To the Limit
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To the Limit
I. ABSCHIED {18.05. 2008, Köln.} Als Thomas aus dem Auto stieg, roch alles nach nassem Asphalt. Irgendwann in der Nacht musste ein Schauer runtergegangen sein, aber davon hatte er nichts mitgekriegt — hatte überhaupt die letzten Stunden nicht mehr viel mitbekommen: die Gesichter, die Mikros, die Autohupen und das Jubelgebrüll von links und rechts — bis sich alles wie’n gigantischer Strudel um ihn drehte. Superstar. Sprechchöre. Unglaublich. Einen Moment lang lehnte er sich gegen die Kühlerhaube, drunter blubberte noch der warme Motor. Die Luft war feucht und lauwarm wie ein Schwamm, und irgendwo im Gebüsch trillerten schon die Vögel. Die Villa sah aus wie verlassen, die Straße leer. Unwirklich, wie alles andere auch. Als Thomas einen ersten Schritt nach vorn machte, kippte der Asphalt schräg nach links weg. Beinah hätte er die Balance verloren, aber dann ging’s wieder. War vielleicht’n Fehler gewesen, gleich in dieser Nacht noch einen Abstecher nach Recklinghausen zu machen, aber seine Kumpel hätten ihm sonst nie verziehen, das musste einfach sein. Die ganze Stadt war noch wach, so wach wie er selbst, pures Adrenalin. Das schwirrte ihm jetzt noch durch den Körper, obwohl sich seine Arme und Beine anfühlten wie Beton. Komm, Alter, geschlafen wird später. Thomas zog sich den Jackenkragen hoch und ging auf die Villa zu. Waren wirklich schon alle weg, oder saß drinnen irgendwer beim Frühstück? Eigentlich war’s ja schon Tag, auch wenn ihm die Nacht in den Knochen saß wie ein Cocktail aus Blitzlicht und Blei. Knapp vor der Tür stoppte er noch mal ab. Nur jetzt bitte keine Spotlights und Kameras mehr — er hielt kurz die Luft an und ließ sie wieder raus, denn im Flur war alles dunkel. Kein Licht, kein Geräusch, totale Leere. Gleich wach ich auf, und es war alles nur ein Traum. Jedenfalls war’s so still, dass er seinen eigenen Atem hören konnte. Wo war eigentlich Fady abgeblieben? Thomas warf einen kurzen Blick ins halbdunkle Wohnzimmer, das so aufgeräumt und leblos wirkte wie ’ne Fernsehkulisse. Vielleicht hatte Fady seinen Kram ja schon gepackt und war los, irgendwohin ins Leben nach DSDS. Thomas lehnte sich an die nächstbeste Wand, hatte plötzlich so ein ganz blödes, flaues Gefühl im Magen. Hatte seit dem letzten Frühstück ja auch kaum was gegessen — erst war’s die Nervosität, und dann blieb keine Zeit mehr. Vielleicht ’n kurzer Abstecher in die Küche — ? Fady würde doch bestimmt nicht so einfach abhauen, nicht ohne sich zu verabschieden nach der ganzen Zeit. Thomas wischte sich die Haare aus dem Gesicht. Du musstest ja die halbe Nacht in Recklinghausen feiern, da hatte Fady gar keine Chance. Verdammt. Als er sich von der Wand abstieß, kam von oben ein kurzes schurrendes Geräusch, als würde jemand einen Stuhl wegziehen. Ein Lebenszeichen aus der Nachbargalaxie. Thomas grinste und stieg schwerfällig die Treppe hoch — zu müde für mehr Tempo — und war von einem Moment auf den nächsten total davon überzeugt, dass es Fady sein musste. Auf den war einfach immer Verlass. „Hey!“ Er stieß die Zimmertür im ersten Stock auf, die nur angelehnt war. Durch das weit offene Fenster schwallte dieser Frühmorgengeruch von nassem Gras und nasser Straße. Fady saß auf seinem Bett und zerrte gerade am Reißverschluss einer vollgestopften Reisetasche. „Da bist du.“ Er sah kurz auf und lächelte, aber trotzdem klang das so, als hätte er mit Thomas überhaupt nicht mehr gerechnet. „Klar bin ich da.“ Thomas ließ sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer fallen. Seine Beine setzten jetzt ständig Koma-Meldungen ab. „Und wie geht’s dir?“ Fady hatte den Kampf mit dem Reißverschluss gewonnen und lehnte sich leicht vor. „Ich fühl mich wie nach ’ner Mondlandung.“ Jeder andere hätte jetzt wahrscheinlich sowas gesagt wie, du siehst müde aus. Nur eben Fady nicht. Der lächelte ihn breit an, als würd’ er die Antwort schon ganz genau kennen. „Und wie war dein Flug?“ „Un-glaub-lich, Mann.“ Thomas rieb sich beide Hände übers Gesicht, wollte sich lieber gar nicht vorstellen, wie müde er wirklich aussah. Wie halbverdaut und ausgespuckt wahrscheinlich. „Ich kann’s echt alles noch nicht fassen.“ Aber das wusste Fady bestimmt auch schon. Er legte den Kopf ein bisschen schräg und sah Thomas einen Moment lang nur an — mit diesem ruhigen, konzentrierten Blick, der gar nichts von seinen Gedanken erkennen ließ. „Alle haben es kommen gesehen,“ sagte er schließlich langsam, „weißt du? Alle haben das schon von Wochen gedacht, dass du gewinnst. Nur du nicht.“ „Nee, stimmt.“ Thomas blickte zu Boden und fühlte sich erstklassig vernagelt. „Ich wollt’s auch gar nicht denken.“ „Naja, das ist...“ Fady suchte kurz nach Worten. „Man kann Angst bekommen von solchen Gedanken.“ Thomas schluckte kurz und nickte. Angst traute ihm ja keiner zu — außer seinen Eltern, die kannten ihn besser — und schließlich hatte er’s lang genug trainiert, niemand was merken zu lassen. Alles runterzukochen auf reines Adrenalin, reine Energie. Und dann raus auf die Bühne damit. Aber von Angst wusste Fady bestimmt viel mehr als er selbst. Mehr als irgendwer wissen sollte. Noch letzte Woche waren wieder Kriegsmeldungen aus dem Libanon gekommen, die selbst bis in die Villa durchgedrungen waren. MP-Geknatter aus dem Radio. Zum Glück waren Fadys Eltern da schon in Köln. „Ich muss los.“ Fady stand auf und wuchtete seine Reisetasche aufs Bett. „Wie — jetzt gleich?“ Über den Abstand von weniger als einem Meter sah Thomas ihn an, und trotzdem kam’s ihm so vor, als würde sich der Raum ausdehnen, leer und lang, und seine Reaktionen schleppten sich im Schneckentempo hinterher. Zu wenig Schlaf, zuviel Irrsinn. „Wo willste denn jetzt schon hin?“ „Ich habe erst ein Interview, und dann ich fahre in Urlaub. Wenigstens ein paar Tage.“ Fady lächelte wieder, wirkte ganz zufrieden und entspannt und überhaupt so ausgeruht, als wäre das Finale gestern nicht mehr gewesen als ’ne nette Party unter Freunden. So war das immer mit ihm. Der ließ sich durch die Mangel drehen und strahlte schon eine halbe Stunde später nichts als Ruhe aus. „Und wohin fährst du? Holt dich jemand ab?“ Thomas legte die Hände auf beide Knie — seine Beine fühlten sich immer noch verdammt wacklig an —, aber schließlich konnte er ja nicht hier sitzen bleiben wie’n vergessener Betonklotz, während Fady einfach wegging. „Nach Mallorca.“ Fadys dunkle Augen blitzten ihn an. „Sag jetzt nichts — das war ein Angebot von RTL!“ „Ich sag ja gar nichts gegen Malle!“ protestierte Thomas und kam schwankend hoch. „Bin selber noch nie da gewesen, aber das Wetter is’ bestimmt besser als hier.“ Da war Fady schon neben ihm und hielt ihn am Arm. „Du brauchst Schlaf, mein Freund.“ „Später.“ Thomas grinste verlegen und lehnte sich trotzdem leicht gegen ihn. „Und, wirst du nun abgeholt? Sonst könnt’ ich dich auch fahren.“ „Ist schon alles organisiert — und du bist nicht in der façon zum Fahren!“ Fady schob ihm den Arm um die Taille. „Soll ich dich vielleicht zum Bett bringen?“ „Nee, geht schon!“ Thomas grinste ihn an und streckte den Rücken durch, bewegte sich sonst aber keinen Millimeter von Fady weg. Irgendwie wär’s jetzt verdammt gut gewesen, wenn sie sich beide hätten absetzen können: nur für ein paar Tage irgendwo abhängen und die letzten Wochen zusammen 2 verdauen. Bis sich das Leben wieder normal anfühlte, wenigstens ansatzweise. „Oder singst du mich in den Schlaf? Dann überleg ich’s mir vielleicht noch mal.“ Fady lachte. „Keine Zeit, leider.“ Aber im nächsten Moment verschwand dieses übermütige Glitzern aus seinen Augen, und Thomas wusste genau warum. Spürte das in seinen eigenen Knochen, dieses klamme Gefühl von Ende — auch wenn er’s noch gar nicht richtig glauben konnte. Fady würde in seinen Urlaub verschwinden und er selbst wieder in den Strudel abtauchen. Interviews, Musikstudio, Fans, Videodreh — unwirklich. Es kroch ihm zittrig die Beine hoch. „Thomas...?“ Er sah Fady an, kriegte aber kein Wort raus. Das einzige, was er jetzt noch machen konnte, war sich ganz zu Fady hindrehen und ihn umarmen. Okay, vielleicht war’s mehr ’ne Umklammerung, so wie am Schluss vom Finale, als sie das nervenzerfetzende Warten endlich hinter sich hatten. Mitten in diesem irren Taumel von Licht und Lärm und totalem Unglauben. Aber jetzt, als er Fady mit beiden Armen an sich drückte, war’s was anderes. Er konnte ganz genau spüren, wie Fadys Hände seinen Rücken hoch strichen, durch seine Jacke und sein T-Shirt, langsam und glasklar wie eine Lichtwelle. Einen kurzen, warmen Atemzug an seinem Hals. Thomas schloss die Augen, ließ sein Gesicht an Fadys Schulter sinken. Das hier war wirklich. Fady roch nach Dusche und Tee und fühlte sich so verdammt vertraut an. Wie nichts sonst hier. „Es wird bestimmt alles ganz toll für dich,“ murmelte Fady dicht bei seinem Ohr. „Mach’s gut.“ Seine Hand schloss sich sanft um Thomas’ Nacken und jagte ihm ein kurzes Kribbeln den Rücken runter. Als er den Kopf hob, sah er direkt in Fadys Augen. „Du auch.“ Viel mehr als ein Flüstern kam allerdings nicht mehr dabei raus, seine Stimme schaltete jetzt auch schon auf Pause. Scheiße. Fady war in den letzten Wochen ein echter Freund geworden und würd’s auch bleiben — irgendwas in der Art hätte Thomas ihm gern noch gesagt, damit sich das alles nicht so eisig nach Ende anfühlte. Stattdessen schob er die Hände zu Fadys Schultern hoch und drückte ihn noch mal kurz. „Pass auf dich auf, okay?“ „Das mach ich.“ Fady lehnte sich vor und als Thomas im selben Moment den Kopf drehte, streiften Fadys Lippen seine, knapp neben dem Mundwinkel. Nur ein Versehen, das ihm trotzdem wie der Blitz in allen Nerven fuhr. Dieser Kuss hätte auf seiner Wange landen sollen, schließlich hatte Fady das schon mal gemacht, sogar vor laufender Kamera, und er wirkte auch gar nicht verlegen deswegen, nur’n bisschen überrascht. Thomas sah in seine Augen — viel zu schöne Augen für ’nen Mann hatte er anfangs mal gedacht, aber jetzt — Fadys Atem strich ganz leicht über sein Kinn, und das kribbelte wie Funkenflug. Irgend’ne Bewegung musste er gemacht haben, denn im nächsten Moment spürte er Fadys Mund unter seinem. Als wär’s total selbstverständlich — sich einfach mal vorbeugen und nur diesen kleinen Schauer fühlen. Fadys Atem, als sich seine Lippen leicht bewegten, als er Thomas entgegenkam statt sich weg zu drehen — ganz kurz nur und trotzdem wie’n Stromstoß. Und dann war’s auch schon vorbei, Fady lehnte sich zurück und ließ ihn langsam los. Mit einem Blick, der Thomas durch und durch ging, ohne dass er noch irgendwas verstand. Die Wirklichkeit hatte sich grad wieder verabschiedet. Von der Tür her sagte Fady: „Ich melde mich bei dir.“ Thomas nickte, verlangsamt wie ein Schlafwandler, und starrte immer noch auf die offene Tür, als Fady schon längst die Treppe runter war. Aber dann kamen Stimmen von unten. Schritte, irgendjemand schleifte was rein, dann ein schrilles, elektronisches Pfeifen. Thomas griff nach der Stuhllehne und setzte sich wieder hin. Bestimmt war das RTL, wieder ein Kamerateam. Der Superstar am nächsten Morgen. Aber auf den Anblick würden sie noch’n Moment warten müssen — wenigstens so lang, bis er wieder wusste, wo er war und was da gerade passiert war. *** II. VIDEO {20.05. 2008, Oberhausen.} Hoch oben im Gasometer pulsierten grüne Laserpfeile, kreuzten sich und zerstoben wieder. Der ganze gigantische Raum dröhnte vom Sound, und Thomas ließ sich einfach 3 mitten reinfallen. Love is you, seeing things like you do... Volle Power, keine Schonung. Und wenn er den Song noch tausendmal sang, nur mit halber Kraft für die Kamera mimen war nicht drin. Seit Stunden drehten sie schon sein Video, und mittlerweile fühlte er sich leicht benommen von den wirbelnden Lichtern, dem kraftvollen Rhythmus, der zwischen den Stahlwänden hin- und hersprang. Irgendwann war der Raum um ihn nur noch Klangkörper, in seinen Adern nichts als flimmernde Luft, kein Zeitgefühl mehr. Ein grelles weißes Spotlight senkte sich auf sein Gesicht und verlosch wie in Zeitlupe. „So, die Close-ups hätten wir auch.“ Mike, der Chefkameramann, schob sich die Kopfhörer runter und winkte dem Regisseur zu. „Zwanzig Minuten Pause für alle.“ Thomas hielt auf die Equipment-Kisten zu, die momentan als Ablage für Jacken, Getränke, Plastikbecher und Adapter dienten, und griff als erstes nach einer Wasserflasche. Sein Hals fühlte sich inzwischen so trocken an wie fünfzehn Stunden im Nikotinnebel durchgefeiert. Nur gut, dass seine Stimme nach all den Wochen wieder voll im Training war, sonst hätte er jetzt die nächste Heiserkeitsattacke zu befürchten. Er drehte noch am Verschluss der Flasche, als ihm von hinten jemand auf die Schulter tippte. „Komm mal mit.“ Moni, die Produktionsassistentin mit dem Klemmblock voller Notizen, hakte ihn unter. Bin ich etwa schon am Taumeln? Thomas ließ sich von ihr mitziehen, wahrscheinlich war für die Pause auch wieder’n kurzes Interview geplant. Plötzlich knurrte sein Magen wie verrückt, und er konnte nur knapp ein Gähnen unterdrücken. Das war vor allem Sauerstoffmangel — wirklich zur Ruhe kommen konnte er jetzt ohnehin nicht, dafür sorgte schon die rasende Energie, die ihm seit dem ersten Ton des Weckers durch die Nerven schoss. Irgendwann fall ich dann eben einfach ins Koma... In der Kommandozentrale mit den hochgestapelten Monitoren und Mischpulten blinzelte er in einen Streifen graues Tageslicht, der sich durch die Vorhänge in den Raum bohrte. Drinnen im Gasometer gab’s natürlich keine Fenster, und Thomas hätte schwören können, dass es längst wieder Nacht war. Superstar, dritter Tag. „Setz dich.“ Er hatte die Wasserflasche schon am Mund und spritzte sich nass, als er sich gleichzeitig in einen Sessel fallen ließ. Brauner Cordbezug, ziemlich abgegriffen. Thomas rieb seine Hand an der Sessellehne trocken, ließ den Kopf zurücksacken und atmete tief durch. „Und was kommt jetzt?“ „Wart’s ab!“ Moni wirbelte lächelnd auf der Achse herum. „Ich besorg dir erstmal was zu essen.“ Sie war kaum weg, da schob sich Mike mit der kleineren Handkamera durch die Tür und fing an, sie mit dem Mischpult zu verkabeln. Also doch ein Interview. Aber seit Samstag Abend war fast jede Minute eine Kamera auf ihn gerichtet, und mittlerweile achtete Thomas kaum noch drauf — komisch, wie schnell man sich an sowas gewöhnen konnte. Er nahm einen langen Zug aus der Flasche, ließ die Beine nach vorn rutschen und fühlte, wie’n bisschen von der Spannung aus seinen Muskeln sickerte. „Wir sind gleich soweit,“ sagte der Techniker am Mischpult ohne sich umzudrehen. „Die Leitung steht.“ „Da bin ich aber neugierig,“ murmelte Thomas. Seit ihm die RTL-Leute den Videoclip vorgespielt hatten, in dem Christina Aguilera seine Performance kommentierte, war ja mit allem zu rechnen. Links von ihm sprang ein Monitor an und zeigte ein grelles Farbsignal. „Nimm mal den Kopfhörer hier.“ Mike reichte ihm einen Ohrstöpsel rüber. „Fertig?“ „Alles klar.“ Der Techniker schob einen Regler hoch, und Thomas drehte sich vor den Bildschirm, immer noch ganz relaxt — bis Mike ihm von der Seite zugrinste. „Jetzt kommt die Live-Schaltung nach Mallorca.“ „Echt?“ Thomas hielt die Luft an, sein Puls hatte eben einen knappen Salto geschlagen, aber dann war das Bild schon da, bunt und flimmernd, als hätte es irgendwer aus seinen eigenen chaotischen Gehirnwellen zusammengestrickt. Fady saß im T-Shirt auf einem Liegestuhl, hinter ihm Meer und blauer Himmel. Das wirkte alles wie’n perfektes Postkartenfoto, unendlich weit weg. Aber im nächsten Moment richtete sich Fadys Blick direkt in die Kamera, und Thomas lehnte sich vor, plötzlich war die Entfernung wie weggefegt. Zuerst hörte er nur Fadys Stimme, nur diesen vertrauten Tonfall, und bekam kein Wort mit. Und dann 4 — „ich will dir sagen ich freu mich für dich und ich liebe dich —“ Thomas hielt sich auf der Sesselkante an seiner Wasserflasche fest, mit der anderen Hand den Stöpsel ins Ohr gedrückt, aber der Ton rauschte jetzt total an ihm vorbei. Irgendwas von Freizeit hatte Fady noch gesagt — Freizeit? Im nächsten Moment klappte das Monitorbild in tonloses Schwarz zusammen. Am Bildmischer fluchte der Techniker vor sich hin. Thomas saß bewegungslos da wie in einer großen, weichen Luftblase, die jedes Geräusch schluckte. Jeden klaren Gedanken auch. Er rieb sich eine Hand über die Stirn. Kann gar nicht sein, das hab ich geträumt. Zum Glück waren Mike und der Techniker jetzt beide mit dem Übertragungssignal beschäftigt. Thomas atmete langsam aus, als Moni sich mit einem Sandwich-Tablett durch die Tür schaukelte. „Wie, schon vorbei?“ „Naja, da ist wohl mal wieder irgendein Satellit überlastet. Wir hatten Fady nur ganz kurz.“ Mike fummelte inzwischen wieder an seiner Kamera und nickte zu Thomas rüber. „So, und jetzt kommst du dran.“ „Jetzt sofort?“ Thomas setzte sich auf und fuhr sich durchs Haar, das war schon Reflex. „Ich dachte, die Leitung—“ „Wir können das Band später rüberspielen, kein Problem,“ meinte der Techniker, dessen Blick permanent an seinem blinkenden Pult klebte. „Sag einfach ein paar Worte.“ Mike brachte schon die Kamera in Anschlag. „Läuft. Also her mit den Liebesgrüßen!“ Na, toll. Thomas schluckte, stellte die Wasserflasche weg und strich sich nochmal die Haare glatt, nur um Zeit zu gewinnen. Sein Kopf war leer wie’n Luftballon, von einem nervösen Rauschen in den Ohren mal abgesehen. Von wegen, an die Kameras hatte er sich schon gewöhnt... Er räusperte sich. „Fady, ich werd dich mal anrufen... Alter...“ Sein Blick rutschte von der Kameralinse ab, weil er sich so verdammt beobachtet fühlte. „Viel Spaß auf Malle, Mann.“ „Knapp aber herzlich!“ Mit einem breiten Lächeln schaltete Mike die Kamera ab. Nee, vollkommen Panne. Thomas grinste schief zurück und warf einen Blick auf den SandwichStapel, aber Hunger hatte er plötzlich keinen mehr. Fady würde ihn bestimmt für einen Volltrottel halten, wenn er das sah. Quatsch, wahrscheinlich wird er einfach drüber lachen. Auch ohne Satellitenschaltung konnte er sich das hautnah vorstellen — wie aus Fadys Lächeln dieses strahlende Lachen wurde, mit dem er ganz nebenher gute Laune um sich verbreitete. Wie seine Augen dabei aufleuchteten. Thomas hievte sich aus dem Sessel hoch. „Ich geh mal austreten.“ Nur jetzt allein sein, wenigstens für einen Moment. Das Bad war hellgelb gefliest, und aus dem Spiegel starrte ihn jemand an, der eindeutig so aussah, als wär’ er eben vor eine Wand gelaufen. Thomas drehte den Kaltwasserhahn auf und hielt beide Hände drunter. Dieses Video konnt’s gar nicht geben, Fady hatte das bestimmt nicht gesagt. Oder jedenfalls nicht so gemeint. Vielleicht war’s im Libanon ja auch ganz normal, dass sich Männer zum Abschied auf den Mund küssten. Was weiß ich denn schon? Thomas rieb sich die nassen Hände übers Gesicht. In Polen hätte man dafür eher mit ’nem Tritt in die Eier zu rechnen. Noch so’n absurder Gedanke. Total absurd war’s jedenfalls, dass ihm momentan das Herz bis zum Hals schlug. Als hätte er nicht die vergangenen 48 Stunden damit zugebracht, diesen letzten Moment in der Villa irgendwo im Hinterkopf abzuspeichern und sich nichts mehr dabei zu denken. Die meiste Zeit über ging das ganz locker, weil ihm selten mehr als ’ne Minute zum Nachdenken blieb. Nur auf den Autofahrten zwischen den Terminen und in den Momenten vor’m Einschlafen klinkte sich sein Gehirn manchmal aus. Stolperte durch Bilderserien, in denen Fady viel zu häufig vorkam, oder klebte plötzlich an dieser einen Erinnerung, die ihm elektrisch unter die Haut kroch. Thomas schüttelte den Kopf. Bestimmt würde sich das alles nicht so verworren, so abgebrochen anfühlen, wenn sie immer noch in der Villa wären oder sich wenigstens zwischendurch mal gesehen hätten. Dann hätte er wieder den Alltags-Fady neben sich statt einer hyperaktiven, viel zu klaren Erinnerung. Als wär’ von der ganzen Zeit nur ein einziger Splitter mit scharfen Kanten übrig geblieben. Aber er brauchte nur die Augen zu schließen, dann konnte er wieder jede Einzelheit spüren. Den leichten Druck von Fadys Händen an seinem Rücken. Das Kribbeln von Fadys Locken an seinem Gesicht 5 — und er merkte schon, wie er selbst den Atem anhielt. Nun komm mal klar. Thomas drehte den Wasserhahn zu. Wie verdammtnochmal bekam Fady das eigentlich hin? So ruhig in eine Kamera zu lächeln und genau zu wissen, wer das alles mithören würde. Wahrscheinlich strahlte RTL das Band gleich morgen früh auf allen Kanälen aus. Ich liebe dich. Thomas riss ein Handtuch vom Haken und wischte sich das Gesicht damit ab. Das ist Fernsehen, keine Realität. Aber den Klang von Fadys Stimme hatte er immer noch im Ohr, wie ein Musikstück, das sich unterschwellig festsetzt bis man mitsummt. You found me stranded on your island, it felt like I was coming home... Thomas ließ das Handtuch sinken. Fadys völlige Offenheit war wirklich was Besonderes; er selber hatte seine Gefühle noch nie so direkt in Worte packen können — je ernster, desto weniger. Aber Fady fand selbst in ’ner fremden Sprache den richtigen Ausdruck dafür, weil’s ihm wichtig war. Der liebte seine Familie und Freunde eben und zeigte das auch, ohne wenn und aber. Und du gehörst jetzt dazu, Kumpel, sagte sich Thomas. Was sich bei diesem Gedanken in seiner Magengrube breit machte, fühlte sich verdächtig nach Sonnenschein an — eine echte Powerpackung Mallorca oder sowas. Als er dem Spiegel im Wegdrehen noch einen Blick zuwarf, erwischte er sich bei einem breiten Jackpot-Lächeln. Am liebsten hätte er Fady jetzt mal kurz gedrückt. Mann, du fehlst mir. Das war’s, was er Fady eigentlich hatte sagen wollen. Nur ganz bestimmt nicht vor laufender Kamera. Aber anrufen war schließlich auch ’ne Möglichkeit... *** Als Mike um 22 Uhr 37 wieder eine Pause ansagte, war das Video immer noch nicht abgedreht. Thomas wanderte in den Regie-Raum und schob sich ein Sandwich zwischen die Zähne, das jetzt schon ziemlich vertrocknet schmeckte. Kauend warf er einen kurzen Blick durch den Vorhangspalt. Draußen war’s nun wirklich dunkel, aber hinter dem Zaun warteten noch die Fans, einige hatten sich wegen der Kälte sogar in Decken gewickelt. Thomas zog sein Handy aus der Tasche, aber im selben Moment kamen zwei Typen von der Produktion rein, und er hatte nicht wirklich Bock drauf, vor Publikum zu telefonieren. Außer dem Klo kam eigentlich nur das Obergeschoss für’n bisschen Privatsphäre in Frage. Wenn ich Fady überhaupt erreiche... Thomas trat aus dem Fahrstuhl und schob sich an ein paar Scheinwerfern vorbei zur Galerie. Der Gasometer war ein riesenhaftes Stahlrohr, das selbst jetzt vor Energie summte. Von der Bühne, die nur noch so groß aussah wie ein Handteller, drang ein Flüstern verzerrter Stimmen nach oben. Thomas lehnte sich an die Brüstung und klemmte sich das Handy ans Ohr. Hörte zwischen jedem Tuten ein Knistern in der Leitung, als wären’s seine eigenen Nerven. Aber dann war Fady wirklich dran. „Hey, Thomas! Wo bist du?