmen, daß das Schaf die von / Pferd und Vieh verdorbene und verwilderte Weide verbeßere, indem es das aufge- / kommene Unkraut und die Gesträuche mit Vorliebe wegfreße, auch dünge es mehr, wie / das Rindvieh. Es sind jüngst vielfache Versuche gemacht worden, die Kaschmir Ziege / zu aklimatisiren und wie man hört mit großem Erfolg. Es ist namentlich der / Agrikulturverein des Staates Ohio, der die angesehensten und einflußreichsten Männer / (auch auswärtige) als Mitglieder zählt, von welchem die Initiative für Einführung und Veredlung der Schmal- / viehzucht ausgegangen und dem das Land in dieser Hinsicht sehr Vieles zu verdanken hat. – / Die gemeine Ziege ist hier klein und entbehrt überhaupt der Vorzüge der / schweizer Ziege, ist deßhalb nicht beliebt. Die tüchtige Farmerinn hält große Stücke auf der Hühnerzucht und mit Recht. Sie / wird dir aus ihrer Staatsrechnung darthun, daß sie sämtliche Haus- / haltungskosten, oft noch etwas mehr, allein aus dem Eiererlös bestreite, ungerechnet die / Eier, welche, verschiedenartig zubereitet, bei den tägl. Mahlzeiten erscheinen (das Dutzend / Eier gilt 15-50 Cents, die Butter 25-75 Cents das lb). Wir treffen deßhalb auf größere / Farmen Geflügelkolonien, aus mehrern Hundert Hühnern, Enten und Gänsen, die täglich eine / Unmaße Eier legen, des Morgens aber auch ein Conzert aufführen, unbeschreiblich und sonder / Erbarmen. Man findet hier das gemeine Huhn, das malayische, chittagonger, welsches, / chochinchina und gezähmtes Truthun etc.; Kampf- und Perlhühner, Fasanen, Schwäne und Pfauen / zu halten gilt hier als noble Paßion der reichen Leute. Die Hühner- und die Schweinezucht verursacht hier durchaus nicht soviel Müh und / Arbeit, wie man es in der Schweiz gewöhnt ist. Da wird diesem Vieh Jahr ein, Jahr aus / Nichts gekocht; des Tags treiben sich die Schweine auf der Straße und im Busch (Wald) herum und auf / der Weide, Morgens und Abends werden ihnen so und so viel Welschkornzapfen in den / Hof vorgeworfen, weßhalb sie diese Morgen- und Abendvisite nie verfehlen. Im Winter / erhalten sie ihr 59 Welschkorn, [( ]in etwas vermehrter Auflage) in den Stall und sie werden / außerordentlich schnell fett davon. Der Farmer hält sich 20-50 und mehr Schweine, jung und alt, / groß und klein; er setzt sich's nicht gleich den deutschen Hausfrauen in den Kopf, daß / sie in paar Monaten groß und fett sein müßen, die Schweine nämlich, er kann zuwarten. 47 Er läßt sie gewöhnlich 3-4 Jahr alt werden, dann sinds aber auch gewöhnlich wahre / Prachtexemplare[.] Der Farmer läßt es sich angelegen sein, so bald thunlich einen Obstgarten / anzulegen; es ist meist Edelobst, die Bäume wachsen ungemein schnell, werden / aber nicht sehr groß. Aepfel gerathen sehr gerne, die Birnen, sowie die / Süßkirschen scheinen aber das veränderliche Klima nicht gut vertragen zu können. / Mit den Obstgärten treibt der Angloamerikaner auffallend Luxus. Man / trifft nicht selten Obstgärten von 5-10 Acres wohlgeordnet und gut gepflegt. Die / Apfelschnitze werden hier nicht im Ofen gedörrt, sondern geschält, an Bindfaden / gezogen und an der Luft oder in der Sonne getroknet. Das auf diese Weise aufgehobene / Obst wird dem gedörrten sehr vorgezogen und steht höher im Preise. Man zählt in den Vereinigten Staaten 134 Aepfelsorten, 67 Birnen und 35 Pfirsiche / (lt. pomolog. Bericht.) Die Käseproduktion hat seit einigen Jahren einen enormen Aufschwung genommen. / Ueberall, namentlich in deutschen und Schweizeransiedlungen tauchen Gesellschafts- / Käsereien auf. Auch werden von Privaten eine Menge Handkäse gemacht. / Ohio