Schneller, kleiner, billiger – Die Chip-Industrie bleibt unter
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Schneller, kleiner, billiger – Die Chip-Industrie bleibt unter
A L L IA N Z DR E S DN E R E CO N O M I C R E S E A RC H Working Paper 03.07.2008 M A K R O Ö KO N O M I E FINANZMÄRKTE 108 WIRTSCHAFTSPOLITIK BRANCHEN Christoph Partisch Schneller, kleiner, billiger – Die Chip-Industrie bleibt unter Dauerspannung ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Working Paper Nr. 108 Zusammenfassung .................................................................. 3 1. Einleitung .......................................................................... 4 2. Die Marktsegmente: Halbleiter als wichtigste Produktsparte weiter auf dem Vormarsch ............................. 5 3. Aktuelle Marktlage: Aussichten vorübergehend gedämpft ...... 8 4. Der langfristige Wachstumstrend hält unvermindert an .........11 5. Mitunter extrem starke Konjunkturzyklen führen auf Anbieterseite zu hohen Geschäftsrisiken .............................15 6. Verdrängungswettbewerb: Auf den Massenmärkten werden nur die Großen überleben ..................................................16 7. Im Moment erweisen sich einzelne Branchensparten als defizitär ............................................................................19 8. Fazit .................................................................................23 2 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 AUTOR: CHRISTOPH PARTISCH Tel.: +49.69.263-5 57 95 [email protected] ZUSAMMENFASSUNG Seit 1960 ist der Weltmarkt für elektronische Bauelemente getragen von einem rasanten technischen Fortschritt im Schnitt nominal um deutlich über 10 % pro Jahr gewachsen. Zusammen mit der gestiegenen Leistungsfähigkeit der elektronischen Datenverarbeitung und der Telekommunikationsdienste erhöhte sich dabei auch die Anwendungsvielfalt. Inzwischen ist die Mikrosystemtechnik aus nahezu allen Lebensbereichen nicht mehr wegzudenken, sodass sie sich zu einer Schlüsselindustrie für alle hochentwickelten Länder entwickelt hat. Dadurch sind die Rahmenbedingungen für den Markt elektronischer Bauelemente nach wie vor sehr günstig: Auch zukünftig sehen wir das langfristige Umsatzwachstum nominal bei jährlich gut 10 %. Das gilt insbesondere für die wichtigste Produktsparte – die Halbleiter. Derzeit erweisen sich die Konjunkturperspektiven für die Anbieter elektronischer Bauelemente allerdings als labil. Zwar wird der weltweite Umsatz in diesem und im nächsten Jahr noch zulegen, wozu vor allem die stark expandierende Nachfrage in Fernost beiträgt; die Zuwächse ergeben sich allerdings nur in US-Dollar gerechnet, während sich in Euro kaum Umsatzsteigerungen abzeichnen. Merklich eingetrübt hat sich im Jahresverlauf 2007 vor allem das Segment der Speicherchips. Hier ist erst im Jahresverlauf 2009 wieder mit einer Belebung zu rechnen. Aufgrund des hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwands sowie ausgeprägter Skaleneffekte ist die Halbleiterindustrie besonders stark konzentriert. Hohe Fixkosten in Form umfangreicher Sachinvestitionen sowie der Wissensvorsprung der etablierten Anbieter sorgen für weitgehend abgeschottete Märkte. Deutsche Anbieter gehören – insbesondere bei den Halbleitern – nicht mehr zu den Marktführern auf den Weltmärkten, sie besetzen aber dennoch durchaus lukrative Nischensegmente. Immerhin 94 % aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen der Branche hierzulande erreichen nicht die Umsatzschwelle von 25 Mill. EUR. Sie vereinen dafür allerdings auch nur 8 % des deutschen Marktvolumens auf sich. Trotz einer spürbaren Zunahme in den letzten Jahren fällt der Konzentrationsgrad bei den deutschen Herstellern von elektronischen Bauelementen immer noch niedriger aus als in vielen anderen Ländern; denn Schwerpunkte der deutschen Branchentätigkeit sind eher die passiven und die elektromechanischen Bauelemente als die zu den aktiven Produkten zählenden Halbleiter. Weil die Marktvolumina in den beiden erstgenannten Sparten für Großanbieter häufig unrentabel sind, bedient hierzulande eine Reihe kleinerer mittelständischer Unternehmen diese Nischen. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft kaum etwas ändern; denn die multinationalen Konzerne sind längst dazu übergegangen, sich von ihren Randaktivitäten zu trennen. Bedingt durch Überkapazitäten und einen hohen Importdruck herrscht weltweit ein starker Konsolidierungsdruck. Charakteristisch für die Branche sind deshalb kontinuierlich sinkende Absatzpreise vor allem bei den Standardprodukten. In Zeiten schwacher Marktnachfrage liegen die Verkaufspreise dadurch zum Teil sogar unter den eigenen Herstellkosten. Der scharfe Preiswettbewerb lässt gerade auf den Halbleitermärkten allein bei großen Herstellmengen profitable Ergebnisse zu. Gleichzeitig unterliegt das Geschäft starken zyklischen Absatzschwankungen. Vor diesem Hintergrund ist in den nächsten Jahren mit einer Verschärfung des Geschäftsrisikos auch bei Produzenten von elektronischen Bauelementen in Deutschland zu rechnen. 3 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 1. EINLEITUNG Vierzig Jahre ist es her, dass Gordon Moore, der spätere Gründer der renommierten US-Firma Intel, seine inzwischen legendäre These formulierte, dass sich die Leistung eines Prozessorchips in etwa alle anderthalb Jahre verdoppeln wird. Vierzig Jahre lang lag Moore damit richtig. Lag die Prozessorleistung von Computern 1980 zum Beispiel bei einer Taktfrequenz von ungefähr 10 Megahertz, so betrug sie 15 Jahre später bereits 150 MHz und heute sind es über 2 Gigahertz. Mehr und mehr stößt die Halbleiterindustrie jedoch an Grenzen, und zwar physikalisch-technisch und finanziell. In technischer Hinsicht, weil trotz kontinuierlicher Fortschritte in der Nanotechnologie unter anderem Größenbeschränkungen bei Ätzung, Belichtung und auch Wärmeentwicklung immer kleinere Abmessungen der verwendeten Bauelemente nicht zulassen. In finanzieller Hinsicht, weil die rasant angewachsenen Entwicklungsund Produktionskosten sich nur noch von einigen wenigen kapitalstarken Großkonzernen schultern lassen. So liegt der Investitionsbedarf bei neuen Chipfabriken derzeit bei wenigstens 2 Mrd. USD. Der letzte Wechsel der PC-Prozessorfertigung von 65 nm auf 45 nm hat bei Intel sogar zu einem gesamten Investitionsaufwand von 12 Mrd. USD geführt. Angesichts der technischen Probleme und finanziellen Herausforderungen verfielen Intel und Konkurrent AMD bei der Prozessorfertigung auf einen Trick: Sie brachen mit dem althergebrachten Trend, zur Leistungssteigerung auf die kontinuierliche Erhöhung sowohl der Taktrate als auch der auf einem Prozessor untergebrachten Zahl integrierter Schaltungen zu setzen. Stattdessen führten sie ab April 2005 die Dual-Core-Technik für den PC als Massenprodukt ein. Diese Technik war vorher nur im Serverbereich zum Einsatz gekommen. Die neuen Prozessoren vereinen zwei Kerne, mit denen sich mehrere Aufgaben parallel abarbeiten lassen und die gleichzeitig Vorteile bei der Kühlung und dem relativen Stromverbrauch bieten. Vor allem AMD hatte frühzeitig auf die Mehrkerntechnik gesetzt und konnte dadurch mehr als ein Jahr lang dem Marktführer Intel Marktanteile abnehmen. Marktüblich sind inzwischen neben Zwei-Kern-Modellen auch Prozessoren mit vier Kernen, teilweise in völlig unterschiedlichen Strukturen: Während Marktführer Intel bei seiner Vierkernvariante auf zwei miteinander verbundene Doppelkerne setzt, vereinheitlicht der neue AMD-Chip alle vier Kerne auf einer einzigen Plattform. Es zeichnet sich ab, dass sich die Multi-Core-Technik mit Chips aus einer zunehmenden Anzahl von Rechnerkernen durch die voranschreitenden Multmedia-Anwendungen kontinuierlich weiterentwickeln wird. Im vorliegenden Working Paper soll geklärt werden, wie sich die Zukunftsaussichten für die Branche weltweit darstellen und welche Konsequenzen sich aus den globalen Rahmenbedingungen für die deutschen Anbieter von elektronischen Bauelementen ergeben. Dazu wird im nachfolgenden 2. Kapitel zunächst auf die Bedeutung der einzelnen Produktsparten eingegangen. Als weitaus wichtigstes Segment kristallisieren sich dabei die Halbleiter heraus. Nach einem Blick auf die aktuelle konjunkturelle Lage im 3. Kapitel widmet sich dann der 4. Abschnitt dem langfristigen Wachstumstrend der Branche, dessen unterstützende Faktoren untersucht werden. Die beiden anschließenden Abschnitte sollen die Geschäftsrisiken beleuchten, die aus zum Teil extrem starken Konjunkturzyklen (5. Kapitel) sowie einem beinharten Verdrängungswettbewerb (6. Kapitel) resultieren. Mit den hohen Risiken gehen in der Branche massive Ertragsveränderungen einher, wie das 7. Kapitel anhand der deutschen Hersteller für elektronische Bauelemente exemplarisch aufzeigt. Am Ende wird in 4 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Kapitel 8 ein Fazit bezüglich der längerfristigen Perspektiven insbesondere der deutschen Produzenten und ihrer Wettbewerbsstellung in der Welt gezogen. 