“ Das klang nach Überraschung pur — und nach Freude. „Noch in Oberhausen, beim Video-Dreh.“ Bestimmt strahlte er jetzt selbst wie’n Spotlight, jedenfalls fühlte sich das so an. „Viel Arbeit, aber das ist so unglaublich toll hier, das kannste dir gar nicht vorstellen!“ „Du klingst so,“ sagte Fady mit einem Lächeln in der Stimme. Oder wenigstens bildete Thomas sich das ein. „So glücklich.“ „Ja, bin ich auch.“ Kunststück, jetzt wo er Fady direkt im Ohr hatte und es ihm vorkam, als wäre seit den letzten Tagen in der Villa nichts passiert als ein Blitzrausch ohne Bodenhaftung. „Tut echt gut, deine Stimme zu hören.“ „Deine auch.“ Fadys Stimme senkte sich etwas, im Hintergrund war leise Musik zu hören. „Und wie is’ Malle so?“ fragte Thomas, bevor die Pause zu lang dauern konnte. „Sehr relaxing, wo ich jetzt bin. Sonne... und Meer... und Wellen am Strand...“ Fady lachte. „Bist du schon neidisch?“ „Und wie!“ Bevor Thomas noch was fragen konnte, schoss ihm der Ton von Mikes Trillerpfeife ins Ohr: das offizielle Pausenendsignal. Scheiße. „Hör mal...“ Er warf einen Blick runter, da flammten die Scheinwerfer schon wieder auf. „Sieht so aus als würd’s hier weitergehen — ich muss Schluss machen, tut mir Leid.“ „Kein Problem. Danke, dass du angerufen hast.“ 6 „Na, immer. Ich meld mich später wieder, okay?“ Thomas sah kurz auf die Uhr. „Oder besser morgen, ich will dich ja nicht aus’m Schlaf reißen.“ „Du kannst mich immer anrufen,“ meinte Fady. „Wenn ich bin zu beschäftigt oder im Bett, dann mache ich das Handy ab.“ „Okay.“ Thomas grinste über diesen kleinen Versprecher. „Also, ich meld mich!“ „Gute Nacht. Oder gute Arbeit...“ „Ja... ’Nacht, Fady.“ Thomas brauchte noch einen Moment, um dann widerwillig abzuschalten. Trotzdem hatte sich seine Laune noch ein ganzes Stück hochgeschraubt — etwa auf die Höhe der Galerie. Im Fahrstuhl nach unten fing er gleich wieder an zu summen. You let me dive in other waters... I close my eyes, I learn to see... *** III. KLANG {22.05. 2008, Berlin} Um dreizehn Uhr fünfunddreißig — nach einem mörderischen Stau in der Innenstadt ganze fünfzehn Minuten später als geplant — stürmte Thomas zur Maske in den Viacom Studios am Berliner Osthafen. Sein Viva Live-Termin stand heute Nachmittag an, und momentan sah er noch reichlich zerknittert aus. „Na bidde, da isser ja!“ sagte jemand, als er die Tür zur Maske aufriss. Eine vertraute Stimme mit unverkennbar hessischem Akzent. Mark Medlock räkelte sich vor dem Spiegel, während ihm gerade die Haare zurechtgegelt wurden. „Hey, ich wusste gar nicht, dass du hier bist!“ Thomas schwang sich in den freien Stuhl neben ihn und hatte schon im nächsten Moment die Bürste einer Stylistin im Nacken. „Wart mal ab, wir treffen uns jetzt alle Nase lang!“ Mark zwinkerte ihm zu. „Bist du auch bei Viva?“ „Nebenan, bei MTV,“ klärte Mark ihn auf. „Aber vielleicht laden sie uns demnächst ja mal zusammen ein. Superstar Alt trifft Superstar Neu. Das macht doch was her, wir beide in einer Show!“ Thomas lehnte sich zurück und ließ die eifrige Dame an seinen Haaren herumbürsten. Früher oder später kam sicher wieder eine kritische Bemerkung wegen seiner Frisur, denn Seitenscheitel waren nach allgemeiner Auffassung total out. „Gegen dich Showtalent komm ich noch lange nicht an.“ „Dann sieh’s als Herausforderung und steiger dich!“ Mark grinste. „Das hab ich immer zu hören bekommen, wenn ich plötzlich die Hosen voll hatte und net vor die Leut’ wollte.“ Thomas lachte. Mark war ein echter Lichtblick mit seinen Blödeleien. Der hatte die MarathonStrecke direkt nach dem Superstar-Finale ja auch schon hinter sich. „Bitte mal einen Moment lang still sitzen,“ sagte die Stylistin hinter Mark ziemlich streng und fing an, seine Augenbrauen nachzuziehen. „Ja, das fällt mir schwer...“ nuschelte Mark und rollte die Augen. „Ich hab den Hintern ebbe voller Hummeln.“ Thomas sackte ein Stück tiefer in den gepolsterten Sitz hinein. Mit Stillhalten hatte er kein Problem, dafür war er nach dem Termin-Pogo der letzten Tage doch zu geschafft. Neben ihm fing Mark leise zu trällern an, und die Stylistin seufzte. Thomas grinste in sich hinein, plötzlich stieg ein nostalgischer Anflug vom alten DSDS-Feeling in ihm hoch — obwohl’s ja nicht mal eine Woche her war, seit er das letzte Mal so neben Fady gesessen hatte. Bei Fady beschwerten sich die Damen von der Maske allerdings immer, er würde sie arbeitslos machen, weil er sich sein Make-up selbst auftrug — und das wie’n Profi. Nur wussten die natürlich nicht, warum Fady so sehr darauf bestand. Thomas ließ die Augen zufallen, als ihm seine Stylistin eine hautschonende Creme ins Gesicht rieb, damit er von der vielen Schminke nicht irgendwann Ausschlag bekam. Als nächstes würde sie dann die blöden Augenringe abdecken. Er konnte sich noch genau erinnern, wie er eines Morgens früh zu Fady ins Bad gestolpert war, als alle Zimmer in der Villa doppelt belegt waren und sie sich möglichst schnell für’n Foto-Shooting fertig machen mussten... Die Ablage unter dem Spiegel quoll dermaßen über von Fadys Kollektion an Cremes und Tuben, dass 7 Thomas grinsen musste. „Hey, du siehst doch schon gut aus, übertreib’s mal nicht!“ Fady warf ihm nur einen Blick von der Seite zu, aber Thomas hatte plötzlich das ungemütliche Gefühl, in einen Riesenfettnapf gelatscht zu sein. Und wenn er Fady jetzt so ansah — wie er die Lippen zusammenpresste und geradeaus in den Spiegel starrte — steckte ganz was anderes dahinter als Eitelkeit. „Sorry, ich wollt’ dir nicht zu nahe treten.“ Fady drehte sich zu ihm hin, sein Blick wurde wieder offener. „Es ist nur, dass ich mal war verletzt,“ sagte er langsam und lehnte sich etwas vor. „Siehst du, da sind immer noch viele kleine Narben von den Granatsplittern.“ Obwohl er Fadys Gesicht ganz dicht vor sich hatte, konnte Thomas von Narben kaum was erkennen. Nur unter seinem rechten Auge wirkte die Haut wie aufgeraut. „Das muss ja verdammt weh getan haben,“ murmelte Thomas und ärgerte sich über seine blöde Bemerkung. „Es hatte sich angefühlt, als war mein Gesicht zerfetzt.“ Fady zuckte die Schultern, aber in seinen Augen lag ein ganz tiefer Schatten. „Ich konnte mich Jahre lang nicht im Spiegel ansehen. Ich hatte immer Angst, was ich da sehen werde.“ „Aber jetzt nicht mehr — oder?“ Thomas fasste ihn an der Schulter, als könnte so eine Berührung Fady irgendwie dabei helfen, das alles hinter sich zu lassen. „Jetzt es ist schon besser,“ sagte Fady gleichmütig. „Ich stelle mir nicht mehr vor, dass ich aussehe wie... wie ein Monster, wenn ich vor einer Kamera bin.“ „Nee, tust du nicht, echt nicht.“ Thomas lächelte ihn an bis sich Fadys Mundwinkel hoben und dieser Schatten aus seinem Blick verflog. Wahrscheinlich war Fady der mutigste Mensch, den er je getroffen hatte. Als die Stylistin nun anfing, ihm an den Brauen herum zu zupfen, musste Thomas die Augen gezwungenermaßen wieder aufmachen. „Was is’ eigentlich aus deinem Zweiten geworden?“ fragte er Mark, ohne weiter drüber nachzudenken. „Meinem Zweiten?” Mark klimperte gekonnt mit seinen frisch getuschten Wimpern. „Wie meinste denn das jetzt?“ „Mann, dem Zweiten bei DSDS letztes Jahr!“ Thomas lachte. „Was macht der denn jetzt?“ „Martin Stosch?” Mark lispelte den Namen so, dass sich selbst die strenge Stylistin ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. „Der macht seine Schule zu Ende, glaub ich. Bei Fady wird das aber anders laufen, wenn du das meinst.“ Er warf Thomas einen kurzen Seitenblick zu. „Der hat ehrlich viel mehr Talent und Persönlichkeit. Und vom Aussehen will ich mal lieber schweigen, das is’ ohnehin zum Verlieben!“ „Echt?“ platzte Thomas raus. War schon komisch, sowas von einem anderen Mann zu hören. „Fady ist so’n Lieber, den will man einfach beschützen.“ Mark seufzte gespielt. „Aber im Ernst — ich steh ja mehr auf so große böse Kerle! Und ich könnt’ mich auch mit keinem einlasse’, der net so richtig out ist, das is’ mal klar.” Thomas machte den Mund auf, aber zum Glück kam ihm seine Stylistin gleich mit ’nem Puderquast dazwischen, bevor er irgendwas Dämliches fragen konnte. Wie, richtig out? Klar, da war irgendwann mal diese üble Skandalstory in der BILD gewesen, aber weil er das Blatt nicht las, war das zuerst völlig an ihm vorbei gegangen. Bis er in eine Unterhaltung im Wohnzimmer der Villa reinplatzte und Fady sagen hörte: „Ich will das nicht — ich will nicht so ein Bild von mir abgeben! Dass alle denken sie wissen, was sie doch nicht verstehen.“ Richtig viel Sinn hatte das in dem Moment nicht ergeben, aber Fadys Stimme hatte leicht gezittert — klang mehr nach Wut und Enttäuschung als irgendwas sonst — und Thomas hatte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung gleich wieder zurückgezogen. Erst einen Tag später sickerte dann zu ihm durch, was die BILD über Fadys Privatleben ins Volk gerotzt hatte: angebliche Ehe mit einem Mann und lila Tapeten und noch’n paar andere blumige Details. Thomas hatte nur die Achseln gezuckt. Konnte ja gut sein, dass Fady schwul war, aber für ihn machte das keinen Unterschied. Fady drauf anzusprechen war ihm überhaupt nicht in den Kopf 8 gekommen. Schließlich war er selbst nicht der Typ dafür, seine Privatsachen mit den anderen Kandidaten breitzuquatschen: wenn Fady nicht drüber reden wollte, sollte das respektiert werden. Aber jetzt... jetzt hätte er Mark am liebsten doch gefragt, ob er irgendwas wusste. Obwohl’s ihn ja wirklich nichts anging. *** Das Viva-Interview lief viel lockerer ab, als er sich das vorgestellt hatte, und das Studio war ohnehin eher klein. Nach den ersten paar Minuten fühlte sich Thomas völlig entspannt. Die Moderatorin hatte sich auch keine wirklich originellen Fragen ausgedacht, bei denen er erst groß nach Worten suchen musste. Anfangs hatte er bei Interviews ja ziemlich blöd rumgestottert. Nach ’ner guten Viertelstunde gab’s dann allerdings doch eine Überraschung. Die Moderatorin präsentierte ihm einen Video-Einspieler mit Fadys improvisierter Version von Highway to Hell... Thomas’ Blick klebte sofort an dem leicht wackligen Bild. Ein bisschen unscharf war’s auch, aber Fadys Stimme kam mit tausend Volt rüber. Living easy, living free. Season ticket on a one-way ride. Asking nothing, leave me be. Taking everything in my stride... Das klang kein bisschen mehr nach AC/DC, sondern nur noch nach Fady. Er brachte den Song verlangsamt, aber so bluesig angehaucht, dass Thomas die Gänsehaut den Rücken hoch und runter lief. „Ja geil!“ entfuhr es ihm, als der Einspieler zu Ende war. Die Moderatorin an seiner Seite machte auch auf begeistert und ließ sich dann drüber aus, dass Fady doch viel mehr Rotz in der Stimme hätte, als ihm irgendwer zutraute. „...und Sex Appeal, würd ich mal behaupten!“ Das rutschte Thomas einfach so raus. Immerhin hatte er so viel Make-up im Gesicht, dass es sicher niemand vor dem Bildschirm mitbekam, wenn er jetzt nachträglich rot wurde. Aber schließlich war’s nichts als die Wahrheit. Fadys Stimme und die Art, wie er sich auf der Bühne bewegte, hatten einfach eine unglaubliche Power. Und bei dem Gedanken flashte Thomas ein Moment durch den Kopf, den er fast schon vergessen hatte. Irgendwann mal in der Villa, als er spät abends noch seinen Song probte — Behind Blue Eyes war’s gewesen — stand Fady plötzlich in der offenen Tür. „Mein erster Gesangslehrer hat oft mir gesagt, in der Stimme liegt die Seele, und das kann man hören...“ „Ja?“ Thomas grinste ihm zu. „Und wie hört sich meine Seele so an?“ Fady legte den Kopf etwas zur Seite. „Sehr... stark,“ sagte er ganz ernst. „Und schön.“ Thomas blieb erstmal die Sprache weg, sein Gesicht fühlte sich sekundenschnell ziemlich heiß an. „Wow. Das is’ ja wirklich’n tolles Kompliment,“ murmelte er. „Danke.“ „Nur die Wahrheit.“ Fady lächelte — und war schon im nächsten Moment wieder verschwunden. Recht hat er gehabt, dachte Thomas jetzt, man kann’s wirklich hören. Ein bisschen Gänsehaut hatte er immer noch. *** In seinem Hotelzimmer kam er um ein Uhr vierundzwanzig an, und es roch verdammt muffig, wie Mottenkugeln. Thomas schleuderte seine Jacke aufs Bett, riss eins der Fenster auf. Die InterviewStrecke war heute wieder endlos lang gewesen, da blieb nicht mal die Zeit, um ein paar Minuten rauszugehen und frische Luft zu tanken. Von fern röhrte noch die Stadtautobahn. Thomas schnappte sich sein Handy und zögerte dann doch. Eigentlich war’s schon zu spät, um Fady anzurufen, und sie hatten ja erst gestern telefoniert. Mach! sagte er sich selbst, wenn er schon schläft, kannste’s ja morgen wieder versuchen. Er rechnete nicht wirklich damit, dass Fady drangehen würde. Viermal tutete es aus dem Hörer. In der kribbligen Stille dazwischen ging sein Puls plötzlich schneller. Aber dann nahm Fady tatsächlich ab, obwohl er bestimmt schon geschlafen hatte — sein „ja, hallo?“ klang noch viel französischer als sonst. „Jetzt hab ich dich doch geweckt,“ sagte Thomas schuldbewusst. „Ich war noch wach... halb.“ Irgendwas raschelte im Hintergrund. Thomas stellte sich vor, wie Fady sich im Bett aufsetzte, vielleicht eine Lampe anknipste. 9 „Ich bin grad erst im Hotel gelandet, sonst hätt’ ich mich eher gemeldet.“ Thomas lehnte sich gegen die Fensterbank, der kühle Luftzug an seinem Nacken tat nach diesem stickigen Studio-Tag wirklich gut. „Hör mal, ich hab heute dein Band bei Viva gesehen — das mit Highway to Hell! Hat irre geklungen, ich war total vom Hocker.“ „Was?“ Fady lachte auf und wirkte nun hundertprozentig wach. „Das hast du gesehen?“ „Du hättest bei DSDS echt drauf bestehen müssen, dass du auch mal solche Titel bringen kannst. Dann wärst du jetzt der Superstar!“ „Ach was!“ Fady dehnte die Silben und lachte wieder. „Das war schon gerecht so, dass du gewonnen hast.“ Thomas zog die Stirn kraus und lauschte Fadys gelassenem Ton hinterher. Seit Samstag war ja gar keine Gelegenheit gewesen, in Ruhe unter vier Augen drüber zu reden, aber gefragt hatte er sich schon, wie Fady mit der Enttäuschung fertig wurde. Mir hätt’s glatt die Füße weg gerissen... „Sag mal... kommst du klar damit, Zweiter zu sein? Ich weiß ehrlich nicht, ob ich das an deiner Stelle so gut durchgestanden hätte.“ Diesmal antwortete Fady nicht so schnell. „Es war leichter, weil ich mich für dich gefreut habe,“ sagte er schließlich. „Und es war einfach... du musst singen, sonst wäre etwas wichtiges verloren.“ „Mann, Fady, du —“ Thomas schluckte, völlig übergangslos hatte er sowas wie’n Kloß im Hals, und das machte es nur noch schwieriger, die richtigen Worte zu finden. „Du bist’n echter Freund.“ „Das will ich aber hoffen!“ meinte Fady mit gespielter Empörung. „Oder merkst du erst jetzt?“ „Nee, so vernagelt bin nicht mal ich!“ brummelte Thomas zurück. Irgendwie traf Fady immer genau den passenden Ton, um die Stimmung aufzulockern. „Ey, weißt du schon, dass wir beide zur Talkshow bei Kerner eingeladen sind? Hat mir das Management heute früh gesagt. Der Termin steht aber wohl noch nicht genau fest.“ „Ja, ich habe gehört,“ sagte Fady, „heute morgen am Telefon. Ich freue mich schon, dass wir uns wieder sehen.“ „Ich mich auch,“ murmelte Thomas ein bisschen verlegen, obwohl’s dafür keinen Grund gab. Ihm war schon wieder zu heiß, und sein T-Shirt klebte ihm fast am Körper. Komisches Wetter, es lag so ein Druck in der feuchtwarmen Luft als würd’s noch ein Gewitter geben. „Vor’m Viva-Studio war heute ganz schön was los,“ erzählte er. „Die Mädels haben da wieder stundenlang gewartet.“ Er schüttelte den Kopf, als könnte Fady ihn sehen. „Einige von denen waren ziemlich... naja.“ Hysterisch wollte er’s nicht nennen, aber ihm war schon etwas mulmig dabei geworden. „Aufgeregt?“ „Ja, könnte man so sagen... mindestens.“ Thomas grinste. „Eine wollte unbedingt, dass ich ihr’n Autogramm auf den Arm gebe, aber dann hat sie dermaßen gezittert, dass nichts mehr ging.“ Fady lachte leise. „Was willst du machen — sie sind alle verliebt in dich.“ „Naja, verliebt...“ Thomas dehnte das Wort skeptisch in die Länge. „Die kennen mich doch gar nicht und haben wahrscheinlich nur so’ne Wunschvorstellung im Kopf...“ „Aber das ist doch so,“ sagte Fady ganz ernsthaft, „was ist denn sonst Verlieben? Es ist doch vor allem wie ein Wunsch... dass etwas Besonderes passiert, und dann die ganze Welt sieht anders aus.“ Thomas antwortete nicht gleich, irgendwas in Fadys Stimme hatte sich verändert, und dieser sanfte Klang kam durch die Leitung wie ’ne langsame Welle, die am Strand hochspült. „Meinst du?“ „Du nicht?“ fragte Fady zurück. „Ich weiß nicht...“ Thomas zögerte. War verdammt lang her, dass er sich das letzte Mal so richtig verliebt hatte, und noch länger, seit er mit irgendwem drüber geredet hatte. „Wenn ich ehrlich sein soll — ich weiß gar nicht mehr so richtig... wie sich das anfühlt, oder so.“ „Nein?“ Fadys Stimme wurde leiser. „Das tut mir Leid für dich.“ Thomas zog die Schultern hoch. „Ist doch normal, oder? Man wird halt älter.“ „Aber kennst du das nicht — wenn du dich fühlst, als wie du von innen leuchtest?“ fragte Fady. „Alles ist anders, weil es diesen einen Menschen gibt, und das spürst du überall, wo du bist... es ist Hoffnung, vor allem. Und es ist ein Energie, ein ganz besondere.“ Doch das kenn’ ich. Thomas schloss kurz die Augen. „Ja, stimmt...“ Seine eigene Stimme klang plötzlich so sonderbar belegt. „Vielleicht denk ich nur nicht mehr so viel drüber nach.“ 10 „Vielleicht.“ Er konnte Fadys Lächeln fast durchs Telefon hören, als lägen nicht werweißwieviele Kilometer zwischen ihnen. Irgendwas an dieser Handy-Illusion von Nähe machte Thomas ganz kribbelig. Viel lieber hätte er Fady direkt vor sich gehabt, um mitzubekommen, was sich in seinem Gesicht abspielte, wenn er sowas sagte. Aber nächste Woche dann, bei Kerner. Und wenn er Glück hatte, konnte er ja’n bisschen länger in Hamburg bleiben, wenigstens über Nacht. Nachdem er sich von Fady verabschiedet hatte, stand Thomas noch eine Weile am offenen Fenster. Sein Zimmer lag im dreizehnten Stock, vor ihm dehnte sich Berlin aus, ein Labyrinth aus harten, schwarzen Kanten und unruhigen Lichtern. Weit entfernt grummelte es wie Donner. Thomas rieb sich seinen verschwitzten Nacken. Verdammt einsam, dieser Ausblick. Und trotzdem fühlte er sich nicht so, sondern einfach nur... erwartungsvoll. *** IV. WEIT {27.05. 2008, Hamburg} Der Raum um ihn war nachtschwarz und konturlos. Licht kam nur von einer riesenhaften Leinwand, auf der Bildfunken tanzten und sich langsam zusammensetzten — bis er in all dem Lichtgestöber schließlich Fadys Gesicht erkennen konnte. Seine Lippen bewegten sich, aber zu hören war nichts. Offenbar war die Leitung mal wieder gestört, weil es irgendeinen Satelliten aus der Umlaufbahn gerissen hatte. Auch der Fußboden schien wegzurutschen, als sich Thomas langsam auf die Leinwand zubewegte. Kannst du mich hören? Kein Ton kam aus seiner Kehle. Nur seine Füße hoben jetzt langsam vom Boden ab, und er breitete die Arme aus... Ein plötzlicher Ruck riss Thomas aus seinem Traum, instinktiv hielt er sich an den Armlehnen fest. Der Flieger war gerade in Hamburg-Fuhlsbüttel gelandet, aber als draußen die Flughafengebäude vorbei zappten, hatte er immer noch dieses merkwürdige Gefühl von Schwerelosigkeit. *** Über Hamburg war der Himmel hellblau und leicht verwaschen. Thomas dehnte seine Arme und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Bei diesem Wetter wurden die Hamburger schon ekstatisch — jedenfalls hatte Fady das mal gemeint. Dauergrau mit Regen war wohl eher der Normalfall. Thomas stieg in den Mercedes mit den abgedunkelten Fensterscheiben, die das bisschen Himmelblau sofort schluckten. Der Wagen war so perfekt gefedert, dass er von der Fahrt kaum was spürte, der schnurrte ab wie frisch geölt. Thomas zog die neueste Version seiner Songtexte aus der Tasche, die ihm Sony frühmorgens ins Hotel gefaxt hatte. Im Tonstudio arbeiteten sie am Arrangement, da gab’s dann immer noch kleinere Änderungen — und morgen sollte er schließlich schon den ersten Titel für sein Album aufnehmen. Um seinen Magen herum ballte sich jede Menge ruheloser Energie zusammen, aber mit den Aufnahmen hatte das weniger zu tun. Als Thomas die Faxblätter auseinanderfaltete, wusste er gleich, dass das momentan keinen Sinn hatte. Null Konzentration. Erstmal kam jetzt die Talkshow bei Kerner. Und Fady. Du bist doch bescheuert, sagte Thomas sich selbst, komm mal runter. An seiner leicht übersteuerten Vorfreude änderte das allerdings gar nichts. Klar, er freute sich auch, wenn er seine Eltern und seine Freunde in Recklinghausen wiedersah — wenigstens für einen Blitzbesuch hatte die Zeit endlich mal gereicht — aber mit keinem von denen hatte er nur halb so oft telefoniert. Was einfach daran lag, dass er in letzter Zeit mit niemandem so reden konnte wie mit Fady, der ihn meist schon verstand, bevor er einen Satz zu Ende gebracht hatte. Schließlich wusste Fady ganz genau, wie sich DSDS von innen anfühlte, was einem in diesen Momenten mörderischer Spannung so alles durch den Kopf zuckte — und er hörte zu wie kaum jemand sonst. Mittlerweile hatte Thomas das Gefühl, dass er Fady absolut alles anvertrauen konnte. Obwohl sie sich erst seit’n paar Monaten kannten. Der Wagen stoppte so sanft ab, als wäre er in einen Watteberg gefahren. Thomas steckte die ungelesenen Songtexte weg. Und dann wieder rein in ein Fernsehstudio, wieder in die Maske. Nur saß in dem einzigen schon besetzten Stuhl nicht Fady, wie er halbwegs gehofft hatte, sondern ein älterer Herr, dem gerade noch die knittrige Stirn gepudert wurde. Offenbar einer der anderen Gäste bei Kerner. 