allein soll (lt. der O. Ackerbaustatistik) im Jahr 1865 25 Millionen Pfund / Käse produzirt haben. Der chemische und mechanische Prozeß der Käsebereitung ist / der Schweizerischen ähnlich, doch, – das gute Chrütli fehlt. Obgleich der amerik. / dem Schweizerkäs qualitativ nachsteht, so hat er ihm doch bereits eine sehr / empfindliche Konkurrenz zu machen begonnen, da Fracht und Zoll den Schweizer- / käs sehr theuer machen, 50-80 Cents, während der hiesige Ementhaler blos auf / 15-20 Cents pro lb zu stehen kommt. _______________ Der Farmer theilt seine Farm in 5-6 Einschläge (Felder) ein; diese / sowie die Farm in ihrem ganzen Umfange werden eingezäunt (Fence). Diese / Fences werden, da wo genug Holz vorhanden, aus Riegel 15' langen Spälten – / oder wo das Holz rar ist, aus Pfosten und Brettern gemacht; statt der Bretter / verwenden Einige auch Eisendraht und neuerdings werden eine Menge / Grünhecken gepflanzt. Ein Nachbar kann den Andern gesetzlich zum Fencen anhalten. 60 Beim Ackerbau gilt gewöhnlich noch das alt römische Dreifeldersÿstem, / nämlich erstes Jahr brach, zweites Jahr Mais, Kartoffel, Gemüse etc., drittes Jahr / Weizen. Bei starkem, fruchtbarem Boden, und dieß ist meist der Fall, fällt das / Brachen weg und man säet das erste Jahr Sommerfrucht. Das dritte Jahr wird in / die Wintersaat Grassamen gesäet. Die beliebtesten Grasarten sind: der / Klee, der Timothy (phleum pratenso[)], das „blaue Gras” (poa prat.), das Gras „mit der / rothen Spitze” (agrostis vulg.). Zwei Jahre wird das Gras gemäht, das dritte Jahr / wird der Einschlag als Weide benützt. Auch wird [während] des Jahres nur einmal gemäht / und nicht „geemdet”, sondern man treibt das Vieh hinein. Ein[e] naße Stelle oder / ein sonst hiefür sich eignender Theil der Farm wird als Wiese liegen gelaßen. Man muß wirklich staunen ob der enormen Produktivität des amerik. / Ackerbaus. Nicht nur baut Nordamerika alle Produkte aller Zonen Europas mit / Leichtigkeit und im Ueberfluß, sondern es hat zudem noch viele neue, eigenthümliche z.B. / die Tomatos, die Süßkartoffel, die Bananen etc., die in Europa noch sehr wenig bekannt oder / nicht gedeihen mögen. Die wichtigsten Feldprodukte, die hier allgemein vorzüglich gedeihen und den sichersten Ertrag liefern, si[nd] 48 Der Mais oder Welschkorn. Höchster per Acre 100-150 Bushel (1 Bushel = 2 Schweizer / Viertel), Preiß 30-70 Cents pr[o] Bushel. Die Bauern pflanzen 20-50 Acres, in den / Weststaaten Illinois, Missouri, Iowa wird beinahe ausschließlich Mais gepflanzt, oft Felder / von hundert Meilen nichts als Mais. Es giebt mehrere Arten Mais, das sog. / Krumm-Welschkorn wird zu Besen verwendet. Der Weizen verschafft dem Farmer den größten Theil seiner Baareinnahmen. / Höchster Ertrag 35-40 Bushel per Acre. Preiß 70 bis 100 Cents, dießes Jahr aber gilt derselbe / 2 Dollars und noch mehr. In den Prairien des Westens, wo strenge Winter eintreten / und das Ausfrieren zu befürchten ist, wird nur Sommerweizen gepflanzt, der freilich / nicht so ergiebig ist, wie der Winterweizen, wohl aber zuverläßiger. Im Osten und Nordosten / ist dießes Jahr sehr viel Weizen durch die späten Fröste zu Grunde gegangen, / was, nebst der Mißernte in andern Ländern, den Preiß so ungewöhnlich in die Höhe / getrieben. Die Kartoffeln geben hier fabelhafte Ernten, bis 400 Bushsel per Acre! / Vorzügliche Sorten: die Peach blows (späte, blauäugig), die Buckoies (frühe), die / Long Jones etc. Tabak wird namentlich in den Oststaaten in großartigem Maßstabe gebaut. / und trägt in günstigen Jahren große Summen ein, so z.B. kann