die sonne speichern - Helmholtz

Transcrição

die sonne speichern - Helmholtz
SICHTBAR
DAS MAGAZIN AUS DEM HELMHOLTZ-ZENTRUM BERLIN | DEZEMBER 2013
ND
THEMEN U
N
MENSCHE
DIE SONNE
SPEICHERN
Internationalem Team gelang
bei der Erzeugung von Wasserstoff mit Licht ein Durchbruch
ENERGIE UMWANDELN
UND SPEICHERN
Porträt: Institutsleiterin
Silke Christiansen
MATERIE ERFORSCHEN
Neue magnetische
Datenspeicher
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
Ideen für BESSY II und für den
wissenschaftlichen Nachwuchs
1
INHALTSVERZEICHNIS
AUSGABE DEZEMBER 2013
04
IDEEN FÜR DIE ZUKUNFT
Die Geschäftsführung gibt Auskunft
ENERGIE UMWANDELN UND
SPEICHERN
07
PORTRÄT SILKE CHRISTIANSEN
08
DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN
10
MELDUNGEN
Marokko holt HZB-Expertise, LowtechMethoden im Blick, „Künstliches Blatt“ vor
Korrosion geschützt, Defekte detektiert,
Solarzellen beim Wachsen beobachtet
08
DIE SONNE SPEICHERN – DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN
Das Team um Roel van de Krol hat einen Durchbruch bei der
Produktion von Wasserstoff mit Sonnenlicht erzielt.
MATERIE ERFORSCHEN
13
PORTRÄT SUSAN SCHORR
14
MAGNET-VENTIL IM SANDWICH-STIL
15
MELDUNGEN
Domänenwände als Informationsspeicher,
Kriterien für Glas, Fossil durchleuchtet,
Graphen als Bauelement, Kontakte für
organische Elektronik
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
14
23
MAGNET-VENTIL IM
SANDWICH-STIL
VIER MESSPLÄTZE FÜR EMIL
Neue magnetische Schichtstrukturen könnten Daten
effizienter speichern.
Für die Forschung an Energiematerialien baut das HZB an
BESSY II das EMIL-Labor auf.
2
19
BESSER FORSCHEN AN BESSY II
Seit der Modernisierung läuft BESSY II stabil
im Top-up-Modus
20
1.000. PROTEINSTRUKTUR AN BESSY II
21
ZUKUNFTSPROJEKT BESSY VSR
Mit neuen Hohlraumresonatoren soll
BESSY VSR variable Pulslängen bieten
22
GOODBYE AMERICA!
Der neue Hochfeldmagnet wird nun montiert
23
VIER MESSPLÄTZE FÜR EMIL
24
NACHWUCHSFÖRDERUNG
Graduiertenschule, Schülerlabor-AG,
Nachwuchsgruppen
EDITORIAL
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
obwohl heute immer mehr Informationen nur noch im Web veröffentlicht werden
und auch wir diesen Trend mitmachen, glauben wir doch, dass ein Magazin mehr
zum Lesen einlädt als etwa ein Newsletter oder ein Facebook-Post. Deshalb halten
Sie nun eine „Sichtbar“ in den Händen, ein Magazin über Menschen und Themen
aus dem Helmholtz-Zentrum Berlin.
Wir stellen Ihnen Menschen vor, die am HZB die Forschung vorantreiben und
geben Ihnen einen Einblick in das, was sie tun. Sie arbeiten zum Beispiel an
Solarzellkonzepten der Zukunft, an der Speicherung von Sonnenenergie in Form
von Wasserstoff, an neuartigen Katalysatoren für die Energieumwandlung und an
Materialsystemen, die in Zukunft die Halbleiterelektronik ablösen könnten. Fortschritte auf diesen Gebieten werden es ermöglichen, mit weniger Energieaufwand
und Ressourcenverbrauch gut zu leben.
Damit wir auch in Zukunft über herausragende experimentelle Möglichkeiten verfügen, errichten unsere Expertinnen und Experten an der Synchrotronquelle BESSY II
gerade das neue EMIL-Labor. Außerdem planen sie mit BESSY VSR ein weltweit
einzigartiges Upgrade-Programm. Es wird völlig neue Experimentierbedingungen
an BESSY II bieten und eine Lücke schließen zwischen den heute verfügbaren
Synchrotronquellen der dritten Generation und reinen Kurzpulsquellen wie Freie
Elektronen Lasern.
Ina Helms
Antonia Rötger
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und freuen uns über jede Rückmeldung.
Ina Helms
Antonia Rötger
IMPRESSUM
Herausgeber: Helmholtz-Zentrum Berlin, www.helmholtz-berlin.de
Redaktion: Antonia Rötger, Ina Helms (V.i.S.P.). Rückmeldungen an [email protected]
Mitarbeit: Hannes Schlender, Silvia Zerbe
Gestaltung: Schleuse01 Werbeagentur
Fotonachweise: Bildrechte, wenn nicht anders genannt: HZB. Folgende Bilder stammen aus dem HZB-Science Photo Walk 2012: Titelbild: Michael Fernahl,
S. 12: Marion und Gerhart Bertling, S. 18 + 21: Frank Steinmann. Weitere Fotos: S. 25: cienpiesnf (Fotolia), S. 2 + 14: BebEtter (iStock-Photo)
Druck: Elbe Druckerei Wittenberg, Breitscheidstraße 17 in 06886 Lutherstadt Wittenberg; www.elbedruckerei.de
3
INTERVIEW
IDEEN FÜR DIE ZUKUNFT
Die Geschäftsführung spricht über ihre Pläne für BESSY II, die verstärkte
Ausrichtung des HZB auf Energieforschung und über das Ende der Neutronenforschung am HZB.
Das Gespräch
führten Ina Helms
und Silvia Zerbe.
N
ach zirka 60 Jahren erfolgreicher Neutronenforschung in Berlin soll der Einsatz des
Forschungsreaktors BER II zum 1. Januar
2020 enden. „Sichtbar“ sprach mit der wissenschaftlichen Geschäftsführerin Anke Kaysser-Pyzalla und
dem kaufmännischen Geschäftsführer Thomas Frederking darüber, wie sich das HZB für die Zukunft
neu aufstellt und welche Forschungsschwerpunkte
gesetzt werden sollen.
Der Aufsichtsrat hat die Abschaltung des BER II
zum 1. Januar 2020 beschlossen. Die Neutronenforschung soll danach ganz aufgegeben werden.
Was heißt das für die Zukunft des HZB?
AKP: Mit dem Beschluss haben wir die Chance, unsere strategische Ausrichtung in den nächsten Jahren
weiter auf die Energieforschung und die Forschung
mit Photonen zu setzen. Unsere Photonenquelle
BESSY II ist durch das kürzlich abgeschlossene Upgrade gut für die nächsten Jahre
aufgestellt. Jetzt stehen neue Entwicklungen in der Beschleunigerphysik und bei Experimentiertechniken an.
Wir erforschen heute bereits Materialien für die
Energieumwandlung.
Werden neue Themen
hinzukommen?
AKP: Wir müssen unser Forschungsprogramm verbreitern
und Nischen finden,
die noch nicht von anderen besetzt sind. Im
Rahmen der Programmorientierten Förderung
(POF) der HelmholtzGemeinschaft werden wir
4
uns zum Beispiel an dem neuen Programm „Speicher
und vernetzte Infrastrukturen“ beteiligen. An BESSY II
bauen wir außerdem das neue Labor „EMIL“ (Energy
Materials In situ Laboratory) auf. Es ist eine Blaupause
dafür, welche Infrastrukturen in Zukunft in der Energieforschung am HZB entstehen können.
Wie könnten die aussehen?
AKP: Wir können uns vorstellen, am Standort Wannsee eine große Infrastruktur für die Materialherstellung und -charakterisierung anzusiedeln. Vorbild dafür
ist das Foundry-Konzept aus den USA, zum Beispiel
die „Molecular Foundry“ in Berkeley. Diese Labore
würden den Forscherinnen und Forschern des HZB
zur Verfügung stehen, aber auch Nutzerinnen und
Nutzer könnten über mehrere Wochen und Monate
dort arbeiten. Unsere Vision ist, dass wir in Wannsee
Labore mit exzellenter Ausstattung für die Energieforschung aufbauen, die man nirgendwo sonst auf der
Welt findet und die alle nutzen können.
Wann könnten solche Infrastrukturen realisiert
werden?
AKP: Wir werden jetzt schon in der Förderperiode der
POF III die richtigen Weichen stellen und diesen Weg
dann in der POF IV konsequent fortführen. Das Ziel
ist, dass wir eine strategische Ausbauinvestition für
die Energieforschung bei der Helmholtz-Gemeinschaft
beantragen. Auf dem Weg dorthin werden wir eine
Perspektivkommission einrichten, von der wir uns
kritische und wegweisende Diskussionen erwarten.
Welche Pläne gibt es zur Weiterentwicklung von
BESSY II?
AKP: Wir wollen Nutzerinnen und Nutzern zukünftig
einen Photonenstrahl zur Verfügung stellen, der ihnen
eine hohe Flexibilität bietet – etwa bei der Wahl der Pulslänge. Die Idee dahinter: Alle Nutzer, die wie bisher eine
quasi-kontinuierliche Lichtquelle für ihre Experimente
benötigen, können im gewohnten Modus experimentie-
Den Gutachtern zeigen wir damit: Wir können das!
ren. Gleichzeitig können sich diejenigen Nutzer ihre
kurzen Lichtblitze herausfiltern, die bisher nur wenige
Tage pro Jahr diesen speziellen Pulsmodus nutzen
konnten. Diese Flexibilität würde der Photonenquelle
international eine besondere Stellung einräumen. Im
Projekt „BESSY VSR“ wollen wir diese Erweiterungen
umsetzen.
Gibt es schon Reaktionen der Nutzer auf die Pläne?
AKP: Auf dem letzten Nutzertreffen und auf einem
kürzlich durchgeführten Workshop mit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde das Konzept zu
BESSY VSR sehr positiv aufgenommen. Andere Synchrotronquellen, zum Beispiel in den USA, haben auch
bereits Interesse bekundet. Jetzt kommt es darauf an,
dass wir auch bei den detaillierten Ausarbeitungen
und der Sicherung der Finanzierung schnell genug
sind. Wir wollen nicht nur diejenigen sein, die die
erste Idee für einen variablen Speicherring hatten. Wir
wollen diese Idee auch zuerst an BESSY II umsetzen.
TF: Mit Versuchen im Vorfeld zum „Herauspicken“
einzelner Pulse haben wir auch schon gezeigt, dass
wir die technischen Voraussetzungen haben und über
Expertise verfügen. Den Gutachtern zeigen wir damit:
Wir können das!
Am HZB werden derzeit die Beschleunigerkompetenzen ausgebaut. Warum ist das wichtig?
TF: Wenn wir ein Nachfolgegerät für BESSY II errichten
wollen, dann brauchen wir die Beschleunigerphysik
und diejenigen, die in der Lage sind, einen Beschleuniger zu bauen. Diese Expertise erweitern wir jetzt:
zum Beispiel mit BERLinPro und BESSY VSR. Deshalb
haben wir in den letzten Jahren auch unser Know-how
in der Simulation gestärkt, unter anderem durch die
Nachwuchsgruppe von Alexander Matveenko.
