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Unterwegs
in Australien
Kaum ein Land hat so eine Vielfalt und
Einzigartigkeit zu bieten wie der australische
Kontinent. Faszinierende Städte, karge & üppige Landschaften, heilige Plätze, Ureinwohner mit Jahrtausende altem Wissen und eine
Tierwelt, die nur hier existiert. Eine Reise mit
einer Vielzahl von Bildern der inneren und
äußeren Welt.
Text: Anna Maurer
Fotos: Thomas Weber
Grafik: Cornelia Seirer
coverfoto, von links:
Thomas Weber,
Anna & Angela Fischlmayr,
Anna Maurer
Opernhaus & Harbour Bridge:
Die Wahrzeichen Sidneys
auf einen Blick
„when preparing to
travel, lay out all your
clothes and all your
money. then take half the
clothes and twice
the money.“
„Wenn Du eine Reise vorbereitest,lege
all Deine Kleidungsstücke und Dein Geld
heraus. Nimm die Hälfte des Gewands
und das doppelte Geld mit.“
Mit der Kleidung hatte die reiseerfahrene Amerikanerin Susan Heller
nicht recht, mit der bin ich gerade
durchgekommen. Es waren drei sehr
unterschiedliche Stationen und das
Packen dafür war eine echte Herausforderung. Doppelt so viel Geld, das
stimmt, denn Australien ist wirklich
ein teures Land.
Mein Monat in Australien beginnt
in Sydney, wo man dem Hafenblick
nicht ausweichen kann. Der Hafen
ist das Herz der Stadt und überall
präsent. Die Stadt umrundet dieses Gewässer, es trägt zu Sydneys
Leichtigkeit bei, zu ihrer lässigen
Stimmung. Die Sonne, das funkelnde Blau, die frische Meeresluft, das
prägt das Lebensgefühl. Gemütlich
ist es in dieser Stadt.
Ich sitze auf einer Bank in Darling
Harbour – heute ist es zum ersten
Koloniale
Überbleibsel
neben polierten
Wolkenkratzer
Mal warm – warm, heißt vielleicht 23
Grad. Denn es ist Ende August und
der australische Winter geht langsam in den Frühling über. Deutlich
wird mir bewusst, wie wenig ich von
diesem Land und seiner Geschichte
weiß. Menschen schlendern vorbei.
Äußerst selten telefoniert jemand im
Gehen. Die Australier sind einfach,
praktisch, natürlich und bewegungsfreundlich gekleidet. Die Männer tragen mit Vorliebe Turnschuhe, Shorts
und T-Shirt. Und so erleben wir vier
Reisenden sie auch, die „Aussies“,
locker, offen mit einer optimistisch
legeren Art. Jede/r vierte BewohnerIn von Sydney ist nicht in Sydney
geboren. Australien war ein Einwanderungsland und ist es immer noch.
Die Stadt rückt mir immer näher und
wird mir so vertraut. Sie nimmt mich
mit als würde sie nach mir greifen,
lässt mich so selbstverständlich hier
fühlen. Wir lassen uns treiben, gehen
mit dem Tempo dieser Stadt mit,
denn hier scheint es keine Hektik zu
geben. Ruhig verlaufen die Tage und
doch haben wir schon einiges gesehen:
Jeder Blick auf
die Oper ist ein
Ereignis.
nach einer Hafenrundfahrt den
„Royal Botanic Garden“ mit seinen
subtropischen, einheimischen und
exotischen Bäumen und Farnen. Das
Maritim-Museum mit den Haien und
Rochen bietet faszinierende Einblicke in die Meereswelt. Dank eines
145 Meter langen Acryltunnels kann
man Fische von allen Seiten hautnah
betrachten und Seekühe bei der Fütterung beobachten. Durch die Stadt
schlendernd – koloniale Überbleibsel, polierte Wolkenkratzer – zeigt
sich eine interessante Mischung aus
älteren Bauten, Stilen & Epochen, die
unkonventionell nebeneinander stehen.