2. DIE MARKTSEGMENTE: HALBLEITER ALS WICHTIGSTE PRODUKTSPARTE WEITER AUF DEM VORMARSCH Der Weltmarkt für elektronische Bauelemente belief sich 2007 nach ZVEI-Angaben (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie) auf rund 400 Mrd. USD – nach 376 Mrd. USD im Jahr zuvor. Inzwischen entfallen 48 % des globalen Marktvolumens dabei auf Südostasien, gefolgt von Japan, dem amerikanischen Kontinent und Europa (siehe Schaubild 1). Vor fünf Jahren hatte der Anteil Südostasiens erst bei 35 % gelegen. Marktanteilseinbußen musste vor allem der amerikanische Kontinent mit einem Rückgang um 7 %-Punkte hinnehmen, während Japan (minus 2 %Punkte) und Europa (minus 3 %-Punkte) ihre Verluste eher begrenzen konnten. Südostasien profitiert nicht nur von einer kräftig expandierenden Nachfrage, sondern auch von fortgesetzten Produktionsverlagerungen aus den westlichen Industriestaaten. Dazu tragen nicht zuletzt umfangreiche staatliche Subventionszahlungen bei, da die südostasiatischen Staaten die Halbleiterherstellung als eine Schlüsselindustrie ansehen. In Europa beschränkt sich die Politik dagegen weitgehend auf Standorthilfen für Chipproduzenten in strukturschwachen Regionen. Schaubild 1 Weltmarkt für elektronische Bauelemente Umsatzanteile 2007 nach Regionen, gerechnet in USD Europa 16 % Amerika 17 % Afrika / Naher Osten 1% Japan 18 % Südostasien 48 % Quellen: ZVEI, WSTS, eigene Berechnungen. Weitaus wichtigster Umsatzträger der Branche sind die Halbleiter als sogenannte aktive Bauelemente. Seit 1960 ist der Weltmarkt für Halbleiter durch den rasanten technischen Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie um jahresdurchschnittlich nominal etwa 15 % gestiegen. 2007 erreichte der Umsatz von Halbleitern einen Wert von etwa 266 Mrd. USD, was einem Anteil am Gesamtmarkt von nahezu zwei Dritteln entspricht (Schaubild 2). Damit verzeichnen die Halbleiter einen Anteil von gut 0,5 % am Weltbruttoinlandsprodukt. Der Rest des Marktes für elektronische Bauelemente entfällt auf passive Bauelemente (unter anderem Kondensatoren und Widerstände) mit ca. 9 % des weltweiten Umsatzvolumens der Branche, elektromechanische Bauelemente (Steckverbindungen, Schalter, 5 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Sicherungen etc.) mit ungefähr 11 % Anteil sowie Leiterplatten / Schichtschaltungen mit rd. 14 % Anteil. Schaubild 2 Weltmarkt für elektronische Bauelemente Anteile nach Umsätzen in USD, 2007 Leiterplatten / Schichtschaltungen 14 % Elektromechanische Bauelemente 11 % Halbleiter 66 % Passive Bauelemente 9% Quellen: ZVEI, eigene Berechnungen. Unter den Halbleitern dominieren die integrierten Schaltungen (ICs), auf die mit 56 % ein Anteil am gesamten Marktvolumen für elektronische Bauelemente von etwas mehr als der Hälfte entfällt. Bei den ICs bilden Logikchips, Mikrochips und Speicherchips die bedeutendsten Produktgruppen, wie ein Blick auf Schaubild 3 verdeutlicht. Des Weiteren zählen auch Analogchips zu den ICs. Sie verarbeiten analoge Messund Sensorsignale und wandeln sie gegebenenfalls in digitale Informationen um. Zu den Halbleitern gehören ferner diskrete Bauelemente wie z.B. RF-Transistoren, optoelektronische Bauelemente, die unter anderem in Digital- und Handykameras zum Einsatz kommen, sowie Sensoren. Schaubild 3 Markt für Halbleiter-Bauelemente weltweit Anteile 2007 nach Umsätzen in USD Sensoren Optoelektronische Elemente 6,2% Diskrete Elemente 6,5% Analogchips 14,2% 2,0% Logikchips 25,9% 85,3% 21,9% Speicherchips Mikrochips 23,3% Quellen: WSTS, eigene Berechnungen. 6 ICs ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Die Marktanteile verschieben sich kontinuierlich hin zu den stark wachsenden Halbleitern. Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre dürfte deren weltweiter Marktanteil an allen elektronischen Bauelementen dadurch auf etwa 70 % anwachsen. Bei Mikroprozessoren verlagert sich der Schwerpunkt hin zur Sprach- und Bildverarbeitung. Elektromechanische Bauelemente erhalten Impulse von den höherwertigen Halbleitern, müssen sich aber stärker als bisher für individuelle Anwendungen eignen. Passive Bauelemente dürften nur mäßige Zuwachsraten verzeichnen. Immerhin werden sie von der schrittweisen UMTS-Verbreitung profitieren. Die größte Wachstumsdynamik entfaltet generell der Hochtechnologiebereich. Neue Speicherprodukte wie beispielsweise MRAMs, die die Daten auch nach dem Abschalten der Versorgungsspannung vorhalten, sind auf dem Vormarsch. Mit der kräftig steigenden Menge zu speichernder Daten sind die Aussichten selbst für herkömmliche Speicherchips im Allgemeinen günstig. Neuerungen auf den Gebieten der Nachrichtentechnik (z.B. multifunktionale Mobiltelefone), der Verkehrstechnik (leistungsstarke Navigationssysteme) oder der Automobilsicherheit gehören ebenfalls zu den Impulsgebern. In Deutschland kommt das gesamte Segment der Halbleiter nur noch auf einen Marktanteil von gut 63 % (vergleiche dazu Schaubild 4), also rund 3 %-Punkte weniger als in weltweiter Betrachtung. Im Kontrast zur globalen Entwicklung ist in Deutschland für die nächsten Jahre mit einer weiterhin leicht rückläufigen Anteilsentwicklung zu rechnen. Das hat mit der Nachfragestruktur in Deutschland zu tun: Wichtigster Abnehmer aller elektronischen Bauelemente ist nach ZVEI-Angaben der Bereich Kfz-Elektronik (38 %) vor der Datentechnik (21 ½ %), Industrie-Elektronik (19 ½ %) und der Telekommunikation (17 ½ %). Auf die Konsum- und Unterhaltungselektronik entfallen dagegen nur gerade einmal rd. 3 ½ %. Weltweit wichtigster Abnehmer für elektronische Bauelemente ist dagegen die Datentechnik (39 %) vor der Kommunikationstechnik (23 %; davon drahtlose Übertragung: 17 %) und der Konsumelektronik (21 %). Auf die Kfz-Elektronik entfallen 9 % und auf die IndustrieElektronik schließlich die restlichen 8 %. Schaubild 4 Markt für elektronische Bauelemente in Deutschland nach Produkten Anteile 2007 nach Umsätzen in EUR Leiterplatten / 11,7% Schichtschaltungen Elektromechanische Bauelemente 16,1% ICs* 50,8% Halbleiter insges. 63,2% Passive Bauelemente 9,0% Sensoren* 3,0% 9,4% Diskrete + optoelektr. Bauelemente* * Aufteilung Halbleiter = eigene Schätzung Quellen: ZVEI, eigene Berechnungen. 7 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 3. AKTUELLE MARKTLAGE: AUSSICHTEN VORÜBERGEHEND GEDÄMPFT Nach dem globalen Nachfrageeinbruch im Jahr 2001 war es 2002/2003 in der Branche zu einer Marktkonsolidierung gekommen, an die sich ab 2003/2004 ein rasantes Wachstum anschloss (siehe Schaubild 5). Der Aufwärtstrend dauert immer noch an, wobei allerdings stets in US-Dollar und nicht in Euro gerechnet wird. So kletterten die weltweiten Halbleiterumsätze nach Angaben von SIA (Semiconductor Industry Association) und WSTS (World Semiconductor Trade Statistics) auch im vergangenen Jahr wieder um gut 3 %. 