ein Acre Tabak / 1000 Dollars werth sein. Freilich erfordert der Tabaksbau ungemeine Sorgfalt, viel / Müh' und Arbeit, namentlich ist die Ernte und die Präparatur (Trocknen, Sorti61 ren, Preßen) / ein delikates und zeitraubendes Geschäft. Zudem ist der Tabakbau mit großem Risiko / verbunden; immerhin aber bezahlt er durchschnittlich sehr gut, gleich dem Weinbau. Eine allgemeine und überraschend schnelle Verbreitung hat das Sorghum oder chinesische / Zuckerrohr gefunden. Es wurde erst 1855 aus Nord-China und später aus Süd-Afrika – das / Imphee Rohr – eingeführt und Ohio hatte 1865 z.B. schon 35'000 Acres damit angepflanzt. Das / Ymphee Rohr wird vorgezogen; es enthält ebenso viel Zucker- / stoff wie das tropische und gedeiht auch in der gemäßigten Zone vortrefflich, namentlich / in leichtem Grunde. Sorghum ersetzt das tropische Zuckerrohr vollkommen, indem es zu / allen Süßwaaren verwendet werden kann. Durchschnittlicher Ertrag per Acre: 90 lb Zucker / und 87 Galones (1 Gal. = 2 Maaß) Sÿrup (Molaßes), die Galone zu 60 Cents. Um die Menschen hier zu Land recht süß zu stimmen, hat Mutter Natur dem / Amerikaner noch den Zuckerahorn hingepflanzt, ein großer, prächtiger Baum, / deßen Saft abgezapft und geklärt wird und den besten feinsten Sÿrup liefert. Im / Frühling trifft man daher in den Wäldern Ohio's und Kentuckÿs ganze Karawanen, welche / die Bäume anzapfen und den Saft in mächtigen Keßeln kochen. – Deßhalb auch fehlt / der Sÿrupteller bei keiner Mahlzeit! Seit die Baumwolle rar und theuer geworden, hat der Amerikaner sein / Augenmerk wieder auf den ehrwürdigen Flachsbau und bereits hat derselbe riesige / Dimensionen angenommen und rentirt ausgezeichnet. In Pennsilvania und Ohio sollen im / Jahr 1865 (lt. Statistik) schon über 70'000 Acres Flachs gepflanzt worden sein. 1 Acre / Flachs kan[n] 150-300 Doll. abtragen! Intereßant ist eine von Mallory & Lanford in N.York / erfundene Flachsbrechmaschine; dieselbe ist ca 15 Ctn. schwer, nimmt blos 5 Quadrat'[=Fuss] Raum ein / wird mit 4 Pferden getrieben und kann per Tag 2000 lb Flachs (netto) brechen. Sie arbeitet / schöner als dieß von Hand möglich wäre und kostet 150-180 Dollars. (9 lb rohen geben ungefähr / 4 1/2 lb reinen Flachs). Obschon der amerikanische Weinbau noch jung, so ist er doch bereits ein ganz / wackerer Bursche geworden. [In] Ohio, Kentucky, Illinois und in jüngster [Zeit] die[=im] mittleren 49 Mißisippithal mehren sich die Weinstöcke in überraschender Menge und schon giebt es / Gegenden, wo der Weinertrag den eigenen Bedarf übersteigt. Freilich, freilich hat der / hiesige Rebensaft noch sehr wenig Aehnlichkeit mit Liebfrauenmilch, vielmehr könnte man / auf die Vermuthung gerathen, seine Voreltern stammen aus dem obern Leberberg 49. Eine / vorzügliche, einheimische Traube, die namentlich ein ziemlich rauhes Clima ertragen kann ist / die Catawba. Ferner sind 49 Westlicher Abschnitt des Bezirks Lebern (Region Grenchen). 62 beliebt die Delaware Sons, die Isabella und die Creveling Traube. / Nordamerika wird in zehn Jahren Wein vollauf haben. Da nach dem späten Frühling gewöhnlich und unmittelbar eine sehr starke Hitze eintritt, / so reifen die Früchte, Obst und Getreide ungewöhnlich früh, welchem Umstande wohl zu zu- / schreiben ist, daß sämmtliche Naturprodukte an Geschmack und Gehalt den mitteleuropäischen / nachstehen. So wird Ende Juni oder Anfangs Juli schon Weizen geerntet und Kartoffel gegraben. / In den meisten Gegenden kommt der Heuet erst nach der Erndte, was den Einwanderer[n] / natürlich sehr befremdet vorkommt. Zu der Thatsache, daß