11 „Hallo Thomas!“ Ganz aufgeräumt streckte ihm der Mann die Hand entgegen und stellte sich mit Graf von Neuhaus oder so ähnlich vor. „Ich weiß schon, wer Sie sind,“ fügte er hinzu, „aber leider erst seit gestern aus dem Internet.“ „Naja, Deutschland sucht den Superstar ist eben nicht jedermanns Sache, muss ja auch nicht sein.“ Thomas schüttelte dem Herrn, der sich wahrscheinlich lieber beim Musikantenstadl entspannte, die Hand. „Ehrlich gesagt würd’ ich auch Beklemmungen kriegen, wenn mich jetzt plötzlich jeder kennt.“ Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zur Tür. Warum war Fady nicht hier? „Was werden Sie uns denn heute zu Gehör bringen?“ fragte der Graf. Eine ältere Visagistin mit Haarknoten winkte Thomas energisch auf seinen Platz vor dem Spiegel. „Meine erste Single — ohne viel Begleitung oder so, nur mit E-Gitarre.“ Das hatte er erst unterwegs erfahren, aber okay, inzwischen konnte er Love Is You bestimmt im Tiefschlaf trallern. Viel wichtiger war schon, dass Fady auch ’ne Chance bekam, live zu singen. Seit er aus Mallorca zurück war, arbeitete er einen ganzen Stapel an Angeboten und Interview-Anfragen durch, aber das Wichtigste war jetzt, dass ihn eine Plattenfirma unter Vertrag nahm und rausbrachte. Möglichst Sony BMG. Thomas hatte schon ein paar vielversprechende Gerüchte aufgeschnappt, aber selbst dran drehen konnte er ja kaum, schließlich war er bei Sony nur’n ganz kleines Licht. Und Fady würde das ohnehin nicht wollen. „So, Sie sind fertig.“ Die Visagistin tippte ihm auf die Schulter. „Schon?“ Thomas drehte sich zur Seite, aber der Graf von Neuhausen hatte sich in Luft aufgelöst. Oder irgendwas stimmte mit seinem eigenen Zeitgefühl nicht. Im Spiegel konnte er sehen, wie sich die Tür langsam öffnete, und war im gleichen Moment auf den Beinen. „Hey, Thomas.“ Fady stand vor ihm, fertig geschminkt und gestylt, aber Thomas konnte jetzt keine Rücksicht drauf nehmen, ob er irgendwas wieder durcheinander brachte. „Mann, du siehst —“ klasse aus, oder sowas in der Art hätte er vielleicht gesagt. Nur hatte er Fady da schon an sich gezogen — oder Fady ihn, das ging schneller als jeder Gedanke — und zwar so fest, dass an Loslassen erstmal nicht zu denken war. Thomas schloss die Augen als Fadys Hände über seinen Rücken hoch zu seinen Schultern glitten. Das fühlte sich an wie aus einem Traum rausgeplatzt — fremd und vertraut zugleich und total unglaublich. „Alles klar?“ murmelte er dicht an Fadys Nacken, und weil er Fady gerade so eng an sich drückte, konnte er spüren, wie sich sein Brustkorb spannte, als er Luft holte. „Ist schön dich zu sehen.“ Fady löste sich langsam von ihm, lehnte sich zurück und strahlte ihn mit diesem unwiderstehlichen Lächeln an. „Naja, wurd’ auch mal Zeit, oder?“ Thomas ließ seine Hände zu Fadys Taille runterrutschen, aber richtig loslassen wollte er immer noch nicht. „Und nun kommen wir gleich zusammen ins ZDF.“ „Bist du aufgeregt?“ Fady legte eine Hand mitten auf seine Brust, direkt über seinen Herzschlag. Jetzt schon. Thomas lächelte ihn an, weil er gar nicht anders konnte. „Na, geht so. Und du?“ Fady zuckte leicht die Schultern und wandte seinen Blick nicht eine Sekunde ab. „Also, wenn ich die Wiedersehensfreude mal einen Moment stören darf,“ kam schließlich die Stimme der Visagistin dazwischen, die Thomas so total vergessen hatte, als wäre sie’n Stück Wand. „Sind Sie sicher, dass sie mit diesem Hemd ins Studio gehen wollen?“ Erst dachte Thomas, sie meinte sein schlabbriges Skull Dall-Shirt, das nicht bei allen Leuten wirklich gut ankam, aber sie hatte es tatsächlich auf Fadys Hemd abgesehen. Das hatte so ein Nadelstreifenmuster auf dunklem Grund und lag ziemlich eng an. „Wieso, ist etwas falsch?“ fragte Fady. Leider zog er gleichzeitig auch seine Hand weg. „Wir nennen das Interferenzmuster,“ erklärte ihm die Dame, „weil so schmale Streifen genau auf der selben Frequenz liegen wie das Videosignal, und das gibt dann im Fernsehen einen gewissen Flimmereffekt. Haben Sie vielleicht schon mal gesehen.“ „Also ich find das Hemd cool,“ mischte sich Thomas ein. Jetzt, wo er sich einen Moment nahm, um mal den ganzen Fady zu betrachten, statt ihm nur die Luft abzudrücken, war cool kaum der richtige Ausdruck. Elegant vielleicht, oder einfach... sexy. Die Haare trug er jetzt auch wieder kürzer und glatter. „Das ist gar nicht die Frage,“ meinte die Visagistin etwas angesäuert. „Aber die Zeit reicht ohnehin nicht, Sie noch mal umzuziehen. Sie müssen in fünf Minuten kamerafertig sein.“ 12 „Interferenzmuster!“ brummelte Thomas, als sie sich auf den Weg ins Studio machten. „Die hat Probleme!“ Fady lachte und schüttelte den Kopf. „Jetzt ich bin nervös!“ Dafür gab’s aber gar keinen Grund. Als sie schließlich in diesen sonderbaren Sesselboxen vor Kerners Pult saßen, wirkte Fady so charmant und souverän, als machte er das täglich. Neben ihm fühlte sich Thomas so wohl in seiner Haut wie schon lange nicht mehr. Richtig viel hatte er für so’n Interview mit gehobenem Anspruch ja nicht zu bieten — nur die üblichen Facts zu seiner Platte, zu Dieter Bohlen und DSDS —, aber immerhin kam er jetzt nicht mehr so leicht ins Stottern und Zögern wie früher. Völlig platt war er allerdings, als Fady seinen Superstar-Titel mit den Worten kommentierte, er sei eben ein Super-Mensch. Alles, was Thomas dazu noch einfiel, war schnell eine Hand ausstrecken — um Fady wenigstens mit so’ner kurzen Geste zu zeigen, wie sehr ihn diese Bemerkung berührte. So großzügig konnte einfach nur Fady sein. Der lächelte ihn mit seinen tiefbraunen Augen an, während das Publikum noch klatschte, und sagte leise: „Es stimmt doch!“ Als Fady dann zum Micro ging, um nochmal Highway to Hell zu singen, konnte Thomas schon gar nicht mehr dran denken, dass das alles vor ’ner Million Zuschauer ablief. Die Ton-Aussteuerung war alles andere als perfekt, aber trotzdem kroch ihm ein sanfter Schauer den Rücken runter. In Fadys Stimme lag so viel Kraft, so viel... Körper, das konnte niemanden kalt lassen. Außerdem hatte er immer was leicht Tänzerisches in seinen Bewegungen, das fiel Thomas jetzt zum ersten Mal richtig auf. Knapp nach 18 Uhr war die Aufzeichnung dann auch schon vorbei. „Ich hab jetzt noch’n paar Termine, aber heute abend hätt’ ich frei,“ sagte Thomas, als sie zusammen durchs Foyer schlenderten. Nach einigem Hin und Her hatte er das mit seinem Management so abgeklärt, dass er noch über Nacht in Hamburg blieb und dann den ersten ICE nahm, um pünktlich im Tonstudio in Berlin zu erscheinen. „Wollen wir uns vielleicht später treffen?“ „Ah, ich dachte du musst weiter sofort!“ Fady blieb stehen, und sein Gesicht bekam einen merkwürdig verschlossenen Ausdruck. Nach Begeisterung für diesen Vorschlag sah das nicht gerade aus. „Das ist... schade. Ich hab eigentlich ein Verabredung, heut Abend.“ „Ach so, naja,“ nuschelte Thomas. In seiner Magengrube zog sich plötzlich alles zusammen. Warum zum Teufel hatte er überhaupt nicht mit der Möglichkeit gerechnet, das Fady vielleicht schon andere Pläne hatte? „Ich kann aber sehen, ob sich das zu verschieben lässt.“ Fadys Blick war nachdenklich, als versuchte er, irgendwas in Thomas’ Gesicht zu lesen. Wahrscheinlich stand da ENTTÄUSCHUNG in lauter grellen Leuchtbuchstaben. „Nur wenn du willst,“ meinte Thomas sofort, „ich hätt’ ja auch schon früher fragen können, kein Problem.“ Sehr überzeugend bekam er das allerdings nicht raus. Fady schüttelte den Kopf. „Ich kläre das, und dann ich ruf dich an, ja?“ „Ja klar, okay.“ Thomas warf einen knappen Blick durch die dicken Glastüren nach draußen, wo sich offenbar eine ziemliche Menschentraube angesammelt hatte. Weiter hinten parkte schon der schwarze Mercedes, um gleich mit ihm zum nächsten Interview zu rasen. Trotzdem umarmte er Fady noch mal, wenigstens kurz. „Dann bis später... oder eben am Telefon.“ *** Die nächsten beiden Stunden zogen sich verdammt in die Länge. Nach einem Fototermin im Innenhof von Radio Hamburg ließ sich Thomas auf eine Bank vor dem Springbrunnen fallen, wo das Wasser aus asymmetrisch gekrümmten Stahlrohren plätscherte. Kurze Pause, dann noch ein letztes Interview für heute. Warum hatte Fady sich noch nicht gemeldet? Thomas zog sein Handy raus — Fehlanzeige. Keine SMS, keine verpassten Anrufe. Nun bleib mal cool... Er strich mit dem Daumen über das dunkle Display. Schließlich stand in drei Tagen sein Auftritt im Dome an, und dank RTL würde Fady auch dabei sein. Allerdings mitten in einem Gewühl von Bands, Star-Gästen und Kamerateams. Danach war an einen entspannten Abend ohne Publikum und Blitzlicht bestimmt nicht zu denken. Unruhig rieb Thomas seine Handflächen aneinander. Was er wirklich wollte, war einfach mal ohne 13 Zeitdruck mit Fady zusammen sein, reden... Und dann? Bis heute Nachmittag hatte er sich da überhaupt keine Vorstellung gemacht. Aber wenn er jetzt dran dachte, wie Fady zur Tür rein gekommen war, geriet sein Puls völlig aus der Spur. Nur diese Erinnerung, wie sie sich sofort um den Hals gefallen waren, wie’s sich anfühlte, Fady in den Armen zu halten — Stop. Mal kurz den Rückwärtsgang einlegen. Thomas stand mit einem Ruck auf und ging ein paar Schritte um den Springbrunnen herum, der von der anderen Seite genauso verkorkst asymmetrisch aussah. Merkste endlich, was da abgeht? Vielleicht hatte er’s auch gar nicht merken wollen. Aber jetzt, wo ihm die Erinnerung elektrisiert auf den Leib rückte, war’s mit dem Blind-Stellen auch vorbei. Wenn die Visagistin nicht mit der Debatte über Fadys Hemd angefangen hätte, hätte er bestimmt nicht so schnell wieder losgelassen. Spürte jetzt noch, wie Fadys Hand mitten auf seiner Brust lag, als hätte sich diese Berührung eingebrannt. Thomas atmete langsam durch. Jetzt war wohl echt der Punkt erreicht, wo er mal eins und eins zusammen zählen sollte. Die Wahrheit ins Auge fassen wie’n erwachsener Mensch. Musste ja sonst keiner wissen. Fady hatte eine Wirkung auf ihn, wie er das überhaupt nur von Frauen kannte. Ach Quatsch — Fady ist vielleicht schwul, aber ich doch nicht! Über diese pubertäre Panikreaktion musste Thomas schon im nächsten Moment selbst grinsen. Es gab genug Leute, die waren bi und merkten das früher oder später... oder manchmal eben sehr spät. Im Leben ging’s meist nicht so glatt gebügelt zu wie in der Theorie. Ganz rational betrachtet hatte er keine Ursache, auf einmal an sich selbst zu zweifeln. Schließlich war er als Teenager auch auf den ein oder anderen Sänger abgefahren. Okay, das war nicht ganz das gleiche, aber außer der tollen Stimme gab’s immer einen besonderen Kick, so jemanden auf der Bühne zu sehen, wie der sich bewegte, ihm vielleicht sogar mal die Hand zu schütteln. Solche Konzerte hatten was von ’nem Rausch, Rhythmus bis ins Becken und ein Dauervibrieren im Zwerchfell. Und wie sein Kumpel Torsten immer meinte: Musik ist wahrer Sex, das kannste gar nicht trennen. Thomas wanderte zur Bank zurück, setzte sich wieder hin. Und wenn er nun auf Fady stand... Schließlich hatte er ihn sogar schon mal geküsst. Bei dem Gedanken flimmerte es ihm plötzlich im Magen. Komisch, seit sie regelmäßig telefonierten, hatte er diesen kleinen Zwischenfall irgendwie aus seinem Gedächtnis ausgeklammert. Aber er brauchte jetzt gar nicht weiter in dieser Erinnerung rumzustochern: wenn sich die Chance ergab, würde er bestimmt wieder genauso — Thomas hielt für einen Moment die Luft an. In seiner Brust spannte sich so’n diffuses Gefühl von Sehnsucht, drehte sich im Kreis und trieb seine Pulsfrequenz hoch. Dass Fady zufällig ein Mann war, war echt nicht das Schlimmste. Das Warten, das war momentan kaum auszuhalten. Gegenüber ging jetzt eine Tür auf, und seine blonde Begleiterin vom Management stakste in ihrem neongrünen Blazer über den Innenhof. Im selben Moment — als hätte dieses pausenlose Wünschen doch was geholfen — meldete sich endlich sein Handy. War zwar nur eine SMS, aber die kam von Fady. Wann hast du Zeit? Sag mir wo ich dich treffen soll. F. Thomas starrte sekundenlang nur auf das Display und dachte nicht drüber nach, wann sich Erleichterung zum letzten Mal so atemberaubend angefühlt hatte. Aber dann dehnte sich sein Brustkorb endlich wieder aus, und alles um ihn herum fühlte sich weit offen an. Wie ein Versprechen. *** V. HAUTNAH Die Hotel-Lounge war in gedämpftes Licht getaucht, das von ein paar niedrigen Glastischen abstrahlte. Noch von der Tür aus landete Thomas’ Blick sofort bei Fady, der am anderen Ende des Raums auf einer Ledercouch saß und eine Zeitschrift durchblätterte. Klarer Fall von Magnetismus. Jetzt immer mit der Ruhe... Als er auf Fady zuging, schaltete Thomas einen krausen Gedanken nach dem anderen ab. Keine Ahnung, wie das jetzt weitergehen sollte, aber da gab’s auch nichts zu planen. Einfach mitten in die Gegenwart reinfallen lassen und dann eben weitersehen. Sich nicht zuviel anmerken lassen, das kriegte er meist ganz gut hin. 14 „Hey, hast du schon lange gewartet?“ Fady trug jetzt Jeans und ein ärmelloses schwarzes T-Shirt, was mindestens genauso... ansprechend aussah wie seine Aufmachung in der Talkshow. Und dieses Lächeln, mit dem er zu Thomas hochsah, war — umwerfend, gelinde gesagt. „Gar nicht. Zehn Minuten, vielleicht.“ „Wollen wir was essen gehen?“ Thomas streckte eine Hand aus und zog Fady zu sich hoch, das ging wie von selbst, ein lockerer Griff aus der Hüfte. „Ich hatte heute Mittag mal’n Burger, aber das war’s dann auch schon.“ „Dann musst du jetzt aber nachholen.“ Es kam Thomas deutlich so vor, als ob Fady seine Hand ein bisschen länger festhielt als nötig — aber vielleicht war das nur Wunschdenken. „Weißt du wo?“ „Das Restaurant hier soll gar nicht schlecht sein.“ Also wanderten sie zusammen durch den dunklen Frühstücksraum ins Restaurant auf der Rückseite des Hotels, wo zwar noch Betrieb war, aber nicht gerade Massenandrang. Thomas steuerte einen leeren Tisch in einer Fensterecke an, ließ mal kurz seinen Blick über die anderen Gäste schweifen. Anzugmenschen mit Zeitungen — wahrscheinlich Businessleute, die selbst um diese Uhrzeit noch die Börsenkurse studieren mussten —, ein älteres Paar, das sich mit Sekt zuprostete. Nur an einem Tisch saßen zwei jüngere Frauen, die vielleicht Anschluss suchten. Insgesamt kein großes Risiko, dass Fady und er gleich erkannt wurden. Sie bestellten beide noch vor dem Essen Rotwein. Thomas streckte die Beine von sich, nahm einen ersten Schluck. „Jetzt erzähl mal, wie sieht’s denn nun aus mit deinem Plattenvertrag?“ „Ich darf noch nichts sagen...“ Fady hatte wieder diesen verschmitzten Ausdruck, und seine Augen glitzerten. „Mir schon, mir darfst du alles sagen!“ protestierte Thomas. „Also gut...“ Fady lehnte sich zu ihm über den Tisch und senkte die Stimme. „Sony BMG will ein Album mit mir machen!“ „Na super! Noch ein Grund zum Feiern!“ Thomas stieß sein Glas an Fadys. „Wusst’ ich doch, dass Qualität sich durchsetzt.“ „Und was ist der andere Grund?“ fragte Fady. „Na, unser Wiedersehen...“ Fast wäre Thomas dabei noch rot geworden, aber dann quatschte er einfach weiter. Sowas lernte man ja beim Fernsehen. „Wann gehst du denn ins Studio? Und wann kommt die Single raus?“ Fady erzählte ihm alles, was er wissen wollte, und gab dann noch ein paar Geschichten vom DSDSWiedersehenstreffen auf Mallorca zum Besten. Dass sich Benni endlich mal geschämt hatte für seinen peinlichen Spruch über schwule Klamotten. Dass aus Lorenzo inzwischen eine Fünfhunderprozentfrau geworden war und aus Didi Knoblauch ein ziemlich normaler Mann, der jetzt eine Tonlage tiefer sang. Wie Lisa Bund sich alle Mühe gab, nicht Gift und Galle zu spucken, wann immer ihr Linda ins Visier kam, und dann früh morgens voll bekleidet im Pool landete — aber geschubst haben wollte sie keiner. Inzwischen war ihr Essen da, und Thomas musste aufpassen, dass er sich nicht beim Lachen verschluckte. Fady erzählte das alles so lebhaft und so komisch, das war reines Entertainment. „Mann, ich wünschte ich wär dabei gewesen! Hier war’s nicht halb so lustig.“ Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie drei Tische weiter die beiden jungen Frauen ihre Köpfe zusammensteckten und verstohlen rüberblickten. Die saßen nun schon ziemlich lange da und tranken inzwischen mit Sicherheit den fünften Cappuccino. „Aber es macht dir doch auch Spaß, oder?“ fragte Fady. „Bist du glücklich?“ Das klang nun mit einem Mal so ernst, dass Thomas ihn überrascht ansah. „Na sicher...“ Diese Frage verdiente allerdings mehr als die spontane Standardantwort. „Also manchmal macht mich dieses Gewusele um mich herum ganz schön nervös, und manchmal bin ich selbst ’n bisschen überdreht. Das ist alles so wie — keine Ahnung, Karneval als Dauerzustand! Dann wünsch’ ich mir, es wär jemand da, der mich wieder runterholt und mit dem ich ganz normal reden kann.“ Er stoppte ab, sprach’s dann aber doch aus. „So wie du.“ Statt einer Antwort streckte Fady einfach die Hand aus und berührte seine. Nur kurz, aber so sanft, dass es Thomas prickelnd den Arm hochlief. „Ich möchte immer da sein für dich.“ Also das war definitiv nicht nur Wunschdenken, so wie Fady ihn jetzt ansah. Thomas saß plötzlich 15 ein kleiner Kloß im Hals. „Ich, also — danke. Das hat mir echt viel bedeutet, dass ich immer mit dir reden konnte... Auch wenn ich dich ’n paar mal aus dem Schlaf gerissen hab.“ „Hast du nie.“ Fadys dunkle Augen blitzten herausfordernd. „Flunker mal nicht.“ Thomas grinste ihn an. „Hab’s ganz genau gemerkt.“ „Du glaubst mir nicht?“ Fadys gespielte Empörung war bühnenreif. „Ich habe dich nicht schlafen lassen mit mein Gequassel! Und jetzt dein Essen wird noch kalt, weil ich dich abhalte. Iss!“ Irgendwie hatte er selbst es geschafft, all diese Stories zu erzählen und seinen Teller trotzdem abzuräumen. Obwohl ihm das Essen momentan eher gleichgültig war, machte sich Thomas über seine Nudeln her. Ein paar mal, als er kurz hochsah, hatte er den Eindruck, als wäre Fady ’n bisschen angespannt und mit den Gedanken woanders, aber in seinem Tonfall war nichts davon zu hören. „Ich fahre in ein paar Tagen in den Libanon, zu meinen Eltern,“ erzählte er. „Für eine Woche.“ „Ey, du warst doch gerade erst im Urlaub!“ Thomas zwinkerte ihm zu und schüttelte den Kopf. „Aber ich gönn’s dir ja, und deine Familie freut sich bestimmt ’n Bein ab.“ Trotzdem musste er unwillkürlich daran denken, dass mit dem täglichen Telefonieren dann bestimmt erstmal Essig war. „Ich denke es ist mein letzte Chance, noch mehrere Tage aus Deutschlang weg zu sein,“ sagte Fady. „Wenn meine Single erst herauskommt, werde ich fast so beschäftigt sein wie du jetzt.“ „Mach dich auf was gefasst!“ Thomas prostete ihm mit seinem letzten Schluck Wein zu. „Dann hast du den Stress, und ich ruh mich mal aus.“ Fady lachte. „Das ist nur gerecht, oder?“ Inzwischen waren sie beim Nachtisch, und das Restaurant hatte sich schon merklich geleert. Trotzdem drehte irgendwer hinter der Bar die Musik lauter. Bisher war nur das typische Hotelgedudel aus den Lautsprechern gequollen, irgendwo zwischen synthetischem Wohlfühlen und Einlullen, aber jetzt spielten sie plötzlich Incubus. Love hurts, but sometimes it’s a good hurt, and it feels like I’m alive. Love sings... Thomas summte den Song ein paar Takte lang mit. So verdammt lebendig wie jetzt fühlte er sich sonst nur auf der Bühne, so völlig eins mit sich und jedem Moment. Die zwei Frauen saßen mittlerweile vor leeren Cappuccino-Tassen und eine von beiden spielte unauffällig an ihrem Handy herum. Aber eigentlich war ihnen Thomas ganz dankbar, denn sie machten’s ihm leichter, seinen Mut zusammenzunehmen. Er nickte mit dem Kopf kurz in deren Richtung. „Sag mal, wie wär’s wenn wir auf mein Zimmer hoch gehen, ich würd’ mich ganz gern ungestört unterhalten.“ Das war auch die reine Wahrheit, ohne alle Hintergedanken: er wollte einfach nur noch mehr Zeit mit Fady verbringen. Obwohl’s jetzt schon halb elf durch war. Bestimmt würde das Restaurant auch bald dicht machen. Fady lehnte sich einen Moment lang zur Seite und blickte zum Fenster raus. „Ja,“ sagte er dann langsam, „lass uns gehen.“ „Okay.“ Thomas winkte dem Kellner, der hinter der Bar herumwippte und Gläser ins Regal sortierte. „Das geht aufs Spesenkonto von meinem Management.“ Kaum waren sie auf dem Weg zum Fahrstuhl kurbelte sich sein Herzschlag schon wieder hoch. Naja, wünschen und hoffen. Und ihm fiel gleich alles wieder ein, was Fady letztens am Telefon dazu gesagt hatte. Bloß jetzt nicht zuviel denken. Zuviel — Alles eben. Der Fahrstuhl öffnete sich mit ein paar stotternden elektronischen Klängen als hätte er Schluckauf. „Da wären wir...“ Im dritten Stock stieß Thomas nach einigem Gefummel mit der Schlüsselkarte seine Zimmertür auf und tastete nach dem erstbesten Schalter. Eine Stehlampe warf blassgelbes Licht durch einen Stoffschirm mit Troddeln. Das künstliche Aroma von irgendeinem Raumspray lag in der Luft. Während Fady noch die Tür hinter ihnen schloss, ging Thomas quer durchs Zimmer. Frei atmen können war jetzt mit das Wichtigste. „Ich mach mal die Balkontür auf...“ Balkon war’n bisschen zuviel gesagt, man konnte so eben einen Schritt nach draußen machen, aber immerhin lag sein Zimmer nicht zur Straße. Hinter Grünflächen dehnten sich die Tennisplätze vom Rothenbaum aus, und die Luft roch nach frisch gemähtem Rasen. Fady trat neben ihm ans Balkongitter. „Hamburg in der Nacht!“ Lächelnd schüttelte er den Kopf. 16 „Man sieht nichts.“ „Nee...“ Allerdings war das Thomas momentan herzlich egal, sein Blick klebte ohnehin an Fadys Profil. „Ich hab auch noch kaum was von der Stadt mitbekommen. Nur einen Blick auf die Alster hatt’ ich heute vom Auto raus.“ „Wenn du wieder hier bist und hast mehr Zeit, ich zeige dir die Stadt,“ schlug Fady vor. „Es gibt schöne Spaziergänge um die Alster. Mir gefällt Hamburg wie kein anderer Platz.