2006 war sogar ein Zuwachs von über 9 % erreicht worden. Im laufenden Jahr zeichnet sich unserer Einschätzung nach ein weiteres Wachstum in der Größenordnung von 4 % ab, was sich im Wesentlichen auf die stark expandierende Nachfrage in Fernost stützt. Als Impulsgeber erweisen sich besonders Bauelemente, die in Notebooks, Mobiltelefonen, Digitalkameras, MP3Playern, Flachbildschirmen, digitalen Fernsehapparaten sowie in Navigations- und DVD-Geräten Verwendung finden; aber auch Produkte für die Kfz- und die Industrie-Elektronik werden weiterhin stark nachgefragt. Schaubild 5 Die globale Marktentwicklung der Halbleiterindustrie Jahresumsatz in Mrd. US-Dollar 350 290 300 250 213 204 200 144 150 102 100 51 55 60 132 166 149 137 227 248 256 267 139 141 126 77 50 2009* 2007 2008* 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 0 * eigene Prognose Quellen: SIA, WSTS, eigene Berechnungen. Ebenso wird der weltweite PC-Absatz auch in den nächsten Monaten anhaltend kräftig wachsen. 2007 hatte er sich nach Berechnungen von Gartner und IDC stückzahlmäßig erneut zweistellig, und zwar um rund 13 % erhöht. Trotz der schwachen US-Wirtschaft setzte sich das zweistellige Absatzplus auch im ersten Quartal des laufenden Jahres fort: Marktforscher IDC ermittelte dabei ein Wachstum von 14 ½ % und Gartner eines von knapp 12 ½ %. Impulse gehen von Asien, Süd- und Mittelamerika, aber auch von Europa aus, wo hauptsächlich die osteuropäischen Staaten einen hohen Nachholbedarf aufweisen. Besonders gefragt sind derzeit vor allem Notebooks, deren Preise beständig sinken. Generell profitiert die IT-Hardware von der steigenden Zahl an Internet-Nutzern sowie der zunehmenden Anschaffung von mobilen Zweit-PCs in den Industrieländern. Gleichzeitig lassen sich im Hinblick auf Produkte für die Telekommunikation sowohl beim Netzausrüstungsgeschäft als auch im Endkundensegment Absatzsteigerungen erwarten. Zuwächse versprechen vor diesem Hintergrund die Bereiche Analogchips 8 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 mit ihrem breiten Anwendungsspektrum, digitale Signalprozessoren für die drahtlose Kommunikation und optoelektronische Bauelemente für Digital- und Handykameras, nachdem sich diese Sparten laut WSTS im vergangenen Jahr überwiegend rückläufig entwickelt hatten. Merklich eingetrübt hat sich im Jahresverlauf 2007 der gesamte Bereich der Speicherchips. Hier ist erst im Jahresverlauf 2009 wieder mit einer Belebung zu rechnen. Im Gegensatz dazu werden die Sparten Mikrocontroller und -prozessoren sowie diskrete Elemente im laufenden Jahr noch deutlich wachsen, ehe sie dann 2009 spürbar an Umsatzdynamik einbüßen dürften. Bei den Prozessoren wird sich die Nachfrage dabei immer mehr zu den Multi-Kern-Halbleitern verlagern, die den relativen Stromverbrauch spürbar reduzieren. Parallel zur boomenden Weltkonjunktur erhöhte sich auch der EU-Output an elektronischen Bauelementen: 2004 stieg er um 11 %, 2005 um 8 %, 2006 sogar um 25 % und 2007 dann um weitere 17 ½ %. Vor allem die gute Konjunktur in Deutschland diente als europaweiter Wachstumsmotor; die anderen großen EU-Mitgliedsländer Großbritannien, Frankreich und Italien verzeichneten dagegen im Mittel der Jahre 2004 bis 2007 kaum Zuwächse oder aber Rückgänge. Letzteres betrifft vorrangig Italien, wo der Branchenoutput im genannten Zeitraum um ca. 5 % pro Jahr nachgab. Im vergangenen Jahr reduzierte sich der Output in Italien sogar um 15 %, aber auch in Großbritannien (- 4 ½ %) und in Frankreich (- ½ %) nahm er ab. 2007 erhöhte sich die Nachfrage nach elektronischen Bauelementen bei den deutschen Anbietern um real 22 %. Die Impulse gingen dabei sowohl vom Inlandsgeschäft (+ 27 %) als auch vom Auslandsgeschäft (+ 20 %) aus. Trotz dieser generell günstigen mengenmäßigen Nachfragesituation sind die Geschäftsperspektiven im deutschen Halbleitermarkt als gedämpft anzusehen, da bei der Betrachtung des reinen Mengengeschäfts zum einen die Preisentwicklung ausgeblendet wird, zum anderen aber auch Qualitätssteigerungen infolge des technischen Fortschritts den Zuwachs statistisch überzeichnen. So unterschreitet das hiesige Book-to-Bill-Ratio im Halbleitersegment, das das Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz wiedergibt und dadurch einen guten Indikator für den mittelfristigen Trendverlauf liefert, derSchaubild 6 Book-to-Bill-Ratio der Halbleiter-Industrie in Deutschland Angabe März 2008 vorläufig 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 Au 7 6 5 4 3 1 2 8 6 6 7 7 5 5 4 4 3 3 2 2 7 6 5 4 3 2 1 g 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 ai 0 ug 0 ov 0 eb 0 M A N F F M A N F M A N F A N F F M M A N F M A N N Quelle: ZVEI. 9 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 zeit leicht die kritische Marke von 1,0 (vgl. Schaubild 6). Im Dezember 2007 und im Januar 2008 waren noch Werte von über 1,0 erreicht worden, in den Monaten davor hatte das Book-to-Bill-Ratio allerdings bereits fast immer unter dem kritischen Schwellenwert gelegen. Hierin spiegelt sich ein rückläufiger Nachfragetrend bei den Halbleiterproduzenten wider, zu dem nicht zuletzt auch die Insolvenz von BenQ Mobile beigetragen hat. Durch die kontinuierliche Erosion der Absatzpreise entwickeln sich die wertmäßigen Umsatzzahlen – wie zu erwarten – deutlich schwächer als reale Produktion und mengenmäßige Auftragseingänge. Laut Statistischem Bundesamt stieg der Branchenumsatz in Deutschland 2007 lediglich um knapp 5 %, in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres ging er dann um kumuliert 5 ½ % zurück. Im Halbleitersegment gab der Umsatz gemäß ZVEI-Angaben hierzulande im ersten Quartal 2008 sogar um 12 % nach. Hauptursache für die Erlösminderung in Deutschland ist ein kräftiger Einbruch im Auslandsgeschäft, während der Inlandsabsatz weiterhin spürbar im Plus liegt. Vor allem in den USA hat sich das Geschäft mit elektronischen Bauelementen eingetrübt. Der stetig nachgebende US-Dollar-Kurs hat die negative Entwicklung beim Auslandsumsatz noch verschärft. Hoffnungen auf eine baldige Umsatzerholung deutscher Unternehmen besonders im Halbleitermarkt scheinen derzeit verfrüht. Diese Marktschwäche spiegelt sich auch im Geschäftsklima der deutschen Hersteller von elektronischen Bauelementen wider: Seit Mitte des Jahres 2007 gab der Stimmungsindikator spürbar nach. Inzwischen lässt sich gemäß Schaubild 7 nur noch eine moderat optimistische Grundstimmung ausmachen, nachdem in den vorangegangenen zwei Jahren die Optimisten gegenüber den Pessimisten eindeutig die Oberhand behalten hatten. Schaubild 7 Geschäftsklima bei den deutschen Herstellern elektronischer Bauelemente Diffusionsindex 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 -60 Quelle: ifo-Institut. Summa summarum sind die Aussichten der Branche für die nächsten Monate in Europa als merklich gedämpft einzuschätzen. Insgesamt erwarten wir in Deutschland – ähnlich wie in der EU – zwar einen realen Produktionsanstieg in der Größenordnung von 15 % im laufenden Jahr und von 10 % im kommenden Jahr, doch die 10 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Umsätze dürften sowohl 2008 als auch 2009 in Deutschland genauso wie in der EU kaum steigen. Günstiger als bei den Halbleitern sind die Aussichten bei den Herstellern passiver sowie elektromechanischer Bauelemente, die 2008 aufgrund von Nachfrageimpulsen aus dem inländischen Maschinen- und Automobilbau um gut 2 % zulegen sollten. Charakteristisch für die Branche bleibt damit, dass einzelne Sparten durchaus positiv verlaufen, während andere Bereiche drastische Umsatzeinbrüche verkraften müssen. Die Herstellung elektronischer Bauelemente leidet nach wie vor darunter, dass der Aufschwung der sogenannten „New Economy“ zu Überkapazitäten geführt hat, die auf internationaler Ebene immer noch vorhanden sind. Auch die Erwartung steigender Umsätze im Zuge der Einführung des neuen Betriebssystems Vista von Microsoft führte zu einer Ausweitung des Produktionspotenzials; die darauf gesetzten Hoffnungen haben sich bislang allerdings nicht erfüllt. Selbst immense Nachfragesteigerungen in Teilbereichen führen zu keiner Vollauslastung der Branchenkapazitäten, da sich eine anderweitige Nutzung der Fertigungspotenziale wegen der enormen Technologieunterschiede zwischen den einzelnen Produktkategorien nicht bewerkstelligen lässt. Weltweit stärkste Wachstumsregion bleibt in den nächsten Monaten Asien. Dort dürfte der Branchenumsatz weiterhin im zweistelligen Prozentbereich expandieren. Die derzeitige Marktschwäche insbesondere bei den Halbleitern wird allerdings am geplanten globalen Investitionsvolumen der Hersteller nicht spurlos vorübergehen: Im Halbleitersegment rechnen die Marktforscher von Gartner in diesem Jahr mit einem Rückgang um fast zehn Prozent auf nur noch gut 40 Mrd. Dollar. 