Lungentumor durch die Bearbeitung berylliumhaltiger

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Lungentumor durch die Bearbeitung berylliumhaltiger
Lungentumor durch die Bearbeitung
berylliumhaltiger Werkzeuge?
BGFA untersucht Erkrankung bei einem Fluggerätebauer
Vera van Kampen, Jürgen Bünger, Rolf Merget, Thomas Brüning
Beryllium ist ein Metall, das Legierungen mehr Härte und Korrosionsbeständigkeit verleiht. Es kann daher vielseitig
eingesetzt werden: in der Elektronikindustrie, in chirurgischen Instrumenten sowie in der Luft- und Raumfahrt,
aber auch für die Herstellung nicht-funkenschlagender oder nicht-magnetischer Werkzeuge. Das BGFA untersuchte
die Erkrankung eines früheren Fluggerätebauers, der an einem Adenokarzinom der Lunge litt. Zu beurteilen war,
ob der Tumor des 65-Jährigen auf seine Tätigkeit mit berylliumhaltigen Werkzeugen zurückzuführen ist.
Aufgrund seiner guten Materialeigenschaften wird Beryllium
in der Industrie in verschiedenen Produktionsprozessen eingesetzt. Beryllium und seine Verbindungen gelten als geeignet,
Lungenkrebserkrankungen hervorzurufen. Auf Basis epidemiologischer Daten wurden sie als krebserzeugend für den Menschen
bewertet und damit in die Kategorie K 1 eingruppiert (MAK- und
BAT-Werte-Liste 2003). Ein ehemaliger Fluggerätebauer kam in
seiner über 30-jährigen Tätigkeit bei einer Fluggesellschaft mit
Berylliumlegierungen in Berührung. Das BGFA hat im Rahmen
eines BK-Feststellungsverfahren geprüft, ob das Lungenkarzinom
dadurch hervorgerufen worden sein kann.
Nach seiner Ausbildung und anschließenden Tätigkeit als Feinblechner arbeitete der Versicherte von 1964 bis 1970 als Leihhandwerker in einem Farbenwerk, in dem er keinen Kontakt zu
kanzerogenen Stoffen hatte. Von 1970 bis zum Renteneintritt im
Jahr 2003 war er dann als Fluggerätebauer bei einer großen
Fluglinie tätig. Er kam dort auch mit Asbest in Kontakt. Die
Berechnung der zuständigen Berufsgenossenschaft ergab eine
kumulative Asbestfaserstaubdosis von 0,8 Faserjahren. Normalerweise kann eine Exposition gegenüber berylliumhaltigen Stäuben
bei der Tätigkeit des Fluggerätebauers ausgeschlossen werden.
Der Versicherte hatte jedoch von 1970 bis 1988 regelmäßig Dichtungen in Flugzeugtanks auszuwechseln und benötigte dazu berylliumhaltige Werkzeuge, da diese beim Anschlagen an andere
Materialien keine Funken erzeugen. Diese Werkzeuge mussten
speziell bearbeitet werden, weshalb der Versicherte bis 1988
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nach den Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes rund
eine halbe Stunde pro Monat diese Berylliumwerkzeuge schliff.
Nach Recherche und Rücksprache mit dem Präventionsdienst der
Berufsgenossenschaft betrug der Berylliumgehalt der Werkzeuge
etwa zwei Prozent. Eine Exposition gegenüber berylliumhaltigen
Stäuben konnte somit nicht ausgeschlossen werden.
Erste Symptome und Erkrankung
Im September 2006 – rund drei Jahre nach seiner Pensionierung
– traten bei dem Versicherten erstmals Luftnotattacken auf. Als
Ursache stellten die Ärzte eine euthyreote Knotenstruma rechts
mit Säbelscheidentrachea fest. Als Zufallsbefund fand sich ein
Rundherd des rechten Lungenoberlappens, der CT-gesteuert
punktiert und als bösartig eingestuft wurde. Daneben fiel im
MRT des Kopfes eine linksseitige hochfrontal gelegene Raumforderung unklarer Dignität mit einem Durchmesser von fünf
Millimetern (Hirnmetastase linksseitig) auf. Zusammenfassend
wurde die Diagnose eines Adenokarzinoms T2 NX M1 (BRA),
Stadium IV, gestellt.
