Frauenfiguren im zeitgenössischen Bollywoodfilm

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Frauenfiguren im zeitgenössischen Bollywoodfilm
Filmstudien l 70
Zur Autorin:
Dr. Katharina Görgen, geb. 1981, studierte Diplom Mediendramaturgie und Theater- und
Filmwissenschaft in Mainz und Paris. Sie arbeitete mehrere Jahre in Indien, u.a. zwei Jahre für
das Goethe-Institut in Pune. Derzeit ist sie als Lecturer am Institut für Medienkultur und
Theater der Universität zu Köln tätig.
Filmstudien
Zum Inhalt:
Im zeitgenössischen Bollywoodfilm, dem erfolgreichsten pan-indischen Kulturprodukt des
Subkontinents, werden auch aktuelle Frauenbilder verhandelt bzw. reflektiert. Der Band
widmet sich der Frage, welche Freiheiten den weiblichen Figuren zugestanden werden, wo
deren Grenzen verlaufen und worin der Ursprung eventueller „Unfreiheiten“ zu suchen ist.
Frauenfiguren im
zeitgenössischen
Bollywoodfilm
Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne
Katharina Görgen
Frauenfiguren im
zeitgenössischen
Bollywoodfilm
70
Frauenfiguren im
zeitgenössischen
Bollywoodfilm
Katharina Görgen
Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne
ISBN 978-3-8487-1507-7
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Schriftenreihe „Filmstudien“
herausgegeben von
Prof. Dr. Oksana Bulgakowa und Prof. Dr. Norbert Grob
Die Reihe wurde von
Prof. Dr. phil. Thomas Koebner begründet.
Band 70
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Katharina Görgen
Frauenfiguren im
zeitgenössischen
Bollywoodfilm
Im Spannungsfeld zwischen
Tradition und Moderne
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© Titelbild: Katharina Görgen, 2012
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2012 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 2013
u.d.T.: „Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne –
Frauen im zeitgenössischen Bollywoodfilm“
ISBN 978-3-8487-1507-7 (Print)
ISBN 978-3-8452-5548-4 (ePDF)
Bis Band 61 bei Gardez! Verlag Michael Itschert erschienen mit Ausnahme der
Bände 57 und 60.
1. Auflage 2015
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015. Printed in Germany. Alle Rechte, auch
die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Vorwort
Zu promovieren bedeutet, wie ein Planet mehrere Jahre in nur leicht veränderter
Laufbahn um das immer gleichbleibende Thema zu kreisen. Mein erster Dank gilt
daher meiner Familie und meinen Freunden, die sich im Laufe der Zeit wesentlich
mehr Spontanvorträge zu den Themen Frauen und Bollywood angehört haben,
als es gute Erziehung und gute Freundschaft verlangen. Auch jederzeit bereit sich
mit mir über meine Ideen zum Thema Bollywood zu unterhalten, waren meine
Kolleginnen und Freundinnen in Indien, die mich bereitwillig in ihren Alltag integriert haben. Damit haben sie mir Einblicke in das Leben indischer Frauen jenseits von Forschung und Quellenlage ermöglicht, die mir ohne sie versperrt geblieben wären. Dafür mein herzlicher Dank.
Auch einigen Institutionen bin ich für ihren Beitrag zu meinem Promotionsprojekt zu Dank verpflichtet. Zu nennen wäre hier an erster Stelle das Institut für
Indologie der Johannes Gutenberg Universität, das mich aufgenommen und dafür
gesorgt hat, dass mir zumindest die immensen Dimensionen dieses spannenden
Fachbereichs bewusst wurden. In ähnlicher Weise hat mich das Nationale Film
Archiv Indiens in Pune unterstützt und mir Zugang zu Materialen, Filmen und
unschätzbarem Wissen gewährt. Möglich war der Forschungsaufenthalt dank der
großzügigen Unterstützung des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes,
für die ich an dieser Stelle ebenfalls danken möchte.
Für ihre interessanten Anregungen und das aufmerksame Korrekturlesen
möchte ich meinem Vater, Dorothea Volz, Dr. Cornelia Stoffer und Dr. Kasturi
Dadhe danken. Ebenso gilt mein Dank allen Personen, die zum Gelingen dieses
Projekts beigetragen haben - sei es durch moralische Unterstützung, Krisenberatung, vorgetäuschte oder aufrichtige Begeisterung oder die Beschaffung schwer
zugänglicher Literatur.
