120508 Leitfaden für die Vergabe öffentlicher Aufträge
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120508 Leitfaden für die Vergabe öffentlicher Aufträge
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Referat 16 Öffentliches Auftragswesen, PPP, Vergabekammer Niedersachsen Hannover, im Mai 2012 Übersicht über die Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge Inhalt: A. Vergaben nach nationalem Recht S. 2 B. Vergaben nach Europarecht S. 4 C. Die Vergabeverordnung (VgV) S. 11 D. Die Sektorenverordnung (SektVO) S. 12 E. Die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) S. 13 F. Das Vergabegesetz des Landes Niedersachsen vom 15. Dezember 2008 S. 13 G. Der Wertgrenzenerlass vom 25. November 2011 S. 13 H. Rechtsschutz im Vergabeverfahren S. 13 2 A. Vergaben nach nationalem Recht Die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberegelungen nur für solche Aufträge, die bestimmte Schwellenwerte erreichen, hat zu einer Zweiteilung des deutschen Vergaberechts geführt. Für eine Vergabe unterhalb der Schwellenwerte ergibt sich folgende Normenhierarchie: EG-Vertrag (jetzt AUEV) (insbes.“Marktfreiheiten“) Grundgesetz Landeshaushaltsordnung Landesvergabegesetz (Bauaufträge) Gemeindehaushaltsrecht Vergabeordnungen VOB/A, VOL/A, VOF Nach Art. 109 Abs. 4 GG können durch Bundesgesetz, für Bund und Länder • gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht…aufgestellt werden. Dies ist durch das Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG1) in § 30 geschehen: Öffentliche Ausschreibung Dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muss eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Die Länder haben jeweils gleich lautende Vorschriften in ihren Landeshaushalts- • ordnungen aufgenommen. Für die Kommunen regeln Landesvorschriften (Kommunalordnungen, Gemeindehaushaltsrecht, § 178 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz - NKomVG2 -) und § 26a der Gemeindehaushalts- und -kassenverordnung - GemHKVO3 - die Anwendbarkeit des Vergaberechts. Damit ist Bund, Ländern und Gemeinden der Grundsatz der Öffentlichen Ausschreibung vorgegeben. 1 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Mai 2010 (BGBl. I S. 671) 2 NKomVG vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 576, 2010) 3 Verordnung über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Abwicklung der Kassengeschäfte der Gemeinden auf der Grundlage der kommunalen Doppik vom 22.Dezember 2005 (Nds. GVBl. Nr.31/2005 S.458), ber. am 14.9.2006 (Nds. GVBl. Nr.23/2006 S.441) und geändert durch VO v. 27.11.2007 (Nds. GVBl. Nr.38/2007 S.683) und v. 18.12.2009 (Nds. GVBl. Nr.29/2009 S.490) 3 Einzelheiten regeln auf Landesebene die Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 55 der Niedersächsischen Landeshaushaltsordnung4. Diese erklären oberhalb der EU-Schwellenwerte die Anwendung des Bundesvergaberechts (4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen -GWB 5 -, Vergabeverordnung -VgV 6 -, Sektorenverordnung -SektVO 7 - und die Vergabeordnungen Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen -VOB/A-8, Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen -VOL/A-9, Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen- VOF-10 ) für verbindlich. Für Lieferungen und Leistungen ist nach den VV die VOL/A, Abschnitt 1, anzuwenden. Für Bauaufträge gilt unabhängig von den Schwellenwerten nach § 100 Abs. 1 GWB das Landesvergabegesetz (siehe Abschnitt F) Die Vergabeordnungen (früher Verdingungsordnungen) Die VgV schreibt je nach Auftragsart die Anwendung der jeweiligen Vergabeordnungen vor. Sie ist insoweit das Bindeglied zwischen dem 4. Teil des GWB und der dritten Ebene des Vergaberechts, den Vergabeordnungen VOB/A, VOL/A, und VOF. Die VOB /A gilt für Bauaufträge, die VOL/A für Lieferungen und Dienstleistungen und die VOF für freiberufliche Leistungen, die nicht unter die VOL/A fallen. Rechtsnatur der Vergabeordnungen: Es handelt sich nicht um staatlichen Normen (also weder Satzungen noch Verordnungen), sondern um private Regelwerke, die in sog. Verdingungsausschüssen durch Vertreter beider Marktseiten, also öffentliche Auftraggeber und Vertreter der anbietenden Wirtschaft, vereinbart werden, aber: Soweit die VgV auf sie verweist, haben sie Rechtsnormqualität mit Allgemeinverbindlichkeit und Außenwirkung (h. M.). 