In dem Buch „Ein Jahr in Australien“
von Julica Jungehülsing, beschreibt
die Autorin, wie die Busfahrer in
Sydney streiken. „On strike“ heißt,
sie streiken und fahren trotzdem. Es
gibt aber für alle Freifahrt. Niemand
muss bezahlen, denn schuld an den
Arbeitsbedingungen sind nicht die
Fahrgäste sondern die Regierung.
Das finde ich super. Sydney ist anders.
Um fünf Uhr nachmittags beginnt
bereits die Dämmerung. Dann geht
die Sonne rasch unter und wenig
später ist es stockfinster. Die Mondsichel liegt auf dem Bauch, falsch
herum, wie üblich am anderen Ende
der Welt. Beeindruckend ist um diese
Zeit die Skyline von Sydney, die
erleuchteten Wolkenkratzer. Sonnenaufgang ist kurz vor sieben.
Durch unser Hotelfenster sehen wir
den klaren rosigen Morgen, sehen
dem Himmel beim Buntwerden zu
mit Blick auf den Sydneytower, der
mit seinen 300 Metern alles andere
überragt. Mit dem Lift kann man
hoch in den Tower fahren und in
dem sich drehenden Restaurant das
Lunch-buffet genießen.
Ich entdecke ein Bilderbuch für
Clara, meine fünfjährige Enkelin. Jo-
sephine, ein Känguru, möchte unbedingt Ballett tanzen. Sie schaut sich
die Bewegungen von anderen Tieren
ab. Voll Freude strebt sie ihr Ziel an.
Da kommt eine Ballettschule in ihre
Gegend und es gibt eine Aufführung.
Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt nur
dem Tanzen. Sie schaut zu, beobachtet, will lernen um jeden Preis.
Sie lässt sich nicht davon irritieren,
dass so etwas für ein Känguru nicht
gedacht ist, verliert ihr Ziel nicht aus
den Augen. Da erfährt sie, dass die
Prima Ballerina ausfällt und mutig
wagt sie den Schritt nach vorne und
bietet sich an, für sie einzuspringen. Der Direktor findet diese Idee
originell. Mit viel Aufwand wird
sie für das Ballett ausgestattet, um
dann einen Start hinzulegen, der alle
begeistert und mitreißt. Das wünsche
ich mir für meine Enkelkinder:
lasst euch nicht
irritieren, lebt die träume,
die in euch sind.
Diese Stadt lebt es vor. Die HarbourBridge, die sich über das weite
Wasser der Hafenbucht wölbt, die
Oper. 1956 fanden in Melbourne die
olympischen Sommerspiele statt.
Und damit Sydney mithalten kann,
wurde beschlossen, etwas ganz Besonderes zu bauen: die Oper und eine
Konzerthalle. Bei einem Wettbewerb
fiel die Wahl auf den wenig bekann-
ten jungen dänischen Architekten
Jörn Utzon. Sein Entwurf war kühn,
einzigartig. Das Problem daran war
jedoch das berühmte Dach. So ein
schräges, kopflastiges Dach war noch
nie zuvor gebaut worden. Die gesamte Bauzeit sollte nicht länger als sechs
Jahre dauern. Aber allein die Konstruktion des Daches nahm schon fünf
Jahre in Anspruch und die Kosten
stiegen ins Unermessliche. Sie betrugen viermal so viel wie ursprünglich
geschätzt worden war.
Jetzt steht die Oper von Sydney
majestätisch da – trotz vieler Widerwärtigkeiten wurde sie 1973 eröffnet
und ist zum Wahrzeichen geworden. Die Kosten zu hoch, die Fertigstellung verspätet, kaum lösbare
Schwierigkeiten und letztlich ist das
Opernhaus doch zu einem weltweit
bekannten Wahrzeichen von Sydney
geworden. Jeder Blick darauf ist ein
Ereignis. Sydney, das ist doch die
Stadt mit der Hafenbrücke, dem
Opernhaus und den schicken Restaurants am Hafen.