“ „Klar, das machen wir bei nächster Gelegenheit,“ sagte Thomas sofort. „Is’ schließlich auch deine Stadt.“ „Jetzt, ja...“ Fady beugte sich vor, lehnte sich mit beiden Armen auf die Brüstung. „Als ich hier bin angekommen in Deutschland, war ich erst wie verloren. Ich dachte niemals wird das sein ein Zuhause.“ „Kann ich mir kaum vorstellen, wie das ist. Ich war noch so klein als wir aus Polen weg sind, dass ich mich gar nicht mehr richtig dran erinnern kann.“ Als Fady jetzt in die Dunkelheit schaute, ganz still und versunken, war ihm die Einsamkeit dieser ersten Zeit immer noch anzumerken. Thomas legte ihm eine Hand auf den Rücken — das war völlig unüberlegt, weil’s ihm um nichts anderes ging, als diese Erinnerung irgendwie von Fady abzuschütteln. Aber als Fady sich dann aufrichtete und zu ihm hindrehte, wollte Thomas die Hand nicht gleich wieder wegziehen. Stattdessen schob er sie zu seiner Schulter hoch. So dicht, wie sie voreinander standen, konnte er Fadys Körperwärme spüren wie einen Sonnenschatten. „Das muss ganz schön schwer für dich gewesen sein,“ murmelte Thomas. „Aber ich habe viel gelernt. Es war auch... aufregend.“ Plötzlich schwang in Fadys Stimme sowas mit, als ging’s nicht mehr nur um den Sprung vom Libanon nach Hamburg und all die Veränderungen, die da mit dran hingen. Sein Blick jagte Thomas einen kurzen Adrenalinschauer ins Blut und löste jeden halbwegs vernünftigen Gedanken in bloße Spurenelemente auf. Also gab er einfach einem blinden Impuls nach und zog Fady in eine feste Umarmung — atmete erst wieder aus, als sich Fadys Arme um seinen Rücken schlossen — und roch die Nachtluft, den leichten Geruch von Shampoo in Fadys Haaren. Ihn nur so festzuhalten, das reichte schon, das fühlte sich an, als wär’ er aus irgendeinem fensterlosen Raum mitten in die Sonne gestolpert. . „Ich kenn echt niemanden, der so mutig ist wie du.“ „Das bin ich gar nicht,“ flüsterte Fady. Seine Handflächen streiften sacht zu Thomas’ Schulterblättern hoch, und trotzdem wurde diese Umarmung nur noch enger. „Nicht so, wie ich gern wäre.“ „Glaub ich nicht...“ Thomas schluckte. Sein Mund war plötzlich trocken und sein Kopf leer, von Mut konnte bei ihm sowieso keine Rede sein. Aber irgendwas musste er jetzt tun, sonst gab’s gleich irgendwo einen Kurzschluss. Er senkte den Kopf, berührte mit den Lippen vorsichtig Fadys Wange. In jedem Nerv vibrierte soviel Spannung, da war’s schon fast nicht mehr möglich, seine Bewegungen zu steuern. Der Hauch von Fadys Atem glitt warm über sein Gesicht. Thomas ließ den Kopf noch ein bisschen sinken, merkte im selben Moment erst, wie nah sich ihre Lippen dabei kamen, und hatte doch keine Ahnung, wie über diese paar Millimeter wegzukommen war. Aber dann schlossen sich Fadys Finger um seinen Nacken, Thomas ließ die Augen zufallen und das letzte bisschen Abstand verschwand ganz einfach. Zuerst war’s mehr Atem als Berührung, völlig schwerelos. Fadys Mund an seinem, die leichte Bewegung, als sich seine Lippen öffneten — und dann fuhr’s Thomas wie ein kurzer Stromstoß durch den ganzen Körper. Nur eine Spur mehr Druck genügte schon, und es wurde ein richtiger Kuss, vielleicht noch’n bisschen unsicher, aber unwiderstehlich warm. Fadys Lippen fühlten sich weich und fest zugleich an und drängten sich sanft an seine. Gott. Mit einem Stoßseufzer zog Thomas ihn noch dichter zu sich ran, legte den Kopf etwas schräg, bis es sich einfach perfekt anfühlte — Fadys Mund bewegte sich an seinem, mit ihm, und er umschloss mit einer Hand Fadys Kinn. Endlich endlich endlich sang’s ihm in den Nerven. Schon im nächsten Moment geriet sein Puls ins Schlingern, denn Fadys Zunge streifte an seiner Unterlippe entlang. Thomas gab ihm nach und sich selbst auch, drang ein kleines Stück vor bis er Fadys Zunge an seiner spüren konnte, ihn immer wieder einholte. Daraus wurde ein langsames, sanftes Gleiten, das ein Funkeln in all seine Nerven spülte. Sein Atem flog in diesen Kuss hinein, vertiefte sich, während Fadys Hand über seine Rippen streifte, die sich immer mehr ausdehnen wollten. Luft, 17 Atemholen. Er sah in Fadys Augen und bekam verdammt weiche Knie — oder merkte das vielleicht erst jetzt, während ihm das Herz bis in die Kehle pochte. Er wollte überhaupt nichts anderes mehr als Fady küssen — von mir aus die ganze Nacht lang, dachte Thomas noch — und im nächsten Moment tat er genau das. Fady hielt ihn mit einem Arm um die Taille geklammert; die Finger seiner anderen Hand streichelten Thomas’ Gesicht, vom Kiefer hoch bis zur Schläfe. Diese leichten Berührungen fühlten sich an, als hätte er schon mal davon geträumt. Seine eigenen Hände wanderten über Fadys Rücken nach unten, spürten der Spannung in seinen Muskeln hinterher bis zu seinen Hüften. Nie hatte er sich das träumen lassen, dass er irgendwann mal einen anderen Mann so anfassen wollte, aber jetzt gab’s nur noch Fady, der sich ihm mit der selben Kraft entgegendrängte bis ihre Oberschenkel aneinander gepresst waren und jede kleine Bewegung wie eine sanfte Welle durch Thomas’ Körper ging. Er fuhr mit seiner Zunge tiefer in Fadys Mund, spürte ein heftiges Prickeln im Unterbauch, je leidenschaftlicher diese Küsse wurden. Zwischendrin merkte er auch, dass er Fady ans Balkongitter gedrückt hielt — hoffte nur, dass das nicht zu unbequem war, denn aufhören konnte er einfach nicht. „Thomas...“ flüsterte Fady direkt an seinen Lippen, schob ihn schließlich ein kleines Stück von sich weg. Thomas öffnete langsam die Augen, lehnte seine Stirn an Fadys. Konnte erstmal gar nichts sagen. Die kühle Nachtluft auf seinem erhitzten Gesicht kam wie aus ’ner anderen Welt. Sein Atem ging viel zu laut. Aber dann tauchte Fadys Blick unter seinem weg, und auf Thomas’ Schulter krampfte sich seine Hand zusammen. Vielleicht ging ihm das alles plötzlich zu weit. Oder er suchte selbst nach Worten. Thomas schluckte — keine Ahnung, ob er jetzt’n zusammenhängenden Satz rausbringen konnte. Aber irgendwas in seinem Hinterkopf war ohne sein Zutun schon vorwärts marschiert und kam ihm über die Lippen noch bevor er’s richtig kapiert hatte. „Kannst du — kannst du heute Nacht vielleicht hierbleiben?“ *** VI. ANDERERSEITS Kaum waren die Worte raus, biss Thomas sich fast auf die Zunge. Das musste ja so klingen, als wär’ er auf einen schnellen One-Night-Stand aus — aber seine Gedanken verhedderten sich bei dem Versuch, noch irgendeine Erklärung abzugeben. Fadenriss. Fady lehnte sich zurück gegen die Brüstung, seine Hände rutschten über Thomas’ Arme nach unten weg. Von einem Moment zum anderen wirkte sein Gesichtsausdruck verschlossen und so voller Anspannung, dass es sich Thomas kalt in der Magengrube zusammenballte. „Ich muss dir etwas sagen...“ Fady hob den Kopf, um ihm direkt in die Augen zu sehen, seine Stimme zitterte leicht. „Es ist — es gibt schon jemand in meinem Leben.“ Ein Streifen Licht aus dem Hotelzimmer schimmerte auf seiner Wange, der Rest seines Gesichts lag in tiefen Schatten. Thomas starrte ihn an. „Und das sagst du mir jetzt?“ Sein Magen zog sich zusammen wie kurz vor’m Absprung ins Bodenlose. Ihm war’s nicht mal ansatzweise in den Kopf gekommen, dass Fady nicht mehr solo sein könnte, trotz der BILD-Story damals. Wie vernebelt konnte man eigentlich sein? Thomas verschränkte die Arme — hauptsächlich, damit sein Magen Ruhe gab — aber das half auch nicht wirklich. „Dann hätten wir wohl besser nicht — also war das alles ’n Versehen, oder was?“ Er wollte sich wegdrehen, bloß weg. „Warte.“ Fady packte ihn am Handgelenk, mit viel mehr Kraft als Thomas erwartet hätte, und hielt ihn fest. „Hör mir zu, bitte. Es ist kompliziert.“ Thomas holte tief Luft. Kompliziert war das letzte, was er jetzt noch verarbeiten konnte. Der Fluchtreflex saß ihm in den Knochen wie ’ne verhakte Sprungfeder. Aber da war schließlich noch mehr: Fadys Finger um sein Handgelenk, die sich langsam etwas lösten ohne loszulassen, genau an seinem Puls. Die Art, wie Fady ihn jetzt ansah, als könnte er ihn nur mit diesem Blick festhalten, irgendwie zur Ruhe bringen. Und schließlich war Fady immer noch sein Freund — da war zuhören wohl das Mindeste. 18 „Okay. Schieß los.“ Das klang ziemlich schroff, aber mehr bekam er im Moment einfach nicht hin. „Ich bin schon ein ganze Zeit mit ihm zusammen.“ Trotz Fadys ruhigem Tonfall merkte Thomas ganz genau, wie er nach Worten rang. Der französische Akzent kam wieder stärker durch, wie immer, wenn Fady unter Stress stand. „Aber es ist nicht mehr so... im Anfang haben wir gedacht, es ist alles perfekt, aber —“ Mit seiner freien Hand vollführte Fady eine flattrige Geste. Thomas zuckte mit den Schultern. An seinem Handgelenk bewegten sich Fadys Finger ganz leicht, und diese Berührung reichte jetzt schon aus, dass er mit dem Verstand nicht mehr hinterherkam. „Es hat sich so sehr verändert.“ Fady schluckte. „Du bist... ganz anders als er.“ „Ja, zum Beispiel bin ich nicht schwul!“ Thomas machte sich mit einem Ruck los und wollte einfach nur abhauen — bis ihm wieder einfiel, dass es schließlich sein Hotelzimmer war. Und dieser Spruch war mit Sicherheit das Idiotischste, was er überhaupt hätte sagen können. „Scheiße!“ Fady hatte die Augen geschlossen und beide Arme vor den Körper gepresst. „Tut mir leid, das war total daneben.“ Trotzdem brauchte er jetzt ’ne Pause, Abstand, wenigstens ein paar Meter. Mit langen Schritten ging Thomas ins Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Ich hab schließlich angefangen. Er starrte zur Decke hoch. Wahrscheinlich hatte er Fady total überrumpelt, aber andererseits — „Okay.“ Thomas stützte sich auf den Ellenbogen hoch. Was gerade in Fadys Kopf vorging würde er sich in tausend Jahren nicht zusammenreimen können. „Red’ mit mir, sag mir was los ist.“ Einen Moment lang stand Fady noch unbeweglich am Balkongitter, dann löste er sich mit einem Ruck und kam ins Zimmer. Blieb wieder stehen, den Blick zu Boden gerichtet. Wenigstens bin ich hier nicht der Einzige, der nicht mehr weiter weiß... Thomas fuhr sich durch die Haare. So wie Fady jetzt da stand, konnte er die Hochspannung selber spüren wie einen Schraubstock um die Brust. Das war wie in den letzten Minuten vor der Entscheidung beim Finale, als Fady erst seine Hand umklammerte und sich dann im letzten Moment losriss, weil’s unerträglich wurde. „Fady, setz dich mal hin... und red mit mir.“ Seine Stimme klang verdammt rau. „Ich will’s echt verstehen.“ Die ganze Zeit hatte er gedacht, dass er Fady ziemlich gut kannte, dass der ihm genauso viel von sich erzählte wie er umgekehrt. Aber jetzt fühlte sich das alles plötzlich hohl an — er fühlte sich hohl, als wär’ in seiner Lunge statt Luft nur noch Vakuum. Naja, ich bin halt total überflüssig. Als Freund und auch sonst. Die Matratze wippte unter ihm, als sich Fady neben ihn setzte. „Ich wusste nicht, ob ich heute hierher kommen soll...“ Fady stockte wieder, presste die Handflächen gegeneinander. „Und ob du — aber dann ich hab gedacht, wir sind so... wir sind so nah als Freunde, und das ist auch alles, was du willst.“ „Hab ich auch gedacht,“ murmelte Thomas, „bis heute Nachmittag etwa.“ „Bisher es gab kein Grund, dir das zu erzählen,“ sagte Fady. „Es ist — weißt du, wenn es in einer Beziehung Probleme gibt, ich finde nicht, dass andere das wissen sollen. Das ist so...“ „Unloyal?“ Thomas beobachtete ihn von der Seite. Vorgebeugt, die Finger ineinander verhakt, saß Fady da als brauchte jedes Wort volle Konzentration. Oder ’ne Kraftanstrengung. Aber immerhin, an diesem Punkt konnte Thomas seine Reaktion soweit nachvollziehen. „Ja.“ Fady atmete hörbar aus. „Man liebt ein Menschen nicht nur, wenn alles gut geht. Aber es ist nun schon lange nicht mehr...“ Seine Stimme schwankte, und Thomas konnte den Schmerz darin so klar hören als gäb’s eine direkte Verbindung zu diesem quälenden Druck in seiner eigenen Magengrube. Trotzdem sprach Fady jetzt weiter. „Es dauert eine Zeit, bis man versteht, wie anders alles geworden ist. Es gab kein Streit zwischen uns oder so. Aber dann kommen Nächte, wenn du allein schlafen möchtest, immer häufiger. Oder du sagst nicht mehr, was du denkst...“ Fady zog die Schultern hoch, rieb sich nervös die Narbe unter seinem rechten Auge, und Thomas hatte das sichere Gefühl, dass er beim besten Willen nicht noch mehr preisgeben konnte. Immerhin kamen seine eigenen Gedanken allmählich auf ’ne halbwegs geradlinige Spur. Er gab sich selbst einen Ruck. „Hör mal, du musst mir das nicht alles erzählen.“ Da gab’s noch eine Privatsphäre in Fadys Leben, von der er bisher nicht mal was geahnt hatte. Die Fady aus Rücksicht auf seinen Freund unbedingt schützen wollte. Eigentlich hatte er überhaupt kein Recht, sich da einzumischen. 19 „Ich möchte aber, dass du weißt...“ Fady drehte den Kopf zu ihm rüber, seine Stimme klang völlig gepresst. „Es ist so viel passiert, das ich jetzt nicht alles erklären kann. Aber wir sind immer noch zusammen, wie Brüder jetzt mehr, und ich dachte auch, es geht so...“ „Das kenn’ ich,“ murmelte Thomas. Es hatte schon seine Gründe, warum er ausgerechnet mit Fairytale Gone Bad bei DSDS angetreten war. Und wenn er Fady da so sitzen sah, total verkrampft und am Ende mit seinem Latein, kam die Erinnerung in ihm hoch wie lauter Schwaden abgestandener Luft. Man war noch zusammen ohne genau zu wissen, warum eigentlich, und dachte lieber nicht drüber nach. Nur tief nachts kam plötzlich der Gedanke an Trennung wie’n Befreiungsschlag, wie endlich wieder frei atmen können. Aber bei Tageslicht sackte man ganz schnell zurück in die liebe Gewohnheit, die Trägheit, denn eigentlich gab’s keinen klaren Grund für den ganzen verdammten Trennungsstress. Und man sagte sich immer wieder: Das hat doch mal gepasst, war doch mal gut, irgendwie müssen wir da nur wieder rankommen... „Ich weiß nicht, wie es weitergeht,“ sagte Fady langsam. „Er war auch immer mein bester Freund, und ich will niemand verletzen.“ „Ich auch nicht, Fady.“ Thomas schob sich ein Stück hoch, um ihn besser ansehen zu können. „Und wenn du meinst, ich wollte hier nur mal auf die Schnelle was Neues ausprobieren, dann liegst du total falsch.“ Fady schüttelte heftig den Kopf. „Das habe ich nie gedacht.“ „Okay. Ich wollt’s nur klarstellen.“ Thomas richtete seinen Blick auf die offene Balkontür, den pechschwarzen Nachthimmel, als läge da irgendwo ein Ausweg. Er hatte jetzt ’ne ungefähre Vorstellung davon, wie Fadys Beziehung aussah. Wie sich diese lähmende Enttäuschung anfühlte, wenn irgendwas unwiederholbar verloren gegangen war und trotzdem keiner aufgeben wollte. Aber eins war auch klar: in so’ner Lage war eine Affäre mit jemand anderem schlimmer als gar keine Lösung. „Warst du schon mal —“ Thomas zögerte, fragte dann aber doch: „Warst du schon mal mit jemand anderem zusammen, seit eure Beziehung so ist?“ „Nein,“ sagte Fady leise, „und er auch nicht. Aber wir haben davon gesprochen, dass es passieren kann.“ „Und was ist dann wenn’s passiert?“ „Ich weiß es nicht,“ flüsterte Fady. Thomas ließ sich aufs Bett zurücksacken. „Sorry, aber ich glaub nicht, dass ich den Lückenbüßer spielen kann.“ „Das ist kein Lücke!“ Fady griff wieder nach seiner Hand. Seine Finger fühlten sich eiskalt an und zitterten. „Das ist viel mehr... Du bist so wichtig für mich. Aber bis heute ich hab geglaubt, das ist für dich ganz anders. Nicht wie für mich, nicht so —“ „Das wusst’ ich ja selbst nicht.“ Thomas drückte seine Finger und brauchte diese Berührung plötzlich mehr als jeden vernünftigen Gedanken. Trotz allem. An der Zimmerdecke zeichneten sich die großen Fenster und die Balkontür in grauen Rechtecken ab. „Und du bist mir auch wichtig... als Freund und überhaupt. Ich hätte nur nie — also, wenn ich das alles gewusst hätte, dann hätt’ ich nie irgendwas —“ Dämliches Gestotter. Was man tun konnte, ließ sich ja wohl auch aussprechen. „Ich hätt’ dich nie geküsst.“ „Und... tut es dir Leid?“ Vor’n paar Minuten hätte er wahrscheinlich ein wütendes ja, verdammt! abgeschossen. Und die Moral-Abteilung in seinem Hinterkopf fand auch, dass es ihm gewaltig Leid tun sollte. Dass es jetzt das Beste, das einzig Richtige wäre, so zu tun, als hätt’s diese Küsse nie gegeben. „Nee, tut’s nicht.“ Thomas hielt die grauen Rechtecke im Blick, das einzig Klare im Moment. Fadys Geständnis hatte überhaupt nichts geändert, nicht da, wo er’s fühlen konnte. Das reichte nicht hin bis zu dieser verdammten Sehnsucht, mit der er Fadys Hand immer noch festhielt und sich wünschte — „Ich hätte gern ’ne Chance gehabt. Dass wir rausfinden können, was das mit uns wird.“ Und zur Hölle mit allem, das wollte er immer noch. Egoist war die einzig passende Bezeichnung. Aber jetzt nicht ehrlich zu sich selbst zu sein, wäre noch schlimmer. Ohne drüber nachzudenken hatte er seinen Griff 20 gelockert, streichelte mit zwei Fingern über Fadys Handrücken, als könnte sie das beide beruhigen. „Sag mal, was —“ fing Thomas zögernd an. „Kannst du dir wirklich so’n Typen wie mich in deinem Leben vorstellen?“ Diese Frage war eigentlich sinnlos, und bestimmt gab’s tausend Dinge, die Fady und seinen Freund verbanden — Mode oder Kunst oder Paris und Libanon, oder eben eine von Fadys Dutzend Begabungen. „Du weißt aber gar nichts!“ Fadys Tonfall war mit einem Mal so anders, so leidenschaftlich, dass Thomas ihn einfach ansehen musste. Was wahrscheinlich ein Fehler war, denn Fadys Blick zog ihn zu sich hin als läge nichts zwischen ihnen außer diesem halben Meter Luft. „Ich habe mit dir gespürt, wie es ist, zusammen in der Musik zu sein,“ sagte Fady, „und immer hast du mir Kraft gegeben und mir vertraut. Du hast nie etwas erwartet von mir, und einfach mich so genommen, wie ich bin.“ „Das war ja auch überhaupt nicht schwer,“ murmelte Thomas. Fady schüttelte den Kopf. „Es ist einfach, vielleicht, wenn man sich ähnlich ist. Aber wir beide, wir sind sehr verschieden. Was ich in dir finde, ist alles neu... und schön.“ „Mann, Fady...“ Jedes Wort — und wie Fady das sagte, mit so viel unverhülltem Gefühl — ging Thomas glatt ins Herz und breitete sich in ihm aus wie ’ne langsame Schwingung, die vom Bauch hochsteigt. Wie der gespannte, kraftvolle Rhythmus aus diesem Song... Love hurts, but sometimes it’s a good hurt... Er zog seine Hand weg und berührte Fady kurz an der Schulter. Sorry. Das ging so nicht weiter, er konnte jetzt nicht einfach diesem kopflosen Wunsch nachgeben. „Eins ich muss dir noch sagen.“ Fady straffte den Rücken als wäre er schon halb im Aufbruch. „Ich habe ihm auch gesagt, dass ich zu dir gehe... dass ich bei dir sein will. Deswegen ich hab heute so lang gebraucht dir die SMS zu schreiben.“ So war das also. Thomas ließ sich nach hinten aufs Bett fallen und rieb sich die Hände übers Gesicht. „Und er hat dich gehen lassen? Das macht ihm nichts aus?“ „Natürlich es macht was! Aber...“ Fady machte ein fahrige Bewegung mit der Hand. „Es wird nichts besser von Unehrlichkeit. Ich habe so lang gewartet auf ein Veränderung und alles, was ich konnte, hab ich dafür versucht. Jetzt kann ich nicht tun, als fühle ich nicht, was in meinem Herz ist.“ Diese schonungslose Offenheit traf Thomas frontal, wirbelte seinen eigenen Herzschlag durcheinander. Unglaublich. Obwohl Fady ihm schon mal gesagt hatte, dass er ihn liebte — wenn auch nur über diese wacklige Satellitenleitung und in einem Ton, als wär’s selbstverständlich. Aber das war’s nicht. Es ging ums Ganze, um all das, was sich in den letzten Tagen bei ihm selbst hochgestaut hatte. Thomas gab sich alle Mühe, aus seinen wirren Gedankengängen den einen rauszufischen, der den Ausweg brachte. Nur drehten die sich immer noch im Kreis. „Ich hab echt keine Ahnung, was ich jetzt machen soll,“ sagte er schließlich. „Ich würd’ gern das Richtige tun.“ Aber nach allem, was er jetzt wusste, gab’s den einen richtigen Weg eben nicht. Fady beugte sich über ihn und berührte sein Gesicht, kurz und vorsichtig. „Und was willst du?“ Seine Stimme, sein Atem waren Thomas so nah, dass er die einzig mögliche Antwort wie einen Schauer auf der Haut spüren konnte. Er schüttelte stumm den Kopf. „Soll ich gehen?“ Diese einfache Frage war wie’n Schnitt durch die Wirklichkeit. In einem Sekundenbruchteil konnte Thomas fühlen, wie das sein würde — die Nacht hier wach zu liegen, an die Decke starren, während sich jeder Gedanke, jedes Gefühl nur um diesen abgebrochenen Anfang drehte. Diese elend kalte Leere lag ihm noch immer im Magen. Wenn nicht jetzt, wann dann? In den nächsten Wochen war sein Terminkalender so voll, dass einem schwindlig davon werden konnte. Und bei Fady würde das demnächst nicht anders aussehen. Irgendwas in die Zukunft zu verschieben hatte keinen Sinn. Und vielleicht gab’s ja überhaupt keine. Thomas stützte sich hoch und legte Fady eine Hand um den Nacken, zog ihn langsam an sich, bis er seine Stirn an Fadys lehnen konnte. Es gab nur diese Nacht, nur Jetzt oder Nie, weiter konnte er nicht mehr denken. „Bleib hier. Ich kann jetzt nicht... ich kann dich jetzt nicht gehen lassen, auch wenn ich’s wahrscheinlich sollte.“ Er schloss die Augen als Fady einen Arm um seine Schultern schlang, und in seinem Brustkorb lösten sich ein Dutzend Spannungsknoten mit einem einzigen tiefen Atemzug. „Mann, ich brauch dich... 21 hier bei mir... nicht am Telefon oder sonstwo.“ Damit war dieses bleischwere Zögern endlich vorbei. Seine eigene Entscheidung stand fest, glasklar, und mehr konnt’ er jetzt nicht machen. Auch wenn das alles Konsequenzen haben würde. Die musste er dann eben durchstehen, nur würd’s für ihn bestimmt nicht halb so schwierig werden wie für — „Fady...“ Er strich sacht über die kurzen, weichen Strähnen in Fadys Nacken. „Bist du echt sicher? Bin ich überhaupt so’n Risiko wert?“ Fady hob den Kopf nur einige Zentimeter, dann streifte sein Mund Thomas’ Oberlippe. Sein Blick war völlig offen. “Was meinst du, warum ich bin hier?