4. DER LANGFRISTIGE WACHSTUMSTREND HÄLT UNVERMINDERT AN Aufgrund der Erschließung immer neuer Anwendungen verläuft der Langfristtrend für die Produzenten elektronischer Bauelemente weiter klar positiv. Die Segmente der Informations- und Kommunikationstechnologie sind immer mehr zu Schlüsselindustrien für alle hochentwickelten Länder geworden. Gerade auch die steigenden Leistungsanforderungen im Mobilfunk erzeugen erhebliche Nachfrageimpulse. Hinzu kommen zwei Basistrends, von denen die Branche profitiert: Zum einen die voranschreitende Digitalisierung ehemals analoger Geräte und zum anderen die umfassende Elektronisierung vormals mechanisch ausgeführter Prozesse. Gestützt wird diese Entwicklung von der Vereinheitlichung der Informations- und Kommunikationsmärkte. Inzwischen hat die Mikrosystemtechnik dadurch in nahezu allen wichtigen Lebensbereichen Einzug gehalten. Dazu zählen der Berufsalltag und der private Haushalt, der Verkehrs- und der Unterhaltungssektor ebenso wie der Gesundheitsbereich. Heutzutage wird zum Beispiel in nahezu jedes Autos umfangreiche Sicherheitselektronik eingebaut. Hinzu kommen Neuerungen auf dem Gebiet der Verkehrstechnik, vorrangig Verkehrsleit- und Navigationssysteme, die sich in den nächsten Jahren zu einem Massengut entwickeln werden. Welche Verwendungsmöglichkeiten sich für Halbleiter zukünftig bieten, lässt sich heute angesichts der enormen Dynamik im Technologiebereich und der sich daraufhin ständig ausweitenden Einsatzfelder nur erahnen. Vor allem ein Entwicklungsprozess dürfte sich als unaufhaltsam erweisen: das Voranschreiten der Nanotechnik in vier verschiedenen Entwicklungsphasen mit zunehmender Miniaturisierung aller erdenklichen Bauteile (vergleiche dazu Schaubild 8). Dadurch wird die generelle 11 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Automatisierung der Fertigung zu einem Muss, was wiederum die Nachfrage nach elektronischen Bauteilen stärkt. Die OECD vertritt die Auffassung, dass Robotik und Automation die maßgeblichen Fertigungsmethoden des 21. Jahrhunderts sein werden. Beschleunigt wird dieser Prozess sowohl von der anhaltenden Industrialisierung vieler Entwicklungsländer als auch durch den weiter wachsenden Rationalisierungszwang aufgrund eines verschärften globalen Wettbewerbs. Schaubild 8 Entwicklungsphasen der Nanotechnologie 1. Phase (abgeschlossen): Passive Nutzung mit vereinzeltem Einsatz in hochtechnologischen Nischen im Luft- und Raumfahrzeugbau, in der Automobilindustrie oder teilweise auch schon bei bestimmten Alltagsprodukten (wie schmutzabweisenden Textilien, sich selbst reinigenden Farben und Lacken) 2. Phase (heute): Zunehmende Verbreitung aktiver Nanostrukturen in Form von Mikroprozessoren und Speicherchips; allmähliche Erschließung der Massenmärkte ITK-Hardware und Unterhaltungselektronik 3. Phase (ab ca. 2015): Gestaltung von ganzen Systemen in Nanotechnik mit alltäglicher Verwendung in den unterschiedlichsten Industrie- und Konsumgütern (wie bei verkapselten Medikamenten, Hochleistungsbatterien, funktionellen Lebensmitteln und in der Photovoltaik) 4. Phase (ab ca. 2025): Konstruktion sich selbst aufbauender Nanosysteme, die sich ähnlich wie menschliche Zellen zu einem übergeordneten Ganzen organisieren, um bestimmte Produkte (wie z.B. menschliches Insulin) zu erzeugen + Konstruktion von Nanorobotern, die als autonome Kleinstmaschinen eigenständig neue Mikrobauteile fertigen oder im menschlichen Organismus eigenständig Krankheitsherde bekämpfen können Elektronische Bausteine in der Größenordnung von Nanometern weisen einige spezifische Besonderheiten auf. Dazu zählt, dass sie wegen ihrer vergleichsweise großen Oberfläche im Verhältnis zu ihrer Masse chemisch wesentlich reaktionsfreudiger als Partikel größerer Abmessungen sind. Das ließe sich zum Beispiel für erheblich leistungsfähigere Batterien und Akkus nutzen. Darüber hinaus werden bei Abmessungen unter 50 nm Quanteneffekte statt der klassischen physikalischen Gesetze wirksam. Das führt zu völlig neuen optischen, elektrischen und magnetischen Schaubild 9 Wichtigste weltweite Anwendungsbereiche von Nanotechnologie in zehn Jahren Angaben in Prozentanteilen Neue Materialien 35% Elektronische Bauelemente 30% Pharmazie 20% Chemie 10% Luftfahrt 5% Quelle: US National Science Foundation. 12 Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Eigenschaften, die sich zum Beispiel für die „abhörsichere“ Codierung von sensiblen Daten nutzen lassen. Schließlich können nun unterschiedlichste Anwendungen in nur noch einem einzigen Baustein integriert werden, sodass sich zum Beispiel ein ganzes medizinisches Analyselabor auf lediglich einem einzigen winzigen Chip unterbringen lässt. Schaubild 9 liefert in diesem Zusammenhang einen Überblick über die weltweit wichtigsten Anwendungsbereiche, wie sie sich aller Voraussicht nach in zehn Jahren darstellen werden. In der Industrie geht der Trend unweigerlich hin zur Just-in-time Fertigung hoher Stückzahlen, wobei die produzierten Massengüter jedoch statt eines uniformen Charakters ein ganz individuelles Design haben müssen; denn nur durch die Individualisierung der Produkte lässt sich der Automatismus immer kürzerer Produktlebenszyklen, der dem wachsenden Innovationstempo entspringt, wirksam durchbrechen. Besonders in der Konsumgüterindustrie – betroffen sind hier unter anderem die Unterhaltungselektronik und die Hardwarebereiche der Informationstechnik sowie der Telekommunikation – erweist sich ein häufiger Produkt- bzw. Modellwechsel als essenzielle Frage des Überlebens. Während eine Fertigungsanlage eine Lebensdauer von 10 bis 20 Jahren aufweist, liegt die Innovationsrate ihrer Systemkomponenten bei gerade einmal 2 Jahren. Hier leistet die vollständige Digitalisierung der Fertigungsprozesse in immer mehr Branchen hervorragende Dienste, denn dadurch werden ausgesprochen flexibel handhabbare Anlagen erst möglich. Insbesondere der Einsatz von Multifunktionswerkzeugen, die Möglichkeit vorgeschalteter Simulationen und die Verwendung standardisierter Module bedeuten einen Wettbewerbsvorsprung. Auch das Verfahren der hybriden Montage, die beispielsweise in der Handy-Produktion Verwendung findet und auf das Nebeneinander von Automatisierung und manueller Fertigung setzt, gewinnt an Bedeutung. Als zentraler Anwendungsbereich rückt vor allem die Qualitätskontrolle in den Fokus von betriebsseitigen Kostensenkungskalkülen. Damit dürften besonders die Sensorik und die industrielle Bildverarbeitung zu den künftigen Wachstumsmotoren gehören. Gerade in diesen Segmenten der Prozessperipherie haben sich die Anwendungsmöglichkeiten mit der kontinuierlichen Fortentwicklung der Mikroelektronik in den letzten Jahren spürbar verbessert, sodass man den ständig steigenden Anforderungen an die Qualität der Produkte mit dem Endziel „Null-Fehler-Produktion“ immer näher kommt. Dass diesem Ziel eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt, erkennt man an Beispielen wie der Airbag-Fertigung oder Life Support Systemen aus der Medizintechnik. Vor diesem technologischen Hintergrund entsteht ein sich selbst verstärkender Aufschwung für den Markt elektronischer Bauelemente. In langfristiger Betrachtung ist ein weitgehender Gleichlauf zwischen dem globalen Halbleitermarkt und der Entwicklung des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) feststellbar, wie Schaubild 10 eindrucksvoll belegt. Rein rechnerisch beläuft sich das Zusammenhangsmaß (Korrelationskoeffizient) über einen Zeitraum von 21 Jahren auf immerhin 50 %. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass für ein Wachstum des Halbleitermarkts im Mittel ein weltweites BIP-Wachstum von wenigstens rund 2 % erforderlich ist. Da das weltweite BIP in den vergangenen 21 Jahren um durchschnittlich 3,4 % pro Jahr expandierte, wuchs auch der Halbleitermarkt kräftig, und zwar um jahresdurchschnittlich 13,4 %. 13 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Schaubild 10 Der globale Halbleitermarkt folgt weitgehend dem weltweiten Konjunkturverlauf Jährliche Veränderungsraten auf US-Dollar-Basis % 5,0 % 50 4,5 40 4,0 30 3,5 20 3,0 10 2,5 0 2,0 -10 weltweites BIP (linke Achse) 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 -40 1989 0,5 1988 -30 1987 -20 1,0 1986 1,5 globaler Halbleitermarkt (rechte Achse) Quelle: IC Insights. Unterstellt man ein fortgesetztes Wachstum der Weltwirtschaft in den nächsten Jahren um wenigstens 3 % p.a., so sollte auch der Halbleitermarkt und mit ihm der gesamte Markt für elektronische Bauelemente weiter spürbar zulegen können. Langfristig sehen wir deshalb das jährliche Produktionswachstum der Branche in der Größenordnung von real über 10 % liegen. Hierzulande war im Zeitraum von 1996 bis einschließlich 2007 sogar ein jahresdurchschnittliches Wachstum der Nettoproduktion in Höhe von fast 19 % zu verzeichnen. Im Vergleich dazu wuchsen im selben Zeitraum die Elektrotechnik insgesamt (6 ½ % p.a.) und das Verarbeitende Gewerbe (gut 3 % p.a.) nur im ‚Schneckentempo‘. Allerdings wird der Branchenzuwachs durch die Einbeziehung von technischem Fortschritt und von Qualitätssteigerungen bei den erzeugten Produkten (z.B. zunehmende Prozessorkapazitäten und schnellere Verarbeitungsgeschwindigkeiten) überzeichnet. Grund hierfür ist die hedonische Preismessung, bei der auch die Qualitätseigenschaften eines Gutes berücksichtigt werden. Beispiel: Hat sich die Verarbeitungsgeschwindigkeit eines PC-Prozessors innerhalb eines Jahres erhöht, während die Verkaufspreise konstant geblieben sind, weist die Verbraucherpreisstatistik cet. par. einen Preisrückgang aus. Bei den Wachstums- und Produktivitätszahlen ergibt sich dagegen ein entsprechender Zuwachs. Ein Blick auf die wertmäßige Umsatzentwicklung bestätigt aber die überdurchschnittliche Branchenentwicklung hierzulande: Im Durchschnitt der Jahre 1996 bis 2007 expandierte die Herstellung elektronischer Bauelemente mit immer noch 16 % p.a. deutlich stärker als die Elektrotechnik und das Verarbeitende Gewerbe mit jeweils rd. 4 ½ % p.a. Spürbare Wachstumschancen ergeben sich nicht nur aus dem positiven Langfristtrend in den hochtechnologisierten Industriestaaten: Einen stürmischen wirtschaftlichen wie technologischen Entwicklungssprung verspricht unter den aufstrebenden außereuropäischen Märkten speziell China. Der außerordentlich hohe Nachholbedarf in den Bereichen Kommunikation, Datenverarbeitung, Konsum- und Industrie-Elektronik wird das Reich der Mitte in den nächsten Jahren zu einem der größten Märkte für Mikroelektronik heranreifen lassen. China wird damit über kurz oder lang den USA die Vormachtstellung auf den weltweiten Halbleitermärkten streitig machen. Hersteller von elektronischen Bauelementen, die auf diesem Markt Fuß fassen und 14 Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH ihren Technik-Standard durchsetzen können, verfügen über sehr günstige Zukunftsperspektiven. Schon jetzt gehört ein Standort wie Shanghai zu den größten Halbleiterproduktionszentren der Welt. Indien dagegen dürfte sich im Hardware-Sektor weit weniger Entwicklungspotenzial erschließen können, als dies bei der Software gelungen ist. 5. MITUNTER EXTREM STARKE KONJUNKTURZYKLEN FÜHREN AUF ANBIETERSEITE ZU HOHEN GESCHÄFTSRISIKEN Der stabile Wachstumstrend bei der Herstellung elektronischer Bauelemente wird allerdings auch weiterhin von ausgeprägten Konjunkturzyklen überlagert werden, die von den Halbleitern ausgehen. Historisch gesehen weisen die Zyklen im Regelfall eine Länge von wenigstens 3 bis hin zu 6 Jahren auf. Die Ursache für die außergewöhnlich hohe Branchenzyklizität ist neben stark schwankenden Lagerbestandsdispositionen der Abnehmer insbesondere die sprunghafte Angebotsanpassung aufgrund technologischer Gegebenheiten. So dauert es mindestens ein bis zwei Jahre, um die vorhandenen Produktionskapazitäten dem aktuellen Bedarf anzupassen. Ändert sich dieser Bedarf in der Zwischenzeit wieder, entstehen zusätzliche Verwerfungen. Ein weiterer Grund für die hohe Zyklizität ist der zunehmende Gleichlauf der nationalen Wirtschaftskonjunkturen, sodass eine Kompensation extremer Entwicklungen mittels regionaler Geschäftsdiversifizierung immer problematischer wird. Symptomatisch ist dabei, dass Absatzmenge und Verkaufspreis bei den aktiven Bauelementen gleichermaßen stark auf Nachfrageschwankungen reagieren und sich weitgehend parallel entwickeln, bei Nachfragerückgängen also beide deutlich nachgeben. Verstärkt wird dieser Effekt durch den harten Wettbewerb, den sich große internationale Computerfirmen untereinander liefern. Der letzte Aufwärtstrend erwies sich als ausgesprochen robust, doch deshalb auf ein Ende der zum Teil extremen Umsatzschwankungen zu hoffen, wäre verfrüht. Denn die hohe Technologiedynamik, die besonders von der weltweiten Datentechnik ausgeht, besteht nach wie vor. Dieser Bereich wird in starkem Maße von Ersatzzyklen bei der Unternehmenshardware und durch das Zusammenspiel von Hardwarekonfigurationen und Kapazitätserfordernissen neuer Betriebs- und Anwendungssoftware geprägt. Andere Abnehmerbereiche weisen demgegenüber eine weitaus geringere Zyklik auf, sodass sich das Geschäft vor allem mit elektromechanischen Bauelemente sowie Leiterplatten als vergleichsweise stabil erweist. Da deutsche Anbieter in weniger zyklischen Abnehmersegmenten wie z.B. dem Automobilbau oder der Industrie-Elektronik über höhere Marktanteile verfügen, erweisen sich die Geschäftsperspektiven hierzulande im Vergleich zur globalen Entwicklung als stabiler. Die genannten Abnehmer steigern ihre Bestellungen zwar nur vergleichsweise moderat, dafür aber mehr oder weniger kontinuierlich. Hinzu kommt, dass die deutschen Telekommunikationsunternehmen wieder mehr investieren: Der UMTS-Netzausbau erfolgt jetzt mehr und mehr in der Fläche, der Bedarf an Mobiltelefonen der dritten Generation mit schnellen Internetanbindungen nimmt zu. Der Branchenverband BITKOM rechnet bei der deutschen Telekommunikationsinfrastruktur 2008 mit einem Anstieg des Marktvolumens um beinahe 2 %, 2009 sogar um gut 3 %. Ein weitaus höheres Risiko als die Umsatzschwankungen aufgrund der Technologiedynamik stellt für deutsche Unternehmen, die elektronische Bauelemente fertigen, 15 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 die starke Abhängigkeit von Exporten in den US-Dollar-Raum dar. So beläuft sich der Anteil der deutschen Exportumsätze an den Gesamtumsätzen inzwischen auf 70 %, von denen wiederum mehr als drei Viertel auf den Nicht-Euro-Raum entfallen. Angesichts des anhaltend hohen Euro-Kurses gegenüber dem US-Dollar muss dadurch für das deutsche Exportgeschäft mittelfristig mit einer unter Umständen empfindlichen Eintrübung der Nachfrage und einer merklichen Margenverschlechterung gerechnet werden. 