Mein größter Dank gilt Herrn Prof. Dr. Grob, der bereit war, das Projekt in
einer schwierigen Phase zu übernehmen und zu betreuen.
5
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Inhaltsverzeichnis
1.
2.
Einleitung
11
1.1 Methodenteil
27
1.2 Praktische Hinweise
36
Der Stellenwert von Töchtern
37
2.1 Das Geschlechterverhältnis in den untersuchtenProduktionen
43
2.2 Kinder
44
2.3 Söhne
45
2.3.1 Die glückliche Familie mit männlichem Nachwuchs
2.3.2 Alleinerziehende mit Söhnen
2.3.3 Die unglückliche Familie mit männlichen Nachkommen
2.4 Söhne und Töchter, die politisch korrekte Familie
59
2.5 Töchter
60
2.5.1 Die unglückliche Familie mit einer Tochter
2.5.2 Die glückliche Familie mit einer Tochter
2.5.3 Die Wunschtochter
3.
4.
45
50
54
60
63
65
2.6 Die „Traumfamilie“
65
2.7 Die dramaturgische Funktion von Kindern
67
Bewegungsfreiheit
69
3.1 „Eve-teasing“
76
3.2 Der öffentliche Raum
79
3.3 Die Großstadt
84
3.4 Tradition
86
Bildungsfreiheit
91
4.1 Schulen
98
7
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4.1.1 Mädchenschulen
4.2 Der Collegefilm
4.2.1 Coming-of-Age-Filme mit Collegebezug
5.
103
107
4.4 EXKURS
110
Finanzielle Unabhängigkeit
111
5.1 Berufsfelder
118
5.2 Nicht berufstätige Figuren
119
5.3 Berufstätige Figuren
5.3.1 Berufstätigkeit als Zeichen der Familienzugehörigkeit
5.3.2 Berufstätigkeit als wesentlicher Aspekt der Figurencharakterisierung
5.3.3 Berufstätigkeit als Nebensache
119
120
121
123
123
125
128
5.4 Die Aufgabe der gewählten Berufstätigkeit und ihre Folgen
129
5.5 Miteinander arbeitende Paare
132
5.6 Finanziell überlegene Frauenfiguren
140
5.7 Möglichkeiten, die durch eine finanzielle Unabhängigkeit entstehen
143
5.8 Abschließende Bemerkungen
145
Sexuelle Freiheit
149
6.1 Der Filmkuss
159
6.1.1 Küsse mit Konsequenzen
6.1.2 Keine bzw. indirekte Küsse
6.2 Sexualität außerhalb einer formal bestätigten Partnerschaft
8
101
4.3 Die Studentin
5.2.1 Figuren, die gerade ihr Studium beendet haben oder es
noch beenden werden
5.2.2 Hausfrauen
5.2.3 Nicht berufstätige, ausschließlich über ihre Familienzugehörigkeit definierte Figuren
6.
100
162
163
164
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6.3 Die Frage des richtigen Zeitpunkts
174
6.4 Die Hochzeitsnacht
176
6.5 Sexualität innerhalb der Ehe
182
6.5.1 Keine Sexualität innerhalb der Ehe
7.
6.6 Affären
190
6.7 Negativ behaftete weibliche Sexualität
197
6.8 Positiv behaftete weibliche Sexualität
202
6.9 Abschließende Bemerkungen
205
Die Freiheit den Partner zu wählen
209
7.1 Die romantische Liebe
219
7.2 Partnerwahl im Film
221
7.2.1 Die Protagonistin ohne familiäre Bindungen
7.2.2 Die traditionell arrangierte Ehe
7.2.3 Gescheiterte Versuche seitens der Eltern, Ehen zu arrangieren
7.2.4 Familien, die eine bedeutende Rolle bei nicht arrangierten
Ehen spielen
7.2.5 Eltern, die in ihrer Wahl irren
7.2.6 Die Hauptfigur irrt in ihrer Wahl
7.2.7 Das Schicksal
8.