Jackie French: Josephine wants to dance
„world dreaming“
Nach drei Tagen beginnt der Weltkongress für Psychotherapie, der
Grund, weshalb unsere Reise in
Sydney begonnen hat. „World Dreaming“ ist das Thema. Eingeladen
waren bekannte internationale PsychotherapeutInnen aus verschiedenen Richtungen. 800 TeilnehmerInnen aus 40 Ländern konnten sich
hier austauschen, neue theoretische
Standpunkte anhören. Das, was jedoch das Herz des Kongresses ausmachte, war die Auseinandersetzung
mit den indigenen AustralierInnen,
den Aborigines. Schon seit 40000
Jahren ist Träumen ein integraler Bestandteil ihrer Kultur und die Verbindung zur Natur ist dabei ein wichtiger Aspekt. Aber dieses Land wurde
ihnen von den Einwanderern genommen, das Land, das ihre Stärke, ihre
Kultur und ihr traditionelles Leben
ausmachte. Hier lebten sie mit ihrem
Stamm. Ihre Rituale verbanden sie
mit den Spirits der Vorfahren, die ih-
nen Schutz und Führung gewährleisteten. Über Jahrhunderte wurde von
Generation zu Generation das Wissen
über das Heilen, ihre Identität und
kulturellen Werte weitergegeben.
Ihre Gesellschaftsstruktur basierte
auf einem komplexen Netz aus Verwandtschaftsbeziehungen und dem
traditionell reglementierten Zusammenleben von Mann und Frau. Die
Bezeichnung „Aborigine“ ist abgeleitet aus dem Lateinischen „ab origine“
(von Anfang an). Sie sind ein Naturvolk, das sich mit den Trockenregionen und den Lebensbedingungen in
Australien arrangierte.
Gegen die vordringenden Europäer
im 18. Jahrhundert hatten die UreinwohnerInnen keinerlei Chance.
Sie verloren nicht nur ihre Heimat,
sondern wurden auch rücksichtslos niedergemetzelt. Aufgrund der
Vertreibungen verloren sie ihr Land,
ihre Identität, und ihre spirituellen
und kulturellen Wurzeln. Vom aus-
tralischen Staat und von der Kirche
unterstützt, wurden zwischen 1910
und 1970 Mischlingskinder, die sogenannte „stolen generation“, ihren
Aborigines-Müttern entrissen und
in Heimen oder in Pflegefamilien
untergebracht. Das Primitive, das
Wilde sollte aus ihnen „herauserzogen“ werden.
Eine Psychotherapeutin und Aborigine-Beraterin aus Kimberley, deren
Vater ein traditioneller Heiler aus
dem Yawuru Land ist, erzählt:
„Eine tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit umgibt unsere jungen Aborigines. Der Alkoholismus
und die Selbstmordrate sind sehr
hoch.“ Sie fühlt sich an zwei Disziplinen gebunden: an die Prinzipien
der Psychotherapie und die Kultur
ihres Landes. Als allererstes arbeitet
sie mit dem kulturellen Hintergrund.
So ist etwa für die Yawuru der „inner
spirit“, genannt „Liyan“, das Zentrum des Seins und der Emotionen.
Die Verbindung zum „Liyan“ macht
die Menschen stark. Wenn sie damit
nicht verbunden sind, fühlen sie sich
schlecht. Bevor sie mit dem psychotherapeutischen Prozess beginnt,
nimmt sie Kontakt zur Weisheit der
Community auf. Denn sie muss von
der Community und von der Familie
als Therapeutin akzeptiert werden,
da die kulturelle Tradition ihre Art zu
arbeiten bestimmt. Auch traditionelle HeilerInnen werden in die Psychotherapie mit einbezogen.
Nach einer
ganzen Woche in
Australien haben
wir noch immer
keine Kängurus
gesehen.
Letzte Hoffnung: ein Ausflug in den
Regenwald zu den landschaftlich
reizvollen „Blue Mountains“, 100 Kilometer westlich von Sydney. Sie sind
von Schluchten und felsigen Canyons
durchzogen, deren Wände manchmal mehrere 100 Meter abfallen. Wir
spazieren über die Felsgipfel und
blicken auf die sich hoch erhebenden
Sandsteinsäulen der „Three Sisters“,
bevor wir 1 000 Stufen hinunter in
den Regenwald steigen. Danach sind
die Muskeln meiner Oberschenkel
total angespannt, ich kann kaum
mehr gehen. Doch hier umfängt uns
eine Atmosphäre von Reinheit und
Klarheit. Sonne und Wolken wechseln sich ab. Riesige Farne, Eukalyptusbäume, segelnde Ibisse, Ruhe und
Weite. Noch will ich gar nicht daran
denken, was es heißt, diese 1 000 Stufen wieder hinaufzusteigen. Ich habe
es dann doch geschafft, es hat mich
aber ziemlich an meine körperliche
Grenze gebracht. Kängurus haben
wir dann letztendlich auf dem Weg
zurück in einem Gehege gesehen.