Wenn man BESSY II auf technischem Stand hält,
erhöht man auch die Chance für ein Nachfolgegerät. Könnte das in Wannsee stehen?
AKP: Alle Anstrengungen, die wir derzeit unternehmen, zielen perspektivisch darauf ab, ein Nachfolgegerät für BESSY II zu bekommen. Wir können
heute noch nicht sagen, wie es aussehen und wo
es stehen wird. Der Lise-Meitner-Campus in Wannsee hat jedoch viele Vorteile, insbesondere alle
Betriebsgenehmigungen, die man für ein solches
Großgerät braucht. Insofern ist Wannsee für uns
eine sehr gute Option.
Der Neutronenforschung bleiben noch sechseinhalb
Jahre in Wannsee. Wie viele Instrumente bleiben
bis dahin erhalten?
AKP: Wir haben unsere Instrumente evaluieren lassen
und wollen zehn Neutroneninstrumente weiter betreiben. Für die anderen suchen wir nach Kooperationspartnern. Das können Einrichtungen aus dem In- und
Ausland sein, die Interesse am eigenständigen Betrieb
eines Instruments haben. Voraussetzung ist, dass die
Interessenten das notwendige Personal mitbringen
und auch Kosten für Reparaturen tragen.
Was erwarten Sie von den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern?
AKP: Wir erwarten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viele neue Ideen. Wir wollen, dass sie sich
in den Prozess der strategischen Ausrichtung aktiv
einbringen. Für die Energieforschung und BESSY VSR
müssen Strategiepapiere erarbeitet werden – das darf
nicht nur den Institutsleitern überlassen werden. Ich
bin mir sicher: Wir werden eine spannende Zukunft
vor uns haben und es lohnt sich, die Anstrengungen
jetzt in Kauf zu nehmen. 5
ENERGIE
UMWANDELN
UND
SPEICHERN
Die Sonne schickt in einer Stunde mehr Energie
auf die Erde, als die Menschheit in einem Jahr
verbraucht. Solarenergie kann den Energiebedarf
decken, das steht fest, denn selbst Wind und Biomasse werden durch die Sonne erzeugt. Und die
Photovoltaik wird einen großen Beitrag leisten, um
die Energiewende zu meistern. Allerdings müssen
Solarzellen noch preiswerter werden. Außerdem
scheint die Sonne nicht immer dann, wenn der
Strom gebraucht wird. Am HZB arbeiten wir daher an Solarzellen der dritten Generation und
entwickeln neue Lösungen, um die Solarenergie
chemisch in Form von Solaren Brennstoffen zu
speichern: Dafür untersuchen wir komplexe Materialsysteme, die mit Sonnenlicht Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten. Wasserstoff kann
als Brennstoff genutzt werden oder in Brennstoffzellen Strom erzeugen.
6
PORTRÄT
GROSSE AUFGABEN UND VIEL
GESTALTUNGSSPIELRAUM
Seit Anfang 2013 baut Silke Christiansen das neue Institut „Nanoarchitekturen für die
Energiewandlung“ am HZB auf. Dabei arbeitet sie am Standort Adlershof an der Planung
des Energy Materials In situ Laboratory (EMIL) an BESSY II mit, während sie am LiseMeitner-Campus in Wannsee die Expertise zur Elektronenmikroskopie konzentriert. Ihre
außergewöhnliche Karriere hat sie sich hart erarbeitet.
Text: Antonia Rötger
S
ilke Christiansen war keineswegs schon immer auf die Naturwissenschaften festgelegt,
im Gegenteil: Als Schülerin beschäftigte
sie sich vor allem mit Kunst, Film und Musik, hatte die Leistungskurse Deutsch und Latein belegt
und als Berufsvorstellung so etwas wie Lehramt für
Sprachen im Visier. Doch nach dem Abi arbeitete
sie im Kistenlager bei IKEA und lernte dort viele
arbeitslose Deutschlehrer kennen. „Die haben zu
mir gesagt: Probier was anderes. Wenn du zu doof
bist, merkst du das
schon und kannst nach
zwei Semestern wechseln“, erinnert sich Silke
Christiansen heute. „Ich
dachte, ich kann das
mal ausprobieren. Und
dann habe ich festgestellt, dass mir das sehr
gut gefällt.“
SILKE
CHRISTIANSEN
Die ersten Semester
Werkstoffwissenschaften waren nicht einfach,
doch Silke Christiansen
fand bald eine Mitstreiterin: „Im ersten Praktikum
stand ich mit dieser Freundin vor dem Oszillografen
und wir hatten keine Ahnung, was wir tun sollten.
Wir haben die Sachen aber ernst genommen und
dann viele überholt.“
Mit über 180 Veröffentlichungen und
10 Patenten zählt sie zu den produktivsten Forscherinnen ihres Fachs.
Nach dem Studium und der Promotion habilitierte
sie sich und ging mit einem Feodor-Lynen-Stipendium in die USA. Dann kam das erste Kind, inzwi-
schen sind es sogar drei. Auf Kinder zu verzichten,
stand für sie nicht zur Debatte. Dabei arbeitete Silke
Christiansen kontinuierlich weiter. „Ganz wichtig ist,
dass meine Eltern, vor allem meine Mutter, mich
voll unterstützen“, erzählt sie. „Wir leben als Großfamilie in einem Haus zusammen, mit allen Vor- und
Nachteilen. Ich kann ja nicht verlangen, dass Oma
und Opa die Kinder betreuen und sonst nichts mit
meinem Leben zu tun haben. So konnte ich meine
beruflichen Verpflichtungen flexibel wahrnehmen
und wusste immer, dass es den Kindern gut geht.“
Obwohl im Rückblick ihr Karriereweg sehr geradlinig
aussieht, hat Silke Christiansen immer auch einen
Plan B gehabt, denn „auch wenn man sehr gut ist,
braucht man ein bisschen Glück, Chancen, die man
ergreifen kann. Und es kann trotzdem schiefgehen“.
Sie bewarb sich erfolgreich in der Industrie und entschied sich dann doch wieder für die Wissenschaft.
Zuletzt leitete Silke Christiansen eine unabhängige
wissenschaftliche Gruppe für „Photonische Nanostrukturen“ am Max-Planck-Institut für die Physik des
Lichts in Erlangen. „Da hatte ich bereits eine größere
Gruppe und eine Dauerstellung mit guten Perspektiven. Die neue Aufgabe am HZB bietet mir nun jedoch
noch deutlich mehr Gestaltungsspielraum.“
Für den Aufbau des Instituts steht Silke Christiansen
eine zusätzliche Finanzierung durch die HelmholtzRekrutierungsinitiative von 600.000 Euro pro Jahr
über fünf Jahre zur Verfügung. Ihr Ziel ist es, neuartige Material-Komposite für Solarzellen der dritten
Generation und solare Brennstoffe zu entwickeln. 7
DURCHBRUCH BEI SOLARER WASSERSTOFFPRODUKTION
DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN
Dass sich Sonnenlicht nutzen lässt, um Wasserstoff zu produzieren, ist im Prinzip
klar. Doch die Umsetzung ist schwierig: Am HZB-Institut für Solare Brennstoffe
arbeiten Forscher um Roel van de Krol an neuen Lösungen, die stabil, effizient
und preiswert sind.
Text: Antonia Rötger
M
it einer einfachen Solarzelle und einer
Photo-Anode aus Metalloxid konnten
Forscher aus dem HZB und der TU Delft
fast fünf Prozent der Solarenergie chemisch in Form
von Wasserstoff speichern. Dies ist ein Durchbruch,
weil die verwendete Solarzelle deutlich einfacher
aufgebaut ist als die sonst eingesetzten Hochleistungszellen, die aus „triple junctions“ von dünnen,
amorphen Siliziumschichten oder teuren III-V-Halbleitern bestehen. Die Photo-Anode aus dem Metalloxid
Wismut-Vanadat wurde – versetzt mit zusätzlichen
Wolfram-Atomen – einfach aufgesprüht und mit einem preisgünstigen Kobalt-Phosphat-Katalysator beschichtet. „Wir haben hier das Beste aus zwei Welten
kombiniert“, sagt Roel van de Krol, Leiter des HZBInstituts für Solare Brennstoffe und Professor an der
TU Berlin. „Wir nutzen die chemische Stabilität und
den niedrigen Preis von Metalloxiden, bringen diese
mit einer sehr guten, aber recht einfachen SiliziumDünnschichtsolarzelle zusammen und erhalten so
eine günstige, sehr stabile und leistungsstarke Zelle.“
Damit haben die Experten ein einfaches System entwickelt, das mit Sonnenlicht Wasser in Wasserstoff
und Sauerstoff aufspalten kann. Der Prozess ist unter
dem Stichwort „Künstliche Photosynthese“ bekannt
und ermöglicht es, die Energie der Sonne in Form von
Wasserstoff chemisch zu speichern. Denn Wasserstoff
kann entweder direkt oder in Form von Methan als
Brennstoff genutzt werden oder in Brennstoffzellen
Strom erzeugen.
GROSSES POTENZIAL
Eine Überschlagsrechnung zeigt, welches Potenzial
diese Technologie besitzt: Bei einer Sonnenleistung
von rund 600 Watt pro Quadratmeter in Deutschland könnten 100 Quadratmeter eines solchen Systems in einer einzigen sonnigen Stunde schon drei
Kilowattstunden Energie in Form von Wasserstoff
speichern. Der Wasserstoff könnte dann nachts oder
8
an bewölkten Tagen direkt als Brennstoff oder für
die Stromerzeugung in Brennstoffzellen genutzt
werden.
PHOTO-ANODE AUS METALLOXID
SCHÜTZT DIE ZELLE VOR KORROSION
Die Experten um van de Krol haben nun eine verhältnismäßig einfache Silizium-Dünnschichtsolarzelle mit
einer Schicht aus Metalloxid kombiniert. Nur diese
Schicht kommt in Kontakt mit dem Wasser und bildet
die Photo-Anode, an der Sauerstoff entsteht. Gleichzeitig schützt sie die empfindliche Siliziumzelle vor
Korrosion. Das Team untersuchte systematisch, wie
der Lichteinfall, die Ladungstrennung und die Wasserspaltung in unterschiedlichen Metalloxiden ablaufen,
um diese weiter zu optimieren. Mit einer Photo-Anode
aus Wismut-Vanadat müssten theoretisch sogar Wirkungsgrade von bis zu neun Prozent für die elektrochemische Zelle erreichbar sein, sagt van de Krol. Ein
Problem konnte sein Team bereits lösen: Mithilfe eines
preiswerten Kobalt-Phosphat-Katalysators schafften
sie es, die Bildung von Sauerstoff an der Photo-Anode
deutlich zu beschleunigen.