186
222
226
235
240
247
256
261
7.3 Abschließende Bemerkungen
262
Die Möglichkeit, den Partner zu verlassen, und die Möglichkeit,
sich mehrfach zu binden
267
8.1 Die Freiheit, den Partner zu verlassen
267
8.2 Die Stellung der Witwe im brahmanischen Hinduismus
271
8.2.1
8.2.2
8.2.3
8.2.4
8.2.5
Verlassen des Partners als Protestform
Das Verlassen des falschen Partners
Der nicht realisierte Wunsch, den Ehemann zu verlassen
Die vorübergehende Trennung von Ehepaaren
Trennung ohne Rückkehr
278
286
291
294
296
9
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8.2.6 Die „emotionale“ Witwe
8.2.7 Die Witwe
9.
Schlussbetrachtungen
305
306
315
10. Anhang
323
11. Filmographie
329
12. Literaturverzeichnis
333
10
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1. Einleitung
Die Rezeption indischer Frauenbilder hat im Rahmen der Indologie eine lange
Geschichte. Gegensätzliche Frauenfiguren, wie die treue Gattin Savitri und die
blutrünstige Göttin Durga, faszinierten den Westen seit jeher. Doch seit die ersten
Indologen die heiligen Schriften Indiens als Quellen erkundeten, ist einige Zeit
vergangen. Reiche sind untergegangen, die Unabhängigkeit wurde erkämpft, und
ein säkularer Staat wurde gegründet.
Die vorliegende Studie widmet sich der Frage, inwieweit diese Ereignisse zu
einem Wandel des Frauenbildes geführt haben bzw. inwieweit die traditionellen
Vorbilder und Vorgaben noch immer verbindlich sind. Untersucht wird dies am
Beispiel ausgewählter Bollywoodfilme, die als populärstes panindisches Kulturphänomen des Subkontinents zu verstehen sind.
Der Ansatz, das aktuelle Frauenbild Indiens mit Hilfe kommerzieller Filmproduktionen zu ermitteln, ist weniger abenteuerlich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wer bereits einmal das Vergnügen hatte, durch Indien zu reisen,
dem dürften die Filmplakate, die nach kurzer Zeit als permanentes Hintergrundgeräusch wahrgenommene Filmmusik, die Dauerpräsenz von Schauspielerinnen
und Schauspielern im Fernsehen, auf Zeitschriftencovern und als Werbeträger auf
diversen Produkten, kurz die Allmacht Bollywoods im indischen Alltag nicht entgangen sein. Die Begeisterung für den Film findet sich in allen Gesellschaftsschichten wieder. Mal wird sie offener gelebt, mal wird verschämt von „time pass“
gesprochen; mit fast jedem Gesprächspartner ist es jedoch möglich, sich über den
neuesten Blockbuster zu unterhalten. Dieser soziale Grenzen überwindende Zugang des Films zur Bevölkerung sorgte von Anbeginn der indischen Filmgeschichte für seine Sonderstellung als nationale Kunstform der Moderne.
Dementsprechend bestimmt die Frage nach der Konstruktion von Nationalbildern und nationalen Identitäten in den Mainstreamproduktionen eine Vielzahl
an Publikationen zum Bollywoodfilm, was Titel wie National Identity in Indian Popular Cinema, The Cinematic ImagiNation. Indian Popular Films as Social History und
Emotion Pictures. Cinematic Journeys into the Indian Self deutlich machen. Sumita Chakravarty konstatiert: „Cinematic culture, like other forms of widely disseminated
11
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communal discourse can then be seen as a mediated form of national conscious.”1
Eng verknüpft mit der Frage der nationalen Identität ist die Frage nach einer
kulturellen Identität, die sich unter anderem in der Konstruktion von Geschlechterbildern niederschlägt. So verhandelt Bollywood auch, wie eine „indische“ Frau
zu sein, wie sie sich zu verhalten, zu geben und zu sprechen hat. Ein Blick auf die
Geschichte des Bollywoodfilms zeigt, dass sich das Frauenbild seit den Anfängen
des Films gewandelt hat, wobei sich Parallelen zu realen Veränderungen feststellen
lassen.