Bei primärer Inoperabilität des bösartigen Lungentumors und der
Metastase begann Ende November 2006 der erste von vier Zyklen
einer Chemotherapie mit Cisplatin/Navelbine (50/25 mg/m²). Ein
Re-Staging nach dem vierten Zyklus im Februar 2007 ergab keine
wesentliche Veränderung der Erkrankung. Eine Bestrahlung des
Primärtumors sollte sich der Chemotherapie anschließen. Die
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ARBEITSMEDIZINISCHER FALL
Internationale Studien
Erhöhte Todesraten durch Lungenkrebs wurden in verschiedenen
Studien unter Arbeitern in amerikanischen Berylliumproduktionswerken bereits in den 70er Jahren publiziert (Mancuso und
El-Attar 1969, Mancuso 1970, 1979, 1980; Wagoner et al. 1980).
Zwei weitere epidemiologische Studien, die sich auf die Auswertung des amerikanischen „Beryllium Case Registers“ (BCR)
beziehen, ergaben ebenfalls eine erhöhte Lungenkrebsmortalität.
In diesem Register werden seit 1952 alle diagnostizierten Berylliumerkrankungen (akute und chronische) erfasst. Infante et al.
(1980) werteten die Fälle von 421 weißen männlichen Arbeitern
aus, die zwischen 1952 und 1975 im BCR dokumentiert wurden.
Die standardisierte Mortalitätsrate (SMR) für Lungenkrebs war
bei Arbeitern signifikant erhöht, die vorher eine akute Berylliose
erlitten hatten. In einer Follow-up-Studie über weitere 13 Jahre
(Steenland und Ward 1991) wurden auch Frauen berücksichtigt.
Kohorte
Größe der
Kohorte
Zeitraum der
Beschäftigung
Beryllium ist ein silberweißes, glänzendes, hartes und sprödes
Metall, das leicht oxidierbar ist. Es wird durch Elektrolyse oder
durch Reduktion mit Magnesium aus Berylliumfluorid oder Berylliumchlorid hergestellt. Hauptquellen für diese Berylliumverbindungen sind natürlich vorkommende berylliumhaltige Silikate oder Aluminiumsilikate (Alumosilikate), vor allem Beryll und
Bertrandit. Zu den natürlich vorkommenden Beryllium-Mineralien gehören auch die durch Einlagerung von Eisen- oder Chrom–
oxiden gefärbten Edelberylle Aquamarin und Smaragd sowie
Chrysoberyll. Reines Beryllium wird zur Herstellung von Röntgenfenstern verwendet. Beryllium verleiht bestimmten Legierungen eine erhöhte Härte, Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit,
so dass diese zur Herstellung von Uhrfedern, chirurgischen Instrumenten, Ventilfedern, Bremsen für Flugzeuge, Hochtemperaturwerkstoffen sowie für spezielle Anwendungen in Luft- und
Raumfahrt verwendet werden können. Berylliumlegierungen finden auch im Automobilrennsport für Motoren-, Getriebe- und
Bremsenteile Verwendung. Beryllium-Kupfer-Legierungen kommen wegen der guten Leitfähigkeit und der hohen Härte in der
Elektronikindustrie zum Einsatz. Beryllium wird außerdem für
hochfeuerfeste Geräte, z.B. Schmelztiegel, verwendet sowie für
die Herstellung nicht-funkenschlagender bzw. nicht-magnetischer Werkzeuge. Berylliumchlorid wird in chemischen Synthesen als Katalysator eingesetzt und Berylliumnitrat diente früher
zum Härten von Glühstrümpfen für Gas- und Acetylenlampen.