Wasserfall in den
Blue Mountains
Nach zehn Tagen Sydney sind wir
nun bereit, das andere Australien kennenzulernen. Die Wildnis,
den roten Staub, die Region, in
der die meisten Aborigines leben.
Wir fliegen nach Alice Springs. In
dieser Stadt sind die Aborigines
allgegenwärtig. Unauffällig, fast
immer schweigend, im Abseits. Sie
sehen verwahrlost aus, betteln um
Zigaretten, reagieren misstrauisch.
Sie schlurfen, torkeln, dazwischen
Weiße, keiner kümmert sich um
die anderen. Weiße und Aborigines
scheinen in getrennten, aber parallelen Welten zu wohnen. Aborigines
haben ein anderes Weltbild in ihrem
Kopf. Sie wollen nicht wie die Weißen werden und verharren in der Ver
gangenheit. Es sind Menschen mit
sinnentleerten Körpern, die schon
viele Niederlagen und Demütigungen
erlebt haben. Welche Anstrengungen
braucht es wohl, den Mut und den
Willen aufzubringen, um ein anderes
Leben zu leben.
In den 1960er-Jahren fingen die
Ureinwohner an, sich gegen die
Inbesitznahme ihrer Heimat juristisch zu wehren, mit Hilfe weißer
Anwälte und der Unterstützung eines
Teils der weißen Bevölkerung. Das
Land, das man ihnen im Outback als
Lebensraum zur Verfügung stellte,
war allerdings wertloser Sandboden
und Buschland. Die einzigen vernünftigen Gebiete, die ihnen zuerkannt wurden, waren gleichzeitig
National
parks, die sie mit Touristen teilen
mussten. Mich faszinieren Menschen, die Ideen haben, die sie verfolgen und die sich trotz Schwierigkeiten nicht davon abbringen lassen,
bis sie tatsächlich etwas in dieser
Welt bewegen, etwas Neues in die
Welt setzen und damit der Menschheit dienen. Wie auch die „Flying
Doctors“, die es hier seit 1928 gibt
und die versuchen, so schnell wie
möglich alle Kranken medizinisch zu
versorgen oder in das nächste Spital
zu bringen.
„School of the air“
Diese Schule befindet sich in einem
unscheinbaren Gebäude. An den Ti-
schen und Wänden sind die Arbeiten
der SchülerInnen ausgestellt. Es sind
bebilderte Aufsätze. Seit 1951 wird
über eine Sprechfunkschule Kindern,
die auf Rinderfarmen und in anderen
einsamen Orten aufwachsen, Unterricht erteilt. Das Einzugsgebiet ist
fast doppelt so groß wie Frankreich
und etwa 150 SchülerInnen werden
vom Kindergartenalter bis zu den
frühen Teenagerjahren auf diese
Weise unterrichtet.
Der Unterricht spielt sich hauptsächlich schriftlich ab. Etwa eine halbe
Stunde am Tag werden die Kinder
von ihrer Lehrerin unterrichtet. Ihr
Gegenüber ist eine leere Klasse statt
einer lebendigen Kinderschar. Kein
Feedback, keine interessierten Augen
oder Gesten, an denen sie ablesen
kann, ob das, was sie sagt, auch beim
Gegenüber ankommt. Einmal pro
Jahr kommen hier alle Kinder für eine
Woche zusammen. Fünf bis sechs
Stunden pro Tag lernen sie unter
Aufsicht der Eltern oder einer Tutorin, die von den Eltern bezahlt wird.
Dabei werden Fernsehen, Videorekorder oder Computer benützt.