der amerikanische Ackerbau in Hinsicht seiner riesenhaften / Erzeugungsfähigkeit denjenigen aller Länder überflügelt, gesellt sich hinzu noch der / Vortheil, daß dieß hier mit bedeutend weniger Arbeit und Unkosten bewerkstelligt wird, / als anderwärts. Der Amerikaner hat Mangel an Arbeitern, oder wie er sagt, Mangel / an „Hände” gefühlt. Da erfand er seine Maschinen; und in dieser Beziehung hat die ganze / Welt von ihm zu lernen. Der Amerikaner pflanzt Kartoffel, Mais, Zwiebel, Kabis und Rüben, ohne eine / Hacke in die Hand zu nehmen. Er hat mehrere Ackerpflüge, „Saatstecker”, Kultivator, / Extirpatoren, Schaufel und Häufelpflug, mit denen er je nach Erforderniß im Pflanzplätz / herum manövrirt, in die Kreuz und in die Quer. Um dieß zu ermöglichen, sind die / Pflanzen äußerst regelmäßig und gewöhnlich auf 2 1/2 Fuß gesetzt, so daß er und sein Pferd / leicht paßiren können. Man weiß hier nichts von Ackertreiber, sondern der Pflug- / halter leitet selbst die Pferde am Leitseil, auch scheinen die Pferde sehr intelligent zu / sein und sind hiezu gut dreßirt, so daß keines zwei Zoll von der Linie weicht. – Der Farmer säet und mäht seine Frucht mit der Maschine, die Sensen und Sicheln hängen / im Kamin; er mäht alles Gras und wendet es mit Maschinen, mit Maschinen wird / es zusammen gerechet und mit mechanischer Vorrichtung sogar das Heu abgeladen. / Die Mähmaschine, deren es mehrere Sÿsteme giebt, mäht das Gras ausgezeichnet schön, / wie es von Hand nicht schöner möglich und „worbet” 50 daßelbe zugleich so „nigelig” 51, wie / kein Werkmeitli der Welt es ihr nachzumachen im Stande ist. Um Frucht zu mähen, / gebraucht man die nämliche (Grasschneide-) Maschine, blos wird der Mechanismus ein / wenig verändert. Die neuere[n] Maschinen legen die abgeschnittene Frucht in kleine, / sehr zierliche Häufchen, welche dann von Hand zusamengebunden werden; ja, soeben / ist ein Patent ausgegeben worden, für eine Fruchtmähmaschine, die mähen und zugleich / die Frucht aufbinden thut und die kleinen Garben vollendet auf die Seite legt. / Eine Mähmaschine kostet 200 Dollars und mäht, von zwei Pferden ohne sonderliche Mühe / gezogen, täglich 8-12 Acres Gras oder Frucht. 50 51 Frisch gemähtes Gras zum Trocknen ausbreiten. Kleinlich genau. 63 Die Menge und Vollkommenheit dieser Maschine und Hülfsmittel, die das amerik. Genie / dem Farmer und Handwerksmann an die Hand gegeben, sind wahrhaft staunenswürdig, / denn es giebt wohl keine Handarbeit mehr, in und außer dem Hause, die nicht durch / irgend eine sinnreiche Maschine entbehrlich gemacht oder doch bedeutend erleichtert worden / ist. Und es ist wirklich unbegreiflich und gereicht seiner Intelligenz wenig / zur Ehre, daß der europäische resp. Schweizerbauer diese durch und durch praktischen 50 und ungemein vortheilhaften Maschinen in einem solchen Grade ignoriren / , ja selbst über solche Neuerungen ungläubig und spöttisch die Achsel zucken kann / wie es größten Theils geschieht. Die Mähmaschine ist kein Problem mehr, / sie arbeitet ausgezeichnet und kann auch bei kleinen Grundstücken ver- / wendet werden. Am meisten gefiel mir die Rechmaschine, die von einem / Pferde gezogen, das Heu von 10 Jucharten in einer Stunde zum Aufladen / zusammen fahrt und die ganze Fläche zugleich ziemlich sauber rechen thut. Sie / ist sehr einfach konstruirt und kostet blos ca. 10 Dollars. Als Beleg für die / unschätzbaren Vortheile, welche die landw. Maschinen dem amerik. Ackerbau / gewähren, führe ich nur die Thatsache an, daß zwei gute Arbeiter eine / Farm von 150-200 Acres, mit Ausnahme der