NEUER REKORD BEI DER
LADUNGSTRENNUNG
Die größte Herausforderung war jedoch, in der
Wismut-Vanadat-Schicht die Ladungen effizient zu
trennen. Denn Metalloxide sind zwar stabil und billig,
aber die Ladungsträger neigen dazu, rasch wieder
zusammenzufinden, also zu rekombinieren. Damit
gehen sie für die Wasserspaltung verloren. Van de
Krol und seine Mitarbeiter fanden nun heraus, dass
hier der Einbau zusätzlicher Wolfram-Atome in die
Wismut-Vanadat-Schicht hilfreich ist. „Es kommt darauf an, diese Wolfram-Atome optimal zu verteilen,
dann erzeugen sie ein internes elektrisches Feld, das
die Rekombination verhindert“, erläutert van de Krol.
Um dies zu erreichen, sprühten sie eine Lösung von
Roel van de Krol und sein Team am HZB-Institut für Solare Brennstoffe haben eine Silizium-Dünnschichtsolarzelle mit einer Schicht aus Metalloxid kombiniert, die als Photo-Anode wirkt. Nur diese Schicht kommt mit
dem Wasser in Kontakt und schützt so die empfindliche Siliziumzelle vor Korrosion. Fotos: A. Kubatzki / HZB
Wismut, Vanadium und Wolfram auf ein heißes Glassubstrat auf, wobei das Lösungsmittel verdampft.
Durch mehrfaches Wiederholen des Sprühvorgangs
mit jeweils unterschiedlichen Wolfram-Konzentrationen entsteht eine höchst effiziente photoaktive
Metalloxid-Schicht von etwa 300 Nanometern Dicke.
„Wir verstehen noch nicht sehr gut, warum gerade
Wismut-Vanadat so besonders gut funktioniert. Wir
haben aber festgestellt, dass mehr als 80 Prozent
der eingefangenen Photonen genutzt werden, das
ist wirklich ein Rekord für ein Metalloxid und war
auch physikalisch unerwartet“, sagt van de Krol. Eine
der nächsten Herausforderungen wird sein, solche
Systeme auf Quadratmetergröße hochzuskalieren,
damit sie relevante Mengen an Wasserstoff erzeugen
können. e-
H2O
O2
eH2
Platinelektrode
e-
H2
Kontakt
O2
+ + + + + + Katalysatorschicht + + + + + +
Metalloxid-Halbleiterschicht
Solarzelle
Glas-Substrat
Fällt Licht auf das System,
entsteht eine elektrische Spannung zwischen der Platin-Elektrode (weiße Spirale im Bild)
und der Metalloxid-Schicht.
Während an der Platin-Elektrode Wasserstoff (rot) entsteht,
bildet sich Sauerstoff (blau) an
der Metalloxid-Schicht. Sie ist
durch eine leitfähige Brücke
aus Graphit (schwarz) mit der
eigentlichen Solarzelle verbunden. Da nur die MetalloxidSchicht mit dem Elektrolyten
(Wasser) in Kontakt kommt,
bleibt die restliche Solarzelle
vor Korrosion geschützt.
9
ENERGIE UMWANDELN UND SPEICHERN
HZB-EXPERTE ZUM VORSITZENDEN DES WISSENSCHAFTLICHEN RATS BERUFEN
MAROKKO SETZT AUF SOLARFORSCHUNG
Marokko liegt im Sonnengürtel der Erde, deckt aber
bislang den eigenen Energiebedarf hauptsächlich
durch importierte fossile Brennstoffe wie Erdöl und
Kohle. Bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien
an der Stromversorgung von aktuell 26 Prozent auf
42 Prozent steigen, hat das Land beschlossen. Dabei
will Marokko aber nicht allein von importierten Technologien abhängen, sondern auch eigene Ansätze
entwickeln und die Industrie fördern. Eine wichtige
Rolle dabei spielt das
neu gegründete Institut IRESEN (Institut de
Recherche en Energie
Solaire et Energies Nouvelles). Als staatlicher
Projektträger soll es eine
Forschungslandschaft in
Marokko aufbauen und
Industrie- und Grundlagenforschung zu Wind- und
Sonnenenergie miteinander verknüpfen. Der HZBSolarexperte Ahmed Ennaoui wurde im Sommer 2013
zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rats von
IRESEN gewählt. Dabei bringt er seine Erfahrungen
ein, um die Forschungsstrategie zu definieren und
das neue Institut weiter zu vernetzen.
Aktuell begleiten die IRESEN-Experten den Bau eines
solarthermischen Kraftwerks in Ait Baha, im Süden
Marokkos. „Mit dem Aufbau solcher Kraftwerke kann
Marokko sowohl sauberen Strom erzeugen als auch
die ansässige Industrie stärken“, erklärt Ennaoui. Bedarf an Strom gibt es genug, denn zum einen haben
längst noch nicht alle Bürgerinnen und Bürger einen
Stromanschluss, zum anderen stünde dann auch „grüner“ Strom für die Entsalzung von Meerwasser zur
Verfügung. Diese gigantischen Zementstrukturen werden aktuell im Süden Marokkos aufgebaut, wo ein großes
solarthermisches Kraftwerk geplant ist (CSP Ait Baha). Sie sollen verspiegelte Rinnen tragen, die die
Sonnenhitze konzentrieren. Eine Leitung im Brennpunkt dieser Rinnen enthält eine Flüssigkeit, die stark
erhitzt wird. In weiteren Schritten kann über eine Dampfturbine Strom erzeugt werden. Ein marokkanisches
Zementwerk stellt die Trägerstrukturen her.
LOWTECH-METHODEN FÜR DÜNNSCHICHTSOLARZELLEN
Sonya Calnan hat einen Traum: Solarmodule, die mit Lowtech-Methoden
hergestellt werden und günstig sauberen Strom erzeugen. Die promovierte Elektroingenieurin arbeitet daran, diese Ziele zu erreichen. Als eine der
ersten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen bei Rutger Schlatmann hat sie das
PVcomB mit aufgebaut. Diese Einrichtung wurde 2009 vom HZB, von Berliner
Universitäten und weiteren Partnern gegründet, um eine Brücke zwischen Forschung und Industrie zu schlagen.
Calnan stammt aus Uganda, wo Strom vor allem durch Wasserkraft erzeugt
wird. Doch die Wasserkraftwerke Ugandas können den wachsenden Bedarf
nicht mehr decken, in der Trockenzeit kommt es zu Stromausfällen. Sonne
dagegen steht reichlich zur Verfügung, wird jedoch aus Kostengründen wenig
genutzt. Sonya Calnan hat sich deshalb auf Photovoltaik spezialisiert. Am
PVcomB berät sie Unternehmen, forscht aber auch selbst. In der Gruppe um
Martha Lux-Steiner vom HZB untersucht sie zum Beispiel elektrochemische
Nassverfahren mit dem Ziel, solche Lowtech-Depositionsverfahren weiterzuentwickeln. „Man braucht kein Vakuum und keinen richtigen Reinraum. Dies macht
es viel einfacher und damit auch billiger, Solarzellen herzustellen.“ 10
Ein Forschungsschwerpunkt von Sonya Calnan sind transparente
Kontakte aus Zinnoxid oder Zinkoxid, die mehr Licht in die SiliziumDünnschichtsolarzellen durchlassen. Hier zeigt sie Proben mit
unterschiedlicher Oberflächenrauigkeit. Foto: A. Rötger / HZB
ENERGIE UMWANDELN UND SPEICHERN
DEFEKTE AM FINGERABDRUCK ERKANNT
Foto: D. Stellmach / HZB
„KÜNSTLICHES BLATT“ SPALTET WASSER
Eine Doktorandin am Institut für Solare Brennstoffe hat einen großen Erfolg bei ihrem „Künstlichen Blatt“ erzielt: Diana Stellmach verwendet eine
„Superstrat-Solarzelle“ aus dem PVcomB. Die Besonderheit: Das Licht fällt
auf die völlig freie Vorderseite, die nicht von Kontakten verschattet wird.
Die Spannung entsteht zwischen den beiden Sektoren auf der Rückseite der
Zelle. Der eine Sektor besteht aus der eigentlichen Solarzelle und wird mit
dem Katalysator Platin beschichtet: Dort bildet sich Wasserstoff. Der andere
Sektor bildet die Gegenelektrode, die mit dem Katalysator Ruthenium-Dioxid
beschichtet ist, um die Sauerstoffbildung zu beschleunigen. Nur mit diesen
beiden Sektoren ragt die Zelle in das Wasser. Das Wasser ist mit Schwefelsäure versetzt, damit die Elektrolyse besser funktioniert. Doch dadurch korrodiert die Solarzelle rasch. Nach systematischem Experimentieren hat Diana
Stellmach einen Weg gefunden, um die Zelle zu schützen: Sie trägt die beiden
Katalysatoren zusammen mit einem leitfähigen Kunststoff auf. Der Kunststoff
versiegelt die empfindliche Zelle gegen Korrosion und ermöglicht so eine
stabile Ausbeute von etwa 3,7 Prozent des Sonnenlichts. HZB-Physiker um Alexander Schnegg haben
in Heterokontakt-Silizium-Solarzellen wichtige Defekte erstmals anhand ihres „magnetischen Fingerabdrucks“ identifiziert. Mit einer
empfindlichen Messmethode und unterstützt
durch Computersimulationen an der Universität Paderborn zeigten sie, dass sich die
Defekte genau an der Grenze zwischen dem
Siliziumwafer und der nur zehn Nanometer
dünnen Schicht aus amorphem Silizium anlagern. „Diese Ergebnisse können wir auch auf
andere Typen von Silizium-Solarzellen anwenden und so Wege finden, den Wirkungsgrad
weiter nach oben und die Kosten nach unten
zu treiben“, sagt Schnegg.
Defekte verraten sich durch ihren „magnetischen Fingerabdruck“. Bild: Universität Paderborn / HZB
SOLARZELLEN BEIM WACHSEN ZUSEHEN
Erstmals haben Roland Mainz und Christian Kaufmann vom HZB das Wachstum von Chalkopyrit-Dünnschichtsolarzellen in Echtzeit beobachtet. Solche Solarzellen aus Kupfer-Indium-Gallium-Selenid erreichen heute schon
sehr gute Wirkungsgrade von mehr als 20 Prozent. Um die extrem dünnen,
polykristallinen Schichten zu produzieren, hat sich der Prozess der „Ko-Verdampfung“ bewährt, bei dem jeweils zwei Elemente gleichzeitig aufgedampft
werden. „Bis vor Kurzem wussten wir jedoch nicht genau, was dabei eigentlich
passiert“, sagt Mainz. Die Physiker haben eine neuartige Versuchskammer
konstruiert. Mit ihr kann man während der Ko-Verdampfung die Bildung der
polykristallinen Chalkopyrit-Schicht im Synchrotronlicht von BESSY II untersuchen. Dabei konnten sie auch verfolgen, wie sich Defekte bilden und auflösen,
die den Wirkungsgrad mindern. Ihre Ergebnisse zeigen, in welchen Stadien
das Wachstum beschleunigt werden könnte und wann mehr Zeit notwendig
ist, um Defekte zu reduzieren. CIGS-Dünnschichtsolarzelle. Foto: C.Kaufmann / HZB
11
MATERIE ERFORSCHEN
Zwar wissen wir, dass Materie aus Atomen besteht, aber danach wird es kompliziert: Denn die Eigenschaften von Materialien werden
keineswegs allein durch die Art der Atome bestimmt, sondern auch davon, wie sie sich anordnen und welche Wechselwirkungen sie
untereinander oder mit benachbarten Schichten eingehen. Am HZB gehen wir diesen Fragen auf den Grund. Dabei zeigt sich, wie
sehr Materialforschung mit dem Thema „Energie und Rohstoffe“ verbunden ist: Die Materialforschung trägt dazu bei, neue Materialsysteme zu entwickeln, die für Solarzellen interessant sind, die elektronische Bauteile mit weniger umweltschädlichen oder seltenen
Elementen ermöglichen oder die verlässlich und mit minimalem Energiebedarf Informationen speichern können.