“ *** VII. FLUG Weißt du wirklich, was du da machst? Thomas warf seinem Spiegelbild einen schrägen Blick zu, während er sich die Zahnpasta aus dem Mund spülte. Schleuderte seine Klamotten über den Wannenrand und zog das ausgeleierte blaue T-Shirt über, das er meist zum Schlafen trug. Er hatte ohnehin ins Bad gemusst, und dieses bisschen Normalität half gegen das blödsinnige Flattern in seinen Nerven. Nee, weiß ich nicht, aber ich werd’s schon rausfinden. Nach diesem endlos langen Tag hätte er eigentlich müde sein müssen wie’n ausgewrungenes Handtuch, stattdessen fühlte er sich fast hyperwach. Als er aus dem Badezimmer kam, hatte Fady eben seine Jeans über einen Stuhl gelegt und stand jetzt wie er selbst in T-Shirt und Shorts da. Im Zimmer war’s dunkel, so dass Thomas seinen Gesichtsausdruck bestenfalls ahnen konnte. Fady sah kurz zu ihm rüber und schlug dann die Bettdecke zurück, um sich hinzulegen. Nun steh’ hier nicht rum... Mit langsamen Schritten bewegte sich Thomas aufs Bett zu, fühlte sich eher wie’n Schlafwandler. Erst als er schon auf der Bettkante saß, fiel ihm auf, dass er das Licht im Bad angelassen hatte. Ein schmaler gelber Streifen drang noch in den Raum, aber er hatte jetzt wirklich nicht den Nerv, noch mal rüberzugehen. Also streckte er sich auf der Seite neben Fady aus — Platz war ja genug, momentan blieb noch verdammt viel Abstand zwischen ihnen — und sah ihn nur an. So langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel... und Fady wirkte genauso unsicher wie er selbst sich grad fühlte. „Du musst nicht denken...“ Fady senkte die Stimme. „Also, wir müssen gar nicht —“ — in genau dem Moment, als Thomas eine Hand nach ihm ausstreckte. „Komm her.“ Das war leichter als er geglaubt hätte: Fady an sich ranzuziehen, ihn einfach in den Arm zu nehmen bis er ihn am ganzen Körper spüren konnte. Nur diese Nähe. „Ich weiß...“ murmelte Thomas. „Dass wir nichts müssen und so.“ Es ging nur ums Wollen, und davon steckte ihm jede Menge in den Knochen. Fady streichelte seine Schulter, mehr zur Beruhigung als sonstwas, und an seinem unregelmäßigen Atem konnte Thomas genau merken, dass er wirklich nervös war. Er fuhr mit den Fingerkuppen über Fadys Rücken, ein Stück die Wirbelsäule runter und dann wieder zum Nacken hoch. Spürte ein kurzes Kribbeln auf der eigenen Haut, wie einen verqueren Echo-Effekt, bis seine Hand an Fadys Gesicht lag. Dann drehte Fady leicht den Kopf und streifte Thomas’ Handfläche mit seinen Lippen. Thomas blieb einen Moment lang der Atem weg. Aber er brauchte sich nur ein paar Zentimeter zu Fady runterzubeugen, dann lag Fadys Mund schon an seinem, als gäb’s nichts einfacheres. Und nichts, was sich richtiger anfühlen konnte... Thomas ließ die Augen zufallen, streichelte Fadys Gesicht und streifte mit den Fingern durch seine Haare, während er ihn so küsste — langsam erst, aber schon beim nächsten Atemzug mit etwas mehr Druck, weil sich Fadys Lippen jetzt für ihn öffneten und er alles auf einmal in sich aufnehmen wollte. Jede kleine Bewegung von Fadys Mund an seinem, wie Fadys Wimpern an seiner Haut kribbelten, und wie ihm jedesmal ein kurzes Flackern durch die Nerven ging, wenn Fadys Zunge mit seiner spielte — absolut alles. 22 Aber irgendwas war auch anders als vorhin, auf dem Balkon — da war diese sonderbare Spannung in seiner Brust, die sich nur ganz allmählich löste und sich dann wie flirrende Wärme immer weiter ausbreitete — während Fady seinen Nacken umklammerte und sein eigener Atem immer schneller ging. Vielleicht war’s eine Art Nachbeben von all den Erschütterungen vorhin, oder einfach nur’n Gefühl, das er schon zu lange links liegen gelassen hatte. Was er wirklich wollte, hatte nur zum Teil mit Sex zu tun... wahrscheinlich zum geringeren Teil. Thomas holte tief Luft, löste sich kurz und legte seine Hand auf Fadys Brust, wo er dicht unter dem Knochen jeden einzelnen Herzschlag spüren konnte. „Was würd’ ich jetzt hier ohne dich machen...“ Fady schüttelte wortlos den Kopf und hielt seine Hand fest. Ich bin hier. Ganz einfach. Thomas beugte sich über ihn und strich mit dem Daumen über seinen Wangenknochen, erwiderte diesen konzentrierten Blick, in dem noch so viel Schatten lag. Morgen früh würde wahrscheinlich nichts mehr einfach aussehen, aber das war alles so weit weg wie das nächste Jahrtausend. Er rollte mit Fady zur Seite als sie sich wieder küssten, ineinander verhakt und verschlungen und mittlerweile mit ziemlich viel Hautkontakt. Ziellos und auch ’n bisschen unbeholfen fühlte sich das an, aber Thomas hatte im Moment sowieso keine klare Vorstellung davon, was er eigentlich vorhatte — außer Fady festzuhalten. Bis diese Küsse immer drängender wurden und er einfach irgendwas tun musste. „Fady...“ Thomas küsste ihn atemlos auf den Mundwinkel. „Wahrscheinlich hast du’s schon gemerkt, aber ich war noch nie... mit’m Mann zusammen.“ Immerhin bekam er das noch klar raus, wenn auch ohne viel Stimme. „Also... wenn ich irgendwas falsch mache, sag’s mir, okay?“ „Es kann aber nicht falsch sein,“ flüsterte Fady zurück, „gar nichts.“ Thomas nickte langsam und konnte nur hoffen, dass er Recht damit behielt. „Trotzdem... gib mir mal ’ne kleine Orientierungshilfe.“ Fady ließ sich auf den Rücken sinken und lächelte — dabei lag ein Glänzen in seinen Augen, ganz wach und vielleicht etwas überrascht. Er nahm Thomas’ Hand und legte sie an den Saum seines TShirts, das über seinem Bauch schon ein Stück hochgerutscht war. „Ich möchte deine Hände fühlen, auf meiner Haut.“ Nur wie er das sagte brachte Thomas’ Puls schon wieder ins Schleudern. Er schob eine Hand unter Fadys T-Shirt hoch und den Stoff gleich mit. Seine Handfläche fühlte sich rau an auf Fadys Haut, aber im nächsten Moment war das vergessen, denn er konnte sich nur noch auf eins konzentrieren. Wie sich Fadys Bauchdecke spannte, diese eindeutig männliche Mischung aus sanften Linien und trainierten Muskeln, der Rhythmus seines flachen Atems... Ihn nur so zu berühren reichte überhaupt nicht aus, um das alles richtig zu begreifen. Also rutschte Thomas etwas nach unten und fuhr mit den Lippen über Fadys Bauch, während seine Hände höher glitten, bis zum Ansatz seiner Rippen, wo Fadys Herzschlag jetzt am deutlichsten zu fühlen war. Wie ein gedehnter, dunkler Trommelschlag, dem er einfach nur folgen musste. Thomas presste seinen Mund auf diese Stelle, seine Hände waren ihm schon ein Stück voraus. Er fuhr mit dem Daumen über eine Brustwarze, spürte ein leichtes Zittern und wie sich Gänsehaut genau da ausbreitete, wo sein Mund jetzt über Fadys Rippenbögen wanderte. Also schob er sich etwas höher und strich mit der Zunge um Fadys Brustwarze, saugte ganz vorsichtig — und dann etwas stärker — Fadys heftigen Atemstoß fühlte er dabei mehr als er ihn hörte. Seine Hände legten sich um Fadys Brustkorb, packten etwas fester zu als Fady sich unter ihm bewegte. Dabei schlug ihm selbst das Herz bis zum Hals. Um kurz Luft zu holen hob Thomas den Kopf und vergaß das mit dem Atmen beinah, weil jetzt so viele ungebremste Empfindungen über Fadys Gesicht flogen. Seine Finger spielten noch mit Fadys Brustwarzen — unglaublich fühlte sich das an, wie Fady auf jede seiner Berührungen reagierte. Auf Thomas’ Lippen und Zunge lag der leichte Salzgeschmack feuchter Haut. Er drückte einen Kuss in die kleine Grube zwischen Fadys Schlüsselbeinen, aber dann war wieder das T-Shirt im Weg. Thomas stützte sich hoch — „Das muss jetzt mal weg...“ — und zog es ihm kurzerhand über den Kopf. „Deins auch.“ Zwar ging das nicht, ohne vorübergehend loszulassen, aber einen Moment später war Thomas sein schlabbriges Shirt auch schon los. Fady schlang beide Arme um ihn und drückte ihn an sich, holte ihn 23 zurück in einen ziemlich atemlosen Kuss. Thomas gab dem Drängen seiner Zunge sofort nach — so viel Haut an Haut, das ging ihm mit hundertfacher Beschleunigung in die Blutbahn. Er schob seinen Oberschenkel zwischen Fadys Beine, hielt einen Moment den Atem an, während ein kurzer, rauer Ton aus Fadys Kehle kam. Thomas hielt ihn an sich gepresst, spürte, wie Fady die Finger in seinen Haaren vergrub. Was sich in seiner Bauchhöhle ausbreitete, fühlte sich an wie’ne unaufhaltsame BassSchwingung, pure Erwartung. Seine Lippen streiften an Fadys Kiefer entlang, bis zu dem Punkt direkt unter seinem Ohr, wo die Haut fast seidenweich war, glitten an seiner Kehle über den flatternden Puls. Fady drückte die Schultern zurück, seine Hände strichen jetzt ruhelos über Thomas’ Brust, fassten schließlich seine Hüften, um ihn noch enger an sich zu ziehen. Thomas drückte seine Lippen an die sanfte Beuge zwischen Hals und Schulter und presste sich ihm entgegen. Ein Prickeln wie von Gewitterluft legte sich überall auf seine Haut. Nichts von all dem hätte er sich je vorstellen können. Wie das war, einen anderen Mann so zu berühren. Totales Neuland zu betreten. Seine Hand streifte über Fadys Oberschenkel nach oben zu seiner Hüfte, glitt ein Stück nach innen, aber dann stoppte er plötzlich ab. Als gäb’s irgendein eingepflanztes Warnsignal in seinem Kopf. Weiter nur auf eigene Gefahr. Rückweg ausgeschlossen. „Thomas...“ murmelte Fady. „Tu nichts, was du nicht willst.“ Seine Stimme ging wie ein Schauer über Thomas’ Haut, tief und ein bisschen rauchig, wie sie jetzt klang. Verdammt, ich will ja. Er lehnte sich vor und küsste Fady leicht auf den Mund. „Is’ nur’n bisschen ungewohnt.“ Und grinste dann über sich selber. Er benahm sich wirklich nicht wie’n dreißigjähriger Mann, der schon so seine Erfahrungen gemacht hatte. Gefühlte fünfzehn, das kam hin. Bevor Fady ihn fragen konnte, was er ausgerechnet jetzt komisch fand, küsste Thomas ihn gleich wieder. Er schob seine Hand sanft über Fadys Shorts, spürte sofort seine Erektion, und wie Fady sich anspannte, um jetzt bloß stillzuhalten. Ungewohnt war das wirklich — vor allem deswegen, weil sich die bloße Berührung bei ihm selbst bemerkbar machte wie ein Trommelwirbel am Beckenboden. Fady stöhnte auf, als er seine Hand langsam bewegte, und Thomas lief es heiß den Rücken runter. Was immer da eben in seinem Kopf Alarm geschlagen hatte, war definitiv erledigt. Er konnte Fadys Erregung jetzt so direkt spüren wie seine eigene, als flögen ununterbrochen elektrische Impulse zwischen ihnen hin und her. Fady drängte sich gegen seine Hand, und dieses letzte bisschen Stoff war mit einem Mal furchtbar im Weg. Mit etwas Gefummel zog ihm Thomas die Shorts von den Hüften, beugte sich wieder über ihn und fing Fadys Keuchen mit seinen Lippen ab. Schloss seine Hand sanft um Fadys Erektion, um nicht doch irgendwas falsch zu machen und nichts zu verpassen — unglaublich feine Haut über einem jagenden Puls — außerdem zitterten seine Finger jetzt auch ein bisschen. Immerhin fühlte er sich überhaupt nicht komisch dabei, das war alles gar nicht so fremd, sondern einfach nur... Fady. Und im Moment kam’s Thomas so vor, als wäre er noch nie einem Menschen so nah gewesen. Fady hatte einen Arm um seinen Nacken geschlungen, seine andere Hand fuhr über Thomas’ Brust und Bauch und zog überall kleine Hitzespuren. Zwischen stürmischen, offenen Küssen ging ihr Atem immer schneller — Thomas wusste überhaupt nur noch halb, was er da eigentlich machte. Sein Puls hatte sich auf reines Stakkato verlegt, und er presste sich unkontrolliert an Fadys Oberschenkel, während er ihn so streichelte. Langsam den Druck erhöhte, seine Finger auf und ab gleiten ließ und schließlich einen Rhythmus fand, der Fady dazu brachte, mit den Hüften immer wieder nach oben zu stoßen. „Thomas...“ Fady atmete heftig aus. „Du musst bitte jetzt aufhören sonst —“ Thomas konnte sich schon denken, was sonst — schließlich war der hitzige Druck in seinem eigenen Becken mittlerweile auf Risikolevel angestiegen. Umso schwerer fiel’s ihm, sich jetzt zu bremsen. Fadys Blick war leicht verschleiert, sein Gesicht gerötet, und Thomas war jetzt verdammt froh, dass das Licht im Bad noch brannte — sonst hätte er diesen atemberaubenden Anblick glatt verpasst. Er drückte einen Kuss auf Fadys sanft geschwungene Lippen und strich dann mit den Fingerkuppen darüber. „Mann, Fady... du bist...“ Thomas schüttelte den Kopf, Worte reichten da einfach nicht aus. „Total 24 einzigartig, weißt du das? Ich könnt’ ewig so weitermachen.“ „Vielleicht du!“ Fady lachte atemlos. „Wie du mich berührst — das fühlt sich an wie...“ Seine Finger streiften über Thomas’ Wange und zitterten ganz leicht. „Schöner als ich es sagen weiß.“ Thomas merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, sah verlegen beiseite. Statt einer Antwort küsste er Fadys Finger. Die völlige Offenheit, mit der Fady sowas aussprechen konnte, warf immer noch jeden halbfertigen Gedanken aus der Bahn. „Nur eins ist, das stört...“ flüsterte Fady und griff zielstrebig nach dem Bund seiner Shorts — „darf ich?“ Schon im nächsten Moment machte er kurzen Prozess damit. Irgendwo neben seinen eigenen Shorts landeten die von Thomas auf dem Boden. „So das ist viel besser...“ Fady streckte sich aus und griff nach Thomas’ Schultern, zog ihn in einer einzigen Bewegung ganz an sich, über sich. Seine Arme schlossen sich um Thomas’ Hüften. „Findest du?“ Allerdings bekam Thomas im Moment nicht mehr raus als ein abgehacktes Keuchen. Er schob sich näher an Fady, zwischen seine Oberschenkel, jeder Nerv in seinem Körper fing jetzt an zu summen wie eine Hochspannungsleitung. Fady drückte seine Hüften nur ein Stück nach oben, aber das reichte aus — eine Hitzewelle stieg Thomas aus dem Bauch hoch und kribbelte wie Sonnenbrand überall auf seiner Haut. Blindlings suchte er Fadys Mund, küsste ihn ungestüm und hielt sich an seinen Schultern fest. Vielleicht war’s einfach zu lang her, dass er sowas erlebt hatte, aber vielleicht war’s auch völlig neu. Dieses total unkontrollierbare Verlangen und gleichzeitig ein Flimmern in seiner Brust, ein Gefühl wie reiner Sauerstoff. Einen Augenblick lang fühlte er sich ganz benommen davon. „Fady,“ murmelte er dicht an Fadys Lippen, „du weißt das, oder? Ich will nicht nur... das hier...“ Obwohl er sich jetzt beim besten Willen nicht erinnern konnte, wann sich Sex das letzte Mal so intensiv angefühlt hatte. „Ich weiß.“ Fadys Hände strichen sanft über seinen Rücken. „Das ist Körper, Herz und Seele, alles,“ flüsterte er. „Und das ich möchte jetzt teilen, mit dir...“ Für einen Moment schnürte sich Thomas die Kehle zu. Sagen konnte er nichts mehr, senkte nur den Kopf und küsste Fadys Gesicht — diese kleinen Narben, die außer Fady niemand mehr sah — über die Wange bis zum Ohr und wieder zurück zu seinem Mund. Alles in seinem Körper fühlte sich so grenzenlos lebendig an, während sie sich miteinander bewegten als gäb’s irgendwo einen unaufhaltsamen Wellenschlag, der sie beide antrieb. Langsamer Rythmus, stoßweise Atmen. Thomas konnte fühlen, wie sich jedesmal die Muskeln in Fadys Rücken dehnten, wenn er die Hüften nach oben presste — immer mehr Reibung und Spannung, bis ihm bei jeder Bewegung Schauer über die Haut flogen. Fady stöhnte in seinen Mund, warf schließlich den Kopf zurück, und dieser Anblick allein war beinah schon zuviel. „Fady...“ flüsterte Thomas heiser, „...ich halt das jetzt nicht mehr lange aus...“ Fadys Oberschenkel waren um seine Hüften gepresst, die Muskeln zitterten vor lauter Anspannung. Irgendwie hatte Thomas das sichere Gefühl, dass Fady unbedingt auf ihn warten wollte. Nicht mehr lange, dachte er noch, dann schob Fady eine Hand zwischen ihnen nach unten, fasste ihn nur ganz leicht, aber das war mehr als genug. Thomas spürte nur noch Fadys Atem an seinem Ohr, wie er seinen Namen flüsterte, bevor es ihn wegriss — das war nichts als ein Sog aus freigesetzter Energie und lauter Licht, das ihm gleißend durch den Körper strömte. Nur Fadys Stimme war immer noch bei ihm — keine Worte mehr, nur noch Klang — Fadys Hände, die sich jetzt um seine Schultern verkrampften, ihn nach unten zogen, während er die Hüften ein paar mal heftig hochstieß. Mit geschlossenen Augen hielt Thomas ihn fest, spürte jede von Fadys Bewegungen in seinem eigenen Körper wie kribbelnden Nachhall, der nur ganz langsam verebbte. „Thomas...“ Fadys Lippen berührten sein Ohr, dabei klang er genauso fassungslos wie sich Thomas gerade fühlte. Er legte seine Hände um Fadys Gesicht, küsste ihn durch diesen Nebel aus purem Staunen und kompletter Erschöpfung und ließ schließlich seinen Kopf an Fadys Schulter fallen. Keinen Muskel mehr im Leib, der sich noch irgendwie rühren wollte. Aber so gut sich das für ihn anfühlte, wahrscheinlich bekam Fady gerade nicht mehr viel Luft... Mit einem Stoßseufzer rollte Thomas sich langsam neben ihn, zog Fady mit sich, bis er dicht an 25 seiner Seite lag. Völlig verschwitzt und ausgepowert lagen sie da, während ihre Atemzüge wieder länger und ruhiger wurden. Es dauerte allerdings noch ’ne Weile, bis Thomas seine Stimme wiederfand. „Hey... geht’s dir gut?“ Er drehte den Kopf so weit, dass er Fady in die Augen sehen konnte. „Gut ist dafür kein Wort...“ Fady drückte ihm einen Kuss auf die Schulter. „Und du?“ „Ich glaub... ich hab grad rausgefunden, dass ich doch fliegen kann.“ Sowas sagte man wahrscheinlich nur, wenn man so total aufgewühlt und überwältigt war wie er jetzt. Trotzdem kam’s der Sache einfach am nächsten. Am liebsten hätte Thomas laut gelacht, aber dazu fehlte ihm immer noch der Atem. Also streichelte er nur über Fadys Haare und ließ die Augen zufallen. Die ganze mitgeschleppte Müdigkeit der letzten Tage senkte sich plötzlich auf seine Glieder wie zentnerschwere Sandsäcke. Er wollte jetzt wirklich nicht so einfach wegpennen, aber das kam über ihn wie ’ne einzige graue Woge, Widerstand war völlig zwecklos. Das Letzte, was noch in sein Bewusstsein drang, war, wie sich Fadys Hand sanft über seinen Herzschlag legte. *** VIII. NACHKLANG {28.05. 2008, Hamburg.} Mitten in der Nacht wurde Thomas plötzlich wach. Im Zimmer war’s jetzt vollständig dunkel, nur hinter den Fenstern blinkten weit weg irgendwelche verstreuten Lichter. Schon im selben Augenblick meldete sich ein Prickeln unter seiner Haut, und lauter Erinnerung rauschte ihm durchs Blut noch bevor sich ein vernünftiger Gedanke berappelt hatte. Aber eins wurde ihm schlagartig bewusst: Fady lag nicht mehr an seiner Seite. Und es war verdammt still. Thomas drehte langsam den Kopf. Ein Stück neben ihm lag Fady mit offenen Augen auf dem Rücken. „Hey... du schläfst ja gar nicht.“ Er streckte eine Hand aus, strich mit den Fingerknöcheln über Fadys Arm. „Ich hab doch nicht dich geweckt, oder?“ Fady drehte sich sofort zu ihm hin. Es war jetzt wirklich zu dunkel, um irgendwas an seinem Gesicht abzulesen. „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Thomas sicherheitshalber. „Natürlich.“ Das klang auch ganz überzeugend, aber Thomas wusste trotzdem nicht so recht, wo Fady in seinen Gedanken gerade war und ob dieser Abstand zwischen ihnen irgendwas zu bedeuten hatte. In seinem schlafbenebelten Zustand würde er’s ohnehin nicht erraten. Also schob er kurz entschlossen einen Arm unter Fadys Nacken durch. „Wenn’s dir nichts ausmacht... ich möcht’ dich gern ’n bisschen näher bei mir haben...“ „Ausmacht? Was meinst du?“ Schon im nächsten Moment lag Fady eng an seiner Seite, seine Hand streifte an Thomas’ Kehle hoch zu seinem Gesicht. „Hat sich schon erledigt...“ murmelte Thomas und war trotzdem erleichtert. Vielleicht sollten sie drüber reden, was zwischen ihnen passiert war, was das bedeutete, aber seine Gedanken bewegten sich unendlich träge. Wollten sich überhaupt nur damit beschäftigen, wie warm und vertraut sich Fadys Körper an seinem anfühlte, während die Dunkelheit sich um sie legte wie weicher Stoff. Das alles war gleichzeitig wie’n Traum und absolut real — und irgendwie mehr als beides. Seine Finger streiften ziellos über Fadys Oberarm, aber die Gänsehaut bekam er selber. Thomas drehte sein Gesicht zu Fady, der ihn aus nächster Nähe ansah. Sein Lächeln war gerade noch so zu erkennen. Einen Augenblick zögerte Thomas noch — diesmal nicht aus Unsicherheit, sondern wegen der Erwartung, die sich hochschraubte bis es ihm fast in den Nerven knisterte — und berührte dann Fadys Lippen mit seinen. Weich und elektrisch ging ihm das unter die Haut, dieser langsame Übergang von bloßer Ahnung zu ’nem richtigen Kuss, zu totaler, gedankenloser Nähe. Fadys Hand glitt über seine Brust bis zur Bettdecke, stoppte dann aber plötzlich ab. „Warum hörst du denn auf?“ murmelte Thomas. „Fühlt sich gut an...“ Fady stützte sich auf dem Ellenbogen hoch und küsste ihn auf die Stirn. „Du sollst schlafen, deshalb... in ein paar Stunden du musst schon wieder aufstehen.“ 26 „Ach was...“ Thomas hob den Kopf und küsste ihn mit Nachdruck auf den Mund. „Schlafen kann ich auch im Zug nach Berlin.“ Von der Zeit, die jetzt noch blieb, wollte er möglichst wenig verpennen. Sein Körper war ohnehin schon wieder hellwach. „Außerdem...“ „Was?“ flüsterte Fady. „Naja, ich will schließlich nichts verpassen...“ Thomas streichelte seinen Nacken und merkte, wie Fadys Entschluss dabei ins Wanken kam. „Keine Sekunde.“ „Ich auch nicht...