Erndte, vollständig allein zu / bewirthschaften [im Stande] sind, ja häufig geschieht dieß nur von einem Mann, freilich / mitunter schlecht genug. Den Dünger achtet der, durch die Fruchtbarkeit des Bodens leichtsinnig / gemachte, Farmer sehr wenig; er sucht denselben weder zu vermehren, noch zweck/ mäßig zu Behandeln. Ja, es wird dem Yankee nachgeredet, „er breche / wenn das Vieh wegen des darinn aufgehäuften Düngers darinnen nicht mehr Platz / finde, den Stall ab und baue denselben an einer andern Stelle wieder auf.” / Im Westen, wo der Boden mehrere Fuß tiefen schwarzen Humus enthält, / wird der Dünger dem Farmer förmlich zur Last; er verbrennt denselben, / sowie die Unmaße von Stroh – was das Vieh nicht frißt. Im Osten freilich, / wo der sandige oder thonhaltige Lehmboden anfängt „unwirsch” zu werden, /sehen sich die Bauern genöthigt durch Düngung nachzuhelfen und sie blicken / deßhalb voll Neid und Aerger auf die sorglosen Buschklepper im Westen. Bei den Farmern ist die Arbeit strikte getheilt. Nirgend, als etwa bei / frisch Eingewanderten sieht man Weibsleute auf dem Felde arbeiten, die Ernte / ausgenommen. Dagegen besorgen sie die Haushaltung, die Hühner- und Schweinezucht / und melken das Vieh. Ist dieß geschehen, so machen sie Toilette und setzen sich in den / Schauckelstuhl, stricken, nähen oder lesen oder empfangen Gesellschaft; das Uebrige / überlaßen sie der Männerwelt mit eben demselben Gleichmuthe wie diese sich Abends / auf die Porche (Laube oder Altane, womit alle amerik. Landhäuser versehen sind) / hinstreckt und den zarten Maids zusieht, wie sie oft in Sturm und Regen das Vieh / holen und melken. Jedem das Seine. 64 Der amerik. Farmer ist eine Gattung Universalgenie. Er ist sich selbst / Wagner, Schmied, Zimmermann, Sattler und Korbmacher. Die Noth, die große Lehrmeisterin / hat ihn dazu gemacht und die meist große Entfernung von Handwerkeretablißements. Hobel- / bank, Ambos und ein kleines Toolhous (Geschirrhaus) fehlen deßhalb auf keiner größern Farm. / Seife, Zucker, Kerzen und theilweise den Kaffe fabrizirt sich die tüchtige Farmerin selbst / und verfertigt die Werktagskleider sämtlicher Familienglieder. Der Mann schlachtet und gerbt / die Häute und bei alten Pennsilvania Farmern finden wir noch den ehrsamen / Webstuhl. Bei diesem praktischen Sparrsinn und bei dem durchschnittlich bedeutenden / Erlös der Feldfrüchte und des Viehs kann es daher nicht fehlen, daß bei einigermaßen Glück / die Farmer sich schnell zu Wohlhabenheit, ja Reichthum empor schwingen müßen, in einem / Zeitraum, wo ihr College in Europa noch immer „auf dem gleichen Flecke sitzt”. / Mittellose Farmer, junge rüstige Männer beginnen ihre Carrière meist damit, daß sie / größere Farmen pachten. Der Pachtzins wird stets in Natura geliefert, im Osten die 51 Hälfte, im Westen jedoch nur der Dritttheil der gewonnenen Produkte. In guten Jahren / kann sich der Pächter ein hübsches Sümmchen verdienen, mit dem er sich bald ankaufen kann. Der Farmer geht in zerlumpten Kleidern einher, auf schönes Pferdegeschirr, / schöne Scheuern und schöne Wagen und Ackerwerkzeuge setzt er keinen großen Werth; im Hause / aber darfs an Nichts fehlen und eine schöne Kalesche zum Ausfahren ist sein Stolz; Besonders / liebt er einen guten, reichhaltigen Tisch, wozu es bei der zahlreichen Kuh-, Sau- und / Hühnerwelt an Material nicht fehlen kann. Des Sommers wird von Zeit zu Zeit ein / fettes Lamm geschlachtet, um stets frisches Fleisch zu haben. Der Farmer geht des Morgens früh / an die Arbeit, Mittags hält er immer ein Stündchen Siesta (die