Auf den Fotos sind nur ganz wenige
Aborigines-Kinder zu sehen. Für sie
wird es schwierig sein, denn sie werden kaum kompetente Erwachsene
als Betreuungspersonen finden, die
elementare Kenntnisse in Lesen und
Schreiben haben. Ab sechs Kindern
können Volontiers vom Staat dafür
zur Verfügung gestellt werden.
das herz des
kontinents ist
gleichzeitig
der heiligste
platz der
aborigines
Auf der Karte liegen Alice Springs
und der Uluru fast nebeneinander.
Die Fahrt geht jedoch über 300
Kilometer. Das Herz des Kontinents,
das gleichzeitig der heiligste Platz
der Aborigines ist, bilden der Uluru
(Ayers Rock) und Kata Tjuta (Olgas).
Sie liegen mitten im Zentrum von
Australien, das auch „Red Centre“
genannt wird.
Der Uluru wirkt deshalb so grandios,
weil er allein in dieser riesigen Einöde steht. Ein berühmter Monolith,
eine Erhebung von außerordentlicher
Würde und Grandiosität, knapp 2,5
Kilometer lang. Faszinierender als
wir je gedacht haben. Man kennt den
Felsen von Postkarten, Kalenderblättern, Fotobänden – ihn zu „erkennen“
hat jedoch etwas Elementares. Wir
begreifen ihn und können es trotzdem nicht in Worte fassen. Es ist
eine erstaunliche Vertrautheit. Wir
spüren, dass dieser große, ehrfurchtgebietende Felsen eine Bedeutung
hat. In der Morgensonne wird er noch
interessanter. Er hat keine ebenmäßige
Form. Näher betrachtet kann
man diese markanten Felsformationen entdecken, ein Werk der Erosion.
Für die Aborigines haben diese Zeichen eine religiöse Bedeutung. Sie
sind die Hinterlassenschaft jener großen Wesen, die in der „Traumzeit“
über den australischen Kontinent
wandernd Leben und Landschaften
schufen. Das Wüstenlicht kommt
und weckt warm und feuerrot den
Uluru. Bilder und Farben entstehen
und die Begeisterung und Ergriffenheit für ihn nimmt zu. Wir merken,
dass wir ganz schön lange damit
verbringen könnten, den Felsen einfach nur anzuschauen, ihn aus vielen
Winkeln zu betrachten und davon
nicht müde zu werden. Ein zeitloses
Symbol für Australiens geologische
Geschichte. Eine leise Ahnung von
dieser zigtausend Jahre alten Kultur
steigt in mir auf. Mir ist nach Nachdenken und Langsamkeit. Ich habe
keine Eile. Die Erklärungen unseres
Guides plätschern an meinem Ohr
vorbei. Ich brauche Zeit, um die vielen Eindrücke verdauen zu können.
Am Beginn unserer Reise sah der
Busch für mich monoton aus. Niedrige Sträucher, Pflanzen, die eine
natürliche Unverwüstlichkeit zu
besitzen scheinen, Spinnifex Steppe.
Seit Harry, unser Guide, jedoch immer wieder sagte: „Come and look“,
und uns von den Pflanzen und Blüten
erzählte – etwa mit welchen Blättern
man Schnittwunden heilen konnte – schien bald jeder graue Ast ein
Geheimnis zu haben. Harry kannte
jedes Blatt, jede Blüte, jedes Insekt
und freute sich aufrichtig, uns das alles zeigen zu können. Wir entdeckten
Spuren von Kängurus & Schlangen
im Sand. Wir haben nicht direkt mit
Aborigines gesprochen, wir wissen
nicht, wie sie sind, wenn sie in der
Natur leben und nicht am Rand von
Städten, wo sie mit Alkoholproblemen und Arbeitslosigkeit kämpfen.
Trotzdem haben wir ihre Spuren
gespürt, die Energie ihrer Weisheit
aufgenommen.
buschfeuer
Ein alltägliches Bild im Outback
sind Buschfeuer Sie werden weder
kontrolliert noch eingedämmt. Es
wird gesagt, dass Aborigines den
Busch anzünden, damit trockene
Gräser und Büsche brennen. Die
Pflanzen und Büsche sollen davon
profitieren und frisches Wachstum
wird so unterstützt. Bald darauf wird
uns plastisch gezeigt, wie schnell
man in Australien mitten im Nichts
sein kann, wie abgeschnitten vom
Rest der Welt, denn nur wenig
asphaltierte Hauptverkehrsstrecken
(Highways) durchziehen das Outback. Abseits dieser Strecken gibt es
nur Sandpisten.