4 in der Fassung vom 30. April 2001 zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 15.12.2006 (Nds. GVBl. S. 597 in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114; 2009 I S. 3850), zuletzt geändert durch Artikel 13 Absatz 21 des Gesetzes vom 25. Mai 2009 (BGBl. I S. 1102) 6 in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Februar 2003 (BGBl. I S. 169),-zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2010 (BGBl. I S. 724) 7 vom 23. September 2009 (BGBl. I S. 3110), geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 7. Juni 2010 (BGBl. I S. 724) 8 vom 31. Juli 2009 -BAnz. Nr. 155a vom 15. Oktober 2009 9 vom 11. November 2009 -BAnz. Nr. 196a vom 29.Dezember 2009 10 vom 18. November 2009 -BAnz. Nr. 185a 5 4 Gliederung von VOB/A und VOL/A: Sie sind jeweils in 2 Abschnitte untergliedert. Abschnitt 1 gilt nur für Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte. Die Schwellenwerte sind in der VgV geregelt (siehe unter C). Abschnitt 2 regelt das Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte. Hier sind die entsprechenden Vorgaben der EU-Vergaberichtlinien eingearbeitet. Sie gelten für die sog. „klassischen Auftraggeber“ (Bund, Länder und Gemeinden, § 98 Nr. 1-3 GWB). B. Vergaben nach Europarecht Die oberhalb der Schwellenwerte bestehenden Rechtsnormen (sog. Kaskadenprinzip) stellen sich wie folgt dar: EG-Vertrag (AUEV11) EG-Vergaberichtlinien Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 4. Teil Vergabeverordnung Sektorenverordnung VOB/A VOL/A VOF (jeweils 2. Abschnitt) Die Vergaberichtlinien der Europäischen Gemeinschaft Die Gemeinschaft hat seit 1969 mehrere Richtlinien zum Vergaberecht erlassen. Nach zahlreichen Änderungen galten folgende Richtlinien: 1. Dienstleistungsrichtlinie12 2. Lieferkoordinierungsrichtlinie13, 3. Baukoordinierungsrichtlinie14, 4. Sektorenrichtlinie15 , 11 VERTRAG ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION vom 9.5.2008, (ABl. C 115/47) RICHTLINIE 92/50/EWG DES RATES vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209/1) 13 RICHTLINIE 93/36/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199/1) 14 RICHTLINIE 93/37/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199/54) 15 RICHTLINIE 93/38/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199/84) 12 5 5. zwei Rechtsmittelrichtlinien für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge16, sowie für den Sektorenbereich17 . Die unter 1-4 genannten Richtlinien wurden durch zwei neue Richtlinien: Nr. 1718 und Nr. 1819 zusammengefasst und ersetzt. Sie waren bis 31. Januar 2006 in nationales Recht umzusetzen. Die Änderung der Rechtsmittelrichtlinien (5.) wurde durch die Richtlinie 2007/66/EG20 vorgenommen. Die Umsetzung ist mit der GWB-Novelle im April 2010 erfolgt. Der Regelungsinhalt der Richtlinien: Vergabe von Bau- Liefer- und Dienstleistungsaufträgen oberhalb sog. Schwellenwerte. Der Grund für Schwellenwerte: Bei kleineren Aufträgen soll wegen des erheblichen Aufwandes auf europaweite Ausschreibungen verzichtet werden. Im Übrigen sind diese grundsätzlich nicht binnenmarktrelevant. Unterhalb der Schwellenwerte gilt nur das Primärrecht des EG-Vertrages (insbes. Gleichbehandlung, (transparenter) Wettbewerb) und nationales Vergaberecht. Ziele und Prinzipien des EU-Vergaberechts Das Vergaberecht hängt generell zusammen mit der Warenverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, den sog. Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Auf dieser Grundlage und zur Schaffung eines Vergabebinnenmarktes hat die Kommission seit 1969 ein Richtlinienprogramm für öffentliche Aufträge entwickelt. Die wichtigsten Grundsätze, die im Vergaberecht gelten: Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung. 16 vom 21.12.1989 (ABl. L 395/33) vom 25.2.1992 (ABl. L 76/14) 18 vom 31. 