Diese Kohorte umfasste 689 Patienten (66% männlich), die zu 34
Prozent an akuter und zu 64 Prozent an chronischer Berylliumerkrankung litten (2% unsichere Diagnose). Diese Studie ergab
SMR
95% KI
Lungenkrebsfälle
1,93*
2,86
0,66
0,8-4,0*
1,0-6,2
0,1-3,7
7
6
1
BCR
- gesamt
- Akute Berylliumkrkh.
- Chronische Berylliumkrkh.
421
BCR
- gesamt
- Akute Berylliumkrkh.
- Chronische Berylliumkrkh.
689
Einträge in das
Register 1952-80
2,00
2,32
1,57
1,33-2,89
1,35-3,72
0,75-2,89
28
17
10
7 Berylliumwerke (gesamt)
Gruppe 1
Gruppe 2
Gruppe 3
9225
1940-69
< 1950
1950-59
1960-69
1,26
1,42
1,24
0,62
1,12-1,42
1,25-1,62
1,03-1,49
0,4-0,92
280
3,33
1,51
1,66-5,95
1,11-2,02
11
46
1,22
1,03-1,43
142
Berylliumwerk Lorain
- Berylliumkrkh.
- keine Berylliumkrkh.
98
1094
Berylliumwerk Reading
3569
Einträge in das
Register 1952-75
Eigenschaften und Einsatz von Beryllium
Wissen
Behandlung der Hirnmetastase erfolgte mittels Einzeit-PräzisionsStrahlentherapie. Neben der Tumorerkrankung lag eine COPD
mit grenzwertig obstruktiver Ventilationsstörung vor. Mögliche
Ursache: Der Patient war langjähriger starker Raucher. Nach
seinen eigenen Angaben betrug der Zigarettenkonsum zwischen
63 und 100 Packungsjahren. Anfang 2007 wurde der Verdacht auf
eine Berufskrankheit angezeigt. Als mögliche berufliche Ursache
wurde der Kontakt mit Beryllium angegeben. Das BGFA sollte
einen möglichen Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition
und Tumorerkrankung prüfen.
1940-1996
Literatur
Infante et
al. (1980)
Steenland &
Ward (1991)
Ward et
al. (1992)
Ward et
al. (1992)
Sanderson
et al. (2001)
Details zu den Humanstudien zur Kanzerogenität von Berylliumverbindungen (* von IARC-Arbeitsgruppe kalkulierter Wert, SMR = standardisierte Mortalitätsrate; BCR = Beryllium Case Register, KI = Konfidenz-Intervall)
BGFA-Info 02/08
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eine signifikant erhöhte SMR für Arbeiter mit akuter Berylliose
in der Vorgeschichte und nicht signifikant erhöht für Mitarbeiter
mit chronischer Berylliumerkrankung.