Knechte ebenfalls!), und Abends / macht er bei Sonnenuntergang stets Feierabend. Es wird dreimal des Tages tüchtig / gegeßen (o wie!) von Z'nüni 52 oder Zimis 53 aber ist keine Rede. Wohl aber wird / des Morgens nüchtern ein Schnäppschen getrunken, weil es Appetit mache. Die Gastfreundschaft gilt dem Farmer als heiliges Gesetz; er übt sie in wahr/ haft unbegrenztem Maße gegen Vornehm und niedrig und wird auch, bei der oft großen / Entfernung der Städte oder Gasthäuser ohne Bedenken in Anspruch genommen oder ohne / Gespreiztthun acceptirt. Es giebt reiche Leute (Farmer), die einen beinahe fürstlichen Luxus entfalten, schöne / Häuser, reiche Möbel, kostbare Equipagen und Vollblut- Reit- und Kutschenpferde besitzen, um / die sie ein Basler Banquier beneiden könnte; die Töch52 53 Zweites Frühstück. Imbiss. 65 tern aber in seidener Robe, / Modehut und Schleier reiten in sausendem Galopp zu einer Nachbarin auf Besuch, / oder spielen Clavier – bei Tische aber werden sie dem ärmsten Manne eigen- / händig serviren, der des Hauses Gast geworden. An geselligen Vergnügen ist die Farmerwelt natürlich arm. Des Winters / sind sie halt total auf sich selbst angewiesen, des Sommers aber werden hie und da / Picnics abgehalten. Es sind dieß gesellschaftliche Zusamenkünfte befreundeter Familien / irgend an einem hübschen Plätzchen im Freien, gewöhnlich im Busch, wobei gegeßen / und getrunken, gesungen und gelacht, getanzt und gejubelt wird – ganz idillisch, wenn die / Leute nicht etwa auf dem Heimwege „umschmeißen”. Um den Reichthum und Vielseitigkeit der amerikanischen Landwirthschaft auf / einen Blick kennen zu lernen, muß man eine Staats- oder County Fair (Ausstellung ) / wie sie alljährlich abgehalten werden, besuchen. Der spekulative Amerikaner / hat es verstanden, diese Fairs zu wahren, eigentlich hier einzigen Volksfesten / zu machen. Er hat das Nützliche und Schöne, mit dem Angenehmen und Belustigenden zu / verbinden gewußt. Neben den Pferde-, Vieh-, Samen-, Produktenund Maschinenaus- / stellung werden zugleich Pferderennen abgehalten, wird tüchtig Musik ge- / macht und Abends getanzt und sind um Geld fette Weibsleut', Affen, wilde Menschen / und anders Gethier zu sehen – und das Spiel ist gewonnen. Jung und Alt, Herr / und Bauer, Weiblein und Männlein, und heirathsfähige Mißes zum voraus, eilen und / drängen herzu in rasender Menge; und das ganze liebe, lange Jahr wird an / der Fair, mit ihrer Erinnerung und ihrem Hoffen, gezerrt. – Die Amerikaner / lieben es, gleich den Engländern, ihrem vorzüglichen Racenvieh gewaltige Eigen- / namen beizulegen. Es ergötzte mich nicht wenig, im Catolog einer State Fair / zu Cleveland Bestien mit folgenden Namen bezeichnet zu finden: ein s.v. Zucht- / stier: „Commodor Foote”, ein anderer „General Grant”, [„]Duke of Oackland”; eine Kuh: „Lizzy Taÿlor”, „Queen Victoria”, Bullkälber „Sigel”, „Fremont”, „Prince Alfred” etc. Die hiesigen landw. Ausstellungen sind abgesehen von dem übrigen Intereße, 52 das sie bieten, sehr geeignet für Kauf und Tausch und ersetzen einiger- / maßen die öffentliche[n] Jahrmärkte, die hier ganz fehlen. Die amerik. Landwirthschaft ist identisch mit Amerika selbst. Ihr ver- / dankt der neue Welttheil seinen Reichthum, seine Macht, sein Wachsthum / und seinen Reiz; in ihr liegt seine Zukunft und es wird eine große und ge- / waltige sein. Noch liegen Millionen Acres des fruchtbarsten Bodens im Westen / ausgebreitet und warten der fleißigen Hand, die sie pflüge und die sie reich / machen wollen. Die Kultur hat den Kampf mit dem Riesen der Wildniß aufgenommen, / und