3. 2004 (ABl. L 134/)1 19 vom 31.3. 2004 (ABl. L 134/114) 20 vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335/31) 17 6 • Der Wettbewerbsgrundsatz In einem formalisierten, transparenten Verfahren wird möglichst vielen Bietern die Möglichkeit gegeben, sich um Aufträge zu bewerben. • Das Gleichbehandlungsgebot/Diskriminierungsverbot ◊ alle Bieter sind gleich zu behandeln, dies gilt auch für ausländische Bieter, ◊ Keine Beschränkung des Wettbewerbs auf bestimmte Regionen oder Orte, ◊ Auswahl des Auftragnehmers erfolgt grundsätzlich nach Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit. • Das Gebot der Losvergabe folgt aus dem Ziel der Mittelstandsförderung (§ 97 Abs. 3 GWB). Die „vornehmliche“ Berücksichtigung des Mittelstandes ist insoweit kein vergabefremdes Kriterium. • Das Nachverhandlungsverbot Der Wettbewerb der Bieter wird durch das Gleichbehandlungsgebot begrenzt. Deshalb besteht ein Verbot von Nachverhandlungen und Nachschieben von günstigeren Angeboten nach Ablauf der Angebotsfrist. Der Wettbewerb ist mit der Abgabe der Angebote beendet. Danach sind keine Verhandlungen über Preise, sondern nur Verhandlungen zur Ausräumung von Unklarheiten beim Angebot zulässig. • Das Gebot der Wirtschaftlichkeit Der Zuschlag erfolgt auf das wirtschaftlichste Angebot. Der niedrigste Preis ist nicht maßgeblich; grundsätzlich hat eine Betrachtung aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu erfolgen. • Vorhersehbare und feststehende Eignungskriterien Damit soll Rechts- und Planungssicherheit geschaffen werden, außerdem will man damit „politische“ Eignungskriterien zurückdrängen. • Effektiver Rechtsschutz für Bewerber und Bieter (s. dazu unter H.) 7 Der 4. Teil des GWB Im 4. Teil des GWB wurden die Regeln des EG-Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte aus den EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Wesentlicher Inhalt: Grundsatz des wettbewerbsorientierten und transparenten Vergabeverfahrens bei • Bau- Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, § 97 Abs. 1, • Gleichbehandlungsgebot, § 97 Abs. 2 • Berücksichtigung mittelständischer Interessen durch Aufteilung der Aufträge in Fach- und Teillose, § 97 Abs. 3 Vergabe von Aufträgen nur an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige • Unternehmen, § 97 Abs. 4 • Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, § 97 Abs. 5 • Definition des öffentlichen Auftrages (§ 99) und der öffentlichen Auftraggeber (§ 98), Öffentliche Aufträge nach § 99 Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen über Lieferungen, Dienstleistungen und Bauleistungen. Die Einordnung der öffentlichen Auftraggeber erfolgt in 6 Gruppen, dabei handelt es sich nicht nur um „klassische“ Auftraggeber (Bund, Länder u. Gemeinden), sondern seit 1990 (Änderung der Vergaberichtlinien) auch um „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“; dazu gehören auch • private Unternehmen mit besonderer Staatsnähe und • rein private Unternehmen, die in bestimmten Wirtschaftssektoren auf der Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte tätig sind. Es wird dabei der funktionale Auftraggeberbegriff der EuGH-Rechtsprechung zugrunde gelegt, (§ 98 Nr. 2-6), und damit die „Flucht in das Privatrecht“ verhindert. Öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB sind: 1. Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen (z.B. nicht rechtsfähige Stiftungen), 8 2. andere juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts mit Aufgaben im Allgemeininteresse, an denen Gebietskörperschaften beteiligt sind oder sonst überwiegend finanzieren oder die Aufsicht ausüben. a Juristische Personen des öffentlichen Rechts: Die bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, insbesondere in folgenden Bereichen: aa Körperschaften wissenschaftliche Hochschulen und verfasste Studentenschaften berufsständische Vereinigungen (Rechtsanwalts-, Notar-, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer-, Architekten-, Ärzte- und Apothekenkammern), Wirtschaftsvereinigungen (Landwirtschafts-, Handwerks-, Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Handwerkerschaften) Sozialversicherungen (Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherungsträger), kassenärztliche Vereinigungen, Genossenschaften und Verbände. bb Anstalten und Stiftungen Die der staatlichen Kontrolle unterliegenden und im Allgemeininteresse tätig werdenden Einrichtungen nichtgewerblicher Art, insbesondere in folgenden Bereichen: Rechtsfähige Bundesanstalten, Versorgungsanstalten und Studentenwerke, Kultur-, Wohlfahrts- und Hilfsstiftungen. b Juristische Personen des Privatrechts Die der staatlichen Kontrolle unterliegenden und im Allgemeininteresse tätig werdenden Einrichtungen nichtgewerblicher Art, einschließlich der kommunalen Versorgungsunternehmen: Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Kurmittelbetriebe, medizinische Forschungseinrichtungen, Untersuchungs- und Tierkörperbeseitigungsanstalten), Kultur (öffentliche Bühnen, Orchester, Museen, Bibliotheken, Archive, zoologische und botanische Gärten), 9 Soziales (Kindergärten, Kindertagesheime, Erholungseinrichtungen, Kinder- und Jugendheime, Freizeiteinrichtungen, Gemeinschafts- und Bürgerhäuser, Frauenhäuser, Altersheime, Obdachlosenunterkünfte), Sport (Schwimmbäder, Sportanlagen und -einrichtungen), Sicherheit (Feuerwehren, Rettungsdienste), Bildung (Umschulungs-, Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen, Volkshochschulen), Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (Großforschungseinrichtungen, wissenschaftliche Gesellschaften und Vereine, Wirtschaftsförderung), Entsorgung (Straßenreinigung, Abfall- und Abwasserbeseitigung), Bauwesen und Wohnungswirtschaft (Stadtplanung, Stadtentwicklung, Wohnungsunternehmen, Wohnraumvermittlung), Friedhofs- und Bestattungswesen, Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern (Finanzierung, technische Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe, Ausbildung). 3. Gebietskörperschaften, andere juristische Personen, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben (Nr. 2) erfüllen sowie Verbände, deren Mitglieder hierunter fallen. Das sind gemeindliche Zweckverbände (z. B. Abfall, Abwasserentsorgung, Wasserversorgung). 4. Sektorenauftraggeber Das sind natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs tätig sind auf der Grundlage von besonderen ausschließlichen behördlichen Rechten, oder wenn Auftraggeber, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. Grund für die Einbeziehung Privater mit besonderen Rechten: Diese Auftraggeber haben eine monopolartige oder wettbewerbsferne Stellung. 5. Die Auftraggeber bei den sog. Drittvergaben Dabei handelt es sich um Vergaben von Aufträgen an Dritte durch natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die für Tiefbaumaßnahmen, zur Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- 10 oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen von öffentlichen Stellen, (die unter Nummern 1 bis 3 fallen), Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert „finanziert“ werden. Das Vergaberecht findet in diesen Fällen also Anwendung, wenn staatliche Stellen Aufträge anderer Auftraggeber zu mehr als 50% des Auftragswertes (nicht förderfähige Kosten!) direkt subventionieren (Kreditfinanzierung nicht erfasst, EG-Richtlinie). 