“ Fady beugte sich über ihn, küsste ihn langsam und innig, während seine Hand sich weiter unter die Decke schob, an Thomas’ Seite entlangfuhr bis zu seiner Hüfte. Mit dem Daumen strich er über Thomas’ Hüftknochen, wo plötzlich alle Nervenenden kribbelten und wirre Impulse in jede Richtung schickten. Thomas holte knapp Luft, denn Fadys Mund glitt jetzt abwärts an seinem Kiefer entlang und fand mit traumhafter Sicherheit die empfindlichste Stelle an Thomas’ Hals, dicht über der Schulter. Thomas drückte die Schultern nach hinten und seufzte unwillkürlich. Das war als würde er immer tiefer ins Bodenlose abtauchen, jeder Gedanke verschwamm dabei, und jeder Funken Energie, den er noch im Leib hatte, konzentrierte sich da, wo Fady ihn gerade berührte. Kaum vorstellbar, dass er je genug davon bekam. Fady zeichnete mit der Zungenspitze langsame Kreise über seine Brust bis es Thomas kalt und heiß durch die Adern rieselte. Ein Schauer nach dem anderen rann ihm über die Haut — er fühlte nur noch Fadys Mund, seine Hände, überall — aber so langsam wurde ihm dabei auch klar, dass Fady sich vorhin zurückgehalten hatte, ihn hatte machen lassen, damit er sich erstmal dran gewöhnen konnte. Als sich Fady über ihn schob, atmete Thomas so tief und heftig aus, als hätte er nur darauf gewartet, viel länger als er selbst wusste. Das fühlte sich an, als würde sich alles in seinem Körper ausdehnen — und er brauchte jetzt nichts anderes mehr zu tun, als sich einfach treiben zu lassen. *** Der hässliche Summton des Hotelweckers riss ihn aus dem Schlaf wie ein plötzlicher Aufprall. Thomas wäre hochgefahren, nur lag Fadys Arm quer über seiner Brust, Fadys Kopf an seiner Schulter, und so blieb’s bei einer ruckhaften Bewegung. Fady schlief jetzt wirklich tief und fest. Draußen wurd’s schon hell, ein graues Dämmerlicht lag im Raum, und die Vögel krakeelten hinter der offenen Balkontür. Thomas streichelte langsam über Fadys Arm und merkte, wie er nach ’ner Ausrede suchte, um noch ein bisschen liegen bleiben zu können. Keine Chance. Sein Zug nach Berlin ging in anderthalb Stunden, da blieb verdammt wenig Zeit. An Frühstück war ohnehin nicht zu denken. Ganz langsam schob er sich von Fady weg, bis er sich aufsetzen konnte, stolperte dann ins Bad und machte erst das Licht an, nachdem er die Tür zugezogen hatte. Unter der Dusche kamen seine Gedanken allmählich in Gang, schlingerten kreuz und quer durch die letzte Nacht. Aber er landete immer wieder an dem selben Punkt: Wie das jetzt weitergehen sollte, war total unklar. Gestern Abend hatte er Fady gesagt, dass er ’ne Chance wollte, um rauszufinden, was das alles werden sollte. Und die hatte er ja auch irgendwie bekommen... Thomas rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken, zum Föhnen reichte die Zeit nicht, aber er musste schließlich nur ins Tonstudio, nicht zu ’nem Foto-Termin. Immerhin weiß ich jetzt genau, was ich will. Mit Fady zusammen sein, so wie letzte Nacht, wo er mit jeder Faser seines Körpers gespürt hatte, wie nah sie sich schon waren und wie viel weiter das noch gehen könnte... Wenn’s nach ihm ging, würde sich Fady von seinem Freund trennen, nichts anderes stand dem ja im Weg. Thomas schüttelte den Kopf, schmiss das Handtuch beiseite und warf sich einen kritischen Blick im Spiegel zu. Mach mal halblang. Er konnte wirklich nicht von Fady verlangen, dass der jetzt seinetwegen gleich alles über den Haufen warf. Kein vernünftiger Mensch würde sowas tun. Mit etwas Anstrengung versuchte Thomas sich vorzustellen, wie das für ihn ausgesehen hätte, wenn er Fady in der Endphase seiner Beziehung mit Jenny kennengelernt hätte... Aber das war genauso zwecklos wie Schrauben mit Glühbirnen vergleichen. Oder er hatte einfach nicht genug Fantasie. Und was willst du jetzt machen? Thomas griff nach seinen Klamotten. Schließlich war nicht mal klar, ob er überhaupt irgendwas tun konnte, außer planlos im Nebel rumstochern. Einfach auf Fady vertrauen und abwarten, sagte er sich. Das sollte ja eigentlich nicht so schwer sein. 27 Dabei fiel ihm wieder ein, wie sie zum Abschluss des Finales zusammen My Way gebracht hatten und er abrupt einen totalen Aussetzer hatte — völlige Leere im Kopf und keine Ahnung mehr, was als nächstes kam. Fady hatte das sofort gemerkt, hatte ihn da durchgelotst, als hätten sie schon unzählige Male zusammen auf der Bühne gestanden. In diesen Momenten waren Fadys ruhiger Blick, die kleine Bewegung, mit der ihm den Einsatz gab, seine einzige Orientierung. Und Fady hatte nicht einen Augenblick gezögert, wär’ nicht im Traum drauf gekommen, Thomas jetzt auflaufen und in einen monumentalen Patzer reinstolpern zu lassen, der ihn noch kurz vor Schluss den Sieg hätte kosten können. Stattdessen wirkte Fady seinetwegen so angespannt, als wär’s ihm selbst passiert. Obwohl er sich den Sieg ja genauso wünschte. So muss das sein, genau so. Thomas drückte den Rücken durch. Was Fady selbst wollte, was ihn glücklich machte, war jetzt eben wichtiger als seine eigenen chaotischen Vorstellungen. Er hatte noch immer kein schlechtes Gewissen wegen der vergangenen Nacht. Aber er musste jetzt ’ne klare Haltung zeigen, damit das alles für Fady nicht noch schwieriger wurde als es ohnehin schon war. Als er ins Zimmer zurückkam, brannte die Lampe auf dem Nachttisch. Fady hatte sich hochgesetzt mit einem Kissen im Rücken und blinzelte ihm verschlafen entgegen. „Guten Morgen.“ Diesmal zweifelte Thomas keinen Moment daran, dass Fady ihn jetzt bei sich haben wollte. Er setzte sich neben ihn auf die Bettkante und fuhr ihm über seine vom Kissen zerdrückten Haare. Ein paar Strähnen standen in alle Richtungen ab. „Ich bin noch... in Schlaf,“ nuschelte Fady, nur sein Lächeln wirkte völlig wach. „Dann bleib doch einfach noch liegen. Das Zimmer is’ schon bezahlt — und das Frühstück übrigens auch. Ich hab dafür jetzt gar keine Zeit mehr.“ Fady schüttelte den Kopf, was wahrscheinlich heißen sollte, dass ihm das Frühstück egal war, und rieb sich die Augen. „Musst du gehen jetzt gleich?“ „Ja, so ziemlich.“ Und damit wurde das plötzlich real — schon wieder so ein Abschied und dazu dieses verdammt mulmige Gefühl im Bauch. „Ich würd’ gern noch bleiben, das kannste mir glauben.“ Statt zu antworten zog Fady ihn an sich. Thomas umarmte ihn lange und fest, sein Gesicht an Fadys Schulter gedrückt, und atmete nur seinen Geruch ein. Fühlte, wie Fadys Herzschlag durch sein Hemd drang. Und mit jedem Moment wurd’s schwerer, ihn wieder loszulassen. „Fady...“ Er schluckte trocken, setzte sich auf, um Fady in die Augen zu sehen. „Ich werd’ dir keine Fragen stellen oder so. Wie das jetzt mit — mit deiner Beziehung weitergeht, kann niemand außer dir entscheiden, und ich will dir keinen Druck machen, okay? Also denk nicht, du musst mir darüber Rechenschaft ablegen...“ Fady sah ihn zweifelnd an. „Und wie wird das sein für dich?“ „Das Einzige, was ich jetzt machen kann, ist abwarten.“ Klang leicht, würd’s aber nicht sein — das war ihm jetzt schon klar. Er zuckte die Achseln und grinste Fady zu, um bloß keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. „Naja, dann mach ich das halt.“ „Wenn du bist sicher...“ sagte Fady langsam und sah dabei ziemlich unglücklich aus. Nur meinetwegen. Thomas nahm ihn bei den Schultern, gab sich alle Mühe, jetzt nicht auch noch so’n geknickten Eindruck zu machen. „Hey, du kennst mich doch!“ Durch Fadys Blick wirbelten lauter offene Fragen, nur lief ihnen jetzt endgültig die Zeit weg. Thomas holte kurz Luft, umfasste Fadys Gesicht mit beiden Händen und beugte sich vor. Dafür musste Zeit sein, wenigstens noch’n letztes Mal — und Fady kam ihm sofort entgegen, so dass aus diesem schnellen Kuss zum Aufbruch doch ein langer wurde. Viel zu lang für’n entspannten Abschied und viel zu kurz, um diese verdammte Sehnsucht zu bändigen. Fady küsste ihn mit soviel Gefühl, dass es Thomas heiß und eng in der Brust wurde. Nur ganz langsam lehnte er sich zurück, ließ seine Hand von Fadys Schulter nach unten sinken bis sich nur noch ihre Finger berührten. „Ruf mich an,“ flüsterte Fady. Thomas nickte und stand auf, wie ferngesteuert. Irgendwie war alles gesagt und nichts, jetzt gab’s nur noch Warten. Und jede Menge Arbeit, in die er sich möglichst schnell stürzen sollte. Er griff nach seiner Tasche, steckte das Handy ein. Vorwärts. Aber im letzten Moment, die Türklinke schon in der Hand, warf er noch einen Blick über die Schulter. „Also... wir sehen uns dann Freitag in Bremen.“ Als er die Tür hinter sich zufallen ließ, ging’s ihm plötzlich wie ein Stich ins Herz. Am liebsten hätte 28 er auf dem Absatz kehrt gemacht und Berlin, das Tonstudio, seine Plattenaufnahmen für heute einfach gestrichen. Hoffnungslos unprofessionell, sowas. Nee, hoffnungslos verliebt. Der Gedanke stoppte Thomas so abrupt wie quietschende Bremsen aus nächster Nähe. Er stand vor dem Fahrstuhl und starrte sein verzerrtes Spiegelbild in den polierten Türen an. Viel zu heftig, viel zu plötzlich, aber unbestreitbar. Mann, Fady... Er drehte sich noch mal um, sah den Korridor runter zur Tür seines Zimmers. Am Ende des Gangs seifte eine Putzfrau schon eifrig ein Fenster ab. Thomas atmete langsam aus, bis sein Herzschlag wieder ein halbwegs normales Tempo annahm. Jetzt gab’s ohnehin kein Zurück mehr. *** IX. DRAUSSEN {30.05. 2008, Bremen.} Im Backstage-Bereich des AWD-Dome war der Teufel los. Überall Presse, die die Promi-Zone belagerte, überall Gesichter, die Thomas bisher nur aus’m Fernsehen kannte — so wie jeder normale Mensch eben. Den ersten Fototermin und ein halbes Dutzend Kurzinterviews hatte er schon hinter sich gebracht — wo immer er rumlief, stieß ihm ohnehin jemand ein Mikro vor den Mund — und langsam fühlte er sich davon einigermaßen wirr im Kopf. Dabei stand sein Auftritt erst spät abends an. Live, zum ersten Mal seit DSDS. Er hätte gern mal ’ne Viertelstunde für sich gehabt, nur zum runterkommen, durchatmen, drauf einstellen, aber da ging absolut nichts. Selbst in der Garderobe, die ihm und seiner Band zugeteilt worden war, gab’s keine fünf Minuten Ruhe. Ständig lief irgendwer rein und raus, oder jemand riss die Tür auf und machte Ansagen wie „RTL will noch mal den Durchlauf von hinten!“ Da wartete Thomas lieber, bis jemand vom Management ihm das übersetzte oder ihn holen kam. Immerhin hatte er auf dem Rückweg vom Klo nur zweimal die Frage beantworten müssen, wie er sich fühlte. Und die Garderobe war momentan leer bis auf Torsten, der sich mit seinem Handy in eine Ecke verzogen hatte, einen Finger ins freie Ohr gedrückt, um überhaupt was zu verstehen. Von draußen kam ein Soundgemisch aus hektischen Stimmen und Trommelgedröhn. Thomas winkte Torsten kurz zu und setzte sich auf einen harten Plastikstuhl. Trotz Riesenspektakel mit Medienaufmarsch strahlten die Garderoben etwa so viel Komfort aus wie die Umkleide in jeder x-beliebigen Turnhalle. Große weiße Tische — Marke Abwaschbar — und eben diese reichlich unbequemen Stühle. Das Einzige nicht so Turnhallenmäßige war der Obstteller auf dem Tisch, der sah mehr nach Tierfütterung im Zoo aus. Sei lieber dankbar, dass du’n warmes Mittagessen bekommen hast, sagte sich Thomas, das fiel schließlich oft genug aus. „Ach, das ist doch Käse!“ sagte Torsten gerade ins Handy, „und — was? Ich versteh nix.“ Thomas grinste. War schon ein echter Lichtblick, dass er Torsten und Sebastian in der Band hatte. Einen Draht zu anderen Musikern bekam man nicht von jetzt auf gleich, das lief erst recht nicht unter Druck. Aber gestern beim Proben mit den beiden hatte sich was vom alten Wink-Feeling wieder eingestellt, das reduzierte seine Nervosität schon um ein paar Prozent. Thomas griff nach einer Banane, da klopfte jemand an die Tür. Das war neu, bisher war noch jeder hier reingestürzt als gäb’s die Kurzstreckenolympiade zu gewinnen. Als es zum zweiten Mal klopfte, rief Thomas schließlich „Is’ offen!“ — und klappte dann den Mund mit Verzögerung wieder zu. Mit Fady hatte er in diesem Moment überhaupt nicht gerechnet. Und auch nicht damit, dass sein Puls sofort in die Höhe schoss, als müsste er jetzt den Kurzstreckenlauf gewinnen. Aber da war Fady nun, schloss die Tür hinter sich, und sagte: „Wenn ich störe, ich komme später wieder.“ „Ach was, nee!“ Nach der ersten Schrecksekunde war Thomas schon auf den Füßen, wobei’s ihm allerdings so vorkam, als würd’ er über Watte laufen. Fady lächelte ihn an — seine Augen strahlten dabei am meisten — und im nächsten Moment hatte Thomas ihn schon im Arm. Er drückte Fady an sich, schloss die Augen, alles andere war wie weggewünscht. Fady hielt ihn genauso fest, nur seine Finger bewegten sich sanft über Thomas’ Schulterblätter. Endlich. Ein wirbeliges Hochgefühl flimmerte in Thomas’ Nerven, aber darunter lag eine ganz tiefe Ruhe, als wär’ ein Gleichgewicht wieder hergestellt. Keinen Millimeter wollte er sich davon wegbewegen. Aber schließlich musste er sich doch aufraffen, denn schon im nächsten Moment konnte wieder 29 jemand reinplatzen und Fady die Tür in den Rücken rammen. Als er sich gerade aufrichtete, streiften Fadys Lippen seinen Hals — das ging viel zu schnell, um drauf zu reagieren, aber ein paar Zündfunken sprangen sofort über. Thomas atmete vorsichtig aus und streichelte Fady sanft über den Nacken, bevor er endlich losließ. „Ich hab vorhin schon mal nach dir Ausschau gehalten, ich wusst’ ja gar nicht genau, wann du kommst.“ Thomas wedelte mit einer Hand in Richtung Tür. „Das is’n solches Chaos hier, ich hab da total keinen Durchblick mehr.“ „Ja, ich hab auch ein Weile gebraucht dich zu finden!“ Fadys Blick schweifte kurz von ihm weg, in den Raum hinein, und erinnerte Thomas daran, dass sie nicht allein waren. Als er sich umdrehte, hatte Torsten sein aussichtsloses Telefongespräch beendet, klappte das Handy mit einem entnervten Gesichtsausdruck zu und kam zu ihnen rüber. „Hi, Fady.“ Er war ein paarmal bei den DSDS-Shows dabei gewesen, aber richtig kennengelernt hatten sich die beiden noch nicht. „Das ist Torsten, der Mann am Schlagzeug,“ stellte Thomas ihn vor. „Wir kennen uns schon ganz lange, musikmäßig und auch sonst.“ „Hallo.“ Fady gab ihm die Hand. „Das freut mich.“ „Ganz meinerseits,“ sagte Torsten grinsend. Thomas beobachtete das Ganze fasziniert. Die beiden hätten kaum unterschiedlicher sein können, das war fast so, als würden zwei Welten aufeinandertreffen, sein altes Leben und sein neues. „Und, lassen sie dich auch was singen?“ fragte Torsten. Fady schüttelte den Kopf. „Ich bin nur hier, Thomas zu unterstützen. Linda und Benni sind auch gekommen, auf die Einladung von RTL.“ „Ach, sperren die euch nachher etwa auf die VIP-Tribüne?“ Torsten rollte die Augen und fing Thomas’ fragenden Blick auf. „Haste das nicht gesehen, das Podest hinten in der Arena?“ Thomas erinnerte sich momentan nur schattenhaft. „Das is’ ja ganz am anderen Ende!“ Er legte Fady einen Arm um die Schultern, das war reiner Reflex. „Hoffentlich kannst du da überhaupt was sehen.“ „Wenn nicht, ich werde doch hören.“ Fady lächelte ihn an, dass es zum Luft-Anhalten war. „Das mit Sicherheit! Der Sound ist mega-geil.“ Torsten grinste. „Sagt mal... wenn ihr allein sein wollt, zum DSDS-Stories-Aufwärmen und so, kann ich auch’n Abstecher in die Kantine machen.“ Das war ohnehin nicht ernst gemeint, aber bevor Thomas drauf antworten konnte, ging auch die Tür schon wieder auf. Sebastian kam mit einem der Tontechniker in die Garderobe, um in seiner Reisetasche nach einem der zwanzig bis dreißig Adapter zu kramen, die er immer mit sich rumschleppte. Die beiden waren in ein Gespräch über schwergängige Regler vertieft. Fast auf dem Fuß folgte eine Angestellte von Sony, die ein Fax loswerden wollte. Fehlte nur noch ein Kamerateam. Thomas seufzte und zog Fady am Arm beiseite. Manchmal half Wunschdenken eben überhaupt nicht. „So geht das schon den ganzen Tag. Auf der Bühne werd ich’s richtig ruhig haben dagegen!“ Fady lachte. „Ich glaube nicht! Da erst wirst du merken, wieviel Leute gekommen sind.“ „Na, auf jeden Fall wird hier noch die halbe Nacht die Hölle los sein...“ Thomas zuckte bedauernd die Schultern. Nur die Leute vom Management hatten die Übersicht über seine Termine und wussten, wer von der Presse unbedingt noch bedient werden musste bevor er irgendwann Feierabend machen konnte. „Also ich hoffe, wir sehen uns später nochmal!“ „Ich auch.“ Fady senkte die Stimme ein bisschen. „Ich bin froh, dass ich kommen konnte um das zu teilen mit dir.“ „Und ich bin verdammt froh, dass du hier bist!“ Thomas fasste ihn noch mal kurz an der Schulter, mehr ging jetzt nicht vor all den Leuten, er fühlte sich schon wie auf ’nem Präsentierteller in Dauerrotation. Außerdem konnte es viel zu leicht passieren, dass er doch noch den Kopf verlor, wenn er Fady erstmal im Arm hielt. Als Fady zur Tür raus war, setzte Thomas sich hin und las brav das Fax durch. Da ging’s um seinen Auftritt bei Rock the Race in Oschersleben, aber bis auf’n paar Details stand nichts Neues drin. Thomas ließ das Blatt sinken, seine Gedanken wanderten schon längst in eine andere Richtung — Fady hinterher, wohin auch sonst. 30 Diese paar Minuten, die Fady hier gewesen war, hatten irgendwas Verrücktes mit ihm angestellt, wie’n plötzlicher Energieschub war das. Naja, so soll das ja sein, wenn man verliebt ist... Thomas grinste, schüttelte den Kopf über sich selbst und fing an, eine Banane zu schälen. Sonst würde ihn bestimmt bald jemand fragen, warum er mit ’nem leicht weggetretenen Gesichtsausdruck die Tür anstarrte. Das war alles immer noch gewöhnungsbedürftig... diese kribblige Unruhe, die ihn manchmal beim bloßen Gedanken an Fady überfiel, das Herzklopfen, wenn er Fadys Stimme am Telefon hörte... eben alles. Seit Hamburg hatten sie allerdings nur einmal in Ruhe telefonieren können. Im Vergleich mit dem hektischen Presserummel war die konzentrierte Arbeit im Tonstudio zwar fast ’ne Erholung, aber die anderen Termine wurden deswegen nicht weniger. Selbst während der Autofahrten saß Thomas eingekeilt zwischen den Jungs und Mädels von 313 Music, die permanent in ihre Handys quasselten. Und hier gab’s keinen einzigen unbeobachteten Winkel, in den er sich mit Fady zurückziehen konnte, selbst wenn später noch Zeit blieb. Immerhin hatte Fady eben richtig glücklich ausgesehen — kein bisschen so, als bereute er im Nachhinein irgendwas. Warum auch? sagte sich Thomas nicht zum ersten Mal. Er hat schließlich ’ne bewusste Entscheidung getroffen, so wie ich auch. Trotzdem stellte er sich jeden Tag diese Art von Fragen und konnte nur hoffen, dass er mit der Zeit etwas gelassener wurde. Bestimmt hatte Fady seinem Freund inzwischen erzählt, was passiert war. Aber wie der drauf reagiert hatte, konnte sich Thomas nicht mal ansatzweise vorstellen. Und wollte es eigentlich auch lieber nicht. Nur in einem war er sich ganz sicher: so vorsichtig und rücksichtsvoll wie Fady über seine Beziehung geredet hatte, hatte er bestimmt auch über ihn gesprochen. Ohne irgendwas preiszugeben, das nur sie beide was anging. Thomas biss ein Stück von der klebrigen Banane ab, sowas beruhigte ja angeblich den Magen. Wenn er nachher auf der Bühne stand, würde Fady da sein... Dieser Gedanke fühlte sich unbeschreiblich gut an, so als könnte jetzt gar nichts mehr schieflaufen. Nur da rausgehen, die Treppe runter ins Scheinwerferlicht — und loslegen. *** {10.06. 2008, Berlin.} Als Thomas aufwachte, war ihm so heiß, dass er die Decke von sich warf und gleich danach noch das verschwitzte T-Shirt loswurde. Er atmete viel zu heftig, als wär’ er eben ein paar Kilometer gerannt. Sechs Uhr drei, sagte der Wecker: in einer knappen Viertelstunde hätte er ohnehin aufstehen müssen. Durch die Vorhänge schälte sich ein blasses Frühmorgengrau. Thomas streckte langsam die Arme durch, ließ die Augen wieder zufallen, während ihm ein kühler Luftzug über die Haut strich. Aber diese fiebrige Hitze saß ihm noch tief und unruhig im Leib und ihm wurde auch schnellstens klar, warum. Wieder so ein Traum, einer von denen, die ihn neuerdings dauernd aus dem Schlaf katapultierten. Vor ihm ging eine Tür auf — „gerade durch zur VIP-Lounge,“ sagte jemand — und dann stand er plötzlich in einem Raum, der nur aus Stahlträgern und riesigen Fenstern bestand. Dahinter die Rollbahn, wo ein Flugzeug gerade durchstartete und dann in einer Staubwolke abhob. Thomas sah zu, wie sein eigener Atem die Scheibe beschlug. War’s denn jetzt schon so kalt draußen? Trotzdem lief ihm mit einem Mal ein Wärmeschauer über den Rücken. Und er wusste sofort, warum... Fady stand hinter ihm, sie waren beide ganz allein in diesem gigantischen Raum. Aber all das verschwand wie ausgeblendet, als er Fady in seine Arme nahm. „Was machst du denn hier?“ „Ich hab auf dich gewartet schon lange,“ flüsterte Fady. „Tut mir leid, dass ich so spät dran bin.“ Thomas zog ihn dichter an sich. „Lass uns jetzt einfach abhauen... “ Beim letzten Wort lagen Fadys Lippen schon an seinen, sie küssten sich übergangslos, atemlos aneinandergepresst, so dass es Thomas heiß durch den ganzen Körper strömte. Er schob seine Hände unter Fadys Hemd, spürte den ruhelosen Herzschlag unter seinen Rippen. Eigentlich sollte er sich nicht so gehen lassen, da gab’s lauter ungeklärte Fragen, die ihm jetzt nur nicht mehr einfielen. Aber alles löste sich auf in diesem Strudel aus tausend Wünschen und einem übermächtigen Glücksgefühl, das kaum auszuhalten war. 31 Thomas schnappte nach Luft. „Du hast ja keine Ahnung, wie’s in mir aussieht...“ „Dann sag es mir doch.“ Fady sah ihn forschend an, seine Hände schlossen sich fest um Thomas’ Schultern. „Ich möchte es wissen, alles.“ Bevor er auch nur an eine Antwort denken konnte, splitterte irgendwo hinter ihm plötzlich Glas. Als hätten die Fenster dem Luftdruck nicht mehr standgehalten. Thomas spürte einen eiskalten Hauch im Nacken, wollte sich um keinen Preis umdrehen — aber dann kam ein Sog, der ihn einfach herumschleuderte und nach draußen riss... Thomas seufzte, selbst in der Erinnerung fühlte sich das alles noch viel zu real an — dieser heftige Druck in der Lendengegend war’s jedenfalls. Das Schlimmste an solchen Träumen war, dass sie immer viel zu früh abbrachen. Komm, Alter, dagegen hilft jetzt nur ’ne kalte Dusche... Die Dusche stellte er dann aber doch nur auf lauwarm ein, gab ja keinen Grund, es gleich zu übertreiben. Thomas gähnte lautstark und rechnete lieber nicht nach, wieviele magere Stunden Schlaf die letzte Nacht hergegeben hatte. Das mit den Träumen hatte angefangen, als Fady bei seiner Familie im Libanon war und sie nicht mal telefonieren konnten. Nur E-Mails schreiben ging noch, aber das war einfach nicht dasselbe. Jeden Abend, wenn er hundemüde in sein Zimmer stolperte, hatte Thomas gemerkt, wie sehr er sich schon dran gewöhnt hatte, alles mit Fady durchzuquatschen. Sich aufs Bett zu schmeißen, Augen zu, und völlig entspannt mit Fadys Stimme allein zu sein. Zum Glück war Fady mittlerweile wieder in Hamburg und mit den Aufnahmen für seine erste CD beschäftigt. Gestern Abend hatten sie über eine Stunde telefoniert, da war Fady noch völlig aufgekratzt von seinem Videodreh. „In ein Schloss — das war gigantisch, ich kann gar nicht warten, das fertige Video zu sehen...“ Er sprudelte über, als er Thomas das in allen Einzelheiten beschrieb. „Und du bist dann der Märchenprinz mittendrin.