12
MATERIE ERFORSCHEN
PORTRAIT
ENTSCHLOSSEN ZU FORSCHEN
Die Materialforscherin Susan Schorr musste viele Hürden überwinden, um ihren
Weg zu gehen. Heute leitet sie ein großes Team.
Text: Silvia Zerbe
S
usan Schorr leitet die HZB-Abteilung „Kristallographie“ und ist gleichzeitig Professorin am
Fachbereich „Geowissenschaften“ der Freien
Universität Berlin. Sie hat es geschafft, ist auf vielen
Feldern als kompetente Expertin anerkannt. Doch einfach war ihr Weg in die Forschung nicht, im Gegenteil.
Aufgewachsen ist sie in der DDR, in Leipzig. Die erste Hürde war, dass sie trotz sehr guter Noten nicht
angehende Kristallographin, also schlug sie sie für
ihre Diplomarbeit vor. Aber damals herrschte noch
ein anderer Ton an den ostdeutschen Unis, man teilte
ihr, wie anderen Studenten auch, einfach ein Thema
zu: „Ich sollte Proteine kristallisieren. Das war genau
das, was mich am wenigsten interessierte und worin
ich nicht besonders geschickt war.“
Auch mit dem Wunsch zu promovieren, scheiterte
Susan Schorr 1989 an der Humboldt-Universität.
Abschrecken ließ sie sich davon nicht. Nach dem
Abschluss ihres Studiums bewarb sie sich bei Feri
Mezei am damaligen Hahn-Meitner-Institut (HMI) und
bekam eine Doktorandenstelle. Sie untersuchte die
Dynamik isotroper Heisenberg-Ferromagnete mithilfe
der inelastischen Neutronenstreuung. Mezei erkannte
ihr Talent, stellte sie danach als wissenschaftliche
Mitarbeiterin ein und nahm sie mit nach Los Alamos.
SUSAN SCHORR
Die Kristallographin hat in Physik promoviert, sich in der Mineralogie
habilitiert und untersucht heute komplexe Materialsysteme.
zum Abitur zugelassen wurde. Die wenigen Plätze
an weiterführenden Schulen wurden an Kinder aus
politisch wohlgesonnenen Elternhäusern vergeben.
So begann sie in Halle / Saale eine Ausbildung zur
Geologiefacharbeiterin mit berufsbegleitendem Abitur. Anschließend wollte sie Kristallographie an der
Humboldt-Universität zu Berlin studieren. Zwar wurde
sie dieses Mal auf Anhieb zugelassen, aber schon im
dritten Semester wieder exmatrikuliert. Man warf ihr
regimekritisches Verhalten vor. Sie suchte sich einen
Job als Chemielaborantin in Bitterfeld. Ein Jahr später
durfte sie sich wieder immatrikulieren, nach einem
ernsthaften Gespräch mit der Hochschule: Wer so
gute Noten habe, müsse sich gegenüber dem sozialistischen Staat angemessen verhalten, belehrte man
sie. Kurz vor ihrem Studienabschluss fiel die Mauer.
„Ich las einen Aushang, dass das Hahn-Meitner-Institut (HMI) einen Kurs zur Röntgenbeugung anbot,
und meldete mich an.“ Die Methodik faszinierte die
Als ihr Sohn auf die Welt kam, pausierte die Wissenschaftlerin zwei Jahre. Noch während der Elternzeit
bekam Susan Schorr eine Habilitationsstelle an der
Universität Leipzig. Kurz vor Ende ihrer Habilitation
warb dann Hans-Werner Schock vom HZB um die patente Forscherin. Er suchte eine Expertin für Röntgenstrukturuntersuchungen an Dünnschichtsolarzellen – und Susan Schorr ging zurück an das HZB und
arbeitete sich in das Thema „Halbleitermaterialien“
ein. Es hätte ein kurzes Intermezzo in Berlin werden
können. Denn nach Ablauf des Vertrages wäre sie
zwölf Jahre befristet in der Forschung angestellt gewesen – und hätte nach dem Wissenschaftszeitvertraggesetz nicht mehr arbeiten dürfen.
Susan Schorr bewarb sich auf eine W2-Professur für
Geo-Materialforschung am Fachbereich „Geowissenschaften“ der Freien Universität Berlin und setzte sich
gegen die Konkurrenz durch. Neben der Tätigkeit an
der Uni arbeitete sie als Gruppenleiterin am HZB. Im
April 2011 wurde die Abteilung „Kristallographie“ am
HZB ins Leben gerufen und ihre Professur in eine
S-Professur umgewandelt. An der Universität trifft
13
MATERIE ERFORSCHEN
man Susan Schorr dennoch häufig an: „Es macht
mir Freude, Vorlesungen zu halten und Studierende
auszubilden“, erzählt sie. Heute sitzt sie in einem
kleinen Büro in Wannsee mit Blick ins Grüne. Ihre
Forschung konzentriert sich vor allem auf Materialien für die Energieumwandlung, insbesondere
Dünnschichtsolarzellen, die sie mit Neutronen und
Photonen untersucht. „Wir müssen die physikalischen Eigenschaften aus ihrer atomaren Struktur
heraus verstehen. Uns interessieren Chalkopyrite,
aber auch Kesterite, die die Kosten für Solarenergie
senken könnten“, sagt Susan Schorr. Seit 2012 ist
sie Sprecherin des Virtuellen Helmholtz-Instituts
für Mikrostrukturkontrolle für Dünnschichtsolarzellen. Dazu koordiniert sie die neue Graduiertenschule „Materials for Solar Energy Conversion“ am
HZB. Aus ihrer Arbeitsgruppe ist mittlerweile eine
14-köpfige Abteilung geworden, in der fünf Postdocs und drei Doktoranden arbeiten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gerade dabei, die
instrumentellen Möglichkeiten am Forschungsreaktor BER II und an der Synchrotronquelle BESSY
II weiterzuentwickeln.
Wer sich die verschiedenen Projekte anschaut, an
denen Susan Schorr beteiligt ist, erahnt die Arbeitsbelastung. Nur das Wochenende hält sie sich für
die Familie frei. Zeit für das Hobby bleibe ihr leider
wenig, erzählt sie, und zeigt auf ein paar Tüten,
die unten im Regal in ihrem Büro liegen. „Das sind
antike Keramikscherben aus Aserbaidschan, die
ich noch untersuchen will. Ich war selbst bei den
Ausgrabungen dabei.“ Allein das wäre eine eigene
Geschichte wert. MAGNET-VENTIL IM SANDWICH-STIL
Eine am HZB entwickelte magnetische Struktur könnte Datenspeicher ermöglichen, die auch nach dem
Abschalten des Stroms funktionieren.
Datengedächtnis. Nun hat der HZB-Wissenschaftler
Florin Radu eine elegante Lösung gefunden, um diese Beschränkung zu überwinden.
Ursprünglich war es Neugier, die ihn trieb, als er das
Verhalten von dicht übereinanderliegenden, ultradünnen, magnetisierbaren Schichten untersuchte. Der
Physiker präparierte zwei Lagen aus verschiedenen
Metall-Legierungen so, dass er ihnen mithilfe eines
außen angelegten Magnetfelds zu Leibe rücken konnte. Ziel war es, die makroskopischen magnetischen Eigenschaften der Werkstoff-Kombination zu verändern
und zu ergründen, was auf atomarer Ebene geschieht.
MAGNETISCH WEICHE UND HARTE
SCHICHTEN
Booten dauert, denn nach dem
Einschalten des Computers
müssen alle Daten erst von der
Festplatte in den – flüchtigen –
Arbeitsspeicher geladen
werden. Bei Magnetspeichern
würde das Booten wegfallen.
Text: Ralf Butscher
14
B
ereits heute gibt es mit der MRAM-Technologie eine Möglichkeit, Computerdaten magnetisch zu speichern. Doch diese Bauteile
konnten sich bislang nicht am Markt durchsetzen,
weil sie teuer sind und die Informationen nur für
eine begrenzte Zeit behalten können. Nach einigen
Jahren schwindet auch bei MRAM-Speichern das
Dazu verwendete er zwei metallische Legierungen: Die
eine bestand aus den Elementen Eisen und Gadolinium, die andere aus Kobalt und Dysprosium. Beide Legierungen sind ferrimagnetisch. Das bedeutet: In der
Eisen-Gadolinium-Legierung zeigt das Magnetfeld der
Eisenatome genau in die entgegengesetzte Richtung
wie das Magnetfeld der Gadoliniumatome. Und in der
MATERIE ERFORSCHEN
Kobalt-Dysprosium-Legierung sind die Magnetfelder
des Kobalts antiparallel zu denen des Dysprosiums.
Da diese atomaren Magnete bei jedem Element unterschiedlich stark sind, bleibt insgesamt ein schwaches, nach außen wirkendes Magnetfeld übrig. Der
Unterschied zwischen den beiden Legierungen: Die
Verbindung aus Eisen und Gadolinium ist magnetisch
„weich“ und lässt sich durch ein externes Magnetfeld
leicht variieren. Die Kobalt-Dysprosium-Legierung ist
dagegen magnetisch „hart“ und lässt sich von einem
äußeren Feld kaum beeinflussen.
Die Experimente an dem Dünnschicht-Doppelpack erwiesen sich als schwieriger als erwartet.
Denn im Grenzbereich zwischen den beiden Materialfilmen herrschten so starke Kräfte, dass sich
die Schichten magnetisch regelrecht ineinander
„verkrallten“. Zusammen mit Kollegen der RuhrUniversität Bochum und aus Nijmegen, Niederlande, ersann das Team um Radu einen Trick: Mit
einer extrem dünnen Zwischenschicht aus Tantal gelang es, die magnetischen Kräfte zwischen
den beiden Schichten zu dämpfen. Die Forscher
konnten so den Zustand des magnetisch weicheren Metalls durch sanftes Verändern eines äußeren Felds präzise steuern. Der magnetisch harte
Gegenpart in dem Material-Sandwich blieb davon
weitgehend unbeeindruckt – und diente damit dem
gesamten System als fester magnetischer „Anker“.
SPEICHER-BAUSTEINE SCHON IN SICHT
Das untersuchte Schichtsystem verhält sich wie
ein „magnetisches Ventil“ oder „Spin-Ventil“ – ein
Gebilde, das für die Datenspeicherung überaus verheißungsvolle Merkmale besitzt. Damit lassen sich
Speicher-Bausteine kreieren, die Informationen mithilfe magnetischer Effekte konservieren – und nicht
durch elektrische Spannungen, wie bei den bislang
gebräuchlichen Arbeitsspeichern.