6. Baukonzessionäre als natürliche oder juristische Personen Sie sind selbst öffentliche Auftraggeber „hinsichtlich der Aufträge an Dritte“ (gemeint sind damit Bauaufträge). Wesen der Baukonzession: Es handelt sich um einen Bauauftrag eigener Art. Die Gegenleistung des ö. Auftraggebers liegt hier jedoch nicht (nur) in einer Vergütung, sondern in der Einräumung eines Nutzungsrechts mit Nutzungsrisiko beim Konzessionär. Weitere Regelungen des 4. Teils des GWB sind: • Die Vergabearten, § 101 ◊ Offenes Verfahren (entspricht der öffentlichen Ausschreibung mit unbestimmtem Adressatenkreis) ◊ Nicht offenes Verfahren (entspricht der Ausschreibung für beschränkten Adressatenkreis) ◊ Verhandlungsverfahren über die Auftragsbedingungen mit ausgewählten Unternehmen mit oder ohne Teilnahmewettbewerb; dieses Verfahren entspricht bis auf den Teilnahmewettbewerb dem deutschen Begriff der „freihändigen Vergabe“. Das Verfahren ist zweistufig: 1 .Teilnahmewettbewerb und 2. Aufforderung an bestimmte Bewerber zur Angebotsabgabe, Verhandlungen mit mindestens 5 Teilnehmern außerhalb der Sektoren; in den Sektoren muss bezüglich der Bieterzahl ein angemessenes Verhältnis zwischen Vergabeverfahren und dem erforderlichen Aufwand vorhanden sein. 11 ◊ Durch das ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 1. September 200521 wurde als neues zusätzliches Vergabeverfahren der „Wettbewerbliche Dialog“ eingeführt (§ 101 Abs. 4 GWB). Hierbei handelt es sich um ein Vergabeverfahren zur Beauftragung besonders komplexer Beschaffungsmaßnahmen. In diesem Verfahren erfolgen eine Aufforderung zur Teilnahme und anschließend Verhandlungen mit ausgewählten Unternehmen über alle Einzelheiten des Auftrags. Insofern ist es dem Verhandlungsverfahren ähnlich. ◊ Im Übrigen gibt es nach § 101 Abs. 6 GWB das Verfahren der „Elektronischen Auktion“, die zeitlich befristet auf die Beschaffung marktüblicher Leistungen in einem offenen Verfahren zielt. Es gilt generell der Grundsatz des Vorranges des Offenen Verfahrens (§ 101 Abs. 7). Dies geben die EG-Richtlinien jedoch nicht vor, Gleichrangigkeit der Vergabeverfahren wäre daher zulässig, da die RL nur Mindestregelungen enthalten. • Das Nachprüfungsverfahren, §§ 102 ff • Das GWB als Ermächtigung für die Vergabeordnung (§§ 97 Abs. 6, 127) C. Die Vergabeverordnung (VgV) Sie trifft nähere Bestimmungen über das Vergabeverfahren (oberhalb der EUSchwellen). Für „Sektorenauftraggeber“ gilt die Sektorenverordnung (Abschnitt D). Die wichtigsten Regelungen sind: Festlegung der Schwellenwerte (§ 2 VgV) • Beispiele: ◊ Bei allen Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen: z. Zt. 200.000 € (§ Nr. 2 VgV) ◊ Bei Bauaufträgen: z. Zt. 5.000.000 € (§ 2 Nr. 3 VgV) Diese Zahlen kommen durch turnusmäßige Neufestsetzungen der Schwellenwerte durch die EU-Kommission zustande, die hinsichtlich der Auftragswerte in Übereinstimmung mit den Richtlinien des WTO-Beschaffungsübereinkommens gebracht wer- 21 BGBl I, S. 2676 12 den. Die Werte sind in Sonderziehungsrechten ausgedrückt und müssen alle 2 Jahre bezüglich der Gegenwerte in € überprüft und ggf. angepasst werden. • Berechnung der Schwellenwerte (§ 3 VgV) Grundsatz: Es ist von der geschätzten Gesamtvergütung auszugehen. Der Wert eines beabsichtigten Auftrages darf nicht in der Absicht geschätzt oder aufgeteilt werden, den Auftrag der Anwendung der VgV zu entziehen (§ 3 Abs. 1 und 2). • Festlegung der jeweils anzuwendenden Abschnitte der Vergabeordnungen für die verschiedenen Kategorien von Auftraggebern bei Liefer- und Dienstleistungen, freiberuflichen Leistungen und Bauaufträgen, (§§ 4 – 6 VgV). • Informations- und Wartepflicht nach § 101a GWB Bieter, die nicht berücksichtigt werden sollen, müssen 15 Tage vor dem Zuschlag vom Auftraggeber informiert werden; vor Ablauf dieser Frist ist kein Zuschlag (Vergabe) erlaubt. • Befristete Unwirksamkeit des Vertrages nach § 101b GWB Bei Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht oder bei Direktvergabe (Auftrag unzulässigerweise ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens) ist der Vertrag befristet unwirksam. D. Die Sektorenverordnung (SektVO) Bei der Vergabe von Aufträgen auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs (Sektoren), wenden die Auftraggeber nach § 98 Nr. 1-4 GWB grundsätzlich die SektVO ab Erreichen der Schwellenwerte nach Art. 16 der Richtlinie 2004/17 EG an (§ 1 Abs.2 SektVO). Ausnahmen ergeben sich aus § 3 SektVO. Der aktuelle Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungen liegt bei 400.000 €, der für Bauleistungen bei 5.000.000 €. E. Die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) Sie gilt nur oberhalb der EG-Schwellenwerte von z. Zt. 200.000 €. Sie ist besondere Vergabegrundlage für geistig-schöpferische Leistungen, die sich nicht für Vergaben nach der VOL/A unter Vorrang des offenen Verfahrens eignen, da die Leistungen nicht eindeutig und erschöpfend beschreibbar sind. 13 Die VOF ist in 2 Abschnitte eingeteilt: • Kapitel 1 enthält allgemeine Regeln für alle freiberuflichen Leistungen, • Kapitel 2 besondere Normen für Wettbewerbe bei Architekten- und Ingenieurleistungen. Grundsätzlich gilt das Verhandlungsverfahren mit vorheriger oder ohne Vergabebekanntmachung (§ 3 VOF, entspricht der freihändigen Vergabe). F. Das Vergabegesetz des Landes Niedersachsen vom 15. Dezember 200822 Das Gesetz gilt für Bauaufträge unabhängig von den jeweils geltenden EUSchwellenwerten und ist bis zum 31.12.2013 befristet. Es ist im Zusammenhang mit dem Wertgrenzenerlass des Landes vom 25.11.2011 (s. u. G) bis zum 31.12.2012 erst ab einem Auftragswert von 75.000 € (bisher 30.000 €) anzuwenden. Die Tariftreueerklärung ist jedoch weiterhin ab einem Auftragswert von 30.000 € abzugeben. G. Der Wertgrenzenerlass vom 25.11.201123 Der Erlass regelt bis zum 31.12.2012 unter bestimmten Voraussetzungen Verfahrenserleichterungen bei beschränkten Ausschreibungen und freihändigen Vergaben bei Bauaufträgen und Lieferungen/Dienstleistungen bis zu bestimmten Wertgrenzen (jeweils bezogen auf die zu vergebende Leistung (Einzelaufträge nach Losen, Gewerken), wenn die Gesamtmaßnahme unterhalb der EU-Schwellenwerte liegt. H. Rechtsschutz im Vergabeverfahren 1. Bei europaweiten Vergabeverfahren: Sog. Primärrechtsschutz (§ 102 ff GWB) Mit dem 4.Teil des GWB wurde 1999 auch ein eigenständiges Nachprüfungsverfahren bei der Auftragsvergabe eingeführt. Der Bund ist damit den Vorgaben aus den Rechtsmittelrichtlinien und Entscheidungen des EuGH nachgekommen. Das Verfahren ist zweistufig: 22 23 Nds. GVBl. 2008, S. 411 und Nds. GVBl. 2012, S. 6 Nds Min.Bl. Nr. 46/2011, S. 898 14 Auf der ersten Stufe des Nachprüfungsverfahrens stehen die Vergabekammern (VK) des Bundes und der Länder. Aufgabe der VK: Gewährleistung des europarechtlich gebotenen Rechtsschutzes in einem gerichtsähnlichen Verfahren. Das Verfahren vor den Vergabekammern ist also kein Gerichtsverfahren sondern ein Verwaltungsverfahren; die Beschlüsse der Vergabekammern sind daher Verwaltungsakte. Die Vergabekammern entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Der Vorsitzende muss die Befähigung zum Richteramt haben und sollte gründliche Kenntnisse des Vergabewesens aufweisen. Die Vergabekammer wird nur auf schriftlichen Antrag tätig (§ 107). Antragsbefugnis: Jedes Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat und geltend macht, in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB auf Einhaltung der Vergabevorschriften durch den Auftraggeber verletzt zu sein und dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. In § 97 Abs. 7 GWB ist festgelegt, dass „die Unternehmen Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält“. Rügepflicht (§ 107 Abs. 3) Die Unternehmen haben die Pflicht zur unverzüglichen Rüge bei Kenntnis von einem Verstoß im Vergabeverfahren. Suspensiveffekt nach § 115 Der Auftraggeber darf den Zuschlag nach Zustellung des Nachprüfungsantrages an den Auftraggeber vor der Entscheidung der VK oder vor Ablauf der Beschwerdefrist von 2 Wochen beim OLG (§ 118) (für Niedersachsen Vergabesenat des OLG Celle) nicht erteilen. Gestattung der Zuschlagerteilung (§ 115 Abs. 2) VK kann den Zuschlag nach Interessenabwägung dann gestatten, wenn die Nachteile einer Verzögerung des Zuschlags die Vorteile einer Nachprüfung überwiegen. Beschleunigungsgrundsatz (§ 113): 15 VK muss die Entscheidung über den Nachprüfungsantrag mit Begründung grundsätzlich innerhalb von 5 Wochen treffen. Zweite Stufe des Nachprüfungsverfahrens (§§ 116 ff): Sofortige Beschwerde Beginnt beim OLG mit der Einlegung der sofortigen Beschwerde innerhalb