6. VERDRÄNGUNGSWETTBEWERB: AUF DEN MASSENMÄRKTEN WERDEN NUR DIE GROSSEN ÜBERLEBEN Bedeutendster Anbieter von elektronischen Bauelementen sind die USA mit der Firma Intel wegen ihres Vorsprungs bei den Logikchips. In diesem Segment kommt nur noch dem US-Wettbewerber AMD eine gewisse Bedeutung zu. Den Weltmarkt für Halbleiter dominieren trotzdem die Länder Südostasiens mit einem Anteil von 47 %; denn auf den Volumenmärkten für Speicherchips prägen inzwischen mit Marktführer Samsung sowie Hynix zwei südkoreanische Großkonzerne das Marktgeschehen. Die USA und Japan haben in diesem Segment stark an Bedeutung eingebüßt: Der größte US-amerikanische Speicherchip-Hersteller Micron rangiert hier hinter Qimonda aus Deutschland inzwischen nur noch auf Platz 4, das größte japanische Unternehmen Elpida sogar lediglich auf Platz 5 (siehe hierzu Schaubild 11 und im Folgenden die Tabelle 1). Schaubild 11 Auswahl bedeutender Hersteller in den beiden wichtigsten Chip-Sparten (in Klammern: jeweilige Marktanteile 2007) Halbleiter Logikchips Intel (80%) AMD (13%) Speicherchips Samsung (29%) Hynix (17%) Qimonda (16%) Micron (11%) Elpida (10%) Quellen: Gartner, FAZ, ComputerBase, eigene Recherche. Auf Platz 3 der Liste der weltweit größten Halbleiterhersteller hinter Intel und Samsung ist im vergangenen Jahr Toshiba aus Japan vorgerückt. Das US-Unternehmen Texas Instruments, das sich als weltgrößter Hersteller von Mikrochips für Handys erweist, ist dagegen auf Platz 4 zurückgefallen. Danach folgen die beiden europäischen Unternehmen Infineon (zusammen mit seiner abgespalteten Speicherchip-Tochter Qimonda) sowie STMicroelectronis (F/I) auf den Rängen 5 und 6. Gegenüber 2006 haben Infineon und STMicroelectronics ihre Plätze getauscht. Auf Platz 7 steht mit TSMC aus Taiwan bereits ein reiner Auftragsfertiger. Das japanische Gemeinschaftsunternehmen Renesas, ein Zusammenschluss aus Hitachi und Mitsubishi, büßte gegenüber dem Vorjahr einen weiteren Rang ein und fand sich dadurch 2007 hinter Hynix auf Platz 9 wieder. Vor der Zusammenlegung beider Unternehmen hatten 16 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 diese mit einem aggregierten Marktanteil von rd. 5 % im Jahr 2001 rein rechnerisch noch den zweiten Rang 2 belegt. Auf Platz 10 schließlich rangiert der japanische Konzern Sony, der schwerpunktmäßig eher in der Unterhaltungselektronik angesiedelt ist. Tabelle 1 Die Halbleiter-Marktanteile der weltweit 16 größten Produzenten, gemessen am 2007 erzielten US-Dollar-Umsatz (in Klammern: Rang im Jahr 2001) Rang Unternehmen Marktanteil 1. ( 1.) Intel (USA) 12,4 % 2. ( 4.) Samsung Electronics (KOR) 7,5 % 3. ( 2.) Toshiba (J) 4,6 % 4. ( 5.) Texas Instruments (USA) 4,4 % 5. ( 9.) Infineon Technologies (inkl. Qimonda) (D) 3,7 % 6. ( 3.) STMicroelectronics (F/I) 3,7 % 7. (–) TSMC (TW) 3,6 % 8. (19.) Hynix (KOR) 3,5 % 9. (8. + 11.) Renesas Technology (ehemals Hitachi und Mitsubishi) (J) 3,0 % 10. (17.) Sony (J) 3,0 % 11. (10.) NXP (ehemals Philips Semiconductors) (NL) 2,2 % 12. (12.) AMD (USA) 2,1 % 13. (–) Qualcomm (USA) 2,1 % 14. ( 6.) NEC Electronics (J) 2,1 % 15. ( 7.) Freescale (ehemals Motorola) (USA) 2,0 % 16. (18.) Micron (USA) 1,8 % Summe Top 16 61,7 % Legende: „–“ = 2001 nicht unter den Top 20 Quellen: iSuppli, IC Insights, Gartner, eigene Berechnungen. Bedeutende europäische Branchenanbieter sind neben den bereits erwähnten Unternehmen STMicroelectronics und Infineon nebst der ausgegliederten SpeicherchipSparte Qimonda auch die aus der früheren Halbleiter-Sparte von Philips hervorgegangene NXP sowie Epcos. Generell verfügen europäische Anbieter vor allem in den Wachstumsmärkten für Telekommunikationselektronik, bei Smartcards mit integriertem Mikrocontroller und bei elektromechanischen Bauelementen über eine starke Wettbewerbsposition. Auch Deutschland weist weniger im Hightech-Bereich der aktiven Bauelemente als vielmehr bei den passiven und besonders den elektromechanischen Bauelementen eine bedeutende Wettbewerbsposition auf. 17 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Das Wettbewerbsverhalten ist ausgesprochen aggressiv. Extrem hohe Investitionskosten und der Wissensvorsprung der etablierten Anbieter sorgen für abgeschottete Märkte. Im Segment der Flash-Speicherchips werden beispielsweise rund 90 % des weltweiten Marktes allein von den drei großen Anbietern Samsung, Toshiba und Hynix abgedeckt. Aufgrund der rasanten technologischen Neuerungen ist das Fehlinvestitionsrisiko in der Branche hoch. Hinzu kommt ein permanenter Preisverfall, der durch das hohe Innovationstempo und kurze Produktlebenszyklen verstärkt wird. Kontinuierliche Produktivitätssteigerungen, wie sie z.B. durch die Umstellung von der 200-mm- auf die 300-mm-Wafer-Technologie oder durch Produktionsauslagerungen in kostengünstige Länder ermöglicht worden sind, erweisen sich als eine wesentliche Voraussetzung, um am Markt erfolgreich zu sein. Parallel dazu gewinnt der Fremdbezug von einfacheren Massenprodukten weiter an Bedeutung, um so weniger eigenes Kapital in Fertigungskapazitäten binden zu müssen. An die Stelle der Eigenfertigung tritt damit die (lizenzierte) Fremdfertigung in sogenannten Foundries. Nahezu alle dieser Auftragsfertiger kommen aus Asien und wurden meist mit großzügiger staatlicher Hilfe aufgebaut. Zu den Foundries zählt insbesondere das bereits erwähnte Schwergewicht TSMC aus Taiwan, das sich wegen überdurchschnittlicher Umsatzzuwächse in den vergangenen Jahren unter die 10 weltgrößten Halbleiterhersteller vorgearbeitet hat (vergleiche Tabelle 1). Auch unter den Foundries ist der Verdrängungswettbewerb sehr hoch: Der chinesische Auftragsfertiger SMIC beispielsweise hat sich zur Aufgabe der verlustreichen DRAM-Produktion durchgerungen und will sich fortan auf die Herstellung von Logik- und Analogchips konzentrieren. Wer am Markt bestehen will, muss nicht nur beim Preis mithalten können, sondern auch eine breite Produktpalette mit Komplettlösungen anbieten. Das Systemdesign und die Entwicklung kundenspezifischer Halbleiterlösungen, so genannter ASICs (Application Specific Integrated Circuits), gewinnen dabei immer mehr an Gewicht. Vor diesem Hintergrund können sich in der Regel nur Großkonzerne im Segment der Hochtechnologie behaupten. Statt auf Fusionen und Übernahmen setzt die Branche bislang hauptsächlich auf Kooperationen, meist in Form von Joint Ventures. Ein weiterer Trend besteht darin, dass sich die meisten Halbleiterproduzenten auf bestimmte Nischensegmente zurückziehen und andere Geschäftsbereiche – darunter vor allem das sehr kapitalintensive und stark zyklische Speichergeschäft – abstoßen. Als Aufkäufer treten dabei in letzter Zeit vermehrt Private-Equity-Investoren auf. So übernahm Mitte September 2006 eine vierköpfige Investorengruppe unter Führung von Blackstone den Motorola-Spinoff Freescale; die ehemalige Philips-Speichersparte NXP war kurz zuvor im August 2006 von einem Konsortium aus fünf Beteiligungsgesellschaften (darunter KKR) aufgekauft worden. Die Branche befindet sich in einem anhaltenden Konsolidierungs- und Umwälzungsprozess mit Spartenverkäufen und ständig wechselnden Kooperationen. In den nächsten zehn Jahren dürfte sich die Zahl der Marktteilnehmer um schätzungsweise ein Drittel reduzieren. Diese Konsolidierung ist längst überfällig, denn selbst in der Baisse der Jahre 2001 und 2002 hatte keine Marktbereinigung stattgefunden. Damals war z.B. der hochverschuldete koreanische Speicherchip-Hersteller Hynix mit staatlicher Hilfe vor dem Zusammenbruch gerettet worden. Selbst im Hinblick auf den Marktanteil der 16 größten Halbleiterproduzenten ist derzeit gegenüber 2001 keine signifikante Änderung festzustellen: Er liegt weiterhin bei gut 60 %. Als potenzielle 18 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Übernahmekandidaten gelten derzeit unter anderem die Speicherchipsparte von STMicroelectronics sowie Qimonda. In Deutschland hat sich dagegen die Marktkonzentration in den letzten Jahren spürbar erhöht. So erreichen die 20 größten Hersteller der Branche mit mindestens 250 Mill. EUR Jahresumsatz aktuell einen Umsatzanteil von 77 % – im Jahr 2000 waren es erst 65 % gewesen. Über die Umsatzschwelle von 25 Mill. EUR kommen zwar nur 6 % aller Hersteller von elektronischen Bauelementen, sie vereinen dafür aber bereits 92 % des Marktvolumens auf sich. Auf der anderen Seite beläuft sich der Umsatzanteil der Branchenunternehmen mit höchstens 250.000 EUR Jahresumsatz – das sind 38 % aller gut 2.700 umsatzsteuerpflichtigen deutschen Unternehmen der Branche – auf lediglich 1,5 Promille. Dennoch fällt der Konzentrationsgrad unter den deutschen Herstellern von elektronischen Bauelementen spürbar niedriger aus als in vielen anderen Ländern; denn Schwerpunkte der deutschen Branchentätigkeit sind, wie bereits erwähnt, eher die passiven und die elektromechanischen Bauele-mente als die zu den aktiven Produkten zählenden Halbleiter. Weil die Marktvolumina in den beiden erstgenannten Sparten für Großanbieter häufig unrentabel sind, bedient eine Reihe kleinerer mittelständischer Unternehmen einzelne Nischensegmente. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft kaum etwas ändern; denn die multinationalen Konzerne sind längst dazu übergegangen, sich von ihren Randaktivitäten zu trennen. Allerdings steigt der Zwang zur Verflechtung mit den Anwendern weiter, so dass auch bei uns Kooperationen und Übernahmen an der Tagesordnung bleiben dürften. Durch die stärkere mittelständische Branchenstrukturierung und die schwache Positionierung in den aktiven Produktsegmenten belegt Deutschland mit einem Weltexportanteil von schätzungsweise 5 % hinter den USA, Südkorea, Japan und zahlreichen weiteren Ländern aus Fernost wie Singapur, Taiwan oder China nur einen hinteren Rang. Weitaus besser als bei der Fertigung schneidet der Standort Deutschland im Hinblick auf Forschung und Design ab. 7. IM MOMENT ERWEISEN SICH EINZELNE BRANCHENSPARTEN ALS DEFIZITÄR Die deutschen Anbieter waren in der Vergangenheit im Branchendurchschnitt stets nur unterproportional von den zyklisch auftretenden Umsatz- und Margeneinbrüchen der Halbleiterindustrie betroffen, da sie sich verstärkt auf Nischensegmente zurückgezogen haben. Dafür können sie aber auch entsprechend weniger von den Hochphasen in den Halbleitersparten profitieren: Am Nachfrageboom nach Chips insbesondere für Handys, LCD-Fernseher, Digitalkameras und DVD-Player im Zeitraum von 2004 bis 2007 partizipierten weniger die deutschen Hersteller als vielmehr die US-amerikanischen und die asiatischen Mitbewerber. Letztere waren zum Teil kaum noch mit der Lieferung von Chips nachgekommen. Durch ihre mittelständische Struktur verbuchen die meisten deutschen Hersteller von elektronischen Bauelementen zwar geringere Ertragsschwankungen als die Weltmarktführer, aber auch sie können sich dem extrem zyklischen Marktverlauf nicht entziehen: Laut der amtlichen Kostenstrukturstatistik betrug die Umsatzrendite deutscher Unternehmen der Branche 2005 lediglich - 0,3 % und fiel damit negativ aus. Gegenüber dem Jahr 2004, als noch ein Plus von 4 ½ % erreicht worden war, 19 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 hatte sich die Ertragslage damit spürbar verschlechtert. Diese negative Entwicklung sieht allerdings weit weniger dramatisch aus, wenn man bedenkt, dass die Umsatzrendite der Branche in den Jahren 2003 (- 3 ½ %), 2002 (- 7 %) und 2001 (- 6 %) noch weitaus stärker im Negativbereich gelegen hatte. Die letzte positive Rendite vor 2004 war im Jahr 2000 mit beinahe + 8 % erzielt worden. Insbesondere die hohe Zyklizität bei Speicherchips verursacht längere Schwächeperioden, die sich regelmäßig mit nur kurzen Boomphasen ablösen. In den Jahren 2006 und auch 2007 hat sich die Ertragslage von Herstellern elektronischer Bauelemente hierzulande wieder verbessert. So konnten die mengenmäßigen Umsätze 2006 um 33 ½ % gesteigert werden, 2007 schloss sich dann ein Plus von 17 % an. Die Umsatzrendite deutscher Unternehmen der Branche stieg 2006 dadurch auf gut + 1 %. Gedämpft wurde der Aufschwung jedoch vom enormen Preisdruck. Als Folge davon gaben die Erzeugerpreise in der Branche 2006 um 13 % und 2007 erneut um 12 % nach. Unter anderem führte der Preiskampf um Marktanteile zwischen Intel und AMD zu drastischen Preiseinbrüchen bei PC-Mikroprozessoren. Dazu trug bei, dass Intel parallel zur Einführung seiner neuen Dual-Core-Chip-Generation ab Mitte 2006 die auslaufenden Vorgängermodelle zu Niedrigpreisen auf den Markt warf. Die Preise für Flash-Speicherchips, die ihre Informationen nach Abschaltung der Stromzufuhr vorhalten, haben zuletzt ebenfalls kräftig nachgegeben, da es inzwischen genügend Fertigungskapazitäten gibt. Nach einem Zwischenhoch beim Preis für die gängigsten DRAM-Speicherchips sind schließlich auch bei dieser Sparte in den letzten Monaten kräftige Einbußen zutage getreten. Am schwächsten unter den Herstellern elektronischer Bauelemente schnitten im Jahr 2006 erneut Großbetriebe mit mindestens 1.000 Beschäftigten ab. Sie vermeldeten wie bereits 2005 ein Minus von knapp 2 %, nachdem sie 2004 noch eine Umsatzrendite von gut + 5 % erreicht hatten. Unternehmen mit 500 bis 999 Beschäftigten verbesserten dagegen ihre Rentabilität deutlich: Nach zuvor - 3 % wurde zuletzt ein Plus von über 8 ½ % erzielt. Bei kleineren bis mittelgroßen Betrieben der Branche mit maximal 499 Beschäftigten schließlich wurde 2006 im Schnitt wiederum ein klar positives Ergebnis in Höhe von + 6 % erreicht. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass bei den tendenziell eher den kleineren Unternehmen zuzurechnenden Einzelunternehmen und Personengesellschaften der kalkulatorische Unternehmerlohn im Gegensatz zu den Vorstands- und Geschäftsführergehältern bei Kapitalgesellschaften nicht erfasst wird. Aufgrund dessen dürfte die tatsächliche Umsatzrendite dieser Branchenunternehmen zuletzt bei schätzungsweise + 4 % bis + 5 % gelegen haben. Grundsätzlich finden Halbleiterchips ihren Weg ins Endprodukt auf drei Wegen: · über OEMs (Original Equipment Manufacturers), die sie als Endprodukterzeuger direkt in ihre Produkte einbauen, · über Distributoren, die sie ohne nennenswerte Verarbeitung weiterverkaufen · und über CEMs (Contract Electronics Manufacturers), die als Auftragsfertiger für nachgelagerte Erzeugnisse auftreten. Insbesondere die letztgenannten CEMs nutzen ihre zunehmende Größe und damit auch Einkaufsmacht dazu, um die benötigten Bauelemente von den Halbleiterproduzenten möglichst kostengünstig zu beziehen. Inzwischen sind sie, ebenso wie die 20 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Ausrüster, zu global agierenden Großkonzernen herangereift, die die Übernahme von Produktionen in eigener Regie bislang weitgehend risikofrei realisiert haben, da mit den Abnehmern feste Abnahmemengen, -preise und -konditionen vereinbart wurden. Zudem verstärken Händlerkooperationen den Margendruck auf der Abnehmerseite. All diese Marktgegebenheiten sorgen für kontinuierlich sinkende Absatzpreise (vergleiche Schaubild 12). Schaubild 12 Entwicklung der Erzeugerpreise im Vergleich Deutschland, 1996 = 100 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 Verarbeitendes Gewerbe 2008 01 2007 07 2007 01 2006 07 2006 01 2005 07 2005 01 2004 07 2004 01 2003 01 2003 07 2002 07 2002 01 2001 07 2001 01 2000 07 2000 01 1999 07 1999 01 1998 07 1998 01 1997 07 1997 01 1996 07 1996 01 Elektronische Bauelemente Quelle: Statistisches Bundesamt. Den ausgesprochen schwachen Absatzpreisen in der Branche standen hierzulande auf der Kostenseite partielle Entlastungen gegenüber. Bei den Lohnstückkosten ergab sich 2006 in Deutschland eine Verringerung um 31 % und 2007 eine weitere Reduzierung um gut 18 %. Da der Anteil der Personal- an den Gesamtkosten jedoch nur noch bei rund 16 % liegt, konnte diese Entlastung den Absatzpreisrückgang allein nicht egalisieren. Preiserhöhungen bei den Rohstoffen und