Auch gegenüber den MRAM-Bauteilen besitzt das
neue Magnet-Ventil Vorteile. „Bei unserem System
kann man die Flüchtigkeit kontrollieren“, sagt Radu.
Es lässt sich nach Belieben festlegen, ob die Informationen Wochen, Monate oder viele Jahre konserviert
werden sollen. Danach lässt sich das System neu mit
Daten füllen. „Es würde mich nicht wundern, wenn
Spin-Ventile bald als Datenspeicher in PCs, Smartphones oder Tablet-Computern eingesetzt werden.“
Einen Patentantrag für die Entdeckung hat das HZB
bereits im Frühjahr 2012 beim Deutschen Patentamt
eingereicht. DOMÄNENWÄNDE ALS
INFORMATIONSSPEICHER
Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme eines ferromagnetischen
Ringes: An den Schwarz-Weiß-Kontrasten sind die Domänenwände erkennbar. Bildrechte: A. Bisig / Uni. Mainz
Physiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben erstmals direkt
beobachtet, wie sich magnetische Domänen in winzigen, ringförmigen Nanodrähten verhalten. Sie nutzten dafür unter anderem die MAXYMUS-Beamline
am Berliner Elektronenspeicherring BESSY II, die ein Team um Gisela Schütz
vom MPI für Intelligente Systeme, Stuttgart, aufgebaut hat. Damit gelang es
ihnen, in Bildsequenzen festzuhalten, wie sich die magnetischen Domänenwände mit einem äußeren Magnetfeld bewegen lassen. Markus Weigand von
der MPI MAXYMUS -Endstation führt aus: „Unser Raster-Röntgenmikroskop an
BESSY II ist derzeit das wohl weltweit leistungsfähigste Instrument für direkte
zeitaufgelöste Abbildungen der Magnetisierungsdynamik. Die Vorgänge können
in Zeitlupe um den Faktor ‚zehn Milliarden’ langsamer dargestellt werden.“
Tatsächlich ermöglichte dies spannende Beobachtungen: „Je schneller wir die Domänenwand drehen, desto einfacher ist es, sie zu kontrollieren“, so André Bisig von der
Uni Mainz. Außerdem konnten sie feststellen, dass sich Defekte in den Nanodrähten
nur bei langsamen Domänenwänden bemerkbar machen. Je rascher die Domänenwand gedreht wird, umso weniger spielen Defekte im Material eine Rolle. Die
Ergebnisse sind für mögliche Anwendungen als Informationsspeicher oder als Lagesensoren interessant. Erste Anwendungen, die auf dem Prinzip von magnetischen
Domänenwänden beruhen, werden bereits in der Sensortechnologie genutzt.
15
MATERIE ERFORSCHEN
GLAS ODER FLÜSSIGKEIT?
Je nachdem wie schnell eine Schmelze abkühlt, können sich innere Spannungen aufbauen. Dies wird für
Hightech-Gläser wie Sicherheitsglas und Gorillaglas
genutzt, deren Vorspannung für das gewünschte Verhalten unter Belastung sorgt. Doch bislang war kaum
verstanden, was den Glaszustand von einer zähen
Schmelze unterscheidet. Mit einem überraschend
einfachen Modell haben nun Forschungsteams aus
Deutschland und Kreta eine Erklärung gefunden.
Die Partikel messen rund 150
Nanometer im Durchmesser
und sind mit einer Schale
umgeben, deren Dicke über die
Temperatur eingestellt werden
kann. TEM-Aufnahme:
M. Siebenbürger / HZB
Ein wichtiger Beitrag kam dabei aus dem HZB: Die
Chemikerin Miriam Siebenbürger hat ein elegantes
Modellsystem entwickelt, das aus winzigen Kunststoffpartikeln besteht, die in einer wässrigen Lösung
schweben. Diese Nanopartikel besitzen eine „Schale“,
deren Dicke sich über Wärme verändern lässt: Sie
können daher kontinuierlich wachsen oder schrumpfen. Dadurch kann die Chemikerin ihre Proben gezielt
von einem dicht gepackten „Glas“ in einen weniger
dichten, flüssigen Zustand überleiten, sie also schmelzen. Miriam Siebenbürger ermittelte nun systema-
tisch, wie schnell innere Spannungen in Proben mit
unterschiedlichen Partikeldichten abklingen können.
Dafür schloss sie die Proben zwischen zwei Platten
ein, die sie gegeneinander verdrehte. Dadurch entsteht eine Scherspannung. Im Anschluss maß sie die
Kraft, die nötig war, um die Platten in ihrer Position zu
halten. Diese Kraft ist ein Gradmesser für die inneren
Spannungen. Dabei zeigte sich der entscheidende
Unterschied zwischen dem flüssigen und dem GlasZustand: Während in Flüssigkeiten Spannungen vollständig abklangen, blieb ein Teil der Spannungen im
Glas-Zustand dauerhaft erhalten.
Ihre Ergebnisse passen zu dem theoretischen Modell
von Konstanzer Physikern, die das Verhalten harter Kugeln in unterschiedlichen Packungsdichten berechneten.
Auch Messungen der inneren Spannungen an größeren
Partikeln von Forschern in Kreta und Düsseldorf und
Simulationen aus Köln und Mainz zeigen das gleiche
Verhalten. Die Erkenntnisse könnten in die gezielte
Entwicklung von Hightech-Gläsern einfließen. ÜBERRASCHENDER EINBLICK IN
DIE SCHNAUZE EINES FOSSILS
Der Lystrosaurus declivis lebte vor rund 250 Millionen Jahren und war damals
weit verbreitet. Als dieser Schädel in Südafrika gefunden wurde, war der
Knochen vollständig fossilisiert und nicht mehr vom Stein zu unterscheiden.
Wissenschaftler um Oliver Hampe vom Museum für Naturkunde in Berlin haben
den Sensationsfund am Berliner Forschungsreaktor bei Nikolay Kardjilov mit
Neutronentomographie analysieren lassen.
Die Neutronentomographie des Schädels eines Lystrosaurus
declivis aus einem Fundort in Südafrika zeigt Spuren von Knorpelgewebe im Bereich der Schnauze. Sie belegen die Existenz von
komplexen Nasennebenhöhlen. Bild: N. Kardjilov / HZB
16
Dabei musste der Schädel nicht aus dem Stein herauspräpariert werden. Das
erwies sich als Glück: Denn als mit der Neutronentomographie Schicht für
Schicht ein dreidimensionales Bild entstand, tauchten im Bereich der Schnauze
Spuren von weichem Knorpelgewebe auf. Diese Gewebespuren wären durch
eine mechanische Freilegung des Schädels sicher zerstört worden.
Die Neutronentomographie belegt, dass der Lystrosaurus bereits über komplexe Nasennebenhöhlen verfügte. Das war für die Fachwelt eine echte Sensation.
Denn Nasennebenhöhlen bringen die Atemluft auf Körpertemperatur. Kaltblüter
brauchen das nicht, Warmblüter dagegen schon. Anders als bisher vermutet,
war der Lystrosaurus kein kaltblütiges Reptil, sondern eher ein warmblütiges
Tier. Dies könnte ihm dabei geholfen haben, größere Temperaturschwankungen
besser zu ertragen, und vielleicht hat er auch deshalb das große Massenaussterben am Ende des Perm überlebt, vermuten die Paläobiologen. MATERIE ERFORSCHEN
SCHALTER AUS GRAPHEN
GOLD VERSTÄRKT DIE
SPIN-BAHN-KOPPLUNG
Seit Graphen vor wenigen Jahren erstmals isoliert worden ist, gilt das quasizweidimensionale Netz aus Kohlenstoffatomen als Wundermaterial. Es ist nicht
nur mechanisch enorm belastbar, sondern auch als Basis für neue spintronische Bauelemente interessant. Diese nutzen zum Schalten die magnetischen
Momente der Leitungselektronen, die so genannten Spins. Die HZB-Physiker
Andrei Varykhalov, Dmitry Marchenko und Oliver Rader haben nun einen ersten
Schritt auf dem Weg zu Graphen-Bauelementen gemacht. Dabei arbeiteten sie
mit Kollegen aus St. Petersburg, Jülich und Harvard zusammen.
Die Graphenschicht befand sich auf einem Substrat aus Nickel, dessen Atome
in etwa die gleichen Abstände zueinander haben wie die Kohlenstoffatome in
den sechseckigen Maschen des Graphennetzes. Anschließend bedampften sie
ihre Probe mit Goldatomen. Dabei kriechen diese zwischen die Graphenschicht
und die Nickelunterlage. Die Idee: Während die leichten Kohlenstoffatome im
Graphen nur eine schwache Spin-Bahn-Kopplung aufweisen, ist die Kopplung
in den schweren Goldatomen sehr stark und könnte die Eigenschaften im
Graphen verändern. „Wir konnten durch Messungen an BESSY II zeigen, dass
die Goldatome aufgrund ihrer Nähe zur Graphenschicht auch in dieser die SpinBahn-Kopplung um den Faktor 10.000 erhöhen“, erklärt Marchenko, der die
Messungen im Rahmen seiner Promotion durchgeführt hat.
Eine solch starke Spin-Bahn-Kopplung würde es ermöglichen, eine Art Schalter
zu bauen, sagt Varykhalov, denn mithilfe dieser Kopplung könnte ein elektrisches Feld die Spins gezielt drehen. Zwei Spinfilter vor und hinter dem Bauelement würden jeweils nur Spins in eine Richtung durchlassen. Stünden die
Spinfilter senkrecht zueinander, käme kein Spin mehr durch, der Schalter wäre
geschlossen. Mit einem elektrischen Feld, das die Spins im Bauelement dreht,
könnte sich der Schalter dann gezielt öffnen und schließen lassen. Eine Aufnahme mit dem
Rastertunnelmikroskop zeigt
die Topografie von Graphen
auf Gold. Durch Überlagerung
der Goldstruktur und der
sechseckigen Bienenwabenstruktur des Graphens entsteht
eine regelmäßige Überstruktur
(Moiréstruktur), die zehnfach
größer ist als die Maschen des
Graphennetzes. Der Begriff
stammt von der Moiré-Seide,
bei der der gleiche Effekt eine
typische Maserung erzeugt.
Die Moiréstruktur beeinflusst
die chemische Wechselwirkung
zwischen den beiden atomaren
Schichten und darüber auch die
elektronischen Eigenschaften
und das Verhalten der Spins.