von 2 Wochen nach der Entscheidung der VK. Suspensiveffekt (§ 118) Sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der VK. Grundsätzlich keine Zuschlagserteilung erlaubt, Erteilung kann aber gestattet werden unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Beschwerde und einer Interessenabwägung (Interessen der Parteien und der Allgemeinheit am raschen Abschluss des Vergabeverfahrens (§ 121)). Schadenersatzansprüche vor den Zivilgerichten Neben dem Nachprüfungsverfahren können die Bieter Schadenersatzansprüche vor den ordentlichen Gerichten wegen Verletzung der Vergabevorschriften geltend machen, insbesondere kann Erstattung der Kosten für die Vorbereitung des Angebots und die Teilnahme am Vergabeverfahren verlangt werden. Schadensersatzansprüche bei Rechtsmissbrauch (§ 125) Antragsteller, welche die Rechtsschutzmöglichkeiten des Vergaberechts rechtsmissbräuchlich einsetzen, sind dem Gegner und den übrigen Verfahrensbeteiligten zu Schadensersatz verpflichtet. Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn • die Aussetzung oder die weitere Aussetzung des Vergabeverfahrens durch vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgetragene falsche Angaben erwirkt wird, • die Überprüfung mit dem Ziel beantragt wird, das Vergabeverfahren zu behindern oder Konkurrenten zu schädigen, • ein Antrag in der Absicht gestellt wird, ihn später gegen Geld oder andere Vorteile zurückzunehmen. Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer (§ 128) 16 Für die Amtshandlungen der VK werden Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Die Höhe der Gebühr beträgt grundsätzlich mindestens 2.500 Euro und soll grundsätzlich einen Betrag von 50.000 Euro nicht überschreiten. Die Vergabekammer verlangt mit der Zustellung des Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber die Zahlung eines Vorschusses in Höhe der Mindestgebühr. Kostentragungspflicht (§ 128 Abs. 3) Unterlegene im Verfahren haben die Kosten zu tragen. Bei Rücknahme des Nachprüfungsantrages vor der Entscheidung der VK ist die Hälfte der Gebühr zu entrichten. Bei Erfolg vor der VK werden die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen vom Gegner erstattet. Die Kostenentscheidungen des Beschwerdeverfahrens werden vom OLG in entsprechender Anwendung der ZPO (§§ 91, 92, 97) vorgenommen. 2. Sog. sekundärer Rechtsschutz bei nationalen („unterschwelligen“) Vergabevefahren Den Primärrechtsschutz gibt es bei Vergabeverfahren unterhalb der EUSchwellenwerte traditionell bisher nicht. Hier gilt z. Zt. Folgendes: • Für die Nachprüfung der Vergaben öffentlicher Aufträge haben Bieter die Möglichkeit, sich an die Rechts- und Fachaufsichtsbehörden zu wenden. • Bei Bauaufträgen gibt es die Möglichkeit, eine Nachprüfung behaupteter Verstöße bei den Nachprüfungsstellen nach § 21 VOB/A vornehmen zu lassen. Nachprüfungsstelle ist die Behörde, welche die Fach –und Rechtsaufsicht über die Vergabestelle ausübt. Dies sind: - bei kreisfreien Städten und Landkreisen das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (Referat 16), - bei kreisangehörigen Gemeinden die Landkreise als Kommunalaufsichtsbehörden, - bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten und Stiftungen) die vorgesetzten Dienststellen. 17 • Im Übrigen gibt es den Weg über Schadenersatzklagen vor den Zivilgerichten. Die Rechtsprechung gewährt Rechtsschutz nach den § 13 GVG, §§ 935, 940 ZPO im Rahmen einer einstweiligen Verfügung (z.B. OLG Stuttgart 11.04.2002 - 2 U 240/01). Voraussetzung ist jedoch nach h. M bisher, dass feststeht oder wenigstens glaubhaft gemacht ist, dass der öffentliche Auftraggeber vorsätzlich das Recht bricht oder sonst in unredlicher Absicht oder willkürlich vorzugehen droht. Das OLG Düsseldorf hat jedoch in seiner Entscheidung -27 U 1/09 vom 13. 01.2010- entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch nicht auf Fälle von Willkür oder bewusst diskriminierendem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers beschränkt ist. _________________________