sie hat gefunden, daß sie ihm gewachsen ist, daß sie ihn besiegen wird. Einige / 66 Jahre noch und der atlantische und stille Ocean werden sich die Hand reichen, / das Dampfroß wird Boston mit Oregon, New York mit St[.] Francisco verbinden! Und der gelbe Sohn der Wildniß, der Indianer? Der Yankee hat ihn vergiftet – mit Schnapps! Er hat ihm sein / Land, seine „stillen Jagdgründe” abgenommen und hat ihm dafür Whisky gegeben, / der Schurke. Er emanzipirt den faulen, feigen und stupiden Neger und tödtet / den Hochherzigen, stolzen und bilungsfähigen Indianer. Der letzte Mohikaner stirbt / und bald wird die Romantik ihren schönsten Sohn verloren haben ________________ Die Auswanderung nach Amerika hat, nachdem nun der Bürgerkrieg / beendigt, eine wahrhaft riesenhafte Dimension angenom[m]en. Bis 1. October / d. Jahres sind allein über New York 250'000 Personen eingewandert und doch hat / der deutsche Krieg viele Auswanderungslustige zurückgehalten. Nun, Platz / ist noch genug, das Mißisippithal allein kann füglich 500 Mill. Menschen ernähren. Ich kann nicht umhin, der Vorstellung zu erwähnen, die man sich / in Europa, namentlich das gemeine Volk, von den amerikanischen Zuständen / und Verhältnißen macht. Die Einen halten es für einen miserabeln Hunde- /stall, ohne Gesittung und Ordnung, während Andere von einem / Eldorado träumen, allwo man nur die Hand auszustrecken brauche, um / die goldenen Vögel reinzukriegen. Es ist weder das Eine noch das Andere. / Amerika ist Original, es geht auf eigenen Füßen und bekümmert sich um das / Urtheil und die Lebensweise der guten Leute aus Krähwinkel und Schilda ebenso wenig, wie / um die Manieren der Hottentotten. Der Amerikaner ißt, arbeitet und amüsirt sich / auf andere Weise, wie der Europäer, ob nun beßer, verständiger und / geistreicher, oder das Gegentheil – das ist eben pure Geschmacksache[.] Allerdings / ist hier Alles noch mehr oder weniger Natur und bedarf Vieles noch der Pflege und / Politur, um puncto Feinheit mit Europa zu rivalisiren. Doch kommt es[?] hier / Niemanden in Sinn, sich darum graue Haare wachsen zu laßen; was nicht / ist, kann werden. In Amerika geht Alles mit Siebenmeilenstiefeln und das / Amerika nach zehn Jahren wird eine ganz andere Phÿsiognomie haben, als das / heutige und wird in dieser Zeit sich anders, günstiger und wohnlicher gestalten. / Eines aber scheint hier nicht recht aufkommen zu wollen, das Klima scheint zu / rauh, die Luft zu kalt zu sein: es ist das heimelige, gemüthliche, witzige und gutmüthig- / lüderliche Philisterleben und wohl Mancher, der hier reich geworden, seufzt und gesteht sich heimlich: / „Sigs au schön in fremde Lande, doch zur Heimath wird es nie!” ________________ Oft durch die Seele schwinget 53 67 Ein Ton so fremd und so bekannt, Der Sehnsucht Alphorn ist's, das klinget Aus meinem schönen Schweizerland. O dunkler Strom voll wilder Klagen, O Kranich, der dort fernab fliegt, Könnt ihr dem müden Wandrer sagen, Wo seine schöne Heimath liegt? Das Heimathland so grün und sonnig, Wo meine Jugend Lieder sang, Wo mir der Born des Lebens wonnig Ein Quell aus frischem Moose sprang. O Alpenland, ihr grünen Auen, Verlornes Jugendparadies, Daß ich aus deinen schönen Gauen Erbarmungslos mich selbst verstieß! Als hätt ich einen Mord zu tragen, Irr' ich umher, verfehmt, verbannt, Des Kummers Mantel umgeschlagen Und such' mein altes Heimathland. Umsonst ruft's leis und leiser immer, Des Alphorns Tönen mich zurück; Die Welt ist weit! Ich find euch nimmer, Verlorne Jugend, todtes Glück! _________________ Nov. 1866. J.J. 68