Bild: A. Varykhalov / HZB
ORGANISCHE ELEKTRONIK: WIE DER
KONTAKT ZWISCHEN KOHLENSTOFFVERBINDUNGEN UND METALL GELINGT
„Organische Elektronik“ steckt schon heute im
Display von Smartphones und könnte in Zukunft
auch biegsame Leuchtfolien oder flexible Solarzellen ermöglichen. Es ist jedoch nicht einfach,
die aktive organische Schicht mit Metallkontakten zu verbinden. Ein internationales Team um
Georg Heimel und Norbert Koch vom HZB und
der Humboldt-Universität zu Berlin fand heraus,
wie ein guter Kontakt über geeignete Moleküle
gelingen kann. Dabei haben sie Moleküle untersucht, deren Rückgrat aus aromatischen
Kohlenstoffringen gebildet wird. Die Kandidaten unterschieden sich nur in einem Detail: Aus
dem Rückgrat ragten unterschiedlich viele Sauerstoffatome. Diese Moleküle brachten sie auf
typische Kontaktmetalle auf. An BESSY II untersuchten sie die Bindungen zwischen der Metalloberfläche und den Molekülen und ermittelten
die Energieniveaus der Leitungselektronen.
Dabei zeigte sich, dass die Moleküle bei nahem Kontakt der „Sauerstoff-Ausleger“ mit der
Metalloberfläche metallische Eigenschaften
annahmen. Das „nackte“ Rückgratmolekül zeigte diesen Effekt nicht. „Wir haben jetzt eine
recht genaue Vorstellung davon, wie Moleküle
aussehen sollten, damit sie gut zwischen einem aktiven organischen Material und einem
Metall vermitteln, also gewissermaßen einen
Soft Metallic Contact formen“, meint Heimel.
Ihre Ergebnisse könnten dazu beitragen, die
Kontaktschichten zwischen Metallelektroden
und dem aktiven Material in organischen Bauelementen gezielt zu verbessern.
Bild oben: Über ihre „Sauerstoff-Ausleger“ nehmen die untersuchten organischen Verbindungen Kontakt zu den Atomen
der Metalloberfläche auf. Dadurch verändern sich ihre elektronischen Eigenschaften. Bild: G. Heimel / HU Berlin
17
HIER STEHT DER KOLUMNENTITEL
DIE ZUKUNFT
GESTALTEN
Das HZB betreibt zwei Großgeräte, die jedes Jahr
rund 3.000 Besuche von Messgästen aus aller Welt
verzeichnen. Dabei erzeugt der Forschungsreaktor
BER II Neutronen, die tief in die Materie dringen und
magnetische Strukturen sowie chemische Elemente
sichtbar machen. Die Synchrotronquelle BESSY II
leuchtet die elektronischen Eigenschaften an Oberflächen und Grenzflächen aus und erlaubt Untersuchungen von schnellen Prozessen und chemischen
Reaktionen. Die Neutronenquelle BER II wird Anfang
2020 abgeschaltet. Die nächsten Jahre werden daher intensiv genutzt. Auch BESSY II ist nun schon
15 Jahre in Betrieb. Unsere Beschleunigerexperten
arbeiten mit Hochdruck an der Weiterentwicklung
dieser Lichtquelle.
„Zukunft gestalten“ heißt aber vor allem: künftige
Forscherinnen und Forscher auszubilden und ihnen
Freiräume zu bieten, um ihre wissenschaftlichen
Vorhaben umzusetzen. Mit fünf Nachwuchsgruppen, einer eigenen Graduiertenschule sowie dem
Schülerlabor leistet das HZB dazu wichtige Beiträge.
18
BESSER FORSCHEN
AN BESSY II
Kürzlich wurden wichtige Upgrade-Projekte am Elektronenspeicherring abgeschlossen – sie machen den Elektronenspeicherring fit für die Zukunft.
Text: Antonia Rötger
V
or fast fünfzehn Jahren ging er als eine der
ersten Synchrotronquellen der dritten Generation in Betrieb – der Elektronenspeicherring BESSY II in Adlershof. Die Fragestellungen
der wissenschaftlichen Nutzer haben sich seither
gewandelt – und damit ihre Anforderungen an die
Eigenschaften des Photonenstrahls. Die Herausforderung ist es, die Anlage stets so weiterzuentwickeln, dass sie attraktiv für Nutzer bleibt. Die jüngst
abgeschlossenen Upgrade-Projekte sind allerdings
mehr als nur eine stetige Verbesserung. Die dadurch
erreichten Strahleigenschaften sind ein enormer
Fortschritt. Die mehr als 2.000 Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler, die jedes Jahr an der Anlage
forschen, werden davon profitieren
„Was wir mit dem Upgrade von BESSY II geleistet
haben, war eine Operation am offenen Herzen“, sagt
Andreas Jankowiak, Leiter des Instituts „Beschleunigerphysik“ am HZB. Bei laufendem Betrieb und nur
minimalem Verlust an Strahlzeit für die Nutzer haben
die Beschleunigerexperten in den letzten zwei Jahren
den neuen LINAC-Beschleuniger installiert und zahlreiche Komponenten ausgetauscht, um das Großgerät
im so genannten Top-up-Modus zu betreiben. Dieser
läuft seit Herbst 2012 und sichert den Nutzern seitdem eine nahezu konstante Intensität an Photonen.
„Durch den Top-up-Modus ist es sehr viel einfacher,
die ganze Maschine im thermischen Gleichgewicht
zu halten“, erklärt Jankowiak. Denn da der Strahl mikrometergenau geführt werden muss, machen sich
schon kleinste thermische Ausdehnungen bemerkbar.
Zusätzlich wird der Elektronenstrahl durch ein „FastOrbit-Feedback“-System (FOFB) nun 150-mal in der
Sekunde nachjustiert, so dass die Nutzer im Zusammenspiel beider Systeme von einem extrem stabilen
und präzisen Photonenstrahl profitieren.
MEHR LICHT FÜR DIE PROBEN
Diese Verbesserungen spüren die Forscher an allen
Beamlines, zum Beispiel auch beim Femto-slicing,
einem Verfahren, mit dem die Lichtpulse zerhackt
werden. Dadurch entstehen deutlich kürzere Pulse
von nur rund 100 Femtosekunden. Mit diesen extrem
kurzen Pulsen lassen sich atomare Ordnungsphänomene in Festkörpern genau beobachten. „Auch
beim Femtoslicing hat sich die Gesamtstabilität erheblich verbessert“, sagt der Physiker Karsten Holldack, der die Arbeitsgruppe zum Femtoslicing leitet.
„Die Nutzer können jetzt zudem jederzeit von der
Pikosekunden-Zeitauflösung zur FemtosekundenZeitauflösung sowie variabel zwischen verschiedenen
Photonenenergien umschalten, was früher nur alle
acht Stunden möglich war. Wir erwarten deshalb
aufregende neue Ergebnisse.“
„Ohne die Arbeit von Peter Kuske hätte das Top-up
an BESSY II nicht umgesetzt werden können“, betont
Andreas Jankowiak. Trotzdem sei so eine große Unternehmung natürlich immer Teamwork. „Auch die
Experten aus der Beschleunigergruppe, der UndulatorAbteilung, dem Strahlenschutz und der Infrastruktur
haben entscheidende Beiträge geleistet.“ 19
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
BESSY II
1.000. PROTEINSTRUKTUR
Im Juli 2013 veröffentlichte ein Team um Clemens Steegborn von der
Universität Bayreuth die 1.000. Proteinstruktur, die mithilfe von BESSY II
entschlüsselt wurde. Dabei handelt es sich um ein Protein, das bei
Alterungs-, Stress- und Stoffwechselprozessen eine Rolle spielt.
Text: Antonia Rötger
UWE MÜLLER
„Für unsere Nutzer ist der neue
PILATUS-Detektor ein weiterer
Riesenfortschritt.“
20
B
ei Proteinmolekülen kommt es nicht nur auf
die atomare Zusammensetzung an, sondern
auch darauf, wie sich das Molekül dreidimensional faltet. Erst die genaue dreidimensionale Gestalt gibt Aufschluss darüber, welche Aufgaben ein
Protein erfüllt und wie es mit anderen Molekülen
wechselwirken kann. Diese Gestalt lässt sich mit
der Röntgenstrukturanalyse herausfinden: Allerdings
müssen die Proteine dazu erst Kristalle bilden. Die
Analyse dieser oft winzigen Kriställchen erfordert
extrem brillantes Röntgenlicht und besondere Messbedingungen, wie sie seit rund zehn Jahren an den
MX-Beamlines an BESSY II zur Verfügung stehen.
„Seit 2003 gibt es die drei MX-Beamlines an BESSY II und seither haben Forscher aus aller Welt die
Möglichkeit, Proteinkristalle bei uns zu analysieren“,
sagt Uwe Müller, der die MX-Beamlines an BESSY II
aufgebaut hat und diese wissenschaftlich und instrumentell betreut.
Erhebliche Verbesserungen am Messplatz – rasante Steigerung beim Durchsatz
In den letzten Jahren hatten die HZB-Experten den
Messplatz mehrfach erheblich verbessern können, das
zeigt sich auch in dem rasant angestiegenen Durchsatz. Erst 2010 hatten Forscher der Bayer Healthcare
Pharmaceuticals Berlin die 500. Struktur bestimmt,
das Protein PIM-1. „Nur zwei Jahre später, im Mai 2012,
wurden von der Steegborn-Gruppe die Daten gemessen, die jetzt zur Veröffentlichung der 1.000. Struktur
geführt haben“, sagt Manfred Weiss, der zusammen
mit Müller als HZB-Wissenschaftler für die MX-Beamlines verantwortlich ist. Der weitaus überwiegende
Teil dieser veröffentlichten Strukturen stammt dabei
aus der öffentlich finanzierten Forschung. Zwar nutzen
auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus
der Industrie die Möglichkeiten an BESSY II, aber die
meisten Industriestrukturen erblicken niemals das Licht
der Öffentlichkeit. Seit Februar 2013 ermöglicht der
neue Detektor
P I L AT U S - 6 M
sogar noch deutlich genauere Einblicke in die komplexen Faltungen der Lebensbausteine. „Für unsere Nutzer ist der PILATUS-Detektor
ein weiterer Riesenfortschritt. Aufgrund seiner Größe, seiner Rauschfreiheit und seiner Schnelligkeit ist
PILATUS-6M das Beste, was es momentan im Bereich
Detektoren für Röntgenkristallographie auf dem Markt
gibt“, sagt Uwe Müller.
Einblicke in die Aktivität von Sirtuinen können
die Entwicklung von Wirkstoffen erleichtern
Die Analyse des 1.000. Proteins ist auch deshalb
ein besonderes Highlight, weil Sirtuine für die medizinische Forschung interessant sind: Sirtuine regulieren Stoffwechselprozesse, Stressantworten und
Alterungsprozesse im Körper und einige Sirtuine
(zum Beispiel Sirt-1 und Sirt-3) spielen auch bei der
Krebsentstehung eine Rolle. Ihre Aktivität gezielt mit
einem Wirkstoff zu hemmen, gilt als interessanter
Ansatz für neue Tumortherapien.
Mit ihrer Analyse hat die Forschungsgruppe um
Clemens Steegborn an der Universität Bayreuth
aufklären können, wie die Aktivität von Sirt-1 und
Sirt-3 durch das Molekül Ex-527 unterdrückt wird.
„Wir konnten zeigen, dass Ex-527 ein Inhibitor mit
einer ungewöhnlichen und zugleich sehr Sirtuinspezifischen Wirkungsweise ist“, erklärt Steegborn.