Zwei Ladies haben mitten im Busch
einen Reifenplatzer. Sie haben Glück,
dass wir vorbeikommen, denn nur
das Satellitentelefon unseres Guides
funktioniert und Thomas wechselt
ihnen den Reifen. Am Abend treffen
wir sie wieder im Outback Pioneer
Hotel und feiern beim Lagerfeuer
ihre Rettung.
Zurück in der
„Zivilisation“
Nach einer Woche im „Red Center“
fliegen wir von Alice Springs nach
Cairns. Von dort geht es eine Stunde
weiter nördlich nach Port Douglas.
Mir kommt es vor, als sei ich nicht in
einem anderen Bundesstaat gewesen, sondern in einer anderen Welt.
Immer wieder beschäftigen mich die
Bilder rund um den Uluru.
Thomas und ich fahren nach Undara, in den „Volcanic National Park“.
Dafür mieten wir uns einen Leihwagen. Manchmal nervt es mich schon
ein wenig, immer gefragt zu werden: „How are you? How was your
day? Do you enjoy it?“ Ich möchte
einfach nur ein Auto mieten und
keine Auskünfte über meine Befindlichkeit geben. Denn außer „great“
und „amazing“ wird sowieso nichts
akzeptiert. Ich könnte auch gar nicht
anders antworten, denn ich merke,
wie mich dieses Lebensgefühl hier
erfasst, die Tage in Windeseile vergehen, ich mich so selbstverständlich
und frei fühle. Was für ein Genuss, in
diesem Land hier eine Fremde sein zu
dürfen, unendlich fern von den alltäglichen Verpflichtungen. Jeder Tag
ist anders. Allmählich beginne ich
mir Sorgen zu machen, wie mir der
Umstieg in den Alltag wohl wieder
gelingen könnte.
Fast 300 Kilometer Fahrt nach Unda-
ra liegen vor uns. Die Landschaft ist
grün, sanfte Berge, blauer Himmel,
und sieht fast ein wenig aus wie bei
uns in der Steiermark. Kilometerlang
fahren wir auf dem Kennedy-Highway, ohne eine Stadt oder ein Dorf zu
sehen. Diese unglaubliche Leere Australiens ist nicht leicht zu beschreiben. Nur die Landschaft verändert
sich ein wenig. Auf langen Strecken
gibt es Mango-Plantagen, Eukalyptus-Bäume, dann wieder lange karge
Weite, Steppe voller Termitenhügel.
Auf dieser zweispurigen und ereignislosen Landstraße bekommt man
eine bessere Vorstellung von den
Ausmaßen dieses Kontinents. Ruhig
gleiten wir durch die Landschaft.
Nur wenn einem Roadtrains entgegen kommen, Super-Trucks mit drei
Anhängern, weicht man schnell nach
links aus.
In Herberton machen wir Rast. Dort
gibt es ein historisches Dorf. Was
bezeichnet man in Australien als
historisch? Tatsächlich bin ich überrascht, denn das heutige verschlafene
Dorf mit seinen schrulligen älteren
Menschen sieht nicht viel anders aus
als das historische. Die Szene hier
würde für einen Western taugen.
Der „Undara Volcanic National Park“
liegt in Queensland in der McBrideProvinz. „Undara“ stammt aus der
Sprache der Aborigines und bedeutet
„langer Weg“. Neben der längsten Lavaröhre befindet sich in diesem Park
auch der längste Lavafluss der
Wenn einem Roadtrains entgegen
kommen, Super-Trucks mit drei
Anhängern, weicht man schnell
nach links aus
Welt mit einer Gesamtlänge von über
160 Kilometern. In Australien scheint
alles extremer ausgefallen zu sein als
anderswo. Die Einheimischen lieben
alles, was sie als größer und weiter
bezeichnen können. Erste zu werden,
scheint eine Art Hobby der Nation zu
sein. Der größte Monolith, das größte
Riff, die giftigsten Spinnen, die
tödlichsten Tiere, der flachste Kontinent, die größte Insel.