In den goldenen Jahren des indischen Mainstreamfims schlug sich die Euphorie
der jungen Nation und ihr Wille zum Wandel auch in der Darstellung der Frauenfiguren nieder. Narendra Panjwani schreibt: „So the new post-colonial woman
the 1950s movies gave us was part-Sita, and part-educated, modern person growing
up in a democratic culture.“2 Das Gupta beschreibt die 1950er Jahre als Übergangsphase zwischen den reformistischen Ansätzen eines Indiens unter kolonialer
Vormacht und den neo-traditionellen Ansätzen der heutigen Filme.3 Als modern
und von reformistischen Gedanken geprägt werden die Protagonistinnen dieser
Jahre verstanden, da sie gebildet und finanziell unabhängig sind und mit eigener
Stimme sprechen. Sie artikulieren Wünsche und Bedürfnisse und bestehen gleichberechtigt neben den Protagonisten. Doch schon gegen Ende des folgenden Jahrzehnts ist ein gegenläufiger Trend für die Frauenfiguren des Kinos zu beobachten,
denen auf dramaturgischer Ebene immer weniger Raum neben dem „male macho“ 4 der 1960er Jahre zugestanden wird. Diese Entwicklung erreicht mit dem
Phänomen des „angry young man“, der die 1980er Jahre des Films bestimmt,
seinen Höhepunkt. Bhawana Somaaya beschreibt diese Entwicklung wie folgt:
It´s ironical how the cycle of the Indian heroine, from armament to ornament coincided with the advent of the Amitabh Bacchan phenomena in Zanjeer (´73). When
Bacchan usurped Khanna´s crown, the queen had no definite place beside him. She
sang and danced but she was there only to provide relief from revenge. And that too,
only when the hero had the time to frolic. Her feelings were secondary. One didn´t
realize when the rot set in but slowly, the costumes and the roles lost character, so
strong was the impact of the action hero, that the heroine began fading into oblivion.5
1
2
3
4
5
12
Chakravarty, Sumita (1996): S. 8.
Panjwani, Narendra (2006): S. 82.
Siehe Das Gupta, Chidananda (1991): S. 31.
Das Gupta, Chidananda (1991): S. 33.
Somaaya, Bhawana (2004): S. 25.
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Es zeigt sich, dass nach der indischen Unabhängigkeit im Jahre 1947 Modernität
das Schlagwort war, wenn es um die Konzeption von Frauenfiguren ging, diese
Phase aber abgelöst wurde durch eine Epoche der maskulinen Dominanz auf der
Leinwand. Diese fällt zusammen mit den großen Krisen Indiens. Die politisch
unsichere Situation führte zu einer Rückbesinnung auf alte Stärken und Werte, das
heißt auf traditionelle Lebensentwürfe, die klar das Patriarchat präferierten. Neben
den neuen, aggressiven Helden auf der Leinwand wurden die Frauen laut Derek
Bose zu „props“6, das heißt zu reinen Dekorationsstücken degradiert.
Diese Tendenz verstärkte sich in den 1990er Jahren weiter, in welchen der
Bollywoodfilm die Familie als soziale Einheit - und mit ihr die traditionellen Werte
der indischen Großfamilie - ins Zentrum rückt. Damit wurde ein altes Referenzsystem wieder etabliert, das in Zeiten der Unsicherheit Stabilität versprach. Die
erfolgreichen „family films“ der 1990er Jahre wie HUM DIL DE CHUKE SANAM
(1999)(ICH GAB DIR MEIN HERZ, GELIEBTER), HUM AAPKE HAIN KOUN...! (1994) und
DILWALE DULHANIYA LE JAYENGE (1995) (WER ZUERST KOMMT, KRIEGT DIE BRAUT)
propagieren die Bedeutung der Familie und der Tradition, die über individuelle
Wünsche zu stellen ist. Was als traditionelle bzw. neo-traditionelle Werte in diesem
Zusammenhang gelten kann, zeigt die Handlung von HUM DIL DE CHUKE
SANAM deutlich, in welchem die junge Nandini (Aishwarya Rai) erkennt, dass nicht
der junge Mann, der als erster romantische Gefühle in ihr weckte, sondern der,
der von der Familie für sie gewählt wurde, der richtige ist. Dieses Beispiel macht
die Wiedererstarkung traditioneller Werte deutlich, da Nandini die Überlegenheit
des Familienverbundes ihren individuellen Wünschen gegenüber akzeptiert. Bezeichnend für die „family films“ dieser Phase ist der Umstand, dass Nandini nicht
gezwungen wird, ihren Willen aufzugeben, sondern dass sie im direkten Vergleich
nicht anders kann, als die Überlegenheit des Kandidaten ihrer Familie anzuerkennen. Das traditionelle System wird gegenüber dem modernen, individualistischen
als überlegen inszeniert, wobei sich Nandinis individuelles Glück und das Respektieren der Familientradition in letzter Instanz nicht gegenseitig ausschließen. Neben HUM DIL DE CHUKE SANAM prägten noch weitere „family films“ die 1990er
Jahre, die neben der inhaltlichen Ausrichtung auch die opulente Ausstattung gemeinsam haben, die das westliche Bild Bollywoods stark prägten. In dieser Zeit
finden zudem verstärkt Schauspielerinnen ihren Weg auf die Leinwand, die zuvor
entweder als Model oder als Schönheitskönigin von sich reden machen konnten.