„Wenn es mithilfe dieser Einsichten gelingt, gezielt
nur die Aktivität eines einzigen Sirtuins zu hemmen,
könnte dies ein Ansatz für eine wirksame Therapie
mit nur minimalen Nebenwirkungen werden“, hofft
Steegborn. Diese Ergebnisse aus der Grundlagenforschung sind daher für die medizinische Forschung
wichtig und können bei der gezielten Entwicklung von
neuen Wirkstoffen helfen. DIE ZUKUNFT GESTALTEN
BESSY VSR : VARIABLE
PULSLÄNGEN AN BESSY II
Damit Großgeräte über mehrere Dekaden an der Spitze bleiben, arbeiten
Expertinnen und Experten ständig an ihrer Weiterentwicklung.
Text: Antonia Rötger
B
ereits jetzt hat BESSY II einen entscheidenden Vorteil: Die Anlage kann auch in einem
Modus gefahren werden, der deutlich kürzere
Pulse liefert als im Normalbetrieb. Forscherinnen und
Forscher brauchen diese, um zum Beispiel dynamische Prozesse in Proben zu studieren. Doch zurzeit
stehen an BESSY II entweder längere „helle“ Pulse
mit hohem Photonenfluss zur Verfügung – oder aber
kurze „dunkle“ Pulse. Letztere werden bisher nur an
wenigen Tagen im Jahr erzeugt.
Die Idee ist nun, an BESSY II variable Pulslängen anzubieten. Das ist ein völlig neues Konzept mit dem
Namen BESSYVSR. „VSR“ steht dabei für „Variable
pulse length Storage Ring“. Im Kern geht es darum,
dass Nutzer an jeder einzelnen Beamline und für jedes
Experiment die benötigte Pulslänge frei bestimmen
können, und zwar ohne Verzicht auf Lichtintensität.
„Unsere Berechnungen zeigen, dass wir mit neuarti-
gen Hohlraumresonatoren variable Pulslängen von
1,5 bis 15 Pikosekunden bei voller Intensität erzeugen
könnten“, erklärt der Beschleunigerexperte Andreas
Jankowiak, der das Projekt leitet. Die dafür notwendigen Hohlraumresonatoren müssen allerdings aus
supraleitendem Niob gebaut und bei sehr tiefen Temperaturen um zwei Kelvin betrieben werden. Außerdem müssen sie in der Lage sein, die hohen Ströme
in einem Speicherring störungsfrei zu beschleunigen.
Als die ersten Ideen für BESSYVSR entstanden, waren
solche Kavitäten noch eine große technische Hürde.
Mit dem Zukunftsprojekt BERLinPro hat sich die Situation verändert. „Genau solche Resonatoren werden
auch für BERLinPro gebraucht. Die bereits begonnene
Entwicklungsarbeit lohnt sich somit doppelt. Bis 2014
werden wir die Designstudie durchführen, so dass
wir danach an die Umsetzung gehen können“, erklärt
Andreas Jankowiak. 21
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
1
2
4
5
3
1 Ein Meilenstein ist nach
fünfjähriger Entwicklungsarbeit erreicht: So sieht die
supraleitende Spule des neuen
Hochfeldmagneten aus.
2 Sanft wird die Magnetspule
in eine hölzerne Transportkiste verpackt. Sensoren an
der Kiste zeichnen mögliche
Erschütterungen während der
7
6
Text: Silvia Zerbe
DER HOCHFELDMAGNET WIRD NUN IN ITALIEN MONTIERT
Reise auf.
3 Mit einer Feier nimmt das
50-köpfige Entwicklungsteam
GOODBYE, AMERICA!
am National High Magnetic
Field Laboratory (NHMFL) in
Tallahassee, Florida, Abschied.
4 Goodbye: Die Spule verlässt
das NHMFL. Nach etwa 270
Am HZB entsteht der weltweit stärkste Magnet für
Neutronenexperimente. Die Spule wurde in den
USA gebaut und im Herbst 2013 nach Europa transportiert.
Der HZB-Projektleiter Peter Smeibidl begleitete am
9. Oktober 2013 persönlich seinen „Schatz“ im Flugzeug von Atlanta nach Frankfurt am Main. Damit
endete ein wichtiger Projektabschitt: die Fertigung
der supraleitenden Magnetspule am National High
Magnetic Field Laboratory (NHMFL) in Tallahassee,
USA. Mehr als 96.000 Arbeitsstunden des NHMFL stecken in der Entwicklung und Herstellung der
supraleitenden Spule. Mitte Oktober ging die Reise
des Magneten weiter nach Italien. In Chivasso soll die
supraleitende Spule innerhalb von drei Monaten in
22
ihren Kryostaten eingebaut werden. „Diese Montage
wird die nächste Herausforderung, denn niemand hat
das vorher ausprobieren können. Aber wir sind sehr
zuversichtlich, dass der vormontierte Hochfeldmagnet
im Frühjahr die Pforte in Wannsee passieren wird“,
sagt Hartmut Ehmler, Projektkoordinator des Teams.
Dann beginnt vor Ort die Endmontage und Installation
am Neutroneninstrument EXED.
Meilen ist der Flughafen von
Der Hochfeldmagnet wird eine Feldstärke von 25 bis
30 Tesla haben und damit das weltweit stärkste Magnetfeld für Neutronenstreuung erzeugen. Experimente
mit Neutronen unter solch extrem starken Magnetfeldern versprechen einen besonders aufschlussreichen Einblick in das Verhalten von Materialien, unter
anderem von Supraleitern. 6 & 7 Jeder Handgriff sitzt:
Atlanta erreicht.
5 Letzte Station vor dem
Abflug: In der Transportkiste
(grau) verpackt, rollt der Laster
mit der wertvollen Fracht über
den Flughafen von Atlanta.
Die Transportkiste wird in den
Bauch des Transportflugzeugs
bugsiert. Die Fachleute aus
dem Cargo-Bereich erledigen
diese Aufgabe mit höchster
Sorgfalt.
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
MESSPLÄTZE FÜR EMIL
Das Großprojekt EMIL für die Forschung an Energiematerialien macht Fortschritte –
statt drei wird das Labor nun vier Messplätze erhalten.
Text: Christoph Neuschäffer /
Hannes Schlender
Bild oben: Der geplante Anbau
an BESSY II schafft Platz für die
Labore SISSY, CAT@EMIL sowie
Rein- und Laborräume.
M
it EMIL (Energy Materials In situ Laboratory Berlin) wird das HZB gemeinsam
mit der Max-Planck-Gesellschaft (MPG)
ab 2015 nach besseren Materialien für die regenerative Energiegewinnung forschen. Hier fokussiert
sich die Großforschung auf drängende Fragen der
modernen Gesellschaft: Sie fordert und durchläuft
derzeit einen Wandel zu einer nachhaltigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Eine zentrale
Rolle spielt dabei die Sonne als Energielieferant . Um
weltweit Strom in der benötigten Menge liefern zu
können, müssen die Kosten für Solarenergie weiter
reduziert werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unter dem Dach von EMIL arbeiten
werden, wollen leistungsfähigere Dünnschichtsysteme für photovoltaische Zellen und neue katalytische
Verfahren für alternative Speicherkonzepte erforschen. Sie entwickeln, analysieren und charakterisieren Energiematerialien – und zwar mit Methoden
der Grundlagenforschung, mit anwendungsnahen
Präparationsmethoden und ganz gezielt mit kurzen
Wegen in die industrielle Umsetzung.
Im Mittelpunkt des Projekts steht der Aufbau eines
neuen Röntgenstrahlrohrs an der Synchrotronquelle
BESSY II, mit dem diese Materialien analysiert werden können. Hier sollen insgesamt vier Experimen-
tierplätze entstehen, an denen Forscher simultan
Zugang zu weicher und harter Röntgenstrahlung
haben. Sie können ihre Proben ohne Unterbrechung
des erforderlichen Vakuums präparieren und an
den Experimentierplätzen SISSY I & II@EMIL (SISSY
steht für Solar Energy Materials In situ Spectroscopy) untersuchen. Während SISSY I zur Oberflächen- und Grenzflächenanalyse der im SISSYLabor präparierten Solarenergie-Materialien dient,
wird an SISSY II ein vom Forschungszentrum Jülich
entwickeltes Röntgen-Photoelektronen-Mikroskop
(X-PEEM) aufgebaut. Für die Forschung an Katalysatoren, die für die Produktion von solaren Brennstoffen wie Wasserstoff benötigt werden, entsteht der
Experimentierplatz CAT@EMIL. Am Messplatz PINK,
den die MPG innerhalb der bestehenden Halle von
BESSY II einrichtet und betreiben wird, steht dann
nicht-resonante Röntgenfluoreszenz zur Verfügung.
Im August 2013 haben die Bauarbeiten für den Anbau
an BESSY II begonnen. „Hier werden die Labore SISSY
und CAT@EMIL, ein Reinraum, ein Chemielabor sowie
ein Elektronenmikroskopie-Labor untergebracht“, sagt
Klaus Lips, der das Projekt am HZB leitet. Im Elektronenmikroskopie-Labor können dann auch Proben mit
einem fokussierten Ionenstrahl präpariert werden. Bis
2015 soll EMIL betriebsbereit sein. 23
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
NEUE GRADUIERTENSCHULE AM HZB
STRUKTURIERT DURCH
DIE PROMOTION
Im Herbst hat die Graduiertenschule „Materials for
Solar Energy Conversion“ (kurz MatSEC) begonnen.
MatSEC ist die erste eigene Graduiertenschule des
HZB, in der sich Doktorandinnen und Doktoranden des
Zentrums ausbilden lassen können. Angesiedelt ist sie
an der Dahlem Research School der Freien Universität
Berlin (FU). Bereits zum Sommersemester 2013 hatten
sich die ersten Doktoranden eingeschrieben.
Die Graduiertenschule konzentriert sich auf die Erforschung von Kesteriten, neuartigen Materialsystemen,
die für Solarzellen, aber auch für die Erzeugung von
solaren Brennstoffen interessant sind. Susan Schorr,
HZB-Abteilungsleiterin für Kristallographie und Pro-
Text: SZ
24
fessorin an der FU Berlin, ist Sprecherin der neuen
Graduiertenschule. Außer der FU beteiligen sich auch
die anderen Berliner Universitäten (TU und HU) sowie
die BTU Cottbus. „Die Stärke der neuen Graduiertenschule MatSEC liegt genau in dieser interdisziplinären
Forschungsstruktur“, sagt Susan Schorr.
Die Promovierenden besuchen thematisch relevante
Vorlesungen und können an Workshops, Auslandsaufenthalten und Angeboten der Dahlem Research
School teilnehmen. „Wir freuen uns, dass wir sieben
zusätzliche Stellen für Doktoranden zur Verfügung
stellen können“, sagt Gabriele Lampert, Doktorandenkoordinatorin am HZB. Text: Hannes Schlender
Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler des HZB nach
einem ersten Kick-off-Treffen
zusammen mit den Promovierenden. Foto: A. Rötger / HZB.