Nicht maligne Erkrankungen durch Beryllium
Chronische Exposition
Als Folge einer lang andauernden inhalativen Exposition gegenüber niedrigen Berylliumkonzentrationen kann die chronische
Berylliumerkrankung (Berylliose) auftreten. Der LOAEL (niedrigste
Dosis mit beobachtbarer Wirkung) für die Berylliose beim Menschen liegt zwischen 0,5 und 1,2 µg Beryllium/m³. Die Berylliose
ist definiert als Beryllium-induzierte Lungenerkrankung mit einer
Dauer von mehr als einem Jahr und einer Latenzzeit von mehreren Wochen bis hin zu 20 Jahren nach Exposition. Im Gegensatz
zur akuten Berylliumerkrankung kann die Berylliose auch durch
unlösliche Berylliumverbindungen ausgelöst werden. Es handelt
sich um eine allergische Erkrankung vom Typ IV nach Coombs und
Gell, bei der die Expositionsdosis eine untergeordnete Rolle spielt
(Müller-Quernheim et al. 2007). Die chronische Berylliose, die nur
schwer von der Sarkoidose abzugrenzen ist, ist durch die Ausbildung nicht-verkäsender Granulome gekennzeichnet, in denen
histologisch vor allem epitheloide Zellen und CD4+ T-Lymphozyten nachzuweisen sind. Funktionelle Einschränkungen der Lunge sind u.a. eine Abnahme von Vital- und Totalkapazität sowie
eine reduzierte Diffusionskapazität. Die Erkrankung schreitet in
der Regel fort, selbst wenn eine weitere Exposition gegen Beryllium vermieden wird, und kann zu vollständigem Lungenversagen
mit tödlichem Ausgang führen. Der einzige bekannte Unterschied
zwischen der Berylliose und der Sarkoidose ist im Falle der Berylliose die In-Vitro-Proliferation der Lymphozyten in Anwesenheit
von Beryllium. Dies kann man sich diagnostisch zu Nutze machen, indem man die Proliferation mittels des Beryllium−Lymphozytenproliferations−Tests (BeLPT) in vitro erfasst und bewertet.
Entscheidenden Einfluss hatte auch eine lange Latenzzeit von
mehr als 30 Jahren mit einer SMR von 1,46 (p <0,01). Die Mehrzahl
der Todesfälle durch Lungenkrebs ging auf zwei Berylliumwerke
(Lorain und Reading) zurück, in denen 54 beziehungsweise 58
Prozent der dort beschäftigten Personen Latenzzeiten von mehr
als 15 Jahren aufwiesen. Die Berylliumbelastung in diesen beiden
Werken war deutlich höher als in den fünf anderen. Die getrennte
Auswertung dieser beiden Werke durch Ward et al. (1992) und
Sanderson et al. (2001) bestätigte die signifikant erhöhten SMR
in beiden Fällen. Von besonderem Interesse ist, dass 11 Prozent
der 98 berylliumerkrankten Arbeiter des Lorain-Werkes (91 akut,
6 chronisch, 1 akut oder chronisch), aber auch 4 Prozent der
übrigen 1 094 Arbeiter ohne apparente Berylliumerkrankungen
an Lungenkrebs starben. Dies schließt aber eine hohe Berylliumexposition nicht aus.
Wissen
Akute Exposition
Die einmalige inhalative Exposition gegenüber hohen Berylliumkonzentrationen (>100 µg Beryllium/m³) kann eine akute Berylliumerkrankung zur Folge haben, die durch Symptome der akuten
Pneumonitis wie progressiver Husten, Kurzatmigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Zyanose gekennzeichnet ist. Die akute Berylliumerkrankung ist definiert als Beryllium-induzierte Lungenerkrankung mit einer Dauer von weniger
als einem Jahr und einer kurzen Latenzzeit (ca. drei Tage) und
ist auf die direkte Toxizität vor allem der wasserlöslichen Berylliumverbindungen zurückzuführen. In der Regel klingt die
akute Berylliumerkrankung nach ein bis vier Wochen vollständig wieder ab. Eine wiederholte Exposition gegenüber Beryllium kann eine erneute Pneumonitis zur Folge haben. Etwa ein
Drittel der akuten Erkrankungen gehen in die chronische Form
über, vereinzelt auch ohne weitere Exposition und nach mehreren Jahren (Müller-Quernheim 2007). Die technische Richtkonzentration (TRK-Wert), die in Deutschland bis 2005 Gültigkeit hatte, betrug je nach Arbeitsvorgang 2 bis 5 µg/m³.
Bei Einhaltung dieses Wertes treten akute Berylliumerkrankungen in der Regel nicht auf (Müller-Quernheim et al. 2007).