Dass nationale und internationale Schönheitsköniginnen wie Aishwarya Rai, Lara
6 Bose, Derek (2005): S. 49.
13
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Dutta, Sushmita Sen und Priyanka Chopra das Leinwandimage der indischen Frau
in den letzten Jahren mitgestaltet haben, hat das Bild einer „oberflächlichen“, nur
auf ästhetische Sensation setzenden Filmindustrie im Westen geprägt.
Parallel zur Wiedererstarkung traditioneller Werte ist eine zunehmende Anpassung der Ästhetik an globale Schönheitsnormen zu vermerken, die sich sowohl
auf die Produktionen im Allgemeinen wie auch auf die visuelle Gestaltung der
Frauenfiguren auswirkt. Zuvor stigmatisierte minimalistische Kleidungsstücke im
westlichen Stil, die lange bei Frauen als Indikator für einen zweifelhaften Charakter
galten, entwickelten sich zunehmend zur Norm und werden von der Zensur nur
noch in Extremfällen beanstandet. Das moderne Erscheinungsbild ändert jedoch
nichts daran, dass der Begriff der Tradition für die Konzeption von Frauenrollen
immer bedeutsamer wurde. Im Gegenteil, fast scheint es, als würde durch den
Wandel der Ästhetik hin zu westlichen Idealen die Rückbesinnung auf traditionelle
innere Werte immer bedeutender. M.K. Raghavendra beschreibt in Seduced by the
Familiar an Hand des Films HUM AAPKE HAIN KAUN den Rückschritt, den die
Emanzipation der Frau seiner Meinung nach auf der Leinwand gemacht hat:
If the admission of feminine desire into this cinema merely reflected the new emancipation of women, these portrayals should logically have led to other portrayals even
more radical, because the effects of social emancipation are cumulative. Instead, we
find popular cinema becoming more conservative with regard to sexual mores, the
`permissiveness´ reaches new lows in later periods – Hum Aapke Hain Koun…!
(HAHK, 1994) for instance.7
Dies führt er auf die grundsätzliche Haltung des Mainstreamfilms zurück:
A study of audience reactions to Hindi cinema testing several independent hypotheses
on popular cinema´s social role concluded that it was largely an instrument of `cultural
continuity´. Hindi films apparently stabilize the social system by representing the needs
and mythologizing tradition.8
Die französische Journalistin Ophélie Wiel sieht in Bezug auf die Frauenfiguren
eine Mischung aus Tradition und Modernität verwirklicht:
A l´instar de ces femmes courageuses et honnêtes en tous points, l´héroïne du film
indien, „mariée du rêve“, combine la sérénité de la femme traditionnelle et la passion
de la femme moderne pour un héros modelé sur Rama, l´homme parfait du Ramayana, et Krishna, l´amant idéal du Mahabharata.9
7 Raghavendra, M.K. (2008): S. 150.
8 Raghavendra, M.K. (2008): S. 237.
9 Wiel, Ophélie (2011): S. 11.
14