Wir wohnen in alten restaurierten Eisenbahnwaggons, umgeben von großen Bäumen und der australischen
Wildnis. Am frühen Morgen gibt es
die Möglichkeit, ein Busch-Frühstück
einzunehmen. Aufmerksam sitzen
die Kookaburra mit ihren kräftigen
Schnäbeln und ihrer markanten
Stimme auf den umliegenden Ästen
und warten erpicht darauf, dass wir
unseren Frühstücksteller kurz verlassen, um sich im Sturzflug einen
Leckerbissen davon zu holen.
Gegen Abend kommen wir endlich
in direkten Kontakt mit der Fauna
Australiens. Wallabees, die kleinen Verwandten der Kängurus, mit
hundeähnlichen Schnauzen, steilen Hasenohren, fahlem Fell und
kräftigem Schwanz begegnen uns
nun in Scharen und hüpfen elegant
und grazil davon. Die Bezeichnung
Känguru dürfte auf einem Missverständnis beruhen. „Was für ein Tier
ist das?“, soll Captain Cook, einer der
Entdecker Australiens, in Englisch
die Aborigines gefragt haben. Und
als Antwort hat er „Kann-ga-roo“
verstanden, was angeblich so viel
bedeutet wie „ich verstehe nicht“. Die
Sonne war allmählich untergegangen
und ließ die Steppe rot leuchten. Der
Horizont scheint sich hier endlos zu
spannen. In der Dunkelheit beobachten wir heimische Fledermäuse in
den Lavaröhren und als Höhepunkt
am Ausgang eine Schlange, die auf
ihr Abendessen wartet.
Das große riff
Das Great Barrier-Reef, mit einer
Fläche von 345.000 qkm wird häufig auch als achtes Weltwunder
bezeichnet. Das klare Wasser ist
Heimat einer unzähligen Spezies der
Unterwasserwelt. Neben den verschiedensten Korallenarten gibt es 1
500 verschiedene Arten von Fischen
und auch Meeresschildkröten. Wir
schnorcheln, tauchen und genießen
einen Helikopterflug. In Port Douglas wimmelt es nur so von jungen
Menschen. Auffällig ist ihre Lockerheit und ihre Unbefangenheit mit
Fremden. Viele kommen aus Europa
hierher, arbeiten in der Gastronomie
und gönnen sich eine Auszeit, sei es
als Tauchlehrer oder als Hubschrauberpilot. Das gibt eine multikulturelle Stimmung. Worüber ich mich
ganz besonders gefreuthabe, war,
dass ich mir in einer Boutique einen
Badeanzug bei einer Aborigines-Frau
kaufen konnte. Zum ersten Mal habe
ich eine Aborigine als Angestellte im
Verkauf gesehen.
Was wohl ihre Lebensgeschichte sein
mag? Ich muss an einen Bericht einer
Aborigine-Frau beim Weltkongress
denken. Sie ist in ihrem kulturellen
Kontext aufgewachsen und hatte
einen Vater, der auf Bildung drängte. So ging sie auch zur Schule, bis
sie mit fünfzehn Jahren mit einem
wesentlich älteren Mann verheiratet
wurde, dem sie seit ihrer Geburt versprochen war. Sie bekam Kinder und
als der Mann starb, sorgten Schwager und Schwägerin peinlichst genau
dafür, dass sie alle Regeln des Trauerjahres exakt einhielt. Erst danach
war sie frei, konnte eine Ausbildung
zur Krankenschwester machen &
wurde Gesundheitsberaterin.
Gedanklich schweife ich des Öfteren
durch die vergangenen Tage und
Ereignisse, zu dem Teil, der in die
Gegenwart hineinwirkt. Vielleicht
habe ich eine Art „Walkabout“
erlebt. Die Aborigines bezeichnen so
ausgedehnte Wanderungen in das
Landesinnere. Es ist jedoch auch eine
Reise in das Innere der Seele. Denn
du verlässt niemals einen Ort, der
dich berührt, du nimmst immer ein
Stück davon mit und lässt auch ein
Stück von dir dort zurück.

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