Eine umfassende retrospektive Kohortenstudie über Beschäftigte
in sieben amerikanischen Berylliumwerken stammt von Ward
et al. (1992). In die Studie aufgenommen wurden 9 225 Männer,
die zwischen 1940 und 1969 für mindestens zwei Tage in den
Werken gearbeitet hatten. Die SMR für maligne Neoplasmen der
Trachea, der Bronchien und der Lunge für die gesamte Kohorte
war signifikant erhöht. Bei Auswertung nach Beschäftigungszeiträumen ergab sich allerdings ein signifikant niedrigeres
Risiko für die Gruppe 3 (1960-1969). Dies ist vermutlich auf eine
verbesserte Arbeitshygiene zurückzuführen. In den 40er Jahren
ergaben Beryllium-Expositionsmessungen in dem Lorain-Werk
Werte von 411 µg/m³ an einem Mischarbeitsplatz und bis zu
43 300 µg/m³ in der Atemzone an einem Legierungsarbeitsplatz.
Wohl aus diesem Grunde hatte der Zeitpunkt der Einstellung
einen entscheidenden Einfluss auf die Lungenkrebstodesrate.
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Bezug zum vorliegenden Fall
Beryllium wurde 2002 von der MAK-Kommission als Humankanzerogen eingestuft (K1). Grundlage waren unter anderem epidemiologische Studien von Sanderson et al. (2001), Ward et al.
(1992), Steenland und Ward (1991) sowie Infante et al. (1980).
Diese Arbeiten zeigten, dass Lungenkrebstodesfälle überhäufig
bei Arbeitern auftraten, die zuvor an einer akuten Berylliumerkrankung litten. Es ist allgemein bekannt, dass diese Form der
Erkrankung durch hohe Berylliumkonzentrationen (über 100 µg/
m³) bedingt wird. Deshalb wird auch von der MAK-Kommission
darauf hingewiesen, dass die beschriebenen krebserzeugenden
Effekte überwiegend bei hohen Berylliumdosen auftreten, die
an heutigen Arbeitsplätzen (selbst in Berylliumwerken) in der
Regel nicht mehr zu erwarten sind.
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ARBEITSMEDIZINISCHER FALL
Wissen
Für die Sensibilisierung durch Beryllium wurden Faktoren einer
genetischen Veranlagung nachgewiesen. Arbeitnehmer mit dieser
Disposition sind demzufolge stärker gefährdet, sich gegen Beryllium zu sensibilisieren. Die Empfänglichkeit ist genetisch mit dem
humanen Lymphozytenantigen (HLA)−DP mit einer Glutaminsäure
an Position 69 der β−Kette vergesellschaftet. Trotz relativ exakter
Kenntnisse der Suszeptibilitätsgene ist eine genetische Diagnostik nicht möglich. Während bei Patienten kaukasischer Herkunft
der Zusammenhang zwischen Glu69 positiven HLA−DP-Allelen
und der Berylliose sehr stringent ist, trifft dies bei anderen Ethnien definitiv nicht zu. Auch bei den Kaukasiern führt die hohe Frequenz von ca. 30% Glu69−positiven−Allelen zu einer inakzeptabel hohen Frequenz an falschen genetischen Verdachtsmomenten.
Zur Verhinderung von Sensibilisierungen müsste etwa ein Drittel
der Population von einem Arbeitsplatz mit Beryllium−Exposition
ausgeschlossen werden, ohne dass Sensibilisierungen gänzlich verhindert werden könnten (Müller-Quernheim et al. 2007).