Wir freuen uns, dass wir in der Graduiertenschule
sieben zusätzliche Stellen für Doktorandinnen und Doktoranden
zur Verfügung stellen können.
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
REGENERATIVE KRAFTWERKE IN DER SCHÜLERLABOR-AG
„ALLES AUS
SAUBEREM
STROM“
Mit großem Einsatz waren
die Kinder bei der Sache! Ihre
Modellkraftwerke wandeln
Wind, Sonne, Erdwärme und
Wasserkraft in Strom um.
Strahlend zeigen Lukas, Bennet und Anand ihre
kleinen Kraftwerke, an denen sie in den letzten
sechs Monaten gebastelt haben. Zusammen mit
fünf weiteren Mitstreitern haben sie in der Schülerlabor-AG am HZB in Adlershof vier Modelle konstruiert: ein Windrad, einen Solarpark, ein Wasserkraftwerk und eine Geothermie-Anlage. Sie sind
nicht nur liebevoll gestaltet, sondern funktionieren
auch richtig.
Jeweils zwei Schüler haben zusammen ein Kraftwerkmodell gebaut. Dabei durften sie von Anfang
an alles selbst planen, Material beschaffen – und
dann endlich loslegen. „Die Planung hat ganz schön
lange gedauert“, gibt Anand zu. Die acht Jungen
aus der Schülerlabor-AG besuchen die vierte bis
sechste Klasse. Sie bringen meist schon Bastelerfahrung von zuhause mit, wie auch der 10-jährige
Bennet, der zuhause gerne Modellflugzeuge zusammenbaut. Dass der aufgeweckte Junge regelmäßig
zur AG nach Adlershof kommt, liegt vor allem an
der guten Betreuung. Felix Kramer, Physikstudent
aus der benachbarten Humboldt-Universität und im
Schülerlabor-Team angestellt, gibt ihnen viel Freiraum, motiviert sie zu eigenen Ideen und lässt zu,
dass auch einmal etwas schiefgeht – eine wichtige
Voraussetzung, um zu lernen.
An diesem Nachmittag wollen die Schüler den Speicher
für die Minikraftwerke – das sind mehrere mit einer
Kupferplatte verbundene Akkus – in Betrieb nehmen.
Der Strom, den alle Kraftwerkmodelle erzeugen, soll
dort zusammenfließen. Anand und Bennet machen sich
gleich ans Löten, um die Kontakte herzustellen. „Das
habe ich zuhause schon tausendmal gemacht“, erklärt
Bennet lässig. Doch der Lötkontakt will sich einfach
nicht herstellen lassen. Statt des Lötens nehmen die
Jungen nun Krokodilklemmen. Das funktioniert – und
die Schüler haben gleich noch etwas gelernt: Man muss
sich nur zu helfen wissen.
Als Nächstes führen die Schüler die Modelle vor. Der
Solarpark produziert dank einer hellen Laborlampe
Strom, die Peltier-Elemente im Geothermiekraftwerk
arbeiten, das Windrad dreht sich und das Wasserkraftwerk läuft. Anand, der jeden Mittwoch mit der S-Bahn
von Pankow zum Schülerlabor fährt, erzählt: „Mir gefällt
am besten, dass unsere Kraftwerke nicht stinken.“
Text: Silvia Zerbe
Nur eines fällt auf: Die Schülerlabor-AG besteht bisher
nur aus Jungen. „Natürlich freuen wir uns, wenn wir
noch Verstärkung von Mädchen bekommen. Alles,
was man wissen muss, können sie bei uns lernen
und sie haben gleichzeitig eine Menge Spaß“, sagt
Ulrike Witte, Leiterin des Schülerlabors in Adlershof.
25
Emad Aziz
Marcus Bär
THEMA
GUTER START IN DIE WISSENSCHAFTLICHE KARRIERE
Junge Forscherinnen und Forscher, die eine Nachwuchsgruppe aufbauen, können
ihre eigenen Ideen umsetzen, übernehmen aber auch viel Verantwortung.
Text: Silvia Zerbe / Antonia Rötger
A
m Helmholtz-Zentrum Berlin forschen fünf
Nachwuchsgruppen, eine davon wird über
das BMBF finanziert, die vier anderen erhalten ein Budget aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Leitung einer
Nachwuchsgruppe bietet sehr große Freiheiten und
ist ein guter Start in eine wissenschaftliche Laufbahn.
Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können bald nach der Promotion ihre eigenen Forschungsziele verfolgen und werden dabei fünf Jahre
lang mit bis zu 250.000 Euro jährlich gefördert. Mit
diesem Budget können sie ein eigenes Team aufbauen.
Für die Nachwuchsgruppenleiter wird eine gemeinsame
Berufung auf eine Juniorprofessur mit einer Berliner
Universität oder Hochschule angestrebt. Die jungen
Forscher übernehmen dann auch Aufgaben in der Lehre
und qualifizieren sich für eine Universitätskarriere. Und
wenn die Zwischenbegutachtung positiv ausfällt, besteht die Möglichkeit, am Zentrum weiter zu forschen.
EMAD AZIZ
Emad Flear Aziz leitet eine Helmholtz-Nachwuchsgruppe und lehrt als Juniorprofessor am Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin (FU).
Darüber hinaus hat er einen der begehrten Starting Grant der EU eingeworben und baut ein neues
„Joint-Lab“ an der FU auf, das sowohl vom HZB als
auch von der FU gefördert wird. Insgesamt ste-
26
hen ihm so für seine Forschung von 2011 bis Ende
2016 knapp 3,5 Millionen Euro zur Verfügung. Von
ursprünglich drei Personen ist sein Team auf über
16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen.
Der Chemiker Aziz entwickelt physikalische Methoden, um Reaktionen in komplexen biologischen
oder chemischen Molekülsystemen in Lösungen,
an Grenzflächen und Oberflächen zu untersuchen – zum Beispiel den Stoffwechsel in Muskelzellen, Prozesse in Katalysatoren und Brennstoffzellen
oder Solarzellen. Er hat an BESSY II ein neues Instrument entwickelt und aufgebaut: Das LiXEdrom,
ein Spektrometer mit einem Mikro-Flüssigkeitsjet,
mit dem sich chemische Prozesse von Molekülen in
Lösung untersuchen lassen.
MARCUS BÄR
Marcus Bär ist seit 2009 Leiter einer HelmholtzNachwuchsgruppe. Mit drei Doktoranden und einem
Postdoc untersucht er Prozesse an Grenzflächen, die
für den Wirkungsgrad von Dünnschichtsolarzellen entscheidend sind. Das Team hat eine eigene Ultrahochvakuum-Spektroskopie-Einheit aufgebaut. Außerdem
arbeitet Bär intensiv am Aufbau des neuen „Energy
Materials In situ Laboratory Berlin“ (EMIL) an BESSY
II mit, wo er verantwortlich für die SISSY-Analytik ist,
und er ist Juniorprofessor an der BTU Cottbus.
DIE ZUKUNFT GESTALTEN
Christiane Becker
Aleksandr Matveenko
Kürzlich konnte er zeigen, warum die strukturell ganz
ähnlichen Kesterite deutlich weniger effizient Solarstrom liefern als so genannte Chalkopyrit-Zellen: Die
elektronische Grenzflächenstruktur zwischen der
Kesterit- und der Pufferschicht ist nicht optimal angepasst, es gibt dort einen „Bandversatz“. „Bei der
Herstellung von Chalkopyrit-Zellen laufen ganz erstaunliche Prozesse ab, die dafür sorgen, dass man
am Ende eine fast perfekt optimierte Solarzelle hat.
Nun arbeiten wir daran, auch bei Kesterit-Solarzellen
von solchen ‚magischen Effekten’ zu profitieren.“
CHRISTIANE BECKER
Christiane Becker leitet seit Ende 2012 die Nachwuchsgruppe „Nanoarchitekturen aus Silizium für
photonische und photovoltaische Anwendungen“, die
vom Bundesforschungsministerium mit 950.000 Euro
gefördert wird. Damit kann sie einen Doktoranden
und einen Postdoc einstellen, ein weiterer Doktorand
wird durch die SCHOTT AG finanziert, außerdem arbeitet eine Technikerin in ihrem Team.
Die Forscherin will optische Bauelemente herstellen,
indem sie die Vorzüge der Silizium-Dünnschichttechnologie mit dem neuartigen Nanoimprint-Verfahren
kombiniert. Dabei werden die Nano- oder Mikrostrukturen zunächst in einen „Stempel“ eingeprägt, mit dem
man anschließend diese Strukturen großflächig auf die
Glasflächen auftragen und mit kristallinem Silizium beschichten kann. „Die Qualität ist erstaunlich gut, wie
unsere Vorstudien gezeigt haben“, erklärt Becker.
ALEKSANDR MATVEENKO
Seit 2010 leitet Aleksandr Matveenko eine Nachwuchsgruppe zu „ERL-Design Simulationen“, um im
Rahmen von BERLinPro die weltweit erste ERL-Anlage aufzubauen. „ERL“ steht für Energy Recovery
Martina Schmid
Linac, den Linearbeschleuniger mit Energierückgewinnung, der für die nächste Generation von Photonenquellen eingesetzt werden soll. Parallel dazu lehrt
Aleksandr Matveenko seit März 2012 als Juniorprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU).
Seine Gruppe besteht heute aus einem Postdoc und
drei Doktoranden, die alle aus Novosibirsk kommen,
einer Hochburg der russischen Forschung. ERL-basierte Lichtquellen können die hohe Lichtqualität eines
langen, geraden und supraleitenden Linearbeschleunigers mit der Energieeffizienz eines Speicherrings
verbinden. „Mein Zukunftstraum ist es, eine Nachfolgeanlage für BESSY II zu bauen“, sagt Matveenko.
MARTINA SCHMID
Seit November 2012 leitet Martina Schmid die Helmholtz-Nachwuchsgruppe „Nanooptische Konzepte für Chalkopyrit-Solarzellen“. Allerdings sind
Chalkopyrite wegen des seltenen Schwermetalls Indium in der Herstellung sehr teuer. Deshalb ist es wichtig, möglichst wenig Material einzusetzen – also die Chalkopyrit-Dünnschichten
beispielsweise noch dünner zu machen –, zugleich aber ihre hohen Wirkungsgrade zu erhalten.
Die Lösung könnte in so genannten Nanooptischen
Solarzellenarchitekturen liegen: Die Gruppe um
Martina Schmid experimentiert mit metallischen
Nanopartikeln, die in der Solarzelle unter einem
extrem dünnen Chalkopyrit-Film liegen. „Dieser
dünne Film absorbiert natürlich weniger Sonnenlicht als ein dickerer Film“, so Schmid. „Ein größerer Teil des eingestrahlten Lichts verschwindet
in der Rückseite der Photovoltaik-Zelle, bevor das
Chalkopyrit ihn in Strom umwandeln konnte.“ Die
Nanopartikel haben die Aufgabe, dieses Licht in
die Chalkopyrit-Schicht zurückzustreuen, damit es
doch noch für die Energiegewinnung wirksam wird.
27
Science Photowalk 2012
Fotograf: Michael Fernahl

Documentos relacionados