“ Thomas grinste, er konnte sich das problemlos vorstellen, sofort rauschte ihm ein glitzernder Film durch den Kopf. Er hörte Fady lachen und wünschte sich zum hundertsten Mal, dass in ihren prallvollen Terminkalendern irgendwo eine Lücke auftauchte und sie sich endlich wiedersehen konnten. Hamburg war zwölf Tage her, und das Warten wurde mit der Zeit nicht einfacher, funkte ihm dazwischen, so bald er mal ’ne Minute Leerlauf hatte, und setzte ihn dann schonungslos unter Strom. Dabei konnte er gar nichts anderes machen als immer nur von einem Tag zum nächsten zu denken. Mal klappte das besser, mal schlechter. Nach ’ner Weile merkte Thomas dann auch, wie er langsam ungeduldig wurde, weil sie nur über Plattenaufnahmen, Songs und Termine redeten. Wie er drauf wartete, dass Fady endlich das Thema wechselte. Ihm irgendwas sagte, was sich nach ’ner gemeinsamen Zukunftsperspektive anhörte, oder ihm wenigstens einen Anhaltspunkt gab. Aber er hatte Fady schließlich versprochen, ihn nicht mit Fragen zu nerven, und da hielt er sich eisern dran. Außerdem hatte Fady jetzt den Kopf voll mit ganz anderen dringenden Entscheidungen, zum Beispiel der Song-Auswahl für sein Album. „Lass dich bloß nicht zu sehr auf eine Schiene festlegen,“ meinte Thomas dazu. „Die Sony-Leute haben mir ziemlich viel Freiheit gelassen, und das machen die bei dir auch, wenn du denen klar sagst, was deine Linie ist.“ „Ja, ich bin vielleicht ein bisschen zu... nachgiebig.“ Fady klang leicht verlegen. „Aber ich bin so froh und auch dankbar, so ein Chance zu bekommen!“ „Ach, die sollen dir mal dankbar sein! Deine Single verkauft sich bestimmt wie warme Brötchen, und Sony kassiert dann schließlich die meiste Kohle,“ sagte Thomas mit viel Nachdruck. Schließlich bestand ein gewisses Risiko, dass sich Fady in seiner Gutmütigkeit von denen über den Tisch ziehen ließ. Wie immer war’s ihm schwer gefallen, sich zu verabschieden. Da hing so eine Stille voller elektrischer Spannung zwischen ihnen, die mit jeder Sekunde zunahm. Bis Fady dann sagte: „Du fehlst mir... jeden Tag immer mehr.“ „Ja, Mann...“ Thomas atmete langsam durch. „Du mir auch.“ Er wusste selbst nicht genau, warum’s ihm so verdammt schwer fiel, sowas auszusprechen. *** 32 Als er um kurz nach acht beim Tonstudio ankam, standen schon ein paar Mädchen mit Handys im Anschlag vor der windigen Einfahrt und wirkten leicht verfroren. „’Morgen,“ sagte Thomas in die Runde. Später am Tag würden das noch mehr werden — gegen Nachmittag waren meist dreißig bis vierzig da — und die meisten kannte er inzwischen. Autogramme hatte er denen auch schon gegeben und freundlich in ihre Handys und Kameras gegrinst, aber die kamen trotzdem immer wieder. Empfangen wurde er mit einem Wirrwarr aus „Hallo, Thomas!“ und „Schau doch mal her!“ und dauernden Knipsgeräuschen. Nur eins der Mädchen rührte sich nicht vom Fleck, sondern starrte ihn nur an. Sehr blond und knochig, außerdem trug sie viel zu hohe Absätze für ihre dünnen Beine. Thomas winkte in ihre Richtung, weil sie irgendwie aussah wie’n verlassener kleiner Vogel. Daraufhin kam sie dann auf ihn zugestöckelt. „Hallo!“ Thomas nickte ihr zu, während er gerade eine CD mit seinem Namen bekritzelte, was das schön designte Cover eigentlich nur verschandelte. Das blonde Mädchen hatte hektische rote Flecken im Gesicht und sagte kein Wort. Nur atmete sie so schnell, dass es fast beängstigend war. Als Thomas sie so ansah, fiel ihm wieder ein, was Fady übers Verliebtsein gesagt hatte — und am Ende hatte er damit ja irgendwie Recht behalten. Nach seinem Traum heute morgen hatte er selber fast genauso hilflos gejapst. „Haste was für mich zum Unterschreiben?“ Thomas lächelte das Mädchen an, nach seiner bisherigen Erfahrung beruhigten sich solche Fälle am schnellsten, wenn er sich ganz normal verhielt. Hinter ihm machte sein Fahrer, der in solchen Situationen gern zum Bodyguard mutierte, einen Schritt auf ihn zu. Als gäb’s irgendeine Gefahr, dass sich die Blonde plötzlich mit Reißzähnen auf ihn stürzte. Sie hielt ihm jetzt mit zitternden Fingern ein Foto hin. „Und welchen Namen soll ich draufschreiben?“ „Julia...“ hauchte sie und blinzelte nervös mit dick getuschten Wimpern. Dabei sah sie eher nach vierzehn aus als nach sechzehn. „Alles klar, Julia.“ Thomas unterschrieb das Foto, immerhin schien sie allmählich wieder genug Luft zu bekommen. „Hör mal, ich will mich ja nicht einmischen, aber musst du um diese Zeit nicht in der Schule sein?“ „Ich bin auf Klassenfahrt hier... die anderen sind alle schon los ins Museum.“ Ihre Stimme klang immer noch piepsig, aber nicht mehr so schlimm nach Atemnot. „Dann tu mir mal’n Gefallen und sieh zu, dass du auch ins Museum kommst — bevor ich noch Ärger mit deinem Lehrer krieg, okay?“ Thomas kniff ihr ein Auge zu und kam sich dabei etwas albern vor, so unpassend väterlich. Im Wegdrehen sah er noch, wie sie sich das Foto vor die Brust drückte. „Lach nicht!“ brummelte er den Fahrer an, als sie durch die Tür marschierten und der Typ ein dämliches Glucksen nicht unterdrücken konnte. Klar, er selber fand’s immer noch extrem merkwürdig, so von den Mädels angestarrt zu werden, aber es gab auch keinen Grund, sich drüber lustig zu machen. Schließlich brachten die TeenieMagazine jetzt dauernd Stories über ihn, stellten ihm Fragen über seine Traumfrau und wie er sich’n romantischen Abend vorstellte, mit oder ohne Kerzenlicht. Meist bekam er’s hin, seine Antworten so allgemein zu halten, dass nichts wirklich gelogen war. Komisch fühlte er sich trotzdem dabei. Weil’s jetzt schließlich eine Wahrheit gab, von der er kein Wort sagen konnte. *** Kaffee, war Thomas’ erster Gedanke, als der Tonmeister am Spätnachmittag alle zur Pause rauswinkte. Was sich so Pause nannte. Schließlich konnte man nicht einfach mit einer Tasse Kaffee in den nächsten Sessel fallen, ohne dass nebenher noch ein ganzer Wust von anderen Themen geklärt werden musste. Diesmal ging’s um den Terminplan für die nächste Woche, den Lutz von 313 gerade wieder überarbeitet hatte. Übermüdet wie er war, musste Thomas ein paarmal blinzeln, bis er die ziemlich klein gedruckte Schrift erkennen konnte. „Was iss’n das da?“ Er tippte auf den leeren Absatz in der Rubrik DIENSTAG. „Ein freier Tag,“ sagte Lutz achselzuckend, „jedenfalls bisher. Könnte morgens noch ein Radiotermin dazu kommen.“ 33 Freier Tag. Das klang jetzt schon so exotisch wie’n Kurztrip nach Timbuktu. „Nee, lass mal gut sein.“ Thomas hielt den Zettel fest, als würde ihm das die freie Zeit retten. „Also, das heißt, ein Termin morgens wär’ schon okay, aber den Rest hätt’ ich dann wirklich gern mal frei.“ Während Lutz noch weitererzählte, stürzte Thomas seine erste Tasse Kaffee runter und war geistig schon mitten in diesem terminfreien Dienstag gelandet. Der ICE nach Hamburg brauchte schließlich nur anderthalb Stunden — oder vielleicht konnte er Fady ja auch dazu überreden, mal für einen Tag mit ihm durch Berlin zu bummeln. Wenn Fady nicht gerade selbst Termine am anderen Ende von Deutschland hatte. Dann gibt’s halt’n Flugzeug, das mich da hinbringt. So schnell wollte er den Gedanken jetzt nicht wieder aufgeben. Thomas stand auf, zapfte sich die zweite Tasse Kaffee aus der Zehnliterkanne und warf nebenher einen Blick zur Uhr. Eigentlich sprach nichts dagegen, dass er gleich mal bei Fady nachfragte, ob er Dienstag schon was vorhatte. Manchmal schickten sie sich tagsüber die ein oder andere SMS, aber heute hatte Fady sich noch nicht gemeldet. „Ich bin mal eben auf’m Klo...“ Thomas winkte Lutz zu, allerdings hatte der schon wieder sein Handy am Ohr. Umso besser. Die Toiletten waren in Hochglanzweiß gekachelt und momentan völlig verlassen. Ein Anflug von Nervenflattern stieg Thomas aus dem Bauch hoch, als er sein Handy rauszog. Schwachsinn, sowas — Fady würde nächsten Dienstag ja wohl keinen Auftritt in der Antarktis haben. Es dauerte ziemlich lange, bis er dran ging. Fast hatte sich Thomas schon auf die Mailbox eingestellt, aber dann meldete sich Fady so leise, dass er kaum zu verstehen war. „Stör ich gerade?“ fragte Thomas vorsichtshalber. „Ich bin —“ Fadys schien krampfhaft Luft zu holen. „Thomas, es tut mir leid... ich kann jetzt gar nicht reden.“ Dafür konnte es tausendundzwei Gründe geben, nur klang Fady überhaupt nicht nach wichtigem Gespräch mit Sony oder Presse, sondern gehetzt und ziemlich aufgelöst. „Naja, dann ruf ich eben später wieder an, kein Problem,“ sagte Thomas zögernd. Als Fady nicht gleich antwortete, klumpte sich in seiner Magengrube ein ganz ungutes Gefühl zusammen. „Aber kannste mir nicht sagen, was los ist, nur die Kurzfassung?“ „Thomas...“ Fadys Stimme zitterte heftig. „Ich muss — ich weiß nicht wie ich dir soll sagen...“ Scheiße. Thomas ließ sich gegen die Wand sacken und starrte den Handtuchspender an. Jetzt kam wohl der Moment, vor dem er sich die ganze Zeit nicht hatte fürchten wollen. Der Druck direkt unter seinem Zwerchfell stieg mit jedem Atemzug an. „Is’ okay. Ich hör dir zu.“ „Es geht nicht.“ Fady flüsterte nur noch — aber trotzdem war’s für Thomas ganz deutlich zu merken, dass er mit den Tränen kämpfte. „Bitte, ich schreibe dir ein E-Mail, ja?“ Es knackte im Hörer. „Fady?“ Am liebsten hätte Thomas das laut rausgebrüllt, aber das hätte auch nicht mehr geholfen, die Leitung war tot. Fady hatte noch nie so einfach aufgelegt. Oder so verzweifelt geklungen. Was zur Hölle war da los? Für einen Moment war Thomas nah dran, sein Handy gegen die Fliesen zu knallen, aber den Impuls bekam er gerade noch so in den Griff. Wenn Fady dermaßen außer sich war, dann konnt’s eigentlich nur um seine Eltern gehen oder... Um uns, um seinen Freund, um alles. Und wenn was mit seinen Eltern passiert wäre, hätte er bestimmt trotz aller Panik ein paar Worte dazu gesagt. Thomas schob sich von der Wand weg und strengte sich an, lang und tief durchzuatmen. Fühlte sich eingesperrt in dieser Stille, zwischen den gekachelten Wänden und den strahlenden Spiegeln. Die zeigten ihm alle nur, dass er verdammt kalkig im Gesicht aussah. Fady konnte ja auch nicht ahnen, dass er bestimmt erst nach Mitternacht wieder ’ne Chance haben würde, seine E-Mails abzurufen. Und wie er die Stunden bis dahin durchstehen sollte... das war völlig unklar. *** X. STILL {11.06. 2008, Berlin.} Um ein Uhr sieben kam Thomas in seinem Zimmer an. All seine Energie war den Abend über dafür draufgegangen, sich nichts anmerken zu lassen. So lange er selber vor dem Mikro stand, ging’s ja noch; wenn er erstmal sang, war alles andere wie weggeblasen. Aber in den Pausen 34 dazwischen, während die Instrumental-Tracks eingespielt wurden, hatte er ständig diese kreiselnde Unruhe im Bauch. Kriegte keinen Gedanken mehr zu Ende, weil er von einer Frage zur nächsten schlitterte und nie irgendwo ankam. Er knipste das Licht an und schob einen Stuhl vor den Schreibtisch, ohne die diversen T-Shirts von der Lehne zu nehmen, die er mal in Hektik drüber geworfen hatte. Klappte den Laptop auf und starrte auf den schwarzen Bildschirm. Die letzten sieben Stunden hatte er immer wieder gehetzt zur Uhr geschielt, weil er sofort wissen wollte, was verdammtnochmal los war. Aber jetzt brachte er’s mit einem Mal nicht fertig, den Laptop anzuschalten. Naja, er konnte noch die halbe Nacht hier sitzen oder — Los jetzt. Mehrere Dutzend Nachrichten plumpsten im Eiltempo in seine Mailbox, das Meiste ohnehin nur Spam. Thomas’ Magen sackte um einige Handbreit nach unten, als er Fadys Absender dazwischen entdeckte. Das wär’ jetzt der richtige Zeitpunkt für’n Stoßgebet gewesen, nur fiel ihm keins ein... Lieber Thomas, was ich jetzt dir sagen muss fällt mir unendlich schwer. Daswegen ich schreibe auch, ich konnte am Telefon einfach nicht sprechen. Manchmal meine Stimme verlässt mich, wenn zuviel passiert was ich nicht ertragen kann. Bitte verzeih mir und glaub mir das geht nicht anders... Als du heute mich angerufen hast, ich hatte gerade ein sehr schweres Gespräch mit meinem Partner. Thomas holte Atem, konnte einen Moment lang nicht weiterlesen. Nach diesen ersten Sätzen lag’s ihm schon wie’n eiskalter Stein im Magen. War’s das etwa, aus und Ende? Auf dem Monitor flackerten die Buchstaben, als würden sie sich gleich auflösen. Er will das wir versuchen unser Beziehung zu reparieren. Ich weiss nicht ob es möglich ist, das habe ich ihm auch gesagt. Aber wir waren so viel Zeit zusammen, und er möchte dass ich ein letzten Versuch mache ihm noch eine Chance zu geben. Für die nächsten zwei Wochen wenigstens. Denn später wird kein Zeit mehr sein, die ich ihm geben kann. Dieser Versuch geht nur, wenn ich dich nicht sehe, das ich musste ihm versprechen. Und ich glaube, ich schulde ihm das. „Ach ja?“ sagte Thomas laut. „Das ist scheißunfair, sonst gar nichts!“ Wenigstens war das noch nicht das Ende der Mail... Thomas, ich wünsche mir sehr das es wäre anders. Du fehlst mir jeden Tag. Und glaub nicht ich hab dich aufgegeben, denn ich bin in Gedanken bei dir, das ändert sich nicht. Aber ich habe diese Verantwortung auch, die ich nicht wegwerfen kann. Ich kann dich nicht bitten immer zu warten auf mich, nur versuch mich zu verstehen... Es ist schwerer als ich dir sagen kann. Fady Thomas lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte den Bildschirm an als gäb’s irgendeine Hoffnung, dass sich der Inhalt dieser Nachricht schlagartig änderte. Er fühlte sich benommen und wütend und trotzdem eine Spur erleichtert — aber gerade dem Gefühl war nicht zu trauen. Schließlich gab’s immer noch keine endgültige Entscheidung, und wenn sie dann fiel... Thomas stand abrupt auf. Konnte das alles noch gar nicht fassen. Dieser Typ bekam jetzt zwei Wochen Zeit, Fady an alles zu erinnern, was sie mal verbunden hatte, und weißderteufelwas zu unternehmen, um ihn wieder für sich zu gewinnen. Nur weil er sich quasi in letzter Sekunde überlegt hatte, dass er Fady doch noch wollte. Arschloch, dachte Thomas, dabei war der Mann immer noch eine gesichtslose Nullnummer für ihn. Und er wusste viel zu wenig, um sich ausrechnen zu können, wie das nun weiterging. Manchmal gab’s das ja offenbar, dass so ein Seitensprung eine Beziehung plötzlich wiederbelebte, die schon scheintot war. Das war aber kein verdammter Seitensprung. Für mich sowieso nicht, und für Fady auch nicht. Thomas wanderte im Zimmer auf und ab, rieb seine kalten Handflächen aneinander. In seiner Magengrube fing irgendwas rebellisch zu zittern an und drückte von unten gegen seine Rippen. Ruhe, rational denken — irgendwie. Wenn er selbst an der Stelle von Fadys Freund gewesen wäre, hätte er dann nicht auch mit allen Mitteln versucht, die Beziehung zu retten? Wahrscheinlich. Aber 35 nicht mit solchen Mitteln, nicht mit so ’nem erpressten Versprechen, das war mal klar. Schließlich hatte Fady ein Recht drauf, seine Entscheidung frei zu treffen. Das hab ich jedenfalls gewollt. Thomas blieb am Fenster stehen und starrte wütend ins Nachtgeflimmer über Berlin. Blöd nur, dass sich Fadys Freund nicht an dieselben Spielregeln hielt. Verdammt ungerecht. Aber Fady war nun mal so — der riss sich für die Menschen, die ihm was bedeuteten, ohne weiteres einen Arm aus, nur damit alle glücklich waren. Das hatte sein Freund eben für sich ausgenutzt. Und wo bleib ich dabei? Am liebsten hätte er Fady jetzt sofort angerufen und gesagt: So geht das nicht, da mach ich nicht mit! Aber klar, das war die beste Methode, damit Fady sich noch zerrissener fühlte als ohnehin schon. Und er würde nur eins erreichen: dass Fady zu ’ner sofortigen Entscheidung gezwungen war. Thomas setzte sich wieder vor den Laptop, der mittlerweile auf Standby geschaltet hatte. Dieser Druck auf der Brust stieg ihm langsam die Kehle hoch, er schluckte krampfhaft. Nur kein Selbstmitleid, das brachte überhaupt nichts. Aber irgendwas musste er jetzt tun. Konnte sich nur zu gut vorstellen, in was für ’ner Verfassung Fady gerade war — so wie der vorhin geklungen hatte. Er würde jetzt sicher auf irgendeine Reaktion warten. Viel heftiger als nötig drückte Thomas eine Taste nach unten. Das E-Mail-Programm flammte wieder auf. Blinkte ihn an, als wär’s ein Reflex der chaotischen Impulse in seinem Gehirn. Seine Gedanken machten immer noch wilde Sprünge — aber irgendwas aufzuschreiben war mit Sicherheit besser als nur seinen verworrenen Gefühlen nachzuhängen. Einen richtigen Brief bekam er trotzdem nicht zustande, nur’n paar abgehackte Sätze, die er fünfmal abänderte. Mal klang’s zu vorwurfsvoll, dann wieder zu nüchtern. Fady, ich wünschte du hättest mir das wenigstens am Telefon sagen können. Sowas zu lesen macht’s ja nicht gerade leichter, und ich hab damit einfach nicht gerechnet. Ich sitz hier immer noch als hätte nebenan der Blitz eingeschlagen. Aber ich hab dir schon gesagt: das ist deine Entscheidung und du musst wissen, was du tust. Ich will dir da nicht reinreden. Also pass auf dich auf, ich denk an dich. Mehr ging jetzt nicht. Nachdem er die Mail abgeschickt hatte, saß Thomas noch ’ne ganze Zeit wie angenagelt vor dem Laptop und wusste nicht, wohin mit sich. Das fühlte sich an, als hätte irgendwer ein Stück aus seinem Leben rausgesplittert, und er hing jetzt an der Bruchstelle fest. Knapp vor einem Nullpunkt, der ihm gnadenlos den Atem abdrückte. *** {15.06. 2008, Köln.} Die Kölner Luft roch verbraucht und stickig. Thomas goss sich einen Plastikbecher mit Cola voll und ging raus auf die Dachterasse. Hinter ihm fummelten der Fotograf und sein Assistent hektisch an der Blitzanlage rum. Irgendein Schaltkreis hatte sich eben mit ’nem heftigen Knall verabschiedet. War nur zu hoffen, dass sie’s bald wieder hinbasteln konnten. Thomas trank ein paar Schlucke von der Cola, die auch nicht mehr richtig frisch schmeckte. Er hatte heute schon die Lagebesprechung mit der Public Relations-Abteilung von BMG hinter sich gebracht, danach ging’s ohne Pause weiter zum Fotoshooting — Pausen konnte er jetzt überhaupt nicht brauchen. Vom Straßenverkehr hörte man hier oben nur’n ersticktes Summen. Dafür drückten sich überall auf den Dächern die Tauben rum, flatterten auf oder liefen planlos durcheinander, ein graues Gewimmel auf grauem Aluminium. Sonst gab’s nichts zu sehen als den dunstigen Umriss des Kölner Doms. Die ganze Stadt lag wie unter Watte. Thomas stützte sich mit einer Hand auf das Geländer, trank seine Cola und beobachtete die Tauben. Verdammter Leerlauf. Er konnte schon wieder spüren, wie die Stille in ihm hochkroch. Seit letzter Woche kam’s ihm immer mehr so vor, als würde sein Leben auf zwei getrennten Tonspuren ablaufen. Auf der einen hektischer Rhythmus und auf der anderen nichts als Rauschen. Immerhin fraß sein Job fast jede Stunde, die er nicht zum Schlafen brauchte, da konnte er zu hundert Prozent drin abtauchen. Mit Vollpower rein in die Strömung und an nichts anderes denken. Sein Album war inzwischen reif für die CD-Brenner, die ersten Hörproben wurden schon rumgereicht, und die 36 Vorbereitungen für die Promotion liefen auf Hochtouren. Nur kurz vor’m Einschlafen gab’s immer diese Momente, in denen ihn alles wieder einholte. Viel zu viele Erinnerungen, die sich in der Dunkelheit breit machten. Dieses schmerzhaft hohle Gefühl im Bauch. Und die Träume, die hörten auch nicht auf. „Thomas?“ sagte jemand. Als er sich umdrehte, stand Katja, die zuständige PR-Frau von BMG, in der offenen Tür. Wedelte mit einer CD, die in der Bewegung aufblitzte wie’n ganzer Regenbogen. „Vielleicht willst du dir das ansehen, so lange es hier nicht weitergeht.“ Wahrscheinlich war das wieder ein Presse-Portfolio mit den neuesten Bildern und Materialien. Thomas zuckte die Schultern, zerknüllte den leeren Becher und warf ihn zu den Tauben runter. „Klar.“ Erst als ihn Katja ins Büro des Fotografen gewinkt hatte, wo ein Laptop ganz oben auf einem schwankenden Stapel Bildmappen geparkt war, konnte er einen Blick auf die CD werfen. Blessed hatte jemand mit Textmarker draufgeschrieben. Katja tippte schwungvoll auf die Klappe des CD-Laufwerks. „Ich dachte, du willst vielleicht mal sehen, womit dein schärfster Konkurrent an den Start geht! Die Videopremiere ist morgen.“ Zum Glück erwartete sie keine Antwort, schob die CD rein und war schon wieder auf dem Weg zur Tür. „Ich frag mal nach, wie lange das mit dem Blitzgerät noch dauert.“ „Ja, danke,“ murmelte Thomas. Dass sie jetzt ausgerechnet mit Fadys Video ankam, war schon ein ganz spezieller Fall von Ironie. Einen Moment spielte er unschlüssig mit dem Kopfhörer, schob ihn sich dann aber doch über die Ohren und klickte den Mediaplayer an. Long before you came, I knew... Fadys Stimme kam sanft über den Kopfhörer und ging ihm gleich dermaßen unter die Haut, dass Thomas die Lautstärke runterdrehen musste. Sonst bestand nicht die geringste Chance, dass er vom Rest des Videos überhaupt was mitbekam. Die Bilder waren schwarzweiß und schwebten hintereinander weg, wie hingehaucht. Fady am Flügel, irgendwo mitten im Wald. Fady in einem Kornfeld, während sich die Kamera in den Himmel hochschraubte. Alles wirkte leicht verzögert und fernab von jeder Realität. Aber dann kam eine Einstellung, in der Fady die Arme zurückwarf und einfach losrannte. Vollkommen frei. Thomas atmete langsam aus und merkte trotzdem, wie sich ihm in der Brust alles zusammenzog. ...blessed, I’m blessed, hauchte ihm Fadys Stimme ins Ohr. So weich und tief, dass er selbst jetzt ’ne Gänsehaut davon bekam. Und ihm fiel wieder ein, wie Fady mal gesagt hatte, der Song erzählte seine eigene Geschichte. Aber an wen er dabei gedacht hatte—? Besser nicht drüber spekulieren. Thomas verschränkte die Arme, während sich diese elende Traurigkeit in ihm ausbreitete wie ’ne dunkle Welle, die ihn langsam verschluckte. Selbst schuld. Er zog sich den Kopfhörer runter und schaltete auf Pause. Drüben im Studio telefonierte der Fotograf jetzt lautstark, wahrscheinlich mit der zuständigen Hotline für defekte Blitzgeneratoren. Thomas schwang sich auf dem Drehstuhl ein Stück zur Seite, konnte aber trotzdem nur Bruchstücke aufschnappen. Wenn sich das noch länger hinzog, sollte er wohl besser Torsten anrufen und ihm Bescheid geben. Er hatte sich extra den letzten Flieger nach Berlin buchen lassen, damit genug Zeit für’n Besuch blieb. Und den wollte er absolut nicht verpassen. Thomas drehte sich zurück zum Bildschirm, der zeigte immer noch das letzte Videobild. Fady am Klavier, den Kopf auf eine Hand gelegt, die Augen geschlossen. Ab morgen würden das Millionen Leute sehen und sich alles Mögliche dabei zusammenträumen. Aber keiner von denen schlug sich mit so verdammt lebendigen Erinnerungen herum, die einfach nicht in den Griff zu kriegen waren. Fadys Hände an seiner Haut. Fadys heftiger Atem an seinem Ohr, als er seinen Namen flüsterte... Thomas fluchte tonlos und klappte den Laptop zu. Dass er Fady vermisste, war ja nichts Neues mehr. Aber seit dieser E-Mail fühlte sich das anders an, das steckte ihm in den Knochen und fraß sich immer tiefer rein, selbst wenn er mit dem Kopf ganz woanders war. Manchmal war er schon drauf und dran gewesen, Fady einfach anzurufen. Nur um seine Stimme zu hören. Aber so lange nichts endgültig geklärt war — so lange Fady nicht wirklich wusste, was er wollte — würde das Warten anschließend nur noch schwerer zu ertragen sein. Dann schon lieber Funkstille. Dem Rauschen auf der anderen Spur zuhören, bis vielleicht doch noch ein Ton kam — ein einziger, gedehnter Ton wie klingendes Glas. 37 Thomas schüttelte den Kopf über diesen total abwegigen Gedanken. Aber einer der alten WinkSongs spulte sich jetzt ganz von selbst aus seinem Gedächtnis ab. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht ertrinke, und keinen Moment, in dem ich nicht versinke. Es ist still in mir... Fady hatte ihn einfach abgehängt, vorübergehend aus seinem Leben gestrichen. Weil’s da eben jemand anderen gab, der ihm momentan wichtiger war. Man konnte das drehen und wenden wie man wollte, darauf lief’s immer wieder raus. Anfangs war’s Thomas bei diesem Gedanken jedesmal heiß aus dem Bauch hochgestiegen — ein explosives Gemisch aus Wut und Verletztheit und Enttäuschung, das er nur mit Mühe runterschlucken konnte. Aber inzwischen hatte sich das verzogen, da war nur noch dieses eisige Gefühl von Verlust. Fady hatte ja keine Ahnung. „So, wir können gleich wieder!“ sagte Katja von der Tür her und klang so begeistert, als hätte sie schon nicht mehr damit gerechnet. Thomas atmete auf und ließ die CD im Laptop stecken. Raus vor die Kamera, da konnte er mittlerweile einen Schalter im Kopf umlegen und genau das bringen, was von ihm erwartet wurde. Nur da sein, wo die Leute ihn haben wollten. Weg von diesem drückenden Leerlauf und seinen eigenen Gedanken. *** In Torstens Wohnzimmer hing noch der Geruch von Steaks mit Salsa, und aus den Boxen kam eine Highspeed-Version von Worldmusic, mit viel Getrommel natürlich. Aus der Küche lieferte Torsten einen scheppernden Beat dazu, während er die Spülmaschine einräumte. Thomas lehnte sich träge auf seinem Stuhl zurück. Jetzt, nach dem Essen, saß ihm eine bleierne Müdigkeit im Leib. Kein Wunder, schließlich hatte ihn der Wecker heute um viertel nach fünf zum Flughafen abkommandiert. „Noch’n Bier?“ Die Kühlschranktür klirrte. Torsten tauchte mit zwei Flaschen Pils hinter dem unfertigen Durchbruch zur Küche auf. „Eins geht noch.“ Thomas wuchtete sich hoch, um ihm eine Flasche abzunehmen, und wanderte damit zum Fenster. Nebenan im Studio glitzerten die Becken und Hi-Hats von Torstens Schlagzeug in einem dünnen Lichtstreifen. Früher, zu Wink-Zeiten, hatten sie oft alle hier zusammengehockt und an tausend unmöglichen Plänen rumgesponnen. Zwei Jahre war das her, aber Thomas kam’s inzwischen vor wie ’ne mittlere Ewigkeit, wie lauter verwackelte Schnappschüsse aus ’ner anderen Zeit. Er blieb vor Torstens ausuferndem CD-Regal stehen, das bis zur Decke reichte und trotzdem schon wieder überquoll. Torsten hörte Musik, wo er ging und stand, und trieb die absolut obskursten Sachen auf. Die endlose Trommelei ging mit ein paar jagenden Wirbeln zu Ende, dann kam eine langsamere Nummer aus den Lautsprechern. Saxophon mit Congas in Moll. Thomas verzog das Gesicht, melancholische Musikbegleitung konnte er jetzt am allerwenigsten brauchen. Er legte den Kopf schräg und las die Titel von ein paar CDs, aber die meisten sagten ihm nichts. Die Musik kreiselte in immer engeren Schleifen um ihn herum. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, dass er hier bei Torsten einen klaren Schädel kriegen würde und alles andere wenigstens für ’ne Stunde von ihm abfiel. Stattdessen rauschten ihm die Bilder aus Fadys Video durch den Kopf — zu dieser Musik, die sich um ein einziges schwermütiges Motiv drehte. Das klang wie pure Einsamkeit. Wie mitten im Auftakt stecken geblieben und dann nicht mehr von der Stelle gekommen. „So, das Abräumkommando war erfolgreich.“ Torstens Stimme fegte diesen nutzlosen Gedankengang beiseite. Mit der Bierflasche in der Hand schlenderte Torsten zum Sofa und setzte sich. „Hey, weißt du eigentlich schon, wann’s nun auf Tour geht?“ „Steht immer noch nicht genauer fest, wahrscheinlich im August.“ Thomas sah sich nach dem Flaschenöffner um. Neuerdings gab’s bei Sony BMG Pläne, ihn mit Fady zusammen auf Tour zu schicken — aber gerade davon wollte er jetzt nicht anfangen. Konkret war ohnehin noch nichts. „Tom, hör mal...“ sagte Torsten plötzlich mit Nachdruck. „Is’ irgendwas mit dir?“ „Wieso, was soll denn sein?“ Vorsichtig ließ sich Thomas neben ihm auf dem durchgesessenen Sofa nieder. Wenn man da nicht aufpasste, hatte man leicht ’ne abgebrochene Sprungfeder in den Weichteilen, aber Torsten hing nun mal an dem alten Stück. „Naja, seit du hier bist, hab ich dich die ganze Zeit zugetextet und von dir grad mal drei oder vier vollständige Sätze gehört. Du bist doch sonst nicht dermaßen schweigsam.“ 38 Thomas strich sich die Haare aus dem Gesicht und zuckte die Schultern. Torsten reichte ihm den Flaschenöffner rüber. „Ehrlich, du wirkst ganz schön fertig.“ „War ja auch ziemlich stressig, die letzte Zeit.“ Thomas schnipste den Bierdeckel von der Flasche und nahm einen Schluck. Klar war Torsten ein guter Freund, dem er so ziemlich alles sagen konnte. Aber ihm jetzt die ganze Geschichte mit Fady zu erzählen war völlig ausgeschlossen. Da gab’s keinen klaren Ausgangspunkt und kein Ende, und besser würde das alles vom Reden sowieso nicht. „Vielleicht steh ich im Moment einfach’n bisschen neben mir.“ „So sieht’s für’n Außenstehenden jedenfalls aus,“ meinte Torsten lakonisch und wartete einfach ab. Das melancholische Saxophon gab endlich Ruhe. Thomas drehte die Bierflasche unschlüssig hin und her, hätte am liebsten doch irgendwas gesagt und sich’n Rat von Torsten geholt, der eigentlich in jeder Situation einen kühlen Kopf behielt. Vielleicht gab’s ja ’ne Möglichkeit, die Sache so allgemein zu halten, dass es nicht gleich nach ’ner triefenden Tragödie klang. „Was machst du eigentlich,“ fing er langsam an, „wenn du ’ne Entscheidung getroffen hast, von der du anfangs total überzeugt warst... aber dann kommen ganz andere Faktoren dazu, und Andere treffen Entscheidungen, mit denen du gar nicht gerechnet hast...?“ Das klang einigermaßen wirr. Kein Wunder, dass ihn Torsten erstmal nur lang ansah. „Business oder privat?“ wollte er schließlich wissen. Thomas schluckte. „Privat.“ “Aha.” Torsten zog die Augenbrauen hoch. Fragte sich wahrscheinlich, woher er überhaupt die Zeit für irgendwelche privaten Probleme nahm. „Naja... ich würd’ dann eben meine Entscheidung überdenken und mich fragen, ob ich einen Fehler gemacht hab. Und dann gibt’s genau zwei Möglichkeiten: entweder Zähne zusammenbeißen und durch... oder was dran ändern, wenn’s im Nachhinein nicht mehr funktioniert.“ „Und wenn der Zug schon abgefahren ist?“ „Mann, Tom, ich kann dir leider nicht ganz folgen!“ Torsten seufzte und klopfte ihm freundschaftlich aufs Knie. „Aber so wie ich das sehe, hast du immer die Möglichkeit, den ganzen Deal abzusagen. Egal, was die andere Seite macht. Klare Ansage und raus, das geht immer.“ „Du meinst abhauen geht immer...“ Mit einem Ruck stand Thomas auf. Wollte sowas nicht denken. Außerdem gab’s auch keinen Deal. Er hatte Fady von sich aus versprochen, dass er warten würde, keiner hatte das von ihm verlangt. Weil er da noch geglaubt hatte, das würd’ sich in allernächster Zeit mehr oder weniger von selbst lösen. Fady musste es seinem Freund nur beibringen, und der würde dann schon einsehen, dass ’ne Trennung das einzig Vernünftige war. Als hätte das irgendwas mit Vernunft zu tun... Als er wieder zu Torsten rübersah, musterte der ihn mit ’nem ziemlich nachdenklichen Blick. Thomas schüttelte den Kopf. “Nicht was du jetzt denkst, das hat nix mit Jenny zu tun.” „Na, okay, ist ja auch deine Sache.“ Torsten sah auf seine Armbanduhr. „Wann genau geht dein Flieger nochmal?“ *** {18.06. 2008, Berlin.} Ein schepperndes Gedröhn riss Thomas so abrupt aus dem Schlaf, dass er erstmal völlig orientierungslos auf dem Rücken lag. Das nervötende Geräusch kam vom Nachttisch. Viel zu laut und verzerrt sang Grönemeyer aus dem Radiowecker was von Flugzeugen im Bauch. Ich kann nichts mehr essen, ich kann dich nicht vergessen, aber auch das gelingt mir noch... Thomas rieb sich die Stirn und rollte sich zur Seite, um nach dem Wecker zu fummeln. „Halt die Klappe, Herbert...“ Gib mir mein Herz zurück, du brauchst meine Liebe nicht — endlich erwischte er den Knopf zum Abschalten mit der Handkante. Das Radio ging mit einem elektrischen Knacksen aus. Nur sagte dieser Song genau das, was er nicht denken wollte. Nicht mehr warten müssen. Keinen Tag mehr so weitermachen. Thomas wälzte sich aus dem Bett und marschierte direkt ins Bad. Erstmal wach werden, dann nachdenken — oder auch nicht, wach ließ sich das jedenfalls besser vermeiden. Die Dusche war so heiß, dass sie das ganze Bad vernebelte, aber vernünftig einstellen ließ sich das Ding irgendwie nicht, da ging nur frostig oder knapp vor’m Verbrühen. 39 Auf dem Rückweg ins Zimmer fiel ihm wieder ein, dass er seinen Wecker heute auf ’ne Stunde früher eingestellt hatte, schließlich musste er noch seinen ganzen Krempel zusammenpacken. Nachher ging’s ein letztes Mal ins Tonstudio und dann gleich weiter nach Köln, zur Aufzeichnung der Geissen-Show. Thomas warf das feuchte Handtuch aufs Bett und zog seine Reisetasche raus. Viel zu packen war ja nicht: die getragenen Klamotten in den Wäschebeutel, die frischen in die Tasche; ein gutes Dutzend CDs und die Mappe mit Papierkram lagen noch herum. Thomas hatte gerade die CDs verstaut, als sein Handy auf dem Nachttisch vibrierte. Mit einem hektischen Griff schnappte er sich das Ding, spürte dabei den kurzen, unvermeidlichen Adrenalinstoß. Dafür gab’s allerdings keinen Grund, 313 hatte ihm nur ’ne SMS mit seinen Flugdaten geschickt. Einen Moment lang starrte er noch auf das Display, als würde das was ändern. Jedes verdammte Mal wenn sein Handy losging, dachte er, dass das Fady sein musste. Trotz allem. Scheiße. Thomas sah sich im Zimmer um. Nur der Laptop war noch nicht eingepackt, die ganze Aktion hatte knapp zehn Minuten gedauert. Da blieb ihm also eine gute Dreiviertelstunde, um drüber nachzudenken, warum Fady sich nicht meldete. Und wie immer in solchen Momenten würd’ ihm die Erinnerung dazwischenfunken. Ihm nochmal in Zeitlupe vorspielen, wie Fady ihn in Hamburg beim Abschied festgehalten hatte, als würd’ jeder Herzschlag zählen. Direkt unter Thomas’ Rippen sammelte sich schon wieder diese atemlose Anspannung. Er hatte einfach viel zuviel an diese eine Erinnerung gehängt. Zuviel Erwartung, zuviel blödsinnige Hoffnungen — zuviel von allem. In Hamburg war er absolut sicher gewesen, dass das bloß der Anfang sein konnte... und dass Fady das genauso empfand, genauso wollte. Aber jetzt fühlte er sich seit Tagen so, als wär’ alles schon vorbei und gelaufen. Wartete eigentlich nur noch drauf, das von Fady selbst zu hören. Wann bin ich eigentlich zum Masochisten mutiert? Thomas ging zum Fenster und schob die Vorhänge ein Stück auseinander, der Himmel war fast wolkenlos blau. Manchmal kam er sich ganz beschissen naiv vor. Verliebtsein war schließlich keine Garantie für irgendwas, es konnte ja trotzdem alles schiefgehen. Oder man verliebte sich eben in die falsche Person. Früher war er da vorsichtiger gewesen, hatte sich nicht zu sehr reingehängt bevor’s nicht klar war, dass auf der Gegenseite auch Interesse bestand. Wenn er erstmal sicheren Boden unter den Füßen hatte, konnte er sich dann schrittweise drauf einlassen. Nur eben bei Fady nicht, das ging Hals über Kopf. Vielleicht hab ich mich da in was reingesteigert... Thomas lehnte sich gegen die Fensterbank, kühles Glas im Rücken. Schließlich steh ich sonst ja echt nicht auf Männer. Daran hatte sich auch überhaupt nichts geändert. Jemals mit ’nem anderen Mann was anzufangen, käme ihm nie in den Kopf, erotisch war das völliges Niemandsland. Andererseits brauchte er sich nur an die Nacht mit Fady zu erinnern — Schluss damit! Thomas schob sich vom Fenster weg. Er sollte mal besser dran denken, dass Fady jetzt vielleicht mit seinem Freund in der Kiste lag. Einem Typen, mit dem er bestimmt auch Französisch reden konnte und der von Fady viel mehr wusste als er selbst. Der schon lange einen festen Platz in Fadys Leben hatte. Sowas brauchte Fady auch — diese Sicherheit, dass jemand immer für ihn da war. Das hätte doch nie funktioniert mit uns, nicht bei all dem Stress, dachte Thomas. Wir hatten nie ’ne echte Chance. War doch ernsthaft gar nicht vorstellbar, dass sie in dieser Situation ’ne einigermaßen stabile Beziehung hätten aufbauen können. Und dazu gab’s ja noch die wirklich gravierenden Komplikationen. Er schüttelte den Kopf. Ich bin die Komplikation, so ist das nun mal. Bestimmt war’s für Fady nur noch belastend, dass zwei Leute aus verschiedenen Richtungen an ihm rumzerrten. Während er eigentlich seine ganze Kraft für andere Dinge brauchte, für seine Musik zum Beispiel. So wie ich auch. Thomas wanderte rüber zum Schreibtisch, fuhr mit dem Daumen an der Kante seines Laptops entlang. Und merkte selbst, wie sehr er sich das mittlerweile wünschte. Nicht mehr so kopflos und unfähig durch jeden Tag rudern, sondern wieder völlig da sein — da, wo er immer hingewollt hatte. Nicht mehr feststecken zwischen einem Verlust, den’s noch gar nicht richtig gab, und der Erinnerung, die ihn nicht losließ. Aber irgendwann würde das schon abflauen, nach und nach rückten solche Erinnerungen ja immer ab, bis nur’n paar undeutliche Bruchstücke übrig blieben. Torstens Vorschlag hatte er auch noch im Ohr: Klare Ansage und raus... Thomas atmete tief durch, 40 obwohl sich sein Magen bei dem Gedanken auf Faustgröße zusammenzog. Das war wohl so’ne verzweifelte Abwehrreaktion: bloß den Tatsachen nicht ins Auge sehen. Aber statt sich selbst Leid zu tun, sollte er endlich ’ne eigene Entscheidung treffen. Am besten gleich. Er setzte sich vor den Laptop. Vielleicht war er unterbewusst schon auf diesen Moment zugesteuert und hatte das Ding deswegen noch nicht eingepackt. Zum ersten Mal seit letzter Woche rief er sich Fady bewusst vor Augen. Wie gestresst und verunsichert er in Hamburg gewirkt hatte, als er von seiner Beziehung redete. Wie er zwischen Wünschen hin und her schlingerte, die einfach nicht zusammenpassten. Thomas schloss für’n Moment die Augen, ließ diese unkontrollierbare Gefühlsmischung einfach durch sich hindurchrollen — Sehnsucht, Trauer, Zärtlichkeit, Enttäuschung — bis sich das Ganze ’n bisschen gesetzt hatte. Was er sich für Fady und sich selbst wünschte, sah ziemlich genauso aus wie der schönste Moment in Fadys Video. Ungebremste Lebensfreude, völlige Freiheit. Aber nun lag die ganze verfahrene Situation endlich glasklar vor ihm, mit all ihren Ecken und Kanten. Und zum ersten Mal hatte er’n gewissen Abstand dazu. Als Thomas das E-Mail-Programm öffnete, saß ihm ein ziemlicher Kloß im Hals, aber schließlich hatte er in seinem Leben schon öfter sowas durchgestanden. Träumen, durchstarten, abstürzen — und dann irgendwie wieder auf die Füße kommen. Nicht jede richtige Entscheidung fühlte sich sofort gut an, das hatte er auch schon kapiert. Diese tat scheißweh. Daran gemessen klang die E-Mail, die er in einem Anlauf runterschrieb, eigentlich ziemlich geradlinig. Lieber Fady, ich hab in letzter Zeit viel nachdenken müssen, und jetzt ist wohl der Punkt gekommen, an dem mir endlich einiges klar wird. Keine Ahnung, ob ich hier die richtigen Worte finde, aber ich werd’s versuchen. Das mit uns hat mir echt viel bedeutet, und genau deswegen kann ich so nicht mehr weitermachen. Ich komm überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Ständig steh ich unter Strom und kann das langsam nicht mehr aushalten. Weil ich nur noch drauf warte, wieder was von dir zu hören, und dass du endlich eine klare Entscheidung triffst. So ist das nun mal: ich warte drauf, dass du dich von deinem Freund trennst. Und das ist einfach nur mies. Ich hab mich nie in irgendeine Beziehung reindrängen wollen, und unter Druck setzen will ich dich auch nicht. Aber ich krieg’s auch nicht hin, das abzustellen. Einfach nur abzuwarten und dir die Zeit zu lassen, die du halt brauchst. So eine Entscheidung kannst du schließlich nicht unter Stress treffen, dann kommt nämlich mit Sicherheit das Falsche dabei raus. Vielleicht hast du mich ja deswegen erstmal aufs Abstellgleis geschoben. Oder vielleicht hast du einfach nicht gewusst, wie’s mir dabei gehen würde. Das klingt vielleicht hart, aber ich werd damit nicht fertig, so dermaßen in der Luft zu hängen. Aber letzten Endes ist das meine eigene Schuld, das hab ich mittlerweile eingesehen. Ich hab dir was versprochen, was ich nicht halten kann. Ich dachte, ich krieg das hin und hab mir leider zuviel zugetraut. Es wird höchste Zeit, dass ich dir das sage, auch wenn ich mich ehrlich beschissen dabei fühle. Aber ich will mich nicht mehr selbst belügen — und dich auch nicht. Ich kann jetzt einfach nicht mehr warten, Fady. Das tut mir nicht gut und dir bestimmt auch nicht. Verzeih mir bitte, dass ich dir jetzt so plötzlich damit komme. Dass ich geglaubt hab, ich wäre stärker als ich nun mal bin. Das ist nicht deine Schuld, und ich bereue auch nichts. Vielleicht haben wir einfach den total falschen Zeitpunkt erwischt. Aber so wie’s jetzt ist, kann sich zwischen uns nichts mehr weiter entwickeln, was immer auch draus geworden wäre. Ich muss dir aber noch was anderes sagen: du bist ein ganz toller Freund und selbst so ein Super-Mensch, falls du das nicht weißt. Und egal was sonst noch passiert, ich wünsch mir wirklich, dass wir Freunde bleiben. Nur brauch ich jetzt erstmal etwas Abstand. Hör auf dein Herz und triff die Entscheidungen, die für dich richtig sind, okay? Nicht weil andere sie von dir erwarten. Wir sehen uns bestimmt irgendwann. Thomas 41 P.S. Ich hab dein Video gesehen, die Single wird sich bestimmt rasend verkaufen. Also genieß deinen Erfolg, den hast du total verdient. Thomas lehnte sich zurück, atmete gegen das krampfige Gefühl in seiner Brust und las alles noch mal durch. Als er wieder beim Ende angekommen war, hatte sich diese bohrende Traurigkeit schon etwas verzogen, und er fühlte sich vor allem... hohl. Aber irgendwie auch befreit von dieser dauernden Unsicherheit, dem Alleinsein mit lauter abgerissenen Möglichkeiten. Einen Moment brauchte er trotzdem noch, um endlich auf ’senden’ zu klicken, aber dann schoss die E-Mail raus wie’n Blitz aus heiterem Himmel. Thomas sah auf die Uhr, in spätestens fünf Minuten würde sein Fahrer hier auftauchen. Immerhin stimmte sein Timing heute. *** Als er spät abends seinen Laptop startete, saß er in einem Kölner Hotelzimmer, das aussah wie tausend andere und nach angeschmortem Plastik roch. Völlig egal, morgen früh ging’s eh gleich weiter nach Frankfurt zum Hessischen Rundfunk. Fadys E-Mail war eine der letzten in seiner Mailbox, erst vor ’ner halben Stunde abgeschickt. Um sich gar nicht erst irgendwas zusammenzufantasieren, fing Thomas sofort an zu lesen. Dass sein Puls dabei in hartes Stakkato verfiel, war momentan eben nicht zu verhindern. Lieber Thomas, ich habe dir ein langen Brief geschriben und dann ihn wieder gelöscht. Denn was ich dir wirklich sagen soll und muss ist ganz kurz. Ich respektire deine Wünsche mehr als alles. Es ist nichts zum verzeihen, nur mir es tut leid was ich dir alles zumuten habe, ich kann dir nicht sagen wie. Verzeih mir wenn du kannst! Ich danke dir für die freundlichen wort, die ich sicher nicht habe verdient. Und ich werde warten von dir wieder zu hören. Wann die Zeit dafür richtig ist weisst nur du. Aber ich halte dich immer in meinem Herz. Du hast mir viel mehr gegeben als du weisst und ich dir nur so wenig. Das ist was am meisten schmerzt. Ich wünsche dir nur gutes und ich weiss das tust du auch mir. Fady Das war’s jetzt also. Kein Widerspruch, kein zurück mehr. Thomas saß einfach nur da, hörte dem Surren des Laptops zu und dem Rauschen in seinen Ohren, weil sein Herzschlag immer noch aus der Spur lief. Wünschte sich einen verrückten Moment lang, Fady hätte ihm doch den längeren Brief geschickt. Komplett sinnloser Gedanke. Er würde jetzt auch nicht weiter drüber nachdenken, was Fady ihm vielleicht noch gesagt hätte, oder wie ihm beim Schreiben dieser Kurzfassung zumute war. Letzten Endes konnte man nun mal in keinen anderen Menschen reinsehen. Und dieses verdammte Brennen in den Augen würde er einfach ignorieren, bis es aufhörte. War ja auch kein Abschied für immer. Früher oder später liefen sie sich bestimmt wieder über den Weg, im Zweifelsfall vor irgend ’ner Kamera. Und bis dahin würd’ er das alles schon irgendwie wegstecken, den nötigen Abstand gewinnen. Wenn er Fady das nächste Mal sah, dann nur noch als Freund. Thomas gab sich selbst das Kommando zum Aufstehen und öffnete ein Fenster bis zum Anschlag. Durchatmen, loslassen — ohne irgendwas zu bedauern — das wurde höchste Zeit. Ab morgen würd’s ihm schon besser gehen, dann konnte er endlich wieder voll bei der Sache sein. Ohne Kompromisse in das Leben einsteigen, das schon ’ne ganze Weile unter seinem Namen lief. Ohne auf irgendwas zu warten. Er ging zum Tisch zurück und schaltete den Laptop aus. Und dann war’s völlig still. * * * the end (for now) * * * 42