bei der Energie wirkten dem genannten Entlastungseffekt angesichts eines reinen Materialverbrauchsanteils an den Gesamtkosten in Höhe von 32 % sogar entgegen. Allerdings entfallen weitere 27 % der Gesamtkosten der Branche auf den Einsatz von Handelsware. Dieser Posten hat sich parallel zu den Erzeugerpreisen drastisch verbilligt, so dass die Margen per saldo in etwa gehalten werden konnten. Um die zusätzlichen Belastungen bei den Materialkosten zu begrenzen, haben viele Anbieter ihre Produktion inzwischen auf die 300-mm-Wafer-Technologie umgestellt. Bis 2012 soll bereits die nächste Wafer-Generation mit 450 mm Durchmesser serienreif sein, auf denen sich dann wiederum gut doppelt so viele Dies (Halbleiterkerne) wie bei der aktuellen 300-mm-Technologie unterbringen lassen. Gleichzeitig erfolgt eine kontinuierliche Verkleinerung der Strukturbreite des einzelnen Bauelements; inzwischen ist man hier bei deutlich unter 100 nm angekommen. Angepeilt werden derzeit Bauteile in der Größe von 32 nm. Dies bewirkt im Endeffekt eine spürbare Reduzierung der Produktionskosten pro Stück, verlangt aber in der Regel den Aufbau völlig neuer Fertigungslinien. Trotz der beständigen Rationalisierungsfortschritte liegen die Verkaufspreise von Halbleitern momentan zum Teil wieder unter den eigenen Herstellkosten der Anbieter. 21 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 Als Folge davon schreiben viele Unternehmen, die aktive Bauelemente produzieren, derzeit operativ rote Zahlen. Das trifft auf die am Standort Deutschland ansässigen Unternehmen AMD, Infineon und Qimonda genauso zu wie auf den europäischen Halbleiterhersteller ST Microelectronics aus Frankreich / Italien. Unter den internationalen Großkonzernen erzielen gegenwärtig im Wesentlichen nur die Marktführer Intel und Samsung Gewinne. Auch die meisten Foundries schreiben bis auf wenige Ausnahmen wie TSMC Minusrenditen. Damit hat sich die Ertragslage der großen internationalen Chip-Konzerne, die nach der Jahrtausendwende erst spürbare Verluste erlitten und anschließend kräftige Gewinnzuwächse erzielt hatten, inzwischen wieder massiv verschlechtert. Gedämpft wird der immense Kostendruck dadurch, dass sich viele der etablierten Chipproduzenten inzwischen auf ihre Kernkompetenzen zurückgezogen haben. Zahlreiche internationale Anbieter hatten die leidvolle Erfahrung sammeln müssen, dass die gesamte Wertschöpfungskette eben nicht von einem einzigen integrierten Hersteller bedient werden kann. So wurden mittlerweile viele einzelne Entwicklungs- und Produktionsschritte an Spezialisten ausgelagert. Hierzu gehören sogenannte „fabless Designer“, die den reinen Chipentwurf ohne Produktionsumsetzung vornehmen, genauso wie die schon erwähnten Halbleiter-Auftragsfertiger, die ein bereits erstelltes Chipdesign technisch umsetzen. Von den weniger ertragreichen Segmenten hat man sich zusehends getrennt, zumal sich für einen Chip-Vollsortimenter ohnehin kaum Synergieeffekte zwischen den einzelnen Produktsparten ergeben. Beispielsweise liefern Logikchips für die Automobil- und die Industrie-Elektronik im Mittel weitaus höhere Margen und verlangen weniger Kapitalbindung als das PC-nahe Massenspeichergeschäft. Die Insolvenzquote unter den deutschen Herstellern von elektronischen Bauelementen reduzierte sich 2007 trotz des nach wie vor hohen Ertragsdrucks von zuvor 1,2 % auf 0,9 %. Sie folgte damit der Insolvenzentwicklung der Gesamtindustrie, auf deren Niveau man sich weiterhin bewegt. Gegenüber den Jahren 1996 bis 2005 – die Insolvenzquote der Branche betrug in diesem Zeitraum durchschnittlich 1,3 % – ist innerhalb der Branche „Elektronische Bauelemente“ eine Reduzierung des Insolvenzrisikos feststellbar. Allerdings mussten 2007 immerhin 29 % der hierzulande beantragten Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt werden, nachdem es 2006 nur 18 % gewesen waren. Auch die Ablehnungsquote im Verarbeitenden Gewerbe von zuletzt 23 % wurde überschritten. Andererseits verharrte der durchschnittlich ausstehende Forderungsbetrag in der Branche im vergangenen Jahr bei knapp 1,2 Mill. EUR pro Insolvenzfall, was sich mit gut 1,6 Mill. EUR in der Industrie vergleicht. Trotz der zufriedenstellenden Insolvenzdaten ist das Branchenrisiko wegen der großen Unsicherheit über zukünftige Technikstandards, angesichts der kurzen Produktlebenszyklen und aufgrund des hohen Kapitalbedarfs als klar überdurchschnittlich einzustufen. Die Kapazitätsauslastung von Herstellern elektronischer Bauelemente erreichte hierzulande im Mittel der Jahre 1996 bis 2005 ein Niveau von 83 % – bei einem Höchstwert von 90 % im Jahr 2000. 2006 lag sie mit 88 % klar über dem langjährigen Durchschnittswert, 2007 schließlich konnte mit 87 ½ % das hohe Vorjahresniveau nahezu gehalten werden. Weil das angegebene Auslastungsniveau einen Mittelwert über die gesamte Branche darstellt, wurde damit bei einem Teil der Hersteller von elektronischen Bauelementen in Deutschland Vollauslastung erreicht. Für die nächsten Monaten muss in der Branche allerdings mit einem Rückgang des Auslastungsgrads gerechnet werden, da vor allem die größeren deutschen Hersteller unter 22 ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH Working Paper / Nr. 108 / 03.07.2008 massiven Preis- und Umsatzeinbrüchen leiden, wozu nicht zuletzt auch der kontinuierliche Kursverfall des US-Dollar gegenüber dem Euro maßgeblich beiträgt. Der Nachfrageüberhang der letzten Jahre kaschierte das stets latent vorhandene Problem der Überkapazitäten vor allem bei den Halbleiterherstellern. Auf lange Sicht verursachen diese Überkapazitäten im Mittel Verluste, da es sich bei den Märkten für konventionelle Chips aufgrund der Homogenität der Produkte und wegen der hohen Fixkosten bei ihrer Fertigung um „natürliche Monopole“ handelt. Deshalb ist auch für die kommenden Monate mit weiteren Margenverengungen zu rechnen: Für 2008 erwarten wir in Deutschland genauso wie im weltweiten Durchschnitt wegen der nachgebenden Absatzpreise negative Renditen. Erst 2009 ist mit einer moderaten Erholung zu rechnen. Die Ertragsentwicklung der deutschen und der übrigen europäischen Hersteller wird dabei jedoch zusätzlich durch die kontinuierliche Abwertung des US-Dollar im Verhältnis zum Euro beeinträchtigt, weil Kurssicherungsgeschäfte in der Regel nur über einen Zeitraum von wenigen Monaten getätigt werden. 8. FAZIT Da Deutschlands Hersteller elektronischer Bauelemente vorrangig in weniger zyklischen Sparten als der Halbleiterindustrie angesiedelt sind, werden sie von zukünftigen Konjunktureinbrüchen auch weniger stark betroffen sein als die internationalen Großkonzerne. Allerdings sollte diese eigentlich komfortable Nischenposition nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland in verschiedenen Hightech-Bereichen der Branche längst nur noch der Marktentwicklung hinterherläuft. Hier setzen vor allem US-amerikanische und asiatische Firmen die Standards. In einigen Jahren dürften neben koreanischen und japanischen Unternehmen verstärkt auch chinesische Anbieter in die Liste der Top Ten vorgerückt sein und die Marktentwicklung maßgeblich mitgestalten. All diejenigen, die den technologischen Anschluss verpassen, werden über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden. Eine entsprechende Marktbereinigung ist schon lange überfällig, denn trotz der imposanten Zahl an „Global Playern“ erweist sich der weltweite Halbleitermarkt nach wie vor als stark zersplittert. So beläuft sich die Zahl der weltweiten Hersteller laut einer Markteinschätzung von iSuppli auf über 700, wobei über die Hälfte des Geschäfts von kleinen Anbietern bestritten wird. Als Folge dieser instabilen Marktstruktur wird sich die Zahl der Marktteilnehmer in den nächsten zehn Jahren um schätzungsweise ein Drittel reduzieren. Es ist zu befürchten, dass sich unter den ausscheidenden Unternehmen auch einige deutsche Firmen befinden werden. 23