Im Merkblatt zur Berufskrankheit 1110 „Erkrankungen durch
Beryllium oder seine Verbindungen“ aus 1963 ist das Lungenkarzinom nicht erwähnt. Es ist derzeit nicht bekannt, inwieweit
sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat, Sektion Berufskrankheiten, des BMAS mit einer Neufassung des Merkblattes für die
BK 1110 befasst. Insofern ist bei der Begutachtung im Einzelfall
darzulegen, dass die generelle Geeignetheit von Beryllium für
die Verursachung von Lungenkrebs besteht. Bei der Frage der
Geeignetheit von Krebs erzeugenden Stoffen der Kategorie K 1
muss grundsätzlich nach qualitativen und quantitativen Aspekten
differenziert werden. Während die MAK-Kommission den qualitativen Aspekt der Krebserzeugung beschreibt, also die Einstufung
als K1-Stoff, bleibt die Wertung der quantitativen Aspekte der
Dosis-Wirkungsbeziehung und damit die Risikobetrachtung dem
Berufskrankheitenrecht vorbehalten. Die generelle Geeignetheit
von Beryllium für die Verursachung von Lungenkrebs kann mit
der MAK-Einstufung als ausreichend belegt gelten. Neben dieser
qualitativen Beurteilung ist aber die Beurteilung der quantitativen Exposition für die Begutachtung von besonderer Bedeutung.
Auch wenn die Dosis-Wirkungsbeziehung nur ungenau beschrieben ist, ist unseres Erachtens nur bei „hoher“ Exposition, die
in der Regel mit einer akuten Berylliumerkrankung verknüpft
ist und unter heutigen Arbeitsbedingungen in der Regel nicht
mehr vorkommt, eine Berufskrankheit 1110 bei Vorliegen eines
Lungenkarzinoms anzuerkennen.
Aus der Vorgeschichte des Versicherten waren keine entsprechenden akuten Erkrankungen im Zusammenhang mit der Berylliumexposition am Arbeitsplatz zu entnehmen (sogenannte
Brückensymptome/-befunde). Vor diesem Hintergrund konnte
im vorliegenden Fall ein kausaler Zusammenhang zwischen der
beruflichen Exposition gegenüber Beryllium und der Lungenkrebserkrankung nicht mit der für das versicherungsmedizinische
Verfahren notwendigen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden.
Wesentlicher Grund hierfür ist, dass die Berylliumexposition als
zu gering eingestuft werden muss. Auch wenn keine quantitativen
Angaben zur Exposition des Versicherten gegenüber Beryllium
vorlagen, kann unseres Erachtens eine hohe Berylliumexposition
nicht angenommen werden. Als wesentlicher Kausalfaktor für die
Entstehung des bösartigen Lungentumors muss die langjährige
Tabakrauchexposition angesehen werden.
Die Autoren:
Prof. Dr. Thomas Brüning, PD Dr. Jürgen Bünger,
Dr. Vera van Kampen, Prof. Dr. Rolf Merget
BGFA
Literatur
1. Infante PF, Wagoner JK, Sprince NL (1980) Mortality patterns from
lung cancer and nonneoplastic respiratory disease among white males in the beryllium case registry. Environ Res 21(1): 35-43
2. MAK- und BAT-Werte-Liste (2003) Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten, 37. Lieferung, Wiley-VCH Verlag, Weinheim
3. Mancuso TF, El-Attar AA (1969) Epidemiological study of the beryllium industry. Cohort methodology and
mortality studies. J Occup Med 11(8): 422-434
4. Mancuso TF (1970) Relation of duration of employment and prior respiratory illness to respiratory cancer
among beryllium workers. Environ Res 3(3): 251-275
5. Mancuso TF (1979) Occupational lung cancer among beryllium workers. In: Proceedings of the Conference on Occupational Exposure to Fibrous and Particulate Dust and their Extensions into the Environment. Lemen R, Dement J (Hrsg) Dust and
Disease. Park Forest South. Pathotox Publishers, Inc. 463-482
BGFA-Info 02/08
Literatur
Genetische Veranlagung für Erkrankung?
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7. Müller-Quernheim J, Gaede Kl, Prasse A, Zissel G. (2007)
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8. Sanderson WT, Ward EM, Steenland K, Petersen MR (2001) Lung cancer case-control study of beryllium workers. Am J Ind Med 39(2): 133-144
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11. Ward E, Okun A, Ruder A, Fingerhut M, Steenland K
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